Christoph Martin Wieland
Bruchstücke von Psyche
Christoph Martin Wieland

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II.

Alkahest, der junge Magier, der die schöne Oberpriesterin Aspasia mit dem Mährchen von Psyche unterhalten sollte, beginnt seine Erzählung mit einer Schilderung der goldnen Zeit, die in dem ersten Buche der Grazien einen schicklichen Platz gefunden hat. Und nun fährt die Erzählung des Dichters folgender Maßen fort:

                Hier kommt, mit Recht, ein unaufhaltbar's Gähnen
Die aufmerksame Freundin an;
Sie weist dem jungen Mann die schönste Reih' von Zähnen
Um schönsten Munde, der sich jemahls aufgethan:
»Und Psyche – gähnt sie aus – war damahls schon geboren?«

    Sie zupfen mich zu rechter Zeit, Madam,
(Spricht Alkahest) ein wenig bey den Ohren;
Ich weiß nicht wie ich da ins Fantasieren kam;
Und Psyche – In der That, der Faden ist verloren –
Wir müssen schon zurück! – In dieser goldnen Zeit
Wovon die Rede war – Die Wendung, ich gestehe,
Ist etwas rasch, allein der Umweg war zu weit.
Das beste scheint mir itzt, ich gehe
Den nächsten Weg zurück in meine Bahn,
Und fange – bey dem Anfang an.

    In jenen goldnen Tagen dann,
Wo? gilt uns gleich, lebt' eine junge Dirne,
Das angenehmste Ding, das man
Mit einem Schäferstab und Rosen um die Stirne
Sich denken mag. Ihr Ursprung, unbekannt;
Es ward davon verschiedentlich gesprochen;
Doch weil man sie an einer Hecke fand,
Gab der gemeine Wahn, von ihrem Reitz bestochen,
Ihr DschinnistanDas Feenland der Persischen und Arabischen Dichter. zum Vaterland;
Denn ihre Wärterin gestand,
Die Windeln hätten nach Ambrosia gerochen.
Wie dem auch sey, genug aus Leda's Ey
War nichts so liebliches wie Psyche ausgekrochen.
Sie schien beym ersten Blick die reitzendste Kopey
Von einem Urbild aus dem Lande der Ideen;
Ganz Seele, ganz Gefühl, oft bis zur Schwärmerey,
Und dann, die Wahrheit zu gestehen,
Geneigt im Rausch der süßen Raserey
Den ersten jungen Faun für Amorn anzusehen,
Auch ihren Neigungen nicht immer sehr getreu;
Gefällig sonst und bildsam, leicht zu leiten,
Oft gar zu leicht, wiewohl zu andern Zeiten
Voll Eigensinn, von Launen selten frey,
Und sinnreich, sich aus einer Kinderey
Bald Stoff zur Lust und bald zur Unlust zu bereiten;
Der Ruhe hold, und doch nie ruhig; arbeitscheu,
Doch unermüdet zum Vergnügen;
Leichtgläubig allem was ihr neu
Und unbegreiflich schien, und, wenn ihr Herz dabey
Gewann, ein wenig rasch sich selber zu betrügen;
Doch ohne daß das gute Herz dabey
An Arges dachte; frank und frey
Von Arglist und von Schadenfreude,
Der Schwermuth herzlich gram so wie der Gleißnerey;
Kurz, gar ein gutes Kind, das seine Augenweide
An Andrer Wonne sag, und, wenn sie selbst der Freude
Sich überließ, in ihrer Fantasey
Rings um sich her gleich alles glücklich machte,
Fest überzeugt, und sehr vergnügt dabey,
Daß eine Welt, worin ihr alles lachte,
Die beste aller Welten sey.

    So war sie, da sie aus den Händen
Der Mutter Isis kam; noch ungebildet zwar,
Doch voller Stoff. Sie auszubilden war
Der Musen Amt, sie zu vollenden
Der Grazien – Was fehlt zur Göttin ihr?
Der Götter Glück. Auch dieß ihr zuzuwenden,
Gebührt allein, o Gott der Liebe, Dir!


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