Ernst von Wolzogen
Der Topf der Danaiden
Ernst von Wolzogen

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Sie fuhren zunächst nach Venedig, dann über Mailand, Genua, Pisa, Bologna nach Florenz, wo sie vierzehn Tage Station machten. Und weiter nach Rom, Neapel und Capri. Frau Lona hatte nichts bei sich gehabt als ein kleines Handtäschchen mit dem Notwendigsten für die Nacht. Aber während der Reise stattete er sie von Kopf bis zu den Füßen so reichlich aus, daß sie schließlich mit vier Koffern reisten, wovon zwei sehr beträchtlichen Umfanges waren. Und das war das Allerschönste an der Reise: das Kaufen für seine Dame, das Schenken aus dem vollen. Sie war keineswegs verschwenderlsch und habgierig wie eine Kokotte, sie hatte vielmehr einen wirklich guten Geschmack für solide, schöne und eigenartige Dinge und vor allem die Gabe, sich anmutig zu freuen – über Kleinigkeiten geradeso sehr, wie über die kostbarsten Kleider und Schmucksachen.

Als sie so drei Wochen lang miteinander gereist waren, da war es von des Dichters Seite nur noch das Entzücken über ihre Freude, was ihn immer aufs neue hinriß und an diese blasse wilde Frau fesselte. Ja, wild war sie, raubtiermäßig wild bis zur Unheimlichkeit. Eine Frau in den Dreißigern, deren Sinnlichkeit bisher geschlafen haben mußte, und die nun auf einmal aufloderte in einem verzehrenden Feuer. Aber Franz Xaver konnte dieses Feuer nicht teilen oder doch wenigstens nur ganz kurze Zeit. Dann mußte er bereits anfangen, vor ihr eine Komödie der Leidenschaft aufzuführen – und noch ein paar Wochen hin, da hatte sich seiner ein schaudernder Widerwille bemächtigt.

Ihre Erscheinung fiel überall auf. Sie verstand die auserlesenen schönen Dinge, die ihr angeborener Geschmack immer passend wählte, wie eine wirkliche große Dame zu tragen – und das schmeichelte Franz Xavers Eitelkeit ungemein. An der Seite dieser Dame hielt man ihn natürlich allgemein für einen Milordo, und das machte ihm gleichfalls ein geradezu kindliches Vergnügen. Er war einfach genial in der Erfindung immer neuer, fabelhaft feudal und exotisch klingender Familiennamen, unter denen er sich und seine Gattin in die Fremdenbücher eintrug. Da das Wetter um die Jahreszeit meist recht ungemütlich war, konnte er den Überschwang seiner Begeisterung auf die Kunst konzentrieren, und Frau Lona ließ ihn auch in dieser Beziehung keineswegs im Stiche, wenngleich er ihr anmerkte, daß sie die Museen zuweilen recht herzlich langweilten. Immerhin zeigte sie eine Lernbegierde, die wohl nicht ganz erheuchelt war, und auch eine gute Auffassungsgabe. Im übrigen hatte es Franz Xaver bald heraus, daß ihre Bildung eine äußerst oberflächliche war. Lange Vorträge seinerseits reizten sie immer bald zum heimlichen Gähnen. Lieber schwatzte sie schon selber; aber Gedanken kamen dabei nicht zum Vorschein. Es waren nur hängengebliebene Phrasen, ein geschicktes Konversationmachen, vollständig genügend für die große, ja für die allergrößte Welt, aber durchaus dürftig für die Ansprüche eines radikalen Denkers und eigenbrötlichen Dichters, wie der vierschrötige Franz Xaver Meusel in der Tat einer war. Nur wenn er ihr in heißen Stunden seine phantastischen Tollheiten ins Ohr flüsterte, gähnte Frau Lona nie, sondern sog mit geschlossenen Augen, selig lächelnd, jedes Wort gierig in sich ein. Das war der Zauber, mit dem er dies leidenschaftliche Weib an sich gefesselt hielt. Und er mußte sich selber mittrunken machen durch seinen orgiastischen Wortschwall, um überhaupt sich in die nötige Stimmung hineinschwindeln und ihre hinreißende Leidenschaft lohnen zu können.

Am Anfang der Reise hatte er ein paarmal das Gesprach auf den Professor und auf das Kind zu bringen gesucht, aber da hatte sie ihn immer so nervös ungeduldig abgewiesen, daß er bald das Fragen unterließ. Von dem Kinde hatte sie ihm gesagt, daß es bei der Großmutter gut aufgehoben sei, und sie schien sich auch gar keine Sorge weiter darum zu machen. Briefe schrieb sie weder, noch empfing sie welche. Es durfte ja niemand von den Ihrigen wissen, wo sie war. So mußte denn Franz Xaver stillschweigend annehmen, daß sie tatsächlich auf seine Bedingung eingegangen, und daß das Kind für immer entfernt, die Heirat mit dem biederen Professor endgültig aufgehoben sei. Was aber nun?

Durch das Liebesopfer, das sie ihm gebracht, hatte sie sich jedes Haltes für die Zukunft beraubt. Er wußte, daß sie ihr Vermögen in das Geschäft des Mannes gesteckt, und daß es dabei verlorengegangen war. Er wußte auch, daß der Mann sich nur verpflichtet hatte, ihr ihre kleine Rente so lange zu zahlen, bis sie sich etwa wiederverheiratete. Der Professor war wohlhabend und konnte ihr ein sorgenfreies Leben bieten. Der großartige Stil, in dem die beiden gegenwärtig ihre wilden Flitterwochen genossen, ging natürlich arg über den Glückstopf her, und wenn sie diesen Stil beibehielten, war in ein paar Wochen die letzte Zechine durch das Sieb gesickert. Was dann? Großer Katzenjammer, Dürftigkeit, ewige Sorge, Demütigung, künstlicher Rausch und nagende Reue. Den Anstand hatte er allerdings dann gewahrt, die Moral war gerettet; aber war das der rechte Lohn, den dies arme Weib für seine leidenschaftliche Opferfreudigkeit zu fordern berechtigt war?! Franz Xaver hielt sich fest davon überzeugt, daß sie nicht aus Abenteuerlust oder der reichen Geschenke wegen, die sie ihr einbrachte, diese wilde Fahrt ins Blaue unternommen habe. Sie liebte ihn wirklich, ihn ausschließlich, und mit einer so verzehrenden Leidenschaft, daß andere Männer gar nicht für sie existierten, und daß er, der krumme, unelegante Kerl, ihr täglich neu erschien und sie mit seinen Blicken, seiner Liebkosung und mit seinen süßen Worten gar immer wieder in diesen Taumel mänadischer Verzückung hineintreiben konnte.

Wenn sie schlief, lag er oft noch lange wach und schlug sich mit diesen trüben Gedanken an die Zukunft herum. Drei Wochen war ihr Verhältnis jetzt alt, und schon war das, was er an höheren Werten in diese wilde Ehe eingebracht hatte, zusammengeschrumpft auf ein bißchen ehrliche Achtung und Dankbarkeit. Die Achtung, die jeder anständige Mann für die Frau empfindet, die sich ihm aus Liebe hingibt, und die Dankbarkeit für die Befriedigung, die sie seiner Eitelkeit durch ihr elegantes Damentum gewährte. Das war alles von seiner Seite. War es da nicht ein Wahnsinn, ihr zu sagen: Bleiben wir zusammen; teilen wir nach der kurzen Herrlichkeit auch das lange Elend miteinander. Wenn du allmählich all die köstlichen Dinge, die ich dir geschenkt habe, wieder versetzest oder verkaufst, so können wir immerhin noch ein paar Monate durchkommen. Inzwischen habe ich vielleicht ein Drama geschrieben, das vielleicht aufgeführt wird und vielleicht etwas einträgt. Ich habe zwar bisher noch nicht bemerkt, daß deine Liebe meine dichterische Schaffenskraft anrege – im Gegenteil, das Hirn ist mir seither wie ausgebrannt, und ich erschöpfe meine ganze Phantasie in dem fortwährenden krampfhaften Bemühen, mich in den nötigen Rauschzustand zu versetzen, um mich deiner elementaren Leidenschaft gegenüber nicht zu blamieren. Wenn du nicht mehr die schönen Kleider trägst, wirst du mich ja freilich kaum mehr so entzücken wie jetzt, und du wirst es eines Tages merken müssen, daß es nur die Kleider sind, die dich in meinen Augen schön machen. Du wirst eines Tages doch vielleicht den Schauder verspüren, der mich immer überläuft, wenn ich deine Haut berühre, und dann wirst du sehr, sehr traurig werden, armes Weib: denn so groß deine Liebe auch ist, in eine andere Haut zu fahren, erlaubt sie dir doch nicht. Dann wirst du sagen, ich sei ein böses, undankbares Tier, und du hättest das prachtvolle Opfer deiner Leidenschaft an den Unwürdigsten von allen verschwendet, und dann wird zu dem Elend noch die Scham kommen, und mein Mitleid wird dich mit Ekel erfüllen. Ja, wenn du wärest wie die arme kleine Biche! Der würde ich ohne Gewissensbisse anbieten, zeitlebens an meiner Seite auszuharren. Die will bloß wissen, wo sie hingehört, und ist glücklich, wenn sie dableiben darf. Die weiß, daß sie mich nicht zu ihrem ewigen Schuldner macht durch die Entzückungen einer hinreißenden Leidenschaft. Ihr Ehrgeiz zielt nicht darauf hin, Dämon oder Muse zu heißen. Sie würde mich weder zu Extravaganzen aufstacheln, noch ängstlich mich zurückhalten, wenn ich etwa gefährlich hoch fliegen wollte. Mit ein bißchen Freundlichkeit und Gutsein mache ich die glücklich, und dafür betreut sie mich ein Leben lang. Und wenn sie Kinder von mir kriegen darf, fühlt sie sich überreich belohnt und hochgeehrt.

Das gute Bischibischerl! Es war beinahe komisch, daß er in solchem Zusammenhange so viel daran denken mußte. Das unscheinbare Ding – und dieses hinreißende Rasseweib nebeneinander! Niemals würde jemand auf die Idee kommen, mit Biche zu einer abenteuerlichen Hochzeitsreise durchzubrennen. Ach du lieber Himmel, sie war doch eigentlich gar zu reizlos! Und wenn er sich fragte, wie es denn möglich gewesen war, daß er sich überhaupt so weit mit ihr einlassen konnte, da fand er gar keine Antwort. Er wußte überhaupt seinem guten Hundl nur eine einzige glänzende Eigenschaft nachzurühmen: daß sie so gar nichts Störendes in ihrem Wesen hatte! War es das vielleicht, was sie so besonders geeignet für ein Dichterliebchen machte? – Er hatte der Biche einige Ansichtspostkarten und hin und wieder ein kleines Geschenk, Früchte, Bilder, einen Korallenschmuck und eine Schildpattgarnitur gesandt, aber nie eine Antwort erhalten – auch nicht erhalten können, weil er nie eine Adresse angegeben hatte. Ob sie wohl wußte, daß er in Gesellschaft reiste? Ob wohl irgend jemand in München eine Ahnung davon hatte?

Es beunruhigte ihn von Tag zu Tag mehr, daß Lona nie über die Zukunft sprach. Nahm sie als selbstverständlich an, daß sie immer zusammenbleiben und daß sie sich am Ende gar heiraten müßten? Oder wagte sie aus Angst, grausam aus dem süßen Traum geweckt zu werden, nicht, das Thema anzuschlagen?

Aber er sollte bald wissen, woran er war. Früher und ganz anders, als er es sich gedacht hatte. Und das kam so: das Geld, das er auf die Reise mitgenommen hatte, ging zum zweitenmal zu Ende. Das erstemal hatte der Balzer Theo von einem Münchner an einen römischen Bankier zweitausend Mark Kredit überweisen lassen, und Franz Xaver hatte sich das Geld, als sie nach Rom kamen, abgeholt. Das zweitemal schickte der Freund das Geld aber direkt an die Adresse in Neapel und schrieb einen langen Brief dazu. Erst allerlei Sentimentalitäten über seine Vereinsamung und über seine Gewissensbisse seiner guten Frau gegenüber, und dann einen recht kindlich stilisierten Bericht über die Orgien, die er in den letzten Faschingstagen gefeiert hatte. Der Brief schloß folgendermaßen:

»Ich glaube Dir als Freund nicht vorenthalten zu dürfen, daß Deine Eskapade mit der schönen Frau Gregory entdeckt ist. Wir wissen jetzt, daß das Dein Domino vom Bal paré war. Falls Du Ursache haben solltest, Dein Abenteuer geheim zu halten, so kann Dir diese Aufklärung vielleicht einen Wink geben über die Maßregeln, die Du zu treffen hast. Die Sache ist ganz merkwürdig zugegangen. Nämlich die Milly, Du weißt doch, die Kleine, die Du immer Fräulein Affengrün nanntest, die ist furchtbar wütend auf Dich – weshalb, weiß ich nicht. – Also vor acht Tagen war's, da kommt Dein ehemaliger Schatz, die kleine Mademoiselle, her, um sich nach Deiner Adresse zu erkundigen, und da war unglückseligerweise die Milly gerade bei mir zu Besuch. Ich konnte ihr die Adresse ja nicht geben, weil ich selber keine wußte. Aber die Milly ist riesig schlau. Die hatte es aus unserer Rede und Gegenrede gleich weg, in welchem Verhältnis Du zu der Mademoiselle stehst oder gestanden hast. Ich bin vielleicht auch etwas unvorsichtig gewesen, kurz, sie macht sich gleich an das Fräulein heran und begleitet sie auf dem Nachhauseweg. Nun merkte ich aber doch, daß sie etwas im Schilde führte und wollte sie nicht mit der Mademoiselle allein lassen. Ich ging also mit. Dein verflossener Froh war auch dabei, und ich mußte ihn an der Leine führen, weil das kleine Fräulein mich so dauerte wegen der Not, die sie mit dem großen Vieh auf der Straße hat – und noch dazu in ihrem Zustande! Wie wir nun so durch die Straßen gehen, springt der Froh auf einmal an einem Dienstmädchen in die Höhe, das gerade aus einer Haustür tritt. Und das Dienstmädchen lacht und nennt den Hund beim Namen und scherzt mit ihm. Da fragt Mademoiselle, woher sie denn den Hund kenne, und da sagt sie, er wäre einmal bei ihrer Herrschaft zugelaufen, und Herr Meusel hätte ihn da wieder weggeholt. Ich Esel frage auch noch, wie ihre Herrschaft hieße, und da sagt sie: Frau Lona Gregory. Und die Milly erkundigt sich gleich weiter, ob das nicht die schöne, blasse Dame mit dem auffallend roten Haar wäre. Ja, das wäre sie allerdings; aber die Dame wäre jetzt verreist – na und so weiter. Jetzt dachte sich die kleine Mademoiselle wohl auch ihr Teil, denn sie wurde ganz blaß, und die Milly, diese nichtsnutzige Kröte, freute sich diabolisch. Ich habe zwar die Milly gleich weggeschickt, und die arme Mademoiselle, weil sie sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte, in einem Wagen nach Hause gebracht. Ich konnte ihr ja auch beschwören, daß Du allein von hier fortgefahren bist, und daß ich nichts von so einem Abenteuer wüßte, aber das half alles nichts. Die Mademoiselle war zwar ganz still, aber ich merkte ihr doch an, daß sie sich furchtbar grämte. Na, und die Milly ist nachher doch zu der Mademoiselle hinausgegangen und hat getratscht und sie aufgehetzt. Und dann hat sie sich auch an das Dienstmädchen der Frau Gregory herangemacht und hat von der alles erfahren, was sie wußte, z. B. auch, daß die Dame mit einem hiesigen Professor sehr befreundet ist, und dem hat sie einen anonymen Brief geschrieben, daß Du mit seiner Braut nach Italien durchgebrannt wärest. Die Kanaille hat mir alles erzählt, frech und höhnisch. Natürlich habe ich sie hinausgeschmissen und ihr das Wiederkommen verboten. Aber was hilft das jetzt? Das Unheil ist einmal angerichtet. Das heißt, ich weiß ja nicht, ob es ein großes Unheil ist – am Ende ist es gar nicht wahr. Du bist allein in Italien und die Dame ist nur zufällig auch fortgereist. Es wäre mir eine große Erleichterung, wenn Du mir diese Vermutung bestätigen wolltest, damit ich doch die Mademoiselle etwas trösten kann. Es geht ihr gar nicht gut, und der schreckliche Hund macht ihr nichts als Plage. Das liebste wäre mir schon, Du kämest bald wieder und brächtest die Geschichte in Ordnung. Der Affengrün muß man ein paar hinter die Ohren schlagen.

In alter Treue Dein Theo.«

Unglücklicherweise war Lona im Zimmer, als Franz Xaver diesen Brief las. Seine Bestürzung konnte ihr nicht entgehen. Sie wollte den Brief lesen. Er verweigerte ihn ihr mit ungeschickten Ausreden. Da gab's eine heftige Szene, die damit endete, daß Lona sich mit Gewalt des Schreibens bemächtigte.

Aus ihrem Gesicht, während sie las, konnte Franz Xaver nicht klug werden. Nur um ihren Mund zuckte es, und als sie zu Ende war, preßte sie die Lippen fest aufeinander und blickte starr vor sich hin. Franz Xaver trat zu ihr und streichelte ihr sanft das Haar:

»Geh, schau, mein süßer Schatz,« begann er in seinem wärmsten Tone, »die G'schicht ist am Ende gar net so schlimm, wie's auf den ersten Schreck ausschaut. Ewig verstecken kann mer sich ja doch net, und es versteht sich natürlicherweise ganz von selbst ...«

»Ja, es versteht sich von selbst, daß ich sofort abreise,« unterbrach sie ihn kalt entschlossen. »Du bleibst noch einige Zeit hier, und ich fahre zu meiner Mutter und zu meinem Kinde. Ich werde mir schon irgendwie ein Alibi zu verschaffen wissen. Die Mutter muß mir helfen, den Professor anzulügen.«

»Ja, was denn,« stammelte Franz Xaver ganz verwirrt, »denkst du denn wirklich noch daran, den Professor ...?«

»Aber selbstverständlich!« fiel sie ihm ins Wort. »Was soll denn sonst aus mir werden? Er ist doch mein einziger Halt. Daß ich dich liebe, habe ich durch meinen tollen Streich wohl zur Genüge bewiesen. Es war über alle Begriffe schön! Ich werde nie wieder einen andern Mann so lieben können, wie dich. Und ich werde auch immer für dich da sein. Ich schrecke vor nichts zurück, denn du hast mich einmal toll gemacht, und das vergesse ich im Leben nicht. Aber nun sei auch vernünftig! Beweise mir, daß du dankbar sein kannst. Ich denke doch, ich habe dir auch etwas gegeben, was du nie vergessen wirst. Also mach' mich nicht unglücklich und komme mir nicht in die Quere bei meinen soliden Absichten. Ich bin das der Ehre meines Mannes und meinem Kinde schuldig ... nein, nein, fahre nur nicht auf! Ich weiß ganz gut, als Dichter begreifst du das nicht; aber das Leben ist einmal so, und ich darf meine letzte Chance nicht verlieren.«

Am nächsten Morgen reiste sie ab, und Franz Xaver starrte dem Zuge lange mit nassen Augen nach. Dann stieß er einen tiefen, tiefen Seufzer aus. Er war frei – erlöst! Und jetzt liebte er dieses Weib erst.

Franz Xaver fuhr von Capri ohne Aufenthalt durch bis Monte Carlo. Was soll ein einsamer, armer Junggeselle, der in der Lotterie gewonnen und sein Lieb verloren hat, auch anderes tun, als nach Monte Carlo fahren? Er spielte und gewann. Da setzte er sich in fröhlichster Laune und menschenfreundlichster Stimmung hin und schrieb an seinen lieben Freund Theodor Balzer eine Postkarte mit folgenden Verslein:

Geliebter Zofschmalzbariton, geehrtes altes Roulette!

Pack des schnöden Mammons
Reste Dir in Hose, Jack' und Weste.
Beste Okkasion auf Erden,
Geld mit Anstand loszuwerden,
Find'st Du hier beim edlen Jeu –
Pereat das peu-à-peu!
Dreißig-Vierzig, Schwarz und Rot
Schlagen alle Trübsal tot.
Und beim großen Coup auf Zéro
Kriegst als Prämie die Otéro.
Laß das Fräulein Affengrün
Einsam Gift und Galle sprühn.
Was auch die Verleumdung treibt –
Ich bin frei und unbeweibt.
Also reise eilzugswend'sch.
Vielgeliebter Achtelsmensch.
Es erwartet mit dem Haferl
Dich mit Ungeduld

                                  Franz Xaverl.

Der biedere Theo traf aber keineswegs »eilzugswend'sch« ein, es vergingen vielmehr acht Tage ohne jeden Bescheid von ihm. Franz Xaver schrieb, Franz Xaver telegraphierte – kein Antwort. Inzwischen hatte ihm Fortuna den Rücken gewendet. Er gewann nur noch ganz selten, und die Verluste hatten nach ein paar Tagen schon die Höhe der anfänglichen Gewinne erheblich überschritten. Da war denn das Telegraphieren besonders nötig, denn von dem ursprünglichen Betriebskapital waren nur noch wenige hundert Franken übrig. Auch an die Biche hatte er geschrieben und telegraphiert: erst einen sehr netten Brief, worin er ihr eindringlich zuredete, sich von Fräulein Moosgrün nicht aufhetzen zu lassen. Er erklärte ihr wahrheitsgemäß den Grund, warum die kleine Ballettratte so bös auf ihn sei und gab dann zu, in die rothaarige Frau Lona arg verliebt gewesen zu sein – ohne die Dame durch Erwähnung der gemeinsamen Hochzeitsreise weiter zu kompromittieren. Sie könne sich darauf verlassen, daß er ganz als der Alte, unbeschädigt an Leib und Seele, binnen kurzem wieder zurückkehren werde. – Und als auf diesen Brief auch keine Antwort erfolgte, telegraphierte er abermals an die Biche um Nachricht über den Balzer Theo – ohne Erfolg.

Da endlich, nach zehn Tagen vergeblichen Harrens, traf ein Brief mit dem Poststempel Stuttgart ein. Schlimmer Ahnungen voll, riß ihn Franz Taver auf und las folgendes:

»Mein lieber Freund und Kampfgenosse!

Die Katastrophe ist erfolgt. Unter Blitz, Donner, Pech und Schwefelgestank ist mein Weib ganz plötzlich durch den Schlot herabgefahren und hat mich mit sanfter Überredung heimgelockt. Es wird Deiner Phantasie nicht schwer fallen, sich die idyllische Szene auszumalen. Wir waren beide sehr gerührt und ergriffen von dem Wiedersehen. Und das war so gekommen: In meiner Rage hatte ich an Fräulein Milly Moosgrün – der Himmel straf sie mit der Pest! – einen eingeschriebenen Brief geschickt, worin ich ihr verbot, unsere Schwelle jemals wieder zu betreten. Dummerweise hatte ich aber vergessen, den Wirtsleuten anzubefehlen, daß sie das Fräulein nicht wieder vorlassen sollten. Wie ich nun, heut vor acht Tagen war's, nach dem Diner heimkomme, um mein Schläfchen zu halten, finde ich da Deine gereimte Postkarte. Ich, natürlich voller Freuden, mache mich gleich ans Einpacken. Erst nehme ich aber den Topf aus dem Schrank heraus, um nachzuzählen, wieviel Zechinen noch im Barfonds seien. Denke Dir meinen Schreck – alles weg! Nichts war in dem leeren Topf darin, wie ein Häufchen Papierasche, und oben darauf lag ein Maskenzeichen von der Faschingsdienstag-Redoute. So ein infamer Witz! Wer konnte mir diesen Streich gespielt haben? Ich rief sofort die Wirtsleute und das Mädchen herein, und da kam's heraus, daß über Mittag die Moosgrün dagewesen war. Sie hatte den Leuten gesagt, ich hätte sie bestellt, sie sollte mich erwarten. Nach einer halben Stunde war sie fortgegangen, weil es ihr zu lange dauerte. Kannst Dir denken, wie ich vor Wut gerast habe. Ich wollte gleich zur Polizei und das Frauenzimmer verhaften lassen. Erst bin ich aber doch zu unseren Freunden ins Café und hab' ihnen die Geschichte erzählt. Da haben sie mir alle abgeraten, die Polizei in Bewegung zu setzen, denn es gäbe dann einen Skandal und käme in die Zeitungen, und dann läse es womöglich auch meine Alte in Stuttgart, und ich wäre auf ewige Zeiten mit der Milly blamiert.

Der Alisi, der gute Kerl, erbot sich, dem edlen Fräulein persönlich auf die Bude zu rücken und ihr durch Drohung oder sonst geignete Gewaltmittel den Raub wieder abzujagen. Während der sich zu diesem Unternehmen auf den Weg machte, fuhr ich hinaus zu Deiner Mademoiselle, denn ich dachte, es wäre doch gut, wenn sie gleich wüßte, aus welch sauberer Quelle die Verleumdungen gegen Dich herstammten, und außerdem wollte ich ihr Deine Adresse mitteilen und ihr meine Abreise bekanntgeben. Und nun denke Dir bloß, mein armer Kerl! Wie ich hinauskomme und nach Mademoiselle frage, schlägt die Wirtin die Hände über dem Kopf zusammen und schreit, ob ich denn nicht wüßte, was passiert sei? Die Mademoiselle sei vor ein paar Tagen mit der großen Bestie, dem Froh, spazierengegangen. In der Theatinerstraße habe er plötzlich einem andern Hunde nachwollen, sie hat die Leine nicht losgelassen, er zerrt und springt und bringt sie zu Fall, vom Trottoir herunter, mitten auf den Straßendamm, gerade vor eine daherfahrende Droschke. Der Kutscher hatte keine Schuld. Es war unmöglich, zu bremsen. Die Räder gingen über sie weg. Trotzdem war noch ein Glück dabei, denn die Droschke war leer, und die Verletzungen wären nicht gefährlich, hätte der Arzt gesagt. Sie haben sie gleich ins Krankenhaus geschafft, und da ist durch den Schreck und die Erschütterung eine Fehlgeburt erfolgt, die für das arme Mademoisellchen schlimmere Folgen zu haben scheint, als das Unglück selber. Ich bin natürlich gleich hin ins Krankenhaus, aber da ließen sie mich nicht vor. Es darf noch niemand zu ihr. Man hat mir nur gesagt, daß sie immer noch ohne Bewußtsein daliege und sehr elend wäre. Der Arzt hofft aber trotzdem, sie durchzubringen. Von dem Überfahren hat es nur Kontusionen an den Beinen gegeben.

Du kannst Dir vorstellen, lieber Freund, in welche Aufregung mich dieses traurige Ereignis versetzte. Ich ging erst wieder ins Café, um einen Kognak zu trinken, denn mir war wirklich ganz elend zumute, und um mit den Freunden zu beratschlagen, was wir für Mademoiselle tun könnten. Dann begleiteten mich ein paar von den guten Leuten heim – es waren noch zwei Damen dabei –, weil sie mich in meiner Aufregung nicht allein lassen wollten. Und wie wir ins Zimmer treten – rate mal, wer sitzt da? – Meine Alte, leibhaftig! Wie gesagt, ich verzichte darauf, Dir die nun folgende zärtliche Szene zu schildern – – – es war mir nur höchst peinlich, daß so viel Zeugen dabei waren – besonders die Damen! Und was glaubst Du, wie meine gute Frau dahergekommen war? – Fräulein Milly Moosgrün hatte Deine Postkarte gelesen und darauf sofort nach Stuttgart depeschiert, ich wäre auf dem Sprung nach Monte Carlo abzudampfen, um dort in Gesellschaft eines der größten Lumpen von München – das bist Du! – den Rest meines Lotteriegewinstes durchzubringen. Darauf hatte sich meine liebe Frau selbstverständlich in den nächsten Zug nach München geworfen.

Und nun bin ich also wieder daheim und singe. Meine liebe Frau hält über mir Wache wie ein Racheengel mit einem feurigen Schwert; auch über die paar braunen Lappen, den letzten Rest unsrer Herrlichkeit, die sie noch in meinem Besitz gefunden hat. Den schönen Brillantschmuck, den ich ihr in München schon als Sühneopfer gekauft hatte und bei der Heimkehr, angeblich aus Italien, mitbringen wollte, den hat sie aus lauter sittlicher Entrüstung sofort versilbert. Und meine Korrespondenz überwacht sie auch wie ein Argus. Das ist der Grund, weshalb ich Dir nicht früher antworten konnte. – Heute finde ich endlich Gelegenheit auf der Probe, Dir zu schreiben, denn ich habe einen ganzen Akt lang nichts zu tun. Vermutlich hast Du inzwischen schon von anderer Seite beruhigende Nachrichten über Mademoiselle erhalten, so daß Dich meine Unglücksbotschaft wenigstens nicht unvorbereitet trifft. Geld kann ich Dir leider keins mehr schicken aus den oben gedachten Gründen. Übrigens glaube ich, daß wir wohl so ziemlich quitt sind: Du hast in Italien so viel verbraucht, daß ich, trotz meiner wüsten Schlemmerei und des Brillantschmuckes für meine teure Gattin, nicht mehr als Du auf meinem Konto habe, und die gestohlene Summe wollen wir uns nur auch in Freundschaft teilen. Sie wird nämlich schwerlich wiederzukriegen sein. Der Alisi hat mir berichtet, daß die Moosgrün Stein und Bein schwört, sie hätte das Geld nicht. Sie fürchte sich gar nicht vor der Polizei, man solle nur ruhig bei ihr und allen ihren Freunden Haussuchung halten und das Unterste zu oberst kehren, man werde nichts finden.

So, das ist alles, was ich Dir zu berichten habe. Und damit wäre unser schönes Abenteuer wohl zu Ende. Wenn Du mir was zu schreiben hast, so tu's unter der Adresse des Theatersekretärs Müller. Ich bin nur froh, daß meine Stimme trotz des Sumpfens nicht gelitten hat, sonst könnte mir hier die Intendanz noch wegen Vorspiegelung falscher Tatsachen einen Strick drehen. Meine Alte war wenigstens so verständig, hier nichts verlauten zu lassen von meinen Streichen; aber meiner Familie in Darmstadt hat sie alle meine Schandtaten haarklein berichtet. Kannst Dir denken, was meine lieben Tanten usw. für eine Freude gehabt haben! Ich tue Buße in Sack und Asche, wie es sich für die Fastenzeit geziemt – aber schön war's doch! Und nun sage ich Dir Lebewohl, lieber Freund. Einen so langen Brief habe ich in meinem Leben noch nicht geschrieben. Du wirst natürlich am grünen Tisch von Monako wieder einen heidenmäßigen Dusel entwickeln und neue Säcke voll Zechinen heimschleppen. Dann sei aber mal vernünftig und trag sie auf die Bank.

Dies wünscht Dir Dein stets getreuer Theodor.

P.S. Den Froh würde ich an Deiner Stelle erschießen, und das arme Mademoisellchen ... Na, tu' was du nicht lassen kannst.«

Mit derselben Post, die dieses lange Schreiben aus Stuttgart brachte, war auch ein kleines Briefchen mit dem Poststempel München eingetroffen, das Franz Xaver zunächst gar nicht beachtet hatte. Erst als er den ersten Schreck über die Münchener Katastrophe einigermaßen überwunden hatte, griff er nach dem kleinen Brief. Es war eine ungeschickte, kindische Handschrift. Und er las:

»Sehr geehrter Herr!

Kehren Sie schleunix heim das Fräulein wo Ihre dreue Geliebde ist liegd schwer krank linx der Isar im großen Krankenhaus. Und würde es ihr sehr gut anschlagen wenn Sie gleich kommen und freundlich zu ihr sein möchten. Disz schreibt Ihnen eine dreue Freundin die Ihnen alles vergibt was Sie ihr leitgetan haben.

M. M.«

Franz Xaver griff sich an den Kopf: Milly Moosgrün! Wahrhaftig, es konnte keine andere sein. Unbegreiflich! Aber er hatte jetzt weder Zeit noch Stimmung, psychologischen Rätseln nachzugrübeln, erschüttert in tiefster Seele, wie er war, von dem schrecklichen Unglück, das seine arme Biche betroffen hatte.

Er bezahlte seine Rechnung im Hotel, und damit war sein Vermögen nahezu vollständig erschöpft. Da versetzte er einige Wertstücke und löste wenigstens so viel dafür, daß er heimfahren konnte – aber nur dritter Klasse – zum Eilzug reichte es nicht hin.

Vierundzwanzig Stunden später saß er im großen Krankenhause links der Isar am Bette Nr. 47 und hielt Mademeuseles schlanke Hand in der seinen.

»Bischibischerl, mein ärmstes, mein bestes, was hast du ausgehalten – alles wegen meiner – wegen dem ekelhaften Vieh, das ich dir aufgeladen hab'! Umbringen tu' ich die Bestie, wenn ich sie derwisch'!«

Sie lächelte friedlich zu ihm empor: »Geh, nicht so bös sein, das arme Hund is unschuldig. Das Hund is jung und will springen – ich war so schwache und ungeschickte – was kann arme Hund dafür, daß ich bin hingefallen?«

»Hast recht,« sagte er, indem ihm die Tränen in die Augen traten, »auf mir allein bleibt's hängen. Kannst mir denn vergeben, du Engerl, du vielgeduldig's du?«

Da richtete sie sich mühsam ein wenig auf und blickte scheu um sich, ob die übrigen Kranken in dem Zimmer nicht etwa lauschten. Dann winkte sie Franz Xaver heran, legte den Arm um seinen Hals, zog seinen Kopf dicht heran und flüsterte ihm ins Ohr: »Du mußte nicht weinen. Du bist bei mir und du bist gut zu mir – jetzt ist alles wieder recht. Ich hatte mich nur so furchtbar sehr auf das Kind gefreut – und nun sind alle die große Schmerze für nix! Darum muß ich so traurig sein. Weißte, du lieber Mann, ich habe gedacht – aber du mußte nicht schimpfen und mir nicht auslachen, weil ich so dumm bin – ich habe gedacht, wenn ich das Kind haben werde, wirst du immer bei mir bleiben und gut zu mir sein.«

Franz Xaver vermochte nicht gleich zu antworten. Er setzte sich auf den Rand des Bettes, faßte das elend magere, leichte Körperchen um die Schultern und drückte es ganz sanft an sich. Tief holte er Atem und würgte mühsam seine Tränen hinunter, und dann flüsterte er ihr ins Ohr, hastig überstürzt, damit ihn die dummen Tränen nicht wieder erwischten: »Jetzt bleibe ich erst recht bei dir. Wenn du wieder frisch auf den Beinen bist, tanzen wir zum Standesamt.«

Da warf sie in einem einzigen Jubelschrei, der doch nur ganz leise tönte wie ein hinsterbender Seufzer erstickter Wonne, all ihr schmerzliches Leid weit von sich. Er legte sie sanft in die Kissen zurück, und da lag sie ganz still, das magere Gesichtchen selig verklärt. –

Die neue frohe Zuversicht wirkte Wunder. Nach acht Tagen konnte sie nach Hause entlassen werden – und wieder nach acht Tagen ging sie an seinem Arm zum erstenmal in ihrem Gärtchen auf und ab. – Das war an einem warmen, strahlenden Märztage. Schneeweiße Wolkenstreifen leuchteten wie frisch hingestrichen über den durchsichtig blauen Himmel – ein echter bayrischer Himmel – weit ausgespannt über die fröhliche Isarstadt. An den Obstbäumen funkelte der frische Lack dick geschwollener Knospen. Im Nachbargärtchen schlug eine Amsel, und irgendwo in der Nähe spielte jemand bei offenem Fenster die Flöte: Mendelssohns liebes Frühlingsliedchen. Derweil saß Franz Xaver mit seiner sorglich in Decken verpackten Biche auf der Veranda seiner Parterrewohnung – und sie schmiedeten Zukunftspläne.

Bisher hatten sie nicht von materiellen Dingen gesprochen; er hatte gefürchtet, sie durch das Geständnis seiner Mittellosigkeit aufzuregen. Aber einmal mußte doch davon angefangen werden. Sie hatten ja schon ihre Papiere besorgt und das Aufgebot bestellt. Er beichtete seinen ganzen sträflichen Leichtsinn, der ihn die schönen goldenen Zechinen hatte verschleudern lassen und der ihn schließlich zum Opfer des großen Molochs in Monaco gemacht hatte. »Und denk' dir,« schloß er seinen Bericht, »zu guter oder vielmehr schlimmer Letzt hat gar die Milly Moosgrün – du kennst sie ja, die kleine Kanaille – unserm dummen Balzer Theo den Streich gespielt, ihm aus Rache den berühmten Danaidentopf bis auf den Boden auszuleeren. Sie leugnet's zwar hartnäckig, aber es ist doch todsicher, daß sie's gestohlen hat. Ich hätt' ihr trotz alledem die Polizei auf den Hals gehetzt, wenn sie nicht vorsichtigerweise inzwischen mit ihrem Bräuer-Schorschel durchgebrannt wär'. Balzer meint, es müßten mindestens noch zweitausend und ein paar hundert Mark im Topf gewesen sein.«

Da lächelte Biche listig und sagte klar und bestimmt: »Dreitausendfünfhundertundachtzig Mark.«

»Woher weißt du das?«

»Weil die liebe Milly sie hat für mich gestohlen. Willst du sehen? Liegt im Schreibtisch eingesperrt in meine kleine Schmuckkastel.«

»Für dich gestohlen? Die Milly Moosgrün?!« und der Mund blieb Franz Xavern vor Erstaunen offen stehen.

»Gelt, das ist ein Überraschung!« rief Biche und lachte hell auf. »Hab' ich mich gefreut darauf, wenn du wirst erfahren. Die Milly war so gut mit mir und so furchtbar bös, weil der wüste Mensch hat alle Geld fortgeworfen für zu essen und zu saufen und für die dumme Frauenzimmer. Und wie ich hab' das Unglück gehabt mit das Froh, ist sie schnell gelaufen und hat die ganze Geld gestohlen und hat sie gleich versteckt in meine Wohnung, weil sie hat gesagt, daß die Geld mir gehör'. Hat sie all die Tiroirs und die Armoires aufgemacht und die Liebesbrief' gefunden, wo die dummen Frauenzimmer für den dicke Herr Balzer geschrieben haben. Hat sie alle verbrannt und den Asche in dem Topf gemacht, daß er sich soll den Asche für Buße auf sein Platte von die Kopf tun und die Narrenorde dazu an die Frack stecken. Hatte so sehr viel geweinte, die arme Fräulein Milly, und hatte gesagte, das wär' große Sauerei, daß alle dummen Frauenzimmer und Saufkerle sollten schöne Geld kriegen. Ich mußte annehmen für Schmerzensgeld, hatte sie gesagte.« –

So sah also die Milly Moosgrün aus, die rabiate kleine Kanaille, die ihm wegen verschmähter Liebe fürchterliche Rache geschworen hatte! Franz Xaver ging gar nachdenklich herum in der nächsten Zeit. Das wunderliche Erlebnis brachte ihn dazu, seine ganze Weltanschauung ein bißchen zu revidieren. Hatte also doch ein Stück Philistermoral in ihm gesteckt, wie es die hochwürdige Geistlichkeit in ihrer staatserhaltenden Weisheit und allgemeinen Menschenliebe so eifrig pflegt? Du lieber Himmel, der Mensch will doch wissen, woran er ist mit seinesgleichen! Er will doch eine reinliche Trennung von Gut und Böse haben, um sein Wohlwollen wie seine sittliche Entrüstung gerecht verteilen und einen geziemenden Umgang für seine werte Persönlichkeit dementsprechend wählen zu können. Der allgütige Herrgott stellt doch auch die Böcke zu seiner Linken und die Schafe zu seiner Rechten. Was wäre denn das für eine Wirtschaft, wenn man die Böcke und die Schafe nicht mehr auseinanderkennen sollte! Franz Xaver glaubte, sich das fixe Urteil nach dem einfachen Schema des gesättigten Biedermannes schon längst abgewöhnt zu haben; als Dichter meinte er schon die Menschen aus der Herrgotts-Perspektive zu schauen – nun aber gab ihm diese Milly Moosgrün einen empfindlichen Nasenstüber und sagte ihm ganz keck: du leidest an Größenwahn, mein Lieber. Tu dir in Zukunft nicht so viel auf dein durchdringendes Dichterauge zugute. Die Menschen lernt kein Mensch je kennen, nur ganz wenige einzelne. Die Moral hüpft nie auf einem Bein, oft hat sie gar mehr als zwei Füße, und jeder ihrer Schuhe hat seinen besonderen Leisten. Auch unter den Dichtern gibt's viel schlechte Schuster, mein lieber Franz Xaver!

Paßte etwa Frau Lona in das dumme Romanschema »Schlange«, weil sie einmal in ihrem Leben einer wilden Leidenschaft nachgab und dennoch auf die Versorgung ausging? Vielleicht bekam der gute, vertrauensselige Professor mit ihr immer noch mehr, als er wert war – oder vielleicht war der Professor mehr wert, als sie ahnte, und gab ihr einst so viel Liebe, daß sie die Leidenschaft nicht mehr brauchte. Jedenfalls hatte sie einmal in ihrem Leben einem würdigen Menschen das Geschenk eines stolzen Rausches gemacht – und dafür konnte ihr auch schon viel vergeben werden; denn die Räusche der Künstler bringen den anderen armen Menschenkindern Freude und Farbe in ihr graues Dasein.

Und er selbst, Franz Xaver, der König des Lebens, und Balzer Theo, dieser dicke Busenfreund, hatten sie nicht hirnverbrannt und affenschandbar gehandelt, indem sie das gute Geld in die Luft verpufften, wie nichtsnutzige Buben, die ein gefundenes Fünfgroschenstück in Schießpulver anlegen? Freilich, die Nase hatten sie sich bei dem Feuerwerk verbrannt. Und wenn sie außerdem noch jeder eine gesalzene Tracht Prügel kriegten, so geschah ihnen nur ganz recht. Irgendwie wird einem ja doch alles heimgezahlt auf Erden. Der liebe Himmelvater versteht sich schon besser auf die Gerechtigkeit als die schlechten Schuster hienieden, die Eiferpfaffen und elenden Poeten. Er schiebt das Verfahren in solchen Bagatellsachen nicht bis zum Jüngsten Tage auf. Außerdem ist die Geschichte mit den Böcken und den Schafen sicherlich eine elende Verleumdung.

Soviel an seinem Teil war, tat Franz Xaver ehrlich Buße und bedankte sich noch obendrein beim Herrgott für gnädige Strafe, denn er wußte wohl, daß er Schlimmeres verdient hatte. Er hielt fortan seinen vorlauten Schnabel ein wenig im Zaum und spielte im Café seine große Phrasengeige con sordino. Das Geldfieber hatte ihn zugerichtet wie Scharlach und Masern – jetzt schälte er sich im verborgenen und schämte sich gesund.

Und in seinen stillen Flitterwochen mit Biche schrieb er aus seiner neugewonnenen Erkenntnis heraus ein Schauspiel und ließ es auf eigene Kosten drucken. Aber es war so gut, daß niemand es aufführte. Ein idealer Direktor war so begeistert davon, daß er es annahm – er machte aber unmittelbar darauf Pleite, wie sich das in einer sittlichen Weltordnung von selbst versteht. Immerhin aber wurde Franz Xaver Meusels Name fortan in der Zunft mit Ehren genannt.

Er ging schon wieder krumm wie früher, und seine Hosen bildeten wieder unter den Knien die charakteristischen Bäusche – aber das tat seiner Schönheit in Mademoiselles Augen keinen Abbruch; ebensowenig wie die glänzenden Besprechungen seines Schauspiels sie von seiner Dichtergröße erst noch zu überzeugen brauchten. Sie liebte einmal diesen, und der gehörte ihr. Das war der Inhalt ihres Lebens. Franz Xaver machte von seiner Liebe nicht viele Worte, aber er war und blieb gut zu ihr, und darum hingen ihre treuen Hundlaugen immer mit so fröhlicher Zuversicht an ihm. Und das wußte Franz Xaver nun: Zwei solche Menschenaugen voll fragloser Hingabe und froher Zuversicht auf sich ruhen zu fühlen, das war der schönste Gewinn alles menschlichen Irrens und Strebens.


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