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II. Am Mittag

Wenn der letzten Steine bleicher Schimmer
Deiner Jugend schwindend Bild erhellt.
Blickst du schmerzlich scheidend auf die Trümmer
Deiner schönen, früh zerstörten Welt:
Ach, wo seid ihr, lieb gewordne Träume?
Klagend schallt der Ruf in öde Räume.

Andre Pflichten gibt es, als beklagen,
Wie die Rose deines Glücks verblüht;
Weißt du nicht, daß nach den Rosentagen
Erst der segensreiche Herbst erglüht?
Nicht die Blüth', die Frucht ist Ziel des Lebens,
Dahin alle Kräfte deines Strebens!

Nach Feuchtersleben.

Eine Rundreise

Abermals sind acht Jahre vergangen, seit der Zeit, wo diese Briefe geschrieben wurden, und wir werfen zuerst einen Blick in das Pfarrhaus zu Wallburg, wo Wilhelm, der Pfarrer, eben ihm Begriff ist, eine kleine Reise anzutreten. Sein gutes, treuherziges Gesicht hat sich wenig verändert in der langen Zeit seit jener Wasserfahrt, es ist noch so gut hineinzusehen wie Damals, und einen ernsten Ausdruck hat es immer gehabt.

Wilhelm ist reisefertig und schreitet mit verhaltner Ungeduld in der Stube auf und ab; endlich ruft er in die Küche: »aber, liebes Kind, bekomme ich den Kaffee nimmer? du weißt, ich möchte gern noch in der Kühle fortkommen.«

Frau Friederike erschien in einem reinlichen, wenn auch durchaus nicht kleidsamen Morgenhabit; »du mußt in der That noch warten,« sagte sie in etwas ärgerlichem Ton, »so ist's, wenn man nicht nach allem selbst sieht, da hat das dumme Ding, die Böse, gestern den Kaffeesatz nicht abgekocht, nun muß ich das zuvor thun, eh ich den Kaffee machen kann.«

»Aber hättest du denn nicht dies Einemal reines Wasser nehmen können und etwas mehr Kaffee?« – »Ach, das verstehst du nicht, Ordnung muß sein, und man braucht, weiß Gott, Kaffee genug das ganze Jahr, seit auch die Wäscherinnen noch Mittagskaffee verlangen; das ginge mir ab, noch puren Kaffee zu kochen, warum nicht gar auch ohne Cichorie!«

Wilhelm faßte sich in Geduld und begann wieder: »hör Liebe, ich weiß nicht, wie ich Minna antreffe, ihren Briefen nach ist sie oft leidend, aber ich glaube, ein Landaufenthalt würde ihr gewiß gut thun, ich denke, ich lade sie auf einige Wochen ein.«

»O, wo denkst du hin, das wäre ja entsetzlich ungeschickt.« – »Es ist deine einzige Schwester,« sagte Wilhelm mit verstärkter Stimme, »der wir eine Erholung bieten können, und die in acht Jahren ein einzigmal bei uns war, sollte unser Haus keinen Raum mehr für sie haben?« – »Nun, so mach doch nicht gleich so einen Lärm! sie kann ja meinetwegen wohl kommen. So lang du fort bist, lasse ich das Haus putzen, dann will ich Lichter ziehen und Seife machen, und darnach die große Wäsche halten, dann muß ich das große Geschäft mit den Betten vornehmen, – nach dem, nun ja, da könnte sie kommen, es kommt dann freilich ganz ungeschickt in die Erndte, und lieber wäre mir's, sie käme ohne Kinder, denn du wirst sehen, die sind im Stande und steigen mir mit den Füßen auf den Sopha!« – »Nun, wir wollen's wagen,« lächelte Wilhelm, »eine so gute Hausfrau wie du findet immer Mittel und Wege.« – »Ja, es ist wahr,« sagte Friederike geschmeichelt, »ich habe darin schon etwas geleistet, wenn ich nur an den Unfug mit Gästen denke, früher bei uns daheim; kein Wunder, daß sich mit der Mutter Tod die große Einbuße herausstellte.« – »Es sind viele Herzen froh geworden bei dem Unfug,« sagte Wilhelm mit weichem Ton, »und der Segen Gottes über einem gastlichen Hause besteht nicht in Geld allein. – »Ja, aber ohne die unnöthige Gastlichkeit hätte Mine nicht die dumme Heirath gemacht,« warf Friederike ein. Darauf wußte Wilhelm nichts zu erwiedern.

Bis die Frau nach dem verspäteten Kaffee sah, ging er in die Kinderstube hinüber, die zwei Kleinsten lagen noch im Schlaf, er erquickte sein Herz an den köstlichen Bildern. Das älteste Töchterchen, nach der Großmutter Dorothee genannt, war schon auf und streckte ihm die Aermchen entgegen: »bist du doch noch da, Vater? ich hatte so Angst, du gehest ohne Abschied!« – »Nein, mein Herzchen,« sagte er und drückte das Köpfchen an sich und sah ihr in die tiefen blauen Augen, »zieh dich nur an, mein Kind, du darfst mich begleiten.« Während sie eilig sich wusch, sah er sich um im Zimmer, da war alles in guter Ordnung, die Betten der Kinder so rein, die Kleidchen hübsch beisammen; »ein gutes Weib ist sie doch,« dachte er, wieder versöhnt, »und deine Seele soll nicht darben,« fügte er in Gedanken hinzu, wenn er seines Kindes Augen begegnete, die nun eilig ihr Kleidchen überwarf und ihm hinüber folgte. »Aber wie unnöthig, Dorchen, daß du schon auf bist,« schalt die Mutter, »ich kann dich unmöglich jetzt flechten, warum bleibst du doch nicht drüben.« – »Laß diesmal gut sein, Mutter,« bat Wilhelm, »begleite du mich ein Stück Wegs mit den Kindern.« – »Begleiten, ich, was fällt dir ein, ich weiß ja gar nicht wo anfangen vor Geschäft, ich noch spazieren gehen! und Dorle kann auch nicht, sie macht ihr Kleid abscheulich in dem nassen Gras.«

»Auch begleiten!« schrie der kleine Karl und sprang halbgekleidet herüber. »Um Gotteswillen!« rief die Mutter, »springt der Bube strumpfig herüber! zerreißt ihr mir nicht ohne das schon Strümpfe genug? Gleich wieder in's Bett!«

Mit Mühe erkämpfte der Vater die Erlaubniß zur Begleitung für die Kleinen. Während er seinen Kaffee trank, von dem für das kleine Volk reichliche Bissen abfielen, zählte die Frau noch unendliche Schwierigkeiten auf, die sich vor seine beabsichtigte Reise thürmten. »Wie's geht mit Kasualien, das weiß ich gar nicht, der Vikar von Seeberg kann höchstens die Predigt übernehmen, mit dem Braunberger ist's gar nichts. Und die alte Sailerin und des Schneiders Aehne sollen Beide ganz elend sein, du könntest noch ihre Lebensläufe schreiben und mir dalassen, damit kommt ein Fremder doch nicht zu Stande.« – »Gar zu fürsorglich,« sagte lächelnd Wilhelm, indem er seine Reisetasche überwarf und die bedenkliche Frau herzlich zum Abschied umarmte; »wir wollen die Leute doch nicht begraben, eh sie gestorben sind. Behüt' dich Gott, liebes Weib! das Haus gut zu hüten darf ich dich nicht erst bitten, schaff dich nicht so ab, daß du mir hübsch gesund bleibst.« – »Ja, du hast gut reden,« sagte sie, indem doch etwas wie Bewegung durch den nüchternen, trocknen Ausdruck ihres Gesichts ging. »Komm gesund wieder, aber nicht gar zu bald, vor Mittwoch bin ich nicht fertig mit Putzen; und gib nicht so viel unnöthiges Geld aus, und laß nirgends schwarze Wäsche zurück, vier paar Socken hast du bei dir und zwei reine Hemden, außer denen auf dem Leib, und drei Sacktücher.« – »Und herzliche Grüße an die Deinigen, nicht wahr?«

»Natürlich, das versteht sich von selbst. Bring mir aber keine Gäste mit, eh ich's vorher weiß.«

Noch ein guter, herzlicher Ehmannskuß und Wilhelm zog seiner Wege, froh und recht erstaunt, daß er doch endlich in der That fortgekommen war. Die Kinder trippelten fröhlich nebenher, Dorchen hatte das Brüderchen angekleidet. Sie wollten ganz bei Papa bleiben, und es brauchte lange Unterhandlungen und vielfache Zugeständnisse und Versprechungen, bis sie sich bewegen ließen, umzukehren. Karl ließ sich mit einem Endchen von der Wurst bestechen, die der Vater als Reiseproviant bei sich hatte, die kleine Dorothee aber, ein gar weichherziges Kind, hing in Thränen zerflossen an seinem Halse, und er sah sie noch, als er sich umwandte, schluchzend an dem grünen Rain sitzen, wo er die Kinder verlassen, bis sie sich endlich erhob und sorgsam ihre und Karls Kleidchen abstäubte, das vom Sitzen etwas schmutzig geworden. »Sie hat der Mutter Pünktlichkeit, und ein warmes, weiches, offenes Herz dabei,« sagte sich der Vater mit stiller Freude.

Und wie er so weiter schritt in der thauigen Frische, und die duftige Ferne vor ihm lag, da erschien ihm auch die Heimath, von der er geschieden, in rosigerem Licht, und der leichte Morgenwind nahm manches weg, was im Alltagsleben seine Seele oft drückte. »Und ein gutes Weib ist sie doch,« wiederholte er sich in Gedanken, »eine treue, sorgsame Mutter, eine emsige Hausfrau. Daß sie über der Sorge und Mühe des Werktages nie zum Sabbathfrieden in ihrem Herzen kam, daß sie ihre Seele nie geöffnet hat für die schöne reiche Gotteswelt, – das ist ja ihr Unglück, um das man sie beklagen muß, und sie tragen mit doppelter Liebe. Und wer weiß,« fügte er getröstet hinzu, »welchen Einfluß später die Kinder auf sie haben, wie oft hat eine Mutter durch die Kinder schätzen und lieben lernen, was sie ihr Lebenlang gering geachtet? Es freut sie jetzt schon, wenn sie's gleich nicht merken läßt, wenn die Dorothee so hübsch und ausdrucksvoll die Gedichte hersagt, die sie bei mir gelernt; – ja, ja, wir können noch allerlei erleben.«

Immer heiterer ward er beim Weiterschreiten, so leichtfertig sogar, daß er bei der Erinnerung an einen Betrug fröhlich auflachte. »Es war freilich nicht recht,« fuhr er schmunzelnd in seinem stillen Selbstgespräch fort, »daß ich ihr die zwei Louisdor von der fremden Dame auf dem Schloß unterschlagen habe, das gute Weib freut sich über so etwas viel mehr als ich, und war sehr verwundert, daß das Kleidchen für Marie die ganze Belohnung sein sollte für eine so vornehme Trauung. Das Geld wäre nun lange in der Sparkasse, aber sie wird aufschauen, wenn sie von der Residenz aus einen Sammthut erhält, noch schöner als der der Pfarrerin von Seeberg; freilich wird sie schelten, aber ich weiß doch, daß sie's heimlich freut, nicht wegen des Putzes, den sie ja so selten braucht, aber es thut ihr wohl, zeigen zu können, daß ihr Mann sie in Ehren halt.«

In solchen Selbstgesprächen, die ihm das Leben wieder leicht machten und die Heimath lieb, und in freundlichen Unterredungen mit Vorübergehenden, mochte es nun ein altes Weib oder ein kleiner Junge, ein Bauer, oder ein Handelsjude sein, hatte Wilhelm gegen Abend das erste Ziel der Rundreise erreicht, die er nach unendlichen Schwierigkeiten endlich durchgesetzt: das Haus seines Schwiegervaters.

Das Amthaus.

Es war nicht das alte Amthaus mehr, und obgleich es Wilhelm schon manchmal besucht hatte, seit er sein Weib daraus heimgeführt, so konnte er sich doch nie ohne Schmerz in die veränderte Umgebung finden. Das stattliche alte Wohnhaus, mit seiner weiten Flur und den zierlich verschnörkelten Verzierungen über Portal und Fenstern war nicht mehr da, nicht mehr der Sitz unter der Linde und der hübsche Blumengarten, aus dem der Weg in den grasigen Baumgarten an den Fluß führte. Der gereiste Sohn hatte das alte Haus abgebrochen, und eine neue stattliche Brauerei mit Wohngelaß errichtet. Um das Haus hörte man nun das Klopfen der Küfer, das Getöse der Brauknechte. Die Linde hatte der alte Herr noch gerettet, aber der Sitz war weg, es lagen nur Faßdauben und Arbeitsgeräth darunter; der Grasgarten, dessen Obstbäume für abgängig erklärt worden waren, war in einen Hopfengarten umgewandelt, die alte trauliche Laube war zerfallen und diente nur noch zur Aufbewahrung von Hacken, Rechen und Gießkannen, und zu dem neuerbauten Gartenhaus, mit grünem Ziegeldach, konnten die Freunde des alten Hauses kein Herz fassen.

Den alten Herrn traf Wilhelm auf der Bank des kleinen Gemüsegärtchens hinter dem Hause, das allein so ziemlich noch seine alte Gestalt bewahrt hatte. Er war sehr gealtert und sah gar müde aus, ein herzliches Lächeln aber flog über sein Gesicht, als er den werthen Gast begrüßte. »Du freust mich, so oft du kommst,« rief er ihm entgegen, »dein Gesicht ist noch aus der guten alten Zeit: wenn ich dich sehe, so meine ich allemal, meine Alte müsse nachkommen.« – »Wie geht's, Papa?« – »Schlecht, schlecht, das heißt mit mir, bin ein alter Mann, tauge zu nichts mehr, wollte, ich wäre bei meiner Alten.« – »Aber Sie haben gewiß nicht zu klagen über Ihre Kinder?« –»Behüte, nein! thät mich versündigen, wenn ich's wollt, respektiren mich und versorgen mich, aber sie brauchen mich nicht, und da sitzt's, Wilhelm, da sitzt's. Die Frau Söhnerin, Respekt vor ihr, sie ist eine fleißige Frau und eine gescheidte, und mein Karl darf's weder hören noch fühlen, daß das Anwesen da mit ihrem Geld gebaut ist, aber die ausländischen Bräuche, Wilhelm, und das fremdländische Geschwätz, das bringt mich noch unter den Boden. Und die Freunde, die in's Haus kommen, sind Geschäftsfreunde, und der Tisch ist gedeckt für Geschäftsleute, und am Sonntag fahren die jungen Leute hinaus, statt daß da sonst mein Haus offen war für gute Freunde. Ich will nicht klagen, aber ich bin ein alter Mann und tauge nichts mehr.« – »Wenn Sie vielleicht länger im Besitz des Hauses und im Amt geblieben wären?« – »Ging nicht mehr. Habe zwar im Frieden gehaust mit der Frau Pfarrerin nach meiner Alten Tod und Rikchens Wegzug, aber du weißt ja, ich habe lieber vergnügte Gesichter als blanke Thaler gesehen und war wohl gar zu sorglos. Da stand ich denn vor meinen Kindern als schlechter Haushalter und das hat mich darniedergeschlagen für immer. Dann kam der Karl heim mit der neuen Weisheit und der jungen reichen Braut, so dacht' ich ist das Beste, du ziehst dich zurück. Will nicht klagen, aber's ist nicht das alte Leben mehr.«

»Wir haben hier keine bleibende Statt, aber die zukünftige suchen wir,« sagte Wilhelm mit sanftem Ernst. – »Hast Recht, Junge, und das ist der Fleck, wo ich noch viel zu lernen habe, habe darum auch verstehen lernen, warum der Herr mich alten Storren noch so allein dastehen läßt. Will's Gott, so ist's noch nicht zu spät......Wie gehts Rikchen, warum kommt sie nicht mit dir?« – »Sie ist gar zu geschäftig, sie findet keine Zeit,« sagte Wilhelm etwas verlegen. »Keine Zeit für ihren alten Vater; so ist's seit acht Jahren. Weiß Gott, wo das Mädchen das wuhlige Wesen her hat; meine Alte war doch auch fleißig wie Wenige, aber es ward auch Andern noch wohl daneben und ihr selbst mit. Ich glaube, wir haben selbst gar zu viel Werth auf des Mädchens frühe Häuslichkeit gelegt, besonders ich, weil mir die Mine allzeit zu überschwenglich war.« – »Wie geht es Minna?« fragte Wilhelm fast schüchtern. »Ach, da frag' mich lieber gar nicht! ich höre meist nur von ihnen, wenn sie in Geldverlegenheiten sind, das ist freilich, leider Gottes, oft genug, daneben wenig Frieden und wenig Liebe. Ja, Wilhelm, dazumal hatte der Alte Recht gehabt. Nun, geschehen ist geschehen.

»Eduard und Emma, die sind mir ein Labsal, so oft ich an sie denke; der Leichtfuß hat Glück gehabt, daß er ein so liebes Weib gefunden, wenn sie auch nicht viel hat. Da kann man sehen, was es ist um ein Gericht Kraut mit Liebe; das ist ein Haus, in dem die Sonne nicht untergeht.«

Da kam eben Karl, der neue Herr des Guts, herbei, um den Schwager zu begrüßen. Wilhelm verbrachte den Abend und die Nacht in der alten Heimath so viel fröhlicher Herzen, aber daheim fühlte er sich nicht mehr da. Die Visitenstube der Frau Schwägerin, Salon genannt, war so schön aufgeputzt, so ungebraucht und so wenig einladend, wie die seiner Frau daheim, nur daß hier ein großer Reichthum von Silbergeschirr zur Schau stand; desto mehr Spuren rücksichtslosen Gebrauchs zeigten die andern Zimmer, – er flüchtete sich in die Stube des alten Herrn, da stand noch das gute alte zusammengesessene Sopha mit Kattunüberzug und der runde eichene Tisch, der je nach Bedürfniß in's Unendliche verlängert werden konnte; er dachte der alten Tage, wo sie in lustigem Pfänderspiel darum gesessen waren, und ein anmuthiges Gesichtchen, das ihm einst das Lieblichste auf Erden geschienen, blickte wieder zu ihm herüber aus den braunen aufgelösten Locken. Es war vorüber; er faßte sich ein männlich Herz und dachte des Segens der Gegenwart.

Der Haushalt einer würdevollen Frau.

Am andern Morgen zog er weiter. »Nun, wohin geht denn die Reise?« fragte der alte Herr, der ihn ein Stück Wegs begleitete. »Nach S., ich will zunächst bei der Frau Oberregierungsräthin einsprechen, und dann unsere Minna besuchen.« – »Geh mit Gott, mein guter Wilhelm, es wird ihr wohl thun.«

Er traf Mathilde, die Frau Oberregierungsräthin in einem recht ansehnlichen gut eingerichteten Logis, wenn es auch etwas von der Heimatlosigkeit der meisten Stadtwohnungen hatte. Sie empfing den alten Jugendfreund mit herzlicher Freude und stellte ihm mit mütterlichem Stolz ihr aufblühendes Töchterlein Lina vor; die Söhne waren im Gymnasium. »Und wie geht's denn Ihnen, lieber Wilhelm, gut, recht gut? was macht unser Rikchen? immer geschäftig, immer rastlos?« – »Ja wohl,« erwiderte Wilhelm heiter, »sie ist ein emsiges Hausmütterchen und fast immer gesund, und wir haben drei prächtige Kinder.« – Es gibt Leute, die wir um keinen Preis der Welt einen Schatten in unsrem häuslichen Glück ahnen ließen. »Nun, das freut mich, wir wollen recht von den alten Zeiten plaudern. Lina, sorge für ein Glas Wein.« – »Von dem rothen?« fragte Lina flüsternd. »Nein, nein, den muß man für den Vater allein aufheben, laß lieber holen.« »Linchen, Liebe,« rief sie der abgehenden Tochter nach, »rüste doch zuvor des Vaters Sachen, der Herr Pfarrer nimmt's nicht übel. Sie wissen,« sagte sie entschuldigend zu diesem, »Geschäftsmänner lieben alles zu bestimmten Stunden, mein Mann nimmt gegen vier Uhr ein kleines Gouté ein, das rüste ich gewöhnlich, eh er kommt.« Innerlich lächelnd bemerkte Wilhelm, mit welcher Aengstlichkeit sie den Zurüstungen des Töchterleins zusah, die den Tisch deckte: kalten Braten, huilière, Brodkörbchen und Salzfaß nebst einem Kouvert auflegte, wie sorgsam sie nachhalf, bis alles in Ordnung war. »Nun aber sorge auch für unsern lieben Gast, Sie entschuldigen gewiß,« sagte sie nochmals zu diesem, »mein Mann ist immer so sehr beschäftigt, da ist es ihm Bedürfniß, sich, etwas zu erfrischen.« Der Gast wurde auch versorgt, und saß wieder in traulichem Gespräch bei der Hausfrau, als die Hausklingel tönte. »Geschwind, Linchen,« rief sie halblaut mit einiger Aengstlichkeit, »sieh nach, ob das Gangfenster nicht offen ist, du weißt, das ärgert den Vater, und stelle deinen Strickrahmen ins Kabinet, du weißt, der Vater liebt solche Arbeiten nicht, und die Scheuerfrau soll lieber etwas beiseite gehen, bis der Vater fort ist, weißt ja, daß er sie nicht recht leiden kann, und doch mußte ich diesmal eine nehmen.« Der gebietende Herr trat ein, noch eh alle Befehle hatten ausgeführt werden können. Er war in seiner Art so wohl erhalten, wie seine Frau, nur noch etwas gerundeter als bei jener Wasserfahrt. Den Gast, den ihm seine Frau vorstellte, begrüßte er sehr höflich, wenn auch etwas steif; »eine Meldung hier?« fragte er. »Nein, Herr Oberregierungsrath, wir sind vor der Hand noch zufrieden, meine Frau würde einen Umzug sehr schwer nehmen; meine Reise hat nur den Zweck, Verwandte und alte Bekannte zu besuchen.« – »Schön, schön,« sagte der Hausherr, wirklich freundlich, nun er sah, daß seine Protektion und Verwendung nicht beansprucht wurde, »haben ganz Recht.« Wilhelm mußte sich zu ihm setzen, der Hausherr wurde in seiner Weise ganz kordial und ließ sich von dem Pfarrer unterhalten. Er hätte gewiß seine Oberregierungsrathswürde gern vergessen, wenn ihm dies nur möglich gewesen wäre, ja er schenkte ihm zuletzt von seinem eigenen rothen Wein ein und bot ihm von seinem Braten an, statt der Wurst, die ihm Lina vorgesetzt hatte, über welchen Edelmuth sich die Mutter und Lina gerührte und verwunderte Blicke zuwarfen.

Das Gouté war beendigt und an dem Oberregierungsrath zeigten sich einige Zeichen von Unbehagen, er stand auf und ging etlichemal aus und ein. »Lieber Wilhelm,« sagte Mathilde etwas verlegen, »Sie nehmen gewiß den Abend mit mir vorlieb, mein Mann hat seinen Clubb, eine geschlossene Gesellschaft, – wo er gewohnt ist, seine Abende zuzubringen, er würde wohl sehr gern...« – »Bitte, liebe Frau Mathilde, machen Sie nicht so viele Umstände mit einem alten Bekannten,« sagte lächelnd Wilhelm, »es versteht sich von selbst, daß Ihr Gemahl seine Tagesordnung nicht ändert, ich wollte mich ohnhin empfehlen, um Minna noch aufzusuchen und einige kleine Geschäfte zu besorgen.« – »Ach die arme Minna! die können Sie heut nimmer aufsuchen, sie wohnen jetzt in Hasenthal, eine halbe Stunde von hier, und Sie thun besser, sie erst Morgen zu besuchen, auf Gäste sind Haberstocks kaum eingerichtet. Bleiben Sie bei uns; ich habe so viel in unserem lieben Amthause gelernt, daß ich der Residenzsitte zum Trotze ein hübsches Gastzimmerchen eingerichtet habe, und Fürst hat da gar nichts dawider.«

Wilhelm nahm die Einladung an, eben ertönte aus der Nebenstube ein etwas gebieterischer Ruf: »Frau!« Mathilde flog zu ihrem Gebieter, um Hut, Stock, Handschuh, alle erdenklichen Utensilien zum Ausgang herbeizuholen. Der Oberregierungsrath wiederholte sogar die Einladung seiner Frau und empfahl sich.

Wilhelm verlebte den Abend recht behaglich im Kreis der kleinen Familie, die sich nach und nach einfand, und in der er nur den Vater vermißte. »Ich darf nicht erst fragen, ob Sie in angenehmen Verhältnissen hier leben,« sagte er zu Mathilden, als sie zusammen ausgingen, um die Geschenke für Friederike und die Kinder zu kaufen. »Sie haben natürlich auch ansprechenden Umgang?«

»O ja, das heißt, ich gehe überhaupt nicht viel aus, Fürst liebt mich anzutreffen, wenn er nach Hause kommt, und wenn er auswärts ist, so ist es ihm auch lieb, wenn er mich zu Hause weiß.«

»Lesen Sie noch gern?« – »O ja, doch ist mein Mann kein besonderer Freund davon, er sieht lieber, wenn ich mich häuslich beschäftige.« Sie bemerkte Wilhelms unterdrücktes Lächeln und sagte, plötzlich roth werdend: »o, ich weiß, Sie denken an damals und an meinen Mädchenübermuth; nun ja, die Zeiten sind anders und ich könnte kaum sagen, wie es so gekommen; ich glaube, mein Mann hat mich mit lauter Stillschweigen erzogen. Aber er ist ein so braver Mann, ein so vorzüglicher und rechtlicher Beamter und ein so guter Vater, da kann ich ja wohl des lieben Friedens wegen seinen kleinen Eigenheiten nachgeben ...«

»Ei,« sprach Wilhelm lächelnd, »warum sich zu viel Mühe geben, zu entschuldigen, daß Sie eine gehorsame Frau sind? Mag sein, daß Sie den Herrn Gemahl etwas verwöhnen, aber das ist ein liebenswürdiger Fehler von Seiten der Frau.« – »Und Sie denken gewiß nicht, daß ich mich herabwürdige?« fragte sie mit einiger Aengstlichkeit. – »Gewiß nicht, ich habe im Selbstvergessen nie eine Herabwürdigung gefunden, nur eins, liebe Frau Mathilde, wenn Sie einem Pfarrer ein Bischen Predigen zu gute halten wollen...« »Und das wäre?« – »Sind Sie in Ihrer Nachgiebigkeit immer auch ganz wahr? Wollen Sie nicht, vielleicht aus Liebe zum Frieden, nur den Schein des Gehorsams retten?« Mathilde wurde dunkelroth. »Sehen Sie,« begann sie zögernd, »es gibt solche Eigenheiten, in denen sich die Männer durchaus nicht vernünftig berichten lassen, da ist dann ein Bischen Frauenlist gewiß nicht Unwahrheit.« Wilhelm schüttelte den Kopf: »ich habe nie etwas auf die unschuldige List gehalten; es kann sein, daß durch solche unschuldige List hie und da ein Verhältniß ungestörter bleibt, edler aber bleibt es gewiß bei Wahrheit und Klarheit auch im Kleinsten.«

Mathilde ließ das Gespräch fallen, das sie sehr nachdenklich machte.

Die Hausfrau war am andern Morgen schon früh wach; auch noch eine löbliche Remmiscenz an's alte Amthaus. »Lina,« hörte sie Wilhelm sagen, »schick doch den Kleinen mit der Geldschachtel zum Vater, ich habe keinen Heller mehr.« – »Aber, Mama, warum hast du's ihm nicht selbst gesagt, eh er in sein Zimmer ging?« – »Du weißt ja, wie verdrießlich er wird, wenn man Geld fordert! ich kann unmöglich schon wieder verlangen.«

»Aber so sag' ihm doch, Mama, wozu wir's gebraucht haben, es ist ja natürlich, daß keins mehr da ist.«

»Weißt wohl, daß mir der Vater keine Rechnung durchsieht, er bruttelt nur in's Allgemeine; mach' nur und schick den Alfred hinauf, über den wird er nicht ärgerlich.« – »Mama, wenn ich einmal heirathe, so mußt du mir einen großen Sack voll Geld mitgeben, daß ich meinem Mann keines fordern darf, sonst heirathe ich gar nicht.«

»Einfältiges Kind!« sagte lachend die Mutter, »das ist vom Vater nicht schlimm gemeint.« »O tempora« lächelte Wilhelm für sich. Die Kasse mußte aber gefüllt worden sein, denn der Frühstückstisch war sehr anständig besetzt, auch war der Herr Oberregierungsrath in guter Laune und verabschiedete sich ganz herzlich von Wilhelm, bemerkte sogar nach seinem Abschied gegen seine Frau: »recht vernünftiger Mann, habe gar nichts gegen einen ordentlichen Pfarrer, im Gegentheil.« Und Wilhelm schritt dem weitern Ziel seiner Reise, dem Aufenthalt Minnas zu, den ihm Mathilde bezeichnete.

Eine Dichterehe.

Es war zum erstenmal in all der langen Zeit, daß Wilhelm Minna in ihrem eigenen Hause aufsuchte. Sie hatten sich bisweilen bei dem Vater getroffen und zu einer weitern Reise war er bei den unendlichen Schwierigkeiten, die seine Frau bei jedem Gedanken daran aufthürmte, noch nie gekommen. In tiefen Gedanken schritt er dem freundlich gelegenen Dörfchen zu, wohin sich Minnas Gatte mit seiner Familie zurückgezogen hatte, um wohlfeiler zu wohnen.

»Ein Herz nur, ach, und eine Hütte!«

dachte er, als er durch ein Gärtchen, dessen übergraste Beete wenig Spuren einer pflegenden Hand zeigten, in das Häuschen gieng, das nun die Heimath seiner alten Liebe war. Das Zimmer, in das er zuerst eintrat, war leer, ein hübsches Zimmer an sich, die Fenster giengen in's Grüne, die Sonne schien hell herein und man hörte die Vöglein singen, aber trotz verschiedener Gegenstände, die ursprünglich einer zierlichen und eleganten Einrichtung angehörten, sah es ziemlich heruntergekommen aus. Der Ueberzug der Meubel, der einst in buntem Blumenflor geprangt, war verblichen und zerschlissen. hie und da mit Stecknadeln zusammengeheftet, eine Blumenlampe mit einem längst verdorrten, kümmerlichen Pflänzchen hing an der Decke, Lithophanien an zersprungenen Fensterscheiben, an dem gestickten Ofenschirm hing schmutzige Wäsche, – Wilhelm fand nirgends einen Punkt, auf dem das Auge ausruhen konnte. – Da ging eine Seitenthür auf, und eine Frau in höchst nachläßiger Morgenkleidung trat ein und blieb verwundert vor ihm stehen. Es war Minna. »Grüß dich Gott, liebe Minna!« sagte er herzlich. »Du bist's, Wilhelm?« es zog eine tiefe Röthe über ihr Gesicht, »ach, ich bin noch gar nicht recht angekleidet, die Kinder kosten mich so viel Zeit; – und du willst uns einmal besuchen? grüß dich Gott.« Es lag etwas Gedrücktes in ihrem Ton. Auch Wilhelm fühlte sich gedrückt und verlegen, er fragte nach ihren Kindern. »Wo die Großen sich herumtreiben, weiß ich wirklich nicht, da ist mein Kleines,« und aus dem Nebenzimmer, dessen Thüre sie eilig hinter sich schloß, brachte sie ein hübsches, kleines Mädchen, dessen Schmutz man aber nicht ansah, daß seine Toilette heute schon Zeit gekostet; es kostete Wilhelm einige Ueberwindung, es zu küssen. »Und ihr lebt jetzt hier, ganz auf dem Lande?« fragte er, immer noch verlegen, welche Saite er anschlagen dürfe. »Das heißt, ich lebe hier,« sagte Minna, »Arwed hat, wie du weißt, ein kleines Amt bei der Bibliothek, das ihn einige Stunden in der Stadt hält, die übrige Zeit bringt er dort zu seiner Erholung zu.«

»Ich las kürzlich, daß sein Epos bald erscheinen wird.« – »O, das läßt er immer von Zeit zu Zeit durch einen seiner Freunde ankündigen; ob es je fertig wird, weiß Gott: an Stoff zu dem Thatenlosen sollte es nicht fehlen.« Wilhelm that das Herz weh, eine Frau in diesem Tone von ihrem Gatten sprechen zu hören. Minna verschwand, um sich umzukleiden und Wilhelm für eine Erfrischung zu sorgen, was sehr geraume Zeit brauchte; inzwischen kamen die zwei ältern Kinder, ein Knabe und Mädchen in ziemlich verwahrlostem Zustand, um sich Brod zu holen. »Mußt du nicht in die Schule, mein Junge?« fragte den siebenjährigen Knaben sein Pathchen, Wilhelm. »Ja, Wilhelm, 's ist zehn Uhr!« schrie das kleine Mädchen. »Und was willst du denn einmal werden, kleiner Bursch?«– »Ein Schuster,« sagte die wiedereintretende Mutter, »denn er lernt nichts und kann nichts als Schuhe zerreißen.« – »Ein Dichter!« rief der Kleine. »Lieber ein Kesselflicker,« sagte halblaut die Mutter. Wilhelm sah sie traurig an.

»Rikchen wollte natürlich nicht mitkommen,« sagte Minna, nachdem die Kleinen abgezogen waren; »wenn sie einmal den Entschluß faßt, so muß ich dich auch um Vorankündigung bitten, um putzen und scheuern zu lassen, die fiele sonst in Ohnmacht in meinem kleinen Wesen.« – »Könnte sein,« dachte Wilhelm bei sich und sagte lächelnd: »Ja, ja, sie ist die alte sorgsame Martha, und mir unbegreiflich, was sie immer noch zu putzen und räumen findet, wo längst alles rein ist.« – »Ach, umso sauber zu halten, da gehört Zeit dazu und Raum und ein zufriedenes Herz!« – »Vielleicht auch umgekehrt,« sagte Wilhelm leichthin, »es gehört eine gewisse Harmonie der äußern Umgebung dazu, um das Herz zufrieden zu erhalten.« Minna wurde roth und schwieg. Wilhelm sprach von dem Vater, von Mathilde und dem ergötzlichen Wechsel ihrer stolzen Ansichten über Frauenwürde.

»Ach, die hat gut sich unterordnen,« warf Minna ein, »ihr Mann ist ein rechter Mann, wenn sie ihn auch ganz unnöthiger Weise zum Pascha verwöhnt hat, das sind ja im Ganzen Kleinigkeiten, sie hat doch Grund, zufrieden zu sein.« Wilhelm schwieg wieder, das Gespräch wollte nicht fließen, – es lag eine Wolke zwischen den Beiden, die ihnen immer drückender wurde. Endlich brach Minna das Schweigen: »Wilhelm, dir, gerade dir wollt' ich am tiefsten verhüllen, was ich nun dir zuerst sagen muß: Wilhelm, ich bin eine unglückliche Frau;« und sie brach in ein leidenschaftliches Weinen aus. »Sag' mir nicht, daß es mein eigner Wille gewesen sei!« fuhr sie heftig auf, als er sprechen wollte, »du machst mich wahnsinnig, wenn du das thust. O mein Gott, wie hat Er mich getäuscht! ich glaubte einen Stern zu wählen, der für alle Zeiten hoch über dem Wechsel des Alltagsleben stehen werde, jetzt – ist's ein Lichtlein, das kümmerlich ringen muß über dem Sumpf zu bleiben. Wie habe ich gelitten um seinetwillen! meine schöne Jugend, mein freundliches Vaterhaus hat mir diese unselige Liebe getrübt und verdüstert, und wie hat er's vergolten! Sag nichts zu seiner Entschuldigung,« fiel sie wieder Wilhelm in die Rede, »du kannst ja gar nicht alles wissen. Ach, wie habe ich ihn geliebt, wie willig war ich, jedes Loos mit ihm zu theilen. Da hatte er zuerst das Amt; das war nöthig, uns zu ernähren. Hätte er nicht schon mir zu lieb die kleine Last gern auf sich nehmen sollen? Statt dessen mußte ich Tag für Tag seine Klagen hören über dies lästige Joch, das seinen Geist hemme und niederdrücke; zu seiner Erfrischung und Belebung hielt er allerlei Genüsse für nöthig, Conzerte, Theater, kleine Reisen. Zuerst theilten wir sie; als die Mittel nimmer zureichten, da war ich gut zum Daheimsitzen, er, natürlich er mußte doch noch etwas thun für seinen Geist; – die Früchte dieser kostbaren Aussaat lassen noch auf sich warten. Während er mir am Ende den harmlosesten geselligen Genuß, selbst die unschuldige Freude der Lektüre mißgönnte, machte er die fabelhaftesten Ansprüche an Bedienung, an häuslichen Komfort und würdigte mich zur Magd herab, er wurde immer fremder in seinem eigenen Hause; ...« »Und du hast das Deine gethan, ihm seine Heimath lieb zu machen?« fragte Wilhelm.

»Ich hätte das gewiß,« erwiderte Minna erröthend, »wenn er gewesen wäre, wie er sollte! So konnte ich freilich nicht immer wie ein Engel sein, wenn er nur nach Hause kam, um zu tadeln, und Lust und Muth vergeht einem, alles zierlich zu halten, wenn doch nicht viel Freude dabei ist. Zuletzt kam er auf den großen Entschluß, alle Fesseln von sich zu werfen; ,die Muse will freie Diener!' rief er, ,dann erst reicht sie ihren vollen Kranz.' Ja, das war eine Freiheit! Mit seinen Geisteskindern bei Verlegern Hausiren gehn, wie ein Krämer mit verlegner Waare, Poesien zu arbeiten auf Bestellung, wie ein Handwerker, sich tagelang abmühen um glückliche Gedanken, und dabei Noth und Sorge –

»Und statt daß er mich getröstet hätte und mich beklagt um das Geschick, in das er mich geführt, statt daß er mir mit zehnfacher Liebe vergütet hätte, was ich zu tragen hatte, mußte ich noch seine üble Laune tragen, sollte ich noch das Rad halten, das bergab rollte!

»Nun hat ihm Mathildens Mann wieder das Bibliothekämtchen verschafft, – aber uns ist nicht mehr zu helfen.« Sie schwieg erschöpft und stützte ihr Gesicht in die Hände.

»Aber, liebe Minna,« begann nun Wilhelm, »du sagst, Arwed habe dich getäuscht; hast du nicht dich selbst getäuscht? Er hat sich nicht anders gegeben, als er war, als praktischer Mann ist er keinem von uns je erschienen. Hast du ihn geliebt, sein innerstes Wesen, ihn selbst ganz und gar, oder nur seine jugendliche Erscheinung, das ausblühende Talent, das du wie er und alle seine Freunde vielleicht für bedeutender hieltest, als es war? Bist du ihm vorangegangen in Hingebung und Aufopferung? Hast du ihn aufgerichtet in Liebe und Treue, wenn seinem verwöhnten Sinn die Last eines prosaischen Berufs schwer wurde? Hast du ihm Entbehrungen leicht gemacht, indem du selbst sie freudig auf dich nahmest? Hast du ihm die bescheidne Heimath freundlich gemacht und traulich? – O, liebe Minna, es ist ein schlimmes Rechnen, wenn man nur der eignen Opfer denkt, und nicht der eignen Schuld!«

Ins Innerste getroffen, senkte Minna das Haupt. »Du verlangst viel,« sagte sie endlich finster, »und verwechselst die Rollen: das schwache Weib willst du zur Stütze des Mannes machen, der ihr Halt sein sollte.« – »Wo die reichste Liebe, da ist die größte Kraft,« sagte Wilhelm zuversichtlich, »und ist es von der Frau zu viel verlangt, wenn wir die reichste Liebeskraft von ihr erwarten?«

Minna schüttelte traurig den Kopf: »du kannst recht haben, aber bei uns ist es zu spät, und von Arwed ist gar nichts zu erwarten, Wilhelm, – er glaubt nichts, er ist kein Christ.« – »Und du glaubst?« fragte Wilhelm bedeutsam. »Ich, o was hätte denn ich in diesem elenden Leben, wenn ich nicht die Hoffnung auf ein besseres hätte! Die glänzenden Worte von einem Hauch des ewigen Geistes durch die ganze Schöpfung, der Glaube ,der sterbenden Blume,' den mir Arwed in den Tagen unsres Liebesfrühlings gepredigt, haben mich nicht lange getäuscht, – in der Zeit des Jammers und der Sorge nahm ich meine Zuflucht zu dem Gott meiner Mutter, ich gehe in die Kirche, ich lese in meiner Bibel, ich bete mit meinen Kindern; – Arwed hat dazu nur ein mitleidiges Lächeln!«

»Du glaubst?« wiederholte Wilhelm langsam und nachdrücklich, »und was hast du gethan, deinem Gatten deinen Glauben lieb und ehrwürdig zu machen? Hast du ihm gezeigt, welch ein seliger Glaube das sein müsse, der dich geduldig mache im Leid, sanft gegen Unrecht, freudig in Entbehrung, treu im Kleinen? Hast du ihn die edelste Frucht des Glaubens ahnen lassen, den sanften und stillen Sinn, der köstlich ist vor Gott? Liebe Minna, wenn er solchen Glauben bei dir gesehen hat, und hat ihn verworfen, dann, aber dann erst wollen wir die Hoffnung aufgeben.«

Minna schwieg lange in schmerzlichem Weinen. »O, Wilhelm,« sagte sie endlich, »wen habe ich verworfen in kindischem Uebermuth? o, wenn es anders gekommen wäre!« Und sie sah ihn an mit den schönen, blauen Augen, die einst seiner Jugend Morgenstern gewesen, und ein Abglanz des alten Frühlings flog über die frühgewelkte Gestalt. Aber Wilhelms Herz blieb fest und sein Auge ruhte mit ernster brüderlicher Liebe auf dem ihren. »Liebe Minna, denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.« – »Ja, alles was Gott schickt,« sagte sie wieder mit Bitterkeit, »mein Schicksal ist eigne Wahl,« ich muß liegen, wie ich mir gebettet.« – »Dein Weg kann dir zum Himmelsweg werden, und ob du ihn auch eingeschlagen in eigner Bethörung, er wird es, wenn du das rechte Licht darauf suchest,« sagte Wilhelm mit Nachdruck; »deine Ehe hat Gottes Segen geweiht, deines Mannes Seele wird Gott von dir fordern, wenn du nicht gethan, was an dir ist, sie zu ihm zu führen. O, liebe Minna,« und er faßte fest ihre Hände in den seinen, »du bist noch jung, du bist reich begabt, ein langes Leben liegt vor dir, vielleicht kein glückliches, aber ein geheiligtes, ein friedevolles, wenn du willst, gewiß, gewiß. Und du hast Kinder. Willst du in ihre jungen Seelen das Gift der Lieblosigkeit, der Muthlosigkeit, eines thatlosen Verzagens träufeln? Willst du sie nicht erziehen, wenn auch durch Sorge und Entbehrung, zu einem frommen, frischen Leben?«

»Ach, Wilhelm, wenn du mir immer nahe wärest, mich aufzurichten und zu halten! sieh, Niemand, so lange ich lebe, hat mir die Stütze eines starken, lebendigen Glaubens geboten.«

»Die stärkste, mächtigste Stütze ist dir nahe, jeden Augenblick: ein immer offenes Herz, das dir nicht nur dein Halt und Aufrichtung, das dir Kraft und Leben selbst ist, Kraft auch für's Kleinste, liebe Minna!«

»O, du weißt nicht, wie oft man an diese Pforte vergeblich pochen kann! ich bin wohl noch nicht würdig dazu.«

»Unwürdigkeit schließt nicht aus, nur Unredlichkeit. Wenn wir so oft verlangen nach menschlichem Rath, nach menschlicher Leitung, liebes Herz, so ist's manchmal nur, weil Menschen uns beurtheilen, wie wir uns zeigen, und weil wir fühlen, daß Gott uns sieht wie wir sind.«

»Und doch muß ich das Weib glücklich preisen, die dem Gatten nur folgen darf; sicher, dann den rechten Pfad zu gehen. – Wilhelm, weiß Friederike, was sie an dir hat?« frug Minna ihn plötzlich mit der Rücksichtslosigkeit des Unglücks. »Ich weiß nicht,« sagte lächelnd Wilhelm; »wenn sie mich nicht verwöhnt durch zu große Verehrung, so ist das um so besser für mich.«

»Du aber hast nicht gewählt wie ich, vermessen, nach eignem Sinn, du hast aus Güte und Edelmuth ein Wesen gewählt, das unter dir steht, – bist du nun glücklich?«

»Ich weiß nicht,« sagte Wilhelm zögernd, »ob meine Wahl so edel war, wie du meinst, ob sie nach Gottes Willen war. Ich hatte eine liebe Hoffnung begraben. Ich sah, wie dich dein poetischer Sinn zu einer raschen, unbedachten Wahl getrieben; ich wollte es mit der Prosa versuchen, hielt vielleicht häusliche Fertigkeiten für häusliche Tugenden, und vergaß über der fleißigen Hand nach der lebendigen Seele zu forschen. Wo eine Wahl nach Gottes Willen ist, da gibt er die tiefe, rechte Herzensfreudigkeit dazu, und wo diese sich nicht findet, da ist die Wahl eigenmächtig, sei es nun Neigung, oder Berechnung, oder Ueberlegung, was sie bestimmt hat. – Das aber war Einmal gesprochen und nicht wieder,« sagte Wilhelm sich aufraffend mit großem Ernst. »Es ist nicht an uns, zu grübeln, wie wir auf unsern Pfad gekommen sind, sondern zu suchen, daß er uns zum Himmelspfad werde, und das können wir finden mit Gottes Hilfe. Wir sind Beide reich gesegnet, liebe Minna, mit lieben Kindern; und um das Herz, dem wir Liebe und Treue geschworen bis zum Grabe, müssen wir ringen und werben, bis es uns und dem Herrn zu eigen gehört. Noch so jung, eine so hohe Aufgabe vor dir, und schon so müde! Hast du vergessen, daß du deiner sterbenden Mutter versprochen, glücklich zu sein?«

»Du spottest meiner! läßt sich das versprechen?« – »Versprechen leichter als halten: hast du es je versucht?« Minna schlug die Augen nieder und schwieg.

»Wir wollen's noch einmal versuchen, liebes Herz,« sagte Wilhelm in heitrem Ton, »jedes auf seinem Weg und jedes in seiner Weise, und wenn wir uns wieder begegnen, wollen wir seh'n, wer's am besten gelernt hat.«

Es war nahe an Mittag und Minna fiel ein, daß ihr Mann zu Tische komme, auch hatte sie seit lange nicht für einen Gast zu sorgen gehabt, seit den ersten Zeiten ihrer Ehe, wo ihr Haus jungen Künstlern, Literaten und Schauspielern offen gewesen war. Sie eilte geschäftig in die Küche und das Diner schien wirklich höchst umständlicher Berathung zu bedürfen.

Wilhelm unterhielt sich mit der kleinen Antonie, die übrigens ein scheues, wenig aufgewecktes Kind schien. »Freu'st du dich, bis der Vater heimkommt?« fragte er sie. Die Kleine schüttelte den Kopf: »er bringt mir nichts mit,« sagte sie, »und er ist auch oft bös und zankt.« – »Aber die Mutter zankt nicht?« – »Nein, die Mutter liest,« sagte sie kurz und bündig, »steh, da schiebt sie die Bücher hin.« Und sie zeigte Wilhelm hinter die Kissen des Sopha versteckt ein Buch, einen sehr zerlesenen Roman aus einer Leihbibliothek. »Geschwind, verstecks wieder, der Vater kommt!« rief die Kleine so hastig, daß Wilhelm instinktmäßig die Lektüre schnell versteckte und roth und verlegen, als hätte er selbst etwas Verbotnes gethan, dem eintretenden Arwed entgegen ging.

Es war nun freilich nicht mehr der jugendlich schöne Nordstern, wie er damals am grünen Ufer aufgegangen war, doch war seine äußere Erscheinung vortheilhafter als die Minna's, seine Kleidung war neben einer gewissen poetischen Nonchalance gewählt und sorgfältig, seine ganze Haltung hatte noch den Stempel natürlicher Noblesse, der ihn immer ausgezeichnet, aber seine Gestalt war abgemagert, seine eingefallenen Wangen zeigten eine gefährliche Röthe und sein Auge einen stechenden Glanz.

Er begrüßte den unerwarteten Gast zuerst etwas kühl und verlegen, aber Wilhelms offner Herzlichkeit konnte Niemand lang widerstehen, auch that dieser sein Möglichstes, den Wirth in lebhaftem Gespräch zu erhalten, um dessen ungeduldige Blicke von der Küchenthür abzulenken und Minna Zeit zu ihren Anstalten zu gönnen.

Endlich wurde servirt, es brauchte gar lange, bis das Essen in Gang kam, da Minna wohl zehnmal aufspringen mußte, um wieder ein vergeßnes Tischgeräth zu holen und zu suchen und sich alle Augenblicke in äußerster Rathlosigkeit fragte: »wo hab ich nur den Schlüssel zum Weißzeugkasten?« »Eduard, sitzst du nicht auf der Serviette? – Christine, seh Sie doch, ob nicht ein Kinderlöffel im Bettchen geblieben ist?« Arwed schien dabei wie auf Kohlen zu sitzen und seine nervöse Gereiztheit gab sich mit halben Worten oder Geberden kund, was das Mittagessen nicht gerade zu einem Göttermahl machte, obwohl Minna's Küche zeigte, daß auch sie eine Tochter des alten gastlichen Amthauses sei. Sie nahm aber heute die unfreundlichen Mienen und knurrigen Seitenbemerkungen ihres Mannes mit so viel Sanftmuth auf, daß dieser allmählich entwaffnet wurde und sie in der Stille mit einiger Verwunderung zu betrachten schien.

Nach Tisch lud Arwed den Gast zu einem Spaziergang auf die nahgelegene Höhe ein; Minna zog vor, daheim zu bleiben; sie hätte so gern ihrem alten Freund, dem Gatten ihrer überpünktlichen Schwester, ihre Wohnung etwas freundlicher und mehr geordnet gezeigt, als er sie am Morgen getroffen.

Wilhelm fühlte, daß auch Arwed das Herz voll hatte, und es war ihm etwas bange auf seine Ergießung. Es ist eine schöne Sache um eine Vertrauen erweckende Natur, aber es hat sein Beschwerliches, der Vertraute von Jedermann zu sein. Arwed begann mit seinen vereitelten Hoffnungen, seinen fehlgeschlagenen Planen; er war natürlich ein Märtyrer der Gesellschaft, ein Opfer eines herzlosen Zeitalters. »Und alles wäre vielleicht anders geworden in einer andern Häuslichkeit!« brach er dann endlich aus: »unbeengt von dem Druck häuslicher Unbequemlichkeiten, von den Sorgen und Chikanen des Alltagslebens hätte mein Geist sich freier entfaltet. Wie anders dacht' ich mir dies einst so anmuthige Geschöpf als Frau: meine lebende Muse, das Licht meiner trüben Stunden, der freundliche Genius, der die Steinchen kleinlicher Mühseligkeit aus meinem Pfade räume, daß ich frei und sicher zum höchsten Ziele voranschreiten könnte! Statt dessen ein schwaches selbstsüchtiges Wesen, die mir das kleinste Opfer, das sie mir je gebracht, zehnfach fühlbar macht, die in der Zeit des Mißgeschicks, wo sie mir Trost und Erheiterung sein sollte, wehrlos klagend am Wege liegen bleibt, bei jeder kleinen Erholung, die ich mir gönne, ängstlich darnach hascht, auch sich ihren Theil Genuß zu sichern, eine nachläßige, zerstreute Hausfrau, die mich nöthigt, an die erbärmlichsten Details zu denken, wenn ich nicht darüber stolpern will, eine Mutter, die über einem interessanten Roman Haus und Kinder vergißt, die ihre gerühmte Frömmigkeit mit nichts als mit Kirchengehen bethätigt, wenn sie anders so fertig wird, daß ihr der Kirchgang möglich ist: – o, meine jungen Träume!«

Es ist unbeschreiblich traurig, zwei Herzen, die Eins sein sollten gegen eine Welt, sich in solchen Klagen spalten zu hören: und Wilhelms Lage war hier schwieriger. Verschiedene Geschlechter üben leichter Einfluß auf einander; wo es einen Tadel gilt oder eine Ermahnung, da muß Mann gegen Mann, oder Frau gegen Frau unendlich vorsichtig sein, um nicht zu verletzen.

Mit einer Bußpredigt, die bei Minna weichen Boden fand, wäre er hier schlecht angekommen. Er rief nur Arweds männliche Kraft auf, seinen Schutz, sein Mitleid für das verwöhnte Kind einer sonnigen Heimath, das für ihn die Freuden dieser Heimath und seinen ungetrübten Frühling hingegeben; er rief ihm den Tag zurück, an dem er Minna's Herz im Sturm genommen, schilderte ihm die begeisterte Liebe, mit der sie an seinem Bilde gehangen, und wußte so in seiner Seele eine Ahnung seiner eignen Verpflichtung zu wecken, dies schwache Wesen zu schützen und zu stützen, eine Pflicht, die ihm seither, wie es schien, noch gar wenig zu Sinne gekommen war. Es ist eine gar leidige Sache in der Ehe, wenn Jedes sich hinsetzt, erwartungsvoll, daß es das Andere nun glücklich machen soll: es kann auf diese Weise gar leicht dazu kommen, daß Beide allein und unbeglückt sitzen bleiben.

Mit noch größerer Schonung wies er ihn auf mehr Eifer und Freude für seinen prosaischen Lebensberuf hin: »wer weiß, die Muse ist eine launige Frau, die sich entzieht, wo man zu feurig um sie wirbt, und sich naht, wo man sie nicht zu suchen scheint; vielleicht, wenn du dich fester ansiedeln, dich behaglicher fühlen würdest im nüchternen Geschäftsleben, die Poesie käme ungesucht.«

»Du magst wohl Recht haben,« entgegnete Arwed sanfter als Wilhelm gehofft, »ich glaube, es ist nicht so schwer, sich in der Philisterei zurecht zu finden, wenn man sich nur die andern Gedanken ein wenig aus dem Kopf schlagen kann. O, es kommen mir oft ganz leidige Gedanken, bei Nacht, wenn mich der verwünschte Husten nicht schlafen läßt, Gedanken, ob ich nicht besser gethan, hinter dem Aktentisch zu bleiben und meine Gedichte im Pult zu lassen. O, ein verfehltes Leben!« Nach einer Weile fuhr er heitrer fort: »wenn ich mich recht ernstlich hinter die langweilige Geschichte mache, habe ich vielleicht Aussicht auf Vorrücken, eine sichrere Verbesserung, als wenn mein Thatenloser gedruckt wird; und das wäre so nöthig! O, das Geld, dieser verwünschte, schadenfrohe Dämon, den ich mein Leben lang mit äußerster Verachtung behandelt, wie bitter hat er sich gerächt!« – »Das ist so seine Art,« lächelte Wilhelm, »er will herrschen oder beherrscht sein.«

Während Wilhelm Arwed erheiterte durch Reminiszenzen aus der Jugendzeit und die anmuthige Lage des Dörfchens bewunderte, erreichten sie das Haus wieder. Minna und ihr Dienstmädchen hatten mit namenloser Anstrengung die zerfallene Laube des Hausgärtchens geräumt und ein Tischchen dort arrangirt, auf dem sie den Kaffee servirte. Diese Anordnung erheiterte Arwed noch mehr; wenige Ehen sind so verknöchert, daß nicht Mahnungen aus der Frühlingszeit ihrer Liebe wieder einen Funken wärmeren Gefühls hervorlockten. Ein Frühlingstag, wie lange nicht mehr, ging über dem freudlosen Hause auf, und es waren nicht nur vertrocknete Blüthen der Vergangenheit, die in der Beiden Herzen auflebten, es waren auch Keime einer bessern Saat für die Zukunft.

Wilhelm wollte noch vor Abend zur Stadt zurück, um von dort leichter nach Eduards Wohnort zu kommen, der die letzte Station seiner Reise war. Arwed rüstete sich, ihn zu begleiten; Minna näherte sich dem Gatten, eben als Wilhelm mit den Kindern beschäftigt war, etwas schüchtern und verlegen und gab ihm das Buch, das sie hinter dem Sophakissen vorgezogen hatte: »wolltest du das nicht gleich der Leihbibliothek zurückgeben?« fragte sie leise, »ich will keine Fortsetzung.« – »Und du hast wieder angefangen mit der verwünschten Leihbibliothek?« fragte der Dichter Arwed Nordstern indignirt. »Ich will aber aufhören,« sagte sie mit gesenkten Blicken, »darum habe ich dir das Buch gegeben.« Demuth und Offenheit sind unwiderstehliche Waffen für ein Gemüth, in dem noch ein edler Funken lebt; Wilhelm war ungeheuer eifrig, die Bildchen zu betrachten, die ihm die Kinder zeigten, um die kleine Versöhnungsscene nicht zu sehen, die über dem beschmutzten Leihbibliotheksroman geschlossen wurde.

Er sah Minna noch einen Augenblick an. »Trage Sorge für deinen Mann, liebe Minna,« flüsterte er, »was du ihm erweisen kannst an Liebe und Treue, das thue bald, du weißt nicht, wie lange du Zeit findest.« Erschreckt sah ihn Minna an und blickte auf ihren eben eintretenden Gatten; nie zuvor war ihr sein gesunknes Aussehen aufgefallen, es war so allmählich gekommen! ach, und sie hatte ihn so lange nicht mehr mit den scharfsehenden Augen besorgter Liebe betrachtet!

Wilhelm fühlte, daß ihr ein Stich in die Seele ging, aber er hatte ihr das Weh nicht ersparen können.

Wehmüthig und doch nicht ohne Hoffnung auf bessere Tage schied er von ihr.

Ein glückliches Pfarrhaus

»'S Letzt ist's Best'!« lautete ein schwäbisches Sprüchwort, das nicht allenthalben anwendbar ist. Auf Wilhelms Reise aber paßte es gut: das Pfarrhaus in Bergzimmern, mit dem er seine Familienreise schloß, mußte ihm den freundlichsten Eindruck zurücklassen, wie Kindern, denen man den ökonomischen Rath gibt: »iß zuerst dein Brod und nachher den Kuchen, so meinst du, du habest lauter Kuchen gegessen.« Ein schönes Pfarrhaus war es eben nicht, und die Einrichtung war mehr als einfach, aber Blumen und Sonnenschein genug, und das geschäftige, glückselige Pfarrfrauchen, die immer noch so oft erröthete, wie vor sechzehn Jahren, war Blume und Sonnenschein zugleich, wenn auch längst keine Frühlingsblume mehr.

Es war eine alte und doch wieder eine nagelneue Liebe, die Eduard vor drei Jahren, als er endlich zu Amt und Brod gekommen war, zu der stillen Emma geführt. In Emma's Herzen war sein Bild seit jenem Morgen unverdrängt geblieben, aber es war eine so gar stille Liebe, die sie nicht sich selbst und nicht einmal Gott bekannte. Von Eduard können wir nun nicht dasselbe rühmen; bei jener Wasserfahrt war die schüchterne kindische Emma nur ein Gegenstand seiner Protektion und er hatte sie höchstens einmal mit dem Gedanken beehrt, das könne später ein nettes Mädchen geben. Gar manche liebliche Gestalt, manch blonde und braune Schönheit war indeß seinem beweglichen Herzen gefährlich geworden, und doch kehrte allmählich immer wieder ihr sanftes Bild in seiner stillen Jungfräulichkeit, eine verschloßne Knospe, in seinen Träumen wieder, und als am Ende all die glänzendern Erscheinungen vorübergezogen waren, da fand er, daß dies jungfräuliche Bild geblieben. Als aber Emma's Mutter, nach ihres Gatten Tode seines Vaters Haushalt übernahm, kam diese zu entfernten Verwandten, und Eduard dachte ihrer selten mehr.

Als er aber nun endlich und endlich dem Schwabenalter nahe, zum Ziele gekommen war, und die Pfarre in Bergzimmern dringend einer Frau Pfarrerin bedurfte, da fiel ihm unter allen Töchtern des Landes eben doch wieder die schüchterne Emma ein, die nun in der alten Heimath mit ihrer Mutter lebte, vom Leben vergessen, wie sie dachte, in anspruchsloser Heiterkeit. Und er fand sie wieder, nicht mehr in erster Jugend, aber in unverwelkter Lieblichkeit, fast unberührt von der Zeit; und die verschloßne Knospe öffnete sich ihm, und er fand, daß sie sein Bild gehegt hatte, fast ohne es zu wissen, daß sie aber in der langen, langen Zeit der Einsamkeit nicht ein krankhaftes Schmachten und Sehnen genährt hatte, sondern sich geschmückt wie die Blume des Thales, auf die nur der blaue Himmel niederschaut, in keuscher Lieblichkeit mit sanftem und stillem Geiste.

Emma war's wie ein Traum, als Eduard der stattliche, junge Pfarrherr um sie warb, und ihre erste Antwort war der schüchterne Einwurf: »ich bin eben zu alt.« Daß sie jung geblieben sei in ihrer mädchenhaften Anmuth, in der frischen Gesundheit eines reinen Herzens, das wollte sie nicht glauben, aber sie fühlte es allmählich an dem Gefühl jungen Glückes, das ihre Seele überströmte.

Noch jetzt hatte die Pfarrfrau von Bergzimmern, die doch schon die dreißig überschritten hatte, sich für ein Mädchen geben können, wenn man sie jemals ohne eins ihrer zwei Kinder gesehen hätte, den kleinen Martin an der Schürze, das niedliche Julchen auf den Armen. Das waren ein paar wunderbare Kinder! Der Martin, obgleich erst zwei Jahr alt, sagte schon so erstaunliche Dinge, er nannte zum Beispiel den Mond einen lieben Gottskopf, oder nahm des Papa's Pfeife in den Mund und sagte: »ich Papa,« daß seine Mutter immer den Vater und verstohlen den Gast ansehen mußte, ob sie auch gehört. Seine Reden und Thaten gaben noch lange Gesprächsstoff, nachdem er zu Bette gebracht war. Und die Emma! Gewiß und wahrhaftig sie hatte schon mit vierzehn Tagen gelächelt, die Wartefrau konnte es bezeugen, und die Art, wie sie jetzt schon mit ihren Händchen krabselte und wie sie nach Farben sah und wie sie der Mutter Stimme kannte, die war weit über ihr Alter und berechtigte zu den schönsten Hoffnungen, den kühnsten Erwartungen.

Viel zu thun hatte Frau Emma, erstaunlich viel, sie entschuldigte sich immer deßhalb und meinte, sie verstehe wohl noch nicht es einzurichten; aber hell und freundlich und ordentlich wie ihre Zimmer war ihre ganze Erscheinung, und sie war so glückselig und dankbar für ihr ganzes Dasein, daß niemand je den Eindruck bekam, daß ihr etwas sauer geschehe. Ein recht gesprächiges Pfarrfrauchen war aus dem stillen Mädchen geworden, und niemand hätte geglaubt, daß sie bei ihrer Schüchternheit ein so gutes, sicheres Hausregiment führen könnte.

Wilhelm sonnte und labte sich recht an diesem fröhlichen Hausstand, er ergötzte sich an der immer neuen Ueberraschung Eduards über die Vorzüge seiner Frau, an dem bescheidnen Selbstgefühl, mit dem er diese Vorzüge als sein besondres Verdienst wegen seiner guten Wahl in Anspruch nahm; er bewunderte gehörig die seltenen Talente der Kleinen und empfahl sich durch einen Hampelmann, eine Trompete und eine Kinderklapper, die fast den Rest seiner Reisekasse erschöpften, vollständig in die Gunst der Mutter und der Kinder, und schritt dann getrost und fröhlich seiner Heimath zu. »Und ich will glücklich sein, mein Haus soll mir freundlich werden, und meine Kinder sollen sich ihrer Heimath freuen lernen,« war der Endbeschluß, den er nach Hause zurücktrug; keine Liebe, keine Geduld und Treue soll mir zu viel sein, die Blumen zu pflegen, die unter Küchengewächs zu ersticken drohen.«

Und seine Arbeit war nicht vergeblich. Was der Vater allein nicht vermochte, das gelang allmählich dem jungen, frischen Lebenshauch, der mit den Kindern das allzunüchterne Haus durchströmte, und der mit fröhlichen Klängen das knarrende Räderwerk eines übergeordneten Haushalts übertönte.

Die Schule des Lebens

Es ist ein alter pädagogischer Streit, ob das Lernen gleich Anfangs als ernste Arbeit, oder ob es zuerst nur spielend betrieben werden soll. Ich denke, die Schule des Lebens könnte uns einen Wink darüber geben. Selten fängt sie frühe schon mit ernsten Lektionen an, für den aber, der die ersten leichtern Lektionen nicht verstehen will, ist das Muß nachher um so bittrer.

Minna war sich sehr spät erst bewußt worden, daß es Ernst sei mit der Schule des Lebens, und darum wurde ihr die verspätete Lehrzeit auch eine sehr schwere. Es ist so leicht, einen raschen Entschluß zu gänzlicher Besserung und Lebensänderung zu fassen, so unendlich schwer, ihn durchzuführen, namentlich wenn die Besserung am Kleinsten beginnen muß, und wenn die äußern Verhältnisse dieselben bleiben.

Dazu kommt die eigenthümlich falsche Scheu, die sich einer sichtbaren Besserung schämt, weil darin zugleich eine Demüthigung, ein Eingestehen der frühern Schuld oder Versäumniß liegt.

Wenn nicht Wilhelms letzte Hindeutung auf ihres Mannes untergrabene Gesundheit einen Stachel in ihre Seele geworfen hätte, den sie nicht wieder los wurde, sie wäre vielleicht nach einigen Versuchen wieder muthlos ins alte Gleis zurückgekehrt und darin versunken. Aber der Gedanke »vielleicht zum letztenmal,« der sie nun bei allem begleitete, was auf ihren Gatten Bezug hatte, hielt sie aufrecht und trieb sie immer wieder zur einzigen Quelle der Kraft, wenn sie ihre Schwachheit fühlte.

Zunächst also galt es die Aufgabe, den Mann für die Heimath zu gewinnen, ihm das eigne Haus lieb zu machen. Mit tiefer Beschämung empfand sie den Vorwurf der Unordentlichkeit aus Wilhelms Worten, den bittersten, wenn er der Frau von einem Manne gemacht wird. Sie war sich doch bewußt, daß sie immer Sinn für's Schöne, Freude am Zierlichen gehabt, warum doch war's ihr nie gelungen, was sie so hübsch zu ordnen verstand, auch geordnet zu erhalten? – Bei näherem Nachdenken kam sie darauf, daß es ihre Zerstreutheit vor Allem war, die sie die häuslichen Kleinigkeiten achtlos verwahrlosen ließ, die eine stete, stille Aufmerksamkeit fordern.

Die Romane, das Nippen und Schlürfen an unterhaltender Lektüre, das so leicht zum Berauschen wird, trugen wohl die erste Schuld. Der Leihbibliothek hatte sie entsagt und blieb standhaft dabei, sie setzte sich Stunden fest, wo sie sich überhaupt das Lesen noch gestattete. Aber gar oft wenn ihr beim Ordnen des Zimmers eins ihrer alten Bücher in die Hand fiel, fing sie an zu blättern und blätterte, bis viele kostbare Viertelstunden verstrichen, und ihre Sinne und ihre Gedanken weit weg von der kleinen Alltagspflicht geflogen waren. Zu dem kam die gereizte Laune ihres Mannes, die oft eben ausbrach, wenn sie gewiß glaubte, alles auf's Beste gethan zu haben, die ihr allen Muth wieder nahm, und ihr die bittern Thränen in die Augen trieb. – Sie verzagte an sich, an aller Möglichkeit, daß es bei ihnen je besser werden könne, – bis ihr endlich der Gedanke kam, ihren Gatten selbst zum Vertrauten und Gehilfen bei dem Werk der Aenderung zu machen.

Ach, aber sie waren eines freundlichen, vertrauten Verkehrs so entwöhnt, daß sich lange nicht die rechte Stunde zu einem offenen, herzlichen Wort finden wollte.

Da kam Arweds Geburtstag. Gesegnet seien diese häuslichen Feste, die in das vertrocknetste Herz und Haus doch je und je wieder ein frisches Brünnlein der Freude und Liebe leiten! Minna hatte in all diesen Jahren auch des Gatten Geburtstag begangen, aber die schönen Handarbeiten, die sie aus eigner Liebhaberei dazu verfertigt, waren in den letzten Jahren kühl aufgenommen worden und der Dichter Arwed hatte einige Worte über verdorbene Zeit und hinaus geworfenes Geld fallen lassen. So dachte sie sich diesmal eine andre Ueberraschung aus, die sehr begünstigt wurde durch eine kleine Reise, die er in Geschäften der Bibliothek unternehmen mußte.

Arweds Zimmer war ein jahrelanger Zankapfel gewesen, bis zuletzt der Streit ohne Friedensschluß bei Seite gelegt worden war. Er hatte großen Werth auf die hübsche Einrichtung dieses Zimmers, auf seine Bewahrung vor häuslichem Gerümpel gelegt. In der ersten Zeit war das sonnige Oberstübchen auch wirklich das zierlichste und ordentlichste im Hause geblieben.

Es war auch noch hübsch gewesen, als Minna mit dem ersten Kinde sich manchmal beim Vater oben zum Besuche einfand, und den Kleinen auf dem Boden spielen ließ. Als aber der Kinder dreie wurden, die die Mutter, wenn sie nichts mit ihnen anzufangen wußte, in des Vaters Stube sperrte, wo sie die Prachtbände seiner Bibliothek herumwarfen, mit den andern Büchern Häuser bauten, und Manuskripte zerrissen, da verbat sich Arwed ernstlich solches kindliche Zutrauen. Je launischer aber in spätern Tagen seine Muse wurde, je unergiebiger die Stunden seiner Einsamkeit, desto kürzer und seltener war er zu Hause zu finden, und desto mehr wurde das Heiligthum der Dichterstube zum Abstellquartier mißbraucht für alles, was unten der Frau im Wege stand.

Nun aber wurde oben gelüftet und gescheuert, Minna opferte ein Paar werthe Ohrgehänge aus ihrer Mädchenzeit um neue, freundliche Tapeten zu erschwingen, mit Epheugewinden und wohlfeilen Topfpflanzen wurde es hübscher, als es je zuvor war, hergestellt, und die kleine Antonie zeigte einen, für die Mutter überraschenden Ordnungssinn, wie sie mit ihren kleinen Händchen mitangriff.

Arwed kam am Abend vor dem Geburtstag spät nach Hause, etwas frischer und heiterer als sonst; die kleine Reise hatte ihm gut gethan. Seinen Geburtstag wollte er aber eigentlich lieber vergessen, es ist so ein Jahrstag auch stets ein Mahntag an unbezahlte Schulden, an unerfüllte Vorsätze, an getäuschte Erwartungen; er war sonst gewöhnt, wegen der letztern Gott und Welt in seinen Gedanken anzuklagen, diesmal aber ließ der Ankläger in der eignen Brust sich lauter hören als sonst.

Minna war früher als er aufgestanden, – eine ungewöhnliche Erscheinung; im Wohnzimmer, das frisch gelüftet und aufgeräumt war, fand er das Frühstück mit mehr Komfort als gewöhnlich angeordnet, – er suchte Frau und Kinder, die fröhlichen Stimmen leiteten ihn nach oben. Er öffnete die Thür, – durch die hellen Fenster zwischen weißen Gardinen fiel der Schein der Morgensonne, die Schatten der hohen Bäume des Grasgartens spielten auf den hellen Wänden, leichte Epheuranken schlangen sich um die Fenster, – es war ihm, als ob sein Dichterfrühling ihn noch einmal begrüßte, obschon die Bäume draußen bereits an den Herbst mahnten. – Und die Kinder standen in festlichem Schmuck, Wilhelm deklamirte ihm mit militärischem Anstand ein Gedicht –

Ach, er erkannt' es wieder,
Sein eignes erstes Lied!

und hinter den Kindern stand sein Weib, die Liebe seiner Jugend: keine Klage auf den Lippen, keinen stillen Vorwurf im Blick, nur einen Strahl der alten Liebe, und eine tiefe innerliche Wehmuth; – o, es liegt eine wunderbare Heilkraft in der Luft des eignen Hauses, wenn ein Hauch von oben darein weht! so einfache Mittel können genügen, um tiefe und schlimme Schäden zu heilen.

Ein Vorwurf, der ihn früher mit tiefer Bitterkeit erfüllt, wenn er ihn aus seines Weibes Worten durchzufühlen geglaubt, der Vorwurf, wie wenig er bis jetzt seine Pflicht als Haupt und Stütze seines Hauses erfüllt, wie er ein schlechter Hausvater gewesen, wie er nach dem Schatten des Ruhms gehascht, statt in Treue und Selbstverläugnung sein Haus zu gründen, trat jetzt klar und unabweisbar vor seine Seele, und mit den Worten der alten Liebe strömten auch die einer heftigen, rückhaltlosen Selbstanklage über seine Lippen.

Es ist so schwer, demüthig und selbstlos zu sein, wo uns Egoismus und Selbstsucht entgegen tritt, es wird so leicht, gegenüber der Liebe und Demuth. Auch Minna fand nun Worte für ihre Reue; all ihre Vorsätze, das ganze Gefühl ihrer Schwachheit legte sie in sein Herz nieder und bat ihn, ihr zu helfen, wo sie wieder wanke, und zum erstenmal hörte sie auch aus seinem Munde die Hinweisung auf eine Kraft, die in unserer Schwachheit mächtig ist. – Sie verlebten den Tag in einem Gefühl des Friedens und der Seligkeit, der alle bangen Ahnungen Minna's zur Ruhe wiegte. Nur wenn Arwed sich in Plänen und Entwürfen für die Zukunft erging, die sich nun ganz anders gestalten sollte, wenn gleich er sie nimmer auf die Schwingen des Pegasus bauen wollte, – dann ward ihr wieder bange um's Herz und sie blickte mit stiller Sorge in seine glänzenden Augen.

Arwed war es Ernst mit dem Bessermachen, und er bestätigte dies dadurch, daß er nicht verschmähte, am Kleinen und bescheiden anzufangen, um das Loos seiner Familie zu verbessern. Er vertraute seine Lage dem Oberbibliothekar, der sie freilich längst gekannt, und erhielt mit seiner Hilfe Lehrstunden in deutscher Sprache und Literatur in angesehenen Familien. Was er zuerst als mühsame Pflicht übernommen, weckte eine Lust und Freude an der Sache in ihm, die er nie geahnt; bald wurden seine Stunden gesucht, sie wurden Mode, und die interessante Persönlichkeit des Dichters, vereint mit seiner blühenden Darstellungsgabe, machten ihn zu einer Art von Löwen des Tages, ein Erfolg, der sein häusliches Glück, seine männliche Tüchtigkeit wieder von andrer Seite hätte bedenklicher gefährden können als zuvor Sorge und Noth, wenn nicht eben der gute Geist des eignen Hauses und die Erinnerung an frühere Täuschungen mächtiger entgegengewirkt hätte.

Minna's Aufgabe wurde ihr schwerer. Bei ihr bedurfte es nicht einer entschiednen That, nur eines täglichen, stündlichen Kampfes mit eingewurzelten Gewohnheiten, kleiner Opfer, die niemand bemerkte und niemand anerkannte, eben weil sie sich eigentlich von selbst verstanden. Es wäre für eine gewissenhafte und aufmerksame Hausfrau leicht gewesen, ein hübsch eingerichtetes Hauswesen in guter Ordnung zu erhalten, für die reuige Frau, war es unendlich schwer, das herabgekommene mit spärlichen Mitteln wieder aufzubringen.

Aber Arwed hatte in seiner eignen Reue, in seiner Selbstverläugnung den guten Willen seines Weibes und seine Pflicht, ihr zu helfen, verstehen lernen. Er sparte nicht den freundlichen Dank für's Kleine, das gute Wort, das der Frau so wohl thut, und das selbst bei guten Männern oft eine so seltne Waare ist, weil sie eben meinen, das verstehe sich alles von selbst, und nicht begreifen, daß auch die vernünftigste Frau immer noch ein Bischen Kind bleibt. So richtete sie sich auf an seiner Liebe, und das Gute ist ja, Gott sei Dank, in keinem Haus und in keinem Herzen eine erotische Pflanze, die künstlich von außen ernährt werden müßte, sie hat heimathlichen Grund und Boden in unsrer eignen Seele, und Himmelsluft und Himmelslicht zu ihrem Wachsthum bleibt nicht aus.

Arwed rückte in seinem Amte vor; dies und seine Lektionen, aus denen bald Vorlesungen wurden, bestimmten die Beiden den Landaufenthalt zu verlassen, aber sie widerstanden glücklich den Gefahren des Residenzlebens. Arwed wollte keine geselligen Genüsse, die seine Frau nicht theilen konnte, und bald war ihm seine eigne Stube, die nun wirklich ein unentweihtes Heiligthum blieb, wieder doppelt lieb. Wilhelm hatte richtig prophezeit; nun er nimmer bedrängt war von äußerer Noth, nimmer gespalten von widerstrebenden Gefühlen und Bestrebungen, nimmer geärgert durch eine unerquickliche Häuslichkeit, stellte sich die Muse ungesucht wieder ein, und wenn er auch keine kühnen Hoffnungen mehr auf ihre Gaben baute, so sagte er sich doch oft im Stillen mit stolzer Freude: ›und es war doch kein Traum.‹ Auch seine Gesundheit schien zu erstarken und Minna wiegte sich in frohen Hoffnungen einer schönen Zukunft, – aber es sollte nicht so sein. Zwei Jahre fast ungetrübten Glückes war ihnen gegönnt; bald nach dem zweiten Jahrestag jenes segensreichen Geburtstags fingen Husten und Brustbeschwerden bei Arwed an, sich stärker zu regen, Minna pflegte ihn unermüdet mit höchster Treue; er war gar nicht bekümmert über seine Krankheit, er hoffte auf den Frühling, – auf eine Badekur im Sommer, – auf eine Traubenkur im Herbst. Minna hatte bald die Hoffnung aufgegeben, sie nahm jeden Tag seines Besitzes als ein Gnadengeschenk, sie suchte jeden so reich zu machen an Liebe und Treue, als sie konnte, – in die Zukunft blickte sie nicht.

Arwed hatte Lektionen und Vorlesungen aufgeben müssen, bald konnte er auch sein Bibliothekamt nimmer versehen; es hatte noch nicht gereicht, in den kurzen Tagen des Wohlergehens einen Nothpfennig zu sammeln, so drohte die Noth auf's Neue hereinzubrechen. Jetzt erst lernte Minna, was aufopfernde Liebe vermag, und sie dankte Gott tausendmal für die guten Tage, in denen ihre neugewonnene Kraft hatte erstarken können, eh sie so schwere Proben zu bestehen hatte. Jetzt lernte sie klaglos entbehren, um die Bedürfnisse und Wünsche des Kranken zu befriedigen, heiter sein, wo ihr Herz blutete, arbeiten um Erwerb, wo ihre Kraft nimmer für das Nöthigste zu reichen schien, – aber sie erfuhr auch den vollen Segen solcher Hingebung, einen Frieden mitten im tiefsten Leid, wie ihn kein Glück der Erde gibt, einen Vorschmack der Zeit, wo kein Leid und keine Trennung mehr ist.

Freilich kamen auch unsäglich schwere Stunden, wo der Kranke von einem Nichts gereizt und verstimmt wurde, wo all ihre Opfer vergeblich und ihre Liebe unverstanden schienen, – aber sie hielt aus, und verlor nicht den Glauben an die Sonne, auch wo sie tagelang umwölkt war.

Für die armen Kinder war der Wechsel, der freilich allmählich kam, ein gar trauriger. Sie hatten sich so fröhlich gesonnt in dem wieder aufgegangnen Glück der Heimath, sie hatten so kurz erst erfahren, wie ein andres es ist um eine treue Mutter, als um eine solche, die nur eben ihre Kinder ankleidet und füttert und dann laufen läßt, für die das beste Kind das ist, das ihr am wenigsten in den Weg kommt, sie hatten, wenn auch unbewußt, doch mit innigem Wohlgefühl empfunden, welch' kräftigenden, belebenden Einfluß das Vaterauge, die Vatersorge auf eine Kinderseele hat, und nun legten sich allmählig wieder so trübe Schatten auf die neugewonnene Heimath!

Aber es war doch besser als zuvor. Sie hatten, jung wie sie waren, in der kurzen Zeit gelernt, sich als lebendige Glieder des Hauses, nicht als zufällige Anwüchse zu fühlen, so waren sie auch jetzt nicht störend, und die frühe Schule des Leides wurde ihnen zum Segen.

Wilhelm war entschieden des Vaters Liebling, es kamen selten so schlimme Tage, wo er nicht in der Krankenstube willkommen gewesen wäre. Wenn er des Vaters Lieder deklamirte, wenn er seine selbstgebildeten kindlichen Reime vortrug, in die sich hie und da ein Funken höherer Poesie einstahl, den er da und dort aufgehascht, da sah Arwed mit seinem alten sanguinischen Sinn schon auf des Sohnes Stirn den Lorbeer, den er nicht errungen. Merkwürdig war, daß der Junge ein eben so großer Liebling seines prosaischen Großvaters und Onkel Karls war, bei denen er alle Ferien zubrachte, und daß diese versicherten, er gebe einmal einen kapitalen Landwirth, er sei nicht vom Vieh und vom Acker wegzubringen. Antonie, das älteste Töchterlein, glitt nur leise durch die Krankenstube, glücklich, wo sie etwas ordnen, dem Vater etwas bringen und helfen durfte; das kleine Klärchen, das war wie der klare Sonnenstrahl an einem trüben Herbsttag, nicht kräftig genug, die welkenden Pflanzen wieder zu beleben, aber lieblich genug, um auch den hinsterbenden wohlzuthun und ihnen noch für Augenblicke den Glanz der frischen Blüthe zu geben. Alle aber lernten in diesen Tagen frühe, unbewußt, der Liebe ein Opfer zu bringen und die Sternlein zu finden auch in der dunkelsten Nacht.

Der alte Amtmann hatte sich noch der bessern Tage seines Kindes freuen dürfen, er hatte ihre Sorge getheilt, als sie mit dem kranken Mann einige Wochen in der alten Heimath zugebracht, aber er starb, eh sie das tiefste Weh erfahren, und als Minna im Spätherbst ihres Arweds müde Augen zudrückte, da stand sie allein mit ihren drei Kindern, mit dem kleinen Theil, der ihr noch am Vatererbe zukam, verwaist, verwittwet, und doch getrost.

Sie war wunderbar gefaßt und stark, sie hatte an des Gatten Krankenbett ein unvergängliches Kleinod gefunden. Nicht nur die alte Liebe war ihnen neugeboren worden, schöner und reicher als in ihren Frühlingstagen, sie hatten ihre Herzen vereinen lernen im Quell aller Liebe, und ihr Scheiden war keine Trennung.

Muthig nahm sie den Kampf mit dem Leben auf. Es war kein leichter, obwohl sie die Liebe ihrer Geschwister treulich unterstützte, und die Kraft, die sie im Gefühle ihres tiefsten Leides getragen, drohte oft ihr zu sinken in den ruhigen Zeiten, wo das Leben mit seinen Forderungen den gewaltigen Schmerz mehr zurückdrängte. Aber Gott hat ihr durchgeholfen.


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