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III. Abendsonnenschein

Mir gefällt der Herbst, der klare,
Weil er spät vom frühen Jahre
Bringt den milden Wiederglanz,
Weil er flicht für greise Haare
Einen Jugendliederkranz.

Mir gefällt der Herbst, der klare,
Weil er bringt zu Markt als Waare,
Frucht, die flücht'ge Blüthe war,
Daß man für den Winter spare,
Was der Sommer heiß gebar.

Rückert.

Die Zeit ging vorüber auch über diesen Häusern und Herzen, sie pflückte Rosen und sie nahm Dornen. Das Gewicht des Lebens würde uns erdrücken, wenn wir immer nur Schritt für Schritt gehen, nur Augenblick um Augenblick tragen und erwägen müßten, wenn es nicht Höhepunkte gäbe, auf denen auch der mühsamste Weg mit Ruhe überblickt werden kann, wo der Anblick seiner Krümmungen und Abhänge selbst zum Genuß wird, im Gefühl, daß sie überwunden sind und daß sie ja doch zum Ziele geführt haben.

Ein solcher Höhepunkt war denn auch ein fröhliches Familienfest, das auf der Stätte des alten Amthauses zu Feldheim gefeiert wurde.

Der alte Herr hatte sich lange schon zur letzten Ruhe gelegt, auch die Frau Karls, des Gutsbesitzers, war gestorben. Der kinderlose Wittwer hatte Minna gebeten, sich seines Haushalts anzunehmen, und ihr so die alte Heimath geöffnet.

Nur schüchtern hatte Minna diese Aufgabe übernommen, obgleich sie der materiellen Mühen und Arbeiten des Haushalts enthoben war; sie war mißtrauisch in ihr Talent als Haushälterin und nach ihren Lebenserfahrungen zog es sie mehr zu Ruhe und Stille, als zur Leitung eines so großen geräuschvollen Hauswesens. Aber sie hatte gelernt, keine Pflicht mehr für unmöglich zu halten. Ein Juwel, wenn auch ein höchst ungeschliffener, war eine alte Hausmagd, die, als Erbstück des alten Amthauses, in ihr noch die Tochter desselben respektirte, und das häusliche Talent ihres erwachsenden Töchterleins erleichterte ihr, was ihr so schwer geschienen, und sie war dem Hause des Bruders eine sorgsamere und umsichtigere Verwalterin geworden, als zu Anfang ihrem eigenen. Brauerei und Landwirthschaft stand in blühendem Gedeihen; aber wie sich sein zeitlicher Besitz überreichlich gemehrt, war allmälich in Karl, dem nüchternen Mann der Arbeit und des Erwerbs, das Bedürfniß nach Verwandtenliebe, nach Familienfreude und häuslichem Glück erwacht; er freute sich seiner Neffen und Nichten wie eigner Kinder und ließ sie gern gewähren, so daß der neue Bau versprach, etwas von der Gemüthlichkeit des alten Amthauses wieder zu gewinnen.

Er wollte nun, da er sich mehr nach Ruhe sehnte, sein Geschäft theilen und heute in feierlichem Akt die Gutsverwaltung seinem Lieblingsneffen Wilhelm, dem ältesten Sohn Minna's übergeben, der zugleich seine Verlobung mit dem jüngsten Töchterlein Onkel Wilhelms und der Tante Friederike feierte. Als zweites Brautpaar schmückte die Familientafel Antonie, Minna's Tochter, mit einem Sohne des ehemaligen Herrn Oberregierungsraths, jetzt Staatsraths von Fürst.

Antonie hatte den langen Saal des Hauses, der sonst nur zum Hopfentrocknen benützt worden, mit Blumen und Laubgewinden zur schönsten Festhalle geschmückt, mit Jubel wurden auf dem Hofe die Ankommenden empfangen, und bald gruppirte sich an zwei ansehnlichen Tafeln die Familie, die einst in einem so kleinen Schiffchen Raum gefunden.

Zu oberst an der Tafel thronte, wie billig, der Herr Staatsrath jetzt ein alter Herr, im Gehen etwas beschwerlich keuchend, aber sitzend gar ansehnlich, mit den zwei Ordenskreuzen auf seinem stattlichen Bauch. Er sah äußerst wohlwollend und behäbig drein, was allgemeine Bewunderung und Rührung erregte. Auch erzählte Frau Mathilde, eine recht wohl erhaltene Matrone, ihrem Tischnachbar, dem Onkel Karl, wie ihr Mann, seit er pensionirt sei und Enkel habe, so viel für seine Familie lebe und nun erst die gemüthlichen Seiten seines Wesens offenbare, die man ihm gar nicht ansehe.

Dem Staatsrath zur Rechten, sehr geschmeichelt durch diesen Ehrenplatz, saß Frau Friederike, in einer etwas hoch aufgedonnerten Staatshaube, mit der sie Wilhelm bei der Konfirmation ihres jüngsten Kindes überrascht hatte, und die sie sich durch keine Einwendung ihrer Töchter hatte absprechen lassen, »sie war noch so schön erhalten, und hatte einmal so viel gekostet!« Mit herzlichem Vergnügen blickte sie auf das junge Paar und vertraute Otto, der bei ihr saß, flüsternd an: wie sie nie geglaubt hätte, daß ein so tüchtiger, brauchbarer Mensch, wie der Wilhelm, von so unpraktischen Eltern herkommen könnte. »Und wenn man sieht, wie gut er den Landbau versteht und die Leute in Ordnung hält, so dächte kein Mensch, daß er daneben die schönsten Verse macht,« fügte sie mit einigem Wohlgefallen hinzu, »ganz im Geheim, meine Marie hat mir's anvertraut, ich glaube, das einfältige Dinglein freut sich darüber noch mehr als über das Glück, das er durch Karls Gut macht. Aber ich muß der Mine nachsagen, daß sie sich, in spätem Jahren erst, noch über Verhoffen gut gemacht hat; und ihre Kinder sind alle brav: die Antonie gibt eine ganze Frau, und Staatsraths werden nicht bereuen, daß sie die Heirath zugegeben haben.«

Otto hörte diesem Erguß mit großem Vergnügen zu; er war neugebackner Medizinalrath, seine hübsche Frau, Lina, die älteste Tochter Mathildens, hatte er vor zwölf Jahren schon heimgeführt, und Mathilde war sehr erfreut, einen Tochtermann in derselben Würde zu sehen, die ihr Papa selig bekleidet hatte.

Eduard und Emma hatte man zusammen sitzen lassen müssen. Emma hatte man fast jetzt noch für die ältere Schwester ihrer Kinder halten können, sie erröthete über und über, als der Herr Staatsrath sie höchstselbst an jene Wasserfahrt erinnerte, wo sie aus Schüchternheit fast in's Wasser gefallen war.

Minna saß neben Wilhelm und ließ ihre Augen, die schon viel geweint, ausruhen auf den vielen fröhlichen Gesichtern, den alten Freunden und Genossen ihrer jungen Tage, auf den jugendlichen Gestalten, denen die Zukunft angehörte. Sie war frühe gealtert, und ihre eingesunken Züge trugen kaum mehr eine Spur der früheren Lieblichkeit, aber es lag ein Friede darüber, wie ihn ihre jüngste, fröhlichste Zeit nicht gekannt.

Vertraulich, wie mit einem Bruder, erging sie sich mit Wilhelm in Erinnerung an die Vergangenheit, an den heitern Mädchenfrühling und an die Tage des Irrthums und des schweren Leides, die ihm gefolgt waren. »Gott segne dich, Wilhelm, für jenen Besuch vor sechzehn Jahren und für all deine Worte; mit jenem Tag brach der kurze Sonnenschein unsrer Ehe an. Du hast meinem armen Arwed nie gehuldigt und geschmeichelt wie Andre, die den Dichter nachher verhöhnten, aber du hast das Edle und Gute in ihm gekannt und geweckt, als sein eigen Weib nimmer daran glaubte. Ach, daß jene Zeit des Friedens und der Liebe, wo wir miteinander und für einander gearbeitet und getragen haben, so kurz war! es war alles zu spät.«

»Nicht zu spät,« tröstete sie Wilhelm, »du hast den Kampf des Lebens ritterlich aufgenommen, Arwed hat dich gesegnet mit seinem letzten Hauch und du hast deine Kinder gewonnen für ein gesundes, thätiges Leben.«

»Ja, Gott sei Dank,« lächelte Minna unter Thränen, »wie hätte ich je geglaubt, noch als so reiche und glückliche Mutter hier einzuziehen. Und auch bei Euch hat sich alles so freundlich gefügt, unser Rikchen wird ja ganz poetisch im Glück ihrer Kinder. Meine Antonie hat wahrhaftig etwas vom wirtschaftlichen Geiste der Tante geerbt, sie meistert selbst hie und da ihre Mama ein wenig und gibt ein kapitales Hausmütterchen. Und unsre Kinder sind nun Eines.«

Aber drüben an der Jugendtafel ging's so geräuschvoll her, daß man sich nicht lange irgend welchen Reminiszenzen und Betrachtungen hingeben konnte. Da war ein buntes Gemisch, und so oft auch Onkel Eduard das junge Volk in genealogische Ordnung bringen wollte, sie waren immer wieder durcheinander. Da war die Familie des Staatsraths: der Assessor, der Bräutigam Antoniens, Lina, die Frau Medizinalräthin, nebst einigen jungen Sprößlingen (ein Sohn des Regierungsraths hatte leider nach Amerika spedirt werden müssen, allwo er sich aber bereits gefaßt und dem Papa ein Kistchen ächte Havannahs zugesandt hatte), Alfred, der damals bei dem Vater Geld holen gemußt, und zwei stattliche Töchter. Die feinste, lieblichste Blume des Kranzes, aber auch die zarteste, war Klärchen, Minna's jüngste Tochter, in der die jugendliche Anmuth der Mutter wieder aufblühte, vergeistigt durch einen Hauch von der Poesie des Vaters, aber sie schien kaum für die Erde geschaffen. Wilhelms Familie dagegen war stattlich und kräftig nachgewachsen; Dorchen, die älteste Tochter, zeigte gleich große Talente zur guten Hausfrau wie zur fürsorglichen Tante, aber viel mehr Humor als ihre Mama.

Eduards Aeltester hatte leider die glänzenden Hoffnungen nicht erfüllt, die seine frühen Talente erregt hatten: nach verschiednen vergeblichen Versuchen mit Landexamen ec. hatte ihn endlich sein Vater der ehrsamen Buchbinderzunft einverleibt, als solcher versprach er aber ein ganzer Mann zu werden, überraschte auch die ganze Gesellschaft mit allerliebsten kleinen Fabrikaten seiner geschickten Hand und erfreute Alle mit seinem guten, treuherzigen Wesen.

Die beiden Brautpaare wetteiferten in bräutlicher Glückseligkeit. Der Assessor, der einige Anlage zu der Paschamiene des Papa hatte, wollte doch nicht hinter der zärtlichen Aufmerksamkeit Wilhelms des Zweiten zurückbleiben, und sie wurden von der übrigen Jugend vielfach geneckt.

Es wäre wirklich mühsam, Alle persönlich aufzuführen: es war unter andern noch ein Vikar, ein Referendar, etliche Studenten und ein Apothekerlehrling vorhanden, und da diese Jünglinge und Jungfrauen zu großem Theil aus Pietät wieder die Namen ihrer Tanten und Onkel trugen, da ein Wilhelm, Eduard und Otto, eine junge Minna, Emma, Mathilde und Frieda unter ihnen war, so gab das ein so fröhliches Durcheinander, so drollige Verwechslungen zwischen Jungen und Alten, daß man nimmer wußte, wo einem der Kopf stand, und zuletzt nur noch der Staatsrath wie ein ›Meerfels unbewegt‹ in dem lustigen Getriebe sitzen blieb.

Onkel Karl rief zur Ordnung und hielt eine Rede, die in ihrer Art recht schön war, nur blieb er etlichemale darin stecken, und Onkel Wilhelm mußte mit seiner ernstesten Pfarrmiene die kichernde Jugend im Zaum halten. Dann aber ließ Onkel Karl zu Friederikens gelindem Entsetzen Champagner springen zum ersten Toast: das alte Amthaus! hoch! Nun aber brach ein frohes Getümmel los, gegen das der frühere Lärm nur Aeolsharfenlaut gewesen. Mit der Familie des Staatsraths, die theilweise den andern noch etwas fern gestanden, wurde allgemeines Schmollis getrunken, Eduards Buchbinder stieß klingend an mit den sehr eleganten jüngsten Töchtern Mathildens, und Friederike fiel nicht in Ohnmacht, als ihr Jüngster, der Mediziner, dem Staatsrath mit gefülltem Champagnerkelch ein Schmollis anbot, in das dieser gutwillig einging und auf die übliche Formel: »Sei mein Freund und leih' mir ein Dubel!« einen wirklichen Sechsbätzner herauszog.

Der Staatsrath brachte der Wasserfahrt ein Hoch aus, und ein Toast folgte dem andern, niemand wußte mehr, was und wen er leben ließ, und die Dienerschaft blieb mit offenen Mäulern unter der Thüre stehen, zweifelhaft, ob nicht sämmtliche Herrschaften toll geworden.

Endlich legte sich das Getümmel ein wenig, auch den Wildesten that Stille wohl und die ernstere Miene, mit der Onkel Wilhelm sich erhob und um Gehör bat, wenn er nach den fröhlichen Sprüchen seine Gefühle in die Worte eines Liedes zusammenfasse, begegnete keinem Kichern mehr. So schloß er denn die heitre Tafel mit den alten Liedesworten:

Oft denkt der Mensch in seinem Muth,
Dies oder jenes sei ihm gut.
Und ist doch weit gefehlet;
Oft sieht er auch für schädlich an
Was ihm dein Rath erwählet.

Gott aber geht gerade fort
Auf seinen weisen Wegen,
Er geht und bringt uns an den Ort,
Da Wind und Sturm sich legen.
Hernachmals, wenn das Werk geschehn,
Kann erst der Mensch mit Augen sehn,
Was der so ihn regieret,
In seinem Rath geführet.

Die Gläser hatten ausgeklungen, die Thräne im Auge der Aeltern und Ernstern paßte besser als Champagnerschaum zu diesem Toast; die Tafel war aufgehoben und Jung und Alt zog paarweise in fröhlichem Zuge in den Garten.


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