Christoph Martin Wieland
Athenion
Christoph Martin Wieland

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8.

Aristion war ein zu feiner Politiker, um die Maske des Patriotism eher abzulegen, bis sie ihm ihre völlige Dienste gethan und ihn auf den Punkt gebracht hatte, wo sie ihm zu nichts mehr helfen konnte. Er hatte den Athenern in seinen gesandtschaftlichen Berichten den großen König immer nur in dem Licht eines großmüthigen Befreiers von dem römischen Joche gezeigt, und so, wie sie jetzt größtentheils gesinnt waren, konnte sie nichts mehr zurückhalten, sich diesem in die Arme zu werfen, als etwa die Ungewißheit, ob er auch mächtig genug sey, sie bei der Unabhängigkeit, welche sie von seiner Freundschaft erwarteten, gegen ihre ehemaligen Freunde, die Römer, zu schützen. Allein dieß konnte nun, da Mithridates Meister von ganz Kleinasien war, da er Alles, was römisch hieß, an einem Tage aus dem ganzen Umfang dieser weitläufigen Provinzen vertilgt hatteDieser Tag war einer der unglücklichsten, die den Römern seit Erbauung ihrer Stadt aufgegangen waren. Die Provinzen des kleinen Asiens wimmelten von Römern und Italienern, welche theils die Staatseinkünfte gepachtet, theils sonst alle Arten von lucrativen Geschäften in diesen reichen Ländern an sich gezogen hatten. Mithridates glaubte sich seiner neuen Eroberungen nicht eher versichert zu haben, bis er Alles, was römisch hieß, darin vertilgt hätte. Er schickte also von Ephesus aus geheime Befehle an alle Statthalter und Unterobrigkeiten der Provinzen und Städte in ganz Kleinasien, vermöge deren auf einen bestimmten Tag alle Römer, selbst die Weiber, Kinder und Sklaven nicht ausgenommen, aller Orten ermordet werden sollten. Einen erschlagenen Römer zu begraben oder einen lebenden zu verbergen, war bei hoher Strafe verboten. Ihr sämmtliches Vermögen wurde zum Vortheil des Königs und der Mörder eingezogen. Wer einen versteckten Römer entdeckte, erhielt eine Belohnung. Die Sklaven, welche ihre römischen Herren, und die Schuldner, welche ihre Gläubiger ermordeten, erhielten – jene die Freiheit, diese den Nachlaß der Hälfte ihrer Schuld u. s. w. Der Haß der Asiaten gegen ihre römischen Unterdrücker und Aussauger war ungefähr der – Liebe der Indianer in Bengalen zu ihren Freunden, den Engländern, gleich und bedurfte aller dieser Aufmunterungen nicht. Achtzigtausend römische Bürger wurden an diesem schrecklichen Tage umgebracht – und diese Zahl ist noch die geringste, die von den alten Geschichtschreibern angegeben wird. W. und schon im Begriff stand, mit einem siegreichen Heer und mit den glänzendsten Hoffnungen in Europa überzugehen, bei einem so lebhaften und einbildungsreichen Volke wie die Athener keine Frage mehr seyn. Jetzt war der Augenblick gekommen, den Aristion ergreifen mußte, um sich zu gleicher Zeit seiner Verpflichtungen gegen den König zu entledigen und seinen eignen geheimen Entwurf auszuführen.

Er eilte also in Person, als der Herold einer fröhlichen Botschaft, nach Athen zurück; und da er die Erwartung seiner leichtgläubigen Mitbürger bereits hoch genug gespannt hatte, um gewiß zu seyn, daß sie ihn mit schwärmerischem Entzücken empfangen würden, so ließ er es auch auf seiner Seite an nichts ermangeln, was diese seinen Absichten so günstige Disposition des Volkes unterhalten konnte. Er wußte, 325 wie viel man über die Menschen gewinnt, wenn man sie zu rechter Zeit als Kinder behandelt, ihre Sinne durch ungewöhnliche Eindrücke überrascht und ihnen nicht Zeit läßt, sich selbst wegen der Bewegungen, wovon sie hingerissen werden, zur Rechenschaft zu ziehen. Der Sohn der ägyptischen Magd, vor Kurzem noch ein bloser Winkelschulmeister und einer der unbedeutendsten Menschen von der Welt, zog, unter einem unglaublichen Zusammenfluß von Zuschauern, die von allen Enden zu dieser prächtigen Farce herbeiströmten, in einem schimmernden Purpurkleide, auf einem Thron mit silbernen Füßen getragen, unter dem lautesten Freudengeschrei des Volkes, wie im Triumph zu Athen ein; und glücklich, wer sich am nächsten zu ihm hinandrängen und den Saum seines wallenden Purpurs berühren konnte! Denn der Mann kam, der ihnen die Freundschaft des großen Königs verschafft hatte; der Mann, der sie von den Schatzungen der Römer zu befreien, ihre liebe Demokratie wieder herzustellen und das schöne Athen zu seiner alten Macht und Herrlichkeit wieder zu erheben – versprochen hatte! War dieß nicht genug, die unmäßigste Freude zu erregen und die ausschweifendsten Ehrenbezeugungen zu rechtfertigen, die einem solchen Mann erwiesen wurden?

Kaum daß man ihm Zeit gelassen hatte, in seinem alten Quartier abzusteigen, so wurde er mit großem Gepränge in ein öffentliches Haus abgeholt, wo man ihm eine Wohnung zuwies, die mit Tapeten, Malereien, Bildhauerwerken und silbernen Gefässen aufs prächtigste versehen war. Bald darauf erschien Aristion wieder in einem reichen Staatskleide, mit einem Ring am Finger, in dessen Stein der Kopf des Mithridates geschnitten war, mit einem großen Gefolge vor und hinter ihm her und begleitet von einer Menge Volks, 326 die vor dem Hause auf ihn gewartet hatte. Mit diesem Pomp erhob er sich in den Tempel des Bacchus, wo die Gewerkschaft dieses Gottesοἱ περὶ Διόνυσον τεχνῖται, die Künstler des Bacchus, sagt Athenäus. Unter dieser allgemeinen Benennung wurden zu Athen Komödianten, Mimen, Musikanten, kurz die ganze Bande joyeuse begriffen, welche unter dem besondern Schutz dieses Gottes standen und als seine Angehörigen betrachtet wurden. So sagt Plutarch vom Sylla, da er zu Athen mit einem Anstoß von Gicht befallen worden und deßwegen die warmen Bäder zu Adipsos besucht, habe er sich den ganzen Tag über mit den Künstlern des Bacchus die Zeit vertrieben (συνδιημερευων τοις περι τον Διονυσον τεχνιταις) die er ohne Zweifel von Athen mitgenommen. Vermuthlich machten sie eine eigene Brüderschaft aus, die zum Bacchus, als ihrem Schutzpatron, eine besondere Andacht hatten, wie etwa die Schuster in Frankreich zum heil. Crispinus u. s. w. W. dem Könige Mithridates, als dem neuen BacchusDenn so wurde jetzt Mithridates in Kleinasien überall genannt und verehrt, wie dieß Cicero selbst bekräftigt. Orat. pro Flacco c. 25. W., und seinem Günstling Aristion zu Ehren ein großes Fest angestellt hatte, und beiden öffentlich Libationen gebracht wurden. Ganz Athen schien sich in einem seltsamen Taumel von Freude und Erwartung herumzudrehen. Der Keramikus wimmelte von Einheimischen und Fremden. Man sprach von nichts als vom Aristion und Mithridates und von den großen Dingen, die zum Heil Griechenlands geschehen würden.

Kluge Leute sahen ohne Zweifel alle diese Ausschweifungen mit eben so nüchternen Augen an, wie wir; aber sie mußten am Ende thun, wie die Andern. Denn das Volk war in keinem Zustande, worin es rathsam gewesen wäre, ihm widersprechen oder Mäßigung predigen zu wollen. Man konnte, glaubten sie, dem Günstling des neuen Weltbezwingers Bacchus-Mithridates nicht zu viel Ehre erweisen, sich nicht zu viel um die Gunst des Mannes bewerben, durch dessen Hand Jeder, was er wünschte, von dem großen Geber alles Guten zu erhalten hoffte. Aristions Wohnung war dem Tempel eines wunderthätigen Gottes ähnlich, wo die Ebbe und Fluth der Kommenden und Gehenden nie aufhört. Ging er aus, so hatte er immer einen Hof von Clienten um sich her; kam er zurück, so war es allezeit mit einer Begleitung, die von Gasse zu Gasse immer zahlreicher wurde. 327



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