Ernst von Wolzogen
Der Topf der Danaiden
Ernst von Wolzogen

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Am hellen Mittag erst erwachte Franz Xaver in seiner Dachkammer. Er hatte fürchterliches Haarweh und vermochte sich zunächst über die Ereignisse des gestrigen Tages durchaus keine Rechenschaft zu geben. Er empfand nur, daß er einen wüsten, wüsten Traum geträumt haben müsse. Er hatte in der Lotterie das große Los gewonnen und das viele goldene Geld in einen alten Hut getan, und dann waren, wie eine Herde losgelassener Teufel aus der Hölle, fürchterliche Spukgestalten hinter ihm hergerannt, um ihm seinen Schatz zu entreißen: ein Bär mit einer Glatze und ein furchtbares Weib von kolossalen Dimensionen und wogenden Fettmassen hatten in wildem Cancan um ihn her getanzt, und ein moosgrüner Affe, der einen merkwürdig betäubenden Geruch ausströmte, war plötzlich mit dem alten Hut auf einen hohen Baum hinaufgeklettert, und zum Schluß hatte ihn, den Dichter selber, das ungeheure Weib mit einer Hand in hohem Bogen in einen Sumpf geschleudert, in dem er elend erstickt war.

Nun, erstickt war er nicht. Sein Atem ging, wenn auch noch ein wenig unregelmäßig, aus und ein, und auch sonst schien alles beim alten zu sein wie gestern früh. Den alten Hut sah er nicht, aber die Lodenjoppe und die alten Hosen mit dem charakteristischen Bausch unter den Knien hingen am Nagel hinter der Tür. Von dem neuen Gewand vermochte er nichts zu entdecken. Es war wohl alles nur ein Traum gewesen. Natürlich! Wie hätte er sonst in dieser elenden Dachkammer erwachen können! Wie war es doch gleich? – Richtig, die Biche war gekommen und hatte ihn geweckt, und dann hatte sie geweint, weil sie alle beide kein Geld zum Mittagessen hatten. Richtig! Richtig! – Aber die Biche war nicht mehr da. – Wahrscheinlich war sie fortgegangen, um etwas zu versetzen, und er war unterdes wieder eingeschlafen. – Au weh, der Schädel! – Was man doch für unsinniges Zeug zusammenträumt! – Geistige Menschen gewinnen doch notorisch niemals etwas in der Lotterie.

»Ach was, schlaf'n mer weiter, bis die Biche kommt.« – –

Aber es ging nicht mit dem Schlafen, der Schädel tat ihm gar zu weh. Da fuhr er mit einem raschen Entschluß aus dem Bett heraus, in der brünstigen Begier, sich ins kalte Wasser des elenden Lavoirs zu stürzen. Ja, was war denn das, hatte er denn die ganze Nacht in Hosen im Bett gelegen??! – Und was für Hosen! Neue, feine Cheviothosen, Pfeffer und Salz.

Er rieb sich die Augen, strich mit den Händen über den weichen Wollstoff – und dann griff er in die Taschen. Sein Messer war darin und sein Schubkastenschlüssel und ein zerbrochener Zahnstocher und sein altes Portemonnaie mit zwei Nickel Inhalt.

»Herrgott Sakrament! Bin ich denn ...« Franz Xaver bearbeitete seinen Schädel mit beiden Fäusten. Da entdeckte er vor und unter dem Bett am Fußende das zu den neuen Hosen gehörige Gilet und Jackett. Hastig langte er beide auf und durchsuchte in größter Aufregung die Taschen. Nichts, nichts, nichts! – Doch! – In der linken Westentasche ein Goldstück – ein einziges – eine Doppelzechine! –

Er stieß einen Seufzer aus! – Also war es doch kein Traum gewesen? – Er hatte doch auch einen Paletot gehabt. Der war nicht da, und der Hut auch nicht, weder der alte noch der neue.

Er kleidete sich in fieberhafter Eile an, und dann rief er die Wirtsfrau herbei. Die wußte nur, daß sie in aller Herrgottsfrüh über einem wüsten Spektakel auf der obersten Treppe aufgewacht war. Und einen Hut, ganz zertrampelt und zerstaubt, hätte sie als Zeugen des nächtlichen Rumors vor seiner Kammertür am Boden gefunden, und der Hauswirt hätte heute morgen schon heraufgeschickt und ihr mit Kündigung gedroht, weil sich sämtliche Mieter über die greuliche Ruhestörung beschwert hätten.

Der Hut war sein Hut, sein neuer Hut. Und Franz Xaver staubte ihn mit wütenden Schlägen aus, stülpte ihn auf und sprach dann zu dem alten Weibe: »Mutter, schafft Euch einen andern Mieter für Euer Wanzenloch. Ich fluche diesem niederen Dache – es ist zu eng, es ist zu nieder für die Expansion meines Geistes, und es hat zu oft meinen Jammer gesehen! Du wirst mich nimmer wiederschauen, ehrliche Alte; man hat mich über Nacht auf den Thron berufen, ich ziehe heute noch in mein Königreich ein. Was ich Euch schuldig bin, sollt Ihr doppelt bezahlt bekommen.«

Und mit einer theatralischen Handbewegung grüßend, wollte er sich entfernen, aber die Alte erwischte ihn beim Ärmel und hielt ihn fest:

»I glaub' gar, der Herr Meusel fangt zum Spinnen an. Zahlen's mir schon lieber einfach, was S' mir schuldig san, aber auf der Stell', sell is mir lieber, als Ihre g'schwollenen Reden, Herr Meusel.«

Er zuckte die Achsel, drückte ihr das letzte Goldstück in die Hand, und als sie hinter ihm herzeterte, das sei nicht genug, verhieß er ihr, den Rest zu zahlen, wenn er seinen Lakaien schicke, um seine elenden Habseligkeiten und seine kostbaren Manuskripte abzuholen.

Franz Xaver verfügte sich in das Hotel, in dem der Balzer Theo abgestiegen war. Er fand diesen Edlen noch im Bett; sein Schädelweh übertraf das seinige noch bei weitem. Zunächst machte der »König des Lebens« seiner gerechten Entrüstung Luft, indem er den hilflos daliegenden, wimmernden Freund mit einem Hagel scharfgeschliffener Schmähworte wegen seiner Geschmacksverrohung und schändlichen Stillosigkeit überhäufte, durch die er den ersten Tag ihrer Herrlichkeit so gründlich verdorben hätte.

»Funktioniert dein Witterungsorgan?« schrie er den Bariton an. »Mir ist, als ob ich ganz und gar in Patschuli getaucht wäre; oder irre ich mich? Dieses Fräulein Affengrün, oder wie sie hieß, besitzt eine Penetranz, die mir unangenehm ist. Wenn du mir keine bessere Gesellschaft aussuchen kannst, taugst du nicht zum Zeremonienmeister. Das muß anders werden. Es muß ein Unterschied gemacht werden zwischen einem Metzger, der in der Lotterie gewinnt, und einem Dichter, der in der Lotterie gewinnt. Ich werde fortan allein die Inszenesetzung unserer Orgien übernehmen, verstanden?«

»Tu, was du willst,« stöhnte Balzer kläglich, indem er mit blöden Äuglein zu seinem gestrengen Freund hinaufblinzelte, »ich kann dir nur sagen: das Weib war fürchterlich. Wenn ich ihr bloß meine Adress' nicht gesagt hab'!«

»Also höre, was ich beschlossen habe,« fuhr Meusel streng und finster fort: »Wir werden uns zusammen eine möblierte Wohnung mieten, bestehend aus einem gemeinsamen Salon und zwei Schlafzimmern – verstehst du, zwei Schlafzimmer! Ich weise es weit von mir, durch die Gemeinschaft mit einem Kerl, wie du bist, das Heiligtum meines Schlafes zu schänden. Wir werden nur gemeinsam unseren Schatz hüten. Es wird natürlich nicht ausbleiben, daß gierige Hände sich danach ausstrecken, also müssen wir bereit sein, ihn zu verteidigen, nötigenfalls mit unserem Leben. Es wird abwechselnd immer einer von uns die Verantwortung übernehmen und sich selbstverständlich für die betreffende Nacht zum Zölibat verpflichten. Item, wenn einer von uns allein seine Wege gehen will, so ist es ihm unbenommen, sich so skandalös aufzuführen, als es ihm beliebt; sobald wir hingegen gemeinsam drahn gehen, ist für die Wahl der Gesellschaft mein Geschmack der allein maßgebende. Deine älteren Freundinnen sind eo ipso ausgeschlossen.«

Balzer, der bereits mit öfterem mißbilligenden Grunzen die Rede seines Freundes begleitet hatte, rappelte sich mühsam in sitzende Stellung empor und schnaufte ärgerlich: »Wie kommst du zu solcher Anmaßung? Es fragt sich noch sehr, wer von uns beiden den besseren Geschmack hat. Die Greulich ist nicht maßgebend – die Greulich ist eine Ausnahmeerscheinung, übrigens ist Dickwerden noch lange keine Schand' und immer noch besser als so dürre, verhutzelte, schattenhafte ...«

»Hör' schon auf mit deinem blöden Gegeifer,« unterbrach ihn Franz Xaver energisch, »und mach' dir gefälligst den Unterschied zwischen uns klar: du bist ein ganz ordinärer Banause, dessen Gurgel zufällig so konstruiert ist, daß sie Töne hervorzubringen vermag; ein Dudelsack bist du – eine Posaune meinethalben; ich aber bin Schöpfer und Gestalter! Nur dem Zufall, daß wir einmal gleichzeitig betrunken waren, verdankst du meine Bekanntschaft und das brüderliche Du. Ein Zufall war es wiederum, der uns verbunden hat zur gemeinsamen Verjuxung unseres Gewinnes. Es wird ja im wesentlichen auch auf gemeinsame Räusche hinauslaufen; aber zwischen meinem Rausch und deinem Rausch ist ein gewaltiger Unterschied: du bedarfst dazu des Alkohols, der Alkohol ist für dich das Wesentliche und der Jammer das Unausbleibliche, hingegen für mich der Alkohol nur die Rolle eines kupplerischen Sklaven spielt und der Jammer lediglich ein unbeträchtlicher Erdenrest ist. Das Gold ist mir nur ein Mittel, um mir das Leben zu kaufen. Ich studiere das bunte Leben, ich fange es in mich ein, das ist mein Rausch – ein befruchtender Rausch, der die göttliche Schöpferkraft gebiert. Hast du mich verstanden?«

»Nee.«

»Das hab' ich mir eh' denkt. – Also, jetzt beeile dich, du feistes Ungeziefer am Götterleibe des Lebens. Richte dich einigermaßen würdig her, du sollst mit mir ausgehen und unsere Behausung wählen helfen.«

Gehorsam, als ob sich das von selbst verstünde, erhob sich der Heldenbariton und machte umständlich Toilette, während der Dichter seinen alten Hut mit dem goldenen Schatz, den der kleine Freund während der Nacht in die Kommode verschlossen halte, hervorholte und sich damit vergnügte, das Gold durcheinanderzuschaufeln und zwischen den Fingern hindurchrieseln zu lassen. Er fing auch zu zählen an, gab das aber schon nach dem ersten Hundert wieder auf und murmelte nachdenklich vor sich hin: »Hm, hm, das muß anders werden: der Maßstab ist zu kleinlich, die Form zu trivial; das Geld soll fortgeworfen werden – dazu ist es da, und darüber sind wir einig; aber wir dürfen uns selber nicht mit fortwerfen – wenigstens ich nicht! In Schönheit sollt ihr vergeudet werden, ihr köstlichen Zechinen, denn ihr sollt mir Zinsen tragen. Nur das Geld, das rollt, trägt Zinsen. Wie machen wir das? Hm, hm.« Und er simulierte weiter so vor sich hin.

Als der dicke Freund endlich fertig war, wurde der Hut mit dem Gelde wieder fortgeschlossen, und dann frühstückten die beiden zusammen im Hotel. Endlich machten sie sich auf die Wohnungssuche. Es dauerte ziemlich lange, bis sie fanden, was sie suchten, aber es glückte ihnen schließlich doch, zwei kleine, durch einen in der Mitte liegenden hübschen Salon voneinander getrennte Schlafzimmer zu finden, die recht sauber gehalten und mit einigermaßen moderner Geschmacklosigkeit möbliert waren. Die Wirtin forderte einen Preis, dessen Unverschämtheit jedem einigermaßen helläugigen Menschen auffallen mußte, und über den der praktische Hofopernsänger sich auch gebührend entrüstete; aber Franz Xaver war sofort entschlossen, die Wohnung zu mieten, weil erstens einmal ein paar gute Heliogravüren nach Böcklin und Hans Thoma im Salon hingen und zweitens auf dem Sofatisch ein edles Gefäß von apart gebauchter Form und seltenem Farbenschmelz stand. Es war zwar nur aus emailliertem Ton, aber Franz Xaver hatte sich auf den ersten Blick darein verliebt und behauptete in seiner überschwenglichen Art, daß dieses Gefäß den ganzen Raum adle, ja, daß dies Gefäß allein würdig sei, ihren Schatz von goldenen Zechinen in sich zu bergen.

Er nahm es auf, betrachtete es von allen Seiten, streichelte es zärtlich und stellte es dann feierlich wieder auf den Tisch, indem er dem dicken Theodor geheimnisvoll ins Ohr raunte: »Siehst du, mein Lieber, das ist jetzt der Topf der Danaiden.«

»Wieso? Es hat doch 'en Bodde,« versetzte jener.

»Allerdings: aber das wird uns nicht weiter stören. Wir werden immer von oben nachfüllen, und es wird immer wieder leer werden. Zeus nahte sich der Danae in Gestalt eines goldenen Regens. Wir sind die Söhne der Danae; aber unsere göttliche Zwillingsbrüderschaft soll nur so lange währen, als das Geld in diesem Topf nicht alle wird. Tritt dieser Fall ein, dann sind wir geschiedene Leute auf ewig. Bist du einverstanden mit dieser Bedingung?«

»Meinetwegen, du Narr du.«

Während dieser würdige Herr sich wieder in sein Hotel verfügte, um dort aufzupacken, die Rechnung zu begleichen und dann vermittels eines Hausdieners, der auch des Dichters paar Habseligkeiten abholen sollte, den gemeinsamen Umzug zu bewirken, blieb Franz Xaver mit seinen Gedanken im neuen Heim allein. Er ließ einheizen, lüften und die Betten frisch beziehen, und während das Dienstmädchen seine Befehle ausführte, streckte er sich lang auf der Ottomane aus und dachte nach.

»Bin ich jetzt glücklicher als vor vierundzwanzig Stunden?« fragte er sich. »Gestern früh wußte ich nicht, auf welche Weise ich heute, morgen und übermorgen meinen Hunger stillen würde, heute weiß ich, daß ich auf eine ziemliche Frist keinerlei äußere Sorge haben werde. – Da steht ein schöngeformter Topf, der eine beträchtliche Weile lang stets mit Gold gefüllt sein wird. Mit diesem Golde kann ich mir schöne Dinge kaufen, die meinen äußeren Menschen präsentabel, meine Behausung behaglich und meinen Magen satt machen. Mit dem Golde kann ich mir unterjochen, was irgend Menschliches mir nahekommt und augenblicklich kein Geld hat. Ich kann mir Ruhm, Freundschaft und Weiber kaufen. Ich kann alle meine Leidenschaften befriedigen: gut essen, gut trinken, Hasard spielen, Importen rauchen und mir Kunstgenüsse leisten – alles auf beschränkte Zeit, auf Widerruf. Bin ich nun glücklich? – Ich habe schließlich auch früher immer noch Mittel und Wege gefunden, satt zu werden: ich habe Freunde gehabt, die meine Werke lobten und meine Zeche bezahlten; ich habe ein Weib gehabt, das sich mir in herrlicher Selbstlosigkeit hingab und nicht danach fragte, ob es davon Vorteil oder eitel Leid und Schande haben werde; ich habe mir schließlich auch keine wesentlichen geistigen Genüsse zu versagen brauchen, denn ich durfte mit gescheiten Menschen verkehren und konnte aus den öffentlichen Bibliotheken geistige Dokumente aller Völker kostenlos beziehen. Was habe ich also wesentlich gewonnen durch diesen Glücksfall? Die Zinsen des kleinen Kapitals, wenn ich es wie ein braver Philister sorgfältig anlegen würde, wären keineswegs ausreichend, mir dauernd die Sorge ums tägliche Brot abzunehmen. Ihretwegen dürfte ich noch lange nicht bloß die Werke schreiben, zu denen mein Dämon mich treibt. Sie würden mir höchstens auf etwas längere Zeit einige geringere Sorgen ersparen. Also handle ich durchaus eines philosophisch veranlagten Menschen würdig, wenn ich meinen Schatz nicht im Kasten verschließe, sondern ihn vielmehr jauchzend mit dem Danaidensieb in die bodenlose Tiefe schütte, die da Rausch heißt. So handle ich weise; denn für den Künstler ist der Rausch kein Luxus, sondern eine notwendige Lebensbedingung. Der Wein, das Spiel, die Liebe, das sind nur niedere Formen des Rausches – der Machtrausch, das ist das Höhere! Ich will sehen, wie klein die Menschen sind, und über sie lachen lernen. Das allein gibt einen Kraftzuwachs, von dem man ein Leben lang zehren kann. Ich will sie heranpfeifen wie Hunde, ich will sie streicheln und ihnen schöne Worte geben, daß sie mich beseligt anwedeln, und ich will ihnen die Peitsche zeigen und sie mit Fußtritten in die Ecke treiben, und sie sollen mir demütig die Hand lecken dafür. Damit ich aber nicht schwach werde vor Ekel bei ihrem Anblick, will ich einen wirklichen Hund zu meiner Gesellschaft haben, dessen Hündischkeit ehrliche, schöne Natur ist. Ich will inbrünstig werben um die Seele eines edlen Hundes, und wenn es mir damit glückt, so habe ich mich in eine solide Versicherung auf Treue und Dankbarkeit eingekauft. Was kann mir dann die Hündischkeit der Menschen noch anhaben?«

Und er ließ sich eine Zeitungsnummer vom Tage kommen und schaute unter den Anzeigen nach verkäuflichen Hunden aus. Dann machte er sich auf den Weg, um diesen Angeboten nachzugehen.

Auf der Maximilianstraße traf er einen jungen Mann, der mit seinem Palelot bekleidet lustwandelte. Er ergriff den jungen Mann bei einem der mittleren Knöpfe und wollte ihn mit gebührender Entrüstung an die Wand werfen, als ihm dieser mit ebenso gebührender Entrüstung erklärte, daß er, Franz Xaver Meusel, ihm diesen Paletot gestern nacht zum Dank für seine Begleitung geschenkt habe. Er kaufte sich also einen neuen Paletot, bevor er auf die Hundesuche ging.

Der Balzer Theo sah seinen Freund erst am späten Abend wieder.

»Mensch, wie schaust du aus,« rief er, ehrlich erschrocken über den Anblick, der sich ihm bot, denn Franz Xaver war im Gesicht arg zerkratzt und hatte die rechte Hand dick verbunden. »Wo hast denn du herumgerauft?«

Und Franz Xaver erzählte: »Ich habe mir einen Hund gekauft, eine hochherrliche Bestie, einen echten Barsoi – du weißt, einen russischen Windhund, schneeweiß, mit einem gelben Fleck auf der Stirn. Eine Schnauze, so lang und so spitz wie ein Ameisenbär, und den prachtvollen Schweif trug er lang herabhängend bis fast auf den Boden, und nur ganz unten sanft hinaufgeschwungen. Und den Stammbaum wie ein Fürst. Ich habe ihn geradezu geschenkt bekommen, für hundert Mark. Froh habe ich ihn genannt, nach dem alten deutschen Gotte. Und da es um die Zeit der Jause war – diniert hatte ich draußen in Sendling in einem Beisel –, kehrte ich also mit ihm in eine Konditorei ein. Mein Barsoi hat die raffinierte Eleganz eines aristokratischen Dandys, dem bietet man keine Wurstschalen an. Ich ging also mit ihm in die Konditorei und ließ ihm eine Schaumtorte servieren. Es war ein Götterspaß, ihn die verschlingen zu sehen. Und dann legte er seine Vorderpranken auf den Ladentisch und prüfte mit Kennerblicken die ausgelegten Herrlichkeiten, bevor er sich entschloß, mit seiner roten, heraldischen Schlappzunge in eine Schale mit Pralinés hineinzufahren. Das Ladenfräulein wollte ihn verjagen, da warf er versehentlich etliche Kristallschüsseln herunter. Darob gab es ein großes Hallo im Lokal, und das herrliche Tier setzte in seiner Verwirrung über Tische und Stühle und den Gästen zwischen die Beine – na, male dir die Szene nach deinem Belieben möglichst dramatisch aus. Das Banausenvolk vermochte den Humor der Situation nicht zu erfassen, und mich hieß man samt meinem Froh das Lokal verlassen, nachdem ich für Zeche und Schadenersatz gegen dreißig Mark entrichtet hatte. Draußen auf der Straße sprang mein Froh davon, indem er mit lustigem Gebell seinem Vergnügen über das Abenteuer Ausdruck gab. Ich pfiff, ich rief, ich brüllte, Froh hörte nicht. Ich rannte ihm nach über die ganze Theresienwiese und erwischte ihn endlich beim Sendlinger Tor, wo er, meiner nicht achtend, sich mit einigen hündischen Gassenbuben vergnügte. Von hinten schlich ich mich an ihn heran, kriegte ihn fest am Kragen und prügelte auf ihn los. Ich mußte ihm doch begreiflich machen, daß ich fortan sein Herr sei; woher sollte er das sonst wissen? Eine Schaumtorte konnte ihm ja doch schließlich jeder hergelaufene Lackel verabreichen lassen. Froh aber, in seinem ungebrochenen Kraftgefühl, wollte nicht anerkennen, daß ich mir für hundert Mark das Recht erworben haben sollte, ihn zu mißhandeln, und darum sprang er in berechtigter Notwehr gegen mich an, verkratzte mir das Gesicht und biß mich in die Hand. Brust an Brust, Mann an Mann, haben wir gerungen, bevor er mich in die Hand biß und ich ihm einen Tritt in die Weichen versetzte; da nahm er Reißaus und ich verfügte mich zu einem Doktor, um mir die Wunde auswaschen und verbinden zu lassen. Dann fuhr ich wieder nach Sendling hinaus zu dem Mann, der mir das Prachttier verkauft hatte; denn ich meinte natürlich, Froh müßte in angeborener Hundetreue zu seinem ersten Herrn zurückgekehrt sein. Dem war aber nicht so. Dann bin ich also auf die Polizei und habe den Verlust angezeigt, und auf die Zeitungsbureaus und habe eine Belohnung ausgeschrieben – na, und darüber ist's halt Abend geworden.«

»Sei froh, daß du das Mistvieh los bist,« tröstete Balzer Theo.

Aber Franz Xaver schüttelte das Haupt und sagte: »Ich werde vielmehr alles daransetzen, das Tier wiederzubekommen. Ich will um seine Seele werben, bis ich sie bezwungen habe. Sein früherer Herr sagte mir: ›An dem wern's fei a Freid ham, der tut eh' was er mag.‹ Das imponiert mir. Da sehe ich eine Aufgabe für mich winken; diesen Stolz will ich zu meinen Füßen zwingen, und dann soll es mir eine Ehre sein, Froh meinen Freund nennen zu dürfen.«

Ohne eine Miene zu verziehen, hatte der dicke Freund der abenteuerlichen Erzählung gelauscht. Und als Franz Xaver damit fertig war, stellte er sich vor ihn in Napoleons Positur und begann also: »Jetzo sag' mer also,« – dabei blickte er finster zu ihm empor, und seine Glatze errötete – »wenn jetzt das Vieh, was Gott verhüt', wieder eingefange wird, soll des am End' hier auch mit logiere?«

»Selbstverständlich,« versetzte Franz Xaver würdevoll, »mein Hund gehört zu mir.«

»So, da willst du ihm vielleicht ein Himmelbett mit Batistwäsche und Atlasdecke herrichte lasse?«

»Das ist eine gute Idee von dir, Theo.«

»Ich bedank' mich aber! Ich mag net – ich verbitt' mir so e Gesellschaft.«

»Du verbittst dir?! Weißt, Freunder!, was die G'sellschaft betrifft, so behaupte ich, daß mein Geschmack a priori dem deinigen überlegen ist; ich erinnere dich nur an Zenzi Greulich. Mein Froh ist ein Kavalier für Prinzessinnen, und wenn mein Froh ...«

»Und ich sag' der, Freundche, ich leid' die Hundswirtschaft net. Ich will de Topf gemeinschaftlich mit dir hüte, und so gut wie der halbe Topf mein gehört, hab' ich auch in alle gemeinsame Frage die Hälft' zu sage.«

Sie kamen immer weiter ins Streiten hinein über den Hund, der vorläufig noch sozusagen in der Luft schwebte, unbekannten Aufenthaltes wie er war. Im Zorn gingen sie auseinander. Der Balzer Theo, um zu sumpfen, der Meusel Franz, um grollend das Haus und den Topf zu hüten.

Er legte sich zeitig schlafen, nachdem er vorher die schwierige Frage, wo das kostbare Danaidengefäß sicher unterzubringen sei, in wahrhaft genialer Weise gelöst hatte. Nachdem er nämlich im Wohnzimmer alle verschließbaren Schubkästen und Schranktüren geprüft und die Schlösser sämtlich gleich unzuverlässig gefunden hatte, kam er nach einigem Nachdenken auf den sinnreichen Ausweg, ihn einfach in das Nachtkastel zu stellen, wogegen das dort hingehörige untergeordnete Gefäß seinen Platz unter dem Bett erhielt. Er schlief beruhigt ein und träumte von seinem hochherrlichen Hunde.

Am anderen Morgen erhob er sich zu ungewöhnlich früher Stunde. Sein Glückskumpan schlief natürlich noch. Er hatte sich eingeriegelt. Franz Xaver ließ ihn schlafen und nahm sein Frühstück in dem gutgeheizten Wohnzimmer ein. Dann richtete er umständlich den Schreibtisch zur Arbeit her. Er wollte etwas für die Unsterblichkeit tun; aber es fiel ihm nichts ein. Sobald er draußen auf der Straße einen Hund bellen hörte, sprang er ans Fenster, um nachzuschauen, ob es nicht vielleicht Froh wäre. Und wenn es draußen schellte, lief er selbst, um zu öffnen, weil es doch vielleicht jemand sein konnte, der den Froh heimbrächte und sich die Belohnung holen wollte. Um elf Uhr hielt er es vor Ungeduld nicht mehr aus. Er weckte mit fürchterlichem Gepolter den Heldenbariton, übergab ihm den Topf zur Verwahrung, und dann ging er aus. Zunächst zum Barbier und dann mittels Droschke nach Sendling hinaus.

Der Hund war nicht da. Treue schien also nicht seine Sache zu sein. Der Biedermann, der ihm das Tier verkauft hatte, klopfte ihm gemütlich auf die Schulter und tröstete ihn freundlich: »Den krieget Se schon wieder, Herr, den b'hält Ihne ka Mensch länger, wie er grad' muß, den Streuner, den elendiglichen. Ich hab'n zwoamal von der Polizei, dreimal vom Abdecker und fünfmal von Privaten abg'holt, und a jedesmal hab' i a g'schmalzne Rechnung zahlen derfen. Des amal hat er an Kalbsbraten z'samm'g'fressen g'habt, 's andermal an neuchen Sofaüberzug z'rissen und wieder amal zwoa Gäns' und an Gockelhahn totbissen. Amal hat er an alt's Frailein auf der Gassen umg'rennt, daß's glei in a Pfützen neipatscht is mit dem Sitzteil: vor G'richt hab' i müassen z'wegen Haftpflicht und Sachbeschädigung. Des Hundsviech, des sakrische, kost mi über dreihundert Mark, des können's mir fei glauben, mei Leaber.«

»Und so eine Malefizbestie verkaufen Sie mir um hundert Mark?« begehrte Meusel lachend auf.

Aber jener erwiderte treuherzig: »No ja, was i Eahna sag': über zweihundert Mark Schaden hab' i dabei alleinig von de großen Auslagen, de wo des Viech mich kost' hat. I gib Eahna an guten Rat: schicken's den Hund auf die Ausstellung. Mit so an Stammbaum, wie der hat, können's ihm leicht um dreihundert Mark weiterverkaufen.«

Franz Xaver bedankte sich für den guten Rat, setzte sich wieder in seinen Wagen und fuhr den langen Weg zurück. Bei der Polizei wußten sie auch nichts von Froh. So kehrte er denn vorläufig betrübt nach Hause zurück. Und da war mittlerweile ein Dienstmädchen gewesen, das hatte eine Karte abgegeben von einer Dame, der ein weißer, russischer Windhund mit gelbem Abzeichen zugelaufen war. Sie hatte die Verlustanzeige im Morgenblatt gelesen, aber das Dienstmädchen hatte sich nicht getraut, das starke Tier selbst an der Leine nach der angegebenen Adresse zu führen, darum ließ die Dame sagen, daß der Herr selber kommen und den Hund abholen möchte, falls er ihn als den seinigen anerkenne. Die Visitenkarte mit der Adresse hatte das Mädchen dagelassen. Eine ganz kleine Karte war es. »Lona Gregory, geborene Manegold« stand darauf gedruckt, und darunter in violetter Tinte in zierlicher, klarer Schrift die Adresse. Es war gar nicht weit von der Behausung der Freunde, und Franz Xaver machte sich sofort zu Fuß dahin auf.

Die Dame war zu Hause. Herr Meusel wurde in einen sehr eleganten, kleinen Salon geführt und gebeten, einen Augenblick zu warten. Er erinnerte sich nicht, jemals in einem so eleganten kleinen Salon gewesen zu sein. An den Fenstern hingen Stores aus leichtesten Geweben und darüber Draperien von schweren Stoffen. Gedämpft nur drang der Wintersonnenschein herein und rührte ein schier betäubendes Farbenspiel von weichen, bunten Reflexen auf. Ein dicker Smyrnateppich bedeckte den ganzen Fußboden, und darüber waren noch vor dem kleinen koketten Sofa und vor dem Schreibtisch prächtige Felle mit Tierköpfen geworfen. In der Mitte des Zimmers stand ein verschnörkeltes Polstermöbel, ein sogenanntes dos-à-dos, wie sie damals Mode waren. Das Sofa war mit dunkelblauem Atlas bespannt und eine Menge schwellender Kissen daraufgeworfen. Der Schreibtisch war ein schöngeschweifter, blankfurnierter und mit Bronzebeschlägen verzierter Sekretär im Stil der Boulemöbel. In der Ecke zwischen dem Sekretär und dem Fenster stand ein vergoldeter Korb mit einer schönen Palme darin, und überall im Zimmer, auf kleinen Tischchen, Wandschränken und Säulen eine Menge anmutiger, kapriziöser Nippes verstreut. Die Bilder waren ausschließlich schwarzweiß, Radierungen, Stiche, Heliogravuren – Landschaften und Figürliches, meist erotisch-mythologisch.

Nachdem Franz Xaver aufmerksam die Einrichtung gemustert halte, blickte er ängstlich befangen an sich hinunter. Er war da so recht nach deutscher Bärenmanier mit Hut, Stock und Überzieher in all diese Zierlichkeit hineingetappt, und die unförmigen Wichsstiefel nahmen sich auf dem schönen Teppich vollends stillos aus. Dazu noch die mit Verbandgaze umwickelte, frostrote Tatze – nein, er paßte hier nicht hinein! Er wagte auch nicht, sich niederzusetzen, denn die dünnbeinigen Goldstühlchen, meinte er, würden sein Gewicht nicht aushalten und den Atlas des Sofas, wie den Plüsch des dos-à-dos wagte er nicht mit dem Düffel seines Ulsters oder dem Cheviot seiner Hose in Berührung zu bringen. So stand er denn immer noch steif und verlegen an der Tür, als Frau Lona Gregory, geborene Manegold, hereintrat.

»Himmelsakrament!« fühlte Franz Xaver. Es gab ihm ordentlich einen Ruck. So was war ihm noch nicht lebendig untergekommen. Ein Bild war das wie von einem der großen englischen Porträtisten zu Anfang des Jahrhunderts. Ganz plötzlich stand sie da, hingezaubert in dem weißen Türrahmen. Die Dame war kaum mittelgroß, aber ihr schlanker Wuchs ließ sie, weich umflossen von den edlen Falten eines goldbraunen Plüschgewandes, hoch und stolz erscheinen. Der mit Goldspitze besetzte steife Kragen stand zurückgebogen eine Handbreit ab von dem Rückenteil des Gewandes und bildete so einen wirkungsvollen Rahmen für den merkwürdig weißen feinen Hals. Vorn fiel das Gewand der ganzen Länge nach lose auseinander, und es kam eine Taille und ein Rock von duftigstem cremefarbenen Spitzenstoff zum Vorschein. Auch aus den weiten Ärmeln quollen diese Spitzen hervor und verbargen völlig die Hände, wenn sie die Arme hinabhängen ließ, wie eben jetzt. Das Merkwürdigste an der ganzen Erscheinung war aber der Kopf. Ein kleiner Kopf mit einem schmalen Gesicht und darauf in mächtiger Fülle fuchsrotes Haar, in dicken Zöpfen hinten aufgesteckt und vorn in lockeren Wellen tief über die Stirn gelegt. Das Gesicht war ebenso merkwürdig weiß wie der Hals; von jener unheimlichen Blässe der Rothaarigen, und auch die charakteristischen Sommersprossen fehlten nicht, deutlich bemerkbar, obwohl sie der Winter beträchtlich gebleicht haben mochte. Die schmalen, nur ganz leicht aufgeworfenen Lippen waren blutrot, die Nase ein bißchen zu groß und merklich schief, die Augen klar und grünfunkelnd, die dünnen, flachen Bogen der Brauen darüber zweifellos braun nachgefärbt. So stand die Dame auf der Schwelle und hielt ihre linke Hand in dem weißen Fell des hochherrlichen Köters Froh vergraben. Es war wirklich eine raffinierte, malerische Zusammenstellung, diese rote Nixe in goldbraunem Plüschgewand, und an ihre Seite geschmiegt dieses vornehme Rassetier mit seinem weichen, seidigen Behang und der angeborenen Noblesse der Haltung.

Franz Xaver verbeugte sich linkisch und trat einen Schritt näher, die verbundene Hand gegen seinen Hund ausstreckend: »No, da is er ja, der Ausreißer. Da gehen Sie her, Sie Lump! Seien Sie so freundlich – ja, wenn ich bitten dürfte.«

Aber Froh dachte gar nicht daran, der höflichen Lockung zu folgen. Sobald ihn die Dame losgelassen hatte, um die Tür hinter sich zuzuziehen, schlich er geduckt, mit eingezogenem Schweif, weit ausgreifend wie eine Katze, lautlos über den Teppich und verkroch sich unter dem Sekretär. Und sobald sein neuer Herr nur einen Schritt in der Richtung auf sein Versteck hin tat, streckte er den spitzen Kopf lang vor, knurrte unheimlich und fletschte bedrohlich das prachtvolle Gebiß.

»O, o, o,« sagte die Dame, »wer wird so bös sein!«

Und Franz Xaver verbeugte sich abermals und sagte lächelnd: »Ich hab' erst einen Tag die Ehre, sein Herr zu sein. Aber Sie sehen, gnädige Frau, er ist doch so freundlich, sich meiner zu erinnern, obwohl er bisher nur eine Schaumtorte und eine Tracht Prügel von mir empfangen hat. Na, wenigstens bestätigt er Ihnen mein Recht, hier als Eigentümer aufzutreten.«

Die Dame lachte und zeigte zwei Reihen weißer, kleiner Zähne:

»Ich will diesem Zeugnis Glauben schenken. Aber mir scheint, wir drei werden uns nicht so ohne weiteres auseinandersetzen können. Wollen Sie nicht ablegen, mein Herr? Es ist sehr warm hier.«

»Entschuldigen Sie nur bitte, daß ich so hereingestolpert bin ... « Der gute Mann kam ins Stottern, schaute unschlüssig um sich und ging dann zur Tür hinaus, um sich draußen seiner plumpen Überhülle zu entledigen. Dann kam er wieder herein und folgte ihrer Aufforderung, Platz zu nehmen. In seinem neuen Pfeffer-und-Salz-Anzug sah er immerhin trotz der Wichsstiefel einigermaßen möglich aus. Frau Gregory saß auf dem blauen Sofa, er ihr gegenüber auf einem niedrigen Fauteuil.

»Darf ich fragen, gnädige Frau, was er Ihnen bereits zerschlagen, zuschanden gemacht oder weggefressen hat?«

»O, noch gar nichts,« rief sie amüsiert, »er hat sich bis jetzt ganz manierlich benommen. Gestern abend, als ich vom Theater nach Hause ging, gesellte er sich zu mir, und da er absolut nicht zu bewegen war, von meiner Seite zu weichen, so nahm ich ihn mit herauf. Er sollte im Korridor schlafen, aber da fing er zu heulen an. So ließ ich ihn denn in mein Schlafzimmer, und da hat er die ganze Nacht ganz brav auf dem Ziegenfell vor meinem Bett gelegen.«

»Eine geschmackvolle Bestie,« sagte Franz Xaver und ließ seine Blicke mit naiver Bewunderung auf der merkwürdigen Frau ruhen.

»Finden Sie?« erwiderte sie und kniff kokett die Augen halb zu.

»Herrgott,« fuhr Meusel fort, »hat so ein Hund es gut – wenn er von guter Rasse ist und Geschmack hat nota bene. Was wäre ich für ein Dichter, wenn ich Hund sein dürfte!«

»O, Sie sind Dichter,« rief Frau Gregory lebhaft interessiert, »ein rechter Dichter von Amts und Berufs wegen?«

»Allerdings, ja. Wenigstens habe ich es mir bisher eingebildet. Aber ich nehme es nicht tragisch, gnädige Frau, ich bin wahrscheinlich bloß Dichter, weil ich zu etwas Ordentlichem kein Talent habe. Ich weiß ganz gut, daß ein Großkaufmann oder ein sinnreicher Erfinder oder ein wirklicher Feldherr ganz andere Werte erzeugen als unsereiner, für den alle Dinge dieser Welt, die Gedanken, wie die Erscheinungen, nur Spielzeug sind. Wir sind auch nur Kinder – wir werden nicht ernst genommen. Wir dürfen in der Gesellschaft unsere Kunststücke vorführen, und wenn wir lieb, artig und hübsch sind, dann werden wir verzogen und verhätschelt und kriegen Gutsel in den Mund gesteckt. Aber die Großen bekommen uns immer nach kurzer Zeit überdrüssig, und dann werden wir hinausgeschickt, und wenn wir schreien, werden wir verprügelt.«

Während er das sagte, verschlangen seine Augen abwechselnd die Spitze eines schmalen Lackschuhes, der vorn unter den Spitzenvolants hervortauchte, und die zarten Wölbungen, die in dem Halsausschnitt vorn sich eben andeuteten, wie sie so vorgebeugt ihm gegenüber lauschte.

Sie bemerkte es, zog den Fuß zurück und richtete den Oberkörper auf. »Das ist aber furchtbar nett, was Sie da sagen,« rief sie mit einem ganz flüchtigen Erröten. »Wissen Sie, daß Sie der erste richtige Dichter sind, den ich kennen lerne? Ich habe in einer kleinen Stadt gewohnt, und mein Mann sah nur Geschäftsfreunde und Verwandte um sich, die auch alle Geschäftsleute waren. Ich bin erst seit vier Wochen hier in München, und ich bin nur zu dem Zwecke hierher gezogen, um endlich einmal andere Menschen als immer nur Geschäftsleute kennen zu lernen. Ich habe mich immer brennend für alles interessiert, was Kunst heißt. Hier in München soll ja alles davon durchsetzt sein und überhaupt die Gesellschaft so riesig interessant – so gar nicht philiströs, so ... Ich weiß nicht, wie ich sagen soll – frei möchte ich's nennen, wenn Sie mich nicht mißverstehen wollen; denn unter frei versteht man in der engen Philisterwelt draußen unanständig.«

»Und nun sehnen sich gnädige Frau danach, das unanständige Leben kennen zu lernen?« sagte Franz Xaver leise, aber dreist.

»Ach gehen Sie, Sie sind ja bös,« lachte sie kokett. »Ich sehe, Ihnen kann man sich auch nicht anvertrauen. Es hätte mich so gefreut, einen zuverlässigen Führer und Berater hier zu finden; denn wissen Sie, ich bin entsetzlich scheu. Ich traue mich kaum, einen Schritt allein zu tun, denn ich weiß ja gar nicht, was man soll und was man darf, verstehen Sie mich?«

»Gnädige Frau sind Witwe?« fragte der Dichter statt aller Antwort.

»Nein, geschieden,« versetzte sie leise, indem sie mit ihren Fingern zu spielen begann, »seit vier Wochen bin ich endlich frei, und da bin ich gleich hierher gezogen. – Erzählen Sie mir doch etwas von München.«

Franz Xaver faßte den blassen Fuchskopf fest ins Auge und strengte sich an, die dämonische Glut eines Romanhelden in seinen Blick zu legen, als er erwiderte: »Seit vier Wochen ist München die interessanteste und glücklichste Stadt der Welt, schöne, gnädige Frau – mehr weiß ich nicht davon zu erzählen.«

Das Kompliment saß. Sie wußte nichts zu erwidern, sondern schauderte nur nervös zusammen, und dann erhob sie sich rasch, als wollte sie der gefährlichen Unterhaltung ein Ende machen. Mit einem hörbaren Seufzer erhob sich auch Franz Xaver.

Unruhig, zwecklos, mit kleinen, hastigen Schritten ging die merkwürdige Dame hin und her, faßte unschlüssig dies und jenes Möbel an, und dann kniete sie plötzlich auf den Teppich nieder und kroch auf ihren Sekretär zu. »Komm doch, du schöner Hund! Komm doch her! Vor mir wirst du dich doch nicht fürchten?« schmeichelte sie mit ihrer angenehmen, weichen Stimme, und streckte die weiße Hand, mit den Fingern schnickend, dem immer noch grollend geduckten Tier entgegen. »Wie heißt er doch?« fragte sie, zu dem Dichter hinaufschauend.

»Froh,« antwortete der. Da stand er vor dem blauen Atlassofa, rasch atmend, den Kopf zwischen die hochgezogenen Schultern geduckt und sog das wunderschöne Bild gierig in sich ein, das das auf dem Teppich kniende Weib seinen trunkenen Sinnen in Farben und Linien darbot.

Und nun schob sie ein Knie noch weiter vor und streckte den Körper lang aus, um mit der Hand den Kopf des Hundes zu erreichen. »Ei, mein Froh, mein schöner Froh,« gurrte sie zärtlich. Und das Tier kroch wirklich hervor unter dem Möbel und gab seinen schlanken Kopf der liebkosenden Hand hin.

Franz Xaver hatte kein Auge für seinen Hund. Er sah nur die zwei Handbreit von einem schlanken Bein in glattem schwarzem Seidenstrumpf, das da unter dem goldbraunen Plüsch und einem weißen Spitzensaum hervorgetaucht war. Das war mehr, als er vertragen konnte. Er trat einen Schritt vorwärts und stürzte dicht neben der Nixe auf die Knie.

»Da haben Sie Ihren Hund,« sagte Frau Lona im selben Augenblick ganz laut und klar. Sie hielt das Tier ganz fest beim Halsband gepackt und gab ihm dieses in die Hand. Und der Dichter wurde rot wie ein kleines Mädchen und stammelte etwas ganz Undeutliches, indem er den Kopf des Hundes an seine Brust drückte und alle Zärtlichkeit über ihn ausgoß, die für ein Stückchen weiter weg bestimmt war.

Währenddessen stand die Dame auf und nahm eine Haltung an, welche deutlich besagte, daß die Angelegenheit hiermit erledigt sei. Der Hund schien sich noch im unklaren zu sein, ob er das süße Getue des groben Herrn von gestern für bare Münze oder pure Heuchelei ansehen sollte. Er schaute fragend zu der schönen Dame auf – und dasselbe tat auch Franz Xaver.

Da ging die Tür zum Nebenzimmer auf, und ein etwa fünfjähriger Knabe trat über die Schwelle, machte einen mißtrauischen Bogen um den Hund herum und nestelte sich dann in das Plüschgewand der roten Frau ein. »Mama,« fragte das Kind, »nimmt der Mann den bösen Hund jetzt fort?«

»Ja, mein Herzchen, das tut er wohl,« antwortete die Mutter, »aber du mußt nicht sagen, daß der Hund böse sei; uns hat er doch nichts getan.«

»Er hat aber doch so lange Zähne gemacht, wie ich ihn pieken wollte,« sagte der Kleine weinerlich.

Da lachte Franz Xaver so laut, als hätte er nie einen besseren Witz aus Kindermund gehört. Und das Lachen kam ihm gerade recht, um seine Verlegenheit zu verbergen. »Ei, mein Prinz,« fügte er hinzu, »willst du mir nicht das Handerl geben?«

Dem Kleinen war die verbundene Tatze, die ihm der Mann entgegenstreckte, wohl unheimlich, denn er wandte sich energisch ab und verhüllte sich ganz mit dem goldbraunen Plüschgewand.

»Ein lieb's Buberl,« sagte Franz Xaver, sich erhebend und ganz gegen seine Überzeugung, denn das Kind war unzweifelhaft garstig. Die furchtbar dünnen Beinchen steckten in ausgetretenen Schlappschuhchen und halb heruntergefallenen geflickten braunen Wollstrümpfen. Sein blaues Kittelchen war recht unsauber, und auf dem kurzen Hals saß zu alledem ein kühngeschwungener Wasserkopf, mit struppigem brandrotem Haar bedeckt.

»Sie sehen,« sagte Frau Gregory, ihre beweglichen Nüstern ironisch blähend, »ich führe den Beweis meiner Unschuld immer bei mir.«

Franz Xaver lächelte verständnislos.

Sie fügte erläuternd hinzu: »Wäre ich der schuldige Teil gewesen, so hätte man mir den Jungen doch nicht gelassen.«

»Ah so,« Franz Xaver verbeugte sich linkisch. »Ein ästhetisch gebildeter Mensch würde Sie, meine gnädige Frau, auch niemals für den schuldigen Teil halten können.«

»Sie sind ja ein ganz raffinierter Schmeichler,« lachte Frau Gregory, die jetzt ihre ganze Sicherheit wiedergewonnen hatte: »ich glaube, vor Ihnen muß man sich in acht nehmen.«

Er seufzte komisch: »Ich bin ja nur ein Dichter. Ich mach' halt meine Kunststücke. – Aber jetzt muß ich mich wohl als entlassen betrachten?«

Sie zögerte ein Weilchen mit der Antwort, dann sagte sie unsicher: »Ich wollte allerdings noch ein bißchen mit dem Kinde spazieren gehen; aber ...«

Er fiel rasch ein: »Also leben Sie wohl, gnädige Frau. Diese verwickelte Faust kann ich Ihnen wohl nicht anbieten. Nehmen Sie meinen schönsten Dank für die Gastfreundschaft, die Sie meinem Froh erwiesen haben. Herrgott, wär' ich froh, wenn ich Froh wär' – nachher wüßt' ich immer, wohin ich durchbrennte, wenn ich mir zu fad würde. Pfüet di Gott, kleiner Prinz. Habe die Ehre, Gnädigste!« Damit schritt er rückwärts, den heftig widerstrebenden Hund am Halsband nachzerrend, gegen die Tür. Da fiel ihm noch etwas ein. Er versenkte die verbundene Hand mit Mühe in die Hosentasche, holte eine Anzahl Goldstücke daraus hervor und sagte, sie der Dame entgegenstreckend: »Bald hätte ich vergessen. Ich bin Ihnen ja noch die ausgeschriebene Belohnung schuldig.»

Frau Gregory wehrte lachend ab; aber ihre grünen Augen funkelten seltsam, als sie das viele Gold in der Hand dieses grobschlächtigen Gesellen sah. »Hui, Sie sind ein nobler Herr! Aber ich lasse mir so kleine Liebesdienste nicht bezahlen. Geben Sie dem Mädchen eine Kleinigkeit, wenn Sie wollen.«

Damit trat sie zu ihm, öffnete die Tür und rief in den Korridor hinaus nach dem Mädchen: »Pepi, hilf dem Herrn in den Paletot. – Warten Sie, ich werde so lang' den Hund halten.«

Der Dichter ließ sich in den Paletot helfen, und dann steckte er der Pepi eine Doppelzechine zu.

»Jessas!« rief das Mädchen schier tödlich erschrocken.

»Damit Sie meine Adresse nicht vergessen, Fräulein, falls das Viech wieder bei Ihnen vorsprechen sollte.« Er lachte der Pepi ermunternd zu, und dann nahm er der Dame den Hund wieder ab und empfahl sich endgültig.

Er hatte die Korridortür bereits geöffnet, und es war nun der Hund, der, hinausstrebend, ihn vorwärtszerrte. Aber wie er sich umwenden wollte, um die Tür hinter sich zuzuziehen, sah er, daß die schöne Dame ihm nachgegangen war. Das Büblein mit dem Wasserkopf schien das nicht dulden zu wollen. Es schrie ungebärdig und versuchte, die Mutter am Rock wieder ins Zimmer zu zerren.

»Ach, Herr Meusel,« rief Frau Gregory, »auf ein Wort noch.«

Franz Xaver machte kehrt und stand dicht vor ihr.

»Du unartiges Kind, du!« rief die Dame, sich umwendend, indem sie dem Kleinen einen derben Klaps auf die Finger gab. »Wirst du mich wohl loslassen? Pepi, nehmen Sie den Kurt mit hinein.«

Kurt schrie fürchterlich und wurde abgeführt. Und nun stand die nixenhafte Schöne, hochatmend von der kleinen Aufregung, dicht vor Franz Xaver. Der sah in dem dunklen Korridor ihre seltsamen Augen sonderbar zu ihm hinauffunkeln.

»Darf ich Sie an Stelle der versprochenen Belohnung um eine Gefälligkeit bitten?« flüsterte sie.

»Bitte, verfügen Sie über mich. Gnädigste,« versetzte er ebenso leise.

»Ich habe so viel von den berühmten Redouten im Deutschen Theater gehört. Ich habe hier zwar ein paar Bekannte, aber die gehen nicht zu so was – und ich möchte doch für mein Leben gern einmal eine richtige Münchener Redoute mitmachen. Da kommt mir eben der Gedanke – wenn Sie mich vielleicht chaperonieren möchten.« Ihr reiner warmer Atem hauchte ihn an, und ihre weiche gedämpfte Stimme umschmeichelte seine Ohren.

»Aber selbstverständlich, mit tausend Freuden, Gnädigste,« beeilte er sich zu versichern. »Gehen wir gleich Mittwoch auf den Bal paré. Um punkt zehn Uhr bin ich mit dem Wagen da und hole Sie ab. Ist's recht?«

»Danke herzlich. Ich werde mich fertig halten. Punkt zehn Uhr bin ich unten an der Tür.«

Der Korridor war so dunkel, und ihre warme Nähe so berauschend. Er konnte nicht widerstehen. »Ach süße, schöne, reizende ...« flüsterte er glühend – aber weiter kam er nicht, denn Froh vermochte seine Ungeduld, in die frische Luft zu kommen, nicht mehr zu zügeln. Er sprang an, und das gab einen Ruck, dem auch der schwere große Mann nicht widerstehen konnte. Er taumelte über die Schwelle und erwischte im Schwung glücklicherweise noch das Treppengeländer, sonst wäre er bös hinuntergekugelt.

Mit unheimlicher Geschwindigkeit beförderte ihn Froh die drei Stockwerk hinunter, und wie hingeschleudert befand er sich plötzlich auf der Straße. Auslassen durfte er um keinen Preis, sonst war er seinen stolzen Hund für etliche Zeit wieder los. Hopp, hopp, ging's über den Fahrdamm, und auf dem jenseitigen Trottoir erschien der nächste Laternenpfahl dem Froh gerade geeignet, um daran seine Visitenkarte abzugeben. Sein Herr mußte notgedrungen so lange warten, bis diese Unternehmung zu Frohs Zufriedenheit erledigt war. Unwillkürlich blickte er zu den Fenstern des dritten Stockes gegenüber hinauf. Richtig, da stand sie und nickte ihm lachend zu.

»Mistvieh, elendigliches!« konnte er sich nicht enthalten, das Tier in Begleitung eines nachdrücklichen Puffes anzuknurren: »konntst net a bissel warten?« Nichts schlimmer, als in den Augen seiner Dame komisch erscheinen – und wer weiß, ob sie den Humor für solche Situationen besaß!

Froh erwies sich durchaus ungeeignet als Hund für einen verliebten Dichter. Sein Herr hatte es sich so schön gedacht, mit diesem vierbeinigen Freunde Zwiesprache zu halten, seines Herzens Überfülle vor ihm auszuströmen, da weder der Hofopernsänger noch seine Kaffeehausfreunde ihm solchen Vertrauens würdig schienen. Froh würde nicht banausisch spotten – er mußte ja ein Verständnis für ihn haben, er, der Glückliche, der eine Nacht vor ihrem Bette hatte liegen und ihren Schlummer bewachen dürfen. Ach, wenn er sprechen könnte! – Aber, wie gesagt, Froh bewährte sich nicht. Er bewies seine edle Rasse durch eine großartige Zerstörungswut. Wenn er spielerischer Laune war, zerriß er, was ihm in den Weg kam – darunter auch mit besonderer Vorliebe die Stimmung des Dichters. Die Wirtin wollte seine Anwesenheit ebensowenig dulden wie Theodor Balzer. Gleich am ersten Tage gab's Geschrei und wüste Szenen. Froh beschmutzte den Teppich und riß die Gardinen herunter. In dem feinen Restaurant, wo die Freunde zu speisen gedachten, verbat man sich seine Anwesenheit. Und in dem großen Bierlokal, das sie infolgedessen aufzusuchen genötigt waren, eröffnete er das Verfahren damit, daß er einen Pikkolo umwarf und zwei Portionen Kalbskopf en tortue, die jenem im Sturz davongeflogen waren, vom Boden aufschleckte. – Ein gesitteter Wandel auf der Straße war gleichfalls in Frohs Gesellschaft unmöglich, denn er zerrte seinen Herrn bald vor-, bald rückwärts in unwürdig stürzender Gangart. Und in der ersten Nacht im neuen Heim schien ihn plötzlich die Sehnsucht nach Sendling oder nach Frau Lona Gregory zu überfallen – er heulte stundenlang wie ein richtiger Schloßhund.

Es ging wirklich nicht. Selbst Franz Xaver mußte das einsehen.

Da hatte er eine gute Idee: wozu war denn Biche da?! Und er machte sich am andern Tage schon frühzeitig mit Froh auf den Weg. Er fand die Mademoiselle daheim. Sie übte gerade Klavier.

»Grüß di Gott, Bischibischerl,« rief er laut und fröhlich, indem er die Tür aufstieß; »schau, was ich dir mitbring'! Das Hunderl gehört dein.«

Das Mademoisellchen stand am Klavier und blickte mit verlorenem Lächeln dem prachtvollen Tier nach, das, losgelassen, sofort in allen Ecken herumzustöbern begann, »C'est pour moi, cette bête enorme?« stammelte es ratlos.

Und er lachte gutmütig: »Ja, gell da schaugst? Ich hab' mich rein vergafft in das Tier. Aber wir passen nicht zusammen. Es ist kein Stil in der Zusammenstellung. Es paßt nur zu einer schlanken, blassen Dame in wallenden Gewändern – und darum hab' ich mir gedacht: schenkst ihn deinem Bischibischerl. Froh heißt er – da schau her. Froh, das ist jetzt dei Fraule. Ei, ei, ei, du lieb's Fraule!« Und er nahm das schmächtige Figurchen in seine Arme und drückte den dunklen Kopf gegen seine Schulter.

Da wedelte Froh liebenswürdig, und ehe die kleine Dame sich dessen versah, hatte er ihr die Vorderpfoten auf die Schullern gelegt und sie kühl übers ganze Gesicht geleckt.

Drollig erschrocken, aber ohne aufzukreischen, wehrte sie den Zudringlichen ab, während Franz Xaver eine laute Lache anschlug: »Bravo, bravissimo!« rief er ausgelassen, »ich wußt' es ja: ihr seid wie füreinander geschaffen.«

Biche rieb sich eifrig das Gesicht mit dem Handtuch ab, dann schaute sie zwischen dem Hund und dem Manne hin und her und sagte endlich ganz verzagt: »Err ist sehrr schön, ich danke dir sehrr für den Geschenk – aber was soll ich mit die grosse Hund in die kleine Zimmer? Err wirde mir alles kapute machen, und err wirde weinen, wenn ich Klavier spiele.«

Franz Xaver kraute sich hinter dem Ohr: »Ja, ja, das kann leicht sein. Anfänglich wenigstens. Aber ich sollt' meinen, er tät's gewöhnen – das Klavierspielen auch. Weißt was, Biche, ich sag' der was: du mußt heraus aus dem elenden Loch hier. Ich miete dir eine hübsche Wohnung, Parterre mit einem großen Garten daran, daß der Hund recht schön umeinanderspringen kann. Und Möbel lass' ich dir 'neinstellen, die sollen dein g'hören. And nacher komm ich euch zwei besuchen, 's große Hunderl und 's kleine Hunderl. Is' recht?«

Sie fiel ihm wortlos um den Hals, und er hudelte sie vergnügt eine Weile herum. Dann schaute er auf die Uhr und wollte Abschied nehmen, denn er hatte gar so viel zu tun jetzt.

Sie hielt ihn ängstlich fest – und dann wagte sie es endlich auszusprechen, was ihr am Herzen lag: »Du biste so gut,« sagte sie zärtlich und streichelte ihm die Backen, »ich werrde mich so freuen zu die schöne Wohnung und die Garten und die Möbels und die Hund. Werrden wir zwei Zimmer haben? – Drei! – O, drei – und ein Kuchel, daß ich kann lernen das kochen, was du gern ißt, und dann wirst du kommen, bei uns zu wohnen, n'est-ce pas? Immer su wohnen wirst du kommen bei die grosse und die kleine Hundel.«

»Wohnen, immer wohnen bei euch?« er wehrte sie ein bißchen nervös ab. »Mußt denn immer wieder davon anfangen, Bischibischerl! Ich hab' dir doch g'sagt, daß ich für alle Tag und alle Nacht keine Weibsleut' um mich leiden kann. Ihr seid's da zum Schönsein. Aber keine ist schön, wenn man's immer um sich hat. Mir graust vor der ehelichen Gemeinschaft. Der Alltag ist so brutal – besonders für euch Weiber. Das hab' ich dir doch schon tausendmal g'sagt. Also geh, laß mich aus damit. – Schau, wie du wieder herumschlampst. Warum hast denn nix Schönes kauft von dem Geld neulich?'

»J'ai payé mes dettes,« sagte sie ängstlich abgewandt.

»Ach geh! Schau, Madel,« brauste Franz Xaver unwillig auf, »mit dir ist aber scho wirklich gar nix anzufangen. Gerad' erst recht mußt dich jetzt schön machen. Ich bitt' mir's aus, daß du bissel mehr auf dich gibst. Da, hier ist noch a Geld, wenn das vorige net auslangt. – So, jetzt sei g'scheit, such' dir eine recht schöne Gartenwohnung, daß der Froh sei Freud' hat. Was kost', zahl' ich. Also pfüet di Gott, auf Wiedersehn, Bischibischerl! Laß di auch amal bei mir sehen – aber schön neu hergericht', das bitt' ich mir aus! Und gib fei Obacht, daß der Hund net durchbrennt. Servus!« Er riß ihre kalte kleine Hand rasch an seine Lippen und dann war er eins, zwei, drei draußen und die Treppe hinunter. –

Er hatte es so eilig, weil ihn der Schneider zur Anprobe bestellt hatte. Für den Bal paré am Mittwoch mußte er doch einen tadellosen Frackanzug haben, darum war gestern sein erster Gang zu einem wohlrenommierten maître tailleur gewesen, dessen ganzes Atelier er durch das Versprechen eines fürstlichen Extradouceurs in fieberhafte Tätigkeit gesetzt hatte, denn der Anzug sollte binnen drei Tagen fertig sein.

Auch sonst beschäftigte er sich von Montag bis Mittwoch fast ausschließlich mit seinem äußeren Menschen, indem er in den ersten Geschäften Stiefel, Wäsche, Krawatten, Handschuhe, alles vom Neuesten und Feinsten einkaufte. Außerdem besuchte er täglich das Dampfbad und tat noch durch Schwimmen und Hanteln ein übriges, um sich bis zum Mittwoch sein faules Fett und seinen krummen Buckel abzugewöhnen. Das alles tat derselbe Franz Xaver, der seiner Lebtage, obwohl er von guter Familie und Schick und Sauberkeit von Kindesbeinen an gewöhnt, von äußerlicher Eitelkeit gänzlich frei war und sich seit seiner Studentenschaft sogar mehr als recht in seiner Kleidung und Haltung vernachlässigt hatte. Es war ihm auch plötzlich die Gesellschaft seines Stammtisches im Café zu schlecht, und den Balzer Theo würdigte er höchstens bei den Mahlzeiten seiner Gesellschaft. Ei ja, – was nicht die Liebe tut!

Der törichte Dichtersmann war nämlich innigst durchdrungen von der Überzeugung, daß für ihn die Feierstunde der großen Leidenschaft geschlagen habe. In süßer Benebelung stieg er einher wie ein ganz grüner Jüngling, den's zum erstenmal erwischt hat. Ganz dumm und unerfahren kam er sich selber vor, und staunend analysierte er in einsamen Stunden seinen seltsamen neuen Gefühlszustand. Er hatte bisher noch für kein Weib eine Leidenschaft empfunden, die seinem inneren Menschen nahegegangen wäre. Und das Mademoisellchen – ja, mein Gott, es war eine dumme Schwäche von ihm, daß er so leicht zu rühren war! Weil er das liebe, schüchterne Ding einmal irgendwo in stimmungsvoller Dämmerung beim Kopf gekriegt und abgebusselt hatte, darum meinte es, daß es jetzt auf ewige Zeit zu ihm gehörte, und lief ihm von der Stunde an gottergeben nach wie ein armes geprügeltes Hündchen, zu dem man einmal freundlich gewesen ist. Er konnte nicht so brutal sein, sie von sich zu stoßen, besonders jetzt, wo er das Unglück angerichtet, und sie seinetwegen gar die Brücke zu ihrer Familie abgebrochen hatte. Sie konnte freilich nichts dafür, daß sie ihm nicht mehr bedeutete, aber sie durfte sich ihm auch nicht in den Weg stellen, sie durfte ihn nicht hindern in seiner freien Entwicklung. – Von der roten Lona aber versprach er sich Wunderdinge. Seine dichterische Einbildungskraft war in voller Arbeit, diese seltsame Nixe mit allen hohen und höchsten Eigenschaften einer ewig preiswürdigen Muse auszustatten. Er vergaß ganz, daß er vorläufig noch so gut wie nichts von ihren geistigen und seelischen Qualitäten wußte, und daß sie bei jener ersten Begegnung doch nur seine Sinne entzündet hatte. Die schiefe Nase und die kalkige Blässe und der Knabe mit dem Wasserkopf hinderten ihn nicht einen Augenblick, sie für ein Ideal der Schönheit, des mondänen Reizes und durchgeistigten Raffinements zu erklären.

Der Mittwoch war gekommen – der Frackanzug pünktlich zur Stelle. Der Hofopernsänger ging auch auf den Bal paré. Er sah ebenfalls sehr stattlich aus in seinem Wichs, mit den Brillantboutons in der Hemdenbrust und dem parfümierten, seidnen Kokettiertüchlein. Aber Franz Xaver im Glanze seiner neuen Lackstiefel und der übrigen funkelnagelneuen Herrlichkeiten stellte ihn doch tief in Schatten. Die Bißwunde war, dank der sorgfälligen Antiseptis, gut geheilt, so daß auch die rechte Hand wieder präsentabel erschien. Balzer Theo fuhr allein voraus, während Franz Xaver in einer zweiten Droschke Punkt zehn Uhr vor dem Hause der Erwählten hielt.

Nur wenige Minuten brauchte er zu warten, da trat sie aus der Haustür, bis an die Nasenspitze vermummt und ihr Kleid mit dem ganzen vielversprechenden froufrou hochgerafft. Sie nickte ihm flüchtig zu, und dann stieg sie raschelnd in den Wagen. Er ihr nach – und fort ging's.

Das war eine Überraschung, als sie sich in der Garderobe ihres Pelzes und ihres Koptluches entledigte und nun in ihrem außerordentlich eleganten schwarzen Domino, tief ausgeschnitten, mit Halbmaske und phantastischem Redoutenhut vor ihm stand. Das Kleid war über und über mit schwarzen Pailletten benäht und saß über der reizenden Büste prall wie eine glitzernde Schlangenhaut. Ganz lange, schwarze Musquetairs trug sie, die nur noch wenig von dem milchweißen Oberarm freiließen. Und ihr eignes üppiges Haar hatte ein phantasievoller Friseur zu einem barocken Kunstwerk aufgebaut, auf dem ganz oben, gleichfalls in schwarzer Paillettearbeit, ein paar große Schmetterlingsflügel mit langen Fühlern wippten.

Mit königlichem Anstand führte er seine stolze Schöne in den strahlenden, wimmelnden Saal hinein und machte zunächst einen feierlichen Rundgang mit ihr, der ihn in der Überzeugung bestärkte, daß seine Dame die schönste von allen sei. Dann nahmen sie in der Loge Platz, die er mit seinem Freunde zusammen gemietet hatte und überschauten zunächst einmal von oben das bunte Treiben. – Franz Xaver tanzte nicht gern und nicht gut, darum war er sehr zufrieden, daß Frau Gregory ihn vorerst nur dafür in Anspruch nahm, ihr die anwesenden bekannten Persönlichkeiten der Münchener Gesellschaft zu zeigen, die Großwürdenträger der Kunst, Musik und Literatur, die Fürstlichkeiten, Diplomaten, Großkapitalisten und anderen hohen Tiere. Auf letzterem Gebiete war Meusels Personalkenntnis freilich nicht groß, aber er blieb ihr dennoch auf keine Frage die Antwort schuldig und ernannte aus eigner Machtvollkommenheit die unbedeutendsten Sterblichen zu exotischen Gesandten, Millionären und Wirklichen Geheimräten, sowie die luftigsten Dämchen zu durchgegangenen Prinzessinnen oder Spioninnen auswärtiger Mächte und skandalberühmten Herzensbrecherinnen. Als dann ein wenig später der Heldenbariton, vorläufig noch unbeweibt, und darum ziemlich mißmutig, in der Loge erschien, stellte er ihn seiner Dame als den Herzog Theodor von Golland, und diese wiederum jenem als die Prinzessin von Trapezunt vor. Und die hohe Frau ging mit anmutigem Witz auf den Scherz ein. Balzer Theo, der gerade kein gewandter Plauderer war, zog sich dadurch geschickt aus der Affäre, daß er den schönen Domino zum Tanz aufforderte und sans façon dem Freund entführte. Franz Xaver ärgerte sich, denn seiner süßen Dame schien es in dem Gewühl so wohl zu sein, daß sie gar nicht wiederkam. Sie flog vielmehr von einem Arm in den andern und tanzte drei Rundtänze hindurch fast unausgesetzt. Da rief die Fanfare zur ersten Française, und nun verfügte sich der grollende Dichter hinunter, um sich gleichfalls in den Trubel zu stürzen und seine älteren Rechte geltend zu machen.

Zu dumm! Dieser schreckliche Heldenbariton hatte sich bereits wieder seiner Prinzessin von Trapezunt bemächtigt und dachte nicht daran, sie abzutreten. »Darfst uns vis-à-vis tanze. Geh', mach' geschwind, schaff' dir als en Domino an.«

Franz Xaver war wütend. Was gingen ihn diese dummen Weiber hier an! Er kannte keine einzige, und irgendeine herbeiholen, die sich dann vielleicht als eine Kellnerin oder Schlimmeres entpuppte und sich mit seinem Visavis elend blamieren – nein, das wollte er nicht. Da hing unversehens ein zierliches kleines Mädel an seinem Arm – kinderjung und billig, aber raffiniert angezogen. Ein Babykittel, der ihr nur wenig über die Knie reichte, ganz und gar mit großen, schwarzen Mohnblüten garniert. Und rotes Haar hatte sie auch. Das war aber eine Perücke, langgelockt, wie sie damals für Redouten im Schwange waren.

»Du, ich kenne dich, großer Dichter,« sagte der Domino mit hoher, verstellter Stimme, »du bist der Danaiderich mit dem Glückstopf, und wenn ich recht lieb zu dir bin, schenkst mir was, gelt?«

»Das letztere werde ich mir erst noch überlegen,« versetzte Franz Xaver kühl. »Vorläufig kannst einmal mit mir die Quadrille tanzen.«

»Is recht,« sagte die Kleine. Und dann traten sie in das Karree gegenüber dem Balzer Theo mit der bleichen Prinzessin von Trapezunt.

Es wurde eine tolle Française. Das Jauchzen übertönte selbst das Trompetengeschmetter – und die Tollste war Franz Xavers Tänzerin. Sie sprang wie ein Gummiball und fuhr dem erschrockenen Balzer Theo des öfteren mit ihrer Fußspitze bis dicht unter die Nase. So oft die Figuren des Tanzes Gelegenheit dazu gaben, umfaßte Franz Xaver sein schönes Visavis, so fest er konnte, und flüsterte ihr mit heißen Worten seinen Gram über die lange Trennung ins Ohr. Sie sagte gar nichts. Sie lachte nur und schritt mit wohlanständiger Korrektheit die Touren ab. Da packte den Dichter der eifersüchtige Zorn, und bei der Grande Chaine hob er seine leichte Tänzerin mit einem Schwung auf seine Schulter und leistete sich ein Solo inmitten dieses kreischenden, jauchzenden Durcheinanders. Und zum Schluß faßte er sie fest unter den Armen und kreiselte sie in der Luft herum. Nun war's aus, und die Paare stoben auseinander. Da setzte er das Mädel auf das blanke Parkett und gab ihm einen Stoß, daß es dem Balzer Theo geradeswegs an die Brust flog. »Changement des dames!« kommandierte er grimmig und bemächtigte sich ohne weiteres seiner Erkorenen.

Er führte sie in die Loge hinauf und bestellte ein Souper, sowie fünf Flaschen Pommery. Bald darauf erschien auch der Hofopernsänger mit dem kleinen Racker in schwarzen Mohnblüten, und der vollführte alsbald ein solches Hallo, daß sich der Loge die allgemeine Aufmerksamkeit zuwandte und allmählich immer mehr bekannte Herren und unbekannte Dominos dort vorsprachen, um auch etwas von der ausgelassenen Stimmung und dem echten Champagner zu profitieren. Natürlich war das Gerücht von dem Lotteriegewinn des verbummelten Genies Franz Xaver Meusel bereits in dem ganzen literarisch-künstlerischen München herumgekommen und gab Anknüpfung genug für die zahlreichen Besuche. Der hochelegante Domino an der Seite des Dichters erregte allgemeine Bewunderung und nicht geringe Neugier. Aber Franz Xaver war die Diskretion selbst und blieb bei der Prinzessin von Trapezunt. Die Dame war auch nicht zu bewegen, ihre Maske zu lüften, ebensowenig wie das tolle Ding in Mohnblüten.

Der Sekt floß in Strömen. Die Augen blitzten, das Blut erhitzte sich. Der Balzer Theo hatte die Kleine auf seinen Schoß gezogen und fütterte die Widerstrebende mit Austern und Küssen. Er schwamm bereits in Seligkeit. Franz Xaver und seine Erwählte waren bald die einzig Nüchternen in der ausgelassenen Gesellschaft. Ihm vermochte der Alkohol nichts anzuhaben, denn er war berauscht von trunkener Leidenschaft, und sie war zuviel Dame, um sich gar so schnell dem zügellosen Taumel hinzugeben. – Sie bezeigte Lust, sich ein wenig Bewegung zu machen, und da führte er sie aus der Loge heraus, um sich das bunte Treiben auf den Treppen, in den Foyers und in den dämmerigen Winkeln anzusehen.

»Was ist denn das für eine wilde Hummel, die Kleine in dem kurzen Kleidchen?« erkundigte sich Frau Lona eifrig, sobald sie draußen auf dem Gang waren.

»Keine Ahnung, ist mir so zugeflogen,« versetzte er leichthin.

»Das glaube ich dir nicht, mein werter Kavalier, so wie du mit ihr umgegangen bist.«

»Also Ehrenwort, ich kenne das Mädel nicht. Aber es hat Stil in seiner Art, was? Und man muß jedes nach seiner Art nehmen, das ist Fasching.«

Sie drückte seinen Arm ein wenig fester: »Ich kann mich noch gar nicht recht hineinfinden; das ist alles so neu. Ich bin ganz betäubt. Ich bin wohl recht langweilig, wie?«

»Du bist du und darum – bete ich dich an!« flüsterte er ihr rasch ins Ohr.

Sie entgegnete nichts, aber ein Schauder flog über ihren Leib, und sie senkte verwirrt den Kopf. Da küßte er sie rasch auf den weißen Nacken. Sie fuhr empor und lachte nervös: »O, mein Herr – ist das auch nur eine Stilübung?«

»Schau um dich,« sagte er. Und wirklich, wohin sie blickte, an allen den Tischen saßen Pärchen in zärtlicher Umschlingung, und überall ein Küssen und Kosen vor aller Augen zum Klingen der Gläser, zum Kichern und Lachen, als ob das so sein müßte. Sie feierten das Fest der Jugend und der Schönheit. Bacchus und Venus waren die Heiligen des Tages – und die Mütter sahen's nicht.

Der Tanz begann von neuem. Verwegen stürzte sich auch Franz Xaver mit seiner Schönen in das Gewühl. Was kam es darauf an, daß er nicht tanzen konnte. Das Gedränge entschuldigte jede Ungeschicklichkeit, und die Hauptsache war doch, daß er sie festhalten und an sich pressen und ihr in den Atempausen süße Dinge zuflüstern konnte. Es kamen wieder andere Herren, bekannte und unbekannte. In Scharen drängten sie sich um die geheimnisvolle Schöne, und sie sah Franz Xaver mit ihren unheimlichen, grünen Augen bittend an und hauchte: »Sei nicht böse. Laß mich tanzen. Ich muß mich berauschen. Habe keine Furcht, für heute bin ich dein – ganz allein dein.« Und fort war sie.

Erst bei der letzten Quadrille fand sie sich wieder zu ihm. Wie im Traum, mit halbgeschlossenen Lidern und durstig geöffneten Lippen, glitt sie biegsam einher und wiegte sich im Takte und schmiegte sich rasch atmend eng an seine Brust.

Dann war es aus für heute, und er brachte sie in der Droschke nach Hause. Er schloß ihr das Haustor auf.

»O du, ich habe vergessen: hast du Wachsstreichkerzen bei dir?« flüsterte sie, nachdem sie ihm bereits gute Nacht gesagt hatte.

Und er: »Gewiß. Warte, ich will dir leuchten.«

»Laß mich doch allein ... es war doch so schön. Du mußt jetzt gehen.« Aber er stand schon auf der Treppe, entzündete das Kerzchen und stieg, ihr vorankeuchend, hinauf. Sie blieb dicht hinter ihm. Er hörte ihren Atem keuchen. Und als sie, oben angelangt, mit zitternder Hand die Korridortür aufgeschlossen hatte, da war das Lichtlein ausgebrannt. Und er fühlte plötzlich ihre Lippen gierigheiß auf den seinen brennen, und ihre Arme krochen über seinen Rücken wie Schlangen.


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