Xenophon
Sokratische Gespräche aus Xenofons denkwürdigen Nachrichten von Sokrates
Xenophon

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Bey einer andern Gelegenheit, erneuerte dieser Sofist den Angriff von einer andern Seite, aber ebenfalls mit so schlechtem Erfolg, daß Xenofon sich begnügt, auch diesesmahl die ganze Konversazion in eine einzige Rede und Gegenrede zusammen zu fassen.

Antifon. Ich zweifle nicht daß du ein sehr ehrlicher Mann bist, Sokrates, aber für einen GelehrtenIch wähle hier mit Hrn. Weiske unter den vielerley Bedeutungen des Wortes σοφος diejenige, die der Meinung des Sofisten am besten zu entsprechen scheint, wiewohl sie, in andrer Rücksicht, nicht die bequemste ist. Lieber hätte ich Filosof gesagt, wenn dies Wort damals zu Athen schon üblich gewesen wäre; denn, aller Wahrscheinlichkeit nach, kam es erst durch die Sokratiker nach und nach in den Schwang. kann ich dich keineswegs gelten lassen. Auch dünkt mich, du selbst müssest davon überzeugt seyn, weil du von keinem, die täglich um dich sind, Geld nimmst. Gewiß würdest du deinen Mantel, oder dein Haus, oder was du sonst geldeswerth besitzest, weder umsonst noch unter dem Werthe weggeben: Es ist also klar daß du deinen nähern Umgang, wenn du dächtest, daß er etwas werth sey, nicht unter seinem Preise geben würdest. Also, wie gesagt, für einen ehrlichen Mann laß ich dich gerne gelten, da du niemanden aus Gewinnsucht zu betrügen begehrst; aber nicht für einen Weisen, da du dich auf nichts verstehst das einen Werth hätte.

Sokrates. Bey uns,Nemlich, bey mir und meinen Freunden und Anhängern. mein lieber Antifon, ist es etwas ausgemachtes, daß Schönheit und Gelehrsamkeit, eine wie die andere, schätzbar oder verächtlich werden, je nachdem der Gebrauch ist, den man von ihnen macht. Einem Jüngling, der seine Schönheit irgend einem Kauflustigen um Geld überläßt, geben wir – einen garstigen Namen; hat er hingegen einen edeln und wohlgesitteten Mann zum Liebhaber, und weiß ihn zu seinem Freunde zu machen, so nennen wir ihn sittsam und verständig.Hr. Levesque (an welchen ich mich hier und da, wo es mir unmöglich scheint, den Gedanken des Autors besser zu treffen und auszudrücken als er, ohne Bedenken anschließe) hat hier lieber gegen die griechischen Gewohnheiten und Sitten sündigen, als seinen Leserinnen und jungen Lesern anstößig werden wollen, und also den schönen Jüngling der Urschrift in ein Frauenzimmer verwandelt. Da er bey seiner Uebersetzung der Memorabilien keinen andern Zweck gehabt zu haben scheint, als den Liebhabern einer lehrreich unterhaltenden Lektüre eine der besten Schriften Xenofons (die in einer COLLECTION DES MORALISTES ANCIENS nicht fehlen durfte) in der gefälligsten Einkleidung, die in seiner Sprache möglich war, in die Hände zu spielen, so ist die Freyheit, die er sich hierin herausnimmt, zweckmäßig und lobenswerth. Mir hingegen, dessen Hauptabsicht ist, seine Leser mit dem individuellen Sokrates, so wie ihn der wärmste seiner Freunde in diesem Buche darstellt, bekannt zu machen, würde es zu verdenken gewesen seyn, wenn ich aus einem zweckwidrigen Zartgefühl etwas hätte verbergen wollen, worüber weder Sokrates noch Xenofon sich das geringste Bedenken machen. Alles, was bey dieser Stelle meine Pflicht foderte, war, mich sorgfältig zu hüten, daß meine Dollmetschung weder mehr noch weniger sagen möchte, als die Urschrift. Das Gastmahl Xenofons (womit ich mich diesen Sommer über zu beschäftigen hoffe) wird die Denkart des weisesten Atheners seiner Zeit über diesen zweydeutigen Artikel in ein ziemlich helles Licht setzen, ohne doch den Knoten so rein aufzulösen, wie es wohl alle Verehrer des Sokrates wünschen möchten, die es in der Griechheit nicht so weit gebracht haben, um dem Eros Päderastes nur nicht gar Altäre und Tempel aufgerichtet sehen zu wollen. Eben so ist es mit den Gelehrten. Diejenige, die ihre Wissenschaft um Geld verkaufen, heißen Sofisten; wer hingegen einen jungen Menschen von glücklichen Anlagen kennen lernt, und indem er ihm das Beste was er weiß mittheilt, keinen andern Vortheil dabey sucht, als einen Freund zu gewinnen, von dem sagen wir, er thue was einem edeln und biedern Bürger geziemt.Καλω καγαθω πολιτη. Ueber dies Beywort habe ich meine Meinung in der Anmerk. 16. zu den Rittern des Aristofanes (Att. Mus. II. B. I. Heft, S. 20.) bereits gesagt,Wielands Anmerkung zu den »Rittern« lautet: »Ich müßte mich sehr irren, wenn ich hier der rechten Bedeutung, worin das Wort καλος καγαθος im Gegensatze von πονηρος zu Athen gewöhnlich genommen wurde, nicht sehr nahe gekommen wäre. Wenigstens giebt Aristofanes in den gleich folgenden Reden deutlich genug zu erkennen, daß er es so genommen. Ein Mensch von guter Erziehung ein μουσικος ανηρ και χρηστος τους τροπους (was nur mit andern Worten soviel als καλοκαγαθος sagt) und ein Mensch von gutem Hause hieß zu Athen eben dasselbe; denn nur diese letztern genossen, ordentlicher Weise, das was man zu Athen eine gute (liberale) Erziehung hieß. Eben so waren, ordentlicher Weise, ein Mensch von niedriger Herkunft und geringen Glücksumständen (θης, βαναυσος, αγενης εκ των πολλων), und ein schlechter, ungeschliffener, unwissender, pöbelhafter Mensch, (πονηρος, κακος, αμουσος, αμαθης, etc.) lauter Synonymen: daß es auch Ausnahmen gegeben haben werde, versteht sich von selbst. Die Bedeutung, die man dem καλος καγαθος gewöhnlich beylegt, war, (wie ich vermuthe) dem Sokrates eigen, der sich ein Geschäft daraus machte, denen, die mit ihm umgingen, von allen solchen Wörtern und Redarten, mit welchen gewöhnlich nur sehr verworrene und unbestimmte sittliche Begriffe verbunden wurden, deutliche und wahre zu geben. Durch die Sokratische Schule wurde denn auch dieser edlere und höhere Sinn des Wortes Kalokagathie mehr in Umlauf gebracht; wahrscheinlich aber kam das Wort eben dadurch unvermerkt aus dem gemeinen Gebrauch; vermuthlich weil man es bequemer fand, blos ein καλος schlechtweg, als noch αγαθος dazu, zu seyn.« und finde nicht nöthig hier etwas hinzuzusetzen, als daß mir die gewöhnliche Bedeutung, worin dies Wort zu Athen gebraucht wurde, dem was man in England A GENTLEMAN nennt, und was in Frankreich unter Louis XIV. UN GALANT-HOMME, und späterhin UN HONNÊTE-HOMME hieß, am besten zu entsprechen scheint. Bey uns kann man ein Edelmann seyn ohne A GENTLEMAN oder GALANT HOMME zu seyn, und was wir unter einem Biedermanne verstehen, ist etwas ganz anders, als der französische HONNÊTE HOMME, der diesem Ehrennamen unbeschadet, gar viele andere verdienen kann, die auf den deutschen Biedermann, nie anwendbar seyn können. – Da für das Griechische Kaloskagathos kein auf alle Fälle passendes deutsches Wort weder vorhanden noch zu erfinden ist, so muß die redende Person und der Zusammenhang der Rede einem Uebersetzer sagen, durch welche Art von Annäherung er den Sinn des Originals am wenigsten verfehle, ohne sich auf eine in unsrer Konversazionssprache ungewöhnliche Art auszudrücken. Was mich selbst betrift, Antifon, so weißt du, jedermann hat so seine eigene Liebhaberey; dieser an einem schönen Pferde, jener an einem schönen Hunde oder Vogel; die Meinige war immer, edle Menschen zu Freunden zu haben. Weiß ich etwas nützliches, so theil' ichs ihnen mit, empfehle sie auch andern, deren Umgang ihnen behülflich seyn kann, im Guten zuzunehmen. Auch durchgehe ich mit ihnen die Schätze, die uns die alten Weisen in ihren Schriften hinterlassen haben, und wo wir etwas Gutes sehen, heben wir's aus, und halten es (mit einem Wort) für großen Gewinn, wenn wir einander auf alle Weise nützlich werden können.Ich folge hier der von Hr. P. Schneider in den Text aufgenommenen Lesart, ωφελιμοι; Levesque stützt sich auf die gewöhnliche φιλοι, und übersetzt: NOUS FAISONS SURTOUT ENSEMBLE LE PLUS GRAND DES PROFITS, CELUI DE NOUS AIMER LES UNS DES AUTRES. Dies klingt ganz hübsch; nur ist es weder Sokratisch, noch im Sinn des Textes. Sokrates nahm das Nützliche zum Maßstab alles Werths; ihm war nur das Nützliche schön, nur das Nützliche gut. Ueberdies spricht er ja hier von dem, was seine Freunde und er gemeinschaftlich vornähmen: Da sie schon Freunde (φιλοι) sind, so brauchen sie es nicht erst zu werden; die gemeine Lesart ist also unrichtig, und Xenofon hat unfehlbar ωφελιμοι geschrieben.

Wenn ich (setzt Xenofon hinzu) den Sokrates so reden hörte, wie hätt' ich ihn nicht für einen der glücklichsten Sterblichen halten sollen? Oder wie hätt' ich zweifeln können, daß es nur an denen, die ihn hörten liege, wenn sie nicht besser durch ihn würden?

Bey noch einer andern Gelegenheit fragte ihn Antifon: wie er sich für fähig halten könne, andere zu Staatsmännern zu bilden, oder warum er sich nicht selbst mit den öffentlichen Geschäften der Republik abgebe, wenn er sich so gut darauf verstehe?

Auf welche Weise (war seine Antwort) kann ich mich um die Republik verdienter machen, wenn ich mich ihr bloß allein für meine eigene Person widme? oder wenn ich mir angelegen seyn lasse, recht viele geschickt zu machen, ihr gute Dienste zu thun?


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