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Kleinere Erzählungen

Die Sphinx ohne Rätsel

Eine Radierung

Eines Nachmittags saß ich vor dem Café de la Paix, sah auf den Glanz und die Schäbigkeit des Pariser Lebens und verwunderte mich bei meinem Wermut über das sonderbare Diorama von Pracht und Armut, das an mir vorbeizog. Da hörte ich jemand meinen Namen rufen. Ich schaute mich um und sah Lord Murchison. Wir waren einander nicht mehr begegnet seit unsern gemeinsamen Collegetagen, zehn Jahre wars fast her, und so freute ich mich, ihn wiederzusehen, und wir begrüßten uns herzlich. Auf Oxford waren wir dicke Freunde gewesen. Ich hatte ihn riesig gern – er war so hübsch, so lebhaft und so hochanständig Wir sagten damals immer von ihm, er wäre der allerbeste Kerl, wenn er nicht immer die Wahrheit spräche; aber ich glaube, wir bewunderten ihn eigentlich deswegen um so mehr. Ich fand ihn ziemlich verändert. Er sah bekümmert und verlegen aus und schien mir über irgendwas unsicher. Der moderne Skeptizismus konnte es nicht sein, denn Murchison war durchaus überzeugter Tory und glaubte an den Pentateuch so fest wie an das House of Peers. Also schloß ich, daß es ein Weib war, und fragte ihn, ob er jetzt verheiratet sei.

»Ich versteh mich nicht genug auf Frauen«, gab er zur Antwort.

»Mein lieber Gerald,« sagte ich, »Frauen sind dazu da, daß man sie liebt, nicht daß man sie versteht.«

»Ich kann nicht lieben, wo ich nicht trauen kann«, meinte er.

»Ich glaube, Sie haben ein Erlebnis in diesen Affären. Gerald, erzählen Sie mirs doch.«

»Wir wollen eine Wagenfahrt machen,« sagte Murchison, »hier sind zu viel Menschen. Nein, nicht einen gelben Wagen, jede andere Farbe, nur nicht – da, der dunkelgrüne«; und ein paar Minuten später rollten wir den Boulevard hinunter in der Richtung auf die Madeleine.

»Wohin wollen wir?« fragte ich.

»Wohin Sie wollen, meinetwegen in das Restaurant des Bois; wir können da dinieren, und Sie erzählen mir Ihr Leben.«

»Erst möchte ich das Ihre hören«, sagte ich. »Erzählen Sie mir doch die mysteriöse Geschichte.«

Er zog aus seiner Tasche ein kleines silberbeschlagenes Lederportefeuille und reichte es mir. Ich schlug es auf. Es enthielt die Photographie einer Frau. Ein schöner, abweisender Kopf und sonderbar pittoresk mit den großen, vagen Augen und dem losen Haar. Wie eine Hellseherin sah sie aus und trug reiches Pelzwerk.

»Was sagen Sie zu dem Gesicht? Ist es aufrichtig?« Ich studierte es eingehend. Es schien mir das Gesicht eines Menschen, der ein Geheimnis bewahrt, ob ein gutes oder ein schlimmes, konnte ich nicht sagen. Seine Schönheit war eine Schönheit wie aus vielen Geheimnissen gebildet, eine psychologische Schönheit, keine plastische, und das vergehende Lächeln auf den Lippen war zu fein, um wirklich lieb und süß zu sein.

»Nun, was sagen Sie?«

»Sie ist die Gioconda in Zobel,« antwortete ich, »erzählen Sie mir doch, was Sie über sie wissen.«

»Nicht jetzt, nach dem Diner«, und er begann von was anderem zu reden.

Als der Kellner den Kaffee und Zigaretten brachte, erinnerte ich Gerald an sein Versprechen. Er stand auf, schritt ein paarmal durchs Zimmer, ließ sich in einen Lehnstuhl fallen und erzählte mir die folgende Geschichte:

»Eines Abends ging ich so gegen fünf Bond Street hinunter. Es war ein schreckliches Gewirr von Wagen und Menschen, man kam kaum vorwärts. Ganz hart gegen das Trottoir stand ein kleiner gelber Zweisitzer, der aus irgendeinem Grund meine Aufmerksamkeit erregte. Als ich daran vorbeiging, da sah dieses Gesicht heraus, das ich Ihnen vorhin zeigte. Es faszinierte mich sofort. Die ganze Nacht mußte ich daran denken und den nächsten Tag. Auf und nieder wanderte ich die verdammte Straße, guckte in jeden Wagen und wartete auf den gelben Zweisitzer; aber ich konnte ma belle inconnue nicht finden und dachte schließlich, daß ich sie bloß geträumt hatte. Eine Woche später dinierte ich bei Madame de Rostail. Das Diner war auf acht Uhr angesagt, aber um halb neun warteten wir noch immer im Salon. Endlich meldete der Diener Lady Alroy. Es war die Frau, die ich so gesucht hatte. Sie trat ganz langsam ein, sah aus wie ein Mondstrahl in grauen Spitzen, und zu meiner großen Freude sollte ich sie zu Tisch führen. Nachdem wir uns gesetzt hatten, bemerkte ich ganz harmlos: ›Ich glaube, ich habe Sie schon einmal flüchtig gesehen, Lady Alroy, vor einiger Zeit in Bond Street.‹ Sie wurde ganz blaß und sagte leise: ›Bitte, sprechen Sie nicht so laut, man könnte Sie hören.‹ Mein verunglücktes Debüt verstimmte mich nicht wenig, und ich stürzte mich mit Todesverachtung in eine Unterhaltung über französische Possen. Sie sprach sehr wenig, immer mit der gleichen weichen, musikalischen Stimme und schien wie in Angst, jemand könnte lauschen. Ich verliebte mich leidenschaftlich, sinnlos, und die undefinierbare Atmosphäre des Mysteriösen, die sie umgab, erregte heftig meine Neugierde. Beim Abschied – sie ging sehr bald nach dem Diner – fragte ich sie, ob ich sie besuchen dürfe. Sie zauderte einen Augenblick, sah leicht umher, ob niemand in der Nähe wäre, und sagte dann: ›Ja; morgen ein Viertel vor fünf.‹ Ich bat Madame de Rostail, mir von ihr zu erzählen; aber alles, was ich erfahren konnte, war, daß sie eine Witwe mit einem schönen Hause in Park Lane sei, und als ein wissenschaftlicher Schwätzer eine Dissertation über Witwen begann, stand ich auf und ging heim.

Nächsten Tages war ich sehr pünktlich in Park Lane, wo man mir sagte, Lady Alroy sei schon ausgegangen. Ich ging ganz unglücklich und ohne zu wissen, was darüber denken, in den Klub und schrieb ihr nach langem Überlegen einen Brief, ob sie mir erlauben möchte, ein andermal mein Glück zu versuchen. Ein paar Tage vergingen, da bekam ich ein paar Zeilen, sie würde Sonntags um vier zu Hause sein, und dieses ungewöhnliche, merkwürdige Postskriptum:

›Bitte schreiben Sie mir nicht mehr; ich will es Ihnen erklären, wenn wir uns wiedersehen.‹

Am Sonntag empfing sie mich und war entzückend; aber als ich mich verabschiedete, bat sie mich, wenn ich ihr etwas zu schreiben hätte, meine Briefe zu adressieren: ›Mrs. Knox, p. A. Whitachers Buchhandlung, Green Street. Es sind Gründe da, weshalb ich in meinem Haus keine Briefe empfangen kann.‹

Ich besuchte sie die ganze Zeit über sehr oft, und nie verließ sie diese geheimnisvolle Atmosphäre. Manchmal dachte ich, sie wäre in der Gewalt eines Mannes, aber sie sah so unnahbar aus, daß ich es nicht glauben konnte. Es war wirklich sehr schwierig für mich, zu irgendeinem Schluß, zu einem Urteil zu kommen, denn sie war wie diese merkwürdigen Kristalle, die man in Museen sieht – einmal sind sie ganz klar, im nächsten Augenblick ganz wolkig.

Ich beschloß, um ihre Hand anzuhalten; ich war krank und war es müde, dieser unausgesetzten Qual des Heimlichen, das sie von allen meinen Besuchen verlangte, und von den paar Briefen, die ich ihr schrieb. Ich schrieb ihr also in die Buchhandlung, ob sie mich am nächsten Montag um sechs empfangen wolle. Sie sagte zu, und ich war im siebenten Himmel. Ich war einfach verblendet von ihr, trotz des Mysteriösen, wie ich dachte, infolge des Mysteriösen, wie ich jetzt weiß. Nein ... Es war das Weib, das Weib allein, das ich liebte. Das Mysteriöse irritierte mich, machte mich verrückt. Warum brachte mich der Zufall auf seine Spur!«

»Sie entdeckten also das Geheimnis?« fragte ich.

»Ich fürchte: ja. Aber urteilen Sie selbst. Als der Montag kam, ging ich mit meinem Onkel frühstücken und fand mich gegen vier Uhr auf Marylebone Road.

Mein Onkel wohnt, wie Sie wissen, Regents Park. Ich wollte Picadilly zu und schnitt den Weg ab durch eine Menge schmutziger kleiner Straßen. Plötzlich sah ich vor mir Lady Alroy, tief verschleiert; sie ging sehr schnell. Beim letzten Haus in der Gasse blieb sie stehen, stieg die paar Stufen hinauf, zog einen Schlüssel, sperrte auf und trat ein. ›Hier ist das Geheimnis‹, sagte ich mir, lief vor und musterte das Haus. Es sah aus wie eines, in dem Zimmer vermietet werden. An der Türschwelle lag ihr Taschentuch, das sie verloren hatte. Ich hob es auf und steckte es ein. Dann dachte ich nach: Was tun? Ich kam zu dem Schluß, daß ich kein Recht hätte, sie auszuspionieren, und begab mich in den Klub. Um sechs Uhr war ich bei ihr. Sie lag auf einem Sofa, in einem Teagown von Silbergewebe, von ein paar sonderbaren Mondsteinen gehalten, die sie immer trug. Entzückend sah sie aus. ›Ich freue mich so, daß Sie da sind,‹ sagte sie; ›ich war den ganzen Tag daheim.‹ Verblüfft starrte ich sie an, zog das Tuch aus meiner Tasche und überreichte es ihr. ›Sie haben das heute nachmittag in der Ammor Street verloren, Lady Alroy‹, sagte ich ganz ruhig. Sie sah mich voll Schrecken an, aber nahm das Taschentuch nicht. ›Was machten Sie denn da?‹ fragte ich. – ›Was für ein Recht haben Sie, mich danach zu fragen?‹ – ›Das Recht eines Mannes, der Sie liebt; ich kam heute, Sie um Ihre Hand zu bitten.‹ Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und brach in Tränen aus. ›Sie müssen mir es sagen‹, bestand ich. Sie erhob sich, sah mir ins Gesicht und sagte: ›Lord Murchison, da ist nichts zu sagen.‹ – ›Sie haben da jemanden getroffen, das ist Ihr Geheimnis!‹ Sie wurde ganz bleich: ›Ich habe da niemanden getroffen.‹ – ›Können Sie denn nicht die Wahrheit sagen?‹ rief ich. – ›Ich habe sie gesagt!‹ Ich war verrückt, toll; ich weiß nicht, was ich ihr sagte, aber es waren schreckliche Dinge. Schließlich stürzte ich davon. Am nächsten Tag kam ein Brief von ihr; ich schickte ihn uneröffnet zurück und reiste mit Alan Colville nach Norwegen. Als ich nach einem Monat zurückkam, war das erste, was ich in der Morning Post sah: die Todesanzeige von Lady Alroy. Sie hatte sich in der Oper eine Erkältung zugezogen und war fünf Tage darauf an einer Lungenentzündung gestorben. Ich gab jeden Verkehr auf. Ich hatte sie so wahnsinnig geliebt. Herr Gott, wie habe ich diese Frau geliebt!«

»Sie waren in der Straße, in dem Hause, nicht?« fragte ich.

»Ja. Eines Tages ging ich nach der Ammor Street. Ich mußte; Zweifel marterten mich. Ich klopfte, und eine respektabel aussehende Frau öffnete mir. Ich fragte, ob sie vielleicht Zimmer zu vermieten habe. ›Ja, mein Herr,‹ sagte sie, ›die Vorderräume sind zu vermieten; ich habe die Dame seit drei Monaten nicht gesehen, die sie gemietet hatte.‹ – ›Ist das die Dame?‹ fragte ich und zeigte ihr die Photographie. – ›Ja, das ist sie, und wann kommt sie wieder?‹ – ›Die Dame ist tot‹, antwortete ich. – ›Nicht möglich!‹ rief die Alte. ›Sie war meine beste Mieterin. Drei Guineen zahlte sie die Woche, bloß dafür, manchmal in dem Zimmer zu sitzen.‹ – ›Sie traf hier mit jemandem zusammen?‹ fragte ich; aber die Frau versicherte mir, daß sie immer allein war, nie mit jemandem kam und nie mit jemandem zusammen war. ›Aber was tat sie denn da?‹ rief ich. – ›Sie saß ganz einfach in ihrem Zimmer und las Bücher; manchmal nahm sie den Tee hier.‹ – Ich wußte nichts darauf zu sagen; ich gab der Alten ein Geldstück und ging. Und nun: was sagen Sie dazu? Glauben Sie, daß sie die Wahrheit gesagt hat?«

»Sicher.«

»Aber wozu ging denn Lady Alroy dahin?« »Mein lieber Gerald, Lady Alroy war ganz einfach eine Frau mit einer Manie für das Mysteriöse. Sie mietete das Zimmer, um das Vergnügen zu haben, tiefverschleiert hinzugehen und sich für die Heldin eines Abenteuers zu halten. Sie hatte eine Passion für das Geheimnisvolle, und sie selbst war nichts weiter als eine Sphinx ohne Geheimnis.«

»Glauben Sie wirklich?«

»Es ist meine feste Überzeugung.«

Lord Murchison zog sein Lederportefeuille heraus, öffnete es und schaute die Photographie an. »Merkwürdig«, sagte er schließlich.

 

Der Modellmillionär

Solange einer nicht wohlhabend ist, hat es keinen Sinn, ein liebenswürdiger Junge zu sein. Poesie und Romantik sind das Privilegium der Reichen, nicht der Beruf des Unbemittelten. Der Arme soll praktisch und prosaisch sein. Es ist besser, ein sicheres Einkommen zu haben als faszinierend zu sein. Dies sind die großen Wahrheiten modernen Lebens, die Hughie Erskine niemals realisierte. Armer Hughie! Intellektuell war er, das müssen wir zugeben, von nicht großer Bedeutung. Niemals in seinem Leben sagte er etwas Glänzendes, nicht einmal etwas Bösartiges. Aber er sah wundervoll gut aus mit seinem gewellten braunen Haar, seinem scharfgeschnittenen Profil und seinen grauen Augen. Er war bei Männern so beliebt wie bei Frauen und hatte alle Fähigkeiten außer der, Geld zu machen. Sein Vater vererbte ihm seinen Kavalleriesäbel und eine Geschichte des Penninsular War in fünfzehn Bänden. Hughie hing den ersteren über seinen Operngucker, stellte die letzteren auf ein Regal zwischen Russ' Führer durch London und Baileys Magazine und lebte von zweihundert Pfund im Jahr, die ihm eine alte Tante bewilligte. Er hatte alles und jedes versucht. Er war alle Monate an die Börse gegangen; aber was sollte ein Schmetterling unter Stieren und Bären? Er war etwas länger ein Teehändler gewesen, aber bekam Peking- und Souchongmischung bald über. Dann versuchte er es mit einem Handel mit trockenem Sherry. Das Geschäft war nichts; der Sherry war etwas zu trocken. Schließlich wurde er gar nichts – ein niedlicher, harmloser junger Mann mit einem vollendeten Profil und ohne Beruf.

Um die Sache noch schlimmer zu machen, war er verliebt. Laura Merton hieß das Mädchen, das er liebte, die Tochter eines Oberst a. D., der sowohl Temperament als Verdauung in Indien verloren und keines von beiden mehr wiedergefunden hatte. Laura betete ihn an, und er war bereit, ihre Schuhbänder zu küssen. Waren das hübscheste Paar in London und hatten zwischen sich nicht einen Pfennig. Der Oberst hatte Hughie sehr gern, wollte aber von einer Heirat nichts wissen.

»Komm zu mir, Junge, wenn du eigene zehntausend Pfund hast, und wir wollen sehen«, pflegte er zu sagen; und Hughie sah an solchen Tagen recht verdrießlich aus und mußte zu Laura aus Trost gehen.

Als er eines Morgens nach Holland Park, wo die Mertons wohnten, unterwegs war, suchte er einen Freund auf, Allan Trevor. Trevor war Maler. Dem entgehen ja nun heutigestags wenige. Aber Trevor war auch ein Künstler, und Künstler sind schon seltener. Dem Ansehen nach ein merkwürdiger, grober Bursche, mit einem sommersprossigen Gesicht und einem roten, zerfetzten Bart. Hughie hatte ihn anfangs sehr angezogen, doch bloß, wie gesagt werden muß, wegen seines persönlichen Charme. »Die einzigen Menschen, die ein Maler kennen sollte,« pflegte er zu sagen, »sind solche, die blöd und schön sind, schön zum Anschauen, geistig erholend, wenn man mit ihnen redet. Dandys und hübsche Weiber regieren die Welt – oder sollten es wenigstens.« Was nicht hinderte, daß er Hughie, da er ihn besser kannte, nicht weniger gern mochte wegen seines hellen, offenen Verstandes und seiner generösen, noblen Natur – so konnte Hughie ihn besuchen, wann er wollte.

Trevor beendete gerade das lebensgroße Bildnis eines Bettlers, als Hughie eintrat. Der Bettler selber stand auf einem niederen Postament in einer Ecke des Ateliers. Ein weißhaariger Alter, mit einem Gesicht wie zerknittertes Pergament und einem höchst mitleidenswerten Ausdruck. Über die Schultern hing ihm ein brauner Mantel, alles Lumpen und Löcher; die derben Stiefel ausgetreten und erbärmlich, und eine Hand stützte sich auf einen derben Stecken, die andere streckte den zerlumpten Hut für ein Almosen.

»Ein wundervolles Modell!« sagte Hughie leise, als er seinem Freund die Hand gab.

»Das glaub ich!« schrie Trevor. »Solche Bettelkerle findet man nicht alle Tage. Une trouvaille, mon eher, ein lebender Velasquez! Was für eine Radierung würde Rembrandt daraus gemacht haben!«

»Armer Kerl!« sagte Hughie, »wie elend er aussieht! Aber für euch Maler ist sein Gesicht sein Vermögen, nicht?«

»Natürlich,« sagte Trevor, »du willst doch nicht, daß ein Bettler glücklich dreinschauen soll?«

»Was kriegt ein Modell für die Sitzung?« fragte Hughie, nachdem er es sich auf einem Diwan bequem gemacht hatte.

»Einen Schilling für die Stunde.«

»Und wieviel kriegst du für dein Bild, Allan?«

»Für dieses da? Zweitausend.«

»Pfund?«

»Guineen. Maler, Dichter und Ärzte bekommen immer Guineen.«

»Davon sollte das Modell Prozente bekommen, meine ich,« rief Hughie lachend; »er arbeitet nicht weniger schwer als du.«

»Ach Unsinn! Schau doch die Mühe, die man allein mit dem Malen hat, und den ganzen Tag so stehen. Du hast leicht reden, Hughie, aber glaub mir, es gibt Momente in der Kunst, wo sie die Würde schwerer Handarbeit bekommt. Aber sprich jetzt nichts; ich muß fertig werden. Rauch eine Zigarette und sei still.« Nach einer Weile kam der Diener herein und meldete Trevor, der Rahmenmacher wünsche ihn zu sprechen.

»Geh nicht fort, Hughie,« sagte er im Hinausgehen, »ich bin gleich wieder da.«

Der alte Bettler benützte Trevors Abwesenheit, sich für einen Augenblick an einen Balken zu lehnen. Er sah so verloren und elend aus, daß Hughie sich des Mitleids nicht erwehren konnte und in die Tasche griff. Ein Sovereign und ein paar Kupfermünzen war alles, was er fand. »Armer alter Knabe,« dachte er, »er brauchts nötiger als ich, aber vierzehn Tage gibts dann kein Hansom.« Und er ging auf den Bettler zu und drückte ihm den Sovereign in die Hand.

Der alte Mann stutzte, und ein kleines Lächeln flog über seine dünnen Lippen. »Danke, Herr,« sagte er, »danke.«

Da trat Trevor ein, und Hughie setzte sich nieder, leicht errötend über das, was er getan hatte. Er verbrachte den Tag mit Laura, wurde reizend wegen seiner Extravaganz ausgescholten und mußte zu Fuß nach Hause.

Des Nachts gegen elf Uhr ging er in den Palette-Klub und fand da Trevor allein im Smokingroom bei Hock und Selzer.

»Bist du mit dem Bild fertig geworden, Allan?« fragte er, als er sich die Zigarette anzündete.

»Beendet und gerahmt, Junge, und nebenbei, du hast eine Eroberung gemacht. Das alte Modell ist ganz entzückt von dir. Ich mußte ihm alles über dich erzählen: wer du bist, wo du wohnst, was du verdienst, was für Aussichten du hast ...«

»Mein lieber Allan, ich werde ihn wahrscheinlich auf meinem Heimwege wartend treffen. Aber du machst natürlich nur Spaß. Armer Kerl! Ich wollte, ich könnte für ihn was tun. Es ist doch scheußlich, daß einer so leben soll. Ich habe so alte Kleider daheim. Glaubst du, daß er sich was daraus macht? Seine zerfielen ja in Lumpen.«

»Aber er schaut wundervoll darin aus«, sagte Trevor. »Für nichts in der Welt möchte ich ihn im Frack malen. Was du Lumpen nennst, nenne ich Romantik. Seine Armut ist für mich Pittoreskheit. Übrigens will ich ihm dein Anerbieten mitteilen.«

»Ihr Maler seid doch eine herzlose Bande«, sagte Hughie ernst.

»Eines Künstlers Herz ist sein Kopf, Hughie, und außerdem ist es unsere Aufgabe, die Welt wahr zu machen, wie wir sie sehen, nicht sie zu reformieren, wie wir sie kennen. A chacun son métier. Und jetzt erzähle mir, wie Laura ist. Das alte Modell interessierte sich sehr für sie.«

»Du hast doch dem Alten nicht von Laura erzählt?«

»Aber natürlich habe ich. Er weiß alles über den eigensinnigen Oberst, über die liebe Laura und die zehntausend Pfund.«

»Du hast dem alten Bettler alle meine Privatangelegenheiten erzählt?« rief Hughie und bekam einen roten Kopf.

»Mein Lieber,« sagte Trevor lächelnd, »dieser alte Bettler, wie du ihn nennst, ist einer der reichsten Männer in Europa. Er könnte morgen ganz London kaufen, ohne sich zu übernehmen. Hat ein Haus in jeder Hauptstadt, diniert von goldenen Schüsseln und kann, wenn er will, Rußland einen Krieg verbieten.«

»Was meinst du damit?«

»Ja, eben das«, sagte Trevor. »Der alte Mann im Atelier war Baron Hausberg. Ein guter Freund von mir, kauft alle meine Bilder und gab mir vor einem Monat den Auftrag, ihn als Bettler zu malen. Que voulez-vous? La fantaisie d'un millionaire! Und er machte sichtlich eine glänzende Figur in seinen Lumpen, oder vielmehr in meinen, denn ich brachte das Zeug aus Spanien mit.«

»Baron Hausberg! Und ich hab ihm einen Sovereign gegeben!«

Und Hughie fiel, ein Bild der Bestürzung, in seinen Armstuhl zurück.

»Was? Du hast ihm ...«, und Trevor brüllte vor Lachen. »Mein Junge, den Sovereign siehst du nie wieder. Son affaire c'est l'argent des autres.«

»Aber du hättest mir das doch wirklich sagen können und hindern, daß ich mich so zum Narren mache«, sagte Hughie vorwurfsvoll.

»Erstens, mein lieber Hughie, kam es mir nie in den Sinn, daß du auf solche großartige Weise almosenspendend dahinwandelst. Ich kann verstehen, daß du ein hübsches Modell küßt, aber daß du einem häßlichen einen Sovereign gibst, nein, das versteh ich nicht. Und dann war ich an dem Tag für niemanden zu Hause. Und als du kamst, wußte ich nicht, ob es Hausberg recht wäre, ihn mit seinem Namen – er war doch schließlich nicht in full dress.«

»Für was für einen Trottel muß er mich halten«, sagte Hughie.

»Aber durchaus nicht. Er war höchst vergnügt, als du gingst, redete so mit sich selber, rieb seine runzligen Hände. Ich konnte nicht herauskriegen, weshalb er sich so um deine Angelegenheiten interessierte; aber jetzt ists mir klar. Er will deinen Sovereign für dich anlegen, Hughie, zahlt dir alle halben Jahre die Zinsen und hat eine hübsche Geschichte nach dem Diner zu erzählen.«

»Ich habe kein Glück«, brummte Hughie. »Das beste ist, ich geh schlafen. Und, lieber Allan, erzähls nicht weiter. Es ist doch zu lächerlich für mich.«

»Ach Unsinn! Verschafft deinem philanthropischen Sinn den höchsten Kredit. Und lauf nicht davon. Zünd dir eine neue Zigarette an, und du kannst mir von Laura erzählen, so viel du willst.«

Aber Hughie wollte nicht. Er verließ den lachenden Trevor und ging heim mit recht unglücklichen Gefühlen.

Als er am andern Morgen beim Frühstück war, wurde ihm eine Karte hereingebracht: ›Monsieur Gustave Naudin, de la part de M. le Baron Hausberg.‹

Er kommt wohl, damit ich mich entschuldige! dachte Hughie und ließ bitten.

Ein alter Herr mit goldenen Augengläsern trat ein und sagte mit südfranzösischem Akzent: »Habe ich die Ehre, mit Herrn Erskine zu sprechen?«

Hughie verneigte sich.

»Ich komme von Baron Hausberg«, fuhr der Herr fort. »Der Baron ...«

»Ich bitte Sie, dem Herrn Baron meine aufrichtigste Entschuldigung zu überbringen«, stotterte Hughie.

»Der Baron«, sagte der alte Herr lächelnd, »hat mich beauftragt, Ihnen diesen Brief zu überbringen«, und er überreichte ihm einen versiegelten Umschlag.

Darauf stand: ›Ein Hochzeitsgeschenk für Hughie Erskine und Laura Merton, von einem alten Bettler‹; darin lag ein Scheck auf zehntausend Pfund.

Bei der Hochzeit war Allan Trevor der Brautführer, und der Baron hielt beim Hochzeitsfrühstück eine Rede.

»Millionärmodelle«, meinte Allan, »sind ja selten, aber beim Zeus, Modellmillionäre sind noch seltener.«


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