Engelbert Wittich
Blicke in das Leben der Zigeuner
Engelbert Wittich

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Der Zigeuner Hock war Akrobat, Messerschlucker, Schlangenmensch und Zauberkünstler. Unter anderem produzierte er sich auch als »kugelsicher«; letzteres wurde sein Verhängnis. Er lud eine Pistole, zeigte die Kugel d. h. lies sie vom Publikum untersuchen auf ihre Echtheit und beim Zurückgeben vertauschte er sie gewandt und unbemerkt mit einer zu diesem Zweck immer kurz vorher präparierten Kugel aus Cichorie. Hierauf forderte er einen der Zuschauer auf und gab ihm die vor aller Augen geladene Pistole in die Hand, ihm auf die entblößte

Brust zu schießen. Gab sich niemand dazu her, so tat er es auch selbst. Natürlich verletzte ihn die weiche Cichorienkugel nicht. Gewöhnlich verfing sich dieselbe in den Kleidern oder fiel zu Boden, wo er sie dann schnell und unbemerkt zertrat. Die bereit gehaltene »echte« Kugel aber ließ er entweder gleich nach dem Schuß auf den Boden fallen oder zog sie, je nach dem, auch aus dem Hemd oder der Hose hervor und zeigte sie vor. So gab er wieder einmal Vorstellung und der dazu Aufgeforderte schoß auch gleich auf ganz kurze Entfernung auf den Künstler. Mit einem lauten Aufschrei brach dieser tot zusammen. Er hatte die Kugel nicht verwechselt, wie die in den Trick Eingeweihten zuerst annahmen, sondern hatte, statt einer kurz vorher präparierten Kugel (die man nachher fand und die ganz weich war), eine jedenfalls vergessene schon von längerer Zeit gemachte Cichorienkugel erwischt, welche durch die Länge der Zeit, hart und fest geworden und durch die Brust ins Herz gedrungen war.

Die beiden Brüder Stein, welche sich als Kunstwasserschwinger und Feuerwerker produzieren, wählen zu ihren Produktionen und Vorstellungen immer die höchsten Brücken über Flüsse oder, wo keine Brücken sind, machen sie selbst ein hohes Gerüst aus Leitern, von wo herab sie ihre Kunstsprünge, den Körper mit Raketen eingehüllt, die vor dem Sprung angezündet werden und während dem Abfeuern der Raketen, allerhand schwierige und schöne Wasserkunststücke sehr elegant und gewandt ausführen. Der ältere brach schon zweimal den Fuß bei diesem oft recht gefährlichen »Kunstsprung«! Der jüngere ist außerdem einer der besten Guitarrespieler und Künstler auf diesem Instrument von uns deutschen Zigeunern.

Ein wirklich hervorragender Künstler auf der Guitarre, von keinem anderen Zigeuner vor- und nachher übertroffen, war der Zigeuner Blach (Zigeunername: »Gokkel«.) Er spielte darauf ganze Opernauszüge. So z. B. Auszüge aus »Troubadour« – »Martha« – »Undine« usw. Einfach eine Berühmtheit auf diesem Instrument.

Ich selbst war schon alles mögliche: Schausteller, Rekommandeur, Dresseur, Schauspieler, Pferdehändler, Zauberkünstler, Impresario von der »Anitzka« die bärtige Dame, Zirkus- vielmehr »Kunstarena«- und Singspiel- und Konzert-Direktor, Kunstschwimmer und Athlet und Ringkämpfer, heute vom Schicksal unerbittlich verfolgt nur noch – Hausierer.

Der Zigeuner Winter (Zigeunername: »Hose«), der mit seinem Bruder und Geschwistern einen kleinen Zirkus hatte, d. h. ein Rondel und sein Geschäft in nettem Zustande hatte, trat als Brustathlet, Kettensprenger, Ringkämpfer, nebenbei noch mit einem dressierten, großen Affen und einem Pferd à la »Hans« auf. Der Affe war sein Untergang. Er war ein gar lieber, treuer Freund zu mir. Ein aufrichtiger, liebenswürdiger und trotz seiner Bärenkraft nur gemütlicher, braver Mensch. Darum das ihm zugestoßene Unglück um so bedauerlicher. Er gab wie immer (im Sigmaringischen) eines Abends Vorstellung. Unter den Zuschauern war ein noch junger Bursche, (ein Schaukelbursche und Sohn von einem Geschäft, welches auch auf dem Platz aufgebaut hatte, neben dem Rondel der Gebr. Hose) dieser störte die Vorstellung fortwährend durch laute Rufe, freche Bemerkungen, man merkte, daß er mit Gewalt die Vorstellung stören wollte. Da er auf keine Zurechtweisung hörte, wurde er schließlich von meinem Freund, dem älteren Hose, kurzer Hand an die Luft spediert und man glaubte, der Fall wäre erledigt. Dem war aber nicht so. Nämlich der erwähnte Affe war unter anderem auch dazu dressiert, während des Spielens, inwendig vom Rondel (Rundleinwand) stets im Kreise herum zu laufen, auf den Hinterfüßen, aufrechtstehend, um zu verhindern, daß jemand unbefugterweise die Rundleinwand aufhebe und gratis zuschaue. Es war mehr zur Abschreckung der Dorfjugend und um ein Beschädigen, Zerschneiden der Leinwand zu verhindern. Diesem Affen, ein ganz und gar gutmütiges Tier, stach der rohe Kerl von außen durch die Leinwand hindurch, das Messer in den Leib, so daß er schreiend und röchelnd verendete. In gerechtem Zorn sprang nun mein Freund hinaus, um den Übeltäter zu züchtigen oder vielleicht auch nur, ihn festzuhalten. Und da geschah das abscheuliche, der rohe Patron stieß ihm das noch vom Blute des Affen rauchende Messer ins Herz, so daß ich nur noch sah, wie er, wie vom Blitz getroffen, lautlos zu Boden stürzte. Der Bursche verschwand in der Dunkelheit. Die Vorstellung hatte ein jähes Ende gefunden. Wohl entging der Täter der irdischen Gerechtigkeit nicht, aber ein guter, braver Mensch war nicht mehr.

Trotz diesen vielerlei Beschäftigungen kommt der Zigeuner in den seltensten Fällen auf einen grünen Zweig. In seinem leichten Sinn, wenig um das »morgen« besorgt, lebt er nur dem »heute!« Sind alle Mittel zu Ende, so lebt er solange sorgenlos dahin, bis er vom Hunger und Durst gequält, hauptsächlich im Winter, dem gefürchtetsten Gast des Zigeuners mehr als einmal bereit ist, den Unterschied zwischen »Mein« und »Dein« zu verwechseln. Doch auch in solchen mißlichen Lagen, verliert er seinen Humor nicht und nimmt manches auf die leichte Achsel, was ein anderer nicht gerade so leicht finden würde. Schon von Jugend auf wird er an alle Arten Entbehrungen gewöhnt. Sehr oft ist Schmalhans Küchenmeister und statt einem fetten Stück Schweinefleisch und einem guten Schluck Branntwein, muß er sich öfters nur mit Wasser und Brod begnügen. Was andere schon in frühester Jugend nicht mehr entbehren können, lernt er erst oft in sehr gereiften Alter kennen, so z. B. erzählt einer meiner »Kako« (Vetter) oft, wie er der »Bibi« (Tante), seiner Frau, erst kurz vor ihrer Verheiratung die ersten Schuhe kaufte. Als sie die Schuhe beim Kaufmann anprobierte, so fragte sie, als sie den einen Schuh angezogen hatte, ganz verzweifelt: »Kamlo Rom (lieber Mann) einen hätte ich an, jetzt wo gehört der andere hin?«

Das bisher gesagte beweist also zur Genüge, (das nachfolgende wird es noch weiter beweisen) daß die Zigeuner – nicht allein vom Betteln und Stehlen leben!

Am meisten muß zur Versorgung und Erhaltung der Familie die Frau beitragen, welche sich durch allerlei gute, sichere Zaubermittel, Wahrsagen, Kartenschlagen usw. fast immer ein gutes Stück Geld erwirbt. Daß die Zigeuner viele Heil-, Zauber- und Geheimmittel haben, die stets sicheren Erfolg haben und bei den Bauern, notabene auch bei den Städtern, in hohem Ruf stehen, durch die dadurch erzielten oft wunderbaren Kuren und Erfolge, ist gut bekannt. Weniger bekannt ist vielleicht, daß die Zigeunerinnen auch sehr gute Tänzerinnen sind, Sängerinnen, Flechterinnen von allerlei nettem Flechtwerk. Die hervorragendsten unter ihnen besitzen nicht nur bei der Landbevölkerung, sondern auch bei ihren eigenen Stammesgenossen einen hohen Ruf und stehen bei letzteren in sehr hohem Ansehen. Solch eine »brawi Dschuwel« (Ehrenname für Zigeunerinnen), wird den anderen stets als Beispiel vorgehalten und sind solche auf ihren Ehrennamen stolz und auch mit Recht. Eine der berühmtesten und angesehensten Wahrsagerinnen, die im Wahrsagen aus den Linien der Hand sozusagen einzig dastand und einen Weltruf (?) genoß, war meine Schwiegermutter bei uns deutschen Zigeunern. Außerdem war sie ein sehr schönes Weib, mit wunderbar kleinen Füßen und konnte ausgezeichnet tanzen. Sie produzierte sich auch als Fußspitzen- und Kunsttänzerin, indem sie auf einem Teller tanzte. Selbst wir, die wir doch so oft das Schauspiel sahen, bewunderten immer wieder, die auf solch einem Teller ausgeführten schönen Tänze. Infolge einer körperlichen Entstellung gab sie dies Tanzen kurz nach einem Unfall auf. Umsomehr steigerte dies Mißgeschick direkt ihren Ruf als Wahrsagerin und weise Frau, weil sie den Unfall Jahre vorher prophezeit hatte. Dieser Unfall zeigt zugleich, wie man in gewissen Kreisen die Zigeuner trotz dem Jahrhundert der Humanität, immer noch als vogelfrei zu betrachten scheint. Ich will ihn daher etwas ausführlicher schildern.

Es war an der bayerisch-österreichischen Grenze, noch auf dem Gebiet des »heiligen« Landes Tirol, als im Anfang ihrer Ehe meine Schwiegereltern in Gesellschaft, in einer Lichtung im Wald das Lager aufgeschlagen hatten. Die Frauen waren alle zurück aus den Dörfern und waren alle guter Dinge. Nur meine Schwiegermutter war noch nicht zurück, als man den aufgestellten Späher das Zeichen »Vorsicht« geben hörte. Gleich darauf gab er das Zeichen »Gefahr« und sofort auch »Hilfe«! Einige Männer, darunter mein Schwiegervater sprangen in die Wagen, um sich zu bewaffnen und dann der vom Späher angedeuteten Richtung zu. Die Frauen und Kinder brachen alles ab und zerstörten die Feuer, die Pferde wurden eingeschirrt und im nu war alles zur Flucht, zur Abreise hergerichtet. Der Späher meldete, daß er Hilferufe gehört habe und zwar habe er zuletzt deutlich die Stimme der »Madel« (Zigeunername meiner Schwiegermutter) erkannt. Gleichzeitig ertönten wieder die in unserer Sprache abgegebenen, gellenden Hilferufe und viel näher. Kein Zweifel, es war die noch nicht Zurückgekommene und allem Anscheine nach war sie in großer Gefahr. Alle stürzten in fieberhafter Eile der Richtung nach, von welcher die Hilferufe kamen. Sehen konnte man in dem tiefen Wald noch nichts. Da, in nächster Nähe der Straße, war eine etwas größere Lichtung, wo die Männer das nun folgende, abscheuliche Schauspiel mit ansehen mußten. Ein Gendarm stand da neben meiner Schwiegermutter, riß an ihr herum, er wollte sie fesseln. Sie wehrte sich dagegen, da stieß er sie mit dem Gewehrkolben in ganz unmenschlicher Weise, in Rücken, auf die Brust, den Leib, so daß sie einigemale zu Boden stürzte; und sie war in – hochschwangerem Zustand. Ihr Mann sprang rasend vor Zorn und Wut auf den rohen, wüsten Gendarmen zu, seinem mißhandelten Weibe zu Hilfe und ihr zurufend. Darauf sprang diese auf und wie ein gehetztes Reh davon, aber statt ihrem Manne entgegen, in der Richtung der Straße zu. Da nahm der Gendarm das Gewehr, schoß nach der Fliehenden, und mit einem markerschütternden Schrei fiel sie am Waldesrand nieder. Entsetzen ergriff die Männer über solch einer gräßlichen Tat, an einer wehrlosen schwangeren Frau. Alles glaubte, sie wäre tot. Ihr Mann stumm und weiß wie der Tod, stand im gleichen Moment vor dem Mörder. Seiner Sinne nicht mehr mächtig, schoß er dem Gendarm die volle Ladung seiner Pistole ins Gesicht, so daß ihm das Hirn des Elenden ins eigene Gesicht spritzte. Er hatte es verdient.nach dem Recht der Naturvölker. D. H. Die andern hatten sich um das, wie sie glaubten, erschossene Weib bemüht, die zwar in Ohnmacht aber nicht tot dalag und einem Kind das Leben gegeben hatte. Dies Kind ist jetzt – meine Frau. Die Mutter hatte nur einen Streifschuß erhalten, aber das Auge war verletzt, so daß es auslief und sie einäugig war, was sie, vorher eine der schönsten Frauen, sehr entstellte. Der Gendarm wurde absichtlich liegen gelassen, nichts von seinem Eigentum angerührt, Tag und Nacht gefahren und die Gegend für immer verlassen. Später hörten wir, daß die Zigeuner stark im Verdacht waren, aber schließlich bestimmt angenommen wurde, der Gendarm wäre bei einem Renkontre mit Wilderern getötet worden. Und weswegen diese Scheußlichkeiten? Der Gendarm beschuldigte die arme Frau, eine – Katze gestohlen zu haben, es habe jemand zugesehen und ihm Anzeige gemacht. Das war nicht wahr und wenn es gewesen wäre, berechtigte dies dann zu so brutalen, rohen Mißhandlungen? Durfte er zwei Menschenleben vernichten (das dem nicht so war, ist nur ein glücklicher Zufall gewesen) wegen einer – Katze? Er, der Gendarm titulierte die unschuldige Frau auch noch mit solch unverschämten, gemeinen Redensarten, die hier nicht wiederzugeben sind. Auch sagte er, sie habe die Katze wieder durchgehen lassen, das habe sollen ein Braten geben usw. Aber wir deutschen Zigeuner essen Katzenfleisch usw. niemals, selbst in der größten Not nicht. Nach unserem Gesetz streng verboten! Wer es übertritt, ist »baledschido« (unehrlich). Alle Beteiligten sind schon längst tot, d. h. mit Ausnahme der unbeteiligten Kinder, daher meine offene und gewissenhafte Schilderung, d. h. wie ich sie oft aus dem Munde der direkt Beteiligten gehört habe. Die Zigeuner sind weder Mörder noch Kinderräuber, das wird ihnen zu Unrecht nachgesagt. Ich selbst und der größte Teil der Zigeuner bedauern tief solche Ausschreitungen, wie die eben mitgeteilte, aber ich frage: Was hätte ein anderer Gatte getan, in den gleichen Umständen, angesichts solcher unmenschlicher Behandlung und einer solchen abscheulichen Tat? Die Tat des Gatten ist absolut nicht zu billigen, aber schließlich zu begreifen. Hätte man der Gerechtigkeit ihren Lauf gelassen, so wäre, so gewiß als 2 und 2 vier ist, nicht der Gendarm, wohl aber die Frau zu ihrer Frühgeburt, zu ihrer Entstellung, zu ihren Mißhandlungen – noch bestraft worden. Gerechtigkeit damals und insbesondere gegen die Zigeuner! Auch wäre es eine Feigheit gewesen und Infamie nach unseren Sitten und Anschauungen, die Frau arretieren zu lassen, vom anderen ganz zu schweigen. Daß die Sache ein solch schreckliches Ende nehmen würde, ahnte Niemand, der Feigling von Gendarm wohl am allerwenigsten. –

Wie ich ja schon an anderer Stelle betonte, muß ich es mir versagen, auf die nicht immer ehrlichen »Berufe« der Zigeunerinnen, wie Zauberei, Traumdeuterei, Wahrsagerei, Hexenbannerei und Austreiberei usw., sowohl bei Menschen wie Vieh, näher einzugehen! Hauptsächlich betrifft das unser Wahrsagen aus den Linien der Hand. Ein Verrat hierin würde augenblicklich schwer bestraft werden. Derjenige würde kein Glück, keine Rast und Ruh mehr haben. Die Verstorbenen würden es rächen. Es ist dies einzig unsere Kunst, mit der die Zigeunerin sicher und unfehlbar, sowohl die Zukunft als auch Vergangenheit ergründet und das größte Geheimnis bleibt für jeden Nichtzigeuner!So meint der Verfasser. Tschatschopaha! Auch sollte man nicht so viel Aufhebens davon machen und immer und immer wieder losdonnern gegen die »unehrlichen« Gewerbe Hexerei, Betrügerei! Was schadet es, wenn hin und wieder die Dummheit etwas bestraft wird? Warum sollen wir Zigeuner gegen die Dummheit kämpfen, wenn es selbst die Götter nicht vermögen? Aber nützen soll sie uns!Das ist die Auffassung der Zigeuner. Der Verfasser denkt wohl schon etwas anders. Seine eigene Frau vermeidet das Wahrsagen als unehrenhaft! Man bedenke auch, daß sie selber abergläubisch sind und an manches selber felsenfest glauben! Aber auch gutes kann eine Zigeunerin mit ihren oder durch ihre »lichtscheuen« Gewerbe stiften, selbst Verbrechen verhindern, was das folgende illustrieren soll.

Kam da eine mir nah verwandte Zigeunerin (es war im Neckartal und noch gar nicht so lange her) zu einer als abergläubisch bekannten Frau, die sich ihres Mannes (einem Säufer) entledigen wollte. Eine »weise« Frau (keine Zigeunerin!! Man sieht, nicht blos Zigeuner verstehen sich auf »unehrliche« Geschäfte!) hatte ihr ein Mittel hierzu angeraten, ein gutes, tatsächlich sicher wirkendes. Die Frau war im Begriff dasselbe anzuwenden bezw. machte Anstalt hierzu. Nämlich sie mußte in den drei höchsten Namen, mit der linken Hand, Holz und Stroh unter das Bett ihres Mannes häufen und dies, wenn der Mann schlief – anzünden, auch in den drei höchsten Namen, aber alles unbesprochen d. h. von anderen nicht dabei angeredet werden, sonst hatte die Zauberei keine Wirkung, andernfalls aber wirkte es sicher und zwar so, daß Niemand, außer der Eingeweihten, das Feuer brennen sah! Auch mußte man es am Freitag tun. Die Frau wurde durch das Dazwischenkommen meiner Verwandten verhindert, das Verbrechen auszuführen. Sie überredete die Frau, daß sie ihr ein ganz anderes, leichtes und gutes Mittel zu diesem Zweck wisse und die Frau vertraute ihr ganz und gar. Natürlich fiel es meiner Verwandten nicht ein, den Mann beseitigen zu helfen. Ihr genügte, einen »sicheren Verdienst« auf lange Zeit hinaus gefunden, die Frau an einem schweren Verbrechen, den Mann vor einem schrecklichen Tod, bewahrt zu haben. Das genügte ihr! Aber man sieht, es gibt in Bezug auf Moral noch Tieferstehende, als wir Zigeuner; denn Mord wird uns wohl zwar nachgesagt, aber mit Unrecht. Nur in einem Fall erinnere ich mich, wo eine Zigeunerin zur Kindesmörderin wurde. Diese war dann auch ihr Leben lang »baledschido« (ausgestoßen von aller Gemeinschaft, geächtet). Ebensowenig sind sie Kinderräuber (wenn auch früher vielleicht mal in einzelnen Fällen), denn sie haben selbst genug, brauchen also absolut keine zu stehlen. Daß sie Menschenfleisch äßen, ist eine haarsträubende Lüge. Ebensowenig essen wir deutschen Zigeuner Pferde-, Hundefleisch oder gar Aas, wie z. B. die ungarischen Zigeuner, die schon vergrabenes wieder ausgraben und verzehren, (verendete Schweine usw.). (?) Wir würden unser Gesetz schwer verletzen und müßten es schwer büßen. Die Lieblings- oder Nationalspeise ist Igelfleisch. Bei Tage werden sie ohne oder auch mit den dazu abgerichteten Hunden gesucht. Bei Nacht selten und dann nur mit Hunden. Igelfleisch wird jedem anderen Fleisch vorgezogen.

Moralische Empfindungen spricht man gewöhnlich den Zigeunern ab, aber sehr mit Unrecht. Mit gleichem Unrecht behauptet man, daß sie auf einer noch sehr primitiven Kulturstufe stehen. Gerade an ihren Familien- und Stammesverhältnissen, an ihren Sitten und Gebräuchen sieht man das Gegenteil am besten. Früher als die Zigeuner noch in großen Haufen (Genossenschaften), d. h. alle Stämme eines einzelnen Landes, Norddeutsche, Süddeutsche bildeten ein ganzes für sich, (laut den noch existierenden mündlichen Zigeuner-Überlieferungen) reisten, hatten sie ihre regelrecht gewählten Anführer (Häuptlinge, Hauptleute). Die Ungarn haben heute noch ihre Ober- und Unteranführer (Wojwode, Saibidjo). Heute ist es in dieser Beziehung bei uns wesentlich anders geworden. Schon längst wurde es nicht mehr geduldet, in größeren zusammenhängenden Gesellschaften zu reisen, in den letzten Jahren wurden wir sogar gezwungen, nur noch familienweise in 1 bis 2 Wagen zu reisen, uns in kleine Trupps aufzulösen. Wir deutschen Zigeuner haben daher nur einen Hauptmann,Der Verfasser kennt nur den Hauptmann der süddeutschen Zigeuner. Dieser ist aber nicht der einzige in Deutschland.welcher gewählt wird. Hauptmann wird nur einer, der sich die Achtung und Neigung der anderen zu erwerben versteht. Auch muß er nach zigeunerischen Begriffen etwas wohlhabend sein. Er muß ein bewährter und unerschrockener Mann sein. Wenn er alt, krank oder gebrechlich geworden, wird ein anderer gewählt, doch gilt auch hier »keine Regel ohne Ausnahme«, gewöhnlich aus der Familie oder allernächsten Verwandtschaft des bisherigen Hauptmanns. Dieser spricht Recht in allen Streitigkeiten der Zigeuner untereinander; hauptsächlich aber wenn jemand »baledschido« ist, d. h. wenn jemand sich gegen das Gesetz vergangen hat. Zu diesem Zweck ist alle Jahr ein »Zilo« (Versammlung), gewöhnlich im Herbst und zwar im Elsaß. Diese Zusammenkünfte sind geheim. Fremde werden in keinem Fall zugelassen. Da werden diese Sachen alle ausgemacht und vom Hauptmann Recht gesprochen. Je nach dem Vergehen auf ein paar Jahre »baledschido« gesprochen oder ganz ausgestoßen. Andere wieder »ehrlich« gemacht oder auf weitere Jahre »baledschido« gesprochen. Nur inbezug auf die Blutrache stehen dem Hauptmann irgendwelche schlichtende Rechte nicht zu. Nach solch einem »Zilo« geht es immer lustig zu. Diejenigen, welche wieder ehrlich, also nicht mehr »baledschido« sind und deren Angehörigen, bezahlen, d. h. halten die andern frei, aus Freude darüber, wieder in die Gemeinschaft aufgenommen, wieder einer der ihren zu sein. Wein, Bier, Branntwein, alles fließt in Strömen. Es wird gesungen, getanzt, geschmaust, gespielt, kurz es geht recht lustig und turbulent zu. Die Schattenseite ist aber dann die, daß gewöhnlich der Schluß einer solchen großen Zusammenkunft – eine regelrechte Schlägerei ist, ja oft werden wahre Schlachten geschlagen.

Denn zu einem solchen »Zilo« kommen manche, die nur ihren Feind suchen, der das » Totenhemd« an hat, d. h. die eine Blutrache oder sonst etwas miteinander auszufechten haben. Es wird »gepraßt« d. h. man beschimpft sich gegenseitig, dann kommt es zum Handgemenge und es wird geschlagen, gestochen und geschossen. Ohne Blutvergießen oder oft auch Totschlag geht es meistens nicht ab. Angezeigt wird nichts. Niemals verrät ein Zigeuner den anderen den Behörden. Alles wird wieder selbst ausgemacht. Wer etwas anzeigen oder eine Angabe machen würde, wonach der oder die Täter von der Behörde ermittelt würden, hätte »gepukt«, er wäre ein »Pukerer« und sein Tod gewiß. Wird aber der Täter so erwischt und verurteilt von der Behörde, so gilt diese Strafe nichts, d. h., wenn er die Strafe verbüßt hat, so ist er dennoch der Blutrache verfallen. Kommt es aber zu einer Versöhnung der Gegner (am meisten imponiert Mut und Unerschrockenheit), so ist die Aussöhnung dauernd. Zum Zeichen der Versöhnung nimmt derjenige, der Rache geschworen hat, zwei Gläser (Bier-, Wein- oder Branntweingläser), schenkt selbst von dem betreffenden Getränk ein, nimmt dann aber das Glas vom anderen Teil, (der Gegner dann umgekehrt), stößt an, d. h. trinkt ihm zu und beide leeren das Glas auf einmal. Jeder nimmt dann wieder sein eigenes Glas an sich; die Gegner sind versöhnt, jede Rache ist vergessen und alles ist vergeben. Hier nur ein Beispiel aus der Wirklichkeit: Bei einer zufälligen Zusammenkunft (größeren) bei Hagenau, einer meiner Schwäger mit einem anderen Zigeuner, der meinem Schwager Rache geschworen, (von ihm aus das »Totenhemd« anhatte) kam es am Abend in der Wirtschaft durch das unerschrockene Auftreten meines Schwagers zur Versöhnung der beiden Gegner. (Zeremonie wie vorgehend beschrieben. Bei Bier oder Wein wird dazu ein kleines Glas bezw. ¼-Literglas oder größeres Glas, nur wenig darin, genommen.) Wie es der Zufall wollte, kam kurz nach der Versöhnung ein anderer Gegner resp. zwei, Vater und Sohn, an. Der Zigeuner, welcher meinem Schwager Rache geschworen, sich aber mit ihm versöhnt hatte, hatte den beiden spät angekommenen Zigeunern ebenfalls Blutrache geschworen. Beide hatten also von ihm aus das »Totenhemd« an. Es war bereits sehr spät in der Nacht, als es wirklich zum Zusammenstoß kam. Das Ende war furchtbar. Der frühere Gegner von meinem Schwager forderte die beiden zuletzt angekommenen Zigeuner heraus, »praßte« und schoß den Sohn auf der Stelle tot und zwar am Ende des Hausausganges (Treppe) der Wirtschaft. Der Vater des Getöteten wollte seinem Sohn zu Hilfe eilen, wurde aber von dem sich wie wild gebärdenden Täter ebenfalls zweimal angeschossen. Eine Kugel bekam er in den Oberschenkel, die andere ging durch Kinn und Hals und kam am Kopf wieder heraus. Er flüchtete, mußte aber im Spital aufgenommen werden, wo er innerhalb 8 Tagen ebenfalls seinen Verletzungen erlag. Mein Schwager stand unmittelbar neben dem getöteten Zigeuner, als der Täter mit wild rollenden Augen nach dem anderen Zigeuner suchte. Wäre es nur eine halbe Stunde früher zum Kampf gekommen, so wäre mein Schwager oder sein Gegner sicher ebenfalls getötet worden. So aber fand Versöhnung statt und kein Haar durfte ihm gekrümmt werden. Die Sitten sind in dieser Beziehung streng. Da kein Zigeuner den anderen anzeigt, so erwischte man den Täter auch nicht. Er hat jetzt wieder das »Totenhemd« an von den verwandten Leuten der Erschossenen. Zur näheren Erklärung der Blutrache nur ein Beispiel: Vor etwa 8 Jahren hatte der Zigeuner B. Eckstein dem Zigeuner S. Guttenberger, als letzterer eine Gefängnisstrafe verbüßte, dessen Geliebte bezw. nach unseren Begriffen seine Braut – ihm abwendig gemacht. Nach unseren Sitten durfte bezw. mußte er sich rächen, wenn er kein Feigling sein wollte. Der Verführer wußte aber auch gut, daß er das »Totenhemd« anhatte, von dem hintergangenen Liebhaber bezw. zukünftigen Gatten aus.

Als Guttenberger frei war, suchte er den Eckstein auf, der daran war, die Ehe nach unseren Anschauungen mit dem fraglichen Frauenzimmer einzugehen. Er traf ihn in einer Wirtschaft. Dieser, überrascht durch den unerwarteten Besuch, sich aber der Situation voll bewußt, erhob sich, um hinaus zum Wagen zu gehen, jedenfalls, um sich zu bewaffnen. Guttenberger zog aber sofort eine Doppelpistole und schoß nach ihm. Der erste Schuß ging fehl und fuhr die Kugel oben in die Stubentüre. Die zweite traf ihn in den Kopf und furchtbar entstellt brach er tot zusammen. Durch die anwesenden Bauern wurde der Täter an einer Flucht verhindert. Er bekam vier Jahre Gefängnis. Jetzt ist er längst frei, aber eines schönen Tages fällt auch er als Opfer der Blutrache. Die vier Jahre Gefängnis haben gar keinen Einfluß oder Bezug auf diese. Dem Frauenzimmer geschieht nichts. Eine Verbindung aber mit dem betrogenen Rächer ist für immer ausgeschlossen. Er würde dadurch baledschido werden, nicht aber sie.

Außerdem ist bezw. wird »baledschido« (leichtere Vergehen), wer Hundefleisch, Pferde- und Katzenfleisch ißt, ja wer nur aus einem Hafen, Schüssel usw. ißt, wo solches nur darin war bezw. darin gekocht wurde, ebenso wer aus einem Gefäß ißt oder trinkt, welches von einer Zigeunerin mit dem Rock berührt, gestreift, über das sie etwa hinweggestiegen ist. Solche Gegenstände müssen, wenn auch noch so nagelneu, sofort vernichtet werden, natürlich auch das darin gekochte. Praßen (Beschimpfen) auf seine Tote, auf des Praßenden Frau – ohne Abwehr macht baledschido. Baledschido wird, wer während der Periode zu seiner Frau liegt und überhaupt solche Vergehen gegen die Schamhaftigkeit in und außer der Ehe, z. B. Besuch von Prostituierten, Onanie usw. treibt. Schwere Vergehen, wofür oft für immer aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, geächtet und verachtet wird, sind Sittlichkeitsvergehen, widernatürliche Unzucht, Kindesmord usw. Die Strafe des baledschido besteht darin, daß ein solcher auf bestimmte Zeit oder zeitlebens von aller Gemeinschaft, Verkehr usw. der übrigen Zigeuner ausgeschlossen, verstoßen, geächtet ist. (Noch bei den Ausländern, bei den deutschen nicht mehr). Auch nicht mit ihnen zusammen reisen. Solche müssen allein reisen. (Nur ausländische Zigeuner, bei den deutschen Zigeunern nicht, hier Zusammenreisen erlaubt). Auch darf man nicht mit solch einem aus einem d. h. dem »geächteten« seinem Glas etwa trinken. Anstoßen, »Gesundheittrinken«, »Prosit« und an einen Tisch setzen, ist erlaubt. Nicht erlaubt wieder – aus einer Tasse, Teller usw. eines baledschido zu essen oder seine Löffel, Gabel, Messer usw. zu gebrauchen. Wer etwas derartiges tut, wird eben dann auch baledschido. Diese Strafe ist in jeder Beziehung für den Zigeuner schrecklich. Abgesehen davon, daß er von allen gemieden wird, wird er von den Behörden als Einzelner überall angehalten und hat seine liebe Not und Scherereien. Wie sehr auch der Zigeuner das freie, ziellose Herumreisen liebt, ebenso liebt er die Geselligkeit mit seinesgleichen. Allein von Ort zu Ort wandern zu müssen, vom Heimweh und Verlassenheit verfolgt, ist für ihn, bei seinem geselligen Wesen, die denkbar größte moralische Strafe.

Wie schon gesagt, leitet und bestimmt bei den ausländischen Zigeunern die Züge der Wojwode und die Saibidjo, d. h. es wird gewöhnlich im Winter, wenn alles die Winterquartiere bezogen hat, eine Versammlung abgehalten.

Zigeunerfamilie Winter in Allmendingen

Da wird nun über alle den Stamm interessierenden Angelegenheiten beschlossen und beraten, über die Wanderungen im nächsten Sommer, die Züge, und jedem sein Gebiet zugeteilt. Bei den deutschen Zigeunern ist das anders; hier kann nur beiläufig in der Versammlung beschlossen werden, welche Reiseroute die einzelnen Familien bezw. kleineren Gesellschaften einzuschlagen haben, weil ja in Deutschland größere Trupps nicht mehr miteinander reisen dürfen. Jede derartige kleinere Gesellschaft ist für sich und der älteste der Männer ist der Führer, das Haupt der Truppe, er bestimmt und regelt alles. Unbedingt werden seine Anordnungen genau befolgt. Auch bezogen bisher die deutschen Zigeuner mit geringen Ausnahmen selten Winterquartiere. Nur über Weihnachten, Neujahr, blieben sie in einem Ort usw., sonst reisen sie das ganze Jahr. Jetzt ist es auch in dieser Beziehung anders geworden. Wegen den schulpflichtigen Kindern und der Beschaffung der Reisepapiere müssen sie nun auch ein wenig wohnen und zwar kommen sie dann beim Eintritt des Winters zu größeren Trupps in gewissen Gegenden zusammen, wo sie sich einmieten und um jeden Argwohn zu unterdrücken, die Miete für Monate, ja ¼ Jahr vorausbezahlen. Einige haben schon sogar Häuser gekauft, z. B. in Bayern. Solche Winterquartiere befinden sich bei uns in einem Dorf bei Karlsruhe, bei Stuttgart und hauptsächlich im Elsaß. Ist dann der Winter, der gefürchtetste Gast der Zigeuner, mit seiner Not und seinem Elend vorüber, d. h. schaut nur die liebe Sonne aus den Wolken heraus im beginnenden Frühjahr, so ist kein Halten und Bleiben mehr. In scheinbarer Unordnung gehen die einen da, die andern dort hinaus, und doch ist alles so annähernd geregelt und schlägt jede Abteilung seine ihm vorläufig bestimmte Reiseroute ein. Von der Ordnung wird aber bald nichts mehr zu sehen sein, denn verschiedenes trägt dazu bei, sie aufzulösen, Kollusion mit der Behörde u. dgl. Da treten dann die Wanderzeichen in Aktion, durch die sie sich verständigen, raten und warnen, Mitteilungen machen, Zusammenkünfte und irgend ein Vorhaben signalisieren. Diese Wanderzeichen, Signale usw. finden sich weit mehr bei den ausländischen Zigeunern als bei den deutschen. Nur sozusagen im inneren Leben bedienen sich die deutschen Zigeuner einiger weniger Zeichen, so z. B. beim Aufstellen von Posten, Gebärdenzeichen, Warnungszeichen beim Erscheinen von verdächtigen Personen oder Amtspersonen, Gendarmen usw., wenn man sonst nicht mehr anders warnen kann. Früher waren auch weitere Zeichen im Gebrauch. Beim Fahren, um den Nachkommenden den Weg, die eingeschlagene Richtung zu zeigen, werden aber auch heute noch manche angewendet. Bemerkenswert ist noch der eigenartige nur von ihnen gebrauchte und bekannte Zigeunerpfiff, nach Art des heimatlichen Bubenpfiffs, aber durchaus nicht mit diesem zu vergleichen. Ertönt der Pfiff, wo es auch sei und zu jeder Zeit, so weiß jeder, daß einer der ihren in der Nähe ist, ohne ihn zu sehen oder sonst ein Zeichen zu erhalten.


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