Julius Wolff
Das Wildfangrecht
Julius Wolff

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Noch tagelang machte sich in der Einwohnerschaft Wachenheims die Aufregung über das unselige Ereignis fühlbar, das da draußen vor der Holzpforte seinen schauerlichen Abschluß gefunden hatte.

Man sah auf der Straße unzufriedene, mürrische Gesichter und hörte abfällige Bemerkungen über die rechtschaffenen, unbescholtenen Bürger, die bei der Gerichtsverhandlung die eingeschworene Schöffenbank gebildet hatten. Selbst der hochachtbare, ehrwürdige Schultheiß wurde hinter seinem Rücken mit Vorwürfen wegen seiner unnachsichtigen Strenge nicht verschont.

Aber nicht bloß die vielen zu hart scheinende Strafe war es, was in den Köpfen der Mißvergnügten rumorte wie gärender Most. Es mußte noch etwas anderes sein, was in gewissen Kreisen der Stadt gemunkelt, aber von den Eingeweihten noch verschwiegen wurde.

Die Stammgäste in der Trinkstube des Kronenwirtes blickten sich mit fragenden Augen mißtrauisch an, doch keiner von denen, die wußten, was im Stillen gesponnen wurde, kam damit heraus, bis es sich in der sonntäglichen Elfuhrmesse auf eine in die schleppende Unterhaltung eingestreute Spottrede Lutz Hebenstreits einmal offenbarte.

Die hier beim Schoppen saßen, waren zumeist Winzer, solche, die ihr Gewächs rein und unverfälscht in ihrem Keller ausbauten, und solche, denen man dies nicht nachrühmen konnte.

Einer aus der Gesellschaft der letzteren sprach von ungefähr: »Wie schnell doch so ein Jahr vergeht! Schon sind die Weinberge wieder geschlossen, und die Lese steht dicht vor der Tür.«

»Wird aber, was die Bonität des Heurigen betrifft, ein kläglicher Herbst werden,« fügte ein anderer seufzend hinzu.

»Ja,« sagte Lutz hohnlachend, »das sind miserable Aussichten für euch, die ihr bisher auch mit den schlechtesten Jahrgängen immer ein Gesöff zusammengeschmiert habt, das den dickhäutigen Zungen eurer Abnehmer beinah wie Traubensaft schmeckte. Damit ist's nun vorbei, denn nun habt ihr keinen Hammichel mehr, der mit seinen, zum Glück aller braven Zecher euch selber nicht bekannten, Mitteln so 'nen erbärmlichen Schund zurecht quacksalbert. Nun wird sich unser liebes Wachenheim in der ganzen Pfalz wieder des guten Rufes erfreuen, reine Weine zu liefern, weil der Deibel sich euren Giftmischer endlich geholt hat.«

Das schlug wie der Blitz ins Scheunendach. Die Verhöhnten fuhren wild auf, aber einer von ihnen, namens Buschard, entgegnete äußerlich ruhig, doch innerlich voll kochenden Grimmes: »Da hast du recht, Lutz; der Hammichel wird manchem von uns fehlen, und daß er uns fehlt, haben wir nur der eingewanderten Fremden auf dem Abtshofe zu verdanken und werden ihr den Dank dafür auch nicht schuldig bleiben. Vor dem Entführtwerden haben sie die klobigen Fäuste der Gersbacher bewahrt, dem Hörigwerden soll sie aber nicht entschlüpfen; dafür werden wir sorgen.«

Damit war das Stichwort gefallen, dem die anderen berüchtigten Pfuscher mit eifrigem: »Jawohl! das werden wir, die soll uns noch kennen lernen!« lärmend und johlend zustimmten.

»So? das probiert einmal! dann sollt ihr uns auch erst kennen lernen, ihr, die ihr ein so löcheriges Gewissen habt wie ein aus allen Fugen leckendes Faß,« wetterte Lutz, aber er schrieb sich's hinters Ohr, was er eben gehört hatte. Buschards Drohung hatte verraten, welcher Plan unter den der Auflehnung Verdächtigen heimlich umging, die Wiederaufnahme der Angriffe gegen den Bürgermeister. Damit würde der unter dem Druck der jüngsten Begebenheiten kaum erstickte Hader der Parteien von frischem aufglimmen und bei der Wut der durch die Beseitigung Hammichels Beeinträchtigten nun doppelt heiß entbrennen.

Und das fing schon jetzt an. Zwischen den immer heftiger aufeinander Prallenden flogen so schwere Beleidigungen hinüber und herüber, daß ernstliche Friedensstörungen in der Stadt zu befürchten waren. Buschard galt nicht mit Unrecht für einen bösartigen, gefährlichen Menschen, von dem man, wenn man ihn zum Feinde hatte, sich des Ärgsten versehen mußte. Zudem stand er in naher Beziehung zu dem ihm geistesverwandten Adam Steinecker, dem unversöhnlichen Widersacher Armbrusters, der, ohnehin aufgebracht über das Verschwinden seines bei dem Entführungsversuche beteiligten Sohnes, nun vollends haßgeladen war gegen den Bürgermeister, dem allein er die Schuld an dem Untergange Hammichels zuschrieb. Und weshalb? weil Armbruster den Wildfang, seine heimatflüchtige Niftel bei sich aufgenommen hatte, um derentwillen das ganze Unheil entstanden war.

So ließ Ebendorffers Auftreten hier sehr bedenkliche Spuren im Irdischen zurück, und sein ihm mißlungenes Beginnen, das er selber mit dem Tode büßen mußte, konnte noch ein verhängnisvolles Nachspiel haben.

Lutz Hebenstreit stellte darüber eingehende Betrachtungen an, als er sich von der so stürmisch verlaufenen Elfuhrmesse auf einem weiten Umwege nach Hause begab. »Also Rache für Hammichel! heißt die Parole der Panscher,« hub er im Selbstgespräch an, »und Trudi oder vielmehr Chrischtoph soll das Opfer sein. Dahinter steckt als Rottmeister natürlich Steinecker, der's nicht verknusen kann, daß Trudi, nach der Einbildung der aufgeblasenen Sippe, seiner Tochter Jakobine den Franz vor der Nase weggeschnappt haben soll. So 'ne Dummheit! Franz hätte die Jakobine im Leben nicht gefreit. Aber was wollen denn die aufrührerischen Krakeeler gegen Chrischtoph unternehmen? Wie wollen sie denn den Freiherrn zwingen, Trudi hörig zu machen und damit seinen Freund Chrischtoph zu demütigen? Remchingen muß doch seine Gründe haben, warum er's noch nicht getan hat, und wird es zu verantworten wissen, wenn er's überhaupt nicht tut. Von Steinecker und Kumpanei dazu drängen läßt sich der alte Haudegen nun und nimmermehr. – Schade, daß Florian Gersbacher heute nicht in der Elfuhrmesse war! Der wäre den Schreihälsen ganz anders übers Maul gefahren als ich, der ich mich fast allein mit ihnen herumbalgen mußte, denn die ich von den Unsrigen auf meiner Seite hatte, geholfen haben sie mir verdammt wenig. Ich habe die Bande noch viel zu sanft angefaßt, weil Geschimpf' und Gezänk meiner Natur durchaus zuwider sind; selig sind die Friedfertigen. Mit dem Florian werd' ich ein Wort im Vertrauen reden, daß wir den Biedermännern, die sich über Hammichels beschleunigte Höllenfahrt nicht trösten können, tatkräftig zu Leibe gehen, denn wir dürfen die Hände nicht in den Schoß legen und mäßig zuschauen, wie sie unserm Chrischtoph einen Knüppel zwischen die Beine schmeißen. Die Sache mit dem verflixten Wildfangrecht hat doch ihren Haken, an den sich allerhand Spitzbübereien anhängen lassen, aber so Gott will, werden wir die Stänker und Störenfriede mit Keulenschlägen zu Paaren treiben.« Damit schloß der sanftmütige Küfer seine sich selbst gehaltene Sonntagspredigt und streckte, zu Hause angelangt, mit großem Behagen die Füße unter seinen wohlbestellten Eßtisch. –

Henning Buschard hatte nichts Eiligeres zu tun als seinem Verbündeten Adam Steinecker die vom Zaune gebrochene hämische Anzapfung Hebenstreits brühwarm zu hinterbringen. Steinecker polterte erst über die Unverschämtheit des großschnäuzigen, sackgroben Faßbinders wutkollernd los, empfahl aber dann ein sehr behutsames und verschwiegenes Vorgehen gegen den Bürgermeister, weil sie, die Gekränkten und Geschmähten, sich leider in der Minderheit befänden und deshalb bedacht sein müßten, die von ihnen zu ergreifenden Maßregeln geheimzuhalten, damit die Gegenpartei nicht Wind davon bekäme und sie mit Vorbeugungen und Hinderungen durchkreuzte. Er würde die Gesinnungsgenossen nächstens einmal abends bei sich versammeln, um mit ihnen zu beraten, auf welche Weise man sich die Unterstützung des Reichsfreiherrn sichern könnte.

Buschard fragte, schon die Türklinke in der Hand, ob nicht Junker Ulrich, wenn man ihn darum anginge, die Vermittlung übernehmen würde.

»Dein Vorschlag ist gar nicht so übel, Henning,« erwiderte Steinecker. »Der Junker soll früher selber die Leibeigenschaft der Würzburgerin betrieben haben ohne damit durchgedrungen zu sein. Aber vielleicht läßt er sich bewegen, seinen Vater noch einmal an die ihm obliegende Ausübung des Wildfangrechtes zu erinnern. Ich werd's mir überlegen, wie er wohl zur Erfüllung dieses Anliegens zu gewinnen wäre.«

Steinecker brauchte sich das gar nicht erst zu überlegen, denn er wußte, daß dazu niemand geeigneter war als seine Tochter Jakobine, deren ihn gefahrlos dünkende Liebelei mit Ulrich ihm nicht verborgen geblieben war. Er hatte ihr bisher aus Mitleid mit der von Franz sitzen Gelassenen und nun bei dem Junker Trost und Ersatz Suchenden duldsam durch die Finger gesehen, jetzt aber kam ihm der listig gepflegte Stelldicheinverkehr der beiden sehr zupaß.

Als er ihr nun seinen Wunsch, die Mitwirkung des Junkers zum Inkrafttreten des Wildfangrechtes zu veranlassen, unverblümt zu verstehen gab, heuchelte sie dreist: »Aber Vater, wie soll ich denn das anfangen? ja, wenn Hammichel noch lebte! Der war mir immer ein dienstwilliger Bote, wenn ich –« sie brach erschrocken ab, denn sie hätte sich beinahe verraten, zu was für Botschaften und Hilfsleistungen sie den Zwischenträger benutzt hatte. »Ich meine nur,« fuhr sie fort, verwirrt »ich habe doch gar keine Gelegenheit –«

»Na, tu nur nicht so furchtbar unschuldig,« spöttelte er, »wirst' s wohl auch ohne Hammichel zuwege bringen.«

»Sollte mich der Zufall einmal mit dem Junker zusammenführen, will ich ihn gern darauf anreden,« erwiderte sie, züchtig die Augen niederschlagend.

»Schön! kannst auch dem Zufall ein paar Schritt entgegenkommen, mein kluges Töchterlein,« sagte er mit einem pfiffigen Gesichtsausdruck.

Als ihr der Alte den Rücken gekehrt hatte, faßte sie mit den Händen rechts und links einen Saum ihrer Schürze, machte einen tiefen Knix hinter ihm her und sprach schalkhaft: »Wenn der gestrenge Herr Vater befehlen, wird die gehorsame Tochter nicht ermangeln, sich mit dem liebenswürdigen Junker über das Wildfangrecht aufs traulichste zu unterhalten.« –

Auch Lutz Hebenstreit zögerte nicht, seinen und des Bürgermeisters Freund Florian Gersbacher von dem Vorfall in der Krone genau zu unterrichten.

Bei seinem Besuche dort fragte er Florian und seine Frau vorerst nach dem Befinden Franzens. Sie konnten ihm die erfreuliche Auskunft geben, daß Franzens Wunde vollständig geheilt und er wieder arbeitsfähig sei, sich nur noch ein wenig schonen müsse.

Agnete blickte ihn forschend an und sprach: »Lutz, um Euch nach Franzens Befinden zu erkundigen seid Ihr nicht hergekommen, Ihr wollt mit meinem Mann allein reden, nicht wahr? ich werde das Feld räumen.«

»Nein, Agnete, bleibt hier!« erwiderte Lutz. »Was ich Florian zu sagen habe, könnt Ihr alles mit anhören, und Euer guter Rat kann uns in der kitzlichen Sache, die ich ihm vorzutragen habe, von großem Nutzen sein.« Und nun erzählte er ihnen, was er in der Elfuhrmesse erlebt hatte.

Beide waren außer sich über die Rachgier und Bosheit derer, die mit Hammichel Stütze und Halt in ihrem ehrlosen Geschäftsbetriebe verloren hatten. Gersbacher schüttelte, hastig auf und ab schreitend, die geballten Fäuste und knirschte: »Wenn ich doch dem ganzen gottvergessenen Gesindel mit einem Knacks den Hals umdrehen könnte! Weiß Chrischtoph schon davon?«

»Nein, er darf es auch nicht erfahren,« erwiderte Lutz.

»Ja, wie soll er sich denn vor den Banditen schützen, wenn er nicht weiß, von welcher Seite sie ihn angreifen wollen?«

»Lutz hat recht, Mann,« nahm Agnete das Wort. »Chrischtoph darf es noch nicht erfahren; er steht seinen Feinden desto unbefangener und unabhängiger gegenüber, je weniger er von ihrem Vorhaben weiß; schützen müßt ihr ihn, seine Freunde.«

»Aber wie denn? womit denn?« fragte Lutz, sprang auf und stapfte nun auch erregt hin und her, sich dabei jedesmal in der Mitte des Zimmers mit Florian begegnend, daß von ihren wuchtigen Tritten der Fußboden dröhnte. Der eine hielt die Hände auf dem Rücken gefaltet, der andere fuchtelte mit den Armen in der Luft herum, und beide machten abwechselnd ganz haarsträubende Vorschläge zur Verteidigung Christophs. Aber was der eine riet, dem widersprach der andere, was dem einen gefiel, das behagte dem andern nicht, so daß sie zu keinem Entschlusse kommen konnten.

Agnete blieb am Tische sitzen und hörte und sah besorgt den Wüterichen zu, die gleich zwei grimmigen Löwen in einem Käfig rastlos und knurrend aneinander vorbeistrichen. Mehr und mehr aber klärte sich ihr Antlitz auf; sie blickte, wie einer Eingebung, einem Traumgespinst nachsinnend, zum Fenster hin und sprach endlich leise zu sich selber: »Ja, ja, so geht's, so muß es gehen.«

Dann begann sie laut: »Jetzt laßt einmal euer unvernünftiges Herumrennen, setzt euch her zu mir und vernehmt, was ich euch zu sagen habe.«

Die Männer taten nach ihrem Geheiß, und Agnete hub an: »In dem ganzen, erbitterten Streit handelt es sich doch zuvörderst um Trudi, und erst durch ihr Hörigwerden soll Chrischtoph in Mitleidenschaft gezogen werden, weil eigentlich nur ihm der Haß der um Hammichel Trauernden gilt. Nun bedenkt einmal, wie musterhaft sich Trudi von Anfang an hier benommen und durch ihr sittsames Wesen die Achtung und Zuneigung aller anständigen Menschen erworben hat. Denkt auch an ihre mutige Tat bei dem Brande, für die sie das höchste Lob verdient. Dann wurde die aus ihrer Heimat Vertriebene vom Wildfangrecht beunruhigt und bedroht, aus ihrem friedlichen, wohligen Dasein hier wieder herausgerissen um hörig und leibeigen zu werden. Und dann, dann erschien ihr nichtswürdiger Verfolger, der Klostermeier von Bronnbach, um sie gewaltsam zu entführen und zur Sklavin seiner sündhaften Begierde zu machen, aus welcher Gefahr sie Gott sei Dank! unsere wackeren Jungen gerettet haben. Das alles ist ihr hier in unserer Stadt widerfahren, die ihr, statt sie dem Wildfangrecht preiszugeben, nach altem, geheiligtem Brauch Gastrecht zu gewähren hat. Ich frage euch, ob wir dem armen Mädchen für das in unseren Ringmauern erlittene Ungemach nicht eine Genugtuung, ich möchte sagen eine Ehrenerklärung schuldig sind. Wie wäre es nun, wenn ihr euch alle zusammentätet und in einer öffentlichen Versammlung der ganzen Bürgerschaft einmütig beschlösset: die Trudi soll nicht hörig werden, sondern frei soll sie werden, und unser Obervogt, Reichsfreiherr von Remchingen, soll sie vom Wildfangrecht für alle Zeiten los- und ledigsprechen? Das ist meine Meinung; was sagt ihr dazu?«

Sie hatten ihr ohne Unterbrechung zugehört und saßen, als sie geendet, vor Überraschung und Staunen sprachlos ihr gegenüber.

Lutz fand zuerst Worte. Er donnerte seine schwere Böttcherfaust auf den Tisch und schrie: »Hol mich der Deibel, Agnete! das ist ein Vorschlag, der Hand und Fuß hat. So geht's, so machen wir's.«

»Ja!« rief auch Florian, »du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, Frau! Ich bin mit allem, was du gesagt hast, vollkommen einverstanden, nur eine einzige Abänderung ist nötig. Nicht in einer öffentlichen Versammlung, wo jeder Aufsässige und jeder Hansnarr uns dreinreden und den Plan verderben kann, sondern von Amts wegen muß das geschehen, muß im Gemeinderat beantragt, von ihm genehmigt und zur Ausführung gebracht werden, und ich selber werde den Antrag in der Sitzung stellen.«

»Und ich,« schloß sich ihm Lutz an, »ich setze Himmel und Hölle in Bewegung, laufe bei den hochwohlweisen Vätern der Stadt herum und knete sie so windelweich, daß sie mir auf Seel' und Seligkeit geloben müssen, dem Antrag bedingungslos zuzustimmen.«

»Ich bin auch bereit,« fuhr Gersbacher fort, »mit noch einem andern, am liebsten mit dir, Lutz, dem Reichsfreiherrn das Gesuch vorzutragen, und hoffe, daß er uns damit nicht abweisen wird, obwohl wir seiner Willfährigkeit keineswegs sicher sein dürfen.«

»Gewiß dürfen wir das,« sagte Lutz, »und nun gehen wir doch zu Chrischtoph, heute noch, und teilen ihm mit, was Agnete zu seinem Heil ersonnen hat.«

»Ja, das wollen wir, und wie wird er sich freuen, wenn wir mit der Botschaft kommen!« sprach Florian.

»Und wie werden sich die Hammichel'schen fuchsen, wenn sie sehen, daß ihre niederträchtigen Machenschaften elend zu schanden werden!« fügte Lutz, sich vor Vergnügen die Hände reibend, hinzu.

»O wenn es glückte!« flüsterte Agnete. »Denkt nur an Franz und Trudi!«

»Ja, Franz und Trudi!« wiederholte Lutz. »Und Eure Erfindung, Euer Werk ist es, Agnete! Welch eine köstliche Morgengabe bringt Ihr damit Eurer künftigen Schwiegertochter dar, ihre Freiheit!« –

Im Abtshofe ward allerdings eitel Glück und Freude über die Nachricht. Christoph dankte den Freunden mit bewegten Worten für das, was sie ihm und Trudi zuliebe tun wollten und womit just das erzielt wurde, was ihm der Reichsfreiherr im Vertrauen geraten hatte, ein entschlossenes Eintreten für Trudi seitens der sich ihrer Macht bewußten Gemeinde. Aber daß Remchingen ihm schon vor Wochen einen darauf hinausgehenden Wink gegeben hatte, verschwieg er.

Gleich am nächsten Tage machte sich Lutz auf die Beine zu den einzelnen Mitgliedern der städtischen Körperschaft, um sie von der zu erwartenden Vorlage in Kenntnis zu setzen und für deren Bewilligung zu werben.

Nun brannte es in Wachenheim an allen Ecken und Enden. Die Feinde des Bürgermeisters gebärdeten sich wie Tobsüchtige und arbeiteten mit besten Kräften, den beabsichtigten Antrag schon vor seiner Beratung zu Falle zu bringen.

Bald darauf fand die entscheidende Sitzung statt, und es entspann sich in ihr ein heißer Kampf für und wider die Maßnahme, zum Zwecke der »durchaus ungerechtfertigten Begünstigung einer Fremden«, wie sich die Gegner gehässig ausdrückten, die Hilfe des Reichsfreiherrn anzurufen. Allein die trotzig ablehnende Partei wurde von den Gutgesinnten und von dem nun auch in das Wortgefecht scharf eingreifenden Bürgermeister selber Schlag auf Schlag geworfen und endlich von einer mehr als doppelt so starken Mehrheit überstimmt, so daß der Antrag zum Beschluß erhoben wurde.

Florian Gersbacher und Lutz Hebenstreit wurden abgeordnet, dem Reichsfreiherrn im Namen der Stadt zu bitten, daß er Trudi zur Belohnung für ihre Rettungstat und zur Entschädigung für die ausgestandene Angst bei dem Entführungsversuche kraft seines obrigkeitlichen Amtes vom Wildfangrecht auf alle Zeit lösen möchte.

So begaben sie sich denn in ihrem besten Sonntagsstaat, in Schnallenschuhen und mit dem dreispitzigen Nebelspalter auf dem dicken Bauernschädel zur Wachtenburg hinauf. Dietrich von Remchingen empfing sie in seinem wohnlichen Gemach, hieß sie Platz nehmen und schenkte ihren Auseinandersetzungen ein williges Gehör.

Wie sehr er sich in der Seele seines Freundes Armbruster über diese Wendung der lange schwebenden Angelegenheit freute, ließ er sie nicht merken, fragte jedoch, wer auf den schlauen Einfall gekommen wäre, ihn um seine Vermittlung anzugehen, weil er wissen wollte, ob Christoph infolge seines vertraulichen Winkes die Bürger dazu veranlaßt hätte.

Aber Gersbacher erwiderte: »Den glücklichen Gedanken hat meine Frau gehabt und zuerst uns beiden gegenüber ausgesprochen. Im Gemeinderat den Antrag gestellt hab' ich, Eure Herrlichkeit.«

»Was der Tausend!« lächelte Remchingen, »ich kenne ja Eure tugendsame Hausfrau, doch einen so anschlägigen Kopf hätt' ich ihr – nehmt's nicht übel! – kaum zugetraut. Macht Frau Agnete mein Kompliment dafür, Florian Gersbacher.«

Florian verneigte sich geschmeichelt. »Leider aber,« fuhr der Freiherr fort, »bin ich nicht imstande, euer Begehren zu erfüllen, denn das übersteigt meine Befugnis und hängt einzig und allein von der Gnade eures und meines Herrn, des Pfalzgrafen, ab, der als Reichsvikarius die Ausübung des Wildfangrechtes gleich einem erblichen kaiserlichen Lehen in seiner unbeschränkten Gewalt hat. Ihr braucht deshalb nicht zu verzagen,« fügte er schnell hinzu, als er nun die langen Gesichter seiner Besucher sah. »Ich will euch gern raten und helfen. Schickt an unsern durchlauchtigten Pfalzgrafen eine Deputation von zwei oder drei Bürgern, die dem hohen Herrn den Fall vortragen; ich werde ihnen zur Befürwortung des Gesuches einen Brief mitgeben. Nimmt der Pfalzgraf eure Abgesandten und mein Handschreiben gnädig auf, so ist es möglich, daß er mir den Befehl erteilt, zu tun, was ihr wünschet und was ich selber wünsche. Morgen sollt ihr den Brief haben, also kann übermorgen eure Deputation gen Heidelberg ausrücken.«

Er erhob sich und mit ihm auch die beiden hocherfreuten Wachenheimer, die ihm ihren tiefgefühlten Dank so kräftig ausdrückten, wie sie konnten.

»Wird das ein Gaudi werden, wenn wir's unten in der Stadt verkündigen!« sagte Lutz. »Da wird mancher heut abend seinem gesunden Pfälzerdorscht ganz gehörig unter die Arme greifen, ich auch.«

»Hol mich der Deibel! nicht wahr?« fiel der Freiherr lachend ein. »Das Wort hab' ich lange nicht aus Eurem Munde gehört, Lutz Hebenstreit.«

»Weil Ihr lange nicht in der Elfuhrmesse gewesen seid, Herr Reichsfreiherr,« erwiderte Lutz. »Schade, daß Ihr vorigen Sonntag nicht dawaret! Da ist's scharf hergegangen.«

»Habt ihr euch in den Haaren gelegen?«

»Jawohl, tüchtig! und alles um den seligen Hammichel und die verfluchte Panscherei.«

»Also Gottbefohlen! und grüßt mir meinen alten Freund Chrischtoph.« –

In die Deputation an den Pfalzgrafen wurden Florian Gersbacher, Lutz Hebenstreit und Peter Armbruster als Sohn des Bürgermeisters gewählt, und zwei Tage nach dem Besuch auf der Wachtenburg fuhren sie mit dem Briefe des Reichsfreiherrn ab. Da jedoch in dem von Gersbacher gestellten, viersitzigen Fuhrwerk noch ein Platz frei war, nahmen sie zu seiner überschwenglichen Freude den jetzt wie ein Sohn des Hauses mitsamt seinem Patz auf dem Abtshofe wohnenden Schneckenkaschper mit, daß er auch einmal ein Stückchen Welt, in Sonderheit das schöne Heidelberg zu sehen bekäme.


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