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Actus tertius symbolicus

Weras Zimmer in der sogenannten Pension der Madame Charlotte.

Ein weitläufiger Raum in einem ehemals vornehmen Hause eines uralten Stadtviertels. In der Mitte der Hintergrundwand ein geräumiger, mit einer Samtportiere abschließbarer Alkoven, in dem, von einer farbigen Ampel matt beleuchtet, ein breites offenes Messingbett steht; darüber an der Wand der Öldruck einer mythologischen Liebesszene. Rechts vom Alkoven im Hintergrund eine schmale Tapetentür. In der Rechtswand zwei altertümliche Fenster, deren herabgelassene Vorhänge das Laternenlicht der Straße matt durchscheinen lassen. In der Mitte der Linkswand eine hohe weiße Flügeltür. In der Mitte des Zimmers ein ovaler Tisch mit drei Sesseln. Auf der dem Publikum zugekehrten Seite des Tisches, an diesen quer angerückt, eine bequeme Ottomane, mit Perserteppichen und bunten Polstern überbreitet und belegt. Sonst noch, an den Wanden verteilt, gepolsterte Sitzmöbel, Rauchtischchen, Spiegel in Goldrahmen. In der linken rückwärtigen Zimmerecke ein mehrteiliger japanischer Paravent mit goldenen Vögeln auf farbigem Grunde. Der Raum ist mit einer Blumentapete tapeziert und in seiner Art von einer gewissen typischen Eleganz.

Wenn der Vorhang aufgeht, ist die Bühne vom Alkoven her matt erhellt. Von links nebenan hört man den Schluß eines sentimentalen Musikstückes von einem Glockenspielautomaten gespielt, dazu Kichern, Singen und Rufen mehrerer weiblicher Stimmen. Dann tritt plötzlich Ruhe ein, und einige Augenblicke nachher wird die Tür links rasch aufgemacht und eine junge geschminkte Person in phantastischer Gewandung steckt den Kopf herein, sucht das Zimmer mit einigen Blicken ab und zieht sich wieder leise kichernd zurück, die Tür jedoch weit offen lassend, so daß von nebenan ein starker Lichtstrahl hereinfällt.

Madame Charlotte

eine pompöse Dame über Fünfzig, aber sehr kunstvoll hergerichtet – so daß eine demimondäne Schönheit von einst noch immer glaubhaft ist – tritt nun in einer sehr diskreten dunklen Seidentoilette (nur etwas zu sehr überladen mit nicht durchwegs echtem Schmucke) von links ein. Ihr folgt ein

greiser Herr

in schwarzem Sommerüberzieher und mit dem Zylinder in der Hand. Das Haar des greisen Herrn ist schneeweiß, doch nicht schütter, sein grauer Schnurrbart, kurz beschnitten, bedeckt nur die Oberlippe, sein Gesicht ist wie aus Pergament. So alt er ist, sind doch alle seine Bewegungen beherrscht, fast abgezirkelt, seine Redeweise und Mitteilsamkeit selbst im Affekte sehr gehalten. Der gleichen Gehaltenheit befleißt sich auch Madame Charlotte. Sie spricht langsam, wohlüberlegt, förmlich, aber ihr Lächeln und ganzes Gehaben wirkt maskenhaft und täuscht über eine unsägliche, unbeugsame Härte und Kälte nicht hinweg.

Während der greise Herr einige Augenblicke in sichtlicher Bewegung den Raum betrachtet, schauen einige Mädchen zu der noch halboffenen Tür (links) herein, während man vom Nebenraum ein unterdrücktes Kichern anderer Mädchen hört.

Madame Charlotte

gibt den Mädchen an der Tür mit einer herrischen Bewegung zu verstehen, sich zu entfernen, wendet sich dann mit behutsamer Höflichkeit an den greisen Herrn

Ist es dieses Zimmer, mein Herr?

Der Herr

Es ist – dieses Zimmer.

Madame

Dann kann Ihre kleine Freundin von damals nur – Wera gewesen sein.

Der Herr

Daß mir der Name dieses Mädchens entfallen konnte! – Es war Wera.

Madame

Ich sehe Sie fast – wie sage ich? – erschüttert.

Der Herr

Ich bin es. Unterdrückt ein Zittern seiner Stimme Verzeihen Sie.

Madame

Oh bitte! – Darf ich Ihnen vielleicht mit einer – Erfrischung dienen?

Der Herr

Es hat mich – übermannt – einen Augenblick lang. – Ich bin ein alter Mann – sehr alt – vielleicht so alt wie David, als er Abisag von Sunem zu sich nahm. – Sie wartete sein und schlief in seinen Armen. Aber der König – erkannte sie nicht.

Madame

Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich annehme, daß Sie Wera wieder zu – sprechen wünschen.

Der Herr

Ich fühle fast die Pflicht, mich vor Ihnen zu rechtfertigen – in meinen Jahren.

Madame überlegen lächelnd

Ich kenne das Leben, mein Herr.

Der Herr

Ich habe – aus irgend einem Grunde – nicht viel Glück gehabt in dem meinigen. Bis zu meiner Verheiratung beinahe – keusch. Dann alle Wunden – einer Ehe! Er unterdrückt eine Tragödie Das töricht mißhandelte Geschlecht rächt sich, indem es mich jetzt – lächerlich macht. Ich weiß es!

Madame

Ich würde Ihnen Wera gerne sofort vorstellen, wenn sie nicht – malheureusement – im Augenblicke außer Hause wäre.

Der Herr

So wird sie wohl nicht – ohne Begleitung hierher zurückkehren?

Madame

Möglich – obwohl ich es meinen Damen ernstlich widerrate, Straßenbekanntschaften zu machen. Ich wünsche nicht, daß Krethi und Plethi in meinem Salon verkehre. Allein, mein Herr, ich bin keine Sklavenhälterin. Meine Damen sind frei. So will es das Gesetz und die – Menschlichkeit.

Der Herr

Auch ich habe sie – auf der Straße kennengelernt.

Madame liebenswürdig

Oh, das ist gewiß etwas ganz anderes, mein Herr.

Der Herr abwesend

Auf der Straße – mitten in dem Gewühl dieser getriebenen Menschen – nur um seiner Schönheit willen da, dieses – Kind! Ich sah nur mehr ihren Gang, nicht mehr den Weg und nicht das Haus, in das ich ihr folgte – erst wieder dieses, dieses Zimmer. Ich habe wenig Glück gehabt – in meinem Leben.

Madame Ich wage es nicht, Ihnen vorzuschlagen, das Fräulein hier zu erwarten. Gesenkt Muß dieses Wiedersehen – heute sein?

Der Herr abwesend

Wie ein Knabe habe ich diese Tage verbracht – es waren Jahre. Jeden Abend seither schritt ich diese Gasse ab, ohnmächtig, mich zu entsinnen, nicht schamlos genug, jemanden zu fragen. Diese Häuser sehen einander so furchtbar ähnlich! Es war unsäglich – qualvoll.

Madame

Ich verstehe Sie, mein Herr, und bitte Sie wiederzukommen – heute um neun Uhr.

Der Herr ein Erwachen geht über sein Gesicht

Heute?! – Also doch noch heute! – Ich danke Ihnen.

Madame

Ohne jede Garantie natürlich, mein Herr! Denn es ist nicht unwahrscheinlich, daß das Fräulein für heute abend schon ein anderes Engagement eingegangen sein könnte. Für diesen, wie gesagt, sehr wohl möglichen Fall bliebe allerdings nichts anderes übrig als das Fräulein aus seiner Verpflichtung entsprechend – auszulösen. Es ist mir gewiß peinlich, einem so vornehmen Gentleman gegenüber diese Frage zu berühren –

Der Herr sehr gelassen

Wieviel steht Ihnen zu Diensten?

Madame

Ich setze Ihrer Noblesse und der Sicherheit, die Sie sich zu verschaffen wünschen, keine Grenzen.

Der Herr

entnimmt seiner Brusttasche eine größere Note und reicht sie ihr hin Genügt Ihnen das?

Madame

Für meine Bemühungen vollkommen. Was die Dame selbst betrifft –

Der Herr

Ich bin nicht Tier genug, um Glück mit – Geld zu bezahlen.

Madame

Sie sind ein Mann von – Herz.

Der Herr nimmt ein Etui aus seiner Überrocktasche und reicht es Madame hin

Da – sehen Sie!

Madame

Oh, très joli – geradezu fürstlich!

Der Herr wegwerfend

Für sie – noch immer Tand.

Madame

Sie wird gewiß nicht ermangeln, sich Ihnen – dankbar zu erweisen.

Der Herr

Sie mir?!

Madame

Ich meine: sie wird sich gewiß unendlich freuen. Sie ist ja noch so jung – ein halbes Kind!

Der Herr mit starkem, aber beherrschtem Unterton der Erregung

Wie jung?

Madame

Noch nicht – siebzehn!

Der Herr wie oben, aber ganz in sich hinein

Abisag von Sunem war – jünger. – Wir leben nicht mehr in der Zeit der Könige. Wieder förmlich Adieu, Madame!

Madame mit vornehmem Grüßen

Mein Herr! Sie geleitet ihn zur Türe links hinaus.

Einen Augenblick ist Stille, man hört wieder von nebenan das Sprechen und Kichern der Mädchen. Dann setzt der Glockenspielautomat mit irgendeinem Walzer ein. Nach einiger Zeit, während die Musik noch andauert, öffnet sich die Türe im Hintergrunde rechts und

Wera tritt auf, gefolgt von Martin.

Wera ist ein schlank-geschmeidiges Mädchen. Ihr apartes, brünettes Gesicht würde nur bei hellem Tageslicht die Spuren ihres Lebens verraten. Bei Lampenlicht gibt das leise Rot, das sie aufgelegt hat, ihren Wangen den Anschein natürlicher Frische. Ihre Bewegungen sind, aus einem angeborenen sexuellen Instinkt heraus von starker erotischer Wirkung. Alles Aufdringliche der Lockung liegt ihr fern, aber ihrer Wirkung ist sie sich trotzdem bewußt. Sie spricht mit einer dunklen, manchmal fast rauhen, stark slavisch akzentuierten Stimme. Aber ihr Akzent ist nicht hart und bildet einen Reiz für sich. Sie trägt ein dunkles, sehr diskretes Frühjahrskostüm, ebensolchen Hut und eine lichte halsfreie Bluse.

Martin, der blaß, fast verstört aussieht, trägt schwarzen Filzhut und Spazierstock in der Hand.

Wera gedämpft

Treten Sie ein! – Hier bin ich zu Hause. Sie blickt mit einem erwartungsvollen, fast trunkenen Lächeln zu Martin auf, der, sichtlich im Kampf mit sich, noch unschlüssig nahe der Türe steht.

Martin an ihr vorübersehend, um irgend etwas zu sagen, mit benommener Stimme Was ist das für ein – Glockenspiel?

Wera unbefangen

Das ist, weil wir keinen Klavierspieler haben, ein Automat.

Martin mit Überwindung

Sind hier noch andere – Mieter?

Wera wie oben

Ja, es sind auch noch ein paar andere Damen hier in Pension.

Martin wie oben

Das sind wohl nebenan die Stimmen dieser – Pensionärinnen?

Wera mit einem gewissen beginnenden Trotz

Ja, nebenan ist der Salon.

Martin

Das habe ich Ihnen, offen gesagt, nicht angesehen.

Wera noch etwas trotziger

Wären Sie sonst nicht mit mir gegangen?

Martin gedankenlos

Das will ich nicht sagen.

Wera mit einem leisen Unterton von Ironie

Sind Sie noch nie – sowo gewesen?

Martin

Oh doch, es ist nur schon sehr lange her.

Wera

Da sind Sie wohl verheiratet?

Martin

Kann sein.

Wera mit einer Art mütterlichen Anteils

Haben Sie auch Kinder?

Martin

Interessiert Sie das?

Wera verletzt

Sie haben recht. Davon spricht man nicht zu so einer, wie ich bin. Sie sieht ihn einige Augenblicke trotzig an, dann mit einem eigentümlichen Lächeln Entschuldigen Sie mich einen Augenblick!

Martin

Bitte. Er nimmt, noch immer Stock und Hut in der Hand, rechts vom Tische Platz, mit sich in Gedanken.

Wera begibt sich in den Alkoven und kommt bald darauf – das Glockenspiel ist inzwischen verstummt – in einem enganliegenden kurzen Schlafrocke aus rotem Tuch, der die Füße in den Lackhalbschuhen und die schlanken Beine in den schwarzen Strümpfen sehr zur Geltung bringt. Ihr Wesen ist nun mit einem Schlag anders, Gang, Gesten, Stimme, auf Verführung, jedoch diskret, eingestellt. Sie nähert sich Martin von rückwärts, lehnt sich wie zufällig an ihn, streicht ihm über die Haare und sagt beziehungsvoll

Willst du dir's nicht auch bequem machen?

Martin von Ton und Berührung benommen, fast knabenhaft befangen

Ach ja, richtig! Ich habe noch immer Stock und Hut in der Hand.

Wera lacht leise, sinnlich, an seiner Verwirrung sich werdend, nimmt ihm Stock und Hut ab und versorgt die Sachen rechts vorne auf einem Fauteuil, kommt dann zurück, schmiegt sich wieder wie zufällig an seine Schulter, streicht ihm abermals übers Haar und sagt sanft

Sag, bist du immer so ernst?

Martin im Kampf mit der Erregung, die sich seiner bemächtigt hat, mit unvermittelt brüskem Humor

Ernst? Ich habe allerdings momentan keine Ursache, besonders heiter zu sein.

Wera mit schmollendem Lachen

Pfui, wer wird so ungalant sein?!

Martin gleichfalls etwas mühsam lächelnd

Es war wirklich nicht sehr höflich. Verzeihen Sie!

Wera immer an ihm, mit gutmütiger Überlegenheit

Macht nichts. Ich weiß ja, daß das alles nur – Befangenheit ist.

Martin einigermaßen frappiert

So?!

Wera mit genauer Berechnung ihrer Worte und des Klanges ihrer Stimme

Was sonst? Der erste Schritt vom Wege! Da möchte man und möchte doch wieder nicht. Denkt an – alles mögliche, macht sich Vorwürfe, ginge am liebsten auf und davon und schämt sich doch wieder, daß man so – feige ist.

Martin sehr betroffen, mühsam

Woher weißt du das alles?

Wera tief, suggestiv

Du bist ja nicht der erste – Ehemann, der bei mir ist.

Martin schwer

Allerdings. Ich vergesse immer –

Wera

Daß du bei einer Kokotte bist. – Das vergessen alle Männer, die zu mir kommen! Sehr sicher und suggestiv Du wirst es auch sehr bald ganz vergessen haben.

Martin mit einiger Auflehnung

Glaubst du?

Wera tief, zwingend

Sich mich an!

Martin unsicher

Meinst du, ich getraue mich's nicht? Sie sehen einander lange in die Augen.

Wera mit echter Begierde

Du! Sie nähert ihren Mund dem seinen, nimmt seinen Kopf zwischen ihre Hände und küßt ihn auf die Lippen.

Martin sich ihrem Kusse entziehend, aufstehend, mit rauher, fast wilder Stimme

Auf den Mund sollst du mich nicht küssen, hörst du?!

Wera mit dem ganzen Trotz ihrer slavischen Rasse

Warum?! Ich bin nicht giftig.

Martin beinahe brutal

Das weiß ich nicht.

Wera höhnisch

Dein Mund ist wohl auch nur für andere – reserviert!?

Martin auffahrend, aber sich mäßigend

Lassen wir alle anderen ein für alle Male aus dem Spiel!

Wera wild und drohend, aber gedämpft

Dann darf ich aber auch nicht merken, daß du an sie denkst! Verstehst du?! Sie geht von ihm weg und kommt in den Vordergrund vor die Ottomane

Martin mit noch nachwirkendem Grimme

Ich will mich bemühen. Er hebt an, im Hintergründe des Zimmers auf und ab zu gehen. Mehrstimmiges Gelächter im Salon nebenan

Wera in unbewußter Abreaktion ihres früheren Zornes, stampft auf den Boden

Pfui, wie gemein sie lachen! Ich mag sie alle nicht. Sie wirft sich, so daß sie halb sitzt, halb liegt, auf die Ottomane und starrt trotzig vor sich hin.

Martin unberührt

Warum bleibst du dann da?

Wera trotzig

Weil ich Schulden habe bei unserer Frau.

Martin beiläufig

Viel?

Wera

So viel, als ich schon abgezahlt habe, ist es nicht mehr.

Martin mit wieder erwachendem Anteil

Bist du schon lange bei diesem – Beruf?

Wera lacht, mit wildem Humor

Schon bevor ich geboren war!

Martin

Wieso?

Wera

Wieso? – Meine Mutter war dasselbe wie ich.

Martin

Lebt sie noch?

Wera

Nein; man wird nicht alt bei diesem Beruf, wenn man ihn so auffaßt wie meine Mutter und ich.

Martin wieder erotisch intereßiert

So. – Wie faßt ihr ihn denn auf?

Wera

Wie? – Ohne Sparsamkeit natürlich, mit Leidenschaft.

Martin dumpf

Jedem gegenüber, der da – kommt?

Wera

Nicht. – Aber es sind ihrer genug, bei denen man fühlen kann.

Martin immer verstrickter

Es werden ihrer wohl sehr viele sein?

Wera

Viele und doch zu wenige. Je nachdem.

Martin

Bist du so unersättlich?

Wera

Warum nicht? Wenn ich einmal toll bin –

Martin

Und einen sogenannten Freund hast du nicht?

Wera

Nein, so einen mag ich nicht. Die wollen nur das Geld.

Martin leicht ironisch

Und du hältst das Deinige lieber zusammen, sparst am Ende gar!

Wera gereizt

Natürlich spare ich. Man will doch auch einmal Herrin sein!

Martin

Herrin über wen?

Wera ihren bisherigen Trotz immer mehr zur Härte steigernd

Herrin über andere, so wie ich jetzt Sklavin bin für die Frau, der ich zahlen muß.

Martin

Sonderbarer Ehrgeiz!

Wera

Wieso sonderbar? Soll ich am Ende sparen, daß ich einmal heirate?

Martin

Warum nicht? Das ist doch auch schon vorgekommen, daß ein Mädchen wie du –

Wera

Es kommt oft vor. Aber ich anzüglich kaufe mir keinen Mann!

Martin

Eine Mitgift ist doch kein Kaufpreis.

Wera

Bei unsereiner schon. Die heiratet doch keiner umsonst!

Martin

Du würdest deinen Mann schon auch in anderer Beziehung zu fesseln wissen.

Wera überlegen

Keine Frau kann einen Mann für immer fesseln. Eines Tages geht er doch – anderswohin.

Martin sarkastisch

Und das würdest du nicht vertragen?

Wera bösartig

Ich nicht! Ich will nicht betrogen werden. Da will ich lieber andere mit ihren Männern betrügen.

Martin zornig

Aus Haß natürlich, weil jene anderen Frauen über dir stehen!

Wera wild

Sie stehen nicht über mir! Wieso kommen denn dann ihre Männer zu mir?! Mit Triumph Und sie kommen doch alle, alle, der Reihe nach alle!!

Martin auf sie zu, wild

Nicht alle! Du irrst: Nicht alle!

Wera wirft sich zurück und bricht in ein satanisches Gelächter aus.

Martin durch die Zähne

Jetzt ist es genug! Wendet sich von ihr dorthin, wo seine Sachen liegen.

Wera jäh zu sich kommend, sich aufrichtend und das Gelächter abbrechend, in fast schluchzender Angst

Geh nicht! Ich lache nicht mehr! Ich wollte Sie nicht beleidigen! Verzeihen Sie! So dürfen Sie nicht gehen! Bleiben Sie, bitte! So ist noch kein Mann von mir gegangen!

Martin nicht unberührt

So werde ich eben der erste sein.

Wera

Ich habe Ihnen ja nichts getan. Ich wollte ja lieb sein mit Ihnen. Und Sie waren so hart. Haben es mich fühlen lassen, daß ich – Ich bin ja auch nur ein Weib! – Kommen Sie zu mir! – Bitte!

Martin unwillkürlich einen Schritt näher, dumpf

Was wollen Sie noch?

Wera inständig

Ich kann ja nichts dafür, daß ich so bin. Ich hab' ja nichts anderes gesehen. Und Sie sind doch freiwillig mitgegangen. Mir nach. Ich habe Sie nicht gelockt. Und jetzt verachten Sie mich.

Martin sich noch erwehrend

Das tue ich nicht.

Wera

Doch, doch! Und ich verdiene ja auch nichts anderes – sonst. Aber von Ihnen –

Martin sieht sie an

Von mir?

Wera rauh, hastig

Von Ihnen habe ich geglaubt, daß Sie gut sein werden zu mir.

Martin gequält

Gut? Er läßt es geschehen, daß Wera sich an ihn klammert.

Wera

Nicht so wie die anderen, die so betrunken sind, so wie die Tiere! Sie wissen ja nicht – Sie verbirgt ihr Gesicht an ihm.

Martin

Ich mag es auch nicht wissen!

Wera leidenschaftlich

Ich will ja alles tun, was Sie von mir verlangen.

Martin heiser

Ich verlange nichts von – dir.

Wera in wilder Bereitschaft

Schlagen Sie mich, wenn Sie wollen!

Martin abgewendet

Das will ich ja gar nicht –

Wera

Was soll ich –?

Martin aufstöhnend

Nichts – nichts – nichts!

Wera mit der Wildheit der Verschmähten

Ich habe Sie ja – so lieb!!

Martin mit einer jähen, erschrockenen Wendung zu ihr

Lieb?! Er faßt sie an beiden Schultern, ihren Andrang von sich weghaltend und sucht erschüttert-forschend ihren Blick. Dann – während das Glockenspiel nebenan La paloma zu spielen beginnt – in raschen, aufgewühlten Sätzen ganz in sich

In der Pfütze des Lasters, auf einer Scherbe, getreten von tausend Füßen, ein Widerschein des Himmels?!

Wera wie im Fieber

War ein Kind wie andere Kinder. Nur die Eltern habe ich kaum gekannt. Und die Kostfrau war bös. Immer nur schlug sie mich.

Martin immer mehr in sich sprechend

In allen Lüsten geschult, kindlicher diese Hände als die der Unschuld!?

Wera in immer qualvollerer Steigerung

Und dann – kaum vierzehn Jahre alt – die Fabrik! Die vielen Männer dort, die fanden es bald heraus – Das Hurenblut, sie witterten es!

Martin mit immer verzweifelterer Abwehr

Tu auf die Augen, die geschlossenen,
Daß tief in ihrem Abgrund wühlt mein Blick,
Dort, wo die Bilder ruhn, die zuchtlosen!
O Seele, die so viele Schmach verträgt
Und dennoch lieber leben bleibt als stirbt!

Wera mit Schaudern, in abgerissenen Sätzen

Früh genug kommt der Tod! In der Wollust, jedem gewillt,
ist der Tod! – In den brennenden Augen unzüchtiger
Nächte ist der Tod! – In Blut und Nerven, vergiftet von
Trunk, gemartert von Abscheu, ist der Tod!

Martin in schmerzlichstem Aufruhr über sie hinweg

Könnte in eines Engels Armen ruhn,
Kühlen an frommer Brust die heiße Stirn!
Und solcher Hüfte freche Biegung, solchen
Verwüsteten Gesichtes Lockung, kaum erspäht
Im Lampenzwielicht der verrufnen Gasse,
Verheißt der Stillung mehr als reiner Leib,
Der meines Kindes süße Bildung hütete!

Wera wie in Angst an ihn gedrängt

Hab mich doch lieb!

Martin entfesselt

Die Larve ab, die Liebe heuchelnde!
Hinweg vom Mund den falschen Unschuldszug!
Nicht Engel stelle du als Wächterschaft
Vor die Latrine hin, die Unflat speit,
Wenn sie das rechte Sesamwort beruft:
Geld! Geld

Wera sich unter seinen Worten wie unter Peitschenhieben wild aufbäumend

Küß mich!

Martin ohne Unterbrechung über ihren Aufschrei hinweggehend, immer wühlender

Das ist's, was diese Glieder willig macht!
Da duckt der Götterfunke, der auch solche Brust
Beseelt, sich in den Kehricht, wer's auch ist, der zahlt!
Geld! Geld! Da hast du Geld, hast Lösegeld!
Daß dieser böse Reiz die Sinne freigibt,
Die kein Erkennen schreckt, kein Ekel bändigt,
Und die, von langgespartem Durst gequält,
Nur-liebender Umarmung allzumüd,
Den Abgrund suchen einer großen Lust! –

Wera wild Küß mich!

Martin in jäher Besinnung Nein, nein!!

Wera Du mußt mich küssen!

Martin Muß ich?!! Er reißt sie an sich, dann finden ihre Lippen einander in einem langen Kuß. Martin macht sich zuerst los. Aber auch Wera schnellt auf und läuft von ihm weg in der Richtung auf den Alkoven zu. Halbenwegs bleibt sie jedoch stehn, wendet sich noch einmal Martin zu, der aufgesprungen ist und sie mit gebanntem Blick ansieht. Einige Augenblicke Pause.

Wera reißt mit einer einzigen ekstatischen Bewegung alle Knöpfe ihres Kleides auf, dann mit jubelnder, trunkener Lockung

Komm jetzt! Komm jetzt!!

Martin ist nach rechts vorne hin zurückgewichen und tastet, immer den Blick auf Wera gerichtet, nach seinem Stock und Hut, derer er sich auch bemächtigt. Nun atemlos

Nicht jetzt! Nicht heute!

Wera auf ihn zufliegend

Nur eine Stunde mein!!

Martin geschüttelt

Ich kann nicht, darf nicht! Habe Frau und Kind!

Wera in wildem Andrang

Vergiß sie endlich einen Augenblick!

Martin allen Widerstand zusammenraffend Du bist nicht, was du warst! Ich will nicht Liebe!

Wera Was du willst!

Martin losgerungen

Nicht heute!

Wera

Du kommst nicht mehr!

Martin dem Ausgang zudrängend

Vielleicht – ich weiß nicht – laß mich los!

Wera fast aufschreiend

Bleib!

Martin schon an der Tür

Nicht heute! Beinahe taumelnd ab.

Wera noch immer auf die Tür starrend, läßt die Arme sinken, steht einige Augenblicke wie versteinert da. Dann kommt sie mit bleiernen Schritten nach vorn und läßt sich auf den Sessel rechts vom Tisch niederfallen. Ihre Arme legen sich schwer auf den Tisch, der Kopf sinkt auf die Arme, der ganze Körper hebt lautlos an zu weinen.

Die Musik nebenan, welche – die innere Steigerung der vorhergehenden Szene mitmachend, emportreibend und überhöhend – stufenweise in einen Tumult vieler erst mitsummender und mitpfeifender, dann aber mitjohlender und mitkreischender Männer- und Frauenstimmen ausgeartet und seit Martins Abgang in Gelächter und Stimmengewirr allmählich zerfallen war, bricht nun jäh ab. Jetzt vernimmt man an der Tür links ein herrisches Klopfen, das sich gleich darauf wiederholt, ohne daß Wera darauf geantwortet hätte. Nun wird die Tür vorsichtig ein wenig geöffnet, ein geschminkter Mädchenkopf, dem andere nachdrängen, späht herein und zieht sich kichernd zurück. Die Tür bleibt aber offen. Ein greller Lichtkegel fällt durch sie herein.

Madame Charlotte mit dem greisen Herrn tritt ein. Sie bleiben bei der Tür stehen und überblicken einige Augenblicke lang die Situation, Madame kühl und spöttisch, der Herr mit allen Anzeichen höchster Unruhe.

Madame gedämpft, mit Courtoisie

Mein Herr, ich habe mein Wort gehalten: Fräulein Wera steht zu Ihrer Verfügung.

Der Herr unsicher etwas nach vorne kommend, mit schwankender Stimme

Aber sie weint ja! Was fehlt denn dem süßen Kinde?

Madame mit lächelndem Cynismus

In einem Leben, das der Liebe gehört, ist Kummer kein seltener Gast.

Der Herr wie oben

Kummer! Wirklich Kummer?

Madame wie oben, dazu anzüglich

Ich zweifle nicht, daß Sie alles aufbieten werden, mein Herr, um Ihre kleine Freundin zu trösten! Mit vieldeutigem Lächeln ab.

Der greise Herr mit zittrigen Schritten auf Wera zu, sich zu ihr neigend, wie zu einem Kinde

Ich habe dir grüne Steine gebracht – für dein weißweißes Hälschen! Grüne Steine! Er holt das Etui aus der Tasche und öffnet es mit erregten Händen, dann beugt er sich zu Wera nieder und küßt sie lange und inbrünstig auf den Nacken.

Wera erhebt den Kopf müde und sieht ihn ausdruckslos-fremd an.

Der Herr hält ihr den Schmuck hin und wiederholt ganz ratlos, aber immerhin schon von seiner Begierde benommen

Für dein Hälschen – diese grünen, grünen Steine! Neuerlich Gelächter und Musik nebenan.

Vorhang.


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