Ernst von Wolzogen
Das Mädchen mit den Schwänen
Ernst von Wolzogen

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Die Sühne der großen Stunde

Am Freitag, dem 24. Juli 1914 kehrte der Kaufmann Hermann Merker zu ungewöhnlich früher Nachmittagsstunde in seine Wohnung in der Mommsenstraße zurück.

Seine Gattin, die rothaarige Frau Ulla, hörte ihn aus dem Korridor in sein Arbeitszimmer treten und öffnete neugierig die Tür. Ihr kleines, überaus modern eingerichtetes Wohnzimmerchen lag neben dem des Gatten.

»Was, schon zurück? Aufregende Nachrichten? Hat Serbien das österreichische Ultimatum beantwortet?«

Hermann Merker, ein stramm aufrechter, hochgewachsener Mann von vierundsechzig Jahren, der seinen Bart noch nach der Weise des alten Kaisers Wilhelm trug, stand in der Mitte seines Zimmers und trocknete den Schweiß von seinem kahlen Haupte:

»Ich weiß nicht,« erwiderte er, offenbar zerstreut: »Ich habe das Erscheinen des Telegramms nicht abgewartet.«

»Mein Gott, worüber hast du dich denn so alteriert? Schlechte Nachrichten aus Rußland?«

»Auch das, ja,« sagte der Gatte.

Er steckte sein Taschentuch ein, und Frau Ulla sah, wie seine schmalen Lippen vor Aufregung bebten. Er trat dicht vor sie hin, und der Widerschein eines großen Schmerzes zuckte deutlich über sein gütiges Gesicht, als er gedämpften Tones die Frage an sie richtete:

»Ist Fritz zu Hause?«

»Nein, der ist in sein Café gegangen, soviel ich weiß. Was willst du von ihm?« Die überblasse und überschlanke kleine Dame schlug mit ängstlicher Frage ihre braunen Augen zu ihm auf. »So sag' doch nur um Gottes willen, was passiert ist.«

»Daß ich solche Schande in meiner Familie erleben muß!« stöhnte der große Mann, indem er sich schwer in den Sessel vor seinem Schreibtisch fallen ließ. »Ich war heute nachmittag bei der Frau Oberstleutnant Lindner; du wirst dich erinnern, ich habe dir wohl davon erzählt, daß unsere Buchhalterin, die Herta Lindner, schon seit fünf Wochen wegen Krankheit beurlaubt ist.«

»Ja, ja, was fehlt ihr denn?«

»Das war mir eben auch nicht recht klar aus ihren Nachrichten, und deshalb ging ich heute hin, um selbst bei der Mutter nachzufragen. Die arme Frau wollte erst nicht mit der Sprache heraus; dann fing sie an zu weinen, und wie ich ihr zuredete, sie möchte sich mir doch anvertrauen, mir, dem alten Kriegskameraden ihres Mannes, der ihr doch immer bereitwillig in ihren schweren Prüfungen beigestanden habe, da kam die Wahrheit ans Licht: die Herta sieht ihrer Niederkunft entgegen.«

Frau Ulla vermochte ein schadenfrohes Lächeln nicht ganz zu unterdrücken.

»Sieh, sieh – der Tugendspiegel! Da zeigt sich deine Menschenkenntnis mal wieder ...«

»Meine Menschenkenntnis hat mich durchaus nicht betrogen,« fuhr ihr der alte Herr erregt ins Wort. »Fällt mir gar nicht ein, dem armen Mädchen einen Vorwurf daraus zu machen, daß es sich von den Versprechungen eines Schuftes hat verlocken lassen. – Aber daß dieser Schuft unser Sohn ...«

Die Aufregung erwürgte ihm das Wort in der Kehle. Er faßte seinen Kopf fest zwischen die geballten Fäuste.

Frau Ulla war zusammengefahren. Sie begann erregt im Zimmer auf und ab zu gehen, und dabei machten sich ihre weißen Finger nervös an der koketten Frisur zu schaffen: »Eine nette Suppe hat er sich da eingebrockt, der dumme Junge,« sagte sie endlich stehenbleibend, ohne den Gatten anzuschauen. »Ich kann mir nicht denken, daß er ihr wirklich die Ehe versprochen haben sollte.«

»Das steht fest,« sagte Merker, sich finster nach ihr umblickend. »Die Herta hat es ihrer Mutter anvertraut und sie noch beschworen, es uns gegenüber nicht zu verraten.«

»Na ja, so sagt sie,« warf Frau Ulla achselzuckend hin. »Wir willen doch jedenfalls erst mal hören, was Fritz dazu zu sagen hat.«

»Dem Fritz traue ich jede Lüge zu, der Herta Lindner nicht. Sie arbeitet seit zwei Jahren bei mir; ich kenne sie als absolut zuverlässiges Mädchen, und ich kenne vor allem die Lindners und ihre Art.«

»Und ich kenne deine Art,« fuhr Frau Ulla scharf auf. »Deine geliebten Veteranen von Siebzig sind natürlich in deinen Augen eo ipso goldechte Ehrenmänner und färben auf ihre ganze Familie ab. Aber du hast mir doch selbst erzählt von den dummen Streichen des jungen Lindner, der damals nach Amerika abgeschoben wurde. Der Leichtsinn scheint also doch diesen Kindern im Blute zu sitzen.«

»Mein Gott, wenn ein junger Leutnant in einer langweiligen Grenzgarnison leichtsinnige Schulden macht, deshalb braucht er noch lange kein schlechter Mensch zu sein.«

Herr Merker sprang auf die Füße und begann nun seinerseits unwillig auf und ab zu schreiten.

»So?« versetzte seine Frau, indem sie die vollen roten Lippen aufwarf, »aber deinen Sohn verurteilst du ungehört!«

»Ich dächte, ich hätte Grund genug, dem Bengel nichts Gutes zuzutrauen,« entgegnete der alte Herr, dicht vor ihr stehenbleibend. »Was hat er denn bisher geleistet, unser Herr Fritz? Mit neunzehn Jahren zweimal durchs Einjährige gefallen?«

Er lachte bitter auf.

»Natürlich,« höhnte seine Gattin, »jetzt wird das Kapitel wieder aufgeschlagen! Als ob der geistige und der moralische Wert eines jungen Mannes von so einem dummen Examen abhinge! Du hast ja nie sehen wollen, was in Fritz steckt, weil er sich auf der Schule vernachlässigt hat, weil er zum Kaufmann keine Lust hatte, weil er dieses unmögliche Russisch nicht in seinen Kopf hinein brachte, darum ist er in deinen Augen ein Idiot und ein Taugenichts. Daß maßgebende Leute von feinstem ästhetischen Urteil in ihm eine ganz ungewöhnliche Begabung sehen, imponiert dir natürlich nicht!«

»Nein,« versetzte Merker, sich zur Ruhe zwingend. »Das imponiert mir tatsächlich nicht, weil deine angeblich maßgebenden Leute lauter verstiegene Frauenzimmer und unreife Jünglinge sind.«

»Und unter die verstiegenen Frauenzimmer rechnest du natürlich in erster Reihe auch mich.«

Frau Ullas Nixenaugen funkelten den Gatten herausfordernd an.

Er legte ihr im Vorbeigehen leicht die Hand auf die Schulter und sagte:

»Liebes Kind, wir willen das alles jetzt beiseite lassen. Ich gönne dir den Stolz auf Fritzens Geschreibsel; ich verstehe es nicht – wahrscheinlich ist es zu hoch für mich. Wir wollen jetzt bei der Frage bleiben, wie Fritz sein Unrecht gutmachen soll.«

Frau Ulla setzte sich in den nächsten Klubsessel, schlug die Beine übereinander und wippte aufgeregt mit dem zierlichen kleinen Fuß. Sie dachte ein Weilchen nach, und dann sagte sie ärgerlich: »Das wird dich eine Masse Geld kosten.«

Der Gatte tat zwei heftige Schritte auf seine Frau zu und rief: »Was willst du damit ...?« Er hielt inne und schluckte seinen Zorn hinunter, bevor er ruhiger fortfuhr: »Ich weiß wohl, was du damit sagen willst. Du irrst dich in den Lindners – du irrst dich auch in mir. Fritz wird entweder seine Pflicht tun oder – ich jage ihn aus dem Hause.«

»Hermann, bist du toll?« rief Frau Ulla, die Händchen zusammenschlagend. »Du denkst doch nicht im Ernst daran, daß Fritz dieses Mädchen heiraten sollte!«

»Daran denke ich in vollstem Ernst, und es wäre geradezu ein Glück für ihn, wenn sie ihn nähme.«

»Du bist ja ... Ein solches Mädchen, das nichts ist und nichts hat, aus einer heruntergekommenen Familie – außerdem noch älter als er! Sie ist doch mindestens fünfundzwanzig!«

»Ach was, zwanzig ist sie; aber ein reifer, durchaus zuverlässiger Charakter. Wenn sie Einfluß über den Windbeutel gewinnt, kann sie vielleicht noch etwas aus ihm machen; an ihrer Familie ist so wenig auszusetzen wie an ihrer Person. Ihr leichtsinniger Bruder büßt in Amerika durch harte Arbeit redlich ab, was er hier gesündigt hat. Was würdest du denn sagen, wenn ein Mann sich weigern wollte, unsere Sonja zu heiraten, weil ihr Bruder ein fauler, nichtsnutziger Schlingel ist?«

»Aber das ist ja doch alles Wahnsinn!« ereiferte sich Frau Ulla. »Ein neunzehnjähriger Ehemann – undenkbar!«

Merker zuckte die Achseln: »Wenn er sich hier vor der Lächerlichkeit fürchtet, soll er sich irgendwo im Ausland verstecken und dort mit Hilfe seiner Frau was Ordentliches werden. Jedenfalls dulde ich nicht, daß mein Sohn ...«

»Na ja, da wären wir ja wieder so weit!« rief Frau Ulla, indem sie auf die Füße sprang und erregt der Tür zuschritt. »Du duldest nicht! Die Tyrannenmiene wird aufgesetzt, an die Ehrenbrust wird geschlagen, daß die Orden und Medaillen von 70/71 klirren. Das ist die wahre Höhe! Damit wird jede Vernunft niedergedonnert!«

Sie legte die Hand auf die Klinke, um sich den effektvollen Abgang zu sichern, ehe er ihr erwidern konnte.

Doch bevor sie draußen war, ging die Tür nach dem Korridor auf und herein trat Fritz Merker.

»Wißt ihr's schon?« rief der junge Mann, indem er die Tür hinter sich ins Schloß drückte: »Die Serben haben das Ultimatum Österreichs angeblich unbefriedigend beantwortet, der Kriegsfall ist gegeben und Mobilmachung befohlen. Eine Menge von Hurraschreiern demonstrierte bereits vor der österreichischen Botschaft.«

Er warf sich in den Klubsessel, in dem eben noch seine Mutter gesessen hatte, und ließ ein ironisches Lächeln um seine Lippen spielen.

Ein hübscher Bursche war der junge Merker; an Größe seinem Vater, an Zierlichkeit des Wuchses und in den Zügen seiner Mutter ähnlich. Sein dunkelblondes Haar hatte von ihr auch einen rötlichen Schimmer abbekommen, und durch die Erregung des raschen Laufes war auch die krankhafte Blässe seiner Haut nicht so auffallend wie gewöhnlich. Er trug einen sehr eleganten hellgrauen Sommeranzug mit weichem Kragen und hatte seinen jugendlichen Flaum sorgfältig rasiert, um vorschriftsmäßig amerikanisch auszusehen.

Aber der ergrimmte Vater hatte jetzt kein Auge für diese äußeren Vorzüge. Er trat dicht vor ihn hin, sah ihn scharf an und sagte, sich mühsam zur Ruhe zwingend:

»Du scheinst mir keine rechte Vorstellung von dem Ernst der Lage zu haben. Du weißt doch, was für Versprechungen der kürzlich verstorbene russische Gesandte der serbischen Regierung gemacht hat; wenn Rußland jetzt zu Serbien hält – und ich weiß von meinen russischen Geschäftsfreunden, daß es schon lange in der Stille rüstet –, dann ist für uns der Bündnisfall gegeben. Und wenn Rußland losschlägt, ist der Weltkrieg da. Und da du das Einjährige vor lauter Genialität zu machen verschmäht hast, so wirst du wohl als Gemeiner mitmüssen.«

Die Drohung schien ihren Eindruck auf den jungen Mann gänzlich zu verfehlen. Er lachte ganz vergnügt und rief:

»Nee, Vater, bangemachen gilt nicht! Es wird, wie gewöhnlich, alles wieder im Sand verlaufen. England und Frankreich werden diplomatisch eingreifen, und die rote Internationale wird es den betreffenden Staatsoberhäuptern schon begreiflich machen, daß sie nicht gekommen sei, einen Weltkrieg aus Rache für einen österreichischen Erzherzog zuzulassen.«

»Jawohl,« höhnte der Vater scharf; »die Staatsoberhäupter werden gerade die Herren Genossen fragen, ob sie losschlagen dürfen oder nicht! Wenn du eine Ahnung hättest, was für Kräfte tatsächlich die Welt bewegen, so würdest du nicht solch dummes Zeug schwatzen. Wenn es jetzt zum Kriege kommt, so handelt es sich um den Neid sämtlicher Großmächte, die Deutschland sein wirtschaftliches Übergewicht nicht gönnen wollen. Es kommt einzig darauf an, ob unsere Neider sich kriegsbereit fühlen. Wenn ja, dann fliegen die Minen auf, die König Eduard rings um Deutschland gelegt hat. Übrigens bin ich gerade nicht in der Stimmung, dir politisches Verständnis beizubringen; ich habe eine ganz andere Rechnung mit dir zu begleichen ... Du kommst mir eben recht.«

Fritz zuckte kaum merklich zusammen und richtete einen scheuen Blick auf seine Mutter, die weiter ins Zimmer hineingetreten war und, aufgeregt ihre Unterlippe mit den weißen Zähnen nagend, sich bereit machte, ihrem Liebling beizustehen.

»Du weißt vermutlich, wie es mit Fräulein Lindner steht.«

»Nee, keine Ahnung,« leugnete Fritz frech. »Ich war da, sooft du m ich hingeschickt hast, und ich habe dir doch gesagt, was ich für Auskunft bekommen habe. Was soll ich denn sonst noch wissen?«

Wieder warf er einen verstohlenen Blick nach seiner Mutter hinüber, und da diese den Kopf schüttelte, merkte er wohl, daß ihm sein Leugnen nichts mehr helfen werde. Er wurde rot und duckte sich verlegen in seinem weichen Sessel zusammen.

»Du lügst!« herrschte ihn der Vater gedämpften Tones an. »Du hast das Mädchen verführt, du hast ihr die Ehe versprochen – und ich werde dafür sorgen, daß du dein Wort hältst.«

»Darüber wird wohl noch zu reden sein,« wollte sich Frau Ulla einmischen.

Aber der alte Merker reckte sich straff empor und sagte in einem Ton, der jede Widerrede abschnitt: »Ich lasse in diesem Punkte nicht mit mir spaßen, ich lasse mir auch nichts abhandeln. Was ich gesagt habe, dabei bleibt's. Frage deine Mutter. Wenn du dich weigerst, deine Pflicht zu tun, sind wir geschiedene Leute.«

Fritz Merker war der Schreck dermaßen in die Glieder gefahren, daß er kein Wort der Erwiderung fand. Seine Mutter trat zu ihm und strich ihm begütigend über den Scheitel.

»Komm, mein Junge,« sagte sie, »dein Vater ist jetzt zu aufgeregt, als daß man ein vernünftiges Wort mit ihm sprechen könnte. Aber wir wollen in Ruhe überlegen.« Sie stützte ihn unter der Schulter, und er raffte sich, am ganzen Körper zitternd, aus dem Sessel empor und ließ sich von ihr fortziehen.

Erst an der Tür ihres Zimmers schwang er sich dazu auf, seinem Vater ins Gesicht zu sehen und die verzweifelte Frage zu stammeln: »Hat sie dir das selbst gesagt?«

»Nein,« erwiderte der alte Herr. »Ihre Mutter hat mir's gesagt.«

»Aber es ist doch nicht wahr,« keuchte Fritz, die Hände gegen den Vater ringend. »Wie konnte die Mutter so etwas behaupten! Herta weiß doch, daß ich nicht ans Heiraten denken kann. So war's doch nicht gemeint. Wenn man jahraus, jahrein in einem Kontor zusammen arbeitet ... man wird eben allmählich intimer ... Herrgott, das ist doch kein Verbrechen! So ein Mädchen will doch auch was vom Leben haben! Wenn die Mutter jetzt so etwas behauptet, dann stecken die beiden unter einer Decke – dann haben sie es darauf abgesehen, mich hineinzulegen. Das ist eine Gemeinheit!«

Der Vater trat dicht vor Fritz hin: »Eine Gemeinheit ist es, wenn du dich jetzt herauslügen willst. Also antworte klipp und klar auf Ehrenwort: Hast du ihr die Ehe versprochen oder nicht?«

Fritz wandt sich unter dem strengen Blick des Vaters und stammelte verwirrt: »Weiß ich doch nicht! Was sagt man nicht alles im Rausch der Sinne. Sie weiß auch, daß ich abhängig bin, daß ich noch lange nicht ans Heiraten denken kann – ich denke auch nicht daran, fällt mir gar nicht ein! Sie ist doch keine dumme Gans; sie weiß doch auch, woran sie mit einem jungen Menschen wie mir ist. Das hat mir nur die Mutter eingebrockt!«

»Das ist meine Meinung auch,« kam ihm Frau Ulla zu Hilfe. Und dann wendete sie sich in flammender Entrüstung gegen den Gatten: »Du kannst unmöglich so unverantwortlich gegen dein Kind handeln und dich mit diesen Leuten zu einer solch unsinnigen Gewalttat verbünden. Ein abgekartetes Spiel ist das, und auf dein Geld haben es diese Weiber abgesehen. Du scheinst wirklich nicht mehr zu wissen, wie es in der Welt zugeht.«

Herr Merker nahm seine ganze Kraft zusammen, um nicht laut und grob zu werden. Mit einem schmerzlichen Lächeln versetzte er: »Jedenfalls weiß ich jetzt, wie es um euch beide und um eure Gesinnung steht. Laßt mich jetzt allein; für heute habe ich genug – Familienfreuden genossen.«

Er wendete den beiden den Rücken, und Mutter und Sohn waren froh, seinem Grimme zu entkommen.


DREI Tage später steckte Fritz Merker seinen Blondkopf zur Tür des Musikzimmers hinein, als gerade eine Pause in dem Geigenduett eintrat, das seine Schwester Sonja mit ihrem Lehrer, Stanislaus Morgitzky, spielte.

»Darf man hinein?« fragte er, verschmitzt lächelnd. Seinem knabenhaften Gesicht merkte man nichts mehr an von dem großen Sturm, den er am 24. Juli auszustehen gehabt hatte. Das Gewitter schien für diesmal vorübergegangen zu sein, ohne einzuschlagen. Das elastische Fritzchen plätscherte wieder munter in seinem ästhetischen und sozialistischen Weltanschauungsgewässern herum, als ob nichts Besonderes vorgefallen wäre.

»Haben Sie eine Papyros für mich, Stanislaus?« redete er den polnischen Geigenmeister freundschaftlich an, indem er ihm zur Begrüßung die Hand auf die Schulter legte.

»Aber gewiß, mit Vergnügen,« entgegnete der Pole, legte sein Instrument beiseite und holte aus der Brusttasche sein schwer silbernes, mit einem goldenen Monogramm verziertes Zigarettenetui hervor. Er steckte sich bei der Gelegenheit gleichfalls eine russische Papyros an und auch Sonja war gerne zum Mittun bereit.

»Na, wie weit seid ihr denn, ihr beiden?« begann Fritz die Unterhaltung, indem er listig ein Auge zukniff und seine Blicke zwischen seinem blonden Schwesterchen und dem schwarzen, elegant gewachsenen Polen hin und her spielen ließ, der zwar keineswegs eine männliche Schönheit war, aber mit seinen feurigen schwarzen Augen immerhin einen gefährlichen Spielkameraden für Frauen abgeben mochte.

Sonja schlug mit dem Taschentuch nach dem Bruder, und der Geiger zog die dichten Brauen hoch und sagte mit einem zärtlichen Seitenblick auf das junge Mädchen: »Bitte, wie meinen Sie das, kleiner Schuft?«

O, selbstverständlich meine ich nur, wie weit ihr in eurem – Studium seid.«

»Ach so,« lachte der Pole. »Danke, es geht; sie macht Fortschritte, große Fortschritte, die liebe kleine Sonja.«

Sonja errötete flüchtig. Siebzehn Jahre war das ganze Mädchen erst, aber ihr blasses, nervös bewegliches Charaktergesicht war bereits so wissend, so leidenschaftlich, das jeder Kenner der Berliner Weiblichkeit daraus ohne weiteres schließen konnte, daß an diesem überschlanken Kinde nur der äußere Wuchs unfertig sei.

»Du bist nur gekommen, um dich nach meinen Fortschritten zu erkundigen?« sagte sie mit einem kampflustigen Zucken um das üppige Mündchen. »Wir haben keine Zeit zum Schwatzen, und allzu große Pausen fallen der Frau Mama regelmäßig auf. Sie wird gleich erscheinen. Also: Attacca, maestro!«

»Brauchst keine Bange zu haben, Kleines,« sprach Fritz gönnerhaft.

»Mama ist shopping gegangen, und der Alte hat auf der Bank zu tun. Darum erlaube ich mir, euer Duett zu stören. Wißt ihr, wo ich herkomme?«

»Wo du immer herkommst,« sagte Sonja schnippisch: »aus dem Café.«

»Doch nicht, ich komme geradeswegs von Frau Oberstleutnant Lindner und Fräulein Tochter. Papa hat mich zum Kontor aus hingeschleift.«

Jetzt war Sonja ganz Neugier.

»Au weh! Na, wie ist es denn ausgegangen?«

Auch Morgitzky war offenbar eingeweiht in die peinliche Familienangelegenheit und setzte sich, ganz Ohr, zu den Geschwistern.

»Nu, wie ich vorausgesehen hatte,« begann der junge Mann zu erzählen. »Die Herta ist ein Prachtmädel, hat mir Ehre gemacht. Was sie getan hätte, das hätte sie nur aus Liebe getan und sie wäre wohl nicht so eine, die sich aus Spekulation hingäbe. Die Mutter lamentierte natürlich gehörig, und der Alte redete seine beliebten großen Töne, aber Herta blieb fest: sie dankte dafür, par ordre de Moufti geheiratet zu werden. Feines Mädel, was? Beide Hände habe ich ihr geküßt. Der Alte hat sich natürlich mächtig gebost, daß er als blamierter Mitteleuropäer abziehen mußte. Sein Geld kostet's ja doch, denn als alter Kriegskamerad des Vaters Lindner wird er natürlich das Mädel nicht im Stiche lassen.«

»Na, weißt du, Junge,« rief Sonja, indem sie den Bruder in die Seite stieß: »Du hast auch mehr Glück als Verstand!«

»Sage das nicht,« lächelte Fritz überlegen. »Wenn ich nicht wenigstens mehr Verstand hätte als mein Herr Papa, so hätte ich mich ums Heiraten nicht gedrückt, denn die Herta ist wahrhaftig nicht ohne. Mit der kann sich ein besserer Herr schon sehen lassen, wenn sie auch nicht gerade literarische Bildung besitzt. In allem Praktischen währe sie jedenfalls eine großartige Frau, und außerdem ist sie eine wunderbare Geliebte. Sie führt doch eigentlich ein erbärmlich nüchternes, freudenarmes Dasein. Durch mich ist doch erst Blut und Farbe in ihr Leben gekommen, und das ist doch auch was wert. Na und für einen jungen Menschen wie mich ist es doch auch ein großes Glück, wenn er sich so in Schönheit ausleben darf, ohne sich wegzuwerfen. Deshalb brauche ich aber doch nicht so hirnverbrannt zu sein und meine ganze Zukunft aufs Spiel zu setzen, bloß um Vaters sogenannter Moral zu genügen. Habe ich nicht recht, Stanislaus?«

Der Pole zog die Brauen hoch und trommelte mit den harten Geigerfingern auf der Stuhllehne, dann seufzte er und sprach: »Ihr reichen Jungs habt doch immer Vorzug, sogar in der Liebe, – hol' der Deubel!«

»Na, wissen Sie, Stanisläuschen,« sagte Fritz und klopfte ihm aufs Knie; »in dem Punkte können Sie sich auch nicht behaupten. Sind sie sich übrigens schon darüber im klaren, was Sie jetzt angesichts der Weltlage zu tun gedenken?«

»Wie meinen Sie?«

»Na, es sieht doch verflucht brenzlig aus. Sie wissen doch so gut wie wir, daß Väterchen Zar mobilmacht. Papa hat es aus sicherster Quelle. Unsere russischen Geschäftsfreunde versuchen übrigens alle Bestellungen rückgängig zu machen – das ist die beste Beschäftigung. Wenn's wirklich losgehen sollte, wird Vater gehörig bluten müssen, auch ohne persönlich den Säbel zu ziehen gegen Rußland. In was für einen Militärverhältnis stehen Sie denn? Müssen Sie sich nicht stellen?«

»Ich müßte allerdings,« knirschte Morgitzky ingrimmig: »aber ich will nicht; ich hasse Rußland; ich kämpfe nur für Polen. Und wenn Deutschland Polen befreien will, kämpfe ich mit Deutschland gegen verdammte Moskowiter.«

Sonjas Augen leuchteten, und sie warf ihrem Meister einen bewundernden Blick zu.

»Sie werden schwerlich in die Verlegenheit kommen,« meinte Fritz achselzuckend. »Es soll ja in Polen bedenklich gären. Heute wurde erzählt, in Warschau wäre die Zitadelle in die Luft gegangen, und in Petersburg machen die Arbeiter Revolution, wenn der Zar die Mobilmachung befiehlt. Japan wird selbstverständlich in die Mandschurei einfallen und die Türken mit den Persern und unzufriedenen Kaukasiern gemeinsame Sache machen. Die Finnen erheben sich, und wir blockieren die baltischen Häfen – was will da der arme Niki groß anfangen? Ihre edlen serbischen Brüder werden allein dran glauben müssen, und Sie werden sich darauf angewiesen sehen, mit dem Fiedelbogen Ihre Schlachten zu schlagen.«

»Sie kennen Rußland nicht,« versetzte der Geiger unwillig. »Es gibt zu viel Leute dort, die bei Krieg gute Geschäfte zu machen hoffen. Sie werden noch etwas warten, vielleicht bis genug Stiefel da sind und Ernte verkauft – aber dann wird losgehen.«

»Oder auch nicht,« lächelte Fritz überlegen und erhob sich von seinem Sessel. »Na, ich will die Herrschaften nicht weiter stören, ich räume der edlen Kunst das Feld. Tag, Stanislaus; Tag, Sonja. Keine zu langen Pausen, bitte!«

Damit trollte er sich hinaus und begab sich auf sein Zimmer, um weiter an seinem lyrischen Zyklus »Der junge Eros« zu arbeiten.

Er konnte das Geigenspiel ganz gut bis in sein Zimmer hören; doch es verstummte schon nach wenigen Minuten, ohne daß die Stunde abgelaufen gewesen wäre. Und der junge Mann lächelte wissend.

Stanislaus und Sonja wollten die gute Gelegenheit zu einer ungestörten Aussprache nicht unbenützt lassen. Das junge Ding warf sich dem Geiger um den Hals, strich ihm die Stirnlocke aus dem Gesicht und sah ihm mit leidenschaftlicher Frage ein die dunklen Augen:

Was hast du vor, Liebster? Sag' mir's doch endlich. Ich habe es dir ja angesehen: es wühlt etwas in dir – du willst mich verlassen.«

»Aber nein, aber nein.« Er küßte sie zärtlich auf die Augen. »Ich habe an mein armes Vaterland gedacht und an den Krieg. Und wenn er kommt und ich dürfte kämpfen für mein Vaterland, so wäre ich glücklich, und wenn ich getötet werde, wäre ich noch glücklicher. Dieses Leben ist mir verhaßt.«

Das Mädchen preßte seinen schlanken Körper leidenschaftlich an ihn.

»Das würdest du nicht sagen, wenn du mich wirklich liebtest. Sprich dich doch aus, verschließ dich nicht so vor mir; ich weiß ja doch alles. Du kannst nicht los von ihr, ich fühl's. Jetzt, wo du vergleichen kannst, hat die reife Frau doch eine größere Macht über dich. Ich bin dir nichts, mit mir hast du nur zur Abwechslung gespielt.«

Er verschloß ihr den Mund mit Küssen, und dann drückte er sie in den nächsten Sessel und streichelte ihr beruhigend über den üppigen blonden Schopf.

»Was soll ich tun, Kleines, damit du mir glauben wirst? Wir gehören zusammen. Seit ich weiß, daß du mich liebst, ist mir das andere furchtbare Last. Ich begreife selbst nicht, wie ich nicht habe sehen können. Sie ist doch zwölf Jahre älter als ich. Die große Leidenschaft bei solchen Frauen ist sehr gefährlich für einen jungen Mann. Sie hat mir eitel gemacht und sie hat mir dankbar gemacht – ich bin armer Teufel, und sie hat mir aus der Not geholfen und geschenkt und geschenkt. Ich habe genommen, ich Hund; und wenn ich mir habe gemacht Vorwürfe, hat sie gelacht und geschworen, daß ihr ich gebe viel, viel mehr, als sie mit ihre kleine Cadeaux kann gutmachen. Wenn ich ihr gesagt habe, daß ich bin unglücklich, weil ich bin große Schurke, komme in ihr Haus und helfe betrügen, hat sie geweint, daß ich mich erbarmen mußte, weil sie neben dieser alte Mann muß leben. Es ist auch großes Unglück: fünfundzwanzig Jahre jünger – ich bitte dich – fünfundzwanzig Jahre! Und kein Verständnis, keine Wärme, kein Geist. So viel Temperament, so viel lebendige Sehnsucht angeschmiedet an eine gut konservierte Mumie aus der überwundenen Vergangenheit – soll ein junger Mensch sich nicht erbarmen?«

»Sieh da, sieh da,« schmollte Sonja kindisch. »Du glühst ja vor Begeisterung! Ich weiß es ja, ich fühl' es ja, sie hat dich doch noch ganz und gar; sie kommt ja auch noch zu dir. Oder willst du das vielleicht leugnen?«

»Nein, ich leugne es nicht, aber soll ich sie die Treppe hinunterwerfen?« brach der Pole heftig aus. »Ich bitte dich – sei doch gerecht. Das ist doch mein furchtbarer Schmerz! Jung und jung gehört zusammen. Und ich sehe jetzt alles ein – ich kann sie nicht mehr lieben und kann sie auch nicht fortstoßen, grausam und undankbar; wenn es noch eine andere Frau wäre – aber diese Frau – unmöglich!«

Sonja sprang auf und legte ihm ihre bleiche Hand auf den Mund.

»Nicht doch, sag' nichts mehr davon. Für mich ist es doch ebenso entsetzlich. Es gibt doch nur einen Ausweg, wenn du mich wirklich liebst: wir müssen fort alle beide. Es ist doch ganz gleich, wo wir leben. Ein Künstler, wie du, findet doch überall sein Brot. Wir verstecken uns irgendwo in der Welt, du nimmst einen anderen Namen an, daß sie uns nie wiederfinden. Wenn ich nur bei dir bin, ganz dein – alles andere ist mir ja so gleich!«

Sie hörten Schritte im Nebenzimmer und fuhren bestürzt auseinander. Morgitzky griff zu seiner Geige und entlockte den Saiten eine leidenschaftliche schmelzende Melodie, während er dem verwirrten Mädchen zuflüsterte:

»Hole dir morgen Brief an bewußter Stelle. Wir müssen uns treffen und aussprechen. Ich werde nachdenken.«


AM 30. Juli, nachmittags, erschien im Privatkontor Hermann Merkers der russische Reisende des Hauses. Er kam unmittelbar vom Stettiner Bahnhof und brachte die Nachricht, daß die Mobilmachung in Rußland in vollem Gange sei. Der Krieg sei offenbar seit langem geplant, kein Russe der oberen Stände zweifle an seiner Unvermeidlichkeit. Der junge Mann hatte vergebens versucht, Außenstände einzutreiben – man hatte ihn verlegen, an einigen Stellen sogar höhnisch abgewiesen. Ein wohlmeinender Geschäftsfreund hatte ihm den Rat gegeben, mit einigen anderen deutschen Angestellten seines Hauses schleunigst abzureisen. Und es war ihm geglückt, in Libau einen Stettiner Dampfer zur Abfahrt bereit zu finden.

Herr Merker rief seinen Sohn herein, damit er sich durch die Erzählung des Augenzeugen von seinen törichten Vorstellungen kurieren lasse.

Als der Reisende sich verabschiedet hatte, sagte der alte Herr mit tiefernster Miene:

»Jetzt werde ich mein Geschäft zumachen können. Wer kauft jetzt landwirtschaftliche Maschinen! Der russische Markt ist mir verlegt; wer weiß, ob ich von dort jemals mein Geld bekomme. Mit Schweden und Norwegen wird selbstverständlich die Schiffsverbindung gleich mit der Kriegserklärung aufgehoben werden. Damit ist das Haus Merker vorläufig erledigt. Für dich ist auch keine Arbeit mehr vorhanden. Überlege dir also, was du mit deiner Muße anfangen willst. Ich sehe voraus, daß du doch wohl den schweren Zeiten, denen wir entgegengehen, nicht untätig wirst zuschauen wollen.«

Fritz stand beim Fenster, schaute in das Straßengewühl und dachte nach. Dann wendete er sich rasch um, schritt gerade auf seinen Vater zu und begann mit niedergeschlagenen Augen hastig zu sprechen:

»Ich wüßte wohl eine Aufgabe für mich. Du darfst mir glauben, Vater, es ist für mich immer ein peinigendes Gefühl gewesen, daß ich hier bei dir im Geschäft eigentlich nur geduldet bin. Ich weiß, ich leiste dir nichts Rechtes, weil ich nicht mit der Seele dabei bin. Und du glaubst nicht an meinen Beruf zum geistigen Schaffen. Jetzt wäre die Gelegenheit, wo ich zeigen könnte, daß ich Talent besitze – ich spreche nicht von meinen dichterischen Versuchen – ich meine Talent zum Organisieren, zur geschäftlichen Leitung eines Unternehmens, das mit meinen künstlerischen Neigungen zusammenhängt. Ich dachte mir ... der Plan ist nicht neu ... meine Freunde haben mich schon immer dazu ermuntert.«

»Nun, und?«

»Also, die Sache ist die: unsere Gruppe plant die Herausgabe eines Organs zur Sammlung und zur Propaganda. Es sind noch andere Söhne wohlhabender Eltern dabei, die auch etwas beisteuern werden. Ich habe mir gedacht: wenn du vielleicht einige Tausende zuschießen möchtest – wir würden dann eine G.m.b.H gründen, und ich würde als Herausgeber eine anständig bezahlte Stellung finden.«

Mit einem tiefen Seufzer blickte der alte Merker zur Decke hinauf:

»Ist es denn zu glauben!« rief er wehmütig lächelnd. »Ausgerechnet diese Zeit, diese Schicksalsstunde des Deutschen Reiches hältst du für geeignet, um ein literarisches Cliquenblättchen zu gründen! Nimm's mir nicht übel – aber wie man mit neunzehn Jahren noch so – kindlich sein kann, das ist mir ... In vierundzwanzig Stunden können wir den Weltkrieg haben! Begreifst du denn wirklich nicht, daß in dem Moment alle eure ästhetischen Kaffeehausaufregungen zu einer lächerlichen Farce werden müssen? Ich habe nichts gegen die schönen Künste, und wenn ich von deiner Begabung überzeugende Beweise hätte, so würde ich mich in Friedenszeiten schließlich doch wohl bereit finden lassen, dir die Wege zu einer literarischen Karriere ebnen zu helfen. Aber jetzt, wo mein Geschäft lahmliegt, wo unser aller Existenz auf dem Spiele steht, jetzt kommst du mir mit einem solchen Ansinnen? Ich hatte ganz etwas anderes von dir erwartet.«

Fritz wurde rot vor Ärger: »Ich soll mich wohl freiwillig als Gemeiner stellen?«

»Allerdings,« versetzte der alte Herr und reckte sich straff empor. »Du bist jung, gesund und kräftig, es ist deine Ehrenpflicht, dich zu stellen, noch ehe man dich holt. Und da du zu faul und zu lasch warst, dein Examen zu machen, so mußt du eben als Gemeiner mit. Im Feldzug ist das sowieso ziemlich einerlei, ob Gemeiner oder Einjähriger. Setz' dich auf die Hosen, laß dich einpauken, vielleicht schlüpfst du bei einem Notexamen mit durch. Alles ist jetzt anständiger, männlicher als überflüssige Tintenvergeudung zur Speisung jugendlicher Eitelkeit. Siehst du das nicht ein?«

Der junge Mann setzte seine hochmütigste Miene auf: »Ich sehe ein, daß ich dir gerade gut genug zum Kanonenfutter bin. Ich könnte mich ja auch als freiwilliger Flieger melden – beste Aussicht für zärtliche Eltern, unbequeme Söhne los zu werden.«

»Fritz!« rief der Vater entsetzt.

Er trat vor den jungen Mann hin, faßte seine beiden Schultern mit den starken Händen und schüttelte ihn.

»Hast du denn keinen Tropfen von meinem Blut in deinen Adern? Ist das die Frucht von vierundvierzig gesegneten Friedensjahren? Ist das Endresultat unserer glänzenden Kulturentwicklung, dieser ruchlose Egoismus, der Vaterland und Pflicht und Treue und alles verlacht und verhöhnt? Seid ihr denn gar keines großen Gefühls mehr fähig? Du und deine Schwester – und deine Mutter auch, ihr habt euch verweichlicht im Wohlleben, euch verloren an jämmerliche Nichtigkeiten. Mich seht ihr als euren Feind an; mich verlacht ihr, weil ich an den Idealen meiner schlichten, harten Jugendzeit festhalte. Ich weiß wohl, daß man Kinder nicht anders erziehen kann als durch das gute Beispiel und dadurch, daß man sie zwingt, Widerstände überwinden zu lernen. Das Beispiel, das ich euch gab, hat euch keinen Eindruck gemacht – Gott sei's geklagt! – und am Zwange der strengen Zucht habe ich es fehlen lassen – aus Liebe zu eurer Mutter, die nun einmal als Kind der neuen Zeit für die Erziehung in Freiheit begeistert war. Jetzt ernte ich den Lohn für meine Schwäche. Meine Kinder ohne Verständnis für den furchtbaren Ernst der Zeit, ohne Gefühl für ihre heilige Pflicht – ohne einen Funken Liebe zu ihrem Vater ... das ist mein Dank!«

Die letzten Worte erstarben in einem stöhnenden Gemurmel, und der starke Mann strebte mit unsicheren Schritten seinem Schreibtisch zu und ließ sich ermattet in den Sessel sinken.

Fritz stand da wie ein gescholtener Schulbube und brauchte lange, bis er ein paar Worte der Erwiderung vorzubringen vermochte: »Es ist doch wohl nicht Lieblosigkeit unsererseits,« sagte er verlegen. »Wir verstehen uns nur nicht mehr – und das ist doch schließlich natürlich: zwei so verschiedene Zeiten mußten ja anders geartete ... Du kannst ja auch den Sozialismus nicht mehr verstehen, Vater, der doch die gewaltigste geistige Bewegung bedeutet und alle Ideen umgestaltet hat. Du wirst sehen, auch dieses wilde Kriegsgeschrei wird an dem bewußten Willen der wachgewordenen Massen ... Entschuldige, ich will doch mal auf die Straße, man ruft Extrablätter aus.«

Und er machte, daß er davonkam, ohne die Erlaubnis des alten Herrn abzuwarten.


FRITZ ließ sich nicht wieder sehen. Schon wenige Minuten, nachdem er das Zimmer verlassen hatte, kam der Prokurist mit der Nachricht zu seinem Chef herein, daß der Kriegszustand für das Deutsche Reich erklärt sei.

Hermann Merker erhob sich stramm, drückte dem Prokuristen die Hand und sagte:

»Also vielleicht nur noch wenige Tage, und wir haben Europa wider uns in Waffen.«

»Herr Merker, halten Sie es wirklich für möglich?!« rief der jüngere Herr mit verstörter Miene. »Frankreich, ja, das muß wohl mit, aber England, das wäre doch ...«

»England traue ich alles zu,« erwiderte der alte Herr bitter lächelnd. »Der gemeine Konkurrenzneid ist schlimmer als selbst die Leidenschaft der Revanche. Kopf hoch und ruhig Blut! Lassen Sie die Herren für heute nach Hause gehen; zu tun gibt es ja doch kaum mehr etwas für uns.«

Er nahm seinen Hut und ging. Auf der Straße las er den Maueranschlag der kaiserlichen Verkündigung. Seine Seele war erfüllt von tiefer Bitterkeit. Er dachte zurück an jenen Juliabend 1870, als die Depesche von der Abfertigung des französischen Gesandten Benedetti durch König Wilhelm in Berlin bekannt wurde. In der Brust des Zwanzigjährigen war damals nur für ein einziges Gefühl Raum gewesen: Dein Vaterland wird unter einem schnöden Vorwand überfallen, du bist berufen, es verteidigen zu helfen. Vom Kontor weg war er zum Bezirkskommando gelaufen. Ein paar Wochen scharfer Drill, und dann stolz und bang und froh und ernst nach Frankreich hinein. Heute aber! ... Ein alter Mann, aber stramm aufrecht, durchaus fähig, mit den Jungen jung zu empfinden und sich von der großen Menge der Begeisterung zu Heldentaten des Opfersinns, des mutigen Aushalten in Not und härtester Prüfung emportragen zu lassen – und dennoch innerlich gebrochen, aufs tiefste verwundet, bevor noch der große Kampf entbrannt war – durch die Enttäuschung, die er an seinem eigenen Fleisch und Blut erleben mußte. Wenn das die Jugend von heute war, dann wehe dem armen Vaterlande! Die Frauen vertändelt, im Genußleben verweichlicht, im Gefühlsleben verwirrt, der Sohn an eitle Spielereien verloren, ohne irgendeinen Begriff von Pflicht, den Kopf umnebelt von den amoralischen Schlagworten der literarischen Tagesstunde und im innersten Herzen vielleicht gar darauf hoffend, daß der Vaterlandsverrat der Sozialdemokraten ein heldenhaftes Ringen Deutschlands mit Europa unmöglich machen und es kampflos der Willkür seiner übermächtigen Gegner ausliefern würde!


MERKER saß in der elektrischen Untergrundbahn und verstand kein Wort von den erregten Gesprächen der dicht gedrängten Menschen. Schier gelähmt, taub und blind für alles, was um ihn her vorging, saß er da und empfand nichts als sein großes Herzeleid.

Er stieg an einer falschen Station aus und mußte sich einen Wagen nehmen, um heimzukommen, denn seine Beine trugen ihn nicht mehr. Schwerfällig arbeitete der somit noch so elastische Mann sich die zwei Treppen zu seiner Wohnung hinauf, öffnete mit dem Drücker die Tür und taumelte, ohne Hut und Stock abzulegen, geradewegs in das Zimmer seiner Frau.

Bei ihr Trost und Verständnis zu finden, war seine letzte Hoffnung, wenngleich ein Altersunterschied von fünfundzwanzig Jahren sie trennte und ihre Weltanschauungen weit auseinandergingen. Er liebte doch dies fremde Frau noch mit dem fast unverminderten Feuer des Vierzigers. Er huldigte ihrem körperlichen Reiz, ihrem sprühenden Temperament wie ein Verliebter und war um ihr Wohlergehen, ihren leichtherzigen Frohsinn besorgt wie ein ritterlicher Vater – dafür mußte sie ihm doch zum mindesten dankbar sein, in aller Aufrichtigkeit ergeben, wenn sie auch keine Zärtlichkeit, kein tiefer gehendes Verständnis für ihn aufzubringen vermochte. Wenn Ulla nur jetzt zu ihm hielt und sich der ernsten Stunde gewachsen zeigte, dann durfte er hoffen, wenigstens seine Fassung wiederzugewinnen.

Sie war nicht da, aber er hatte ihren Hut, ihren seidenen Staubmantel im Vorplatz gesehen; ausgegangen war sie also schwerlich. Er wollte sie erwarten. Langsam begann es in dem mit üppigen Luxusmöbeln und tausend reizenden Überflüssigkeiten vollgestopften Zimmer auf und ab zu gehen, um sich zu überzeugen, wie er ihr von Fritzens unfaßbar kindischer Haltung Mitteilung machen sollte.

Er kam an ihrem Schreibtisch vorbei. Ein angefangener Brief, eine hastig hingeworfene Feder, ein fertig adressierter Umschlag lagen auf der silberbeschlagenen Saffian-Schreibunterlage. Ganz ohne Neugier, ohne Absicht schweifte sein Blick über den Briefbogen.

Da zuckte er plötzlich zusammen, griff sich mit der Rechten an den Kopf und stützte sich mit der Linken schwer gegen den leichten Schreibtisch. Er beugte sich dichter über das Papier, um sich zu vergewissern, ob seine guten Augen ihn betrogen oder ob seine schmerzliche Betäubung ihm einen phantastischen Streich gespielt habe.

Nein, da stand es, deutlich in ihrer großen, mit Kraft kokettierenden Schrift zu lesen: »Mein Stani, mein Alles – ich höre von den Kindern, du willst fort. Und mir hast du nichts gesagt! Ich muß dich unbedingt sehen! Halte dich morgen nachmittag zu Hause; ich bin halb toll ...«

Damit brach das Schreiben ab. Der Umschlag trug die Aufschrift: Herrn Stanislaus von Morgitzky.

Er schrie nicht auf, er brach nicht zusammen, er stützte sich nur mit beiden Händen gegen die Platte des Schreibtisches und stierte auf diese großen festen, violetten Schriftzüge. Denken schien ausgeschaltet in dem plötzlichen Schreck grausamer Erkenntnis. Aber sein Herz schlug mit so gewaltigen Schlägen, daß er ein dumpfes Dröhnen in seinem Hirn verspürte.

In diesem Augenblick huschte durch die Rebentür zum Musikzimmer Frau Ulla mit ihrem leichten, geschmeidigen Schritt herein. Wie angedonnert blieb sie bei der Tür stehen, griff mit beiden Händen Halt suchend hinter sich, und in ihren vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen blitzten die grünen Nixenlichter auf.

Sie faßte sich erstaunlich schnell, stieß ein kleines hysterisches Gelächter aus und sprudelte hastig hervor:

»Herrjemine, wie habe ich mich erschrocken! Zu dumm! Wo kommst du denn so plötzlich her – um diese Zeit? Ich habe doch die Korridortür gar nicht gehen hören?«

Hermann Merker richtete sich mit Anstrengung auf, wendete ihr sein schmerzverzerrtes Gesicht zu, deutete auf den Brief und sagte heiser, mit schwerer Zunge:

»Was hat das hier zu bedeuten?«

Frau Ulla drückte erst die Tür hinter sich ins Schloß, bevor sie zum Schreibtisch trat. »Ei, da schau!« rief sie neckisch, ihm mit ihrem niedlichen Fingerchen drohend, »seit wann spionierst du denn in fremden Briefen herum?«

Er sagte nichts. Mit einer herrlichen Gebärde hielt er ihr nur in der zitternden Rechten das Schreiben entgegen.

Sie riß es ihm fort, warf einen Blick darauf und stellte sich peinlich überrascht.

»Diese Kröte!« fauchte sie bös, und ihre Lippen wurden ganz blaß. »Stani – das ist natürlich der Fiedler mit den dämonischen Schmachtaugen. Daß Sonja mit ihm kokettiert, war mir schon aufgefallen, aber daß sie es so weit ...«

Da entlud sich der furchtbare Schmerz des Gatten in einem Aufschrei: »Du lügst, es ist deine Schrift!«

»Da irrst du dich,« hastete Frau Ulla todbleich vor Schreck hervor: »unsere Schrift ist kaum zu unterscheiden. Ich war seit Stunden nicht hier im Zimmer, ich habe der Anna beim Einkochen geholfen. Frage doch die Anna. Ich begreife nur nicht, wie Sonja die Frechheit haben konnte, meine Briefbogen ...«

»Elende, mit einem Faustschlag könnte ich dich ...« Hochaufgerichtet stand er vor ihr, die Faust drohte fest geballt über ihrem roten Haaraufbau.

Jetzt wußte sie, daß es kein Entrinnen mehr gab. Sie ließ sich in eine Ecke des kleinen Sofas fallen, bei dem sie eben stand, umfaßte ihr übergeschlagenes Knie mit beiden Händen und blickte, trotzig die Lippen übereinandergebissen, auf die Spitze ihres Schuhes nieder. Sie schwieg, offenbar, um Zeit zur Überlegung zu gewinnen.

Merker sah ihrem Gebaren eine kurze Zeitlang zu, dann ging er nach der Tür zum Salon, schaute hinaus, ob kein Lauscher nebenan sei, und drehte dann innen den Schlüssel herum; ebenso machte er es mit der Tür nach dem Korridor. Und dann trat er dicht vor Frau Ulla hin und sagte ruhigeren Tones: »So, jetzt sind wir vor Störungen sicher. Willst du dich jetzt nicht vielleicht dazu bequemen, dein Geständnis ...«

Sie fiel ihm, eine hochmütig empörte Miene aufsetzend, giftig ins Wort: »Diesen Ton muß ich mir von vornherein verbitten. Ich bin kein Verbrecher, der vor den Untersuchungsrichter steht. Wenn du die Türen geschlossen hast, um dich ungestört an der Mutter deiner Kinder zu vergreifen ... gut, tu, was du nicht lassen kannst; gegen deine Brutalität bin ich wehrlos. Mein Gott, mein Gott, diese furchtbare Enttäuschung – das ist das Vernichtende dabei!«

Sie preßte ihre Händchen in die Augenhöhlen, als wollte sie gewaltsam Tränenströme zurückdrängen.

Aber Hermann Merker ließ sich durch diesen Trick denn doch nicht fangen.

»Ach so,« sagte er mit einem Anflug ironischer Heiterkeit: »du drehst den Spieß um – echt frauenzimmerliche Unverschämtheit. Willst du dich nicht dazu bequemen, zuzugeben, daß du mein Vertrauen schändlich betrogen hast? – Ulla, Ulla! Ist es denn möglich, nach einundzwanzig Jahren des glücklichsten Zusammenlebens! Habe ich dir den nicht jeden Wunsch erfüllt, den ich dir an den Augen ablesen konnte? Habe ich dir nicht durch meine Arbeit ein Leben nach deinem Geschmack ermöglicht? Bin ich in meiner zärtlichen Liebe jemals matt geworden? Habe ich mich dir gegenüber je alt, gleichgültig, kalt gezeigt? War ich etwa ein eifersüchtiger, greisenhaft egoistischer Tyrann, der deinem Temperament nicht über den Weg traute? – Und nun belohnst du mein Erstaunen und meine Liebe durch solch schnöden Betrug! Ich begreife dich nicht – wenn es noch ein reifer, bedeutender Mann wäre, der dich bis zur Selbstvergessenheit hingerissen hätte – aber daß du in deinem Alter mit einem solchen windigen jungen Menschen, mit dem Geigenlehrer deiner Tochter ...! Müßt ihr Frauen denn wirklich gleich alle Scham, allen guten Geschmack aufgeben, sobald ihr euch von euren Trieben überrumpeln laßt? So rede doch, bringe doch irgend etwas vor zu deiner Entschuldigung.«

In zitternder Beschwörung hob er die Hände gegen sie empor.

Sie zog nur die nachgemalten Brauen hoch und sagte trotzig und kalt: »Das hat wohl keinen Zweck, mich zu entschuldigen, du gefällst dir ja viel zu gut in der Rolle des sittlich entrüsteten Bußpredigers. Hast du jemals von unserem gefährlichen Alter gehört oder gelesen? – Na also: ich bin im gefährlichen Alter, das ist meine ganze Entschuldigung. Du wirst das natürlich als Mann nicht verstehen können und wollen, aber ich sage dir ganz einfach, wie es ist: unser Blut schreit nach der Jugend in diesem Alter. Wir werden krank oder verrückt, wenn keine Jugend da ist, unsere Sehnsucht zu stillen. Ich habe dir nichts entzogen, du hast nichts von mir verloren, da schwöre ich dir beim Heiligsten, was ich auf Erden kenne: beim Angedenken meines Vaters! Ich liebe dich heute noch, wie ich dich immer geliebt habe in aller schuldigen Dankbarkeit und Achtung für deinen Charakter. Es tut mir weh, daß dich die Entdeckung so erschüttert, aber wenn du nur eine Spur von Frauenkenntnis besäßest, so hättest du dir das schon an unserem Hochzeitstag sagen können, daß es einmal so kommen müßte. Du bist fünfundzwanzig Jahre älter als ich – nein, genau genommen noch viel mehr, denn ich bin längst nicht so alt wie mein Taufschein, ich bin so jung, wie ich empfinde, und so jung, wie ich aussehe – und ich habe die Jugend eines Mannes nie genossen. Wie gesagt, es tut mir herzlich leid, daß es dich so kränkt – aber bereuen kann ich es nicht. Wenn es nicht gestern geschehen wäre, so hätte es morgen so kommen müssen, und wenn es nicht dieser war, so wäre es ein anderer geworden – ganz gleichgültig, wer, nur irgendein Junger.«

Hermann Merker schwieg eine ganze Weile, und man sah es seinem zuckenden Gesicht an, welchen Schmerz es ihm bereitete, diese Enthüllungen einer edlen Frauenseele in sich zu verarbeiten. Endlich sagte er in einem Tone, der gleichgültig, sachlich klingen sollte: »Hast du diese überaus bequeme Moral aus deiner Lektüre geschöpft? Hat dich das dein geistreicher Umgang und dein fleißiger Theaterbesuch gelehrt?«

»Ich lasse mich nur vom Leben belehren,« erwiderte sie mit einem bedeutenden Augenaufschlag. »Ich habe meine innere Ruhe und Sicherheit durch die Erfahrung gefunden; wir können nichts wider unser Schicksal, wir werden geschoben, unser Wille vermag gegen die Befehle unseres Blutes nichts auszurichten.«

»Also hältst du es auch nicht für nötig, irgend etwas zu tun, um deinen Ehebruch zu sühnen?«

»Ehebruch!« fuhr sie lachend auf. »Verschone mich wenigstens mit dem unmöglichen Wort. Ich sage dir ja, ich habe unsere Ehe nicht gebrochen – innerlich nicht. Für meine Begriffe steht sie unerschüttert, fest begründet wie nur je. Was bedeutet überhaupt diese ganze – nennen wir's meinetwegen Verirrung? – Ein Zwischenspiel; für mich voll aufrüttelnder Entzückungen; für dich eine schmerzliche Überraschung; der Vorhang wird darüber fallen und die harmlose bürgerliche Komödie unserer Ehe ruhig weitergehen. Er wird vermutlich in sein Vaterland zurückkehren müssen – ich wollte Abschied von ihm nehmen – vielleicht auf ewig! Da hast du ja meine Entsagung – auch ohne daß du mir durch Drohungen Schwüre zu erpressen brauchst.«

»Habe ich gedroht?«

»Ich lese die Drohung in deinem Gesicht; ihn wiederzusehen – wie einen tollen Hund, pflegt man doch bei solchen Gelegenheiten zu sagen – Scheidung beantragen, mit Schimpf aus dem Hause jagen. Es ist furchtbar, daß ich diese grausame Enttäuschung an dir erleben muß. Ich war gefaßt auf diese Stunde – solche Dinge kommen immer heraus – es werden immer Briefe gefunden – das ist alles so unausweichlich banal! Aber ich hatte einen so hohen Begriff von dir, daß ich mich fest darauf verließ, du würdest in dieser Stunde der Entdeckung eine verstehende Güte und einen männlichen Edelsinn herrlich offenbaren und mich dadurch vor dir auf die Knie zwingen. Und wie stehst du nun da? Sie hob verächtlich die Oberlippe: »Ein Mann wie alle.«

»Und wie hast du dir diesen Edelsinn gedacht, wenn ich fragen darf?«

»Es ist traurig, daß du überhaupt noch fragen mußt.«

»Dann will ich dir sagen, was du von mir erwartet hast.« Hermann Merker umklammerte mit festem Griff die Seitenlehnen seines Stuhles, beugte sich vor und sprach mit bebender Empörung: »Du hast geglaubt, ich würde als hilfloser Greis um meines häuslichen Friedens willen zu allem ja sagen, meine und deine Schande in mich verschließen und dein Verhältnis wissend dulden. Aber du hast dich verrechnet: ich bin nicht der hilflose Greis. Ich gedenke mich zu wehren. Ich werde tun, was ich meiner Ehre schuldig bin und was ich für meine Pflicht halte.«

»Hermann!« Sie schnellte von ihrem Sitz empor, unfähig, ihren Schreck zu verbergen. »Was soll das heißen, was willst du tun? Ich bitte dich um Gottes willen, keinen unüberlegten Schritt! Was kann er denn dafür? Er ist ein so zart empfindender Mensch, ein Kind, eine Künstlerseele. Er leidet darunter, er verzehrt sich in Gewissensbissen. Ich flehe dich an, schone ihn! Wenn jemand schuldig ist ...«

Er erhob sich gleichfalls und fiel ihr ins Wort: »Das weiß ich, daß ein junger Mensch Frauen deinen Alters nicht zu verführen braucht. Es wird schon so sein, daß du, um seine Skrupel zu betäuben, dich ihm als eine unglückliche, unverstandene Frau dargestellt hast, die unter der Tyrannei eines welken Greises seufzen muß! Pfui, pfui, pfui! So mein eingebildetes Glück, meine schönen Illusionen preiszugeben!«

Da fiel sie vor ihm auf die Knie, ergriff seine Hand und küßte sie. »Hermann – verzeihe mir! Mein verfluchtes Blut! Mein unseliges Temperament!«

Merker hieß sie aufstehen und verschränkte die Hände auf dem Rücken. »Was gedenkst du zu tun, um dir Verzeihung zu verdienen? Ich habe in dieser Stunde, in dieser schicksalsschweren Stunde vor dem Ausbruch des Weltkrieges, der vielleicht die Vernichtung des Vaterlandes, unser aller Untergang bedeuten kann – ich habe in dieser Stunde alles verloren, was mir das Leben noch wert machte. Daß ich vielleicht geschäftlich zugrunde gerichtet werde, will kaum etwas bedeuten gegenüber dieser plötzlichen Vereinsamung meines Gemüts. Ich habe dich verloren; ich muß den Sohn verachten – und deine Tochter, das weiß ich längst, hat ja in ihrer selbstgefälligen Nichtigkeit nie auch nur so viel für mich übrig gehabt. Es wir dir unter solchen Umständen wohl nicht ganz leicht fallen, mich wieder Glauben und Vertrauen zu lehren.«

Die eine Träne, die Frau Ulla im ersten Schreck vergossen hatte, bahnte sich langsam ihren Weg durch den Puder der rechten Wange. Sie tupfte sie mit ihrem Tüchlein weg und sagte unsicher und doch schon wieder ein wenig trotzend: »Was verlangst du denn noch? Ich habe ja getan, was ich nie für möglich gehalten hätte; ich habe mich vor dir gedemütigt!«

»Das war also schon deine Buße?« stöhnte er mit verzweifelter Bitterkeit auf. »Und du willst mir nicht versprechen, dieses schmachvolle Verhältnis abzubrechen, sofort und für immer?«

Sie raffte sich zusammen und versuchte, ihm frei ins Auge zu sehen. Aber der Ausdruck furchtbaren Ernstes in seinen müden, schmerzverzerrten Zügen ängstigte sie. Sie senkte scheu die langbewimperten Lider: »Ich will's versuchen,« versetzte sie leise. »Aber ich bin ehrlich, Hermann; erpresse mir kein Versprechen – ich weiß nicht, ob ich es werde halten können. Laß mir Zeit.«

Er griff nach Hut und Stock, schritt nach der Korridortür und drehte den Schlüssel herum.

»Wo willst du hin?« rief Frau Ulla ängstlich und ging ihm ein paar Schritte nach.

Da sprach er, mit der Hand schon auf der Klinke: »Ich bin der Meinung, daß wir keine Zeit mehr zu verlieren haben. Die kleinen Rechnungen unseres privaten Schuldkontos müssen heute noch beglichen werden, denn morgen schon beginnt vielleicht die große Abrechnung unter den Völkern. Und da heißt es, alles, was wir an Kräften besitzen, ohne Abzug dem Vaterlande zur Verfügung stellen.«

Und er verließ festen Schrittes Zimmer und Wohnung.


STANISLAUS Morgitzky hauste weit draußen im Südwesten, unweit des Kreuzberges, vier Treppen hoch bei einer Witwe Lublinski. Der alte Herr Merker brauchte fast eine Stunde, um von der Mommsenstraße bis dorthin zu gelangen, und eine weitere Viertelstunde, um die Treppen zu erklimmen. Die furchtbaren Aufregungen dieses Nachmittags hatten den Nerven des rüstigen Mannes so zugesetzt, daß er auf jedem Treppenabsatz haltmachen mußte, um wieder zu Atem zu kommen, und daß seine Knie drohten, ihm den Dienst zu versagen.

Der Herr Professor – den Titel hatte ihm keineswegs der Staat beigelegt, sondern er war eine freiwillige Ehrenbezeigung seitens seiner Schüler, die er nur leutselig über sich ergehen ließ –, der Herr Professor war nicht daheim. Aber die polnische Witwe, die eine gute Deutsche war und kein Wort Polnisch verstand, sah wohl ein, daß sie dem alten Herrn nicht zumuten dürfe, noch einmal die vier Treppen zu steigen, und darum lud sie ihn freundlich ein, zu warten, denn Herr Morgitzky habe beim Fortgehen gesagt, daß er daheim Abendbrot essen wolle, er müsse also jeden Augenblick wiederkehren. Zwar hatte ihr Zimmerherr ihr streng verboten, fremde Leute in seiner Abwesenheit hereinzulassen, doch einem so vertrauenserweckenden, feinen alten Herrn gegenüber glaubte sie wohl, eine Ausnahme machen zu dürfen. Sie vermutete in ihm einen Vater, der wegen Violinstunden verhandeln wolle, und geleitete ihn selbst in Herrn Morgitzkys Zimmer hinein.

Es war ein kleiner, aber freundlich heller, nett ausgestatteter Raum, der außer den üblichen Möbeln einer besseren Studentenbude ein Klavier und einen reichen Wandschmuck von gerahmten und ungerahmten Bildern aufwies, zumeist Bildnisse großer Musiker, Photographien mit persönlichen Widmungen, Reproduktionen berühmter moderner Gemälde, Kupferstiche, Heliogravüren, Farbendrucke. Auf dem Aufsatz des soliden alten Zylinderbureaus stand unter einer schweren geschliffenen Glasscheibe eine große Photographie von Frau Ulla. Sie zeigte nur den Kopf und den Hals bis zum Brustansatz ohne Bekleidung, und daneben zu beiden Seiten standen die Bilder anderer Damen, anscheinend Verwandte, Freundinnen, Schülerinnen, darunter auch die jüngste Photographie Sonja Merkers. Auf zwei gegeneinander gestellten Rohrstühlen lag offen ein halb gepackter Koffer.

Als Frau Lublinski bemerkte, daß die Augen des fremden Herrn diesen Koffer streiften, stieß sie einen tiefen Seufzer aus. »Ach Gottchen, ja,« sagte sie wehleidig; »jetzt werden für unsereinen wohl auch schwere Zeiten kommen. Die jungen Leute rücken alle ins Feld, wenn der Krieg ausbricht. Herr Morgitzky macht sich auch schon reisefertig, wie Sie sehen. Die russischen Untertanen werden wohl alle ausgewiesen werden, sagte er. Glauben Sie auch daran, lieber Herr, daß es wirklich Krieg gibt, und daß die Engländer und die Franzosen uns auch über den Hals kommen werden?«

»Unzweifelhaft,« nickte der alte Herr ernst.

»Ach, Gottchen, ach Gotte doch, was soll denn dann aus unsereinem werden?« jammerte die Witwe. »Ich hab' doch meine beiden Stuben noch nie lange leer gehabt, weil sie so sauber und freundlich sind, und ich nehme mich auch wie eine Mutter an um die jungen Herren. Aber wenn die nun alle mit müssen ... Denken Sie, mein Ältester steht im Elsaß bei der Artillerie – die kommen dann doch gleich zuerst dran.«

»Ja, liebe Frau, dagegen ist nichts zu machen,« sagte Merker ungeduldig. »Da heißt es eben für uns alle: Zähne zusammenbeißen und seine Pflicht tun. Wer fällt, der fällt für eine große und gerechte Sache, denn wir haben den Krieg nicht gesucht. Wenn die neidischen Nachbarn über uns herfallen, um unserem Glück den Garaus zu machen, so müssen wir uns eben unserer Haut wehren bis zum letzten Blutstropfen.«

»Nu, das versteht sich,« bestätigte die Frau eifrig. »Mein seliger Mann war ja Pole aus Preuß'sch-Polen, und geschimpft hat er genug über die Regierung; aber Siebzig hat er stramm mitgemacht und das Eiserne Kreuz gekriegt, und er hat immer gesagt, wenns' wieder gegen die Franzosen ginge, dann machte er mit – aber noch lieber gegen die Russen –, weil er nämlich keine Verwandtschaft in Russisch-Polen hat. Und die haben's drüben noch viel schlechter, sagt er, und wären froh, wenn unsere Leute kämen und sie preuß'sch machten, sagt er. Und was mein Herr Morgitzky ist, der macht auch nicht mit gegen uns, sagt er. Wenn der Zar in die Luft fliegen möchte, tät er sich in Champagner besaufen, hat er gesagt.«

Herr Merker hatte auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz genommen und ließ mit mattem Lächeln den Redeschwall der Witwe über sich ergehen. Die merkte nun doch wohl, daß sie lästig falle, und machte sich mit einer Entschuldigung davon.

Sobald sich Merker allein sah, beugte er sich vor und betrachtete mit verstörter Miene das große Bild seiner Frau. Es war ihm unbekannt – vermutlich eine Vergrößerung nach einer Liebhaberaufnahme. Er mußte schmerzlich auflachen, als das Wort in seinem wütend arbeitenden Hirn auftauchte. Was mochte der Liebhaber noch für Aufnahmen gemacht haben, wenn die rothaarige Nixe in diesem engen, sonnenwarmen Räumen bei ihm weilte! Und mit der Beschützerin solcher verbrecherischer Heimlichkeiten hatte er eben noch freundliche Worte gewechselt! Eine zitternde Wut rieselte von unten her an seinen Nerven hinauf und peitschte eine heiße Welle in sein Hirn. Er fühlte sich in Versuchung, das Bild mit beiden Händen zu packen und an irgendeiner scharfen Kante zu zerschmettern. Aber er zwang sich; es galt, seine Würde zu wahren.

Allzu lange brauchte er nicht mehr zu warten. Bald nachdem er die nächste Turmuhr die siebente Stunde hatte schlagen hören, wurde draußen die Wohnungstür geräuschvoll ins Schloß geworfen und feste Schritte näherten sich dem Zimmer. Noch gab es einen kleinen Aufenthalt, denn die Vermieterin hielt den jungen Mann mit wortreichen Entschuldigungen auf wegen ihrer Eigenmächtigkeit, einen Fremden zu ihm hineingelassen zu haben. Von der Hitze des Tages und dem raschen Aufstieg waren seine Wangen gerötet, doch sobald er seines Gastes, der sich bei seinem Eintritt langsam erhob und zu seiner ganzen gebieterischen Höhe aufreckte, ansichtig wurde, erblaßte er plötzlich und zog die Tür mit einer Hast hinter sich ins Schloß, die noch deutlicher als dies Erblassen sein Entsetzen verriet.

Doch seine Verwirrung währte nur wenige Sekunden. Dann verbeugte er sich mit einem krampfhaften Lächeln und stieß atemlos hervor: »Ah, Herr Merker! ... Pardon ... ich ... bin die Treppen etwas presto hinaufgesprungen. Aehm, was verschafft mir die Ehre? Bitte, behalten doch Platz, Herr Merker.«

»Unser Geschäft läßt sich besser stehend erledigen,« begann der alte Herr mit unheimlicher Ruhe: »Sie haben ein Verhältnis mit meiner Frau.«

»Herr Merker, ich muß bitten ...«

»Ausflüchte helfen Ihnen nichts, den sie hat es mir selbst gestanden. Also antworten Sie! Wie lange bestehen Ihre Beziehungen?«

Der junge Mann ergab sich in sein Schicksal. Er senkte den Kopf und antwortete mit knabenhaftem Trotz: »Seit zwei Jahren vielleicht.«

»Meine Frau hat Sie hier besucht?«

»Auch, zuweilen.«

»Dann waren diese Beziehungen also intimer Natur?«

Morgitzky schwieg. Wohl eine halbe Minute lang – eine fürchterlich gespannte Endlosigkeit dünkte sie den jungen Menschen – musterte der hünenhafte Gatte mit haßerfülltem Blick seinen Nebenbuhler von Kopf bis zu den Füßen. Er vermochte keine Schönheit an ihm zu entdecken, die ihm die tolle Begier seines Weibes gerade nach diesem Mannsbild hätte erklären können. Und das reizte seinen Grimm. Sein Atem ging hörbar aus und ein und sein gütiger Mund verzerrte sich seitwärts. Endlich fand er wieder Worte. Worte, gleich Peitschenhieben: »Sie haben wohl damit gerechnet, daß Sie es mit einem wehrlosen alten Manne zu tun hätten, der um seiner Ruhe willen gegen alles die Augen verschließt. Ich weiß, meine Frau steckt voll von Kenntnissen über solche Männer in unserem eigenen Familien- und Bekanntenkreise. Ich gehöre aber nicht dazu; ihr habt euch verrechnet. Ich gedenke dieser Sache ein Ende zu machen.«

Morgitzky gab sich einen Ruck, warf den Kopf hoch und sah seinem Gegner ins Gesicht: »Bitte, Herr Merker, ich stehe Ihnen zu Diensten.«

»Ach, Sie glauben wohl, ich würde mich mit Ihnen auf die Förmlichkeiten eines Duells einlassen, damit Sie mich unter dem Schutz des Gesetzes aus dem Wege räumen können? In solchen Dummheiten bin ich doch wohl zu alt. Körperlich getraue ich mir noch zu, Sie mit dem Stock zu züchtigen, auch wenn Sie sich wehren.«

Er griff bei diesen Worten nach seinem Bambusrohr, das er auf den Mitteltisch, neben dem er gerade stand, gelegt hatte, und hob es drohend empor. Doch sein zitternder Arm strafte seine herausfordernde Behauptung Lügen. Der stämmige junge Mann wäre doch wohl leicht mit ihm fertig geworden. Er stand auch ganz ruhig da, der Geiger, ohne sich zu ducken, ohne auch nur den Arm zur Abwehr zu erheben.

»O, Herr Merker,« sprach er, fast mitleidig mahnend: »Prügelei wäre häßliches Ende für diese unglückliche Geschichte.«

Der alte Herr fühlte, daß er seiner Würde etwas vergeben habe, ließ die Hand mit dem Stock sinken und stützte sich fest darauf. Er besann sich eine kleine Weile und dann sprach er, seine Stimme dämpfend:

»Sie werden sofort abreisen und mir Ihr Ehrenwort geben, meiner Frau niemals mehr in den Weg zu kommen ... auch brieflich nicht. Sollten Sie jedoch Ihr Ehrenwort brechen ...«

»Das wird schwerlich geschehen,« unterbrach ihn der Pole, seine beiden dicken Brauen zusammenziehend; »denn von meiner Seite besteht das Verhältnis schon lange nicht mehr.«

»Ach was, das sagen Sie jetzt, um mich los zu werden,« fuhr ihm Merker heftig an; »das sind Ausflüchte!«

»Aber nein, ich werde beweisen.«

»Wie wollen Sie das beweisen?«

»Herr Merker, ich bitte Sie um die Hand Ihrer Tochter!«

Der alte Herr stand sprachlos; mit offenem Munde da. Dann übergoß eine tiefe Röte sein gutes altes Kaisergesicht bis hinauf auf den kahlen Schädel, und er stammelte mit Anstrengung:

»Das ist denn doch ... Herr!... Eine solche ... Unverfrorenheit ...«

Die zitternden Knie trugen ihn nicht mehr, er mußte sich setzen. Und da trat der Pole dicht vor ihm hin und sagte mit erstaunlicher Geläufigkeit, wie auswendig gelernt: »Ich weiß, Herr Merker, es ist sehr unverschämt von mir, in diesem Moment, in eine solche Situation; aber was wollen Sie: ist es nicht Beweis? Ich habe Ihre Gattin gekannt, lange bevor ich für Geigenlektionen engagiert wurde. Ich hätte nie gewagt, Frau Gemahlin zu lieben ... Aber das ist peinlich, sprechen wir nicht davon. Ein junger Mann in meine armselige Verhältnisse ist dankbar ... aber, wenn die Liebe für ein junges Mädchen dazwischenkommt, so schämt er sich, und die Dankbarkeit wird ihm eine Qual. So war es mit mir. Fräulein Sonja liebt mich – ich weiß nicht warum, aber sie liebt mich. Gestern haben wir Rendezvous gehabt – nicht hier, bitte! – im Tiergarten, und sie hat mir gesagt, daß wir in den Ausland reisen wollen, ehe zu spät ist, und dort sich heiraten und verstecken unter fremder Name. Ich habe ihr gesagt: Liebes Kind, hab' ich gesagt: ich liebe dich, aber das ist unmöglich, denn wir werden den Krieg haben. Ich soll sofort abreisen und mir in Warschau zu Militär stellen. Aber das will ich nicht, ich hasse Rußland, und ich will nur kämpfen in ein Armee, das Rußland zerschmettern wird. Und das ist deitsche Armee.«

»Was Sie sagen!« rief Merker ungläubig.

»Ich muß bitten, ich sage nur Wahrheit. Ich bin heute ganzen Tag herumgelaufen, man hat mir von ein Platz zu die andern geschickt, weil ich nicht wußte, wo ich anmelden kann, daß ich will ein Deitscher werden. Man hat mir gesagt, daß ich noch nicht genug lange wohne in Deitschland, und daß Russen verdächtig sind, und ich soll sofort mein Paß visitieren lassen und abfahren. Aber das tu' ich nicht, das will ich nicht. Ich laufe bis zum Kaiser, wenn man mich nicht will gegen verfluchte Russen kämpfen lassen.«

Morgitzky hatte sich in einen Eifer hineingeredet, der sein breites, unschönes Gesicht verklärte, und in seinen Augen lachte junghelle Begeisterung.

Der alte Herr saß verlegen da, spielte mit dem Stock in seiner Hand und wußte nicht, was er zu alledem sagen sollte. Da ging draußen im Vorplatz die Tür. Die kurze Frage einer Männerstimme, Frau Lublinskis ängstliche Antwort, feste Tritte, und im nächsten Augenblick ging die Tür auf, und zwei stämmige Männer, ein korpulenter kleiner und ein schlanker von ansehnlicher Größe, traten ein, ohne anzuklopfen.

Sie zogen beide gleichzeitig aus ihrer Brusttasche eine Blechmarke hervor, durch die sie sich als Kriminalschutzleute zu erkennen gaben, erklärten Herrn Stanislaus Morgitzky im Namen des Gesetzes für verhaftet und ersuchten ihn, gutwillig mit ihnen zu gehen. Sie hätten eine Droschke vor der Tür warten.

Der Geiger war so erschrocken, daß er unwillkürlich sich an Herrn Merkers Seite schmiegte und dessen linken Oberarm mit beiden Händen umfaßte.

»Was wollen Sie von mir?« rief er wütend, trotz seiner Angst. »Ich habe nichts getan.«

»Das wird sich ja zeigen,« sagte der korpulente Schutzmann. »Geben Sie Ihre Schlüssel heraus, wir müssen Ihre Papiere beschlagnahmen. Wenn sich nichts Verdächtiges findet und Sie sich somit über ihren Umgang und so weiter ausweisen können, sind Sie morgen vielleicht schon frei.«

Während die beiden Beamten den Sekretär und den offenen Koffer durchsuchten, erhob sich Hermann Merker schwerfällig, entnahm aus seiner Brieftasche eine Visitkarte und reichte sie dem größeren der beiden Schutzleute hin. Er räusperte sich, und dann sagte er hastig: »Ich glaube, ich kann mich für Herrn Morgitzky verbürgen, wenigstens insoweit, daß er kein russischer Spion ist. Nehmen Sie meine Adresse, falls Sie meine Zeugenschaft brauchen.«

Da wendete sich der Geiger rasch nach ihm um und blickte leuchtenden Auges zu ihm auf.

»O, Herr Merker!« sagte er nur.

Der alte Herr griff nach seinem Hut, nickte dem Zerstörer seiner teuersten Illusionen väterlich zu und wollte wortlos das Zimmer verlassen.

Morgitzky eilte ihm nach und bemächtigte sich gewaltsam seiner Hand. »Herr Merker,« flüsterte er leidenschaftlich: »wenn ich lebendig zurückkomme und wenn ich bewiesen habe, daß ich mit mein' Blut für Deitschland gut sein will, werden Sie mir dann ...«

Des alten Herrn Auge ruhte ein paar Sekunden lang wehmütig auf dem jungen Mann, doch ein Versprechen ließ er sich nicht entreißen. Er erwiderte nur den Druck der feinen Geigerhand. Dann verließ er gebeugt, schleppenden Schrittes das Zimmer.

Am Abend desselben Tages noch hatte Frau Ulla aus dem Munde ihres Gatten erfahren, daß Morgitzky die unerhörte Keckheit gewagt habe, ihn um Sonjas Hand zu bitten, und daß er verhaftet sei. Die erste Nachricht hatte auf Frau Ulla niederschmetternder gewirkt als die zweite, denn sie war überzeugt, daß Stanislaus es ihr nicht verschwiegen hätte, wenn er wirklich Mitglied einer russischen oder polnischen Umsturzpartei oder gar Spion im Dienste der russischen Regierung gewesen wäre.

Eine kindliche Offenherzigkeit gehörte zu den guten Eigenschaften des leichtsinnigen Burschen, und vor der Neugier seiner berauschenden Geliebten war kein Geheimnis in seiner Brust sicher. Deshalb war sie überzeugt, daß man ihn bald freilassen müsse, wenn auch vielleicht nur, um ihn über die Grenze abzuschieben.

Sonjas heimliche Liebe empfand sie dagegen als schmählichen Verrat, als einen heimtückischen Dolchstoß, im Schlafe gegen ihr Herz geführt. Sie hatte ihre Tochter als ein halbes Kind angesehen, als einen koketten Backfisch, wie sie sich abenteuerlustig auf der Tauentzinstraße in Massen herumtreiben. Und sie hatte sich schier behaglich aus dem Rocker alle seine Stelldicheins mit Gymnasiasten und Einjährigen beichten, seine harmlos törichten Liebesbriefe zeigen lassen und mit ihm gekichert über alle dies kindlichen Torheiten.

Daß das Kind zur Leidenschaft reif geworden war, war ihr entgangen. Sie fand Sonja nicht einmal hübsch und ihre unentwickelten Formen noch gänzlich reizlos. Darum war sie auf den Gedanken gekommen, sie für Violinunterricht zu begeistern – natürlich nur zu dem Zweck, um ihren angebeteten Künstler häufiger sehen und mündlich mit ihm über Zusammenkünfte verabreden zu können. Und in diesem Nichts, in dieses unreife Gemüse konnte sich der siebenundzwanzigjährige Mann verlieben, nachdem er alle Entzückungen ausgekostet hatte, die ihre vollendete Liebeskunst, ihre immer noch siegessichere Schönheit ihm zu bieten vermochte!

Es war noch ein Glück zu nennen, daß Sonja und Fritz an diesem Abend ausgebeten waren, denn in der gegenwärtigen Verwirrung aller ihrer Gefühle hätte sie das Mädchen nicht sehen können, ohne sich ihr gegenüber zu verraten, und Sonja durfte um keinen Preis erfahren, welche Nebenbuhlerin sie mit ihrer albernen Backfischkoketterie aus dem Felde geschlagen habe.

Frau Ulla hielt es für ausgeschlossen, daß Sonja von ihren eigenen Beziehungen zu Stanislaus etwas wisse. Es schien ihr undenkbar, daß der Geliebte die Mutter dem Sohne der eigenen Tochter sollte ausgeliefert haben. Vielleicht war ihm der Gedanke, diese tolle Werbung um Sonja zu wagen, nur in der Verzweiflung gekommen, um Merkers Wut abzulenken.

Ja, selbstverständlich, es konnte nicht anders sein. Tausendmal lieber wollte sie ihn, den Angebeteten, feige vor dem gerechten Zorn des betrogenen Gatten zurückweichen sehen, als ihn eines so nichtswürdigen Verrates an ihrer Liebe für fähig zu halten. Jedenfalls wollte sie sich Gewißheit verschaffen – gleich morgen. Wenn er noch nicht auf freiem Fuß gesetzt war, so wollte sie mit Hilfe der Polizei schon erfahren, wo er in Haft saß. O, sie wollte ihn zur Rede stellen! Ihr sollte er nicht durch Ausreden entwischen können! Sie besaß einen feinen kleinen Revolver aus Perlmutter, mit Gold tauschiert, das Stahlwerk fein vernickelt; den wollte sie auf alle Fälle zu sich stecken. Und wenn es sich zeigte, daß der Elende nichts Besseres als eine Kugel verdiente, so wollte sie ihn zu treffen wissen und ihrem eigenen geschändeten Dasein gleich mit ein Ende machen.

Gegen ihre Gewohnheit verriegelte sie an diesem Abend ihre Schlafzimmertür und ließ sich von den ziemlich früh heimkehrenden Kindern nicht mehr sprechen. Und in der fürchterlichen, schlaflosen Nacht durchlebte sie erschütternde, wilde Auseinandersetzungen, blutige Katastrophen ... Aber immer nur zwischen sich und dem Geliebten oder der verhaßten Tochter, während der Gedanke an ihren Gatten nur ganz flüchtig durch ihre wüsten Ängste, durch ihre grimmigen Schmerzen huschte. Sie schlief erst gegen sechs Uhr morgens ein und erwachte um zehn Uhr des anderen Tages zerschlagen, verwüstet, mit heftigen Kopfschmerzen. Ihr Spiegel zeigte ihr eine alte Frau, und sie trug ängstlich Sorge, sich von niemand sehen zu lassen. Auch vor dem Dienstmädchen, das ihr das Frühstück brachte, verbarg sie ihr Gesicht in die Hände. Erst am späten Nachmittag stand sie auf und kleidete sich an. Sie brauchte zwei Stunden dazu, denn sie konnte mit ihrer Frisur nicht fertig werden, und im Schminken besaß sie nicht die nötige Geschicklichkeit, um sogleich eine Maske herzustellen, die die Sturmschäden dieser schrecklichen Nacht forschenden Blicken zu verhüllen imstande gewesen wäre.

Als Ulla endlich zum Ausgehen bereit war und sich vergewissert hatte, daß keines der Ihrigen daheim sei, machte sie sich verschleiert auf den Weg und nahm ein Auto nach dem Kreuzberg hinaus. Auf der Straße wurden Extrablätter ausgeschrien. Es war der 1. August, die Kriegserklärung an Rußland, die Mobilmachung des deutschen Heeres waren soeben verkündet worden. Sie hörte die schicksalsschweren Worte tausendfach durch die Luft schwirren.

Hurrarufende, die »Macht am »Rhein« singende Menschenmengen nötigten ihren Wagen zu langsamer Fahrt, ihr Schofför bestätigte ihr leuchtenden Auges die große Neuigkeit und erzählte ihr, daß er Vater von drei Kindern sei und sich schon morgen als Landwehrmann stellen müsse.

Sie hörte kaum darauf, es ließ sie alles kalt. Ihr fieberndes Gehirn marterte sie nur mit dem einen Gedanken, wie sie es ihm sagen sollte. In der Nacht hatte sie flammende Worte der Empörung gefunden, Worte, die einen stählernen Sinn gezwungen hätten, in Tränen zu zerschmelzen. Und nun war alles ausgelöscht. Sie hatte den Anfang vergessen und fuhr dem Beginn der Tragödie entgegen, wie ein Schauspieler, den das Lampenfieber vor seiner ersten großen Rolle wahnsinnig gemacht hat.

Sie ließ das Auto vorsichtshalber schon am Eckhaus einer Seitenstraße halten und ging zu Fuß weiter nach dem Haus, in dem Morgitzky wohnte. Sie jagte die vier Treppen hinauf und schellte. Frau Lublinski erschien alsbald mit tief bekümmertem Gesicht, und als sie die vornehme Dame erkannte, die so oft ihren Zimmerherrn heimgesucht hatte, zog sie sie ungestüm bei der Hand in die Wohnung und überfiel sie zungengeläufig mit ihren aufregenden Neuigkeiten. Ob sie denn schon wisse, daß Herr Morgitzky verhaftet sei. Ein würdiger alter Herr sei gestern dagewesen, und sie hätte ihn in ihrer dummen Vertrauensseligkeit ins Zimmer hineingestoßen. Der Mann sei sicher ein hoher Polizeibeamter gewesen; denn bald, nachdem ihr Mieter heimgekehrt sei, habe es eine heftige Auseinandersetzung zwischen den beiden gegeben, und dann seien zwei Kriminale in Zivil gekommen, hätten alles durchwühlt, alle Papiere beschlagnahmt und den jungen Herrn gleich mitgenommen.

»Ich weiß, ich weiß alles,« sagte Fau Ulla matt. »Geben Sie mir ein Glas Wasser, lassen Sie mich ein bißchen ausruhen – ich kann nicht mehr.«

Sie wankte in das Zimmer des Geliebten und warf sich auf den Diwan. Als Frau Lublinski das Wasser brachte, liefen ihr dicke Tränen über das zerknitterte, gutmütige Gesicht.

»Ach Gottchen, ach Gottchen, liebe gnädige Frau!« jammerte die Witwe: »Ich konnte doch wahrhaftig nichts dazu. Was soll man denn machen, wenn ein hoher Polizeibeamter durchaus herein will in die Wohnung – nicht wahr? Sagen Sie doch man selber. Nee, nee, ich sage, man ist ja nicht mehr seines Lebens sicher in solche schreckliche Zeiten! Wissen Sie schon? Nu is richtig der Krieg erklärt, und ich komme noch in Verdacht, daß ich russische Spione bei mir zu wohnen habe.«

Frau Ulla suchte die Aufgeregte zu beruhigen. Sie wisse bestimmt, daß Herr Morgitzky unschuldig sei, und sie werde sich sofort auf den Weg machen, um seine Freistellung zu beschleunigen. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, daß er trotzdem des Landes verwiesen werde. Aber sie, die Witwe Lublinski, solle dadurch keinen Schaden erleiden; sie würde ihr gern den Verlust ersetzen.

Das war freilich ein Trost, der die Tränen der Witwe rasch zum Versiegen brachte. Sie erging sich in dankbaren Beteuerungen und strich die vortrefflichen Eigenschaften ihres Mieters nach Kräften heraus, um auch ihrerseits der verstörten Dame einigen Trost zu spenden.

Frau Ulla hörte kaum auf das Geschwätz. Sie hatte sich den immer noch offen stehenden Schubkasten des Zylinderbureaus zugewendet und suchte mit nervöser Hast darin herum. Nach ihren Liebesbriefen suchte sie, von denen ein ansehnlicher Pack vorhanden gewesen sein mußte, wenn nicht Stanislaus so vorsichtig gewesen war, ihn schon vorher in Erwartung der drohenden Kriegesgefahr zu vernichten. Wenn sie auf der Polizei die Briefe gelesen hätten ...! Doch das war nun schon alles einerlei, wenn nur der Geliebte nicht Berlin verlassen mußte, ohne daß sie ihn vorher noch zu sprechen imstande war!

Sie starrte, von dieser neuen Angst betäubt, in das durchwühlte Schubfach vor sich und quälte ihr schmerzendes Hirn vergeblich ab um einen Entschluß. Sie hatte schon wieder vergessen, daß sie nach dem Polizeipräsidium fahren wollte. Ohne recht zu wissen, was sie tat, nahm sie ihr eigenes Bildnis vom Aufsatz des Sekretärs herunter und suchte nach einem Papier, um es einzuschlagen, als draußen die schrille elektrische Klingel ertönte.

Frau Lublinski eilte hinaus mit den Worten: »Das is er am Ende. Den Drücker hat er nicht bei sich, den hat er gestern in der Eile liegen lassen.«

Frau Ulla ging der Witwe nach und blieb lauschend hinter dem offen gebliebenen Torflügel stehen. Die plötzliche Hoffnung ließ ihr Herz wie toll schlagen und sie preßte, als ob sie es dadurch beruhigen könnte, das schwere, kühle Kristallglas ihres Bildnisses fest gegen ihre Brust.

Da vernahm sie draußen – Sonjas Stimme! Die Worte konnte sie nicht verstehen, das Blut brauste ihr in den Ohren. eine wahnsinnige Angst ließ ihr die Fingerspitzen erstarren. Sie vermochte die Tür nicht zu schließen, ohne in den offenen Türrahmen hinauszutreten. Und sie duckte sich in eine Ecke zwischen dem schrägstehenden Sekretär und der Fensterwand.

Im nächsten Augenblick betrat Sonja das Zimmer.

Sie hatte Frau Lublinski, die ihr den Eintritt verwehren wollte, beiseite geschoben und rief laut:

»Es ist nicht wahr, es ist doch jemand im Zimmer, ich hab's ja gehört.«

Und ihr Blick entdeckte sofort die Mutter in ihrem kindischen Versteck. Das Mädchen fuhr entsetzt zusammen, aber sie faßte sich rascher als die gänzlich verwirrte Frau. Sie griff der Mutter fest unter die Arme und zog sie aus ihrer geduckten Stellung in die Höhe.

»Nimm dich doch zusammen, um Gottes willen!« flüsterte sie ihr rasch zu. »Laß nur die Frau nichts merken, ich bitte dich!« Und lächelnd wendete sie sich nach der neugierig bestürzten Witwe um und rief fast übermütig: »Na also, ich dachte mir's doch! Sehen Sie, wenn ich mich von Ihnen hätte einschüchtern lassen, dann hätte ich jetzt meine geliebte Tante nicht gefunden, und wir säßen alle noch in schrecklicher Angst um sie.« Und wieder zur Mutter gewendet fuhr sie fort: »Also komm schon, Tantchen, stütze dich nur auf mich. Wir nehmen ein Auto. Womit schleppst du dich denn da? Laß doch das Bild hier.«

Aber Frau Ulla hielt nach wie vor die schwere Spiegelscheibe krampfhaft an ihre Brust gepreßt und sah mit irrem Blick an der Tochter vorbei.

Da ergriff Sonja sie mit sanfter Gewalt unterm Arm und führte sie hinaus. Vor der Wohnungstür wendete sie sich noch einmal nach Frau Lublinski um und suchte ihr durch eine sprechende Miene begreiflich zu machen, daß die arme Tante nicht recht bei Verstand sei.

Frau Ulla ließ sich ohne Widerstand die Treppen hinuntergeleiten und in das bereitstehende Auto helfen.

In rascher Fahrt sauste der offene Kraftwagen durch die breiten, weniger belebten Straßen, die den Südwesten unter den Schienengleisen der Anhalter und Potsdamer Bahn hindurch mit den Westen verbinden. Und der frische Luftzug brachte Frau Ulla wieder zu sich. Sie befreite ihren Arm aus dem der Tochter, musterte sie mit einem feindseligen Blick und fragte, was sie denn in der Wohnung des Geigers zu suchen gehabt hätte.

»Aber liebe Mama,« versetzte Sonja, indem sie die ausweichende Mutter begütigend zu streicheln versuchte. »Du kannst dir doch denken, daß ich alles weiß.«

»Was heißt das? Was alles weißt du?«

»Na, daß er verhaftet ist, und daß er gestern um mich angehalten hat. Vater hat es mir heute morgen beim Frühstück gesagt.«

Frau Ullas Blick forschte mißtrauisch in dem geradeaus gewandten Antlitz der Tochter:

»So, ist das wirklich alles?« fuhr sie zögernd fort. »Hat dir Vater nicht streng verboten, weiter mit ihm zu verkehren? Hat dir Vater nicht gesagt ...«

Da neigte sich Sonja gegen der Mutter Schulter und sprach ihr ins Ohr: »Er hat mir gesagt, daß Stanislaus sich als Freiwilliger bei unseren Truppen stellen will gegen Rußland. Und wenn er heil zurückkomme, dann dürfte er wieder bei ihm anfragen. Das andere hat mir Vater nicht zu sagen gebraucht, ich wußte es ja längst, arme Mama, und Vaters verstörtem Gesicht merkte ich es deutlich genug an, daß er's entdeckt haben muß.«

»Du hast es gewußt?«

Wie ein erstickter Schrei würgten sich die Worte aus ihrer eingeschnürten Kehle hervor. Damit machte sie, sich halberhebend, eine verstörte Bewegung, nach der Tür hin, als wollte sie aus dem rasch fahrenden Wagen hinausspringen.

Sonja klammerte sich fest an ihren Arm und zog sie auf den Sitz zurück. »Mama, Mama, sei doch gut! Beruhige dich doch! Ich bin doch auch ein Weib – für so was hat man doch Augen. Ich habe entsetzlich darunter gelitten, das kannst du mir glauben! Und wie ich dann merkte, daß Stanislaus sich stärker für mich zu interessieren begann, da war ich erst wütend – wahrhaftig Mama! Auf ihn und auf mich. Aber was kann man den ausrichten gegen die Leidenschaft? Es packte uns immer stärker – und schließlich gestanden wir es uns und wollten zusammen fliehen. Aber das ist ja nun alles gleichgültig – jetzt haben wir den Krieg, und da handelt es sich um ganz andere Dinge als um unsere Privatgefühle. Verzeih mir doch, bitte, bitte, liebe Mama, verzeih mir doch! Wir müssen doch jetzt alle zusammenhalten. Wenn du Vater heute morgen beim Frühstück gesehen hättest ... er leidet so furchtbar! Hab' doch Erbarmen mit ihm – auch wenn du mir nicht verzeihen kannst. Er liebt dich doch über alles – du mußt jetzt zu ihm halten – du mußt, Mama.«

Das Mädchen hatte sich in einen glühenden Eifer hineingeredet. Sie packte die Mutter fest um die Schultern, schüttelte sie in ihrer Aufregung gewaltsam und wollte aus ihren Augen die Wirkung ihrer eindringlichen Rede abzulesen suchen. Aber die Augen waren fest geschlossen, das Gesicht aschfahl, soweit die Schminke die natürliche Hautfarbe erkennen ließ, die Glieder steif. Sie hielt eine Ohnmächtige in den Armen.

In der Bülowstraße ließ sie vor einer Apotheke halten und schleppte mit Hilfe des Schofförs die Mutter hinein. Starkriechende Salze und eine kalte Kompresse auf die Herzgrube brachten sie wieder zum Bewußtsein. Ein Glas starken Weines tat das übrige, und nach einer Viertelstunde war sie wieder bewegungsfähig. Sie wollte nicht mehr fahren, sie wollte durchaus laufen, so sehr Sonja ihr auch zuredete, doch auf dem kürzesten Wege mit ihr heimzufahren.

Sie riß sich von der Tochter los, als diese sie am Arme nach der Richtung der Tauentzienstraße führen wollte. Zur Potsdamer Straße strebte sie und lief so rasch, daß das Mädchen alle Mühe hatte, mit ihr gleichen Schritt zu halten.

»Ich will nicht nach Hause,« wiederholte sie mehrmals in verstörtem Trotz. »Ich will euch alle nicht mehr sehen! Ihr haßt mich, und ich hasse euch! Fort, fort, fort! Nur fort mit mir! So geh doch nur, du! Was hängst du dich denn an mich? Ich bin doch eine Verbrecherin! Geh doch zu deinem Vater – geh doch zu deinem Liebsten!«

Aber Sonja ließ sich nicht einschüchtern. Ein zäher Wille war in diesem gedankenlosen, schlaff-trägen Mädchen erwacht. Und die fest gefügte, weit stärkere Mutter vermochte sich nicht aus der Klammer der spielerischen Kinderhände zu befreien.

Sie gerieten unter das aufgeregte Menschengewühl am Potsdamer Platz, und die Woge trug sie fort. Durch die Voß- und die Wilhelmstraße brachen sie durch, um Unter den Linden von einer neuen, noch viel gewaltigeren Flut erfaßt und bis vor das Kaiserschloß getragen zu werden. Das ganze Volk der Millionenstadt schien auf den Beinen, und die vaterländischen Lieder brausten in wild melodischem Sturm zum golden besternten Abendhimmel empor.

Der Kaiser trat auf den Balkon des Schlosses hinaus und redete zu seinem Volke mit weithin schallender Stimme. Mit hunderttausenden, zwischen deren heißen Leibern sie eingekeilt waren, lauschten auch die beiden schuldverstrickten Frauen. Sie hielten den Atem an, um keines der kaiserlichen Worte zu verlieren. Doch sie standen zu weit entfernt. Es war unmöglich, den Sinn der Rede zu erfassen, aber seiner Stimme Klang drang doch durch zu ihnen, und sie sahen ihn seinen Arm grüßend gegen sein Volk schwenken, ihn, den obersten Kriegsherrn über Millionen und aber Millionen wafffenfreudiger, zum Siegen und zum Sterben bereiter Deutschen. Und sie stimmten mit ein in die gewaltige Fanfare von Hurras, die zu dem Kaiser emporbrauste. Sie schrien und lachten und weinten, wie alle die anderen, und ließen sich drücken und stoßen in dem wilden Gedränge, bis die zurückbebende Woge sie in die Charlottenstraße hineinspülte.

Frau Ulla hatte die ganze Zeit über ihr Bild nicht von sich gelassen und Sonjas Erbieten, es abwechselnd mit ihr zu tragen, in heftigster Aufregung abgewehrt. Nun aber, als sie sich plötzlich nicht mehr von der zusammengeballten Masse gestützt und geschoben fühlte, versagten ihr die schier gelähmten Arme den Dienst. Sie ließ das Bild aufs Pflaster fallen und brach lautlos, ohnmächtig in die Knie. – – –

Als Frau Ulla wieder zu sich kam, fand sie sich auf dem Diwan ihres Wohnzimmers und ihre Hand in der ihres Gatten. Sie sah sein gutes Gesicht mit dem Ausdruck tiefen Kummers über sich gebeugt und schloß vor seinem Blick ängstlich die Augen.

»Warum hat man mich denn hierher gebracht?« war das erste, was sie zu sagen vermochte. »Ich wollte doch nie wieder ... ihr habt mich doch ... ihr verachtet mich doch ... ihr wäret ja alle froh, wenn ich nicht mehr ...«

Da strich ihr eine gütige Hand das wirre rote Haar aus der bleichen Stirn, und eine ernst-freundliche Stimme sprach. »Laß das doch jetzt, liebes Kind. Für unseren Haß und unsere Verachtung haben wir jetzt draußen eine bessere Verwendung. Aber in unseren Häusern soll Friede sein. Die Stunde ist so groß; jetzt ist die rechte Zeit zur Sühne!«


UND nun kamen diese herrlichen ereignisreichen Augusttage. Feierstunden schlugen unserem deutschen Volke, wie ihrer die Geschichte wenige von ähnlicher Bedeutung aufzuzählen hat. Michel, der Riese, sprang mit einem Satze von der friedlichen Ofenbank auf, reckte die Glieder, ohne zu gähnen, fuhr in die Stiefel und schlüpfte in sein feldgraues Kleid. Sechs Kriegserklärungen binnen vierzehn Tagen! Aber Michel lacht und schreibt mit Kreide an seine Haustür: »Hier werden noch Kriegserklärungen entgegengenommen.« Der Kaiser ruft zu den Fahnen – und genau so viel Männer, als in den Listen standen, meldeten sich an ihrem Gestellungsort und obendrein noch anderthalb Millionen Freiwilliger. Wo in der Welt ward solches je erlebt! Und auch die bange Sorge, die auch die tapfersten Herzen bedrückte, wurde wie der Rauch eines Kartoffelfeuers durch den herrlichen Sturm der Begeisterung für die gerechte Sache zum Teufel geweht. Das war, als der Kaiser bei jener ewig denkwürdigen Eröffnung des Reichstages am 3. August das Konzept seiner Rede hinter sich warf und seine Hand den Volksvertretern leidenschaftlich werbend entgegenstreckte. »Schlagt ein, alle, alle! Wer mein Feind war, dem sei verziehen, wer wider mich war, der muß nun für mich sein, denn es ist nicht meine Sache, für die ich werbe, es ist unser aller Sache, unser aller heiligste Sache. Es handelt sich um Sein oder Nichtsein des Vaterlandes! Wir müssen siegen oder untergehen – und darum werden wir siegen!« – Und sie hatten alle eingeschlagen in die werbende Kaiserhand.

Das war vielleicht das Höchste, das Herrlichste in diesen wunderreichen Tagen gewesen. Dieselben Schreiberleute, die gestern noch für den Hurrapatriotismus nur Hohn und Spott übrig gehabt und für internationale Menschenverbrüderung, Abrüstung und sonstige freundliche Utopien geschwärmt hatten, sie erschienen heute in blanken Strahl geschnallt und anerkannten keine höhere Pflicht, keine edlere Leidenschaft, als für das Vaterland einzustehen mit Gut und Blut. Der wunderliche Traum der Sozialisten von der Brüderlichkeit und Gleichheit der Menschen schien über Nacht Wirklichkeit geworden. Es gab nicht Stand, nicht Rang, nicht Konfession noch Partei mehr, nur noch – Deutsche.

Fritz Merker las in seines Vaters Arbeitszimmer die Zeitung mit dem Bericht über die Eröffnung des Reichstages, die Rede des Reichskanzlers und die ruhmreiche Abstimmung. Es riß an seinem jungen Herzen, es heulte ihm in den Adern und peitschte alle seine Nerven auf. Tränen stürzten ihm aus den Augen, ein Schluchzen erschütterte seinen schlanken Körper.

Der Vater wendete sich nach ihm um. Sein Auge leuchtete unter den dichten weißen Brauen:

»Junge, Junge!« rief er den Sohn an. »Packt es dich so? Was sagst du nun zu deinen Sozis?«

Da warf Fritz die Zeitung beiseite, sprang vom Stuhl auf und drückte sein Taschentuch in die Augen.

»Was ich sage? Ich – schäme mich, Vater. Ich habe mich benommen wie ein ... Das ist alles so groß, so überwältigend stolz und schön ... Ich weiß nicht, ob ich überhaupt wert bin ... Lieber Vater, verzeihe mir, wenn du kannst. Jetzt weiß ich, was ich zu tun habe.«


FRITZ meldete sich noch am nächsten Tage als freiwilliger Flieger. Und als er dort angenommen war, ging er nicht gleich heim zu den Eltern, das Ereignis zu melden, sondern sprach erst noch bei Frau Oberstleutnant Lindner vor, um sie zu bitten, ihre Tochter darauf vorzubereiten, daß in den nächsten Tagen schon ihre Nottrauung stattfinden könne. Und die vergrämte Mutter lachte schier vor freudiger Überraschung und schalt den hübschen Jungen freundlich aus:

»Ja, was gibt es denn da vorzubereiten? Gehen Sie nur hinein und sagen Sie es der Herta selber. Es ist noch kein Mädchen davon gestorben, daß man ihr sagte: >Morgen sollst du deinen Liebsten heiraten.<«


ALS am Abend dieses selben Tages die Familie Merker beim Nachtessen beieinander saß, gab es lauter froh gerötete Gesichter.

Frau Ulla allein sah blaß und in sich gelehrt auf ihrem Platz und vermochte weder für die knabenhaft frische Großsprecherei ihres zukünftigen Luftbeherrschers noch für den reizenden Eifer Sonjas, die heute ihre ersten Unterrichtsstunden im Roten-Kreuz-Kursus mitgemacht hatte, ein Lächeln aufzubringen. Das lebhafte Gespräch wurde ausschließlich zwischen dem Vater und den beiden großen Kindern geführt. Sie zogen aus Schonung die Mutter nicht mit hinein und bemühten sich doch, sie nicht merken zu lassen, daß sie sie schonen wollten.

Bis nach Aufhebung der Tafel die beiden jungen Menschen auf ihre Zimmer gingen, um Briefe zu schreiben, blieb das Ehepaar allein im Eßzimmer zurück. Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander, jedes vom anderen erwartend, daß es ein erlösendes Wort finden werde.

Hermann Merker zündete sich eine Zigarre an und wollte eben wieder die Abendzeitung zur Hand nehmen, als er sich eines anderen besann und nach kurzem, prüfenden Blick auf seine Frau leise zu sprechen begann:

»Es ist doch wohl besser, wenn ich es dir sage, liebe Ulla. Die Kinder werden vielleicht Scheu tragen, daran zu rühren. Morgitzky hat an Fritz geschrieben; er ist frei, die Untersuchung hat nichts gegen ihn ergeben. Seine vielfachen Bekanntschaften mit einflußreichen Persönlichkeiten haben ihm sogar dazu verholfen, daß man seinem Wunsche, als Freiwilliger in unserem Heer den Krieg mitmachen zu dürfen, stattgegeben hat. Nur gegen Rußland traut man sich ihn, scheint es, vorläufig wenigstens, nicht marschieren zu lassen. Er ist zur Ausbildung in ein Ersatzregiment nach Mainz geschickt worden.«

Nur ein leichtes Zucken um ihren vollen Mund deutete die Wirkung dieser Nachricht an. Sie neigte den Kopf und dankte ihrem Gatten für die Mitteilung. Er stellte sich, als wenn die Zeitung seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nähme, aber er merkte dennoch, daß sich in ihrer Seele ein schwerer Kampf abspielte.

Nach einer kleinen Weile erhob sie sich und lenkte ihre Schritte nach der Tür zum Nebenzimmer. Aber sie gelangte nicht bis dahin. Ein väterliches Schluchzen ließ sich nicht mehr unterdrücken, und sie klammerte sich unterwegs an eine Stuhllehne an, um nicht umzusinken.

Hermann Merker war sofort auf den Beinen und sprang ihr stützend bei. Er legte seinen rechten Arm um ihre Hüfte und führte sie in sein Arbeitszimmer.

Dort ließ er sie in einen Klubsessel niedergleiten und sagte sanft:

»Armes Kind, sie haben dich furchtbar mitgenommen, die starken Erschütterungen dieser Tage, sonst würdest du auch dieser traurigen Sache wohl ihre gute Seite abzugewinnen können. Es gibt doch kein besseres Heilmittel gegen solche Irrungen und Wirrungen der Leidenschaft als angestrengte Arbeit in Erfüllung einer heiligen Pflicht. Ich freue mich aufrichtig, daß der junge Mann das von selber erkannt hat. Der Drill als gemeiner Soldat – freilich eine bittere Medizin für eine freie Künstlerseele, aber verlaß dich darauf, sie wird ihm gut tun.«

Sein Trost schien nicht zu verfangen, denn Frau Ulla brach in ein Schluchzen aus, das in einen Weinkrampf auszuarten drohte.

Ratlos stand er da und wußte nicht, wie er der Verzweifelten helfen sollte. Doch als er sich zum Gehen wendete, um Sonja über das Mädchen zu Hilfe zu rufen, da nahm sich das gequälte Weib gewaltsam zusammen und stöhnte würgend auf:

»Bleib, rufe nicht, ich – ich – komme schon wieder zu mir. Ich – wollte dir nur sagen, daß ich ... willst du mir deine Hand geben, Hermann?«

Er reichte sie ihr rasch hin und wollte sie zu sich emporziehen, aber dem widerstrebte sie. Sie blieb sitzen, umklammerte seine Hand mit ihren beiden, und heiße Tränen tropften darauf.

»Ich weiß, ich bin keiner Verzeihung wert,« fuhr sie fließender fort. »Es ist alles so verstört in mir, ich weiß nicht einmal, ob ich bereue – oder ob alles nur Scham und Wut ist. Schick' mich fort, Hermann, ich fühl's, ich bin hier nicht am Platze mehr; ihr weicht mir alle mit den Blicken aus. Ihr habt ja recht, ich bin die einzige, die nichts fürs Vaterland zu tun weiß. Gänzlich überflüssig drücke ich mich in dem Hause herum, das nicht mehr mein Heim ist. Das halte ich nicht aus.

Da setzte sich der alte Herr ihr gegenüber in den anderen Klubsessel, bemächtigte sich ihrer beiden Hände, der süßen, feinen Kinderhände,. die ihn immer wieder in zärtliches Entzücken versetzten, so oft er damit spielen durfte, und sprach väterlich eindringlich:

»Ulla, du redest ja Unsinn. Es liegt doch nur allein bei dir, ob du in meinem Hause dein Heim sehen willst oder nicht. Es kann doch überhaupt gar keine Frage sein, wo eine Frau in solchen todernsten Zeiten hingehört. Zu ihrem Mann, Ulla! Unter allen Umständen zu ihrem Manne ... und wäre er der Allerunwürdigste, wäre er selbst ein Schurke, ein Verbrecher! In solchen Zeiten der Entscheidung über das Schicksal der Gesamtheit gehören Mann und Frau zusammen.«

»Aber du mußt mich doch verachten, und vor meinen eigenen Kindern muß ich mich vor Scham verstecken! Wer kann denn das ertragen?«

»Liebes Kind, denke daran, was jeder einzelne von unseren Millionen Soldaten im Felde zu ertragen hat! Dagegen ist das alles nichts, was deinem Stolz so furchtbar hart dünkt. Und ich verachte dich auch nicht – nein, ich will ganz aufrichtig sein –, ich verachte dich nicht mehr, seit dieses Schicksal über unser Volk gekommen ist. Denn nun sind meine Gedanken und Gefühle auch alle in den herrlichen Wirbel der Begeisterung hineingezogen, und ich, der vor wenigen Tagen noch gern mein zerstörtes Leben von mir geworfen hätte, ich klammerte mich jetzt daran mit dem Lebensdurst eines Jünglings. Erst will ich wissen, was mit Deutschland wird, ehe ich daran denke, schlafen zu gehen. Ich komme mir einfach meines herrlichen Volkes unwert vor, wenn ich jetzt mich noch dazu erniedrigen könnte, die Frau zu verachten, mit der ich einundzwanzig Jahre glücklich gewesen bin. Und so mußt du es auch sehen und fühlen, meine arme Ulla. Zeige dich der großen Stunde wert und wirf deine Schwäche hinter dich.«

Da fiel sie vor ihm auf die Knie und sagte tief erschüttert: »Du hast recht. Ich danke dir, mein lieber Mann; wenn du Geduld mit mir haben willst – ich will arbeiten, ich will dienen, schaffen, was in meinen Kräften steht ...«

Tränen erstickten ihr wiederum die Stimme, sie brachte kein Wort mehr heraus. Da küßte er sie zärtlich auf das rote Hexenhaar und sagte glücklich bewegt:

»Siehst du, siehst du, so ist's recht. Nun können wir froh und stark allem entgegensehen, was auch kommen mag, denn die große Stunde hat auch uns entsühnt.«


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