Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Aus einem Tagebuch

Stuttgart, 29. Okt. 1934

Die Abreise in ein Leben neuer heterogener Verpflichtungen versetzt mich in Mißmut und Bangnis.

Ich habe schon in meinem 18. Jahre zwar nicht klar und intellektuell, dafür aber instinktiv um so sicherer gewußt, wie es mit mir steht und wo es mich hintreiben wird. Ich malte damals. Wenn ich die alten Bilder ansehe, finde ich eine Fülle fruchtbarer Ansätze. Die unentwickelten Möglichkeiten belasten mich immer noch. Ich ging damals nach München, um zu studieren. Das war ein Mangel an Hartnäckigkeit. Die Malerei nebenher gedieh nicht. Nach einem weiteren Jahr stieß ich auf Probleme, die zu lösen eine völlige Konzentration erfordert hätte. Da gab ich es auf, wollte vernünftig sein, wollte einen sachlichen Broterwerb finden, hatte nicht den Mut, das gesicherte und gebilligte Leben aufzugeben, und schloß einen Kompromiß: ich bereitete mich vor, um zu promovieren.

Aber das kaum Verdrängte, der eben abgesagte Genius kam in anderer Erscheinung wieder.

Wenn mir etwas zur Rechtfertigung dient, so dies: gegen meinen Willen überwältigte mich das Andere, mehr zur Qual als zur Ergötzung ergebe ich mich dem Spiel der Kunst. Ich muß. Und das mit Ausschließlichkeit. Ich bin heute in der Dichtung dort angelangt, wo ich vor Jahren stand in der Malerei: vor MEINEM Problem; vor demjenigen Problem, dessen Lösung meinen Teil an der Kunst darstellen wird. Manchmal schwanke ich noch. Die Malerei ist nicht ohne Verheißung für mich, und oft genug gilt ihr meine Sehnsucht. Aber es mangelt auch nicht an Einsichten der Schwäche. Und schließlich bin ich überzeugt, daß alle Arten von Künsten Wirkungsmöglichkeiten ein und desselben Geistes sind. Die Grundkonstitution des Schöpferischen ist eine allgemeine. Die Ausübung der einzelnen Künste ist nur eine Ökonomie der Naturanlage. Denen, die ganz aus dem Geiste leben, muß alles möglich sein. Das Handwerkliche kann erlernt werden. Nur Zeit! Zeit! Zeit! Und ein der Sache gewidmetes Leben!

(4. Nov. 1934)

... Denn beide Künstler (Mareés und Valéry [D. Herausgeber]) sind mir bedeutungsvolle Signale. Ich sehe es in einer Zeit, da alles Gestalten sich mehr denn je hüten muß, rein zu bleiben und nicht ins Zweifelhafte zu fallen, für einen Künstler als unbedingt erforderlich an, mit dem Aufgebot seines ganzen Intellekts den »Ausgangspunkt« zu finden.

Wir sind nicht mehr in der glücklichen Lage, einen durchgehenden Stil zu besitzen. Der künstlerische Instinkt, der früher die meisten geleitet hat, ging verloren. Man muß also der Gnade des Zufalls von vornherein skeptisch gegenüberstehen, denn er ist oft genug ein Abfall, ein Sichgehenlassen. Wir können nur noch von den Anfängen her gestalten. Und dies wird nicht durch eine manierierte Primitivität erreicht, sondern durch ein mühsames Herausschälen und Erkennen der unveränderlichen Bedingungen, unter denen alles Große bisher entstanden ist. Die paradiesische Zeit der Kunst ist vorbei. Wir haben vom Apfel der Erkenntnis gegessen und müssen uns nun behelfen wie Adam.

(5. Nov. 1934)

Ich habe heute die ersten Vorlesungen absolviert und konnte dem daraus folgenden Unmut nur entgehen, indem ich noch einmal all dies gewaltsam von mir entfernte, mit Mühe eine schützende Gleichgültigkeit dagegen erweckte und zu Hause ganz auf mich selbst zurückkehrte.

Die Sinnlosigkeit des Wissenschaftlichen ist für mich allgemach von einer verletzenden Deutlichkeit, und ich muß fürchten, da ich diesem im Lauf des Semesters nicht täglich so entgehen darf wie heute, daß es anfangen wird, meine eigentliche Substanz zu verderben und zu verfälschen.

Meine Promotion scheint wirklich das Äußerste für mich gewesen zu sein. Das konnte noch neben Entfaltung und Klärung hergehen, ohne zu stören. Aber ich bin weitergekommen; ich spüre es an solchen Vergleichen, wie ich klarer und unbedingter geworden bin. Ich fürchte, daß es sich nun nicht mehr um Selbstüberwindung handelt, sondern daß ein gewalttätiges Erfüllen dieser Anforderungen Selbstverstümmelung sein wird.

(11. Nov. 1934)

Die Tage sind schlecht. Ich leide an einer fast ständigen Depression – genau wie vergangenen Winter –, und das steigert sich zuweilen zum kaum mehr Erträglichen, zu einem Zustand, da sämtliche Vernunft und Überredungskunst mir selbst gegenüber sich als machtlos erweist. Vielleicht wäre alles leichter, müßte ich nicht unter dieser dauernden Forderung leben, die mich, damit ich mir die kärglichsten Existenzmittel sichere, zwingt, mich mit einem völlig verleideten Studium zu beschäftigen. Jede hierfür verlorene Stunde, jedes Ausruhen, jede Hingabe an anderes Tun fährt fort mich zu bedrücken, vermehrt die Last der nicht erfüllten Pflichten und läßt mich wie einen Dieb in der ständigen Furcht leben ertappt zu werden. Dabei bringe ich nicht die Kraft auf, einen meiner Pläne folgerichtig in Angriff zu nehmen und ihn ohne nach rechts und links zu sehen zu realisieren. Ohnmacht, Unfähigkeit haben mich fast ununterbrochen in Besitz. Dennoch aber kommt mir nie ein Zweifel an meiner Berufung. Ich habe diesen Weg beschritten, gewiß nicht aus Leichtsinn oder Ehrgeiz: ich muß ihn zu Ende gehen, auch wenn dies meinen Untergang bedeuten sollte.

Ich sitze ganze Nachmittage über an meinem großen Tisch vor dem Fenster, blicke vegetativ hinaus auf die entlaubten Bäume, und esse mit einem seltsamen Gefühl, das ich fromm nennen muß, meine sehr bescheidenen Speisen. Der Anblick eines Apfels oder einiger Nüsse oder – nach einem rasch erschöpften Nachmittag – ein zuweilen gläsern klarer Himmel, über den die Äste und Zweige ein dunkles Netz breiten, kann mich zu einer völlig gedankenlosen Versunkenheit bringen, und wenn mich auch eine kleinliche »Vernunft« nach dem Erwachen daraus die so vertane Zeit bereuen lassen will, so muß ich mir doch eingestehen, daß ich vielleicht nie so inständig lebe wie während solcher Stunden.

Ich überlege mir manchmal, angeregt durch mein eigenes Sträuben, das meine ganze Natur so völlig durchdringt, daß ich es nur überwältigen könnte, indem ich das Ganze zerstörte – ebenso wie ein von einer Seuche infiziertes Haus zu verbrennen ist –, warum ein Dichter heute nicht mehr sein Schaffen mit einem Broterwerb verbinden kann, und ich finde dann den Grund in den heute so unsäglich schwieriger gewordenen Umständen seines geistigen Daseins, in der völligen Isolierung, in der er heute lebt, nicht mehr getragen von einer sichtbaren Gemeinschaft, und in der daraus erfolgenden Stillosigkeit unserer Zeit. Denn da der Dichter sich nicht mehr von einem ästhetischen Zeitempfinden tragen lassen kann, muß er sich die Mittel zur Realisierung seiner Absichten, die ihm früher schon als fertige Handwerkszeuge überreicht wurden, und die er nur anzuwenden und zu vervollkommnen brauchte, auf eigene Faust suchen und erfinden.

Jeder Dichter hat heute gleichsam von vorn anzufangen, so als sei er der erste Dichter, als sei er der Dichter. Nur aus dieser Haltung heraus kann er noch gestalten. Eigentlich ist sie erfreulich genug, denn sie enthält ungeahnte Möglichkeiten, die Möglichkeiten zu einer Kunst an sich, zu einer überzeitlichen, reinen zeitlosen Kunst, in der nur das unveränderlich Menschliche lebt und dargestellt ist.

Den Ausgangspunkt dieser Möglichkeit aber zu erreichen, erfordert eine ausschließliche Konzentration des ganzen individuellen Lebens. Dichten und Leben sind nicht mehr voneinander zu trennen, sind eins.

(19. Nov. 1934)

Wichtig – das wäre einmal ausführlich auszudrücken – ist beim Barock die Durchdringung sinnlichsten Stoffes durch den Geist. Daraus entstehen dann Gebilde, die, ohne auf krasse und zugleich – durch das Gegebensein von deutlichen, individuellen Vorhandenheiten – beschränkte Art zu wirken, die Reize des Sinnlichen abstrakt, losgelöst von der beschwerenden Undurchdringlichkeit der Materie, übermitteln. Die also im Betrachter erregte Sinnlichkeit hält sich ausschließlich im Transparenten, im Geiste auf. Ich erinnere mich bei diesem Anlaß an die vier Oratorien, die sich im Chor von Fürstenfeldbruck befinden, schon späte Rokokogebilde in Rosa, Grau und warmem Gelb, Kanzeln, deren Brüstungen in ihrem Schwung den Gedanken an Leibliches, Fleischliches aufkommen lassen, an wirkliche Brüste, weibliche, ohne aber dadurch als Kunstwerk übel und angefault zu wirken. Das Aufgeweckte ist vielmehr völlig gesund, stark, anmutig.

(10. Dez. 1934)

In den Tagen seit der letzten Eintragung gelang es mir, eine andauernde Konzentration auf die Arbeit an einem großen Gedicht zu wenden (»Das Nachtmahl«), das ich schon im Oktober in Stuttgart konzeptiert hatte. Es ist nun so weit gediehen, daß es mir nicht mehr wird entschwinden können.

Diese Angelegenheit zeigt, wie vollkommen ich mein ganzes Leben, meinen ganzen Tag an eine Sache wenden muß, wenn sie richtig gedeihen soll. Ich habe die ganze Zeit über so gut wie nichts gelesen und es wäre unmöglich gewesen, die Universität zu besuchen.

Seltsam ist immerhin, wie wenig es mich belastet, daß ich das Studium aufgegeben habe, obwohl ich alle Mittel zu meinem Leben nur beziehen kann, indem ich es vorgebe. Vielleicht überwiegt die Ehrlichkeit meiner Absichten und die Konsequenz meines geistigen Daseins alle Vorwürfe, die diesbezüglich zu machen wären.

(Januar 1935)

Der Vorzug vielleicht, den ich vor vielen Menschen voraus habe, besteht darin, daß ich bis zu meinen Fehlern und Schwächen ein einheitliches und konsequentes Gebilde bin. Wenn ich mich auch bemühe, gewisse Mängel meiner Person zu überwinden, z. B. eine bestimmte Unachtsamkeit auf das Eigendasein des Nächsten, eine bestimmte Unnachgiebigkeit usf. ...: so weiß ich doch genau, daß sich wesentliche Seiten meiner nie werden ändern können, auch wenn sie die unangenehmen sind: z. B. ein gewisser bis zur Rücksichtslosigkeit gehender Selbsterhaltungstrieb, der aber, wie ich meine (oder entschuldige ich mich dabei nur?) nicht nur dem egoistischen Vorteil dient, sondern zumeist der Erhaltung und Förderung einer Sache, einer Aufgabe, die im Überpersönlichen liegt.


 << zurück