Christoph Martin Wieland
Versuche den wahren Stand der Natur des Menschen zu entdecken
Christoph Martin Wieland

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8.

So weit man auch die Zeit der Entwöhnung unserer jungen Colonisten hinaus setzen mag, so muß sie endlich kommen, und die Kinder müssen ihre Nahrung selbst suchen lernen.

Es darauf ankommen zu lassen, ob sie sich ohne Anweisung würden helfen können, möchte desto gefährlicher seyn, da Rousseau selbst kein Bedenken trägt, dem Menschen den Instinct abzusprechen, womit die Natur auch das verworfenste Insect in diesem Stücke versorgt hat – und ihnen 214 Anweisung zu geben, würde ein Eingriff in das Geschäft der Natur seyn, der mit unseren Absichten nicht wohl bestehen könnte. Doch in zweifelhaften Fällen wählt man das Sicherste.

Rousseau läßt seinen natürlichen Menschen seine Speise unter einer Eiche suchen. Vermuthlich muß dieser Philosoph, bei aller seiner Neigung zum Cynismus, in seinem Leben keine Eicheln gegessen haben. Er würde sonst wenigstens eine kleine Anmerkung dazu gemacht haben, welche ihm Strabo und Plinius an die Hand geben konntenS. Strabon L. III. p. 233. et. Amstelod. 1707 und Plin. C. XVI. c. 6. W.. Die ältesten Griechen und einige Völker, die uns der erste nennt, nährten sich auch von Eicheln. Aber es waren, wie uns eben dieser weise Schriftsteller versichert, eine sehr gute wohlschmeckende Art von Eicheln; mit einem Worte, eben diejenige, welche noch auf diesen Tag unter dem Namen Kastanien in ganz Europa – von den arbitris lautitiarum selbst – gegessen werden.

Unsere Kinder werden also wenigstens diese Eicheln (wenn es ja Eicheln seyn müssen) finden und essen lernen, und erst alsdann, wenn wir uns dieses Punkts versichert haben, wollen wir's wagen, Abschied von ihnen zu nehmen, um sie, für die nächsten zwanzig Jahre, der Mutter Natur und sich selbst zu überlassen.



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