William Butler Yeats
Erzählungen und Essays
William Butler Yeats

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Die Anbetung der heiligen drei Könige

(Erzählung)

Nicht lange nach meiner letzten Begegnung mit Aherne war es, als ich spät nachts, in meine Bücher vertieft, ein leises Klopfen an meiner Haustür vernahm. An der Schwelle fand ich drei sehr alte Männer mit dicken Stöcken in den Händen, die sagten, es sei ihnen mitgeteilt worden, daß ich auf sei und daß ich bereit sei, und sie hätten mir wichtige Dinge zu sagen. Ich führte sie in mein Arbeitszimmer, und als der Pfauenvorhang sich hinter uns geschlossen, rückte ich die Stühle für sie nahe an das Feuer heran, denn ich sah, daß Frost auf ihren Mänteln war, ebenso wie auf ihren langen Bärten, die fast bis zu ihren Hüften niederwallten. Sie legten die Mäntel ab und beugten sich über das Feuer, wobei sie ihre Hände wärmten, und ich sah, wieviel ihre Gewänder vom Landleben unserer Zeit an sich hatten, aber doch auch, wie mir schien, ein wenig vom Leben der Stadt einer mehr höfischen Zeit. Als sie sich gewärmt hatten – und es schien mir, sie wärmten sich weniger um der Nachtkälte willen, als wegen der Freude an der Wärme als solcher –, wandten sie sich zu mir, so daß das Lampenlicht auf ihre wetterharten Gesichter fiel, und erzählten die Geschichte, die ich nun mitteilen will. Bald sprach der eine, bald der andere, und oft unterbrachen sie sich gegenseitig mit der Sucht der Landleute, keine Einzelheit unerwähnt zu lassen. Als sie zu Ende waren, ließen sie mich über jedes Gespräch, das sie zitiert hatten, Notizen machen, damit ich den genauen Wortlaut hätte, und dann schickten sie sich an zu gehen; und als ich sie frug, wohin sie gingen und was sie zu tun vorhätten und mit welchen Namen ich sie anzusprechen hätte, da war kein Wort aus ihnen herauszubringen, außer, es sei ihnen befohlen worden, unaufhörlich Irland zu bereisen, und zwar zu Fuß und zur Nachtzeit, auf daß sie sich nahe bei den Steinen und bei den Bäumen aufhielten, zu den Stunden, da die Unsterblichen wachen.

Ich habe einige Jahre vorübergehen lassen, bevor ich diese Geschichte niedergeschrieben, denn ich fürchte immer Täuschungen, als die Folge von jener Unruhe des Vorhanges im Tempel, wie Mallarmé sie als ein Charakteristikon unserer Zeit ansieht, und schreibe sie jetzt darum nieder, weil ich mich zu der Ansicht durchgerungen habe, daß es keine gefährliche Idee gibt, die nicht weniger gefährlich würde, wenn sie in klarer und gewählter Sprache niedergeschrieben worden.

Die drei Alten waren Brüder, die von Jugend an auf einer der westlichen Inseln gelebt und sich ihr ganzes Leben lang um nichts gekümmert, als um jene klassischen altkeltischen Schriftsteller, die ein heroisches und einfaches Leben verkündet hatten. Nacht für Nacht im Winter trugen ihnen gälische Märchenerzähler über einem Krug Whisky alte Dichtungen vor, und Nacht für Nacht im Sommer, wenn die gälischen Erzähler auf den Feldern oder fern beim Fischen an der Arbeit waren, lasen sie sich gegenseitig aus dem Virgil und dem Homer vor, denn sie wollten sich der Einsamkeit nicht anders erfreuen, als mit den Alten. Schließlich kam ein Mann zu ihnen in einem Fischerboot, der sich Michael Robartes nannte und, dem Heiligen Brandan gleich, getrieben war von einer Vision und gerufen von einer Stimme; und der sprach ihnen von der Wiederkunft der Götter und der alten Dinge; und ihre Herzen, die niemals die Schwere und den Druck unserer Zeit ertragen hatten, sondern nur den von fernen Tagen, fanden nichts unglaubwürdig, was er ihnen sagte, sondern nahmen alles einfach hin und waren glücklich.

Jahre gingen dahin, und eines Tages, als der älteste von den Alten, der in seiner Jugend gereist war und manchmal der fremden Länder gedachte, über die grauen Wässer auslugte, auf denen die Leute die schwachen Umrisse der Inseln der Jugend sehen, jener seligen Inseln, wo die gälischen Helden das Leben von Homers Phäaken leben, da kam eine Stimme aus der Luft, über die Gewässer und verkündete ihnen den Tod des Michael Robartes. Während sie noch trauerten, verfiel der Nächstälteste in Schlaf, als er gerade in der fünften Ekloge des Virgil las, und eine seltsame Stimme sprach zu ihm und befahl ihnen, sie sollten sich nach Paris aufmachen, wo ein Weib im Sterben liege, die werde ihnen die geheimen Namen der Götter offenbaren, die vollkommen nur ausgesprochen werden können, wenn der Geist in bestimmten Farben, in gewissen Tönen und Gerüchen untergetaucht war, bei deren vollkommenem Aussprechen aber die Unsterblichen aufhören, Schall und Rauch zu sein, sondern mit einem gingen und redeten wie Männer und Frauen.

Sie verließen ihre Insel, und zuerst waren sie über alles betrübt, was sie in der Welt sahen; und sie kamen nach Paris, und dort sah der Jüngste eine Person im Traume, die sagte ihm, sie müßten aufs Geratewohl umherwandern, bis jene, die ihre Schritte lenkten, sie zu einer Straße und zu einem Hause hingeleitet hätten, dessen Aussehen ihm im Traume gezeigt worden. Viele Tage wanderten sie nun hin und her, bis sie eines Morgens in eine enge und schmutzige Straße südlich der Seine kamen, wo Weiber mit blassen Gesichtern und unordentlichem Haar sie aus den Fenstern anblickten; und gerade als sie umkehren wollten, da Weisheit sich unmöglich in solch einer unsinnigen Nachbarschaft niedergelassen haben könne, kamen sie zu der Straße und vor das Haus, das der Traum gewiesen. Der Älteste, der sich noch ein wenig der modernen Sprachen entsann, die er in seiner Jugend gekannt, näherte sich der Haustür und klopfte an, und als er geklopft hatte, da meinte der Nächstälteste, dies sei kein gutes Haus, und es könne nicht das Haus sein, das sie suchten, und drang in ihn, er möge nach jemand fragen, von dem sie wußten, daß er da nicht wohne, und daß sie dann weggehen sollten.

Die Türe wurde von einem alten, überladen gekleideten Weibe geöffnet, das ausrief: »Oh! Ihr seid ihre drei Verwandten aus Irland. Sie hat euch den ganzen Tag erwartet!« Die Alten blickten sich an und folgten ihr über die Treppe, vorbei an Türen, aus denen blasse und unordentlich gekleidete Frauen die Köpfe hervorsteckten, in ein Zimmer, darin ein schönes Weib schlafend in einem Bette lag, an dem ein anderes Weib saß. Die Alte rief: »Ja! Endlich sind sie gekommen, jetzt wird sie in Frieden sterben können«, und verließ das Zimmer. »Wir sind von Teufeln betrogen,« rief einer von den Alten, »denn die Unsterblichen sprechen nicht aus einem Weibe wie dieses!« »Ja,« sagte der andere, »wir sind von Teufeln betrogen, und wir müssen rasch von hinnen.« »Ja,« sagte der dritte, »wir sind von Teufeln betrogen, aber laßt uns ein weniges niederknien, denn wir sind am Sterbebette von einer, die schön gewesen!« Sie knieten nieder, und das Weib, das an dem Bette saß und von Furcht und heiliger Scheu überwältigt schien, senkte das Haupt. Kurze Zeit blickten sie auf das Antlitz auf dem Kissen und wunderten sich über den Blick, der eine unstillbare Sehnsucht auszudrücken schien, und über die porzellangleiche Feinheit des Gefäßes, darinnen eine so bösartige Flamme gebrannt hatte.

Mit einem Male begann der Zweitälteste zu krähen wie ein Hahn, bis der ganze Raum vom Gekrähe zu erzittern schien. Noch immer verblieb das Weib im Bette in ihrem totenähnlichen Schlaf, aber die andere, ihr zu Häupten, bekreuzigte sich und erblaßte, und der jüngste von den Alten schrie: »Ein Teufel ist in ihn gefahren, und wir müssen weg, oder er wird auch in uns fahren!« Bevor sie sich aber noch von den Knien zu erheben vermochten, da erklang von den Lippen dessen, der gekräht hatte, eine wohlklingende singende Stimme, die sprach: »Ich bin nicht ein Teufel, ich bin Hermes, der Hirt der Toten; und ich bringe die Botschaft der Götter, und ihr habt mein Zeichen gehört, das von Anbeginn mein Zeichen gewesen. Beugt euch nieder vor ihr, von deren Lippen die geheimnisvollen Namen der Unsterblichen nun kommen werden, und der Dinge, die ihrem Herzen nahe gewesen, auf daß die Unsterblichen wieder in die Welt kommen mögen. Beugt euch nieder und lernt begreifen: wenn sie daran sind, die Dinge von heute umzustoßen und die von gestern wiederzubringen, da ist niemand, der ihnen helfen könnte, es sei denn einer, den die Dinge von heute verstoßen haben. Beugt euch tief zur Erde nieder, denn zu ihrer Priesterin haben sie dieses Weib erkoren, in deren Herzen alle Torheiten versammelt und in deren Leib alle Begierden erwacht waren. Dieses Weib, das, vertrieben aus der Zeit, am Busen der Ewigkeit gehangen! Und wenn ihr euch verbeugt habt, dann werden die alten Dinge wieder anfangen und eine neue Argo wird Helden über die Tiefen tragen und ein neuer Achilles ein neues Troja belagern.«

Die Stimme endete mit einem Seufzer, und sogleich erwachte der Alte aus dem Schlafe und sprach: »Hat eine Stimme aus mir geredet, wie sie gesprochen, da ich über meinem Virgil eingeschlummert, oder habe ich bloß geschlafen?« Der Älteste sprach: »Eine Stimme hat aus dir gesprochen, aber wo war deine Seele, während die Stimme aus dir redete?« »Wo meine Seele war, weiß ich nicht, aber mir träumte, ich hätte unter dem Dach einer Krippe gesessen, und da ich hinabblickte, sah ich einen Ochsen und einen Esel, und auf dem Heurechen einen roten Hahn, und ein Weib sah ich ein Kind herzen, und sah drei alte Männer im rubinenbesetzten Harnisch, die Häupter tief gebeugt, vor dem Weibe mit dem Kinde knieen.

»Während ich hinblickte, da krähte der Hahn, und ein Mann mit Flügeln an den Fersen schwang sich empor durch die Lüfte, und da er an mir vorbeiflog, rief er: »O ihr törichten Alten! Einst habt ihr alle Weisheit von den Sternen euer eigen genannt!« »Ich verstehe meinen Traum nicht, noch was er uns zu tun heißt, aber ihr, die ihr die Stimme aus der Weisheit meines Schlafes vernommen, ihr wisset, was wir zu tun haben.« Darauf sagte der älteste von den Alten, sie sollten die Pergamente, die sie mit sich geführt, aus ihren Taschen nehmen und auf dem Boden ausbreiten. Und als sie sie auf die Erde hingebreitet, da holten sie aus ihren Taschen Schreibfedern, die waren zugeschnitzt aus drei Federn, den Schwingen jenes Adlers entfallen, der einst mit St. Patrick Worte der Weisheit gewechselt.

»Ich glaube,« sagte der Jüngste, indem er die Tintenfässer neben die Pergamentrollen hinstellte, »er wollte sagen, daß, wenn Leute gut sind, die Welt sie liebt und von ihnen Besitz ergreift, und daß darum die Ewigkeit durch Menschen kommt, die nicht gut sind oder die vergessen worden sind. Vielleicht ist das Christentum gut gewesen und die Welt hat es geliebt, und vielleicht geht es jetzt von uns und die Unsterblichen beginnen zu erwachen.« »Was du sagst, ist nicht weise,« sagte der Älteste, »denn wenn es viele Unsterbliche gibt, dann kann es nicht nur ein Unsterbliches geben.«

Nun setzte sich das Weib im Bette auf und blickte mit wilden Blicken um sich, und der älteste von den Alten sprach: »Frau! Wir sind gekommen, die geheimen Namen niederzuschreiben.« Bei diesen Worten kam ein Ausdruck großer Freude über ihr Antlitz. Sogleich begann sie langsam und doch lebhaft zu reden, als wäre ihr bewußt, daß sie nur mehr kurze Zeit zu leben habe. Sie sprach das Gälische ihrer Heimat, und sie sagte ihnen viele geheime und machtvolle Namen und sprach ihnen von den Farben und den Gerüchen und von Waffen und Musikinstrumenten und von den Werkzeugen, die den Trägern dieser Namen zukamen, am meisten aber von den »Sidhe«Anm. d. Übers.: »Sidhe«, spr. »Schi«, ist das irische Wort für die Elfen, die Elementargeister (vgl. Grimm, »Irische Elfenmärchen«, Leipzig 1826, Einl. S. IX ff. – der Irländer und von ihrer Liebe zum »Cauldron«»Cauldron« = »Zauberkessel« der alten Kelten. Vgl. Shakespeare, Macbeth IV, 1 in der Hexenszene:
»Fillet of a fenny snake
In the caldron boil and bake.«
und dem Wetzstein, dem Schwert und dem Speer. Dann warf sie sich eine Weile hin und her und stöhnte, und als sie wieder sprach, war es ein so schwaches Gemurmel, daß das Weib, das am Bette saß, sich herabbeugen mußte, um zu hören, und während jene hinhorchte, entfloh die Seele ihrem Leib.

Der älteste von den Alten sprach nun Französisch zu dem Weibe, das noch immer über dem Bette gebeugt saß. »Es muß noch ein Name gewesen sein, den sie uns nicht gesagt hat, denn sie murmelte einen Namen, während die Seele sie verließ.« Und das Weib antwortete: »Es war nur der Name eines symbolistischen Malers, den sie verehrte. Der pflegte eine Stätte aufzusuchen, wo, was er die »schwarze Messe« nannte, stattfand, und er war es, der sie lehrte, Gesichte zu sehen und Stimmen zu hören. Sie traf ihn zum erstenmal vor wenigen Monaten, und seit jenem Tage war unsere Ruhe dahin, denn immer redete sie von ihren Visionen und von Stimmen, die sie gehört. Ja! Erst letzte Nacht habe ich im Traum einen Mann gesehen, mit rotem Bart und rotem Haar, rot gekleidet, der an meinem Bette stand. In der einen Hand hielt er eine Rose, die er mit der anderen zerpflückte, und die Blätter wirbelten durch das Zimmer, und aus ihnen wurden schöne Menschen, die allmählich zu tanzen begannen. Als ich erwachte, war ich ganz heiß vor Entsetzen.«

Das ist alles, was mir die Alten erzählt haben, und wenn ich mich ihrer Rede und ihres Schweigens entsinne, ihres Kommens und Gehens, dann bin ich fast überzeugt, ich hätte, wenn ich nach ihnen das Haus verlassen, keine Fußspuren im Schnee gefunden. Nach allem, was ich oder irgend jemand hierüber sagen kann, mögen sie selber Unsterbliche gewesen sein, unsterbliche Dämonen, gekommen, um meinem Geiste eine unwahre Geschichte einzugeben, zu einem Zweck, den ich nicht kenne. Wer immer sie gewesen sein mögen, sicherlich habe ich einen Weg eingeschlagen, der mich von ihnen und der Chymischen Rose entfernen wird. Nicht länger mehr lebe ich ein sorgfältiges und hochmütiges Leben, sondern bin bestrebt, mich unter den Gebeten und den Sorgen der Menge zu verlieren. Am liebsten bete ich in den Kirchen der Armen, wo grobe Kittel mich streifen, wenn ich niederknie; und wenn ich ein Stoßgebet gegen die bösen Geister verrichte, dann wiederhole ich ein Gebet, das, ich weiß nicht vor wieviel Jahrhunderten, gelispelt worden, um irgendeinem gälischen Mann oder einer Frau beizustehen, die an einem Leiden gleich dem meinen gelitten.

Seacht b-páidreacha fó seacht
Chuir Muire faoi n-a Mac,
Chuir Brighid faoi n-a brat,
Chuir Dia faoi n-a neart
Eidir sinn 'san Sluagh Sidhe
Eidir sinn 'san Sluagh Gaoith.

Sieben Patres siebenmal
Senden Marien durch ihren Sohn,
Senden Brigitt durch den Mantel,
Senden Gott durch seine Kraft
Zwischen uns und die Zauberschar,
Zwischen uns und die luftgen Geister.


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