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IX.

Madame Caroline sah sich von Neuem allein. Hamelin war bis zu den ersten Tagen des November in Paris geblieben, um gewisse Formalitäten zu erledigen, welche die endgiltige Konstituirung der Gesellschaft mit einem Kapital von 150 Millionen nothwendig machte und er war es abermals, der auf den Wunsch Saccards zum Notar Lelorrain in der Rue Sainte-Anne ging, um daselbst die gesetzlich vorgeschriebenen Erklärungen abzugeben und zu bestätigen, daß sämmtliche Aktien gezeichnet, das Kapital eingezahlt sei, was nicht wahr war. Dann reiste er nach Rom ab, wo er zwei Monate zubringen wollte, um wichtige Angelegenheiten zu studiren, über welche er Stillschweigen beobachtete. Ohne Zweifel war dies sein famoser Traum von der Verlegung des heiligen Stuhles nach Jerusalem und noch ein anderes, viel praktischeres und bedeutenderes Projekt, dasjenige der Umgestaltung der Universalbank in eine katholische Bank, welche sich auf die christlichen Interessen der ganzen Welt stützen und eine ungeheure Maschine mit der Bestimmung werden sollte, das jüdische Bankwesen zu zermalmen und vom Erdboden hinwegzufegen. Von Rom gedachte er noch einmal nach dem Orient zurückzukehren, wohin ihn die Arbeiten der Eisenbahn Brussa-Beyrut riefen. Er entfernte sich, ganz beglückt über das rasche Gedeihen der Anstalt, vollkommen überzeugt von der unerschütterlichen Solidität, nur mit einer gewissen dumpfen Unruhe ob dieses allzu großen Erfolges im Grunde seines Herzens. Am Vorabend seiner Abreise hatte er eine Unterredung mit seiner Schwester, in welcher er ihr nur eine Sache dringend empfahl, nämlich, der allgemeinen Vorliebe zu widerstehen und ihre Papiere zu verkaufen, wenn der Kurs von 2200 Francs überschritten sein würde, weil er die Absicht hatte, persönlich gegen diese fortdauernde Hausse zu protestiren, welche er für unsinnig und gefährlich erachtete.

Wieder allein geblieben, fühlte sich Madame Caroline noch mehr verwirrt durch die überheizte Umgebung, in welcher sie lebte. Um die erste Woche des Monats November erreichte man den Kurs von 2100 Francs und es gab rings um sie her ein Entzücken, ein Geschrei von Dank und grenzenloser Hoffnung. Dejoie hatte sich vor ihr in Dankbarkeit aufgelöst, die Gräfinnen Beauvilliers behandelten sie als eine Ebenbürtige, als eine Freundin des Gottes, welcher ihr altes Haus aufrichten sollte. Ein Wettbewerb von Segnungen stieg aus der glücklichen Menge der Kleinen und der Großen auf, aus der Menge der endlich zu einer Mitgift gelangten Töchter, der plötzlich reich gewordenen Armen, der Leute, die ihre Sehnsucht nach einer Altersversorgung erfüllt sahen, der Reichen, die in der unersättlichen Lust glühten, noch reicher zu werden. In der auf die Ausstellung folgenden Zeit, in diesem vom Vergnügen und von der Macht berauschten Paris war dies eine einzige Stunde, eine Stunde des Glaubens an das Glück, die Gewißheit endloser Wohlfahrt. Alle Werthe waren gestiegen, selbst die am wenigsten soliden fanden gläubige Käufer; eine Menge verdächtiger Geschäfte ließ den Markt anschwellen bis zum Platzen, während unter diesem glänzenden Schein der hohle Klang der Leere sich vernehmbar machte, die wirkliche Erschöpfung einer Herrschaft, die zu viel genossen, Milliarden in großen Arbeiten ausgegeben, ungeheure Kredithäuser gemästet hatte, deren weit klaffende Kassen ihren Inhalt nach allen Seiten ergossen. In diesem Taumel mußte bei dem ersten Krach der Zusammenbruch kommen, und Madame Caroline hatte ohne Zweifel dieses ängstliche Vorgefühl, wenn sie bei jedem neuen Sprung der Kurse der Universalbank-Aktien ihr Herz sich zusammenschnüren fühlte. Noch war keinerlei schlimmes Gerücht in Umlauf, kaum ein leises Erbeben der erstaunten und überwältigten Baissiers. Nichtsdestoweniger hatte sie das Bewußtsein eines Unbehagens, irgend einer Sache, welche bereits den Bau unterwühlte; aber was war es? es ließ sich nichts Bestimmtes angeben und sie war genöthigt zu warten angesichts des Glanzes, des immer mehr anwachsenden Triumphes, trotz der leichten Erschütterungen, welche die Katastrophen ankündigen.

Indeß hatte Madame Caroline zu jener Zeit einen anderen Verdruß. In der Arbeitsstiftung war man mit Victor endlich zufrieden, der Knabe war still und tückisch geworden; wenn sie Saccard noch nicht Alles erzählt hatte, so war es nur vermöge eines seltsamen Gefühls der Verlegenheit, welches sie ihre Mittheilung von Tag zu Tag verschieben ließ, weil sie vor der Scham zurückscheute, welche ihr die Sache verursachen mußte. Maxime, welchem sie zu jener Zeit die 2000 Francs aus ihrer eigenen Tasche zurückerstattete, scherzte übrigens über die 4000 Francs, welche Busch und die Méchain noch forderten; diese Leute bestahlen sie und sein Vater wird wüthend sein, meinte er. Sie wies denn auch fortan die wiederholten Forderungen Busch's zurück, welcher die Vervollständigung der ihm versprochenen Summe heischte. Nach zahllosen Schritten, die er gethan, erzürnte sich der Agent endlich umsomehr, als sein alter Plan, Saccard tüchtig anzuzapfen, wieder auflebte, seitdem der Letztere seine neue, so hohe Situation erlangte, in welcher, wie Busch meinte, der Bankdirektor aus Furcht vor einem Skandal sich ihm auf Gnade und Ungnade ergeben würde. In seiner Erbitterung, aus einem so schönen Geschäfte keinen Nutzen zu schlagen, beschloß er denn eines Tages, sich direkt an Saccard zu wenden. Er schrieb ihm, er möge einmal in seinem Bureau vorsprechen, um Kenntniß von alten Papieren zu nehmen, welche in einem Hause der Rue de la Harpe gefunden worden, und gab auch die Nummer an und machte eine so deutliche Anspielung auf die alte Geschichte, daß Saccard sicherlich nicht ermangeln würde, von Unruhe ergriffen herbeizueilen. Dieser Brief, welchen man in der Rue Saint-Lazare zugestellt hatte, fiel in die Hände der Madame Caroline, welche die Schrift erkannte. Sie erbebte und fragte sich einen Augenblick, ob sie nicht zu Busch eilen sollte, um ihn zu befriedigen. Dann sagte sie sich, daß er vielleicht wegen einer anderen Sache schrieb und daß dies in jedem Falle ein Weg sei, mit der Angelegenheit zu Ende zu kommen. Sie war sogar ordentlich froh in ihrer Aufregung, daß ein Anderer ihr die Verlegenheit abgenommen, Saccard über diese Geschichte Mittheilung zu machen. Doch als dieser am Abend heimkehrte und in ihrer Gegenwart den Brief öffnete, sah sie ihn blos ernst werden und sie glaubte an irgend eine Complication in Geldsachen. Indeß hatte er eine tiefe Ueberraschung empfunden, seine Kehle schnürte sich zusammen bei dem Gedanken, in solche schmutzige Hände zu fallen und er witterte irgend eine Niedertracht. Mit einer unruhigen Geberde steckte er den Brief in die Tasche und faßte den Vorsatz, hinzugehen.

Die Tage gingen dahin, es kam die zweite Hälfte des Monats November und Saccard, betäubt durch den reißenden Strom, der ihn dahintrug, verschob von Tag zu Tag den Besuch, den er zu machen gedachte. Der Kurs von 2300 wurde überschritten; er war davon entzückt, obwohl er merkte, daß an der Börse ein Widerstand sich fühlbar machte in dem Maße, als die tolle Hausse zunahm; augenscheinlich gab es eine Gruppe von Baissiers, welche Stellung nahm, in den Kampf eintrat, vorerst noch schüchtern, in bloßen Vorpostengefechten. Und schon zweimal glaubte er sich verpflichtet, Kaufaufträge zu geben, natürlich unter falschem Namen, damit das Steigen der Kurse nicht unterbrochen werde. Es begann das System einer Gesellschaft, welche ihre eigenen Aktien kauft, in ihren eigenen Papieren spielt und sich so aufzehrt.

Eines Abends konnte Saccard, von seiner Leidenschaft durchrüttelt, es sich nicht versagen, mit Madame Caroline darüber zu sprechen.

– Ich glaube, es wird nun bald heiß werden. Wir sind schon zu stark. Wir sind ihnen zu unbequem. Ich wittere Gundermann, das ist seine Taktik. Er wird jetzt mit regelmäßigen Verkäufen vorgehen, heute so viel, morgen so viel, und jeden Tag die Ziffer vergrößernd, bis er uns erschüttert.

Sie unterbrach ihn mit ihrer ernsten Stimme.

– Wenn er Universalbank hat, so hat er Recht, zu verkaufen.

– Wie, er hat Recht, zu verkaufen?

– Ohne Zweifel; mein Bruder hat es Ihnen gesagt: Ueber 2000 hat der Kurs absolut keinen Sinn mehr.

Er betrachtete sie und brach in zügellosem Zorne los:

– So verkaufen Sie denn, wagen Sie es, zu verkaufen! Ja, spielen Sie gegen mich, da Sie meinen Untergang wollen!

Sie erröthete leicht, denn sie hatte gerade am vorhergegangenen Tage tausend Stück ihrer Aktien verkauft, um den Weisungen ihres Bruders zu gehorchen. Auch sie fühlte sich durch diesen Verkauf einigermaßen erleichtert, als wäre dies ein verspäteter Akt der Rechtschaffenheit. Allein da er sie nicht direkt befragte, gestand sie ihm die Sache nicht und war umsomehr verwirrt, als er hinzufügte:

– Es muß auch gestern irgend ein Verrath vorgegangen sein, ich bin dessen sicher. Es ist ein ganzes Bündel Aktien auf den Markt gekommen und die Kurse wären sicherlich zurückgegangen, wenn ich nicht dazwischengetreten wäre ... Gundermann macht keine solchen Streiche; seine Methode ist eine langsamere, aber auf die Dauer gefährlichere ... Oh, meine Liebe, ich bin ganz beruhigt, aber ich zittere dennoch, denn sein Leben vertheidigen ist nichts, das Schlimmste ist, sein Geld und dasjenige Anderer zu vertheidigen.

In der That gehörte Saccard von diesem Augenblick sich selbst nicht mehr an. Er wurde der Mensch der Millionen, die er gewann, ein Sieger, der fortwährend auf dem Punkte stand, geschlagen zu werden. Er fand nicht einmal mehr die Zeit, die Baronin Sandorff in dem kleinen Erdgeschoß-Appartement in der Rue Caumartin zu besuchen. In Wahrheit hatte sie ihn ermüdet durch die Lüge ihrer Flammenaugen, durch diese Kälte, welche seine verderbten Versuche nicht in Hitze zu verwandeln vermochten. Und dann war ihm ein Verdruß zugestoßen, derselbe, welchen er Delcambre bereitet hatte. Eines Abends war er – dank der Dummheit einer Kammerfrau – in dem Augenblick eingetreten, als die Baronin sich in den Armen Sabatani's befand. In der stürmischen Auseinandersetzung, welche dieser Ueberraschung gefolgt war, hatte er sich erst nach einer vollständigen Beichte beruhigt; sie habe es aus bloßer Neugierde gethan, aus einer gewiß strafbaren, aber so sehr erklärlichen Neugierde. Von diesem Sabatani redeten alle Frauen wie von einem solchen Phänomen und man flüsterte über diese Sache so Ungeheuerliches, daß sie dem Verlangen nicht habe widerstehen können, mit eigenen Augen zu schauen. Und Saccard verzieh ihr, als sie auf eine brutale Frage erwiderte, daß es Alles in Allem nicht so erstaunlich sei. Er besuchte sie fortan nur einmal in der Woche; nicht als ob er ihr einen Groll bewahrt hätte, sondern ganz einfach, weil sie ihn langweilte. Die Baronin, welche fühlte, daß er sich von ihr losmachte, verfiel wieder in ihre Unwissenheit und in ihre Zweifel von ehedem. Seitdem sie ihn in den intimen Stunden ins Gebet nahm, spielte sie fast sicher und gewann viel. Sie theilte in solcher Weise sein Spielglück. Heute sah sie wohl, daß er nicht antworten wollte, sie fürchtete sogar, daß er sie belog; und sei es, daß das Glück ihr den Rücken wandte, sei es, daß er sich in der That den Spaß gemacht, sie auf eine falsche Fährte zu lenken, genug dem, es geschah eines Tages, daß sie, indem sie seinem Vorschlag folgte, verlor. Ihr Vertrauen zu ihm war erschüttert. Wenn er sie dermaßen irreführte, wer wird sie fortan leiten? Und das Schlimmste war, daß die feindselige Regung gegen die Universalbank an der Börse, anfänglich eine so schwache, von Tag zu Tag zunahm. Es waren vorläufig nur Gerüchte, man wußte nichts Bestimmtes zu formuliren, keine Thatsache, welche die Solidität der Anstalt berühren konnte. Aber man ließ merken, daß es nicht richtig sein müsse, daß die Frucht wurmstichig sei. Alldies hinderte übrigens nicht eine weitere niederschmetternde Hausse der Aktien.

Nach einer verfehlten Spekulation in Italienern beschloß die Baronin, von entschiedener Unruhe ergriffen, die Redaktionsbureaux der »Hoffnung« aufzusuchen und, wenn möglich, Jantrou zum Plaudern zu bringen.

– Lassen Sie hören, was geht denn vor? Sie müssen wissen Universalbank sind soeben wieder um 20 Francs gestiegen und doch war irgend ein Gerücht im Umlauf. Niemand wußte mir zu sagen was, aber doch irgend etwas Schlimmes.

Jantrou befand sich in ähnlicher Verwirrung. An der Quelle der Nachrichten sitzend, im Nothfalle sie selber fabrizirend, verglich er sich gerne mit einem Uhrmacher, der inmitten von hundert Uhren lebt und niemals die genaue Stunde weiß. Wenn er dank seiner Zeitungsagentie in alle Geheimnisse eingeweiht war, so fehlte es ihm doch an einer einheitlichen und festen Meinung, denn seine Informationen kreuzten sich und hoben sich gegenseitig auf.

– Ich weiß nichts, absolut nichts.

– Ach, Sie wollen mir nichts sagen.

– Nein, ich weiß nichts, auf mein Ehrenwort. Ich selbst hatte die Absicht, Sie aufzusuchen und zu befragen. Ist denn Saccard nicht mehr freundlich zu Ihnen?

Sie machte eine Handbewegung, welche ihn in seiner Vermuthung bestärkte: das Verhältniß ging seinem Ende zu, Beide waren desselben müde geworden, die Frau war mürrisch, der Liebhaber abgekühlt, nicht mehr redselig. Er bedauerte einen Augenblick, die Rolle des gut informirten Mannes nicht gespielt zu haben, um sich endlich diese kleine Ladricourt zu gönnen – wie er sich ausdrückte – deren Vater ihn mit Fußtritten empfangen hatte. Aber er merkte wohl, daß seine Stunde noch nicht gekommen sei und er fuhr fort sie zu betrachten, während er laut seine Gedanken weiterspann.

– Ja, das ist ärgerlich; und ich zählte auf Sie ... Denn, nicht wahr? wenn irgend eine Katastrophe eintreten muß, sollte man gewarnt sein, um sich rechtzeitig vorsehen zu können. Oh, ich glaube nicht, daß die Sache drängt; die Bank ist noch sehr solid. Aber, man sieht so drollige Dinge. In dem Maße, als er sie so betrachtete, keimte in seinem Kopfe ein Plan.

– Hören Sie, sagte er plötzlich: da Saccard Sie im Stich läßt, sollten Sie sich mit Gundermann auf einen guten Fuß stellen.

Sie war einen Augenblick überrascht.

– Mit Gundermann? Warum? ... Ich kenne ihn ein wenig. Ich bin ihm bei Roivilles und bei Kellers begegnet.

– Umso besser, wenn Sie ihn kennen ... Besuchen Sie ihn unter irgend einem Vorwande; sprechen Sie mit ihm, trachten Sie seine Freundin zu werden ... Stellen Sie sich vor, was Das bedeuten würde: Die Freundin Gundermanns zu sein, die Welt zu beherrschen!

Und er kicherte bei den schlüpfrigen Bildern, die er mit einer Handbewegung andeutete; denn die Kälte des Juden war allgemein bekannt, es mußte ein sehr komplizirtes und sehr schwieriges Unternehmen sein ihn zu verführen. Als die Baronin begriffen hatte, lächelte sie still, ohne sich zu erzürnen.

– Aber, warum Gundermann? wiederholte sie.

Er erklärte ihr nun, daß Gundermann sicherlich an der Spitze der Gruppe von Baissiers stehe, welche gegen die Universalbank zu manövriren begannen. Er wußte dies, er hatte einen Beweis dessen. Da Saccard unfreundlich war, gebot doch wohl die einfachste Vorsicht, sich mit seinem Gegner auf einen guten Fuß zu stellen, ohne indeß mit Jenem ganz zu brechen. So würde man denn mit einem Fuße in jedem Lager stehen und sicher sein, am Tage der Schlacht sich in der Gesellschaft des Siegers zu befinden. Und diesen Verrath empfahl er mit einer liebenswürdigen Miene, einfach als ein Mann, der guten Rath weiß. Wenn eine Frau für ihn arbeiten wollte, würde er ruhig schlafen.

– Wollen Sie? Seien wir Verbündete ... Wir werden einander verständigen, wir werden einander Alles sagen, was wir erfahren haben werden.

Als er ihre Hand ergriff, zog sie dieselbe mit einer instinktiven Bewegung zurück, weil sie etwas Anderes vermuthete.

– Aber nein, ich denke nicht daran, da wir Kameraden sind, sagte er ... Später werden Sie selbst mich belohnen wollen.

Sie überließ ihm lachend ihre Hand, welche er küßte. Und sie fühlte schon keine Mißachtung gegen ihn, vergaß, daß er ein Lakai gewesen, sah ihn nicht mehr in der schmutzigen Ausschweifung, in die er versunken war mit seinem verwüsteten Antlitz, seinem schönen Barte, der nach Absynth stank, mit seinem neuen und doch schon fleckigen Rocke und seinem glänzenden Zilinderhute, den er an der Mörtelwand der Treppe irgend eines verdächtigen Hauses eingestoßen hatte.

Schon am folgenden Tage begab sich die Baronin Sandorff zu Gundermann. Seitdem die Aktien der Universalbank den Kurs von zweitausend erreicht hatten, führte dieser Bankier in der That einen ganzen Feldzug à la baisse, in größter Stille und Verschwiegenheit, ohne jemals an die Börse zu gehen und ohne einen offiziellen Vertreter daselbst zu haben. Sein Gedankengang war der, daß eine Aktie vor Allem den Emissionspreis werth sei, dann die Verzinsung, die sie bringen kann und die von dem Gedeihen des Hauses, von dem Erfolg ihrer Unternehmungen abhängig ist. Es gibt also einen Maximalwerth, welchen sie vernünftigerweise nicht übersteigen darf; sobald sie – dank der Voreingenommenheit des Publikums – diesen Maximalwerth übersteigt, ist die Hausse eine trügerische und gebietet die Klugheit in die Baisse zu gehen, mit der Sicherheit, daß sie kommen werde. In seiner Ueberzeugung, in seinem absoluten Glauben an die Logik war er dennoch überrascht von den raschen Eroberungen Saccards, von dieser plötzlich emporgewachsenen Macht, worüber die jüdische hohe Bankwelt nachgerade entsetzt war. Es galt so rasch als möglich diesen gefährlichen Nebenbuhler niederzuschlagen, nicht bloß um die am Tage nach Sadowa verlorenen acht Millionen wieder zu gewinnen, sondern hauptsächlich, um nicht das Königthum des Marktes mit diesem furchtbaren Abenteurer theilen zu müssen, dessen tolle Unternehmungen gegen jede vernünftige Erklärung, wie durch ein Wunder zu gelingen schienen. Und Gundermann, von Verachtung gegen die Leidenschaft erfüllt, übertrieb noch sein Phlegma eines mathematischen Spielers, eines Spielers von der kühlen Hartnäckigkeit eines Zahlenmenschen, der immerfort verkaufte, trotz der andauernden Hausse und bei jeder Hausse immer größere Summen verlor, mit der ruhigen Sicherheit eines Weisen, der sein Geld einfach in die Sparkasse legt.

Als die Baronin endlich eintreten konnte, inmitten des Gedränges der Beamten und der Remisiers, des Hagels von Schriftstücken, die zu unterschreiben waren und von Depeschen, die gelesen werden mußten, fand sie den Bankier an einer Erkältung, an einem Husten leidend, der ihm schier die Kehle zerriß. Dennoch war er da seit sechs Uhr Morgens, hustend und speiend, erschöpft, aber dennoch fest. An jenem Tage, an welchem eine ausländische Anleihe bevorstand, war der weite Saal mit einer Fluth von eiligen Besuchern gefüllt, welche zwei Söhne und ein Schwiegersohn des Bankiers mit größter Raschheit abfertigten. In der Nähe des Tisches, welchen Gundermann sich in einer Fensternische vorbehalten hatte, spielten drei seiner Enkelkinder, zwei Mädchen und ein Knabe, und stritten mit gellendem Geschrei um eine Puppe, welcher sie schon einen Arm und ein Bein ausgerissen hatten.

Die Baronin rückte sogleich mit dem Vorwande ihres Besuches heraus.

– Lieber Herr, ich wollte persönlich den Muth meiner Zudringlichkeit haben ... Ich komme wegen einer Wohlthätigkeits-Lotterie ...

Er ließ sie nicht zu Ende sprechen; er war sehr wohlthätig und nahm stets zwei Karten, besonders wenn die Damen, welche er in Gesellschaften getroffen hatte, sich selbst die Mühe nahmen ihm die Karten zu bringen.

Doch er mußte sich entschuldigen, denn ein Beamter legte ihm soeben die Schriftstücke einer geschäftlichen Angelegenheit vor. In dem rasch geführten Gespräch zwischen dem Chef und seinem Angestellten handelte es sich um riesige Ziffern.

– Zweiundfünfzig Millionen, sagen Sie? Und wie hoch war der Kredit?

– Sechszig Millionen.

– Nun denn, bringen Sie ihn auf fünfundsiebzig Millionen.

Schon wollte er sich wieder zur Baronin wenden, als ein Wort, welches er aus einer Unterhandlung seines Schwiegersohnes mit einem Remisier aufgefangen, ihn bewog hinzueilen.

– Aber keineswegs! rief er. Zum Kurse von 587.50 macht dies zehn Sous weniger per Aktie.

– Oh, mein Herr, bemerkte der Remisier unterthänig, wegen 43 Francs, die Das ausmachen würde ...

– Wie? 43 Francs! Das ist ja enorm! Glauben Sie, daß ich mein Geld stehle? Jedem das Seine, ich kenne nichts Anderes.

Um endlich ruhig mit der Baronin sprechen zu können, führte er sie in das Speisezimmer, wo der Tisch schon gedeckt war. Er ließ sich durch den Vorwand der Wohlthätigkeits-Lotterie nicht täuschen, denn er kannte ihr Verhältniß, dank einer speichelleckerischen Polizei, die ihn unterrichtete, und er vermuthete wohl, daß irgend ein ernstes Interesse sie zu ihm führte. Er that sich denn auch keinen Zwang an.

– Sagen Sie mir nun, was Sie mir zu sagen haben.

Allein sie stellte sich überrascht. Sie habe ihm nichts zu sagen und wolle ihm nur für seine Güte danken.

– Sie haben also nicht irgend einen Auftrag für mich erhalten?

Und er schien enttäuscht, als hätte er einen Augenblick geglaubt, daß sie mit einer geheimen Mission Saccards, mit irgend einer Erfindung dieses Narren zu ihm komme.

Jetzt, da sie allein waren, betrachtete sie ihn lächelnd, mit ihrer gierigen und verlogenen Miene, welche die Männer in so unnützer Weise erregte.

– Nein, nein, ich habe Ihnen nichts zu sagen; und da Sie so gut sind, hätte ich eher etwas von Ihnen zu verlangen.

Sie hatte sich zu ihm vorgebeugt und streifte seine Kniee mit ihren feinen, beschuhten Händen. Und nun beichtete sie ihm, erzählte von ihrer unglücklichen Ehe mit einem Fremden, der für ihre Natur, für ihre Bedürfnisse kein Verständniß hatte, so daß sie zum Spiel Zuflucht nehmen mußte, um ihre gesellschaftliche Stellung zu behaupten. Endlich sprach sie von ihrer Vereinsamung, von der Nothwendigkeit einen Berather, einen Führer zu haben auf diesem furchtbaren Boden der Börse, wo jeder Fehltritt so schwere Opfer fordert.

– Aber, ich dachte, Sie haben Jemanden, unterbrach er sie.

– Oh, Jemanden! murmelte sie mit einer Geberde tiefer Verachtung. Nein, nein, Das ist Niemand, ich habe Niemanden ... Sie möchte ich haben, den Gebieter, den Gott. Und es würde Ihnen wahrhaftig nichts kosten, mir von Zeit zu Zeit ein Wort, ein einziges Wort zu sagen. Wenn Sie wüßten, wie glücklich Sie mich machen würden, wie dankbar ich Ihnen wäre, oh, von ganzem Herzen! ...

Sie rückte noch näher, hüllte ihn in ihren warmen Athem ein, in den feinen, bezwingenden Duft, den ihr ganzes Wesen ausströmte. Aber er blieb sehr ruhig und wich nicht einmal zurück; sein Fleisch war todt, er hatte keine Regung zu unterdrücken. Während sie sprach, nahm er – dessen Magen völlig verdorben war, so daß er sich mit Milchkost nährte – aus einer Fruchtschüssel, die auf dem Tische stand, Weintraubenkörner, immer eines nach dem anderen, die er mit einer mechanischen Geste aß; es war die einzige Ausschreitung, die er sich zuweilen gestattete, in den großen Stunden sinnlicher Erregung, und die er mit Tagen qualvoller Leiden bezahlte.

Er lächelte schlau, wie ein Mann, der sich unüberwindlich weiß, als die Baronin, wie selbstvergessen, im Eifer ihrer Bitte, ihm endlich ihre kleine, verführerische Hand auf das Knie legte, diese Hand mit den verzehrenden Fingern, so geschmeidig und so biegsam wie ein Bündel Schlangen. Scherzend nahm er diese Hand und that sie weg, wobei er mit einem Kopfschütteln Dank sagte, wie man für ein unnützes Geschenk dankt, das man ablehnt. Und ohne länger seine Zeit zu verlieren sagte er, gerade auf sein Ziel losgehend:

– Sie sind sehr liebenswürdig und ich möchte Ihnen gefällig sein ... Meine schöne Freundin, an dem Tage, da Sie mir einen guten Rath bringen, will ich Ihnen dafür einen andern guten Rath geben; dazu verpflichte ich mich. Kommen Sie zu mir, um mir zu sagen, was man thut, und ich werde Ihnen sagen, was ich thun werde. Ist's abgemacht?

Er war aufgestanden und sie mußte mit ihm nach dem anstoßenden großen Saal zurückkehren. Sie hatte vollkommen verstanden, welchen Handel er ihr vorschlug: die Auskundschaftung, den Verrath. Allein, sie wollte darauf nicht antworten und kam auf ihre Wohlthätigkeits-Lotterie zurück, während er mit seinem spöttischen Kopfschütteln hinzuzufügen schien, daß er auf ihren Beistand keinen Werth lege und daß das logische, verhängnißvolle Ende dennoch kommen werde – vielleicht etwas später. Und als sie endlich ging, war er schon bei anderen Geschäften, in dem außerordentlichen Tumult dieser Halle der Kapitalien, inmitten des Zuges der Börsenleute, des Rennens seiner Beamten, der Spiele seiner Enkelkinder, welche mit einem Triumphgeschrei endlich der Puppe den Kopf abgerissen hatten. Er hatte sich wieder an seinen schmalen Schreibtisch gesetzt, versenkte sich in das Studium einer ihm plötzlich aufgetauchten Idee und hörte nichts mehr.

Zweimal kehrte die Baronin nach den Redaktionsbureaux der »Hoffnung« zurück, um Jantrou über ihren Schritt bei Gundermann zu berichten, doch traf sie den Direktor nicht. Endlich führte Dejoie sie hinein, an einem Tage, wo seine Tochter Nathalie mit Madame Jordan auf einem Bänkchen des Ganges plauderte. Seit zwei Tagen ging draußen eine Sintfluth nieder; bei diesem feuchten, trüben Wetter war der Halbstock dieses alten Hôtels, im Hintergrunde des düsteren, brunnenschachtförmigen Hofes, von einer furchtbaren Traurigkeit. Das Gas brannte in einem schmutzigen Zwielicht. Marcelle, die auf ihren Gatten wartete, der irgendwo Geld auftreiben sollte, um Busch eine neue Abschlagszahlung zu leisten, hörte mit trauriger Miene Nathalie schwatzen wie eine eitle Elster, mit ihrer trockenen Stimme und ihren spitzigen Geberden eines zu früh aufgeschossenen Pariser Mädchens.

– Sie begreifen, Madame, Papa will nicht verkaufen ... Jemand treibt ihn an zu verkaufen und will ihm Schrecken einjagen. Ich will diese Person nicht nennen, denn es ist wahrhaftig nicht ihre Rolle, die Leute zu erschrecken. Ich selbst hindere jetzt Papa zu verkaufen. Fällt mir nicht ein zu verkaufen, wenn die Aktie steigt! Da müßte ich doch recht dumm sein, nicht wahr?

– Gewiß! begnügte sich Marcelle zu sagen.

– Sie wissen, daß wir jetzt auf zweitausendfünfhundert stehen, fuhr Nathalie fort. Ich führe die Rechnungen, denn Papa kann nicht schreiben. Mit unseren acht Aktien macht dies bereits zwanzigtausend Francs aus. Das ist hübsch, nicht wahr? Papa wollte zuerst bei achtzehntausend stehen bleiben; dies war seine Ziffer: sechstausend Francs für meine Mitgift, zwölftausend Francs für ihn, eine kleine Rente von sechshundert Francs, die er nach so vielen Aufregungen wohl verdient haben würde ... Aber ist es nicht ein Glück, sagen Sie, daß er nicht verkauft hat? Wir haben nun wieder um zweitausend Francs mehr! ... Und jetzt wollen wir noch mehr; wir wollen eine Rente von wenigstens tausend Francs. Und wir werden sie haben: Herr Saccard hat es gesagt ... Herr Saccard ist so lieb! ...

Marcelle konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

– Sie heirathen also nicht mehr?

– Doch, doch; wenn die Aktien nicht mehr steigen. Wir hatten es eilig, besonders Theodor's Vater, wegen seines Handels. Aber man will doch die Quelle nicht verstopfen, wenn das Geld kommt. Oh, Theodor versteht Das sehr genau; wenn Papa mehr Rente hat, werden wir eines Tages mehr Kapital haben. Das verdient doch wohl überlegt zu werden ... Und so warten wir denn alle. Wir haben die sechstausend Francs seit Monaten und könnten heirathen; aber sie sollen erst noch Junge bekommen, die sechstausend Francs ... Lesen Sie die Artikel über unsere Aktien?

Und ohne die Antwort abzuwarten fuhr sie fort:

– Ich lese sie des Abends. Papa bringt mir die Blätter ... Er hat sie immer schon gelesen und ich muß ihm sie noch einmal vorlesen ... Was sie versprechen, ist so schön, daß man nicht müde wird es zu lesen. Wenn ich schlafen gehe, habe ich den Kopf voll damit; ich träume des Nachts davon. Und auch Papa sagt mir, er sehe Dinge, die ein gutes Zeichen sind. Vorgestern hatten wir den nämlichen Traum: wir sammelten mit der Schaufel Hundertsous-Stücke auf der Straße. Es war sehr ergötzlich.

Sie unterbrach sich von Neuem, um zu fragen:

– Wie viel Aktien haben Sie, Madame?

– Wir? keine einzige, antwortete Marcelle.

Das kleine, blonde Gesicht Nathaliens mit den fliegenden, fahlen Haaren nahm einen Ausdruck unermeßlichen Mitleides an. Ach, die armen Leute, die keine Aktien hatten! Und als ihr Vater sie rief, um ihr ein Bündel Korrektur-Abzüge zu übergeben, welche sie auf dem Heimwege nach Batignolles einem Redakteur bringen sollte, entfernte sie sich mit der spaßigen Wichtigthuerei einer Kapitalistin, die jetzt fast jeden Tag bei dem Blatte vorsprach, um rascher die Börsenkurse zu erfahren.

Auf dem Bänkchen allein geblieben versank Marcelle wieder in ein melancholisches Brüten, sie, die sonst so fröhlich und so tapfer war. Mein Gott! wie schwarz und wie häßlich war die Zeit! Und ihr armer Mann lief bei dieser Sintfluth in den Straßen herum! Er hatte eine solche Verachtung gegen das Geld, ein solches Unbehagen bei dem bloßen Gedanken sich damit zu beschäftigen, es kostete ihm eine so große Anstrengung Geld zu verlangen, selbst von Jenen, die ihm welches schuldeten! Und in Gedanken versunken, nichts hörend, durchlebte sie von Neuem diesen Tag seit ihrem Erwachen, diesen bösen Tag; während rings um sie her die fieberhafte Arbeit der Zeitungsmacherei fortdauerte, die Redakteure durch die Zimmer eilten, die Setzerjungen mit den Abzügen kamen und gingen, Thüren zugeworfen, Klingel gezogen wurden.

Um 9 Uhr Morgens – eben war Jordan fortgegangen, um genaue Erkundigungen nach einem Unglücksfall einzuholen, über welchen er seinem Blatte berichten sollte – sah Marcelle, kaum gewaschen und noch in ihrem Nachtjäckchen, zu ihrer maßlosen und peinlichen Ueberraschung Busch in ihrer Wohnung erscheinen, gefolgt von zwei sehr schmutzigen Menschen, vielleicht Gerichtsvollziehern, vielleicht Banditen, was sie nicht genau entscheiden konnte. Der abscheuliche Busch mißbrauchte ohne Zweifel den für ihn günstigen Umstand, daß er nur eine Frau zuhause traf, und erklärte, sie würden Alles pfänden, wenn er nicht sogleich bezahlt würde. Und vergebens wehrte sie sich, vergebens versicherte sie, von den gesetzlich vorgeschriebenen Formalitäten keine Kenntniß zu haben: er behauptete, die gerichtliche Entscheidung sei bekannt gegeben, die Kundmachung angeheftet worden; und er behauptete dies mit einer solchen Sicherheit, daß sie darob völlig bestürzt war und schließlich glaubte, daß diese Dinge möglich seien, ohne daß man davon wisse. Allein, sie fügte sich nicht; sie erklärte, ihr Mann werde zur Frühstückszeit nicht heimkehren und sie würde nichts berühren lassen, bevor er heimkäme. Und dann begann zwischen den drei verdächtigen Männern und dieser nur halb bekleideten jungen Frau, deren Haare noch ungeordnet auf ihre Schultern herabfielen, die furchtbarste Scene; Jene inventirten bereits die Fahrnisse, sie schloß die Schränke, warf sich vor die Thür, wie um sie zu hindern etwas fortzuschaffen. Ihre arme kleine Wohnung, auf die sie so stolz war, ihre wenigen Möbelstücke, die sie so sauber hielt, der Zitzvorhang in ihrem Schlafzimmer, welchen sie selbst aufgenagelt hatte! Nur über ihren Körper hinweg würden sie etwas fortschaffen können! rief sie ihnen tapfer zu; und sie nannte Busch einen Hundsfott und einen Dieben; ja, er sei ein Dieb, der sich nicht schämte siebenhundertdreißig Francs fünfzehn Centimes – die neuen Kosten ungerechnet – für eine Schuld von dreihundert Francs zu fordern, für eine Schuld, die er um hundert Sous erstanden, mit Lumpen und altem Eisen zusammen! Ueberdies hatten sie in Teilbeträgen schon vierhundert Francs abgezahlt und da redete dieser Dieb noch davon ihre Möbel fortschaffen zu wollen, um sich damit für dreihundert und so viele Francs bezahlt zu machen, die er ihnen noch stehlen wollte! Und er wußte vollkommen, daß sie keine schlechten Absichten haben und daß sie ihn sogleich bezahlt haben würden, wenn sie das Geld hätten. Und er benützte eine Gelegenheit, wo sie allein war, ihm nicht antworten könnend, weil sie mit dem Vorgang nicht vertraut war, bloß um sie zu erschrecken und weinen zu machen. Hundsfott! Dieb! Dieb! Busch war wüthend und schrie noch lauter als sie, schlug sich heftig auf die Brust: Ist er nicht ein rechtschaffener Mann? Hat er nicht die Schuldforderung mit gutem Gelde bezahlt? Er befände sich vollkommen in Ordnung mit dem Gesetze und wolle ein Ende machen. Doch als einer der zwei schmutzigen Männer die Schubfächer der Kommode öffnete, um die Leibwäsche zu suchen, nahm sie eine so furchtbare Haltung an, indem sie drohte, das Haus und die Gasse in Aufruhr zu bringen, daß der Jude klein beigab. Endlich, nach einer weiteren halben Stunde niedrigen Streites hatte er eingewilligt bis zum nächsten Tage zu warten, nicht ohne einen wüthenden Eid zu schwören, daß er morgen Alles nehmen würde, wenn sie ihm nicht Wort hielte. Oh, welche brennende Schmach, an der sie jetzt noch litt! Diese abscheulichen Menschen in ihrer Wohnung, ihr Zartgefühl, ihre Züchtigkeit beleidigend, Alles durchsuchend, selbst das Bett, ihr so glückseliges Zimmer verpestend, dessen Fenster sie nach ihrem Abgang weit offen ließ!

Doch noch ein anderer, schwererer Kummer harrte Marcelles an jenem Tage. Sie war auf den Einfall gekommen zu ihren Eltern zu eilen und die Summe von ihnen zu entlehnen; in solcher Weise würde sie ihren Mann des Abends, bei seiner Heimkehr, nicht betrüben müssen, vielmehr ihn mit der Erzählung der Scene vom Morgen lachen machen. Schon sah sie sich im Geiste ihm den großen Kampf schildern, den grausamen Ansturm auf ihre Häuslichkeit und den Heldenmuth, mit welchem sie den Angriff abgeschlagen! Ihr Herz pochte sehr heftig, als sie das kleine Hôtel in der Rue Legendre betrat, dieses wohlbestellte Haus, in welchem sie herangewachsen und wo sie nur mehr Fremde anzutreffen glaubte, so sehr schien ihr dort die Luft eine andere, eine eisige. Da ihre Eltern sich eben zu Tische setzten, nahm sie die Einladung zum Frühstück an, um sie günstiger zu stimmen. Während der ganzen Mahlzeit drehte sich das Gespräch um die Hausse der Aktien der Universalbank, deren Kurs gestern wieder um 20 Francs gestiegen war; und sie war erstaunt ihre Mutter noch fieberhafter erregt, noch gieriger zu finden, als ihren Vater. Sie, die anfänglich bei dem bloßen Gedanken an die Spekulation zitterte, war jetzt völlig für das Spiel gewonnen, schalt ihn heftig wegen seiner Furchtsamkeit und rannte wüthend den großen Glückszügen nach. Gleich bei der Vorspeise war sie in Zorn gerathen, weil er davon sprach, ihre fünfundsiebzig Aktien zu diesem unverhofften Kurse von 2520 verkaufen zu wollen, was einen Betrag von 189 000 Francs ausmachen und einen hübschen Nutzen, mehr als hunderttausend Francs über den Kaufpreis abwerfen würde. Verkaufen! während die » Cote financière« den Kurs von dreitausend verhieß! Ist er verrückt? Die » Cote financière« war doch schließlich bekannt vermöge ihrer alten Rechtschaffenheit; er selbst habe es ja oft genug gesagt, daß man mit dieser Zeitung ruhig schlafen könne. Nein, wahrhaftig, sie wird ihn nicht verkaufen lassen! Lieber würde sie das Haus verkaufen, um noch mehr Aktien zu kaufen. Und Marcelle hörte schweigend, mit beklommenem Herzen diese großen Ziffern hin- und herfliegen und sann darüber nach, wie sie es wagen würde, ein Darlehen von fünfhundert Francs zu verlangen in diesem Hause, das dem Spiel anheim gefallen war, wo sie allmälig die Fluth der Finanzblätter hatte höher steigen sehen, welche es heute in dem berauschenden Traum ihrer Reklamen völlig untergehen ließen. Beim Nachtisch hatte sie endlich Muth gefaßt: sie müßten fünfhundert Francs haben, weil man sonst ihre Fahrnisse verkaufen würde; ihre Eltern könnten sie in diesem Unglück unmöglich verlassen. Der Vater hatte sogleich den Kopf hängen lassen, mit einem verlegenen Blick zu seiner Frau hinüber. Doch schon hatte die Mutter das Verlangen rundweg abgeschlagen. Fünfhundert Francs! Woher sollte sie sie nehmen? Ihre ganzen Kapitalien seien durch die Börsen-Operationen gebunden; dann kam sie auf ihre alten Vorwürfe zurück: wenn man einen Hungerleider, einen Bücherschreiber geheirathet hat, so muß man sich mit den Folgen seiner Thorheit abfinden und nicht den Seinigen zur Last fallen. Nein, sie habe nicht einen Sou für die Faulenzer, welche mit ihrer geheuchelten Mißachtung für das Geld nur daran denken, dasjenige Anderer aufzuessen. Und sie hatte ihre Tochter abziehen lassen und diese war verzweifelt weggegangen, mit blutendem Herzen, weil sie ihre Mutter, diese früher so vernünftige und gute Frau nicht wieder erkannte.

In der Straße war Marcelle wie unbewußt dahin gegangen, zur Erde blickend, ob sie nicht da Geld finden würde. Dann war sie plötzlich auf den Einfall gekommen, sich an Onkel Chave zu wenden; und sie begab sich sogleich nach der verschwiegenen Erdgeschoßwohnung in der Rue Nollet, um ihn noch vor der Börse zuhause zu treffen. Sie hörte daselbst ein Geflüster und ein Kichern junger Mädchen. Doch als die Thür geöffnet worden, sah sie den Kapitän allein, seine Pfeife rauchend; und er war trostlos, wüthend gegen sich selbst und schrie, daß er niemals hundert Francs im voraus habe, daß er Tag für Tag seine kleinen Börsengewinnste aufzehre, wie ein schmutziges Schwein, das er sei. Dann, als er die Weigerung der Maugendre hörte, wetterte er über sie; das seien abscheuliche Leute, die er übrigens nicht mehr besuchte, seitdem die Hausse ihrer lumpigen paar Aktien ihnen den Verstand raubte. Die vorige Woche erst habe seine Schwester ihn einen Pfennigfuchser genannt, wie um sein vorsichtiges Spiel lächerlich zu machen, weil er ihr freundschaftlich gerathen hatte zu verkaufen. Das ist Eine, die er nicht beklagen wird, wenn sie eines Tages den Hals brechen wird!

Und Marcelle sah sich von Neuem auf der Straße mit leeren Händen; und sie hatte sich entschließen müssen zur Redaktion der Zeitung zu gehen, um ihren Mann zu verständigen, was am Morgen vorgegangen war. Busch mußte absolut bezahlt werden. Jordan, dessen Buch noch von keinem Verleger angenommen war, hatte sich auf die Jagd nach Geld begeben, durch das kothige Paris, an diesem Regentage, ohne zu wissen wo er anklopfen solle, bei Freunden, bei den Zeitungen, für welche er arbeitete, wie es der Zufall bringen würde. Obgleich er sie gebeten hatte in ihre Wohnung heimzukehren, war sie dermaßen geängstigt, daß sie es vorgezogen hatte hier auf dem Bänkchen zu bleiben und zu warten.

Als Dejoie nach dem Abgang seiner Tochter sie allein sah, brachte er ihr eine Zeitung.

– Wollen Sie lesen, Madame, um sich die Zeit zu vertreiben?

Allein, sie machte eine ablehnende Handbewegung und da Saccard eben ankam, spielte sie die Tapfere und erklärte heiter, daß sie ihren Mann gebeten habe, statt ihrer einen Weg im Stadtviertel zu machen, der ihr selbst lästig gewesen. Saccard, der Freundschaft für das kleine Ehepaar hegte, wie er sie nannte, bestand darauf, daß sie in sein Kabinet eintrete, um bequemer zu warten. Sie wehrte sich dagegen und meinte, sie sei da, wo sie war, gut aufgehoben. Und er drang nicht länger in sie, als er zu seiner Ueberraschung die Baronin Sandorff aus dem Zimmer Jantrou's treten sah. Sie lächelten übrigens einander mit freundlichem Einverständnisse zu, als Leute, die einen bloßen Gruß austauschen, um sich nicht auffällig zu machen.

In der Unterredung, welche Jantrou mit der Baronin soeben gehabt, hatte er ihr gesagt, daß er es nicht mehr wage ihr einen Rath zu geben. Die Festigkeit, mit welcher die Universalbank den wachsenden Anstrengungen der Baissiers Widerstand leistet, mache ihn stutzig; ohne Zweifel werde Gundermann schließlich den Sieg davontragen, aber Saccard konnte noch lange aushalten und man konnte neben ihm vielleicht noch große Gewinnste einheimsen. Er hatte sie bestimmt noch zuzuwarten, Beide warm zu halten. Das Beste war, noch ferner die Geheimnisse des Einen zu erlangen, indem sie sich ihm liebenswürdig zeigt, so daß sie diese Geheimnisse für sich bewahren und ausnützen, oder dem Anderen verkaufen konnte, je nachdem ihr Interesse es erheischte. Und das waren keine finsteren Ränke; er legte es ihr mit scherzender Miene zurecht, während sie ihm lachend versprach, daß er mit vom Geschäfte sein solle.

– Sie steckt also jetzt immer bei Ihnen? Sie sind an der Reihe? sagte Saccard in seiner rohen Weise, als er das Kabinet Jantrou's betrat.

Dieser spielte den Erstaunten.

– Wer denn? ... Ach, die Baronin? Aber, theurer Meister, sie betet Sie ja an. Sie sagte es mir eben jetzt erst wieder.

Mit der Geberde eines Menschen, der sich nicht täuschen läßt, hatte der alte Räuber ihn unterbrochen; und er betrachtete diesen in niedrigen Lüsten versunkenen Menschen und dachte sich, daß wenn sie der Neugierde nachgegeben hat zu erfahren wie Sabatani beschaffen sei, sie wohl auch Verlangen tragen könne, von dem Laster dieser Ruine zu kosten.

– Vertheidigen Sie sich nicht, mein Lieber. Wenn eine Frau spielt, ist sie sehr wohl im Stande dem Eckensteher, der ihr einen Auftrag bringt, in die Arme zu sinken.

Jantrou war sehr beleidigt, aber er begnügte sich zu lachen, ohne die Anwesenheit der Baronin bei ihm zu erklären. Sie sei wegen einer Annonce gekommen, sagte er.

Saccard hatte übrigens bereits mit einem Achselzucken diese Frauenfrage beiseite geworfen, die – wie er meinte – kein Interesse bot. Im Zimmer hin- und hergehend, zuweilen an das Fenster tretend, um den unaufhörlichen grauen Regen zu betrachten, ließ er seiner entnervten Freude freien Lauf. Jawohl, Universalbank war gestern wieder um 20 Francs gestiegen! Aber, wie zum Teufel, war es möglich, daß einzelne Verkäufer sich dennoch verbissen? Denn die Hausse wäre bis zu 30 Francs gegangen, wäre nicht gleich in der ersten Stunde ein Packet Aktien auf den Markt geworfen worden. Was er nicht wußte, war, daß Madame Caroline abermals tausend Aktien verkauft hatte, indem sie selbst gegen die unsinnige Hausse ankämpfte, so wie ihr Bruder es ihr aufgetragen. Gewiß, Saccard hatte sich angesichts des wachsenden Erfolges nicht zu beklagen und dennoch schüttelte ihn an diesem Tage ein innerer Schauder, zusammengesetzt aus einer dumpfen Furcht und aus Zorn. Er schrie, die schmutzigen Juden hätten sein Verderben geschworen und der Hundsfott Gundermann habe sich an die Spitze eines Syndikats von Baissiers gestellt, um ihn zu ruiniren. Man hatte ihm dies an der Börse gesagt; man sprach dort von einer Summe von dreihundert Millionen, welche von dem Syndikat bestimmt sei, die Baisse zu nähren. Ha, die Briganten! Und was er nicht so laut wiederholte, das waren die anderen Gerüchte, die von Tag zu Tag immer deutlicher in Umlauf kamen und die Solidität der Universalbank bestritten, schon Thatsachen, Anzeichen bevorstehender Schwierigkeiten anführten, allerdings ohne das blinde Vertrauen des Publikums bisher im Geringsten erschüttert zu haben.

Doch jetzt ward die Thür aufgestoßen und Huret mit seinem Gesichte eines Einfaltspinsels trat ein.

– Ah, da sind Sie ja, Judas! sagte Saccard.

Huret hatte sich, als er hörte, daß Rougon seinen Bruder entschieden preisgeben werde, mit dem Minister wieder auf einen guten Fuß gestellt; denn er war überzeugt, daß an dem Tage, wo Saccard den großen Mann gegen sich haben würde, die Katastrophe unvermeidlich wäre. Um die Verzeihung des Ministers zu erlangen, war er in dessen Dienerschaft wieder eingetreten, besorgte dessen Gänge und riskirte in seinem Dienste Schmähworte und Fußtritte in den Hintern.

– Judas? wiederholte er mit dem schlauen Lächeln, welches zuweilen sein plumpes Bauerngesicht erhellte. Jedenfalls ein ehrlicher Judas, der da kommt, um dem Meister, den er verrathen, einen uneigennützigen Wink zu geben.

Doch Saccard rief, wie um ihn nicht zu hören und um seinen Triumph zu bestätigen:

– Nun, zweitausendfünfhundertzwanzig gestern, zweitausendfünfhundertfünfundzwanzig heute!

– Ich weiß; ich habe soeben verkauft.

Sogleich brach sein Zorn hervor, den er bisher unter seiner scherzhaften Miene verborgen hatte.

– Wie? Sie haben verkauft? Also, die Sache ist vollständig! Sie verlassen mich für Rougon und verbinden sich mit Gundermann?

Der Abgeordnete schaute ihn verblüfft an.

– Mit Gundermann? Warum? Ich verbinde mich ganz einfach mit meinen Interessen. Ich bin kein tollkühner Waghals. Nein, ich habe keinen so gierigen Magen; ich will lieber verkaufen, wenn ein hübscher Gewinn zu holen ist. Vielleicht habe ich deshalb nie verloren.

Und er lächelte von Neuem, als vorsichtiger Normandier, der seine Ernte einheimste, ohne sich aufzuregen.

– Ein Verwaltungsrath der Gesellschaft! fuhr Saccard heftig fort. Wer soll dann Vertrauen haben? Was soll man denken, wenn man Sie mitten in der Hausse-Bewegung verkaufen sieht? Wahrhaftig, ich bin nicht mehr erstaunt, wenn man behauptet, daß unser Gedeihen ein trügerisches und der Tag des Sturzes nicht mehr fern sei. Die Herren verkaufen; verkaufen wir alle. Es ist die reine Panik!

Huret schwieg und machte eine unbestimmte Geberde. Im Grunde kümmerte er sich wenig um diese Reden, sein Geschäft war gemacht. Seine einzige Sorge war jetzt nur, den Auftrag, welchen Rougon ihm gegeben, so genau wie möglich zu erfüllen, ohne selbst dabei zu viel zu leiden.

– Ich sagte Ihnen also, mein Lieber, daß ich gekommen sei, um Ihnen einen selbstlosen Wink zu geben ... Die Sache ist die: Seien Sie klug; Ihr Bruder ist wüthend und wird Sie glattweg preisgeben, wenn Sie sich überwinden lassen.

Saccard bewältigte seinen Zorn und zuckte nicht.

– Hat er Sie gesendet, um mir Das zu sagen?

Nach kurzem Schweigen fand der Abgeordnete es für besser, die Wahrheit zu gestehen.

– Nun denn ja, er selbst. Oh, glauben Sie ja nicht, daß die Angriffe der »Hoffnung« irgendwie Antheil an seiner Gereiztheit haben. Er ist über jede Verletzung seiner Eigenliebe erhaben. Aber, in Wahrheit, bedenken Sie nur, wie sehr der klerikale Feldzug Ihres Blattes seiner gegenwärtigen Politik unbequem sein muß. Seit den unglückseligen Verwicklungen mit Rom hat er den ganzen Klerus auf dem Rücken; er war eben erst wieder genöthigt einen Bischof – gleichsam in mißbräuchlicher Weise – verurtheilen zu lassen. Und zu Ihren Angriffen gegen ihn wählen Sie gerade den Augenblick, wo er alle Mühe hat, sich nicht von der liberalen Richtung fortreißen zu lassen, die aus den Reformen vom 19. Jänner entstanden, welchen er – wie man sagt – nur deshalb zugestimmt hat, um sie in vernünftiger Weise einzudämmen ... Hören Sie: Sie sind sein Bruder, glauben Sie, daß er seiner Stellung froh ist?

– In der That, das ist unschön von meiner Seite, sagte Saccard spöttisch. Da ist dieser arme Bruder, der in seinem wüthenden Verlangen Minister zu bleiben, im Namen jener Grundsätze regiert, die er gestern noch bekämpfte, und der sich gegen mich kehrt, weil er nicht mehr weiß, wie er sich im Gleichgewicht erhalten soll zwischen der Rechten, die wegen seines Verrathes grollt, und zwischen dem dritten Stande, der nach der Macht Verlangen trägt. Um die Katholiken zu beschwichtigen, hat er noch gestern sein famoses »Niemals!« ausgerufen und hat geschworen, Frankreich werde nimmermehr zugeben, daß Italien Rom dem Papst wegnehme. In seiner Furcht vor den Liberalen möchte er heute auch diesen einen Liebesdienst erweisen und denkt daran mich zu erwürgen ... Die vorige Woche hat ihn Emile Ollivier in der Kammer tüchtig durchgehechelt ...

– Oh, warf Huret ein, er besitzt nach wie vor das Vertrauen der Tuilerien; der Kaiser hat ihm jüngst erst ein Täfelchen voll Diamanten zum Geschenke gemacht.

Doch Saccard machte eine energische Handbewegung wie um zu sagen, er lasse sich dadurch nicht täuschen.

– Die Universalbank ist fortan zu mächtig, nicht wahr? Eine katholische Bank, die da droht die Welt durch das Geld zu erobern, wie man sie einst durch den Glauben eroberte: kann man das dulden? Alle Freidenker, alle Freimaurer, die auf dem Wege sind Minister zu werden, schaudern davor bis in die Knochen ... Vielleicht unterhandelt man auch wegen irgend einer Anleihe mit Gundermann. Was sollte aus einer Regierung werden, wenn sie sich nicht von den schmutzigen Juden auffressen ließe? ... Und mein tölpelhafter Bruder wirft mich, um sechs Monate länger an der Macht zu bleiben, den schmutzigen Juden, den Liberalen, diesem ganzen Geschmeiß zum Fraße hin, in der Hoffnung, daß man ihn ein wenig in Ruhe lassen werde, während man mich verschlingt ... Nun denn, kehren Sie zu ihm zurück und sagen Sie ihm, daß ich auf ihn pfeife ...

Er richtete seine kleine Gestalt auf und seine Wuth brach endlich durch die Ironie durch, wie eine kriegerische Fanfare.

– Hören Sie: ich pfeife auf ihn! Das ist meine Antwort; ich will, daß er sie erfahre.

Huret hatte die Schultern eingezogen. Wenn man in Geschäftssachen sich erzürnte, so war dies nicht mehr seine Art. Schließlich war er in dieser Sache nur ein Bote.

– Gut, gut, man wird es ihm sagen. Sie werden sich die Glieder brechen lassen, aber Das geht Sie an.

Stillschweigen trat ein. Jantrou, der vollkommen stumm geblieben war, anscheinend völlig in die Korrektur einiger Zeitungsspalten versunken, blickte jetzt auf, um Saccard zu bewundern. Wie schön war dieser Bandit in seiner Leidenschaft! Diese genialen Schufte triumphiren zuweilen, auf diesem Grade der Unbewußtheit, wenn der Rausch des Erfolges sie hinreißt. Und Jantrou war in diesem Augenblicke für ihn, überzeugt von seinem Glücke.

– Ach, ich vergaß, sagte Huret. Es scheint, daß der Generalprokurator Delcambre Sie haßt ... Und was Sie noch nicht wissen, ist, daß der Kaiser ihn heute Morgens zum Justiz-Minister ernannt hat.

Saccard blieb plötzlich stehen und wurde nachdenklich. Endlich sagte er mit verdüsterter Miene:

– Auch eine schöne Geschichte! Den hat man zum Minister gemacht! Aber schließlich, was soll mich dies kümmern?

– Mein Gott, sagte Huret, indem er sich noch einfältiger stellte, im Falle Ihnen ein Unglück zustoßen sollte, wie es ja in Geschäften Jedem zustoßen kann, will Ihr Bruder, Sie mögen nicht darauf zählen, daß er Sie gegen Delcambre in Schutz nehmen werde.

– Aber Donnergottes! heulte Saccard, wenn ich Ihnen schon sage, daß ich auf die ganze Sippe pfeife, auf Rougon, auf Delcambre und auf Sie obendrein!

Glücklicherweise trat in diesem Augenblicke Daigremont ein. Er kam sonst niemals in die Redaktion der Zeitung; sein Erscheinen war denn auch eine Ueberraschung für Alle und machte dem heftigen Auftritt ein Ende. In sehr korrekter Haltung theilte er Händedrücke aus, lächelnd, mit der einschmeichelnden Liebenswürdigkeit eines Weltmannes. Seine Frau wollte einen Gesellschafts-Abend geben und an demselben ihre Gesangskunst hören lassen; er kam ganz einfach, um Jantrou einzuladen und sich einen günstigen Bericht im Blatte zu sichern. Die Anwesenheit Saccards schien ihn in Entzücken zu versetzen.

– Wie geht es, großer Mann?

– Sagen Sie: haben Sie nicht auch verkauft? fragte Saccard, ohne zu antworten.

– Verkaufen! Oh nein, noch nicht. Und sein Lachen klang sehr aufrichtig; er war wirklich solider.

– Aber man soll in unserer Situation niemals verkaufen! schrie Saccard.

– Niemals! Das wollte ich eben sagen. Wir alle sind solidarisch; Sie wissen, daß Sie auf mich zählen können.

Seine Augenlider hatten dabei gezuckt und er hatte zur Seite geblickt, während er für die anderen Verwaltungsräthe, für Sédille, Kolb, den Marquis de Bohain bürgte, wie für sich selbst. Das Geschäft ging so gut, es war wahrhaftig ein Vergnügen, daß sie alle so schön einig waren in dem außerordentlichsten Erfolge, welchen die Börse seit fünfzig Jahren gesehen. Und er hatte ein liebenswürdiges Wort für Jeden und entfernte sich mit der wiederholt ausgesprochenen Erwartung, die drei Herren sicher bei seinem Gesellschaftsabend zu sehen. Mounier, der Tenor von der großen Oper, werde mit seiner Frau ein Duett singen. Oh, es wird von außerordentlicher Wirkung sein!

– Also, sagte Huret, indem er sich ebenfalls zum Weggehen anschickte, Das ist Alles, was Sie mir zu antworten haben?

– Gewiß, erklärte Saccard mit seiner trockenen Stimme.

Und er vermied in auffälliger Weise mit ihm zugleich fortzugehen, wie es sonst seine Gewohnheit war. Dann, als er mit dem Direktor der Zeitung allein geblieben war, rief er:

– Das ist der Krieg, mein Lieber! Wir haben Niemanden mehr zu schonen. Hauen Sie los auf die Bande! Ha, endlich werde ich den Kampf nach meiner Art führen können!

– Es ist immerhin starker Tabak, meinte Jantrou, dessen Unruhe und Zweifel wiederkehrten.

Marcelle wartete noch immer auf dem Bänkchen, im Gange. Es war kaum vier Uhr und Dejoie hatte schon die Lampen angezündet, weil bei diesem unaufhörlichen, grauen Regen die Nacht so rasch hereingebrochen war. So oft er bei ihr vorüberkam, fand er ein Wörtchen zu ihrer Zerstreuung. Ueberdies gab es jetzt ein häufigeres Kommen und Gehen der Redakteure, laute Stimmen drangen aus dem benachbarten Saale; es war ein ordentliches Fieber, welches in dem Maße zunahm, als die Fertigstellung des Blattes fortschritt.

Als Marcelle einmal aufblickte, sah sie Jordan vor sich. Er war ganz durchnäßt, tief betrübt, mit jenem Beben der Lippen und jenem ein wenig irren Blick, welchen man bei Leuten sieht, die lange hinter einer Hoffnung einher gelaufen sind, ohne sie zu erreichen. Sie hatte begriffen.

– Nichts? wie? fragte sie erbleichend.

– Nichts, meine Theure. Nirgends; es war nicht möglich ...

– Oh, mein Gott! stöhnte sie leise und dabei blutete ihr Herz.

In diesem Augenblicke trat Saccard aus dem Zimmer Jantrou's und er war erstaunt sie noch da zu finden.

– Wie, Madame, Ihr Mann ist von seinem Herumlaufen eben erst zurückgekehrt? Ich sagte Ihnen ja, Sie mögen in meinem Kabinet seine Rückkehr erwarten.

Sie schaute ihn fest an und ein plötzlicher Gedanke erhellte ihre großen, verzweifelten Augen. Sie überlegte nicht lang, sondern folgte jener muthigen Regung, welche die Frauen in den Augenblicken der Leidenschaft vorwärts treibt.

– Herr Saccard, ich habe eine Bitte an Sie zu richten. Wenn es Ihnen jetzt gefällig wäre in Ihr Kabinet zu kommen ...

– Gewiß, Madame.

Jordan, der ihre Absicht zu errathen fürchtete, wollte sie zurückhalten. Er stammelte ihr »nein! nein!« ins Ohr, mit stockender Stimme, in jener krankhaften Angst, in welche diese Geldfragen ihn stets versetzten. Doch sie hatte sich losgemacht und er mußte ihr folgen.

– Herr Saccard, sagte sie, als die Thür geschlossen war, mein Mann läuft seit zwei Stunden vergebens herum, um fünfhundert Francs zu finden und er wagt es nicht, sie von Ihnen zu verlangen. Nun denn, ich bitte Sie um diese Summe ...

Und sie erzählte muthig, mit ihrer drolligen Miene einer heiteren, entschlossenen kleinen Frau das Geschehniß von Vormittag, den brutalen Einbruch des Busch, wie die drei Männer in ihr Zimmer eindrangen, wie es ihr gelungen den Angriff abzuwehren, indem sie sich verpflichtete am folgenden Tage zu bezahlen. Ach, diese Geldwunden der kleinen Leute! diese großen Leiden, zusammengesetzt aus Scham und Unvermögen, das Leben fortwährend in Frage gestellt wegen einiger elender Hundertsousstücke!

– Busch! wiederholte Saccard; dieser alte Gauner Busch hält Sie in seinen Krallen ...

Er wandte sich mit liebenswürdiger Gutmüthigkeit zu Jordan, der still und bleich, eine Beute unerträglichen Unbehagens dastand.

– Nun denn, ich will Ihnen diese fünfhundert Francs vorstrecken, sagte er. Sie hätten sich sogleich an mich wenden sollen.

Er hatte sich an seinen Tisch gesetzt, um einen Check zu unterzeichnen; aber plötzlich hielt er inne und begann nachzudenken. Er erinnerte sich des Briefes, den er erhalten hatte, des Besuches, den er machen sollte und den er von Tag zu Tag aufschob, in dem Widerstreben gegen die verdächtige Geschichte, die er vermuthete. Warum sollte er nicht sogleich nach der Rue Feydeau gehen, die sich darbietende Gelegenheit als Vorwand benützen?

– Hören Sie: ich kenne diesen Hallunken genau ... Es ist besser, ich gehe selbst hin, um ihn zu bezahlen; ich will trachten, Ihre Wechsel um das halbe Geld zurückzubekommen.

Die Augen Marcelle's leuchteten jetzt in Dankbarkeit.

– Oh, Herr Saccard, wie gütig Sie sind!

Und zu ihrem Gatten gewendet, sagte sie:

– Du siehst jetzt, Närrchen, daß Herr Saccard uns nicht gegessen hat.

In einer unwiderstehlichen Regung fiel er ihr um den Hals und küßte sie; er dankte ihr, daß sie energischer und geschickter war als er, in diesen Schwierigkeiten des Lebens, die seine Kräfte lähmten.

– Nein, nein, sagte Saccard ablehnend, als der junge Mann ihm endlich die Hand drückte; das Vergnügen ist mein; Sie Beide sind zu artig, daß Sie sich so sehr lieben ... Gehen Sie ruhig nach Hause!

Sein Wagen, der unten wartete, brachte ihn in zwei Minuten nach der Rue Feydeau, durch das Gewühl der Regenschirme und durch die emporspritzenden Regenlacken.

Doch oben läutete er vergebens an der entfärbten Thür, wo eine Messingtafel die Worte »Strittige Angelegenheiten« in plumpen, schwarzen Buchstaben zeigte; die Thür wollte sich nicht öffnen und nichts rührte sich drinnen. Schon wollte Saccard sich zurückziehen, doch rüttelte er vorher noch einmal verdrossen an der Klinke. Da wurde das Geräusch schlürfender Schritte vernehmbar und Siegmund erschien.

– Schau, Sie sind es, ich glaubte, es sei mein Bruder und er habe seinen Schlüssel vergessen. Ich antworte nie auf das Läuten der Klingel. Oh, er wird bald zurückkommen, Sie können ihn erwarten, wenn Sie durchaus mit ihm reden müssen.

Mit denselben wankenden, müden Schritten kehrte er, gefolgt von dem Besucher, in das von ihm bewohnte Zimmer zurück, welches auf den Börsenplatz ging. Es war dort noch hell, in jener Höhe, oberhalb des Dunstes, mit welchem der Regen die Tiefen der Straßen erfüllte. Der Raum war kühl und kahl mit seinem schmalen Eisenbett, seinem Tisch, seinen zwei Sesseln und den wenigen Brettchen, die mit Büchern angefüllt waren. Vor dem Kamin stand ein kleiner Ofen, dessen sich Niemand annahm und in welchem das Feuer eben erlosch.

– Nehmen Sie Platz, mein Herr; mein Bruder sagte mir, er wolle nur einen Augenblick hinuntergehen und bald wieder heraufkommen.

Doch Saccard lehnte den Sitz ab. Er betrachtete Siegmund, betroffen von den Fortschritten, welche das Brustleiden bei diesem großen, fahlen Jungen mit den kindlich träumerischen Augen, welche so seltsam unter dem energischen Ausdruck der Stirne leuchteten, gemacht hatte. Sein Antlitz zwischen den langen Locken seiner Haare hatte sich außerordentlich ausgehöhlt; es war gleichsam verlängert und nach dem Grabe gezogen.

– Sie waren leidend? fragte er, weil er nicht wußte was er sagen solle.

Siegmund machte eine völlig gleichgiltige Handbewegung.

– Oh, wie immer. Die letzte Woche war schlecht, wegen dieses bösen Wetters. Aber es geht immerhin. Ich schlafe nicht mehr, ich kann arbeiten, ich habe ein wenig Fieber und das hält warm. Ach, man hätte ja so viel zu thun.

Er setzte sich wieder an seinen Tisch, auf welchem ein deutsches Buch aufgeschlagen lag. Und er fuhr fort:

– Entschuldigen Sie, wenn ich mich setze; ich habe die ganze Nacht gewacht, um dieses Werk zu lesen, welches ich gestern erhielt ... Jawohl, ein Werk. Zehn Jahre aus dem Leben meines Meisters Karl Marx; die Studie über das Kapital, die er uns seit langer Zeit verspricht. Das ist jetzt unsere Bibel.

Neugierig warf Saccard einen Blick auf das Buch. Allein, als er die gothischen Lettern sah, wandte er sich sogleich ab.

– Ich werde warten, bis es übersetzt ist, sagte er lächelnd.

Der junge Mann schüttelte den Kopf, als wollte er sagen, daß das Buch auch in Übersetzung nur von den Eingeweihten verstanden würde. Es war kein propagandistisches Werk. Aber welche Kraft der Logik, welche siegreiche Fülle von Beweisen in der verhängnisvollen Auflösung unserer gegenwärtigen Gesellschaft, die auf dem kapitalistischen System ruht. Der Boden war glatt gemacht, man konnte nun neu aufbauen.

– Also, das ist der Kehraus? fragte Saccard noch immer scherzend.

– In der Theorie gewiß, antwortete Siegmund. Alles was ich Ihnen eines Tages erklärte, der ganze Verlauf der Evolution ist da. Es erübrigt nur noch, sie in Thaten umzusetzen ... Aber Ihr seid blind, wenn Ihr nicht die bedeutenden Fortschritte seht, welche die Idee von Stunde zu Stunde macht. Schauen Sie selbst, der Sie mit der Universalbank seit drei Jahren hunderte von Millionen in Verkehr gebracht und centralisirt haben, Sie haben absolut keine Ahnung, daß Sie geradenweges auf den Kollektivismus losgehen ... Ich habe Ihr Geschäftsunternehmen mit Leidenschaft verfolgt; jawohl, von diesem weltverlorenen ruhigen Stübchen aus habe ich die Entwicklung desselben Tag für Tag studirt und ich kenne es ebenso gut wie Sie und sage Ihnen, es ist eine famose Lektion, die Sie uns da geben; denn der kollektivistische Staat wird nur zu thun haben, was Sie thun. Er wird Euch en bloc zu expropriiren haben, wenn Ihr im Detail die Kleinen expropriirt haben werdet; er wird nur das Streben Ihres maßlosen Traumes zu verwirklichen haben, welcher, nicht wahr? darin besteht, alle Kapitalien der Welt zu absorbiren, die einzige Bank, das Generaldepot des öffentlichen Vermögens zu sein ... Oh, ich bewundere Sie sehr. Wäre ich der Herr, ich würde Sie auf dieser Bahn fortschreiten lassen, denn Sie beginnen unser Werk als genialer Vorläufer.

Und er hatte sein fahles Lächeln eines Kranken, als er die Aufmerksamkeit des Andern bemerkte, der sehr überrascht schien, diesen kranken, bleichen Jungen so sehr auf dem Laufenden der Tagesgeschäfte zu finden, und zugleich geschmeichelt von seinen klugen Lobsprüchen.

– Allein, fuhr Jener fort, an dem schönen Morgen, wo wir Euch im Namen der Nation expropriiren werden, indem wir Eure Privatinteressen durch das Interesse Aller ersetzen und aus Eurer großen, zur Aufsaugung des Geldes der Anderen bestimmten Maschine den Regulator des gesellschaftlichen Vermögens machen, an jenem schönen Morgen werden wir damit beginnen, Das abzuschaffen.

Er hatte zwischen den Papieren auf dem Tisch einen Sou gefunden, er hielt ihn zwischen zwei Fingern in der Luft, wie das auserkorene Opfer.

– Das Geld! – schrie Saccard – das Geld wollt Ihr abschaffen! Eine schöne Thorheit.

– Wir werden das gemünzte Geld abschaffen. Das Hartgeld hat in dem kollektivistischen Staate keinen Platz, keine Existenzberechtigung. Wir werden es unter dem Titel der Entlohnung durch unsere Arbeitsbons ersetzen und wenn Sie es als Werthmesser betrachten, so haben wir einen andern, der uns denselben vollkommen ersetzt: einen Werthmesser, den wir erlangen, indem wir den Durchschnittswerth der Tagesarbeit in unseren Arbeitswerkstätten festsetzen ... Es muß abgeschafft werden, dieses Geld, welches die Ausbeutung des Arbeiters maskirt und begünstigt, und welches ermöglicht, daß derselbe bestohlen wird. Es muß abgeschafft werden, indem man seinen Lohn auf eine möglichst kleine Summe reducirt, deren er bedarf, um nicht Hungers zu sterben. Ist der Geldbesitz nicht furchtbar, welcher die Privatreichthümer anhäuft, dem befruchtenden Umlauf den Weg versperrt, skandalöse Königthümer, souveraine Herrschaften des Finanzmarktes und der gesellschaftlichen Produktion schafft? Alle unsere Krisen, unsere ganze Anarchie stammt von da. Das Geld muß getödtet werden.

Doch Saccard erzürnte sich. Kein Silber, kein Gold mehr! Nichts mehr von den leuchtenden Sternen, die sein Leben erhellt hatten! Der Reichthum hatte sich für ihn stets in dem Schimmer der neuen Münze verkörpert, die herniederfloß wie ein Frühjahrsregen während des Sonnenscheins, wie ein Hagel niederging auf die Erde, die sie bedeckte, Haufen Silbers, Haufen Goldes, welche man mit der Schaufel bearbeiten konnte, aus bloßem Vergnügen an ihrem Glanze und an ihrem Klang. Und diese Fröhlichkeit, diesen Beweggrund des Kampfes und des Lebens wollte man unterdrücken!

– Das ist blöd! Ja, das ist blöd! ... Niemals! Hören Sie?

– Warum niemals? warum blöd? Gebrauchen wir in der Familien-Wirthschaft das Geld? Sie sehen dort nichts, als das gemeinsame Arbeits-Bestreben und den Austausch ... Also, wozu das Geld, wenn die Gesellschaft nur mehr eine große Familie sein wird, die sich selbst regiert?

– Ich sage Ihnen, das ist Wahnsinn! Das Geld abschaffen wollen! Aber das Geld ist ja das Leben! Es gäbe dann nichts, nichts mehr!

Außer sich ging er im Zimmer auf und ab. Und wie er in seinem Zorn an dem Fenster vorüberkam, versicherte er sich mit einem Blick, daß die Börse noch da sei; denn vielleicht hatte dieser furchtbare Junge auch sie mit einem Hauche niedergeworfen. Sie war noch immer da, aber sehr undeutlich in der sinkenden Nacht, gleichsam aufgelöst unter dem Leichentuch des Regens, ein bleiches Gespenst der Börse, welche im Begriffe ist in einem grauen Rauche aufzugehen.

– Ich bin übrigens dumm, wenn ich darüber streite. Das ist ja unmöglich ... Schaffen Sie das Geld ab, ich möchte Das sehen.

– Bah! murmelte Siegmund, Alles kann man abschaffen, Alles kann man umgestalten, Alles verschwindet ... Wir haben schon einmal die Form des Reichthums sich ändern gesehen, als der Werth des Bodens sank, als der Grundbesitz – aus Feld und Wald bestehend – vor dem mobilen und industriellen Besitz, vor den Rententiteln und Aktien zurücktrat; und heute sind wir Zeugen einer vorzeitigen Hinfälligkeit der letzteren Form, einer rapiden Entwerthung; denn es ist sicher, daß der Zins abnimmt, daß die normalen fünf Perzent nicht mehr erreicht werden ... Der Werth des Geldes geht also zurück; warum sollte das Geld nicht ganz verschwinden? warum sollte nicht eine neue Form des Vermögens die gesellschaftlichen Beziehungen beherrschen? Dieses Vermögen des kommenden Tages werden unsere Arbeitsbons darstellen.

Er war in die Betrachtung des Sou versunken, als hätte er geträumt, daß er den letzten Sou alter Zeiten in der Hand halte, einen verlorenen Sou, welcher die alte, todte Gesellschaft überlebte. Wie viele Freuden und wie viele Thränen hatten dieses niedrige Stück Metall abgenützt! Und er war in die Trübsal der ewigen menschlichen Begierde versunken.

– Ja, sagte er sanft, Sie haben Recht, wir werden diese Dinge nicht sehen. Dazu gehören Jahre und Jahre. Weiß man denn auch nur, ob die Liebe zu den Anderen jemals in sich Kraft genug finden wird, um in der gesellschaftlichen Organisation den Egoismus zu ersetzen? Und doch habe ich den Triumph früher gehofft; ich hätte so gern diese Morgenröthe der Gerechtigkeit gesehen!

Die Bitterniß des Uebels, an welchem er litt, brach einen Augenblick seine Stimme. Er, der den Tod leugnete und ihn behandelte, als ob er nicht existirte, machte eine Handbewegung, wie um ihn beiseite zu schieben. Doch schon versank er wieder in seine Ergebung.

– Ich habe meine Aufgabe erfüllt; ich werde meine Aufzeichnungen zurücklassen, im Falle ich nicht mehr die Zeit finden sollte das vollständige Rekonstruktionswerk auszuarbeiten, von welchem ich geträumt habe. Die kommende Gesellschaft muß die reife Frucht der Zivilisation sein; denn wenn man nicht die gute Seite des Wetteifers und der Kontrole beibehält, sinkt Alles in Trümmer ... Ach, ich sehe diese Gesellschaft jetzt klar vor mir: sie ist endlich geschaffen, vollständig, so wie es nach vielen Nachtwachen mir endlich gelungen ist sie aufzurichten! Für Alles ist vorgesorgt, Alles ist gelöst, es ist endlich die allgebietende Gerechtigkeit, das absolute Glück. Da haben Sie sie auf dem Papier, mathematisch berechnet, endgiltig geregelt.

Und er kramte mit seinen langen, ausgezehrten Händen zwischen den verstreut umherliegenden Notizen und er begeisterte sich in seinem Traume von den wiedererrungenen Milliarden, die in gerechter Weise unter Alle aufgetheilt werden sollten, in der Freude und Gesundheit, welche er mit einem Federstrich der leidenden Menschheit wiedergab, er, der nicht mehr aß, der nicht mehr schlief, der ohne Bedürfnisse zu haben, in dieser kahlen Stube dem Tode entgegen wankte.

Doch eine rauhe Stimme ließ jetzt Saccard zusammenfahren.

– Was macht Ihr da?

Busch war zurückgekehrt und warf auf den Besucher einen scheelen Blick wie ein eifersüchtiger Liebhaber; er lebte in der ewigen Furcht, daß man seinem Bruder, indem man ihn zu viel reden läßt, einen Hustenanfall zuziehen könnte. Er wartete übrigens die Antwort nicht ab, sondern zankte den Kranken in mütterlich-trostlosem Tone aus.

– Wie? Du hast das Feuer wieder erlöschen lassen? Ich frage, ob dies bei so nassem Wetter vernünftig ist!

Schon hockte er mit seinem großen, schweren Körper nieder, machte Holz klein und zündete das Feuer wieder an. Dann ging er einen Besen holen, brachte das Zimmer in Ordnung, kümmerte sich um den Trank, welchen der Kranke alle zwei Stunden nehmen sollte und er ward erst wieder ruhig, als er seinen Bruder bestimmt hatte, sich auf das Bett hinzulegen und auszuruhen.

– Herr Saccard, wollen Sie in mein Kabinet herüberkommen?

Frau Méchain war schon da und nahm den einzigen Sessel ein. Sie und Busch hatten in der Nachbarschaft einen wichtigen Besuch gemacht, dessen voller Erfolg sie entzückte. Nach verzweifelt langem Harren hatten sie endlich eines jener Geschäfte in Fluß bringen können, welche ihnen am meisten am Herzen lagen. Drei Jahre hindurch war die Méchain auf dem Pariser Pflaster herumgelaufen, um Léonie Cron zu suchen, jenes verführte Mädchen, welchem der Graf von Beauvilliers zehntausend Francs verschrieben hatte, zahlbar am Tage ihrer Volljährigkeit. Vergebens hatte sie sich an ihren Vetter Fayeux, den Renten-Einnehmer zu Vendôme gewendet, welcher für Busch die Schuldverschreibung unter einem ganzen Pack alter Forderungen erstanden hatte, welche zur Verlassenschaft eines Kornhändlers Namens Charpier, der seinerzeit auch Wucher getrieben hatte, gehörten. Fayeux wußte nichts und schrieb nur so viel, daß die Léonie Cron bei einem Gerichtsvollzieher zu Paris im Dienst stehen müsse, daß sie Vendôme seit mehr als zehn Jahren verlassen habe, wohin sie nicht mehr zurückgekehrt sei und wo sie keine Anverwandten mehr am Leben habe. Die Méchain hatte zwar den Gerichtsvollzieher ausfindig gemacht und es war ihr gelungen, Léonie's Spur von da bis zu einem Fleischer, von diesem bis zu einer galanten Dame und dann weiter bis zu einem Zahnarzte zu verfolgen; bei dem Zahnarzte riß plötzlich der Faden und verlor sich die Spur; ebensogut hätte man eine Nadel in einem Wagen Heu suchen können wie diese Verlorene in dem Kothe des ungeheuren Paris. Vergebens hatte sie alle Dienstvermittlungsbureaux abgelaufen, alle verdächtigen Unterstandshäuser durchsucht, die Welt der niedrigsten Unzucht durchforscht, stets auf der Lauer, begierig den Kopf wendend, wenn der Name Léonie an ihr Ohr schlug. Und dieses in so weiter Ferne gesuchte Mädchen hatte sie gerade an diesem Tage zufällig entdeckt, und zwar in der Rue Feydeau selbst, in dem benachbarten Freudenhause, wo sie eine ehemalige Einwohnerin der »neapolitanischen Stadt« aufgesucht hatte, um rückständige drei Francs von ihr zu fordern. Ein genialer Einfall hatte sie die Vielgesuchte unter dem vornehmen Namen Léonide wittern und erkennen lassen in dem Augenblicke, wo die Hauswirthin sie mit gellender Stimme nach dem Salon rief. Busch war, von ihr benachrichtigt, mit ihr sogleich nach jenem Hause geeilt, um mit Léonie zu verhandeln. Und er war anfänglich überrascht, als er dieses Mädchen mit den groben, schwarzen Haaren, die auf ihre Augenbrauen herabfielen, mit dem platten, schlaffen Gesichte von unsagbarer Gemeinheit sah; dann aber hatte er erkannt, daß sie sehr wohl ihren eigenartigen Reiz haben mußte, besonders vor ihren zehn Jahren Prostitution. Im Uebrigen war er entzückt, daß sie so tief gesunken und so abscheulich war. Er hatte ihr tausend Francs für die Ueberlassung der Schuldverschreibung angeboten. Sie war blöde genug, mit kindischer Freude auf den Handel einzugehen. Nun konnte endlich die Hetzjagd gegen die Gräfin von Beauvilliers beginnen; man hatte die gesuchte Waffe in Händen und sie war in einem unverhofften Grade häßlich und schmachvoll.

– Ich erwartete Sie, Herr Saccard, wir haben mit einander zu reden. Sie haben meinen Brief erhalten, nicht wahr?

In dem engen, mit Schriftenbündeln vollgestopften, schon dunklen Raume, welchen eine kleine, rauchige Lampe dürftig erhellte, saß die Méchain stumm und unbeweglich auf dem einzigen Stuhle. Saccard, der stehen geblieben war und keineswegs zeigen wollte, daß etwa eine Drohung ihn veranlaßt habe hieher zu kommen, begann sofort mit rauher und verächtlicher Stimme die Angelegenheit Jordans vorzubringen.

– Mit Verlaub, ich bin heraufgekommen, um die Schuld eines meiner Redakteure zu ordnen. Es ist der kleine Jordan, ein sehr lieber Junge, den Sie mit feurigen Kugeln, mit einer wahrhaft empörenden Grausamkeit verfolgen ... Es scheint, daß Sie sich heute Morgens wieder seiner Frau gegenüber in einer Weise benommen haben, wie ein höflicher Mann sich zu benehmen erröthen würde ...

Betroffen durch diesen Angriff, während er selbst der Angreifer hatte sein wollen, verlor Busch die Fassung und vergaß die andere Geschichte, um sich wegen dieser zu erzürnen.

– Die Jordan! Sie kommen wegen der Jordan? ... In Geschäften gibt es keine Frau und keinen höflichen Mann. Wenn man schuldig ist, zahlt man; ich kenne nichts Anderes. Das sind Leute, die mich seit Jahren zum Besten halten und von welchen ich nur mit schwerer Mühe vierhundert Francs Sou für Sou herausgedrückt habe! Donnergottes! Ja, ich werde sie versteigern lassen, ich werde sie morgen Früh auf die Straße werfen, wenn ich nicht heute Abends die dreihundertzehn Francs 15 Centimes, die sie mir noch schulden, hier auf meinem Schreibpulte liegen habe.

Und als Saccard aus Taktik, um ihn außer sich zu bringen, bemerkte, er sei schon vierzigfach für seine Forderung bezahlt, die ihm gewiß nicht zehn Francs gekostet habe, erstickte er in der That schier vor Zorn.

– Da sind wir nun bei der Sache! Ihr alle redet nur so! Und es sind auch Gerichtskosten da, nicht wahr? Und die Schuld von dreihundert Francs ist auf mehr denn siebenhundert gestiegen ... Aber hat mich Das zu kümmern? Man bezahlt mich nicht und ich verfolge. Umso schlimmer, wenn die Rechtspflege kostspielig ist; das ist ihre Schuld. Also, wenn ich eine Forderung um zehn Francs erstanden habe, soll ich mir zehn Francs bezahlen lassen und damit soll es abgethan sein, wie? Nun: und mein Risiko und mein Herumlaufen und meine Kopfarbeit, jawohl, mein Verstand? Ueber die Jordan'sche Angelegenheit können Sie Madame befragen, die hier anwesend ist. Sie hat sich damit beschäftigt. Ach, wie viele Lauferei, wie viele Gänge! Wie viele Schuhe hat sie auf den Treppen der Zeitungen abgenützt, wo man sie vor die Thür setzte wie eine Bettlerin, ohne ihr jemals die Adresse zu geben. Monate lang haben wir diese Angelegenheit betrieben; Tag und Nacht haben wir daran gearbeitet wie an einem unserer Meisterwerke. Die Angelegenheit kostet mir eine unsinnige Summe, wenn ich die Stunde nur zu zehn Sous rechne!

Er erhitzte sich immer mehr; mit einer weit ausholenden Geberde auf die Schriftenbündel weisend, welche den Raum füllten, fuhr er fort:

– Ich habe hier Forderungen für mehr als zwanzig Millionen, aus allen Zeiten und aus allen Gesellschaftsklassen, bescheidene und kolossale ... Wollen Sie sie für eine Million? Ich gebe sie Ihnen ... Wenn man bedenkt, daß es Schuldner gibt, welchen ich seit einem Vierteljahrhundert nachspüre! Um erbärmliche etliche hundert Francs oder noch weniger von ihnen zu erlangen, muß ich Jahre lang gedulden, muß ich warten, bis sie eine Stellung finden oder eine Erbschaft machen ... Die Anderen, die Unbekannten – und sie machen die Mehrzahl aus – schlafen dort in jenem Winkel, ein riesiger Haufe. Es ist das Nichts oder vielmehr die rohe Materie, aus der ich das Leben, richtiger mein Leben gewinnen muß. Gott allein weiß, welche verwickelte Nachsuchungen und Verdrießlichkeiten Das kostet! Und Sie wollen, daß ich, wenn ich endlich einen Zahlungsfähigen erwischt habe, ihn nicht abzapfen soll? Ach, nein! Sie würden mich für zu dumm halten. Sie wären gewiß nicht so dumm!

Ohne sich in weitere Erörterungen einzulassen zog Saccard die Brieftasche.

– Ich werde Ihnen zweihundert Francs geben und Sie werden mir die Jordan'schen Schriftstücke ausliefern und eine Quittung ausstellen.

Busch fuhr wüthend auf.

– Zweihundert Francs? Niemals! ... Das macht dreihundertzehn Francs und fünfzehn Centimes. Selbst die Centimes will ich haben.

Doch mit seiner gleichen Stimme, mit der ruhigen Sicherheit eines Mannes, welcher die Macht des hingelegten, ausgebreiteten Geldes kennt, wiederholte Saccard zweimal, dreimal:

– Ich gebe Ihnen zweihundert Francs ...

Und der Jude, im Grunde überzeugt, daß es vernünftig sei einen Ausgleich zu schließen, willigte schließlich ein, mit einem Wuthschrei und mit Thränen in den Augen.

– Ich bin zu schwach. Welch' ein schmutziges Gewerbe! ... Bei meinem Ehrenwort, man plündert mich, man bestiehlt mich ... Wenn Sie schon dabei sind, thun Sie sich keinen Zwang an; suchen Sie sich für Ihre zweihundert Francs aus dem Haufen noch einige Forderungen aus.

Dann, als Busch einen Empfangsschein ausgefertigt und eine kurze Verständigung für den Gerichtsvollzieher geschrieben hatte, bei welchem die Akten waren, schnaubte er eine Weile vor seinem Schreibpulte, dermaßen erregt, daß er Saccard hätte ziehen lassen, wäre die Méchain nicht gewesen, die sich bisher nicht vom Fleck gerührt und kein Wort gesprochen hatte.

– Und die Angelegenheit? sagte sie.

Er erinnerte sich plötzlich; ja, er wird jetzt Vergeltung nehmen. Allein, Alles was er vorbereitet hatte: seine Erzählung, seine Fragen, der pfiffige Aufbau der Unterredung war mit einem Male weggeblasen in seiner Eile, zur Sache zu gelangen.

– Ja, richtig, die Angelegenheit! ... Ich habe Ihnen geschrieben, Herr Saccard. Wir haben jetzt eine alte Rechnung mit einander zu ordnen.

Er hatte die Hand ausgestreckt und holte die »Angelegenheit Sicardot« hervor, welche er vor sich hinlegte und öffnete.

– Im Jahre 1852 wohnten Sie in einem Hôtel garni in der Rue de la Harpe. Dort unterschrieben Sie zwölf Wechsel zu je fünfzig Francs einem Fräulein Rosalie Chavaille, sechszehn Jahre alt, welches Sie eines Abends im Treppenhause notzüchtigten ... Diese Wechsel sind hier; Sie haben keinen einzigen bezahlt, denn Sie waren verschwunden, ohne Ihre Adresse zurückzulassen, noch ehe der erste fällig war. Und das Schlimmste ist, daß sie mit einem falschen Namen unterzeichnet sind, mit dem Namen Sicardot, demjenigen Ihrer ersten Frau ...

Saccard hörte und schaute; er war sehr bleich geworden. Inmitten einer unsagbaren Bestürzung belebte sich die ganze Vergangenheit vor ihm; er hatte ein Gefühl, als sollte Alles unter ihm versinken; eine ungeheure, unbestimmte Masse stürzte auf ihn nieder. In diesem Schrecken der ersten Minute verlor er den Kopf.

– Wieso haben Sie erfahren? ... Wie kamen Sie zu dieser Sache? stammelte er.

Dann zog er mit zitternder Hand von Neuem seine Brieftasche; er hatte nur den einen Gedanken: zu bezahlen und in den Besitz dieses unglückseligen Schriftenbündels zu gelangen.

– Es waren keine Kosten, wie? ... Es macht sechshundert Francs ... Oh, es wäre da Vieles einzuwenden; aber ich mag nicht weiter darüber reden, sondern will lieber bezahlen.

Und er reichte die sechs Bankbillets hin.

– Sogleich! schrie Busch, indem er das Geld zurückwies. Ich bin noch nicht zu Ende ... Die Frau, die Sie hier sehen, ist die Base Rosaliens und diese Papiere gehören ihr; in ihrem Namen treibe ich diese Forderung ein ... Die arme Rosalie ist in Folge Ihres Ungestümes ein Krüppel geblieben. Sie war sehr unglücklich und ist in bitterster Noth gestorben bei dieser Frau, die sie aufgenommen hatte ... Die Frau könnte Ihnen, wenn sie wollte, Dinge erzählen ...

– Furchtbare Dinge! bekräftigte mit ihrer dünnen Stimme die Méchain, indem sie das Stillschweigen brach.

Erschreckt wandte sich Saccard zu ihr; er hatte ihrer vergessen, wie sie einem halb eingeschrumpften Schlauche gleichend dasaß. Sie hatte ihm stets eine gewisse Furcht eingeflößt mit ihrem schmutzigen Raubvogel-Handel in deklassirten Werthen; und nun traf er sie hier, in diese unangenehme Geschichte verwickelt.

– Gewiß ... Die Unglückliche ... Das ist sehr traurig ... murmelte er. Aber wenn sie todt ist, sehe ich nicht ein ... Hier sind immerhin die sechshundert Francs.

Busch wies die Summe ein zweites Mal zurück.

– Nein, Sie wissen noch nicht Alles. Sie hat ein Kind gehabt ... Ja, ein Kind, das jetzt im vierzehnten Lebensjahre steht; ein Kind, das Ihnen in einem Maße gleicht, daß Sie es nicht verleugnen können.

Betäubt, niedergeschmettert wiederholte Saccard mehrere Male:

– Ein Kind, ein Kind ...

Dann legte er mit einer raschen Handbewegung die sechs Bankbillets in sein Portefeuille zurück. Er hatte mit einem Male seine Fassung wiedergefunden und sagte in aufgeräumtem Tone:

– Ei, ei! Halten Sie mich etwa zum Besten? Wenn ein Kind da ist, gebe ich Ihnen nicht einen Sou ... Der Kleine ist der Erbe seiner Mutter; er soll dieses Geld bekommen und Alles, was er will, obendrein ... Ein Kind! Das ist ja sehr hübsch und sehr natürlich. Es ist nichts Uebles dabei, wenn man ein Kind hat. Im Gegentheil, es bereitet mir ein Vergnügen, es verjüngt mich; bei meiner Ehre! Wo ist das Kind? Ich will es sehen. Warum haben Sie es nicht sogleich mitgebracht?

Nun war an Busch die Reihe verblüfft zu sein; er dachte an sein langes Zögern, an die unendlichen Rücksichten, welche Madame Caroline walten ließ, um Victor's Existenz seinem Vater nicht zu verrathen. Aus der Fassung gebracht verlor er sich in den heftigsten, verwickeltesten Erklärungen, sagte Alles auf einmal her, die sechstausend Francs, welche die Méchain für Darlehen und für Erhaltungskosten forderte, die zweitausend Francs, welche Madame Caroline als Abschlagszahlung hergegeben hatte, die furchtbaren Triebe Victor's und seinen Eintritt in die Arbeits-Stiftung. Bei jeder neuen Einzelheit fuhr Saccard in die Höhe. Wie? Sechstausend Francs! Wer konnte ihm sagen, ob man nicht im Gegentheil den Jungen beraubte? Eine Abschlagszahlung von zweitausend Francs! Man hat die Kühnheit gehabt einer ihm befreundeten Dame zweitausend Francs zu erpressen! Aber das war ja ein Diebstahl, ein Vertrauens-Mißbrauch! Man hat den Kleinen schlecht erzogen und verlangt jetzt, daß er – Saccard – Diejenigen bezahle, die für diese schlechte Erziehung verantwortlich waren! Hält man ihn denn für einen Schwachkopf?

– Nicht einen Sou! schrie er. Hören Sie: Nicht einen Sou werden Sie mir aus der Tasche ziehen!

Busch hatte sich bleich von seinem Tische erhoben.

– Das werden wir sehen, ich werde Sie vor das Gericht zerren!

– Reden Sie keine Dummheiten! Sie wissen sehr wohl, daß das Gericht sich mit diesen Dingen nicht befaßt und wenn Sie glauben, daß Sie mich zum Zahlen pressen werden, so ist das von Ihnen noch dümmer, denn ich kümmere mich um die ganze Geschichte nicht. Wenn ein Kind vorhanden ist, so fühle ich mich dadurch sehr geschmeichelt.

Und weil die Méchain den Ausgang versperrte, mußte er sie beiseite schieben, um hinauszugehen. Mit ihrer dünnen Flötenstimme schrie sie ihm noch in das Treppenhaus nach:

– Hundsfott, Herzloser!

– Sie werden noch von uns zu hören bekommen, heulte Busch, indem er die Thür zuschlug.

Saccard befand sich in solcher Aufregung, daß er dem Kutscher zurief, direkt nach der Rue St.-Lazare zurückzukehren. Er hatte es eilig, Madame Caroline zu sehen und sprach ohne jeden Zwang mit ihr, indem er sie zunächst dafür auszankte, daß sie die zweitausend Francs gezahlt hatte.

– Liebe Freundin, niemals gibt man das Geld in solcher Weise aus. Warum haben Sie gehandelt, ohne mich zu fragen?

Sie blieb stumm, völlig betroffen davon, daß er die Sache wußte. Es war also richtig die Schrift des Busch, die sie erkannt hatte und nunmehr, da ein Anderer ihr die Sorge abgenommen, das Geheimniß zu verrathen, hatte sie nichts mehr zu verheimlichen. Indeß zögerte sie noch immer, verlegen statt dieses Mannes, der sie so leichthin ausfragte.

– Ich wollte Ihnen einen Kummer ersparen. Das unglückliche Kind war in einer solchen Verkommenheit ... Längst hätte ich Ihnen Alles erzählt, aber ein gewisses Gefühl ...

– Welches Gefühl? Ich gestehe Ihnen, daß ich Sie nicht recht begreife.

Sie machte nicht den Versuch, sich zu erklären oder sich noch weiter zu entschuldigen; eine Traurigkeit, ein Ueberdruß gegen Alles hatte sie ergriffen, die doch sonst so lebensmuthig war, während er fortfuhr, die Sache in fröhlichem, schreiendem Tone zu behandeln, als fühlte er sich entzückt, wahrhaft verjüngt.

– Der arme Junge! Ich werde ihn sehr lieben; ich versichere Ihnen. Sie haben sehr recht gehandelt, ihn in die Arbeits-Stiftung zu thun, um ihn ein wenig vom Schmutze zu reinigen. Aber wir werden ihn von dort wieder herausnehmen, wir werden ihm Professoren geben. Morgen werde ich ihn besuchen; jawohl, morgen, wenn ich nicht allzu sehr beschäftigt bin.

Am folgenden Tage war Verwaltungsraths-Sitzung und es vergingen zwei Tage, dann die Woche, ohne daß Saccard eine freie Minute fand. Er sprach noch oft von dem Kinde, verschob aber immer wieder seinen Besuch, dem reißenden Strome sich überlassend, der ihn fortriß. In den ersten Tagen des Monats Dezember wurde der Kurs von zweitausendsiebenhundert erreicht, inmitten des außerordentlichen Fiebers, dessen krankhafter Anfall die Börse noch immer durchrüttelte. Das Schlimmste war, daß die beunruhigenden Gerüchte immer mehr anwuchsen und die Hausse inmitten eines zunehmenden, schier unerträglichen Unbehagens mit wüthender Verbissenheit fortdauerte. Nunmehr wurde die unvermeidliche Katastrophe laut angekündigt und die Kurse stiegen dennoch; sie stiegen unaufhörlich, vermöge der beharrlichen Kraft einer wunderbaren Voreingenommenheit, welche selbst vor der offenkundigen Wahrheit nicht weichen will. Saccard lebte nur mehr in dem übertriebenen Wahn seines Triumphes, wie von einem Glorienschein umgeben von jenem Goldregen, den er über Paris niedergehen ließ, aber dennoch schlau genug, um die Empfindung zu haben, daß der Boden unterwühlt, rissig sei und unter ihm einzustürzen drohe. Trotzdem er bei jeder Liquidation Sieger blieb, hörte er nicht auf gegen die Baissiers zu wettern, deren Verluste schon furchtbare sein mußten. Was hatten denn diese schmutzigen Juden, daß sie sich so wüthend in die Baisse warfen? Wird er sie nicht endlich zu Paaren treiben? Und was ihn hauptsächlich verbitterte, war seine Vermuthung, daß Gundermann noch andere Verkäufer zur Seite hatte, die sein Spiel unterstützten, vielleicht gemeine Soldaten der Universalbank, verrätherische Ueberläufer, die – in ihrer Zuversicht erschüttert – nicht rasch genug ihren Aktienbesitz losschlagen konnten.

Eines Tages, als Saccard in solcher Weise seinem Aerger vor Madame Caroline freien Lauf ließ, glaubte diese ihm Alles sagen zu sollen.

– Sie sollen wissen, mein Freund, daß auch ich verkauft habe. Ich habe unsere letzten tausend Aktien zum Kurse von 2700 verkauft.

Vernichtet stand er da, als wäre der schwärzeste Verrath ihm enthüllt worden.

– Sie haben verkauft? Sie, Sie? Mein Gott!

Sie hatte seine Hände ergriffen und drückte sie, wahrhaft bekümmert, während sie ihn erinnerte, daß sie und ihr Bruder ihn gewarnt hatten. Der Letztere war noch immer in Rom und schrieb von dort Briefe voll tödtlicher Unruhe wegen dieser übertriebenen Hausse, die er sich nicht erklären konnte, der man um jeden Preis Einhalt thun mußte, wenn man nicht in einen Abgrund stürzen wollte. Erst gestern wieder habe sie einen solchen Brief erhalten, mit dem formellen Auftrage zu verkaufen. Und sie hat verkauft.

– Sie! Sie! wiederholte Saccard. Sie waren es, die mich bekämpfte, die ich im Dunkel vermuthete! Ihre Aktien habe ich kaufen müssen!

Er erzürnte sich nicht, wie gewöhnlich, und sie litt noch mehr durch seine Niedergeschlagenheit; sie hätte ihm Vernunft zureden, ihn bewegen mögen, diesen schonungslosen Kampf aufzugeben, der nur mit einem Gemetzel endigen konnte.

– Hören Sie mich an, mein Freund. Bedenken Sie, daß unsere dreitausend Aktien über siebenundeinhalb Millionen ergeben haben. Ist das nicht ein ungehoffter, ganz außerordentlicher Gewinn? Mich erschreckt all' das Geld; ich kann nicht glauben, daß es mir gehöre ... Allein, es handelt sich nicht um unser persönliches Interesse. Denken Sie an die Interessen aller Jener, die ihr Vermögen in Ihre Hände gelegt haben, eine erschreckende Summe von Millionen, welche Sie in dieser Partie auf das Spiel setzen. Wozu diese unsinnige Hausse unterstützen und noch weiter treiben? Man sagt mir von allen Seiten, daß die Katastrophe unvermeidlich sei ... Sie werden doch nicht immerfort steigen können; es ist doch keine Schande, wenn die Aktien wieder auf ihren wirklichen Werth zurückgehen; dies würde die Solidität des Hauses, das Heil bedeuten.

Doch er hatte sich ungestüm erhoben.

– Ich will den Kurs von dreitausend! rief er. Ich habe gekauft und werde noch kaufen und wenn ich darüber zugrunde gehe! Ja, ich soll zugrunde gehen und alle Anderen mit mir, wenn ich den Kurs von dreitausend nicht erreiche und nicht aufrechthalte!

Nach der Liquidation vom 15. Dezember stiegen die Kurse auf 2800 und dann auf 2900. Am 21. Dezember wurde an der Börse der Kurs von 3020 Francs verkündet, inmitten der Erregtheit einer schier wahnsinnigen Menge. Es gab keine Wahrheit und keine Logik mehr; die Idee von dem Werthe war verschoben, so daß sie jeden wirklichen Sinn verlor. Es ging das Gerücht, daß Gundermann, im Gegensatze mit seiner gewohnten Vorsicht, furchtbare Risken eingegangen war; seit den zwei Monaten, daß er die Baisse unterhielt, hatten seine Verluste mit jeder halbmonatlichen Liquidation zugenommen, ganz nach dem Maßstabe der Hausse, in ungeheuren Sprüngen; und man behauptet nachgerade, er könne leicht diesmal die Knochen dabei lassen. Alle Köpfe waren verdreht; man machte sich auf Wunderdinge gefaßt.

Und in diesem höchsten Augenblicke, in welchem Saccard auf dem Gipfel angelangt, die Erde unter sich zittern fühlte in einer uneingestandenen Angst vor dem Sturze, war er wahrhaft König. Als sein Wagen in der Rue de Londres, vor dem triumphalen Palaste der Universalbank anlangte, eilte ein Diener herbei und breitete einen Teppich aus, welcher von den Stufen des Flurs, über das Trottoir, bis zur Fahrbahn reichte. Und Saccard geruhte vom Wagen zu steigen und hielt seinen Einzug wie ein Herrscher, dem man ersparen will, das gemeine Straßenpflaster zu betreten.


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