Christoph Martin Wieland
Bruchstücke von Psyche
Christoph Martin Wieland

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III.

Psyche befand sich, unmittelbar vor dem Augenblicke, da dieses Fragment anfängt, in der Gemüthsstimmung, für einen jungen Hirten, mit welchem sie erzogen worden war, etwas zu empfinden, das mehr den Nahmen einer Anlage zur Zärtlichkeit als einer leidenschaftlichen Liebe verdiente.

                So zärtlich fühlte sich ihr junges Herz noch nie.
Aus Neugier halb und halb aus Sympathie
Zieht sie die Hand, die er ergreift, zurücke,
So reitzend ungewiß, daß Er an seinem Glücke
Nicht zweifeln kann. Doch, wie er, hoch entzückt,
Die schöne Hand – noch nicht an seine Lippen drückt,
Nur eben drücken will – in diesem Augenblicke
Wird Psyche schnell empor gerückt,
Und durch die Luft, verfolgt von seinen Klagen,
Wie leichter Flaum vom Zefyr fortgetragen.

Mit diesen Versen schloß das zweyte Buch, und was nun folget, machte einen Theil des dritten aus.

* * *

                      Wo bin ich? Welch ein Ort? Wer brachte mich hierher?
Rief Psyche, da sie sich, als wie von ungefähr,
Auf weichem Moos, beschneyt von Rosenblättern
Und mit Schasmin, an eine Myrtenwand
Gelehnt, an einem Ort, der würdig schien von Göttern
Bewohnt zu seyn, auf einmahl wieder fand.

    Sie dreht mit zweifelhaften Blicken
Sich schüchtern um, und fragt sich ob sie wacht?
»Träumt' ich bisher? – Vor wenig Augenblicken,
Wo war ich da? – Nicht hier! – In Hirtentracht
Schien mir die Hand ein Liebesgott zu drücken.
Es war ein Traum! – Und doch – Nein, nein,
Es kann kein Traum gewesen seyn!
Er lauscht gewiß in diesen Myrten.«

    Sie sucht, und findet wieder Hirten
Noch Liebesgott; ganz einsam ist der Hain,
Nur zärtlich girrende verliebte Turteltauben
Bewohnen ihn, und fliehen nicht vor ihr.

    Ihr Wunder steigt und ihr Neubegier
Mit jedem Blick. Was soll sie glauben?
»Wie? ruft sie, war ich nicht kaum eine Schäferin?
War's nur ein Traum aus dem ich itzt erwachte?
Das fühl' ich doch, je mehr ich mich betrachte,
Daß ich noch stets die kleine Psyche bin!«

    Und dennoch eilet sie zu einer Quelle hin,
Die im Gebüsch ihr Murmeln sichtbar machte.
Ihr erster Blick erkennt die reitzende Gestalt,
Mit welchem innigen Entzücken!
Sie streckt die Arme aus, mit liebevollen Blicken
Die schöne Brust, die ihr entgegen wallt,
An ihr aufwallend Herz zu drücken.
So zärtlich liebten sich zwey schöne Schwestern nie.
Sey immerhin der junge Hirt verschwunden!
Verschwunden war er flugs aus ihrer Fantasie
Und alle Welt mit ihm, so bald sie – sich gefunden.

    Noch schwebt sie über dem bezaubernden Gesicht,
Als eine Stimme sie in dieser Wonne störet;
Musik war jeder Ton; sie schaut empor und höret,
Doch wen sie höre, sieht sie nicht.

    »Kann Psyche noch mit ihrem Schatten spielen,
Sie, die der schönste Gott zum Lieblich sich erkiest?
O wüßte sie wie schön er ist,
Wie würde sie zu ihm sich hingerissen fühlen!
Sie, die der schönste Gott zu seiner Braut erkiest,
Sie fühlte sich zu groß mit Puppen noch zu spielen.«

    So sang die Stimm' und schwieg. Das Mädchen schaut empor
Und um sich her, sieht niemand, lauscht betroffen
Dem Wohlklang nach, der im entzückten Ohr
Noch wiedertönt. – »Wer heißt so stolz mich hoffen?
Hört' ich auch recht? Ein Gott, der liebte mich?
Der schönste Gott? – Warum verbärg' er sich?«

    »Dein Aug' ist noch zu schwach sein Anschaun zu ertragen,
(Versetzt die Stimm') obschon gewohnt doch selbst zu sehn;
Du würdest, Psyche, vor Behagen
Und Wonne, sollt' er dir erscheinen, gleich vergehn.«

    Auf die Gefahr, denkt Psyche, wollt' ichs wagen,
Und lächelt mädchenhaft ihr Bild im Wasser an.
Sie möchte gern noch dieß und jenes fragen,
Allein die Stimme schweigt. Auch Sie verstummt' und sann
Der Wunderstimme nach und dieser neuen Liebe.

    »Mich liebt ein Gott! So war es seine Macht
Was mich hieher in einem Wink gebracht?
Der schönste Gott? – Gewiß der Gott der Liebe!
Gewiß er selbst! Noch nie gefühlte Triebe
Und süße Schauer sagen mir,
Sein Hain sey dieß! Wer anders herrschte hier?
O, die ihr euch in diesen Myrten gattet,
Ihr Täubchen, leitet meinen Fuß
Zur Laube hin, die ihn umschattet,
O zeigt ihn mir, und Psychens erster Kuß
Sey euer Lohn!«

    Dionens Vögel rühret
Der süße Lohn. Sie wird auf einem Blumenpfad
In lieblich irrenden Gebüschen fortgeführet,
Und nahet unvermerkt dem angenehmsten Bad.

    Ah! welche ein Anblick! – Rosenhecken,
Mit Efeu unterwebt, verhüllen und entdecken
Zugleich das Lieblichste, was Augen jemahls sahn.
Darf sie der Götterscene nahn?
Sie darf. Ein Zefyr schwebt voran
Und zieht den Vorhang weg. O göttliches Vergnügen!
Auf Blumen, welche, leicht wie Geist
Und hell wie Luft, ein sanfter Quell befleußt,
Sieht sie die Huldgöttinnen liegen.
Wie schön gruppiert! Wie reitzend schwesterlich!
Zum Spiel beschäftigt, Blumenketten
Um lose kleine Amoretten
Zu winden, welche schmeichelnd sich
Um jeden runden Arm und weißen Nacken schmiegen,
Hier schlau versteckt aus schwarzen Locken lächeln,
Dort sich auf Lilienbusen wiegen,
Und ihre rege Gluth mit goldnen Schwingen fächeln.

    Ein Mahler möcht' ich seyn, wie dieser Augenblick
Auf Psychen wirkte, auszudrücken!
Dieß süße Schaudern, dieß Entzücken
Gemahlt von Guido – welch ein Stück
Die Dresdner Galerie zu schmücken!
Doch dazu wählt' ich mir den schönern Augenblick,
Da sie, entdeckt vom ganzen kleinen Schwarme
Der Götterchen, den Grazien in die Arme
Getragen wird, und (was ihr süßes Staunen mehrt)
Sich Schwesterchen, sich Psyche nennen hört,
An jeden holden Mund, an jede Brust gedrückt,
Der Zärtlichkeit, wovon ihr Herz erstickt,
Sich überlassen darf, und küssend und geküßt
Vernimmt, daß alles hier um ihrentwillen ist.

    Indem sie unter so viel Freuden
Sich selbst vergißt, erhascht die kleine Schaar
Den Augenblick, der ihnen günstig war
Zur Grazie sie umzukleiden.
In einem Wink steht sie gewandlos da,
Beschämt den losen Blick der Götterchen zu weiden,
Zu denen sie des Streichs sich nicht versah,
Sie schmiegt, um ihnen zu entrinnen,
In Pasitheens Brust ihr glühendes Gesicht;
Die kleine Blöde wußte nicht
Wie viel die Grazien selbst bey dieser Tracht gewinnen.
Ein lieblich Mittelding von Ideal
Und von Natur, auch zwischen Huldgöttinnen
Noch reitzend, steht sie da, der Wahl
Des schönsten Gottes werth, der, hoch aus Rosenlüften
Auf einen Zefyr hingebückt
Im Geiste sie an seinen Busen drückt.

    Und nun, da Amfitritens Grüften
Apollons goldner Wagen naht,
Entsteigen sie dem kühlen Bad.
Schon wallet von den weißen Hüften,
Wie Silberduft, Sokratisches GewandAnspielung auf die bekleideten Grazien, welche Sokrates in seiner Jugend aus Marmor gebildet haben soll.
Zum schönen Knöchel reitzend nieder,
Und Psychen flicht Aglaiens eigne Hand
Die Rosen ein, die Amors kleine Brüder
Für sie gepflückt. In einem Myrtensahl
Folgt itzt dem Bad ein leichtes Göttermahl
Von Fröhlichkeit und süßem Schmerz gewürzet,
Dem Mahl ein Lied, dem Lied ein Grazientanz;
Sie tanzen nymfenhaft geschürzet
Auf kurzem Gras, bey Lunens Silberglanz,
Indeß geschäft'ge Amoretten
Für Amors Braut ein sanftes Lager betten.

    Den Grazien und den Amoretten
Schließt itzt auf ihren Rosenbetten
Der weiche Schlaf die Augen zu:
Nur Psychen läßt die Freude keine Ruh'
Sich an dem schönen Ort zu sehen.
Noch faßt sie nicht wie ihr geschehen;
Nur dieses einz'ge fühlet sie,
Der Ort und was sie da gehöret und gesehen,
Sey nicht ein Spiel der Fantasie.
Was läßt nicht solch ein Anfang hoffen?
Geliebt vom schönsten Gott, und wo sie geht ein Schwarm
Von Zefyrn und von Amorinen
Und Charitinnen Arm an Arm,
Die neue Venus zu bedienen!
Wem würde nicht der Kopf von solchen Bildern warm!
Auch sieht sie schon den hellen Himmel offen,
Sieht jeden Gott verliebt in Amors Glück
Und Eifersucht in jeder Göttin Blick,
Schwimmt um und um in Glanz und Wohlgerüchen,
In Harmonie und nahmenloser Lust,
Und wird zuletzt – an Amors Brust
Vom Schlummer unvermerkt beschlichen.

    Vermuthlich denken Sie – »Ich? spricht die Priesterin:
Sie selbst, wo denken Sie wohl hin,
Zu glauben, daß bey dieser Stelle
Sich was besondres denken läßt?«

    Ich meinte nur, erwiedert Alkahest,
Die Ursach' wäre ziemlich helle.
Von Amorn ließe sich, schon seinem Rufe nach,
Ein wenig Hinterlist vermuthen.
Dient ihm sein Pfeil statt aller Zauberruthen,
Wer dächte, daß es ihm an Willen nur gebrach?
Auch öffnet er sich Psychens Schlafgemach
Und schleicht hinzu und – schaut. – Kann Venus schöner liegen?
Wie sanft sie ruht! Wie schmeichelhaft
Die leichten Träume sich auf ihrem Busen wiegen!
Und was aus eifersücht'gem Taft
Sein irrend Auge niederziehet,
Ein Tithon hätte sich zum Jüngling dran vergafft!
Wie hätte Vater Zevs vor diesem Fuß geknieet,
Der halb versteckt nur desto mehr verführt!
Und Amor, der aus Liebe sie entführt,
Er sah noch mehr und – wurde nicht gerührt?
Nichts scheint vom Glaublichen sich weiter zu entfernen,
Ich geb' es zu. Allein, wir werden bald
Zwey Amorn unterscheiden lernen,
Halbbrüder zwar, allein an Herkunft und Gestalt
Und Neigung wahre Gegenfüßer.
Der eine findt den Mund unendlich süßer
Der reitzend küßt, als den der göttlich spricht,
Und ihn versucht die weiseste der Musen
Vielleicht durch einen schönen Busen,
Doch sicherlich durch ihre Weisheit nicht.
Der andre sieht im schönsten aller Busen
Nichts als – der Unschuld Wiederschein;
Ihm sind nur Seelen schön, und fänd' er an Medusen
Das Innre liebenswerth, sie würd' ihm Venus seyn.
Der Rest ist nichts warum er sich bekümmert;
Die Tugend, die durch Psychens offne Brust,
Wie durch Krystall, ihm in die Seele schimmert,
Läßt für gemeine Augenlust
Ihm keinen Sinn. – Sie lächeln einer Tugend
Die kaum mit Puppen noch gespielt?
Doch unser Amor sieht in Psychens grüner Jugend
Den Herbst bereits, den noch die Knosp' enthielt,
Und das Vergnügen selbst sein Knöspchen zu entfalten
Ist ihm, der bloß Platonisch fühlt,
Mehr als genug sein Herz zu unterhalten.

    Indessen, ob er gleich das liebe Kind bey Nacht
Nicht in der Ruhe stören wollte,
So war er doch nicht minder drauf bedacht,
Daß sie so schön erwachen sollte
Wie noch kein Erdenkind erwacht.
Neun Musen, rings um Psychens Bette
Gelagert, wirbelten so reitzend in die Wette,
Daß Psyche, die davon erwacht,
Schon im Olymp zu seyn sich gänzlich überredet.

    Sie sangen, wie der Krieg, der in der alten Nacht
Das ungestalte Heer der Atomen befehdet,
Auf Amors Wink der Ordnung Platz gemacht,
Wie neue Formen sich zu bilden angefangen,
Und, von der Liebe Geist geschwellt,
Voll sympathetischem Verlangen
Die Keime gleicher Art einander angehangen,
Bis durch den Ocean des Äthers Welt an Welt
Gleich Frühlingstagen aufgegangen.  u. s. w.


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