Julius Wolff
Das Wildfangrecht
Julius Wolff

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Zwölftes Kapitel.

Hammichel kam der Brand des schon ziemlich baufälligen Schuppens mit dem Heuboden und dem Ziegenstall, in dem aber keine Ziegen mehr gehalten wurden, sehr ungelegen. Nicht den Brand an sich bedauerte er, denn er hatte dabei keines Hellers Wert eingebüßt, und Fachendag konnte den geringen Schaden leicht verschmerzen. Nur das, was sich dabei zugetragen hatte, ärgerte ihn. Daß Trudi durch ihre unerhörte Keckheit in der ganzen Stadt nun erst recht allbeliebt geworden war und es gerade der Gersbachersohn sein mußte, der sie rettete, das paßte ihm nicht in den Kram und machte ihm einen Strich durch seine Rechnung. Denn erstens hatte vielleicht Jakobine nun alle Hoffnung auf Franz aufgegeben und stand von jeder weiteren kostspieligen Unternehmung, ihn durch seine, Hammichels, Künste zu gewinnen ab, und zweitens war nun die Wahrscheinlichkeit näher gerückt, daß der Freiherr von dem Fremdsein Trudis Kunde erhielt und den Bürgermeister darüber zur Rede stellte, bevor Hammichel diesem noch etwas abzwacken konnte. Und das alles um den verfluchten Bengel, den Schneckenkaschper! Dem hätte er keine Träne nachgeweint, wenn er mitsamt seinem Hundevieh zu Asche verbrannt wäre.

Der Gimmeldinger besaß eine Eigenschaft, die ihm bei allen seinen Anschlägen und Kniffen sehr zustatten kam, – eine große Geduld. Er hatte warten gelernt, bis die Früchte, nach denen ihn gelüstete, reif wurden und ihm bei leisem Schütteln des Baumes in den Schoß fielen. Auch zu der geplanten Ausbeutung des Bürgermeisters hatte er bis jetzt immer noch auf eine besonders günstige Gelegenheit gewartet. Das durfte er nun nicht mehr, jetzt mußte er ohne Verzug handeln, ehe es zu spät und die einzige noch vorhandene Möglichkeit, bei Armbruster noch einen baren Vorteil für sich herauszuschlagen, verpaßt war. Und vielleicht hatte die Geschichte mit dem bißchen Feuerwerk doch auch ihr Gutes für ihn. Vielleicht war der Bürgermeister, von dem dummdreisten Rettungsversuch seiner Niftel tief gerührt, jetzt geneigter, seine Hand zu öffnen und die Hammichels mit einem annehmbaren Sümmchen zu füllen, um sich das ihm ins Haus geschneite sogenannte Prachtmädel unangefochten und frei zu erhalten.

Was er tun wollte, wußte er längst, verhehlte sich nicht, wieviel er dabei wagte, zweifelte aber auch nicht, daß Armbruster unter den obwaltenden Umständen sich zu einem außerordentlichen Schritte entschließen und die ihm angebotene Hilfe annehmen würde.

Nachdem er lange vergeblich danach gestrebt hatte, den Bürgermeister allein zu sprechen, sah er ihn endlich einmal auf seinem Hofe unter dem großen Nußbaum sitzen und machte sich wie der Versucher an den zu Verführenden leisetretend an ihn heran.

Christoph Armbruster, der ihn nicht hatte kommen hören und sehr unangenehm überrascht war, den boshaften Schleicher plötzlich vor sich zu haben, erwiderte seine katzbucklige Verbeugung kaum mit einem verdrießlichen Kopfnicken.

»Herr Bürgermeister, verzeiht, wenn ich störe,« begann der Alte. »Ich komme mit einer neuen Proposition in der Sache, von der ich Euch die erste Mitteilung gemacht habe. Heut' aber treibt mich die Dankbarkeit, sie noch einmal auf's Tapet zu bringen.« Um Christophs Mundwinkel spielte ein Zug verächtlichen Spottes, und er hatte eine scharfe Abfertigung auf der Zunge. Doch Hammichel kam dem zuvor und sprach: »Hört mich an, Herr Bürgermeister, eh' Ihr mich kurzer Hand abweist; ich meine es gut mit dem, was ich Euch zu sagen habe.« Und gleißnerisch fuhr er fort: »Eure Niftel, Jungfer Trudi, hat dem Kasper, dem mir von Kind auf herzlieben Sprößling meiner armen Tochter, bei der Feuersbrunst das Leben gerettet, und zum Dank dafür möcht' ich, soviel ich vermag, sie davor bewahren helfen, hörig und leibeigen zu werden. Mit dem bloßen Schweigen ist das nicht getan, denn man wird auch ohne mich an den machthabenden Stellen erfahren, daß sie eine Fremde ist, und wird das Wildfangrecht gegen sie gebrauchen, wenn dem nicht ein Riegel vorgeschoben wird. Das kann ich, und das will ich, Herr Bürgermeister. Ich will beschwören und noch einen sicheren Kumpan als Eideshelfer stellen, daß Jungfer Trudi keine Fremde ist, sich nur eine Zeitlang im Würzburgischen aufgehalten hat, aber aus meiner Heimat im Westrich auf der Haardt stammt, also eine geborene Pfälzerin ist. Dann kann ihr kein Pfalzgraf, kein Vogt und kein Faut was anhaben.«

Christoph hatte strengen, unbeweglichen Gesichtes den Alten ohne Unterbrechung ausreden lassen. Jetzt erhob er sich von der Bank unter dem Nußbaum und sagte: »Wenn ich dich recht verstanden habe, willst du in aller Form vor Vogt und Schultheiß beschwören, daß meine Niftel eine geborene Pfälzerin ist.«

»Ja! dazu bin ich erbötig und bereit,« erklärte Hammichel bestimmt, sich schon der Hoffnung hingebend, daß der Bürgermeister, da er so ruhig blieb, geneigt sei, auf den Vorschlag einzugehen.

»Hm!« machte Christoph, innerlich kochend, »und diesen Eid soll ich dir natürlich mit blankem Silber und Gold aufwiegen, nicht wahr? so meinst du's doch?«

»Ja! so dacht ich's mir,« erwiderte Hammichel unverfroren.

»Hier meine Antwort, du Schuft!« donnerte ihn der Bürgermeister an, und eine fürchterliche Ohrfeige klatschte auf Hammichels Wange, daß er ein paar Schritte seitwärts taumelte.

»Feste, Chrischtoph! immer feste druf!« rief einer laut vom Hoftor her, und Lutz Hebenstreit kam gelaufen, fuhr auf Hammichel los und gab ihm mit den Worten: »Wo Chrischtoph Armbruschter hinhaut, da hau' ich auch hin« noch eine Ohrfeige, welche die des Bürgermeisters noch an Wucht übertraf.

Der Alte heulte vor Schmerz und Wut wie ein mißhandeltes Tier und erhob ein schreckliches Geschimpf in den gröbsten, beleidigendsten Ausdrücken. Lutz wollte noch einmal über ihn herfallen, aber Christoph hielt den an derbes Zuschlagen gewöhnten Böttchermeister zurück, der nun aus Leibeskräften lachte, wie der Schiefgewachsene auf seinen trippelnden, wackligen Spinnenbeinen die Flucht ergriff und außerhalb des Tores drohende Verwünschungen gegen seine Vergewaltiger ausstieß, von denen sie das meiste nicht verstanden.

»Nu sag' mir aber, Chrischtoph, was hattest du mit dem alten Lumpen für ein Hühnchen zu pflücken, daß euer Streit einen so herzerquickenden Ausgang nahm?« fragte Lutz, als der Geprügelte außer Sicht war.

Der Bürgermeister verschnaufte sich erst ein wenig nach der starken seelischen und körperlichen Bewegung, reckte dann seine hohe Gestalt und sprach: »Ah! das war mal ein Labsal, Lutz! am liebsten hätt' ich den Kerl in Grund und Boden geschlagen.«

»Ja, ums Himmels willen, was ist denn geschehen?« fragte Lutz noch einmal.

»Komm, komm herein!« erwiderte Christoph. »Sollst alles erfahren, ich trag's ohnehin nicht länger mehr allein.«

Sie begaben sich zusammen ins Haus und in des Bürgermeisters Schreibstube, deren Tür Christoph hinter ihnen abschloß, um von niemand in ihrer Unterredung gestört zu werden.

»Da setz' dich hin und höre zu!« sprach er, auf den alten, wurmstichigen Lehnstuhl weisend, in dem schon sein Vater und sein Großvater als Bürgermeister ihres Amtes gewaltet hatten. »Ich hab' zum Sitzen noch nicht Ruhe genug.«

Als aber Lutz Hebenstreit Platz genommen hatte, der Dinge gewärtig, die da kommen sollten, schwieg Christoph noch und schritt in der Stube auf und ab, als wüßte er nicht, wie er beginnen sollte. Endlich setzte auch er sich und enthüllte nun dem Freunde seine schweren Sorgen um Trudis Zukunft. Wie ihm Hammichel, der es aus unanfechtbar sicherer Quelle hätte, schon kurz nach Ostern die Mitteilung gemacht habe, daß in der Pfalz das Wildfangrecht wieder auf die Bahn kommen sollte, das er dem Hochaufhorchenden dann mit allen Einzelheiten erklärte, wie sie ihm der Schultheiß aus den alten Verordnungen demonstriert hatte.

»Chrischtoph!« rief Hebenstreit, der in seinem Schrecken dem Freunde schon ein paarmal ins Wort fallen wollte, »was ist das? Die Trudi soll, bloß weil sie eine Zugewanderte ist, hörig und leibeigen werden? das ist ja haarsträubend, davon hab' ich in meinem ganzen Leben noch nichts gehört.«

»Weil du noch zu jung bist, Lutz,« erwiderte Christoph. »Aus meiner frühen Jugend erinnere ich mich, daß mein Vater selig davon als von etwas Unwürdigem, Schmachvollem sprach, aber mehr wußte ich bis jetzt nicht davon. Während der unruhvollen, wilden Zeiten des dreißigjährigen Krieges ist es in Abgang und Vergessenheit geraten, und nun will es der Pfalzgraf wieder einführen, um sein Land wieder mehr zu bevölkern.«

»Aha! wer von außen 'reinkommt, soll auch sein Leben lang drinbleiben, – sehr landesväterlich gedacht!« höhnte Lutz. »Aber ist es denn dazu nötig, auch gleich leibeigen zu werden? Was wirst du nun tun?«

»Nichts kann ich tun,« sagte Christoph achselzuckend.

»Ja, du wirst dir doch die Trudi nicht wegnehmen lassen!«

»Sie werden schon kommen und sie holen,« versetzte Christoph bitter.

»Sie sollen uns mal kommen!« rief Lutz rasch aufspringend. »Allesamt, Mann bei Mann stehen wir zu unserem Bürgermeister und jagen den Faut wie einen Wolf, der in die Hürde brechen will, zum Tor hinaus. Und wenn sie mit Spießen und Muschketen kommen, so liefern wir ihnen eine regelrechte Schlacht und schicken sie mit blutigen Köpfen heim. Hol' mich der Deibel, Chrischtoph! das tun wir.«

Christoph schüttelte am Tische das schwer auf den Arm gestützte Haupt und sprach: »Dann wären wir Rebeller, Lutz, und es würde unserer Stadt übel ergehen.«

»Was sagt denn dein alter Freund, der Wachtenburger, dazu?« fragte Lutz.

»Er scheint noch nicht zu wissen, daß Trudi eine Zugewanderte ist,« erwiderte Christoph. »Neulich war er hier und wollte sie sprechen, um sie für ihre hochherzige Tat bei dem Brande zu belobigen, war sehr aufgeräumt und sagte kein Wort von dem, was mich wie ein Schreckgespenst auf Schritt und Tritt verfolgt. Dieter würde mir gewiß gern helfen, wenn er könnte, aber er kann nicht, Lutz!« stieß er, sich vom Sitz erhebend, mißmutig heraus. »Er muß als Obervogt den Befehlen des Pfalzgrafen ebenso gehorchen wie wir es müssen.«

»Fällt uns gar nicht ein!« schrie Lutz. »Befehlen gehorchen, die ein so liebes, braves Mädel hörig und leibeigen machen? fällt uns im Traume nicht ein! Sei ruhig, Chrischtoph! sei ganz ruhig! wir Wachenheimer lassen dich nicht im Stich.«

»Hab' Dank!« sagte der Bürgermeister nun und wandelte sorgenvoll und erregt wieder auf und ab. Lutz Hebenstreit trat ans Fenster und glotzte mit grimmiger Miene in den Garten.

Nach einer Weile drehte er sich um und fing wieder an: »Nun weiß ich aber immer noch nicht, was Hammichel mit der ganzen Sache zu tun hat.«

»Eigentlich gar nichts,« erwiderte Christoph. »Er mischt sich nur hinein, um mich zu drangsalieren, daß ich mich aus Angst vor dem Wildfangrecht in einen ehr- und gewissenlosen Handel mit ihm einlassen sollte. Um Ostern verlangte er ein Schweigegeld von mir, und jetzt eben hier machte er mir, weil die Frist für Trudis Freiheit bald abgelaufen ist, einen so unverschämten Vorschlag, daß ich darauf keine andere Antwort hatte als die du mit eigenen Augen gesehen hast. Denke dir, der alte Schuft erbot sich, vor Gericht zu beschwören, daß unsere Niftel keine Fremde, sondern eine eingeborene Pfälzerin wäre. Und diesen für mich geleisteten Meineid sollte ich ihm natürlich teuer bezahlen.«

»Was? nein, so ein Halunke, so ein Galgenstrick und gottvergessener Schurke! das Fell bei lebendigem Leibe über die Ohren ziehen sollte man ihm dafür,« wetterte Lutz fuchsteufelswild. »Na, eine kleine Abschlagszahlung hat er ja heut' schon gekriegt, und nun wird das elende Knochengerippe wenigstens im Gesicht hübsch rund und wohlgenährt aussehen mit seinen zwei dick geschwollenen Backen, denn jeder von uns hat ihn auf eine andere gehauen. Ich bin nämlich auch mit meiner linken Hand ganz leidlich bei Wege,« fügte er lachend hinzu und hielt dem Freunde seine wurfschaufelgroße Tatze mit gespreizten Fingern recht anschaulich entgegen.

»Glaub's schon, hab's gesehn,« mußte nun auch Christoph Armbruster lachen. »Übrigens, Lutz,« sprach er dann ernsthaft, »was ich dir hier mitgeteilt habe, bleibt unter uns, nicht wahr?«

»Selbstverständlich! Auf meine Küferehre, Chrischtoph! ich schweige so mausestill wie ein fünfjähriger Wachenheimer Riesling im Fuder,« gelobte Lutz Hebenstreit. »Weiß es Trudi schon?«

»Nein!«

»Und deine Frau?«

»Auch nicht.«

»Auch deine Frau nicht? das ist nicht recht, Chrischtoph! der mußt du's sagen,« meinte Lutz.

»Ich möchte sie noch damit verschonen.«

»Nichts da! Madlen muß es wissen,« wiederholte Lutz.

Christoph sah ihn still überlegsam an und nickte dann wie zustimmend mit dem Kopfe.

»Und Chrischtoph, wenn sie kommen und die Trudi holen wollen, dann läßt du zuerscht mich rufen,« fuhr er die Fäuste schüttelnd fort. »Ich sage dir, – ich – ich – na du verstehst mich schon. Nun schließ auf, ich muß zu Hause noch ein paar Bände antreiben.«

Christoph erschloß die Tür, und Lutz ging eilig davon.

»Alte, treue Seele!« sprach der Zurückbleibende. »Der Reifen möcht' ich nicht sein, auf den der jetzt aus purer Freundschaft für mich in seiner Wut loshämmert.«

Dem Bürgermeister war fast leicht und wohl ums Herz, daß er sich endlich einmal einem anvertraut hatte, der ihm die Last tragen half. Alle für einen, für ihn würden sie einstehen, hatte Lutz gesagt. Und auf den war Verlaß, der brachte auch die anderen in Trab, seine Stimme wog viel im Rate, und er hatte das Zeug dazu, ganz Wachenheim in Aufruhr und Empörung zu hetzen.


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