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Fünfte Szene

»Aber Adam und Eva saßen da und weinten und trugen Leid um ihren Sohn und wußten nicht, was sie mit seinem Leichnam tun sollten, denn sie kannten nicht das Begraben der Toten. Da kam ein Rabe geflogen, dem war sein Gefährte gestorben, da grub er in der Erde eine Grube aus, legte den Körper darein und verscharrte ihn vor den Augen Adams und Evas. Da sprach Adam: Wie dieser Rabe hier tat, so will auch ich tun. Und er nahm Abels Leichnam, machte ein Grab in der Erde und begrub seinen Sohn.«

 

»Es geschah, nachdem Kain seinen Bruder Abel erschlagen hatte, da fingen die Kinder Abels einen Krieg an mit den Kindern Kains, und wurden auf beiden Seiten viele getötet. Aber darnach ward die Hand der Kainskinder stärker; und sie unterjochten die Kinder Abels; sie nahmen viele von ihnen gefangen und nahmen, was nur zu nehmen war an Kriegsbeute, ihr groß und klein Vieh, ihre Esel, ihre Rosse, ihre Maulesel, und erwarben einen Reichtum, doch nicht auf rechtem Wege.«

Die Stätte des Brudermords, in der Tiefe verkürzt um den früheren Vordergrund. Zeit vor Morgen, im blassen Firmament nur mehr die großen Sternbilder. Auf einem Steinblock des Kesselrandes, selbst wie ein Felsgebilde gegen den Himmel: Eva, Abels Haupt im Schoß. Rechts vorne, auf ein Werkzeug gestützt: Adam.

Eva

So bist du wieder eingekehrt, geliebtes Haupt,
Zu meinem Schoß, von dem du ausgingst in das Licht.
Getilgt die schwarze Spur von Todes rotem Mund,
Aus dem zum erstenmal es Mord schrie in die Welt.
O, hätten Tränen diese Wunde reingespült,
Nicht Baches Wellen, steinentsprüht und kalt wie Stein!

Da du nach Wehen, die der unversöhnte Gott
Vor deiner Herkunft bang herangefreutes Glück
Gesetzt, voll erster Regung mir in Armen lagst –
O Lust, in der auch letztes Schmerzgemahnen schwand! –
Gleich nach der Milchbrust schriest du, drängtest durstig her,
Wie rote Zwillingsbeeren, schmiegend Lippenpaar,
Und fandst, wes du begehrtest, eingebornen Triebs.
O Rühren kleiner Hände, Mündchens gieriges
Gesang, daß es fast wehtat, war es nicht so süß,
Beherzten Zug zu fühl'n und wie mein Innerstes,
Urmütterlich verbunden, warme Last der Brust
In dich verströmte!

Noch liegst du da, als schliefst du bloß, und zärtlich wacht
Die Mutter deinem stummen Haupt geneigt wie einst,
Da aus Vergessens Tiefen sich allmorgendlich
Des Knaben Blick aufhob und neu den Tag gelernt.
Nun wirst du lange schlafen, nichts mehr lernen, Kind!
Und deiner Mutter werden wohl die Augen matt
An diesem Bett von Fels, und gibt es noch Erbarmen,
So braust ein Eissturm her und starrt die Glieder mir
Zu Stein, Feuchte des Lebens dorrt zu Staubgerinn,
Und eingefestiget in soviel Hart und Kalt,
Bleibt auch dies arme Herz stehn, das mich sonst zerreißt!

Adam ist aus Starrheit erwacht und führt einige Spatenhiebe

Eva aus ihrem Schmerz gestört

Was tust du, Mann?

Adam

Ich grabe.

Eva

Was gräbst du, Mann?

Adam

Ein Grab.

Eva

Was ist ein Grab?

Adam innehaltend

Zwei'n Rabenalten sah ich zu, denen der Geier
Ein Junges totgerissen. So, mit Schnäbeln, warfen
Sie Erde auf und lasen in die Grube
Blutig Zerstreutes, was noch erst – ihr Kind.

Eva in jähem Entsetzen

Nein – nein! Das darf nicht sein!

Adam schicksalhaft

Vom Staub der Mensch, zum Staube kehrt er ein!
Aus Donnern rief's der Zürnende, der Gott –
Wir faßten's nicht, nun lernen wir es fassen.
Holt zu neuem Hiebe aus

Eva

Genug! Mit jedem Schlag triffst du mein Herz!

Adam

Ist es so heil noch, daß es dies verspürt?

Eva

Erbarmen, Mann! O, nicht dies Haupt, so schön,
Daß es die niedern Wesen locken könnte,
An ihm sich aufzubilden zur Gottähnlichkeit –
O, nicht dies Angesicht mit Nacht bedeckt!

Adam

Mehr Nacht als Tod ist auch die Erde nicht!

Eva

Ich gebe ihn nicht her!
Schon jetzt, o Gott, weiß kaum Gehör mehr, wie
Sein Mund erklang! Kaum mehr Gefühl, wie's war,
Da seine Hand noch lebte warmen Widerdrucks!
Nachsinnens alle Kraft
Bringt es nicht wieder! O, nicht einmal mir,
Die ihn gebar, gestillt, ihn herzte, wusch
An jedem Kindertag!

Aufschreiend

Mann, geh! Du kommst,
Ihn mir zu nehmen!

Adam unentrinnbar nahend

Dir nur? Nicht auch mir?

Eva

Nur mir! Was wußtest du von ihm! Daß er
Dein Knecht beim Vieh, daß er dir half beim Handwerk,
Wie oft gescholten und gestraft! Sonst nichts!
Als wär' dein Herz wie allzureife Frucht
Vor Ewigkeit dir abgefallen, so –
Aus dunkeln Wurzeln dunkel aufgereckt,
Entfruchtet und entlaubt, ein Wipfel, den
Kein Sturm mehr aufrührt – ragst du in die Welt!
Er aber war ein junger,
Ein Espentrieb, den jeder Gotteshauch
Erzittern ließ vor Fülle des Gefühls,
Und war's auch nur für träumend Tun um nichts!
Wer darf so eilig sagen: dies ist tot!?
O, kaum gesagt, und blühend aufgestärkt
Erhebt sich der Entstarrte! Wärme wieder quillt
Ihm in die Finger, Brust schwillt atemweit,
Und Auges Aufschlag, wenn auch leicht verwirrt
Von erster Fremdheit, reiht die alten Dinge
Zum neuen Bau zusammen dieser Welt!
So wende deinen Blick ab, der ihn sucht,
Wie man ein Schlachttier aus der Herde liest!
Eräug den Unhold so, der ihn erschlug,
Und dann erwürg ihn rasch und scharr ihn ein!
Doch diesen schon' mir! Nimm ihn mir nicht! Laß
Sein Haupt in meinem Schoß, und neu genährt
Drängt es aus mir und lächelt wieder: Mutter!

Adam unbeugsam

Wär' dies nicht eitel, selber wich' ich nicht von ihm.
Allein mit diesem ersten Tode tritt der Mensch
Hinab in die Bereiche niedrigsten Geschöpfs,
Und anders ist sein Teil nicht als des Übrigen.
Indes sich hier noch trügerischer Schein erhält,
Als wär', was daliegt, Abel – ist er's längst nicht mehr.

Eva

Was, wenn nicht Abel? Abel immer mir!

Adam

Oft sah ich so im Wald ein Tier gestreckt,
Und war nur mehr ein Haufen Würmerlust,
Und Geier hatten Fleisches Fetzen schon
Und Wölfe Knochen sich zum Fraß geholt.
So, blieb er hier am Tage, würd' auch er
Bald Lockgeruch, und soviel Beile, Speere,
Ja Steine nur, gäb's nicht, zu bändigen
Lechzenden Andrang eifernden Gezüchts.
So laß uns ihn bewahren, Fraß zu sein
Für Wolf und Geier. Vor dem Wurme rettet
Nicht einmal Gott.
Eva
O bittres Menschenlos!

Adam

Hilf, Weib! – Stütz ihm das Haupt, ich hebe ihn. Beugt sich zu Abel hinab, will seinen Rumpf aufheben.

Eva aufschreiend

Nicht so! Du tust ihm weh!

Adam

Tat ich dir wirklich weh, mein Kind? Er drückt den Toten an sich, läßt ihn dann behutsam niedergleiten und bleibt über ihn gebeugt. Nun erhebt sich, rasch anwachsend, aus der Tiefe ein Brausen. Hinter dem Felsen geht die Sonne auf.

Jetzt erscheint von jenseits in wildem Anlauf Kain auf der Höhe, schwarz gegen den purpurnen Himmel. Er läßt sich auf seine Hände fallen wie ein Bär auf die Vorderpranken und vollführt in dieser Stellung, bald sich aufreckend, bald sich niederkrümmend, urweltlich-wilden Tanz zu eigenem Mißgesang.

Kain

Die Sonne Blut!
Hahoiah, Blut!
Der eine war zu viel!
Zwei Sohlen breit Erde nahm er weg,
Zwei Sohlen breit Erde war zuviel –
Jetzt ist die Erde weit!

Die Sonne Blut!
Hahoiah, Blut!
Der andre war zu viel!
Lag über der Erde wie die Nacht,
Die Nacht war Sünde, Angst und Wahn –
Jetzt ist die Erde licht!

Die Sonne Blut!
Hahoiah, Blut!
Die beiden waren zu viel!
So schlug der Kain den einen tot,
Und Nacht ist tot und Gott ist tot –
Jetzt ist die Erde mein!

Adam

Verstumm, du Tier! Es lebt der Rächergott!

Kain

Lebt er, hahoiah, so ist der Gott Spott!
Lebt er, so lebt wohl der Abel auch,
So nistet nicht Made in seinem Bauch!
Wo bist du, mein Bruder?! Hahoiah, er schweigt!
Steh auf, gib die Hand doch! Die Sonne-Blut steigt!
Die Sonne-Blut dampft, stampft, tanzt, Scharlach ihr Huf!
Hahoiah, die Sonne, die Kain erschuf!

Eva

So höhntest du nicht, wäre Eva nicht Weib!

Kain

Hahoiah, so wild, falbe Männin, gesinnt?!
An Sanfteres denke! Dein Schoß will ein Kind!
Ein Kind ist erschlagen, aufspritzte sein Mark!
Wir wollen es wagen, der Kain ist stark!
Ihn juckt es nach Jungen, ihn kitzelt's nach Glut!
Hahoiah, die Sonne! Die Sonne Blut!

Eva

Was tat dir, du Unhold, der Knabe, dies Kind?!
Daß du ihn schlachtetest wie ein Vieh!

Kain

Just wie ein Vieh! Das war's! Zu erfrecht
Trug er das Kinn hoch, und Kain hieß der Knecht!
Gottähnlichkeit Aas nun, und Gott ist der Kain!
Hahoiah, die Sonne Blut! Erde ist mein!

Adam

Dein wie des Jagdwilds der Pfeil, der's zerfetzt!
Dein wie des Hirns der Wahnwitz, der's hetzt!
Dein wie der Sohlen Spitzdornengereiß,
Dein wie der Stirne der beißende Schweiß!
Durst deine Zunge, Gewühl Eingeweid,
Lüfte dir Eishieb und Nesselkleid!
Gemieden, gescheucht, ohne Herd, ohne Ruh,
Ohne freundlichen Anhauch von Menschen sei du!

Kain

Hahoiah, hahoiah! Das spritzt nur wie Dreck!
Hahoiah, Katzenfluch, Läuseschreck!
Katz dehnt sich, Laus sehnt sich nach Menschendunst!
Kain speit auf Herdbrunst und Menschengunst!
Der Kain, der den Tod auf die Erde gebracht,
Der Starke, der Gott zur Gebärde gemacht!
Er schnaubt, und Wahnnebel erheitern sich,
Aufklimmt er, und Klüfte erweitern sich:
Die Welt, zu Füßen des Kain hingeruht,
Rund, rund, ungeheuer, hinlechzend zur Flut!
Zur Flut, die die Erde verschweißt und zerreißt,
Den Fischleib ersinnt sich der Kainssöhne Geist!
Wie giftige Beulen wächst steinern Getürm,
Aufwimmelt aus Fäulen zweibeinig Gewürm!
Gezeichnet die Stirnen, wie Affen gekrümmt,
Greifkrallen die Finger, zum Raffen bestimmt!
Die schmutzigen Augen, begierig gerollt,
Und rufen sie Gott an, so lallen sie: Gold!
Und Gold ist der Götze, frißt Seelen, säuft Blut –
Hahoiah, die Sonne! Die Sonne Blut-Wut!

Eva

O, Grauen, Grauen!
Entgöttert die Welt!
Geschlechter wimmeln,
Kains Samen geht auf!
Aus rasender Paarung
Geschöpfe wie Kain!
Gierige, keuchende,
Immer beschatteten Blicks,
Nur was sie greifen, begreifende!

Adam

Und sie teilen die Erde
Und türmen einander Grenzen!
Aber die Gier
Schlägt herüber, hinüber
Flammen!

Eva

Rot brennt die Welt!
Zunder die Habe,
Die tückisch erraffte!
Wabe an Wabe,
Gottlosen Fleißes gefüllt,
Schmilzt Wachs hin!
Nichts schreckt sie mehr,
Einander zu lauern!
Und fallen einander an,
Bruder an Bruder!
Und der Mord entscheidet,
Gewalt des Listigen!

Kain aufgerichtet, rasenden Tanzes

Und ein Wimmern hebt an der Zerstampften!
Hoiah, wie klingt es dem Kain!
Über die Weiten, die mordrausch-umdampften,
Zuckend Gedärm und Gebein!
Schreie zu Wolken auf, Flüche verröcheln,
Himmel: Taubheit und Hohn!
Kotigen Blutbrei an seinen wirbelnden Knöcheln,
Tanzt, singt – Sonne-Blut! – der Schlange Sohn:
Gewalt! Gewalt!
Hahoiah, Gewalt!
Des Leuen Trunkenheit,
Zornmut des Starken,
Erbarmungslos!
Gewalt! Gewalt!
Winde dich, krümme dich,
Ohnmacht, zertretene!
Faust, die erschlaffte,
Bespeit der Gewaltige!
Und auf der Demut Nacken
Setzt er die Ferse
Unter Weltengelachter!

Eva

Doch welch ein Licht!
Welch Licht urplötzlich –
Nur eines Auges Größe,
Blau aufleuchtend,
Himmel einspiegelnd –
Steigt, wächst, steigt!?
Reicht schon an Wolken,
Ist Äther, ist Sonne!
Rühret die Vögel,
Rufet den Blumen,
Wecket die Namen der Dinge,
Löset die Zungen der Menschen,
Daß sie klingen Gesänge:
Immer, o immer wieder
Wird Abel geboren!

Kain ungeheuer

Und immer wieder
Wird Kain
Den Abel erschlagen!

Eva

Dann wehe der Erde!
Weh!

 

Ende.

 

Die den einzelnen Szenen vorangesetzten Zitate sind dem Werke »Die Sagen der Juden«, gesammelt und bearbeitet von Micha Josef bin Gorion, entnommen. Die Noten zum Liede Abels setzte Rudolf Knarr (Mödling).

Die Uraufführung des »Kain« fand am 4. Mai 1922 am Burgtheater zu Wien statt.


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