Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Wahrheit der Masken.

Bei vielen der etwas heftigen Angriffe, die man letzthin gegen den szenischen Glanz richtete, welcher die Wiedererweckung Shakespeares in England auszeichnet, scheinen die Kritiker schweigend anzunehmen, daß Shakespeare selbst mehr oder weniger gleichgültig gegen das Kostüm seiner Schauspieler gewesen sei, und hätte er Mrs. Langtrys Aufführung von Antonius und Cleopatra sehen können, so hätte er nach ihrer Meinung wahrscheinlich gesagt, daß es auf das Stück und nur auf das Stück ankomme, und daß alles andere Leder und Stoff sei. Was aber die historische Genauigkeit in der Gewandung angeht, so hat Lord Lytton als Dogma ausgesprochen, daß bei der Aufführung Shakespearescher Stücke die Archäologie nicht am Platze sei, und der Versuch, sie einzuführen, sei eine der abgeschmacktesten Pedanterien eines Jahrhunderts des Scheins.

Den Satz Lyttons will ich später prüfen; doch was die Theorie angeht, Shakespeare habe sich nicht viel um die Garderobe seines Theaters gekümmert, so muß jeder, der Shakespeares Methode wirklich studiert, zu der Einsicht kommen, daß es tatsächlich keinen französischen, englischen, griechischen Dramatiker gibt, der so sehr wie Shakespeare für seine illusionistischen Zwecke auf das Kostüm seiner Schauspieler Wert legt.

Er wußte, wie sehr die Schönheit des Kostüms das künstlerische Temperament in Fesseln schlägt, und darum führt er immer wieder Masken und Tänze in seinen Stücken ein, nur um des Wohlgefallens willen, das sie dem Auge bereiten; und noch haben wir die Bühnenanweisungen für die drei großen Prozessionen in Heinrich VIII.; sie sind bis ins kleinste hinein ausgearbeitet. Ja, ein moderner Unternehmer könnte diese Aufzüge ohne Schwierigkeit genau so einrichten, wie Shakespeare sie entworfen hat; und sie waren so genau, daß einer der Hofbeamten jener Zeit, der einem Freunde einen Bericht über die letzte Aufführung des Stückes am Globe-Theatre sandte, sich tatsächlich über ihren Realismus beklagt, besonders aber darüber, daß die » Knights of the Garter« in den Gewändern und mit den Insignien jenes Ordens auftraten; denn das sei darauf berechnet, die wirklichen Zeremonien lächerlich zu machen. Und auch sonst wurde die Pracht der Inszenierung, welche die englische Bühne unter Shakespeares Einfluß auszeichnete, von den zeitgenössischen Kritikern angegriffen, jedoch fast nie auf Grund der demokratischen Tendenzen des Naturalismus, sondern meistens aus moralischen Gründen. Denn die Moral ist ja immer die letzte Zuflucht der Leute, die die Schönheit nicht begreifen.

Was ich aber hervorheben möchte, ist nicht, daß Shakespeare den Wert des schönen Kostüms würdigte, weil er der Dichtung das malerische Element beigesellte, sondern, daß er einsah, wie wertvoll das Kostüm für die Erzeugung gewisser dramatischer Wirkungen ist. Bei vielen seiner Stücke – Maß für Maß, Wie es euch gefällt, Die beiden Edlen von Verona, Ende gut, alles gut, Cymbeline und anderen – hängt die Illusion von der Art der verschiedenen Kleidung ab, die die Helden oder Heldinnen tragen. Die köstliche Szene im Heinrich VI. verliert ihre ganze Pointe, wenn nicht Gloster in Schwarz und Rot erscheint; und das » dénoûment« der Lustigen Weiber von Windsor dreht sich um die Farbe des Gewandes, das Anne Page trägt. Für die Anwendung der Verkleidung sind die Beispiele fast ohne Zahl. Posthumus birgt seine Leidenschaft unter dem Kleide des Bauern, Edgar seinen Stolz unter den Lumpen des Irren; Portia trägt die Robe des Richters, Rosalinde das Gewand eines Mannes; der Mantelsack Pisanios verwandelt Imogen in den Jüngling Fidele; Jessica flieht aus ihres Vaters Hause in Knabenkleidern, und Julia bindet ihr blondes Haar in phantastischen Liebesknoten und legt Hose und Wams an; Heinrich VIII. wirbt um seine Herrin als Schäfer, Romeo als Pilger; Prinz Heinz und Poins erscheinen zuerst als Straßenräuber in steifem Leinen und später in weißen Schürzen und Lederjacken als Kellner in einer Schenke. Und Falstaff! Erscheint er nicht als Räuber, als altes Weib, als Herne der Jäger, als Wäsche, die auf die Wiese wandert? Auch die Beispiele für die Verwendung des Kostüms als Mittel, das Dramatische einer Situation zu verstärken, sind nicht weniger zahlreich. Nach der Ermordung Duncans tritt Macbeth im Nachtkleide auf, als sei er vom Schlafe emporgefahren; Timon endet in Lumpen und hatte im Glanze begonnen; Richard schmeichelt den Bürgern Londons, angetan mit gemeiner und niedriger Rüstung, und sobald er durch Blut zum Throne geschritten ist, zieht er mit Krone und Purpur durch die Straßen; der Höhepunkt des »Sturms« ist eingetreten, als Prospero sein Zauberergewand abwirft und Ariel entsendet, ihm Hut und Degen aus der Zelle zu holen; selbst der Geist im Hamlet ändert sein Gewand, um verschiedene Wirkung hervorzubringen. Ein moderner Stückeschreiber hätte vermutlich Julia in ihrem Leichentuche ausgestellt und so die Szene zu einer bloßen Szene des Schreckens gemacht; aber Shakespeare kleidet sie in reiche, glänzende Kleider, deren Schönheit das Grabgewölbe in eine Festhalle voller Licht, die Gruft in ein Brautgemach verwandelt, und das Stichwort, der Anlaß zu Romeos Rede vom Triumphe der Schönheit über den Tod wird.

Selbst die kleinsten Kleinigkeiten im Kostüm, wie die Farbe der Strümpfe eines Majordomus, das Muster im Sacktuch einer Frau, der Ärmel eines jungen Soldaten, die Hauben einer eleganten Dame, werden in Shakespeares Händen wichtig für die dramatische Entwickelung, und mitunter hängt an ihnen die Verwickelung eines ganzen Schauspiels. Mancher andere Dramatiker hat sich des Kostüms bedient, um gleich beim ersten Auftreten den Zuschauern den Charakter einer Person anzudeuten, doch kaum mit solchem Glanz, wie Shakespeare im Falle des Gecken Parolles, dessen Kleid übrigens nur ein Archäolog verstehen kann. Der Scherz, daß Herr und Diener auf offener Bühne die Kleidung wechseln, daß verschlagene Schiffer über die Verteilung eines Haufens schöner Gewänder zanken, daß ein betrunkener Kesselflicker wie ein Herzog verkleidet wird – das alles kann man als Glied in der Entwickelungskette ansehen, die die Anwendung des Kostüms in der Komödie von Aristophanes bis Gilbert darstellt; doch niemals hat jemand den bloßen Einzelheiten in Kleidung und Schmuck solche Ironie des Kontrastes, solche unmittelbare tragische Wirkung, so viel Schrecken und so viel Pathos entlockt, wie Shakespeare. Von Kopf zu Fuß bewaffnet, schreitet der tote König über die Zinnen von Elsinore, weil etwas faul im Staate Dänemark ist; Shylocks Rockelor ist ein Teil der Verachtung, unter welcher seine verwundete und verbitterte Seele sich windet; als Arthur um sein Leben fleht, da findet er keinen besseren Fürsprecher als das Tuch, das er Herbert gab:

Hast du das Herz? Als nur der Kopf dich schmerzte,
Da knüpfte ich mein Tuch um deine Braue,
(Es war mein bestes, einer Fürstin Gabe)
Und niemals forderte ich es zurück;

und Orlandos blutige Binde wirft den ersten finsteren Schatten in jenes köstliche Waldidyll und offenbart, welche tiefe Empfindung unter Rosalindens phantastischem Witz und mutwilligem Scherze ruht.

Es war an meinem Arm noch in der Nacht,
Ich küßt' es; wenn's nur nicht zu meinem Herrn,
Ihm zu erzählen, geht, ich küßte andre,
Als ihn,

sagt Imogen und scherzt über den Verlust des Armbandes, das schon nach Rom unterwegs war, um ihr ihres Gatten Treue zu rauben; der kleine Prinz spielt auf dem Wege zum Tower mit dem Dolch im Gürtel des Onkels; Duncan sendet der Lady Macbeth am Abend vor seiner Ermordung einen Ring, und Portias Ring wandelt die Tragödie des Kaufmanns in die Komödie eines Mädchens. York, der große Empörer, stirbt mit einer Krone von Papier auf seinem Haupte; Hamlets schwarzes Gewand ist ein Farbenmotiv im Stücke, wie die Trauer der Cimène im Cid, und der Höhepunkt in der Rede des Marc Anton ist der Moment, als er Caesars Gewand hervorzieht.

Ich erinnere
Das erste Mal, daß Caesar je ihn trug.
Ein Sommerabend war's – in seinem Zelt,
Am Tag, da er die Nervier überwand:
Seht her, hier fuhr des Cassius Dolch hinein:
Seht, welchen Riß der neidische Casca machte:
Hier stieß der vielgeliebte Brutus durch ...

Ihr treuen Seelen, was, ihr weint? und doch –
Ihr seht die Wunden nur in Caesars Kleid!

Die Blumen, die Ophelia in ihrem Wahnsinn trägt, reden mit solchem Pathos, wie die Veilchen, die auf einem Grabe blühen. Wenn Lear auf der Heide hinzieht, wird die Wirkung seines Auftretens zum Unsäglichen gesteigert durch den phantastischen Aufputz; und wenn Cloten, vom Hohne des Vergleichs getroffen, den Imogen zwischen ihm und ihres Gatten Kleidung zieht, sich mit der Kleidung eben dieses Gatten aufputzt, um an ihr die schmachvolle Tat zu begehen, dann fühlen wir, daß es im ganzen französischen Naturalismus, selbst in der Thérèse Raquin, jenem Meisterwerk des Entsetzlichen, nichts gibt, was an schrecklicher und tragischer Symbolik den Vergleich mit dieser Szene aus Cymbeline aushält.

Auch im Dialog selbst werden einige der lebendigsten Stellen durch das Kostüm angeregt. Rosalindens

»Meinst du, weil ich wie ein Mann ausgerüstet bin, ich trüge auch Wams und Hosen in meinem Charakter?«

Constantias

Der Gram füllt aus die Stelle meines Kindes
Und gibt den leeren Kleidern seine Form;

und der rasche, scharfe Schrei der Elisabeth –

Ah, durchschneidet meine Schnüre!

sind nur ein paar der vielen Beispiele, die man zitieren könnte.

Eine der schönsten Wirkungen, die ich je auf der Bühne sah, rief Salvini hervor, als er im letzten Akt des Lear die Feder von Kents Mütze riß, sie auf Cordelias Lippen legte und sprach:

Die Feder regt sich! Ja. Sie lebt.

Booth, dessen Lear manchen großen Moment der Leidenschaft hatte, riß aus seinem archäologisch-ungenauen Hermelin einige Haare zu diesem Zweck heraus; aber Salvinis Wirkung war schöner und wahrer. Und wer Irving im letzten Akt von Richard III. sah, wird sich erinnern, wie sehr die Qual und das Grauen seines Traumes durch die vorangehende Ruhe verstärkt wurde, und die Verse:

Nun, ist mein Sturmhut leichter denn zuvor?
Und alle Rüstung mir ins Zelt gelegt? ...
Daß meine Schäfte fest und nicht zu schwer sind –

hatten für den Hörer eine doppelte Bedeutung und erinnerten an die letzten Worte, die Richards Mutter ihm nachrief, als er nach Bosworth zog:

So nimm denn mit dir meinen schwersten Fluch,
Der an dem Tag der Schlacht dich mehr ermüde,
Als all die schwere Rüstung, die du trägst.

Was die Hilfsmittel angeht, die Shakespeare zur Verfügung standen, so beachte man, daß er sich zwar oft über die Kleinheit der Bühne beklagt, auf der er große historische Dramen zu spielen hat, und über den Mangel an Szenerie, die ihn zwang, manche wirkungsvollen Ereignisse fortzulassen, daß er aber immer wie ein Dramatiker schreibt, der eine große Theatergarderobe zur Verfügung hat und sich auf seine Schauspieler in betreff ihrer Ausstattung verlassen kann. Noch heute ist es schwer, ein Stück wie die Komödie der Irrungen aufzuführen; und nur dem seltsamen Zufall, daß der Bruder der Miss Ellen Terry ihr gleicht, verdanken wir es, daß wir »Wie es euch gefällt« in guter Aufführung sehen können. Um ein Stück Shakespeares auf die Bühne zu bringen, wie er es gewollt hat, braucht man tatsächlich die Dienste eines guten Kapitalisten, eines gescheiten Perückenmachers, eines Schneiders, der Sinn für Farben und Kenntnis in Geweben besitzt, eines gewandten Arrangeurs, eines Fechtmeisters, eines Tanzlehrers und eines Künstlers, der die ganze Aufführung persönlich leitet. Denn er schildert uns mit größter Sorgfalt Kleidung und Erscheinung eines jeden Charakters. August Vacquerie sagt an einer Stelle: »Racine abhorre la réalité; il ne daigne pas s'occuper de son costume. Si l'on s'en rapportait aux indications du poète, Agamemnon serait vêtu d'un scèptre et Achille d'une épée.« Bei Shakespeare ist es anders. Er gibt Anweisungen über das Kostüm der Perdita, Florizels, des Autolycus, der Hexen im Macbeth, des Apothekers in Romeo und Julia und eine genaue Beschreibung des ungewöhnlichen Gewandes, in welchem Petruchio zur Hochzeit geht. Rosalinde, so sagt er, soll groß sein und trägt einen Speer und einen kleinen Dolch; Silva ist kleiner und schminkt ihr Gesicht braun, so daß sie sonnenverbrannt aussieht. Die Kinder, die das Feenspiel im Windsor-Walde spielen, sollen in Weiß und Grün gekleidet sein – nebenbei bemerkt: ein Kompliment für die Königin Elisabeth, deren Lieblingsfarben es waren – und in Weiß mit grünen Kränzen und goldenen Masten sollen die Engel in Kimbolton zu Katharina kommen. Bottom erscheint im »Homespun«, Lysander unterscheidet sich von Oberon durch sein Athenisches Kleid, und Launce hat Löcher in seinen Stiefeln. Die Herzogin von Gloucester steht im weißen Tuch neben ihrem Gatten im Trauergewande. Das scheckige Kleid des Narren, der Purpur des Kardinals, die französischen Lilien auf den englischen Röcken, das alles gibt Anlaß zu Scherz oder Schimpf im Dialoge. Wir kennen die Ornamente auf der Rüstung des Dauphins und auf dem Schwert der Pucelle, den Helmbusch auf Warwicks Helm und die Farbe von Bardolphs Nase. Portia trägt goldenes Haar, Phoebe schwarzes; Orlando hat braune Locken, und Sir Andrew Aguecheeks Haar hängt wie Flachs auf einer Spindel und will nicht kraus werden. Einige seiner Gestalten sind dick, andere mager, einige gerade gewachsen, andere buckelig, einige blond, andere dunkel, und einige sollen ihr Gesicht schwärzen. Lear hat einen weißen Bart, Hamlets Vater einen grauen, und Benedict soll sich im Stücke rasieren lassen. Ja, über Bühnenbärte wird Shakespeare ganz ausführlich; er spricht von ihren vielen Farben und gibt den Schauspielern Anweisung, immer darauf zu achten, daß sie gut befestigt seien.

Dann kommen Tänze vor: Schnitter in Strohhüten, Bauern, wie Satyrn in Felle gekleidet, führen sie auf; Maskenscherze von Amazonen, von Russen, und solche in klassischen Kostümen; unsterbliche Szenen mit einem Weber, der eines Esels Kopf trägt; eine Rauferei wegen der Farbe eines Gewandes, und der Lord-Mayor muß kommen, sie zu schlichten; und schließlich eine Szene zwischen einem wütenden Ehemann und der Putzmacherin seiner Frau wegen eines geschlitzten Ärmels.

Die Metaphern, die Shakespeare von der Kleidung entlehnt und die Aphorismen darüber, seine Seitenhiebe gegen die Mode seiner Zeit, besonders gegen die lächerlich großen Hüte der Damen, die vielen Schilderungen des mundus muliebris, von dem Liede des Autolycus im Wintermärchen bis zu der Beschreibung des Gewandes der Herzogin von Mailand in Viel Lärm um Nichts, das alles kommt viel zu häufig vor, um es zu zitieren. Doch ist es vielleicht angebracht, daran zu erinnern, daß die ganze Philosophie der Kleidung in Lears Szene mit Edgar enthalten ist, und diese Stelle hat vor der grotesken Weisheit und etwas geschwollenen Metaphysik des »Sartor resartus« den Vorzug der Kürze und des Stils. Doch ich denke, was ich gesagt habe, genügt, um zu beweisen, daß Shakespeare sich sehr viel um das Kostüm kümmerte. Ich meine das nicht in jenem oberflächlichen Sinne, in dem man aus seiner Kenntnis von Akten und Asphodills geschlossen hat, daß er der Blackstone und Paxton seiner Zeit war; aber er wußte, daß das Kostüm zugleich bestimmte Eindrücke beim Zuschauer hervorrufen kann und bestimmte Charaktere bezeichnen, und daß es ein wesentliches Kunstmittel für den wahren Illusionisten ist. Ihm war die verwachsene Gestalt Richards ebenso wertvoll wie die Schönheit der Julia; er stellt den Radikalen in seinem Kittel neben den Lord in seiner Seide und erkennt die Bühnenwirkungen, die er aus beiden ziehen kann. Ihn interessiert Caliban nicht weniger als Ariel, Lumpen interessieren ihn nicht weniger als goldgestickte Gewänder, und er weiß um die künstlerische Schönheit des Häßlichen.

Der Anstoß, den Ducis bei der Übertragung des Othello an der wichtigen Rolle eines so gewöhnlichen Dinges, wie es ein Taschentuch ist, nahm, und sein Versuch, seine Stärke zu verringern, indem er den Mohren immer wieder ausrufen ließ: » Le bandeau! le bandeau!« kann den Unterschied zwischen » la tragédie philosophique« und dem Drama des wirklichen Lebens beleuchten; und die erste Einführung des Wortes » mouchoir« am Théâtre Français machte Epoche in jener romantisch-naturalistischen Bewegung, deren Vater Victor Hugo und deren enfant terrible Zola ist, ebenso wie im Anfang des Jahrhunderts der Klassizismus seinen stärksten Ausdruck fand, als Talma sich weigerte, hinfort griechische Helden in gepuderter Perücke zu spielen. Das ist übrigens eins der vielen Beispiele dafür, wie die großen Schauspieler unseres Jahrhunderts nach archäologischer Genauigkeit im Kostüm strebten.

Als Théophile Gautier über die Rolle sprach, die das Geld in der » Comédie Humaine« spielte, sagte er, Balzac gebühre der Ruhm, der Dichtung einen neuen Helden gewonnen zu haben, » le héros métallique«. Von Shakespeare kann man sagen, er sei der erste gewesen, der den dramatischen Wert von Wämsern erkannte und der gesehen habe, daß eine Peripetie von einem Reifrock abhängen könne. Leider hat uns der Brand des Globe-Theatre – der übrigens durch die Leidenschaft für Illusion verursacht wurde, welche Shakespeares Bühnen-Anweisungen auszeichnet – mancher wichtigen Dokumente beraubt; doch in dem noch vorhandenen Inventar der Garderobe eines Londoner Theaters jener Zeit werden besondere Kostüme für Kardinäle, Schäfer, Könige, Clowns, Mönche und Narren erwähnt; grüne Gewänder für Robin Hoods Leute und ein grünes Kleid für Maid Marian; ein weiß und gold gesticktes Gewand für Heinrich V. und eine Robe für Longshanks; außerdem Überwürfe, Chorröcke, Damastkleider, Kleider aus Goldtuch und Kleider aus Silbertuch, Taffet- und Kalikogewänder, Sammet-, Seiden-, Friesjacken, Wämser aus gelbem und schwarzem Leder, rote, graue, französische Pierrot-Kostüme, ein Kleid » for to go invisibel«, – das für 70 Mark nicht zu teuer ist – und das alles zeigt den Wunsch, jedem Charakter sein passendes Kleid zu geben. Da sind auch spanische, maurische, dänische Kostüme gebucht, Helme, Lanzen, gemalte Schilder, Kaiserkronen, päpstliche Tiaren, Kleider für türkische Janitscharen, römische Senatoren und alle Götter und Göttinnen des Olymp, die das eifrige archäologische Studium des Theaterunternehmers bezeugen. Allerdings wird auch eine Schnürbrust für Eva erwähnt, doch spielte die Szene wahrscheinlich nach dem Sündenfall.

Jeder, der Shakespeares Zeit studiert, wird finden, daß die Archäologie eines ihrer Merkzeichen war. Nach jenem Wiederaufleben der klassischen Architekturformen, das die Renaissance auszeichnete, und nachdem man begonnen hatte, in Venedig und anderswo die Musterwerke griechischer und lateinischer Literatur zu drucken, kam natürlich auch das Interesse an der Ornamentik und dem Kostüm der alten Welt. Und die Künste studierten sie nicht um des Wissens willen, das sie erwarben, sondern um der Schönheit willen, die sie schaffen wollten. Man ließ die seltenen Werke, die immerfort in den Ausgrabungen zu Tage kamen, nicht in Museen verbröckeln, damit sie ein stumpfer Custode betrachte oder ein Polizist, den die Langeweile sticht, weil kein Verbrechen begangen wird. Man benutzte sie als Motive für eine neue Kunst, die nicht nur schön sein sollte, sondern auch fremdartig.

Infessura erzählt, als einige Arbeiter im Jahre 1485 auf der Appischen Straße einen alten Sarkophag mit der Inschrift: Julia, Tochter des Claudius, entdeckten, fanden sie nach der Öffnung in seinem Marmorleib die Leiche eines schönen Mädchens von 15 Jahren, die die Kunst des Einbalsamierens vor Verwesung und vor dem Verfall der Zeiten bewahrt hatte. Ihre Augen waren halb geöffnet, ihr Haar umgab sie mit krausen Locken, und von ihren Lippen und Wangen war der Blütenhauch des Mädchentums noch nicht entflohen. Man trug sie aufs Kapitol, sie ward der Gegenstand eines neuen Kultes, und von allen Seiten der Stadt strömten die Pilger herbei, an dem wunderbaren Schreine zu beten, bis schließlich der Papst fürchtete, diejenigen, die im heidnischen Grabe das Geheimnis der Schönheit gefunden hätten, möchten vergessen, welche Geheimnisse Judaeas rauhes Felsengrab umschlösse; und so ließ er bei Nacht den Leichnam entfernen und heimlich begraben. Mag die Erzählung immerhin eine Legende sein, sie zeigt trotzdem die Stellung jener Zeit der antiken Welt gegenüber. Ihnen war die Archäologie keine bloße Wissenschaft des Antiquars; sie war ein Mittel, den trockenen Staub des Altertums in den Atem und die Schönheit des Lebens zu heben und mit dem neuen Wein der Romantik Schläuche zu füllen, die sonst alt und verschlissen gewesen wären. Man kann die Spuren dieses Geistes verfolgen, von Niccola Pisanos Pult bis zu Mantegnas Triumph des Caesar; und er beschränkte sich nicht auf die unbeweglichen Künste – die Künste des versteinerten Augenblicks – sondern sein Einfluß zeigt sich auch in den großen griechisch-römischen Maskenfesten, die die beständige Unterhaltung der fröhlichen Fürstenhöfe jener Zeit bildeten, und er zeigt sich in den Aufzügen und Prozessionen, mit denen die Bürger großer Handelsstädte die Fürsten begrüßten, die zu ihnen kamen. Solche Festzüge hielt man – nebenbei bemerkt – für so wichtige Ereignisse, daß man große Druckwerke über sie herstellte und veröffentlichte; und diese Tatsache zeigt, wie allgemein jene Zeit an solchen Dingen Anteil nahm.

Und diese Anwendung der Archäologie bei Darstellungen ist keineswegs das Zeichen eines Zeitalters unselbständiger Pedanterie, sondern in jeder Hinsicht gerechtfertigt und schön. Denn die Bühne ist nicht nur der Sammelplatz aller Künste, sondern auch die Rückkehr der Kunst zum Leben. In archäologischen Romanen scheint es bisweilen, als versteckten seltene und veraltete Worte die Wirklichkeit hinter dem Wissen, und ich glaube, daß mancher Leser von » Notre Dame de Paris« sich über die Bedeutung von Worten wie la casaque à mahoitres, les voulgiers, le gallimard taché d'encre, les craaquiniers und ähnlichen den Kopf zerbrochen hat; doch auf der Bühne ist das anders! Die alte Welt erwacht aus ihrem Schlaf, und die Geschichte bewegt sich in langem Zuge vor uns vorüber und zwingt uns nicht erst, unseren Genuß durch ein Lexikon oder eine Encyklopädie vollkommen zu machen. Ja, das Publikum braucht nicht einmal die Gewährsmänner für die Inszenierung eines Stückes zu kennen. Symonds spricht einmal von einem großen Bilde Mantegnas und sagt, der Künstler habe ein gelehrtes Motiv in ein Thema von Linienmelodien aufgelöst. Das gleiche kann man von der Bühne sagen. Nur die Toren nennen das Pedanterie, nur, wer weder sehen noch hören kann, behauptet, die Leidenschaft eines Stückes werde durch seine Dekorationen zerstört.

Und die Archäologie ist wirklich nur dann reizvoll, wenn sie in irgendeine Kunstform einfließt. Ich will die Dienste arbeitsamer Gelehrten nicht unterschätzen, aber ich empfinde den Gebrauch, den Keats von Lemprières Diktionär machte, als weit wertvoller, als Max Müllers Kritik, in der er jenes Buch als eine Krankheit der Sprache bezeichnet. Mir ist der »Endymion« lieber als irgend welche Theorie. Und wer empfände nicht, daß ein Hauptverdienst des Piranesischen Werkes über Vasen das ist, Keats die Anregung zu seiner »Ode auf eine griechische Urne« gegeben zu haben.

Die Kunst und nur die Kunst kann das Wissen um alte Dinge schön machen; und die Kunst auf dem Theater kann es in unmittelbarster und lebendigster Weise benutzen, denn sie kann in einer ausgezeichneten Vorstellung die Illusion des wirklichen Lebens mit den Wundern der unwirklichen Welt verbinden. Aber das 16. Jahrhundert war nicht nur die Zeit des Vitruv, sondern auch die Zeit Vecellios. Jede Nation gewann plötzlich Interesse am Kostüm ihrer Nachbarn. Im Anfang des Jahrhunderts erreichte die Nürnberger Chronik mit 2000 Illustrationen ihre 5. Auflage, und ehe das Jahrhundert zu Ende ging, waren 17 Auflagen von Münsters Kosmographie gedruckt. Außer diesen beiden Büchern gab es noch die Werke von Michael Colyns, Hans Weigel, Amman und Vecellio selbst; alle waren illustriert, und einige der Zeichnungen im Vecellio stammten wahrscheinlich sogar von der Hand Tizians. Und nicht nur aus Büchern und Abhandlungen holten sie ihre Kenntnis. Die sich entwickelnde Gewohnheit, im Ausland zu reisen, der steigende Handelsverkehr zwischen den Ländern und die Häufigkeit diplomatischer Missionen gaben jeder Nation mannigfaltige Gelegenheiten, die verschiedenen zeitgenössischen Trachten zu studieren. Als zum Beispiel die Gesandten des Zaren, des Sultans, des Fürsten von Marokko England verließen, gaben Heinrich VIII. und seine Freunde verschiedentlich Maskenfeste in den seltsamen Trachten ihrer Besucher. Später sah London – vielleicht zu oft – den düsteren Glanz des spanischen Hofes, und aus allen Ländern kamen zu Elisabeth Gesandte, deren Kleidung, wie Shakespeare sagt, starken Einfluß auf das englische Kostüm gewann.

Aber das Interesse begrenzt sich nicht auf das Altertum oder auf fremde Nationen; man untersuchte auch eifrigst – namentlich, wer mit dem Theater in Verbindung stand – die alten englischen Trachten; und wenn Shakespeare im Prolog eines seiner Stücke sein Bedauern darüber ausspricht, daß es ihm nicht gelungen sei, sich Helme aus jener Zeit zu verschaffen, so spricht er nicht nur als Dichter, sondern als Theaterunternehmer der Elisabethanischen Zeit. In Cambridge wurde zum Beispiel zu seiner Zeit eine Aufführung Richards III. veranstaltet, bei welcher die Schauspieler in wirklichen Kostümen jener Zeit spielten, die aus der großen Sammlung historischer Trachten im Tower herbeigeschafft wurden. Diese Sammlung war den Unternehmern zum Studium jederzeit zugänglich und wurde ihnen bisweilen zur Verfügung gestellt.

Was nützt auch die Archäologie, welche die Kritiker so sehr entsetzt, der Bühne, wenn sie uns nicht den Aufbau und Aufputz liefern soll, der der Zeit entspricht, in welcher das Stück spielt? Sie macht es uns möglich, einen Griechen wie einen Griechen, einen Italiener wie einen Italiener angezogen zu sehen; die Säulenhalle Venedigs, die Balkone Veronas zu bewundern; und wenn das Stück von einer der großen Epochen der Geschichte unseres Vaterlandes handelt, die Zeit in ihrem eigenen Gewande, den König in dem Kleide, in dem er lebte, zu betrachten. Ich verstehe es, wenn man die Archäologie wegen ihres extremen Naturalismus angreift, aber man verfehlt das Ziel weit, wenn man sie als pedantisch angreift. Doch sie überhaupt anzugreifen, ist töricht; man könnte ebensogut vom Äquator verächtlich reden. Denn die Archäologie ist eine Wissenschaft und also weder gut noch böse, sondern einfach eine Tatsache. Ihr Wert hängt davon ab, wie man sie benutzt, und nur der Künstler kann sie benutzen. Der Archäolog liefert den Stoff, der Künstler die Form.

Wenn ein Künstler die Szenerie und das Kostüm für ein Shakespearesches Stück entwirft, so muß er es zuerst so genau wie möglich datieren. Er muß das weit mehr auf Grund des allgemeinen Geistes des Stückes tun, als auf Grund einzelner historischer Beziehungen, die es enthalten mag. Hamlet wird zum Beispiel meistens in viel zu frühe Zeit gelegt. Hamlet ist wesentlich ein Gelehrter zur Zeit der Wiederbelebung der Wissenschaften; und wenn auch die Anspielung auf den kurz vorangegangenen Einfall der Dänen in England das Stück ins 9. Jahrhundert zurückstellt, so spricht der Gebrauch von Rappieren für eine viel spätere Zeit. Hat man aber das Datum bestimmt, so muß der Archäolog die Tatsachen liefern, die der Künstler zu Wirkungen verarbeitet.

Man hat wohl gesagt, die Anachronismen in den Stücken selbst zeigten, wie gleichgültig Shakespeare gegen jede Art von historischer Genauigkeit gewesen sei, und man hat aus Hektors indiskreter Nennung des Aristoteles viel Kapital geschlagen. Andererseits sind jedoch die Anachronismen keineswegs zahlreich und unwichtig, und hätte ein anderer Künstler Shakespeare auf sie aufmerksam gemacht, so hätte er sie vermutlich verbessert. Denn wenn sie auch keine Flecke sind, so kann man sie doch kaum zu den großen Schönheiten seiner Werke zählen; oder, wenn man es doch will, so kann man nur dann auf ihren anachronistischen Reiz Gewicht legen, wenn man die Stücke ihrem richtigen Datum entsprechend inszeniert. Wenn man jedoch Shakespeares Stücke als Gesamtheit betrachtet, so fällt als wirklich bemerkenswert vor allem die große Treue und Echtheit ihrer Gestalten und Verwicklungen auf. Viele seiner »dramatis personae« sind Leute, die wirklich gelebt haben, und einzelne hätte ein Teil seiner Zuhörerschaft noch damals im wirklichen Leben sehen können. Ja, der heftigste Angriff, der zu seiner Zeit gegen Shakespeare gerichtet wurde, war der, Lord Cobham karikiert zu haben. Seine Handlungen entnimmt Shakespeare entweder der wirklichen Geschichte oder alten Balladen und Überlieferungen, die für die Elisabethanische Zeit den Wert von Geschichte hatte, und die selbst heute noch kein wissenschaftlicher Historiker als geradezu unwahr beiseite schieben würde. Und er wählt nicht nur Tatsachen als Basis für seine Dichtung, sondern er gibt auch jedem Stück den Gesamtcharakter, die soziale Atmosphäre der betreffenden Zeit. Nur, weil er einsah, daß die Dummheit eine der unveränderlichen Eigenschaften aller europäischen Zivilisation ist, macht er keinen Unterschied zwischen dem Londoner Pöbel seiner Zeit und dem römischen Pöbel heidnischer Tage, zwischen einem albernen Wächter in Messina und einem albernen Friedensrichter in Windsor. Doch sobald er es mit höheren Charakteren zu tun hat, gibt er ihnen Stempel und Siegel ihrer Zeit. Virgilia ist eine jener Römerinnen, auf deren Grabe zu lesen stand: Domi mansit, lanam fecit, so gut Julia das romantische Mädchen der Renaissance ist. Er hält sich sogar an die Rasseeigentümlichkeiten. Hamlet hat alle Einbildungskraft und alle Unentschlossenheit nordischer Völker, und die Prinzessin Katharina ist so französisch wie die Helden von »Divorçons«. Heinrich V. ist ein echter Engländer, Othello ein echter Mohr.

Und wenn Shakespeare Englands Geschichte vom 14. bis 16. Jahrhundert behandelt, so ist er ängstlich besorgt, daß alle Tatsachen richtig sind – ja, er folgt Holinshed mit überraschender Treue.

Die unaufhörlichen Kriege zwischen Frankreich und England werden mit außerordentlicher Genauigkeit beschrieben – bis zu den Namen belagerter Städte, den Häfen, in denen man landete und wo man sich einschiffte, den Orten und Daten der Schlachten, den Titeln der Führer auf beiden Seiten und den Listen der Toten und Verwundeten. Bei den Bürgerkriegen der weißen und roten Rose gibt er uns genaue Stammbäume der sieben Söhne Eduards III.; er bespricht mit großer Ausführlichkeit die Ansprüche der streitenden Häuser York und Lancaster auf den Thron; und wenn die englische Aristokratie Shakespeare als Dichter nicht lesen wollte, könnte sie ihn als eine Art früher Adelsliste lesen. Es gibt kaum einen Titel im Oberhause, der nicht bei Shakespeare mit vielen Einzelheiten der Familiengeschichte – glaublichen und unglaublichen – vorkäme. Ja, wäre es nötig, daß die Schulkinder alles über die Rosenkriege wüßten, sie könnten ihre Aufgaben so gut aus Shakespeare lernen, wie aus Schulbüchern, und so wäre es – das brauche ich kaum zu sagen – viel unterhaltender. Selbst zu Shakespeares Zeit wurde der Nutzen seiner Stücke anerkannt. Die Historien lehren die Leute Geschichte, die sie nicht in Chroniken lesen können, sagt Heywood in einer Abhandlung über die Bühne, und doch bin ich überzeugt, daß Chroniken des 16. Jahrhunderts weit reizvoller zu lesen waren als Schulbücher des 19. Jahrhunderts.

Natürlich hängt der künstlerische Wert der Stücke Shakespeares nicht im geringsten von ihren Tatsachen ab, sondern von ihrer Wahrheit, und die Wahrheit ist immer von Tatsachen unabhängig und erfindet oder wählt sie nach Belieben. Aber Shakespeares Art, Tatsachen zu benutzen, ist ein höchst interessanter Teil seiner Methode zu arbeiten und zeigt uns seine Stellung der Bühne gegenüber und sein Verhältnis zur großen Kunst der Illusion. Er würde sicher sehr erstaunt gewesen sein, hätte jemand seine Stücke mit Feenmärchen auf eine Stufe gestellt, wie es Lord Lytton tut; denn eines seiner Ziele war, England ein nationales, historisches Drama zu geben, das Ereignisse behandelte, die der Hörer kannte, und Helden, die im Gedächtnis des Volkes lebten. Ich brauche kaum zu sagen, daß die Vaterlandsliebe ein notwendiges Erfordernis der Kunst ist; denn sie bedeutet für den Künstler den Ersatz des individuellen Fühlens durch ein allgemeines und für das Publikum die Darbietung eines Kunstwerks in der anziehendsten und populärsten Gestalt. Man beachte, daß der erste und der letzte Erfolg Shakespeares beides historische Stücke waren.

Man könnte fragen, was dies alles mit Shakespeares Meinung über das Kostüm zu tun hat. Ich antworte: ein Dramatiker, der so viel Wert auf die Richtigkeit der Tatsachen legt, wird die Richtigkeit des Kostüms als einen wichtigen Faktor seiner illusionistischen Methode begrüßen. Und ich zweifle nicht, daß Shakespeare es tat. Die Bezugnahme auf die Helme der Zeit Heinrichs V. im Prolog jenes Stückes mag man als dichterisches Bild bezeichnen, obgleich Shakespeare oft genug

den einen Helm,
der einst die Luft bei Azincourt erschreckte,

dort gesehen haben mag, wo er noch in der dunklen Halle der Westminster-Abtei hängt, zusammen mit dem Sattel jenes »Sohns des Ruhmes« und dem streifigen Schild mit seinem zerfetzten blauen Sammetfutter und seinen erblindeten Goldlilien; aber die Anwendung von Waffenröcken in Heinrich VI. ist lediglich aus der Archäologie zu erklären, da sie im 16. Jahrhundert nicht gebraucht wurden, und des Königs Waffenrock war noch zu Shakespeares Zeit über seinem Grabe in Windsor aufgehängt. Denn bis zu dem unglücklichen Sieg der Philister im Jahre 1645 waren die Kapellen und Dome Englands die großen archäologischen Nationalmuseen, und man bewahrte in ihnen die Rüstungen und Gewänder der Helden der englischen Geschichte auf. Vieles wurde natürlich im Tower verwahrt, und schon zur Zeit der Elisabeth zeigte man den Reisenden seltsame Reliquien der Vergangenheit; aber die Kathedralen und Kirchen wählte man meistens, weil sie als die passendsten Schreine zur Aufnahme historischer Altertümer erschienen. Noch zeigt uns Canterbury den Helm des schwarzen Prinzen, Westminster die Gewänder englischer Könige, und in St. Paul hing Richmond selbst das Banner auf, das über den Feldern von Bosworth geweht hatte.

Tatsächlich sah Shakespeare, wohin er sich auch in London wandte, die Ausstattungen und Einrichtungen vergangener Zeiten, und ohne Zweifel benutzte er diese Gelegenheiten. Lanzen und Schild werden z. B. bei ihm im offenen Kriege sehr häufig angewendet, und er kennt diesen Gebrauch aus der Archäologie, nicht aus der militärischen Ausrüstung seiner Tage. Auch die Rüstung gehörte nicht mehr zur Ausstattung des Soldaten in seiner Zeit; sie war schnell vor den Feuerwaffen verschwunden. Der Helmschmuck Warwicks, der in Heinrich IV. eine so bedeutende Rolle spielt, ist zwar ganz korrekt in einem Stück, das im 15. Jahrhundert spielt, als man ihn allgemein trug, aber in einem Stück, das in Shakespeares Zeit spielte, wäre er es nicht mehr gewesen; denn damals war ein Federschmuck an seine Stelle getreten, und wie Shakespeare uns in Heinrich VIII. sagt, war diese Sitte von Frankreich übernommen. Also können wir sicher sein, daß in den historischen Stücken die Archäologie ihre Rolle spielte, und ich zweifle nicht, daß es in den anderen ebenso war. Jupiter erscheint auf seinem Adler, mit dem Donnerkeil in der Hand, Juno mit ihren Pfauen, Iris mit ihrem vielfarbenen Bogen; das Amazonenfest zeigt archäologische Studien und ebenso der Traum, den Posthumus im Gefängnis des Sicilius Leonatus träumt: »ein alter Mann, wie ein Krieger gekleidet, führt eine Matrone«. Von dem athenischen Gewande, das Lysander von Oberon unterscheidet, sprach ich schon; doch eins der bemerkenswertesten Beispiele ist die Kleidung des Coriolan; hier stützt sich Shakespeare direkt auf Plutarch. Dieser Historiker spricht in der Lebensbeschreibung des großen Römers von dem Eichenkranz, mit dem Caius Marcius gekrönt wurde, und von dem seltsamen Gewande, in welchem er, alter Sitte gemäß, die Wähler für sich gewinnen muß; beide Male läßt er sich in lange Untersuchungen ein, um den Ursprung und die Bedeutung der alten Sitten zu finden. Shakespeare nimmt als ein wahrer Künstler die Tatsachen, die den Notizen des Gelehrten zugrunde liegen, an und benutzt sie zu dramatischen und malerischen Wirkungen; das Kleid der Niedrigkeit wird zum Angelpunkt des ganzen Stückes. Ich könnte noch andere Fälle anführen, aber dieser eine genügt für meine Zwecke; jedenfalls zeigt er, daß wir nur Shakespeares eigenen Wunsch und Willen ausführen, wenn wir ein Stück genau nach seiner Zeit inszenieren und uns dabei an die besten Quellen wenden.

Doch auch wenn es nicht so wäre: Wir hätten nicht mehr Grund, irgendwelche Unvollkommenheiten, die Shakespeares Inszenierung aufwies, fortbestehen zu lassen, oder auf die Vorteile der veränderlichen Szene zu verzichten. Ein großes dramatisches Kunstwerk soll nicht nur durch den Schauspieler moderne Leidenschaften ausdrücken, sondern auch in einer Gestalt auftreten, die dem modernen Empfinden so sehr wie möglich entspricht. Racine stellte seine Römerstücke im Gewande der Zeit Ludwigs XIV. auf eine Bühne, auf der die Zuschauer saßen; aber wir verlangen es anders, um seine Kunst zu genießen. Wir brauchen Genauigkeit bis ins einzelne, um vollkommene Illusionen zu erzielen. Worauf wir achten müssen, ist nur das, daß die Nebensache nicht zur Hauptsache wird. Sie muß sich dem Gesamtinhalt des Stückes unterordnen. Aber Unterordnung heißt in der Kunst nicht Mißachtung der Wahrheit; Unterordnung verlangen heißt: verlangen, daß Tatsachen in Wirkungen verwandelt werden, und daß jeder Einzelheit ihre eigene Stelle angewiesen wird. Hugo sagt: Les petits détails d'histoire et de vie domestique doivent être scrupuleusement étudiés et reproduits par le poète, mais uniquement comme les moyens d'accroître la réalité de l'ensemble, et de faire pénétrer jusque dans les coins les plus obscurs de l'œuvre cette vie générale et puissante au milieu de laquelle les personnages sont plus vrais, et les catastrophes, par conséquent, plus poignantes. Tout doit être subordonné à ce but. L'homme sur le premier plan, le reste au fond.

Die Stelle ist wichtig, weil sie von dem ersten französischen Dramatiker stammt, der die Archäologie auf der Bühne anwandte, und dessen Stücke, trotz ihrer Genauigkeit im einzelnen, allen wegen ihrer Leidenschaft, nicht wegen ihrer Pedanterie, wegen ihres Lebens, nicht wegen ihrer Gelehrtheit bekannt sind. Freilich hat er Konzessionen gemacht, wo es sich um seltene oder seltsame Werke handelte. Ruy Blas spricht von M. de Priego als einem » sujet du roi« statt als » noble du roi«, und Angelo Malipieri von » la croix rouge« statt von » la croix de gueules«. Doch er macht diese Konzessionen dem Publikum, oder besser einem Teil des Publikums. »J'en offre ici toutes mes excuses aux spectateurs intelligents,« sagt er in einer Note zu den Stücken: »espérons qu'un jour un seigneur vénitien pourra dire tout bonnement sans péril son blason sur le théatre. C'est un progrès qui viendra.« Man könnte einwenden, das Publikum bemerke solche Mängel gar nicht; aber man sollte nicht vergessen, daß die Kunst kein anderes Ziel hat als das ihrer eigenen Vervollkommnung, und daß sie nur nach eigenen Gesetzen vorgeht: Hamlet lobt das Stück sehr, das »Caviar fürs Arolk« ist. Übrigens hat in England das Publikum eine große Wandlung durchgemacht; man würdigt heute die Schönheit in ganz anderem Maße, als noch vor wenigen Jahren; und wenn man auch die Quellen und archäologischen Daten des Dargestellten nicht kennt, so genießt man doch, was geboten wird, wenn es nur schön ist. Und darauf kommt es an. Es ist wichtiger, daß jemand sich an einer Rosenblüte freut, als daß er ihre Wurzel unter das Mikroskop bringt. Archäologische Genauigkeit ist nur eine Vorbedingung für die illusionistische Wirkung; sie ist an sich nichts Wesentliches. Lord Lyttons Vorschlag, die Kostüme sollten schön sein, ohne historisch genau zu sein, beruht auf einem Mißverständnis der Natur des Kostüms und seines Wertes für die Bühne. Dieser Wert ist ein zwiefacher: ein malerischer und ein dramatischer; jener beruht auf der Farbe, dieser auf Schnitt und Eigenart. Aber die beiden sind so miteinander verwoben, daß die Bühne sich jedesmal, wenn man in unseren Tagen die historische Genauigkeit außer acht ließ, in jenes Chaos von Kostümen, jene Karikatur der Jahrhunderte verwandelte, die der Ruin jeder malerischen und dramatischen Wirkung war. Denn das Kostüm einer Zeit stimmt künstlerisch nicht mit dem einer anderen; und für die dramatische Wirkung heißt die Kostüme verwirren, das Stück verwirren. Das Kostüm unterliegt dem Gesetz der Entwickelung und ist ein wichtiges, vielleicht das wichtigste Zeichen für die Sitten und Gewohnheiten, für die Lebensart eines jeden Jahrhunderts.

Die puritanische Verachtung der Farbe, des Schmuckes und der Anmut im Auftreten war ein Teil der Empörung der mittleren Klassen gegen die Schönheit im 17. Jahrhundert. Ein Historiker, der das außer acht ließe, würde uns ein höchst ungenaues Bild der Zeit geben, und ein Dramatiker, der diesen Zug nicht benutzte, würde auf ein wichtiges Element zur Hervorrufung illusionistischer Wirkung verzichten. Die weichlich-weibischen Gewänder Richards II. waren ein beständiges Thema zeitgenössischer Autoren. Shakespeare, der 200 Jahre später schrieb, läßt des Königs Vorliebe für schöne Erscheinung und fremde Moden eine Rolle im Stücke spielen – man denke an John of Gaunts Vorwürfe und Richards eigene Worte bei der Absetzung im 3. Akt. Und daß Shakespeare Richards Grab in der Westminster-Abtei kannte, geht aus Yorks Worten hervor:

Seht, König Richard selbst erscheint dort oben,
So wie errötend, mißvergnügt, im Osten
Die Sonne aus der Flammenpforte tritt,
Wenn neidische Wolken ihre Glorie
Verdunkeln wollen.

Denn wir können noch auf dem Gewande des Königs sein Lieblingszeichen sehen: die Sonne, die aus den Wolken hervorbricht. Tatsächlich prägen sich die sozialen Zustände jeder Zeit so sehr im Kostüm aus, daß die Aufführung eines Stückes, das im 16. Jahrhundert spielt, in den Kostümen des 14. Jahrhunderts wirkungslos wäre, weil sie unwahr ist. Und, ist die Schönheit für die Bühne wichtig, so ist die höchste Schönheit nicht nur mit der Genauigkeit im einzelnen vereinbar, sondern geradezu von ihr abhängig. Ein ganz neues Kostüm zu erfinden, geht nur in der Farce oder Burleske an, und es wäre ein gefährliches Experiment, wollte man die Kostüme verschiedener Jahrhunderte vereinigen. Shakespeares Meinung über eine solche Vermischung geht klar genug aus seinem unaufhörlichen Spott über die »Dandies« seiner Zeit hervor, die da glaubten, sie seien schön gekleidet, weil sie ihre Jacken in Italien, ihre Hüte in Deutschland und ihre Hosen in Frankreich kauften. Man dürfte bemerkt haben, daß die schönsten Szenenwirkungen auf unseren Bühnen erzielt wurden, wenn man mit möglichster historischer Genauigkeit vorging. Außerdem aber – und das ist die beste Entgegnung auf Lord Lyttons Theorie – darf man nie vergessen, daß weder im Kostüm noch im Dialog die Schönheit das letzte Ziel des Dramatikers ist. Dem wahren Dramatiker kommt es zunächst auf das Charakteristische an, und ihm liegt so wenig daran, daß alle seine Personen schön gekleidet sind, wie daran, daß sie alle schöne Charaktere sind oder alle in schönen Worten reden. Denn der wahre Dramatiker zeigt uns das Leben unter den Formen der Kunst, nicht die Kunst in der Form des Lebens. Die griechische Kleidung war eine der schönsten, die die Welt gesehen hat, und die englische Kleidung des letzten Jahrhunderts eine der scheußlichsten; aber darum können wir ein Stück von Sheridan nicht wie ein Stück von Sophokles inszenieren. Denn, wie Polonius in seinem ausgezeichneten Vortrag, dem ich mich hier mit Vergnügen zu Dank verpflichtet bekenne, sagt: eins der ersten Erfordernisse der Kleidung ist, daß sie etwas ausdrückt. Und die manierierte Kleidung des letzten Jahrhunderts war höchst bezeichnend für eine Gesellschaft mit manierierten Formen und manierierter Unterhaltung; und der realistische Dramatiker wird diese Eigentümlichkeiten bis in die kleinsten Einzelheiten ausschöpfen. Archäologische Studien geben ihm das Material.

Doch es genügt nicht, daß ein Gewand historisch genau ist; es muß auch der Gestalt und Erscheinung des Schauspielers, seiner jeweiligen Stellung und seiner Rolle im Stück entsprechen. Und es genügt auch nicht, daß die Kostüme historisch genau angemessen und schön sind; die Schönheit muß auf der ganzen Bühne herrschen, und so hinge der Hintergrund von einem Künstler gezeichnet wird, und die Gestalten des Vordergrundes unabhängig von einem andern entworfen werden, liegt die Gefahr nahe, daß der Szene als Ganzem die Harmonie fehlt. Für jede Szene sollte das Farbenschema so genau ausgearbeitet werden, wie etwa für die Einrichtung eines Zimmers; man sollte die vorgeschlagenen Stoffe in jeder möglichen Mischung zusammenbringen, und was nicht hineinpaßt, sollte man beseitigen. Was einzelne Farben betrifft, so macht man die Szene oft zu blendend, zum Teil, weil man ein brennendes Blau-Rot zu viel verwendet, zum Teil, weil die Kostüme stets zu neu aussehen. Die Nachlässigkeit, die heute in den niederen Klassen oft nichts anderes bedeutet, als ein Streben nach Haltung, ist künstlerisch nicht ohne Wert, und moderne Farben sehen oft viel besser aus, wenn sie ein wenig verblaßt sind. Auch blau wird zu oft angewendet; es ist bei Gasbeleuchtung immer eine gefährliche Farbe, aber in England bekommt man kaum ein wirklich gutes Blau. Das schöne, vielbewunderte chinesische Blau braucht zwei Jahre, um zu färben, und das Publikum wartet nicht so lange. Pfauenblau ist auf der Bühne mit großem Erfolg angewendet worden; aber alle Versuche, ein gutes helles oder ganz dunkles Blau zu finden, sind fehlgeschlagen. Der Wert der schwarzen Farbe wird kaum gewürdigt; Irving gebrauchte sie im Hamlet wirkungsvoll als Mittelpunkt der Szene, aber ihre Wichtigkeit für die reliefartige Hebung des Ganzen, gleichsam ihre Neutralität ist nicht genügend anerkannt. Das ist seltsam genug, wenn wir ihre allgemeine Verwendung für unsere Kleidung berücksichtigen; denn, wie Baudelaire sagt: »nous célébrons tous quelque enterrement«. Der Archäolog der Zukunft wird wahrscheinlich unsere Zeit als eine Zeit ansehen, in der man die Schönheit des Schwarzen verstand; aber ich glaube kaum, daß das richtig ist, wenigstens, wenn wir unsere Szenen- und Zimmerdekorationen betrachten. Seine dekorative Kraft ist natürlich die gleiche wie die von Weiß oder Gold; es kann Farben trennen und verbinden. In modernen Stücken wird der schwarze Rock des Helden an sich wichtig, und man müßte ihm einen passenden Hintergrund geben. Doch das geschieht selten genug. In der Regel begräbt man den Helden im Durcheinander, unter Palmbäumen, steckt ihn in den goldenen Abgrund von Louis XIV.-Möbeln, oder macht ihn zu einer bloßen Mücke unter dem Prunk der Umgebung, während der Hintergrund eben als Hintergrund gehalten sein und die Farbe der Wirkung untergeordnet werden sollte. Das kann natürlich nur sein, wenn ein Geist das Ganze lenkt. Die Werke der Kunst sind verschieden, aber das Wesen artistischer Wirkung ist Einheit. Wo es sich um die Regierung von Völkern handelt, kann man über den Vorzug der Monarchie, Anarchie und der Republik streiten: das Theater gehört unter die Macht eines gebildeten Despoten. Die Arbeit kann man teilen, den Geist, der sie lenkt, nicht. Wer das Kostüm einer Zeit versteht, verstellt notwendig auch ihre Architektur und ihr Milieu; es ist leicht, an den Stühlen eines Jahrhunderts zu erkennen, ob man damals Krinolinen trug oder nicht. Es gibt in der Kunst keine »Spezialitäten«, und eine wirklich künstlerische Aufführung sollte den Stempel eines Mannes tragen und zwar eines Mannes, der nicht nur alles zu entwerfen und anzuordnen, sondern auch die Kontrolle in Händen hätte, wie jedes Gewand getragen werden muß.

Auch sollte man mehr Proben in Kostümen abhalten. Natürlich gibt es Schauspieler, die sich leicht und anmutig in jedem Kleid bewegen können, aber nicht wenige wissen nicht, was sie mit ihren Händen anfangen sollen, wenn sie keine Seitentaschen haben. Sie tragen ihre Kleider, als wären es Kostüme; es sind natürlich Kostüme, aber nur für den Zeichner; für die, welche sie tragen, sollten es Kleider sein. Und es ist an der Zeit, die Meinung, die auf unseren Bühnen herrscht, zu beseitigen, als seien Griechen und Römer immer barhäuptig umhergegangen. Zur Zeit der Elisabeth verfiel man nicht in diesen Fehler. Man gab den römischen Senatoren zu ihren Gewändern auch Hüte.

Die Vermehrung der Kostümproben würde noch einen Vorteil bringen: Den Schauspielern würde klar werden, daß eine bestimmte Form der Geste und Bewegung nicht nur für jeden Stil des Kostüms paßt, sondern durch ihn bedingt ist. Zum Beispiel war der bedeutende Gebrauch der Arme im 18. Jahrhundert das notwendige Ergebnis des Tragens großer Reifröcke und die feierliche Würde Burleighs so gut durch seine Halskrause wie durch seine Anlage bedingt. Außerdem ist ein Schauspieler nicht eher in seiner Rolle zu Hause, als bis er in seinem Kostüm zu Hause ist.

Von der Bedeutung, die das schöne Kostüm für die Entwickelung des künstlerischen Temperamentes im Zuschauer hat, indem es jene Freude am Schönen um des Schönen willen schafft, ohne welche kein Kunstwerk verständlich ist, will ich an dieser Stelle nicht reden; trotzdem beachte man, daß Shakespeare auch diese Frage bei der Aufführung seiner Tragödien ins Auge faßte; denn er führte sie stets bei künstlichem Lichte auf und ließ das Theater schwarz verhängen. Was ich habe zeigen wollen, ist, daß die Archäologie keine Pedanterie ist, sondern ein Mittel künstlerischer Illusion, und daß das Kostüm ein Mittel ist, Charaktere zu bezeichnen, ohne sie zu beschreiben, und dramatische Situationen und Wirkungen zu schaffen. Und ich denke, es ist bedauernswert, daß sich so viele Kritiker, eine der wichtigsten Bewegungen der modernen Bühne anzugreifen, vereinigten, ehe noch jene Bewegung zur vollen Entwickelung gelangt war. Daß sie aber fortschreiten wird, dessen bin ich ebenso sicher, wie ich überzeugt bin, daß wir in Zukunft mehr von unseren dramatischen Kritikern verlangen werden, als daß sie sich Macreadys erinnern oder Benjamin Webster gesehen haben: wir werden von ihnen verlangen, daß sie die Pflege des Schönheitssinnes übernehmen. Pour être plus difficile, la tâche n'en est que plus glorieuse. Und wenn sie eine Bewegung, die Shakespeare freudiger als irgendein Dramatiker begrüßt hätte, nicht ermutigen wollen, so sollen sie sich ihr wenigstens nicht widersetzen; denn ihr Mittel ist die Illusion der Wirklichkeit, die Illusion der Schönheit ist ihr Ziel. Nicht alles, was ich in diesem Aufsatz gesagt habe, ist meine wahre Meinung. Vieles verurteile ich geradezu. Der Aufsatz vertritt nur einen künstlerischen Standpunkt, und in der ästhetischen Kritik kommt alles auf den Standpunkt an. Denn in der Kunst gibt es keine allgemeine Wahrheit. Eine Wahrheit in der Kunst ist etwas, dessen Umkehrung auch wahr ist. Und wie wir nur in der Kunstkritik die platonische Theorie von den Ideen verstehen können, so können wir nur in ihr Hegels Lehre von den Gegensätzen verstehen. Die Wahrheiten der Metaphysik sind die Wahrheiten der Masken.

 


 << zurück