Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die bedeutende Rakete

Buchschmuck: Heinrich Vogler

Buchschmuck: Heinrich Vogler Des Königssohnes Hochzeit stand bevor, und darob war allgemeine Freude. Er hatte ein ganzes Jahr auf seine Braut gewartet, und endlich war sie gekommen. Sie war eine russische Prinzessin, und ein Schlitten, von sechs Renntieren gezogen, hatte sie von Finnland hergebracht. Der Schlitten war geformt wie ein großer goldener Schwan, und zwischen des Schwanes Flügeln ruhte die kleine Prinzessin. Ihr langer Hermelinmantel reichte ihr bis an die Füße, auf dem Kopf trug sie eine winzige Kappe aus silbernem Gewebe, und sie war so bleich wie der Schneepalast, in dem sie immer gewohnt hatte. So bleich war sie, daß alles Yolk sich darob verwunderte, als sie durch die Straßen fuhr. »Wie eine weiße Rose ist sie!« rief man und warf von den Baikonen Blumen auf sie herab.

Am Schloßtor ward sie vom Prinzen empfangen. Er hatte verträumte Veilchenaugen, und sein Haar war wie feines Gold. Als er sie erblickte, sank er aufs Knie und küßte ihre Hand.

»Euer Bildnis war schön,« sagte er leise, »aber Ihr seid noch schöner als Euer Bildnis.« Und die kleine Prinzessin errötete. »Sie war wie eine weiße Rose,« sagte ein junger Page zu einem andern, »nun ist sie wie eine rote Rose«, und der ganze Hof war entzückt.

Während der nächsten drei Tage sagte ein jeder: »Weiße Rose, rote Rose, rote Rose, weiße Rose«, und der König befahl, daß des Pagen Gehalt verdoppelt würde. Da er nun überhaupt keinen Gehalt bekam, nützte ihm das nicht viel, aber es galt für eine große Ehre und wurde vorschriftsmäßig in der Hofgazette bekanntgemacht.

Als die drei Tage um waren, wurde die Hochzeit gefeiert. Es war eine großartige Sache, und Braut und Bräutigam schritten Hand in Hand unter einem purpursamtnen, mit kleinen Perlen bestickten Baldachin. Dann gab es eine Staatstafel, die fünf Stunden dauerte. Der Prinz und die Prinzessin saßen obenan in der großen Halle und tranken aus einem kristallnen Pokal. Nur treu Liebende konnten aus diesem Pokal trinken, denn wie ihn falsche Lippen berühren, wird er trüb und wolkig.

»Daß sie einander lieben,« sagte der kleine Page, »das ist so klar wie Kristall!« Und der König verdoppelte seinen Gehalt zum zweiten Male, und »Welche Ehre!« rief der ganze Hof.

Nach dem Bankett sollte ein Ball stattfinden, und das Brautpaar sollte den Rosentanz tanzen, und der König hatte versprochen, die Flöte zu spielen. Er spielte sehr schlecht, aber niemand hatte je gewagt, ihm das zu sagen, weil er der König war. Er konnte bloß drei Melodien und wußte nie genau, welche davon er spielte; aber das machte weiter nichts, denn was immer er auch tat, es rief stets jeder: »Herrlich! Entzückend!«

Die letzte Nummer auf dem Programm war ein großes Feuerwerk, das Punkt Mitternacht abgebrannt werden sollte. Die kleine Prinzessin hatte noch nie in ihrem Leben ein Feuerwerk gesehen, und so hatte der König Befehl gegeben, daß der königliche Pyrotechniker am Hochzeitstag zugegen sein sollte.

»Was ist das, ein Feuerwerk?« hatte sie den Prinzen gefragt, als sie eines Morgens auf der Terrasse spazieren gingen.

»Es ist so wie das Nordlicht,« sagte der König, der immer Antwort auf Fragen gab, die an andere gestellt waren, »nur viel natürlicher. Mir ist es lieber als die Sterne, weil man immer ganz genau weiß, wann es losgeht, und es ist so schön wie mein Flötenspiel. Du mußt das unbedingt sehen.«

So war also ganz unten im königlichen Garten ein Stand aufgeschlagen worden, und sobald der königliche Pyrotechniker alles an seinen richtigen Platz gebracht hatte, begann das Feuerwerk untereinander sich zu unterhalten.

»Die Welt ist doch wahrhaftig zu schön!« rief ein kleiner Schwärmer. »Sieh nur mal diese gelben Tulpen. Wenn sie echte Knaller wären, könnten sie nicht schöner sein. Ich bin doch sehr froh, daß ich gereist bin. Reisen bildet den Geist und räumt gründlich mit allen Vorurteilen auf.«

»Des Königs Garten ist nicht die Welt, du verrückter Schwärmer!« sagte eine große römische Kerze. »Die Welt ist ein riesengroßer Platz, und du würdest drei Tage brauchen, um sie ganz zu sehen.«

»Jeder Platz, den man liebt, ist für einen die Welt«, meinte ein nachdenkliches Feuerrad, das seit seiner Kindheit an einer alten Spanschachtel befestigt war und sich mit seinem gebrochenen Herzen brüstete. »Aber die Liebe ist nicht mehr Mode, und die Dichter haben sie getötet. Sie schrieben so viel über sie, daß ihnen niemand mehr glaubte, was mich nicht wundert. Denn wahre Liebe leidet und schweigt. Ich erinnere mich, wie ich selbst einmal ... Aber darum kümmert sich jetzt niemand – die Romantik gehört der Vergangenheit an.«

»Unsinn!« sagte die römische Kerze, »die Romantik stirbt nie. Die ist wie der Mond und lebt ewig. Die Braut und der Bräutigam zum Beispiel lieben einander sehr. Ich hörte alles über sie heut morgen von einer braunen Kartätsche, die zufällig in demselben Schubfach lag wie ich und die letzten Hofneuigkeiten wußte.«

Aber das Feuerrad schüttelte den Kopf. »Die Romantik ist tot, die Romantik ist tot, die Romantik ist tot«, sagte es leise. Das Rad gehörte zu den Leuten, die glauben, daß, wenn sie dieselbe Sache mehrmals sagen, sie am Ende wahr wird.

Plötzlich hörte man ein scharfes, trockenes Husten, und alles schaute sich um.

Es kam von einer großen, hochmütig aussehenden Rakete, die an das Ende eines langen Stockes gebunden war. Sie hustete jedesmal, bevor sie eine Bemerkung machte, um so die Aufmerksamkeit zu erregen.

»Ehern! Ehem!« sagte sie, und alles horchte mit Ausnahme des Feuerrades, das noch immer den Kopf schüttelte und leise dabeiblieb: »Die Romantik ist tot.«

»Ruhe! Ruhe!« schrie ein Schwärmer. Er war so etwas wie ein Politiker und hatte bei den Wahlen immer eine große Rolle gespielt, und daher kannte er die richtigen parlamentarischen Ausdrücke.

»Ganz tot«, flüsterte das Feuerrad und schlief ein. Sobald vollkommene Stille herrschte, hustete die Rakete zum drittenmal und begann. Sie sprach langsam und deutlich, als ob sie ihre Memoiren diktierte, und blickte die, zu denen sie sprach, immer über die Schulter an. Sie hatte tatsächlich höchst vornehme Manieren.

»Wie glücklich trifft es sich für den Königssohn,« bemerkte sie, »daß er gerade an dem Tag Hochzeit macht, an dem ich losgelassen werden soll. Selbst wenn es vorher so arrangiert worden wäre, hätte es sich für ihn nicht besser treffen können; aber Prinzen haben eben immer Glück.«

»Mein Gott,« sagte der kleine Schwärmer, »ich dachte, es wäre gerade umgekehrt, und wir würden zu Ehren des Prinzen losgelassen.«

»Das mag ja mit Ihnen so der Fall sein,« antwortete sie, »und es ist zweifelsohne der Fall, aber mit mir ist es doch etwas anders. Ich bin eine sehr besondere Rakete und stamme von ganz besonderen Eltern ab. Meine Mutter war das gefeiertste Feuerrad ihrer Zeit und berühmt für ihr graziöses Tanzen. Als sie öffentlich auftrat, drehte sie sich neunzehnmal, bevor sie ausging, und bei jeder Drehung warf sie sieben rosafarbene Sterne in die Luft. Sie hatte drei und einen halben Fuß im Durchmesser und war aus bestem Schießpulver. Mein Vater war eine Rakete wie ich und von französischer Abkunft. Er flog so hoch, daß man fürchtete, er würde nie mehr wieder herunterkommen. Er kam aber doch, denn er war eine liebenswürdige Natur, und machte einen glänzenden Absturz in einem Schauer von goldnem Regen. Die Zeitungen schrieben über seine Leistung in den schmeichelhaftesten Ausdrücken. Die Hofgazette nannte ihn einen Triumph der Pylotechnik.«

»Pyrotechnik meinst du, Pyrotechnik«, sagte ein bengalisches Licht. »Ich weiß, es heißt Pyrotechnik, denn so sah ich es auf meiner eigenen Büchse geschrieben.«

»Also ich sage Pylotechnik«, antwortete die Rakete in strengem Tone, und das bengalische Licht fühlte sich davon so zermalmt, daß es sofort die kleinen Schwärmer einzuschüchtern begann, um zu zeigen, daß es noch immer eine Person von einiger Bedeutung wäre.

»Ich sagte,« fuhr die Rakete fort, »ich sagte – ja, was sagte ich doch?«

»Du sprachst von dir«, antwortete die römische Kerze.

»Natürlich; ich wußte doch, daß ich von einem interessanten Gegenstand sprach, als ich so unmanierlich unterbrochen wurde. Ich hasse Roheit und alle schlechten Manieren, denn ich leide darunter. Ich weiß, auf der ganzen Welt gibt es kein sensitiveres Geschöpf, als ich bin.«

»Was ist denn das: ein sensitives Geschöpf?« fragte ein Schwärmer das römische Licht.

»Ein Geschöpf, das andern immer auf die Füße tritt, weil es selber Hühneraugen hat«, antwortete die römische Kerze im Flüsterton; und der Schwärmer wollte platzen vor Lachen.

»Bitte, worüber lachen Sie denn?« forschte die Rakete; »ich lache doch nicht.«

»Ich lache, weil ich glücklich bin«, sagte der Schwärmer.

»Das ist ein sehr egoistischer Grund«, sagte die Rakete geärgert. »Was für ein Recht haben Sie, glücklich zu sein? Sie sollten an andere denken. Sie sollten an mich denken. Ich denke immer an mich und erwarte von allen andern, daß sie das gleiche tun. Das ist das, was man Sympathie nennt. Es ist eine schöne Tugend, und ich besitze sie in hohem Grade. Nehmen wir zum Beispiel an, mir passierte heut nacht etwas – was für ein Unglück wäre das für einen jeden! Der Prinz und die Prinzessin würden niemals wieder glücklich sein können, ihr ganzes eheliches Leben wäre zerstört, und der König würde nicht darüber wegkommen, das weiß ich. Wahrhaftig, sooft ich über die Bedeutung meiner Stellung nachzudenken beginne, bin ich gerührt bis zu Tränen.«

»Wenn du andern Vergnügen machen willst,« rief die römische Kerze, »ists besser, du hältst dich trocken.«

»Dazu rät doch der gewöhnliche Verstand«, meinte das bengalische Licht, das in bessere Laune kam.

»Der gewöhnliche Verstand, allerdings,« entrüstete sich die Rakete; »aber Sie vergessen, daß ich sehr ungewöhnlich und besonders bin. Gewöhnlichen Verstand kann jeder haben, vorausgesetzt, er hat keine Phantasie. Aber ich habe Phantasie, denn ich denke an die Dinge nie, wie sie wirklich sind; ich denke mir sie immer ganz verschieden und anders. Und was das Trockenhalten betrifft, so ist hier offenbar kein einziger, der überhaupt eine empfindsame Natur zu schätzen weiß. Glücklicherweise mache ich mir nichts daraus. Das einzige, was einem durch das Leben hilft, ist das Bewußtsein von der ungeheuren Inferiorität aller andern, und das ist ein Gefühl, das ich immer kultiviert habe. Herz hat von euch ja niemand. Ihr lacht hier und treibt Possen, gerade so, als ob der Prinz und die Prinzessin nicht Hochzeit machten.«

»Ja, aber weshalb denn nicht?« rief eine kleine Feuerkugel aus, »weshalb denn nicht? Die Hochzeit ist doch eine höchst freudige Gelegenheit, und wenn ich in die Luft hinauf schwebe, habe ich mir vorgenommen, den Sternen alles darüber zu berichten. Du wirst sie zwinkern sehen, wenn ich ihnen von der hübschen Braut erzähle.«

»Was für eine triviale Lebensauffassung du hast!« sagte die Rakete. »Aber ich habe von dir nichts anderes erwartet. Es steckt nichts in dir; du bist hohl und leer. Vielleicht wohnen der Prinz und die Prinzessin einmal in einem Lande, wo ein tiefer Fluß ist, und vielleicht haben sie auch einen einzigen Sohn, einen kleinen blondlockigen Knaben mit Veilchenaugen wie der Prinz selber; der geht vielleicht eines Tages mit seiner Amme aus, und die Amme schläft unter einem großen Fliederbaum ein; und dann fällt der Knabe vielleicht in den Fluß und ertrinkt. Was für ein schreckliches Unglück! Arme Menschen, die ihr einziges Kind so verlieren! Es ist zu traurig! Ich werde es niemals verwinden!«

»Aber sie haben ja gar nicht ihr einziges Kind verloren!« sagte die römische Kerze. »Es ist ihnen überhaupt kein Unglück passiert.«

»Das habe ich auch gar nicht behauptet,« antwortete die Rakete, »ich sagte nur, es könnte passieren. Wenn sie ihren einzigen Sohn wirklich verloren hätten, dann hätte es gar keinen Zweck mehr, davon zu sprechen. Ich hasse Menschen, die wegen verschütteter Milch ein Geschrei machen. Aber wenn ich denke, daß sie ihren einzigen Sohn verlieren könnten, so affiziert mich das sehr.«

»Dich natürlich,« rief das bengalische Feuer, »du bist aber auch das affektierteste Geschöpf, das mir je vorgekommen ist.«

»Und du bist das brutalste Geschöpf, dem ich je begegnet bin,« sagte die Rakete, »und kannst meine Freundschaft für den Prinzen selbstverständlich nicht begreifen.«

»Du kennst ihn ja gar nicht«, knurrte die römische Kerze.

»Ich habe nie behauptet, daß ich ihn kenne«, antwortete die Rakete. »Ich behaupte sogar, daß ich sicher sein Freund nicht wäre, wenn ich ihn kennen würde. Es ist eine sehr gefährliche Sache, seine Freunde zu kennen.«

»Gib lieber darauf acht, dich trocken zu halten,« sagte die Leuchtkugel, »das ist die Hauptsache.«

»Für dich wohl, davon bin ich überzeugt,« bemerkte die Rakete; »aber ich weine, wann es mir beliebt.« Und jetzt brach sie tatsächlich in wirkliche Tränen aus, die den Stab herunterliefen wie Regentropfen, so daß zwei kleine Käfer beinahe darin ertrunken wären, die gerade daran dachten, sich ein eigenes Heim zu gründen, und sich nach einer trockenen Stelle dafür umsahen.

»Sie muß wirklich sehr romantisch veranlagt sein,« sagte das Feuerrad, »denn sie weint, wo gar nichts zu weinen ist«, und es stieß einen tiefen Seufzer aus und dachte an seine Spanschachtel.

Aber die römische Kerze und das bengalische Feuer waren sehr indigniert und riefen ganz laut: »Schwindel! Schwindel!« Sie waren außerordentlich praktisch gesinnt, und wenn ihnen etwas nicht paßte, nannten sie es immer gleich Schwindel. Da ging der Mond auf wie ein wundervoller silberner Schild, und die Sterne begannen zu leuchten, und Musik tönte vom Palast her.

Der Prinz und die Prinzessin führten den Tanz. Sie tanzten so schön, daß die hohen weißen Lilien durch das Fenster hinein zuschauten, und die großen roten Klatschrosen wiegten die Köpfe und schlugen den Takt.

Dann tönte die Uhr zehn und dann elf und dann zwölf, und mit dem letzten Schlag Mitternacht kamen sie alle heraus auf die Terrasse, und der König schickte nach dem Hofpyrotechniker.

»Das Feuerwerk soll beginnen«, sagte der König, und der Hofpyrotechniker machte eine tiefe Verbeugung und begab sich hinüber an das Ende des Parkes. Er hatte sechs Gehilfen bei sich, und jeder von ihnen trug an einer langen Stange eine brennende Fackel. Es war ein herrliches Schauspiel.

»Uitz! Uitz!« machte das Feuerrad, als es sich immer rundum drehte. »Bumm! Bumm!« dröhnte die römische Kerze. Dann tanzten die Schwärmer über den ganzen Platz, und das bengalische Feuer machte alles scharlachrot. »Lebt wohl!« rief die Feuerkugel, als sie fortschwirrte und kleine blaue Funken niederschickte. »Krak! Krak!« antworteten die Feuerfrösche, die sich herrlich amüsierten. So hatte jedes einen großen Erfolg mit Ausnahme der bedeutenden Rakete. Sie war vom Weinen so feucht geworden, daß sie überhaupt nicht auffliegen konnte. Denn das Beste an ihr war das Schießpulver, und das war von den Tränen so naß, daß es versagte. Alle ihre armseligen Verwandten, zu denen sie nie anders als mit einem höhnischen Lächeln sprach, stiegen zum Himmel auf wie wundervolle goldene Blumen mit feurigen Blüten. »Hurra! Hurra!« rief der Hof, und die kleine Prinzessin lachte laut auf vor Vergnügen.

»Ich vermute, sie heben mich für eine ganz besonders große Gelegenheit auf,« sagte die Rakete; »ja ja, so ist es«, und sie sah hochmütiger aus als je.

Am nächsten Morgen kamen die Arbeitsleute, um alles wieder in Ordnung zu bringen. »Das ist sicher eine Deputation, ich will sie mit gebührender Würde empfangen«, sagte die Rakete und steckte die Nase hoch in die Luft und runzelte streng die Stirn, als ob sie über etwas sehr Wichtiges nachdächte. Aber die Leute nahmen gar keine Notiz von ihr. Erst als sie weggehen wollten, erblickte sie einer. »Da ist noch eine schlechte Rakete«, rief er und warf sie über die Mauer in den Graben.

»Schlechte Rakete? Schlechte Rakete?« sagte sie, als sie durch die Luft wirbelte. »Unmöglich! Schöne Rakete hat der Mann natürlich gesagt. Schön und schlecht, das klingt so ähnlich und ist oft dasselbe«, und sie fiel in den Schlamm.

»Behaglich ist es hier ja nicht,« bemerkte sie; »aber es wird wohl irgendein fashionabler Badeort sein, und sie haben mich hergeschickt, damit sich meine angegriffene Gesundheit kräftigt. Meine Nerven sind ohne Zweifel etwas irritiert, und ich brauche Ruhe.«

Da schwamm ein kleiner Frosch mit glänzenden gelben Augen und in einem grün gesprenkelten Rock auf sie zu.

»Ein neuer Gast wohl!« sagte der Frosch. »Es geht ja auch wahrhaftig nichts über den Schlamm. Sehen Sie, hab ich nur regnerisches Wetter und einen Graben, so bin ich vollkommen glücklich. Glauben Sie, daß es heut nachmittag regnen wird? Ich möcht es sehr wünschen; aber der Himmel ist ganz blau, und kein Wölkchen ist darauf. Wie schade!«

»Ehem! Ehem!« sagte die Rakete und begann zu husten.

»Was Sie für eine schöne Stimme haben!« rief der Frosch. »Sie klingt genau wie von einer Krähe, und die ist für mich die schönste Musik der Welt. Sie sollten heut abend unsern Gesangverein hören! Wir haben unsern Sitz in dem alten Entenpfuhl neben dem Pächterhaus, und sobald der Mond aufgeht, fangen wir an. Es ist so hinreißend, daß die Menschen wach im Bett liegen, um uns zuzuhören. Erst gestern hörte ich, wie die Pächtersfrau zu ihrer Mutter sagte, daß sie unseretwegen die ganze Nacht kein Auge zutun könnte. Es freut einen doch sehr, wenn man so beliebt ist.«

»Ehem! Ehem!« sagte die Rakete geärgert. Sie ärgerte sich schrecklich, daß sie kein Wort dazwischen reden konnte.

»Eine köstliche Stimme«, fuhr der Frosch fort. »Hoffentlich kommen Sie einmal zum Entenpfuhl rüber. Jetzt muß ich nach meinen Töchtern sehen. Ich habe nämlich sechs schöne Töchter und fürchte, der Hecht möchte ihnen begegnen. Er ist ein vollendetes Ungeheuer und würde sich keinen Augenblick bedenken, sie zum Frühstück zu verspeisen. Also, auf Wiedersehen! Ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß mich unsere Unterhaltung sehr erfreut hat.«

»Eine nette Unterhaltung das«, sagte die Rakete. »Sie haben die ganze Zeit allein gesprochen. Das nenne ich keine Unterhaltung.«

»Einer muß zuhören,« antwortete der Frosch, »und ich übernehme das Sprechen gern. Das spart Zeit und läßt keinen Streit aufkommen.«

»Aber ich mag Streit gern«, sagte die Rakete.

»Hoffentlich nicht«, sagte der Frosch höflich. »Streit ist etwas ganz Ordinäres, denn in der guten Gesellschaft haben alle dieselbe Meinung. Also nochmals: auf Wiedersehen – da drüben sind meine Töchter«; und der kleine Frosch schwamm fort.

»Sie sind eine aufdringliche Person«, sagte die Rakete, »und ohne jede Erziehung. Ich hasse Leute, die wie Sie immer von sich selbst reden, wenn man wie ich von sich reden will. Das nenne ich Egoismus, und Egoismus ist etwas ganz Abscheuliches, besonders für jemand von meinem Temperament, denn ich bin wegen meines sympathischen Naturells allgemein beliebt. Sie sollten sich wirklich an mir ein Beispiel nehmen, Sie könnten gar kein besseres Vorbild finden. Und jetzt, wo sich die Gelegenheit bietet, sollten Sie sie benützen, denn ich gehe sehr bald wieder zurück zu Hof, wo ich sehr beliebt bin. Mir zu Ehren wurden gestern der Prinz und die Prinzessin verheiratet. Natürlich wissen Sie von all dem nichts, denn Sie sind vom Lande.«

»Es hat keinen Zweck, ihm was zu erzählen,« sagte eine Libelle, die auf einer großen braunen Binse saß, »gar keinen Zweck, denn er ist schon weg.«

»Das ist sein Schade, nicht der meine«, erwiderte die Rakete. »Ich denke nicht daran, bloß deshalb mit ihm zu sprechen aufzuhören, weil er nicht zuhört. Ich höre mich selbst sehr gern sprechen. Es ist mein größtes Vergnügen. Ich führe oft lange Unterhaltungen mit mir selber, und ich bin so gescheit, daß ich manchmal nicht ein Wort von all dem verstehe, was ich sage.«

»Dann sollten Sie Vorlesungen über Philosophie halten«, sagte die Libelle; und sie breitete ein paar entzückende Gazeflügel aus und schwirrte davon.

»Wie töricht von ihr, daß sie nicht hier blieb«, sagte die Rakete. »Ich bin überzeugt, sie findet nicht oft eine solche Gelegenheit, etwas für ihre Bildung zu tun. Aber mir ist das schließlich gleichgültig. Ein Genie wie ich findet früher oder später seine Anerkennung«; und sie sank noch ein bißchen tiefer in den Schlamm.

Nach einer Weile kam eine große weiße Ente angeschwommen. Sie hatte gelbe Beine und Schwimmhäute an den Füßen und galt für eine große Schönheit wegen ihres Watschelns.

»Quak, quak, quak,« sagte sie, »was für ein komisches Gestell du bist! Darf ich fragen, ob du schon so auf die Welt gekommen bist oder ob das die Folge eines Unfalls ist?«

»Es ist klar, daß Sie immer nur auf dem Lande gelebt haben,« bemerkte die Rakete, »sonst würden Sie wissen, wer ich bin. Übrigens verzeihe ich Ihnen Ihre Unwissenheit. Es wäre unbillig, von andern Leuten zu verlangen, daß sie so ungewöhnlich und außerordentlich sind, wie man selber ist. Es wird Sie zweifellos überraschen, zu hören, daß ich zum Himmel fliegen und in einem Schauer von goldnem Regen wieder auf die Erde herunterkommen kann.«

»Davon halt ich nicht viel,« sagte die Ente, »denn ich seh nicht ein, wozu das gut sein soll. Ja, wenn du die Felder pflügen könntest wie der Ochse oder einen Wagen ziehen wie das Pferd oder die Schafe hüten wie der Schäferhund, das wäre noch was.«

»Ach Sie Ärmste!« rief die Rakete sehr überlegen; »ich sehe, daß Sie zum untern Stand gehören. Jemand von meinem Rang ist nie nützlich. Wir haben eine gewisse Bildung, und das ist mehr als genügend. Ich habe keinerlei Sympathie für irgendwelche Tätigkeit, am allerwenigsten für eine, die Sie da zu empfehlen scheinen. Ich bin immer der Meinung gewesen, daß zur Arbeit nur jene Leute ihre Zuflucht nehmen, die gar nichts zu tun haben.«

»Ja ja,« sagte die Ente, die sehr friedselig war und nie mit irgend jemandem Streit anfing, »ja ja, der Geschmack ist verschieden. Aber ich hoffe doch, daß Sie sich hier dauernd niederlassen, nicht?«

»Fällt mir nicht ein!« rief die Rakete. »Ich bin nur zu Besuch hier, ein vornehmer Besuch. Und finde den Ort höchst langweilig. Hier ist weder Gesellschaft noch Einsamkeit. Es ist wie in einer Vorstadt. Wahrscheinlich geh ich wieder zu Hof zurück, denn ich weiß, ich bin dazu bestimmt, Aufsehen in der Welt zu erregen.«

»Ich hatte mich auch einst mit dem Gedanken beschäftigt, ins öffentliche Leben zu treten,« bemerkte die Ente; »es gibt da so vieles, das reformbedürftig ist. Ich habe auch wirklich einmal den Vorsitz in einer Versammlung geführt, und wir faßten Resolutionen, die alles verurteilten, was wir nicht leiden mochten; aber es scheint, daß sie nicht viel erreicht haben. Jetzt geh ich ganz in der Häuslichkeit auf und kümmere mich nur noch um meine Familie.«

»Ich bin für das öffentliche Leben geschaffen,« sagte die Rakete, »ich und alle meine Verwandten bis zu den Geringsten von ihnen. Wenn immer wir erscheinen, erregen wir Aufsehen. Ich bin selbst noch nicht öffentlich aufgetreten, aber wenn es dazu kommt, wird es ein ganz herrlicher Anblick sein. Was die Häuslichkeit angeht, macht einen die früh alt und lenkt einen von den höheren Dingen ab.«

»Ach ja, die höheren Dinge des Lebens, die sind schön!« sagte die Ente; »und das erinnert mich daran, wie hungrig ich bin.« Und sie schwamm den Bach hinunter und machte: »Quak, quak, quak.«

»Komm doch zurück! komm zurück!« schrie die Rakete, »ich hab dir noch eine ganze Menge zu sagen«; aber die Ente kümmerte sich gar nicht mehr um sie.

»Ich bin froh, daß sie fort ist,« sagte sich die Rakete, »sie hat entschieden was Kleinbürgerliches«, und sie sank noch ein bißchen tiefer in den Schlamm und begann über die Einsamkeit des Genies nachzudenken, als auf einmal zwei kleine Jungen in weißen Kitteln den Graben entlang gelaufen kamen, mit einem Kessel und einem Reisigbündel.

»Das muß die Deputation sein«, sagte die Rakete und versuchte, sehr würdig dreinzuschauen.

»Holla!« rief einer der Buben, »schau mal da den alten Stecken! Wie der wohl dahergekommen ist«, und er holte die Rakete aus dem Schlamm heraus.

»Alter Stecken?« sagte die Rakete; »Unsinn! Er sagte natürlich goldner Stock, und das ist ein großes Kompliment. Er hält mich wahrscheinlich für einen Hofwürdenträger.«

»Wir wollen ihn ins Feuer legen,« sagte der andere Junge, »dann kocht unser Topf schneller.«

Also richteten sie das Reisig, legten die Rakete oben drauf und zündeten ein Feuer an.

»Das ist herrlich!« rief die Rakete; »sie lassen mich bei hellem Tageslicht aufsteigen, damit mich jeder sehen kann.«

»Jetzt wollen wir ein wenig schlafen,« sagten die Jungen, »und wenn wir aufwachen, wird das Wasser kochen.« Und sie legten sich ins Gras und schlossen die Augen.

Die Rakete war sehr feucht, und es brauchte eine lange Weile, bis sie Feuer fing. Endlich kam sie doch ins Brennen.

»Jetzt steig ich auf!« rief die Rakete und machte sich ganz steif und gerade. »Ich weiß, daß ich viel höher steigen werde als die Sterne, viel höher als der Mond, viel höher als die Sonne. Ich werde so hoch steigen, daß ...«

»Fizz! Fizz! Fizz!« und sie stieg kerzengerade in die Luft.

»Herrlich!« rief sie. »Und so gehts nun weiter in alle Ewigkeit. Was ein Sukzeß!«

Aber niemand sah sie.

Da fühlte sie ein eigentümliches Prickeln im ganzen Leibe.

»Jetzt werde ich explodieren!« rief sie; »ich werde die ganze Welt in Brand setzen und dabei einen solchen Lärm machen, daß ein ganzes Jahr lang kein Mensch von was anderem wird sprechen können.« Und sie explodierte wirklich. »Krach! Krach! Pffft!« machte das Schießpulver. Darüber gabs keinen Zweifel.

Aber niemand hörte sie, nicht einmal die zwei kleinen Jungen, denn die waren fest eingeschlafen.

»Um Gottes willen!« schrie die Gans auf, »es regnet Stöcke!« und sie schoß ins Wasser.

»Ich wußte doch, ich würde ein riesiges Aufsehen machen«, hauchte die Rakete und ging aus.


 << zurück weiter >>