Christoph Martin Wieland
Alceste
Christoph Martin Wieland

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Vierter Aufzug

Erste Szene

Der Vorsaal.

Parthenia allein:
Mit bangem Herzen, selbst des Trostes dürftig, den
Ich gebe, geh ich, meine Tränen
Admetens Tränen zu vermischen.
Dank sei den Göttern! Diese Linderung
Ist doch nicht länger ihm versagt.
Nicht mehr versunken in betäubende
Verzweiflung, hat sich an der Hand
Der Freundschaft seine Seele wieder aufgerichtet.
Er fühlt sich wieder selbst, kann weinen, findet Trost
In mitgeweinten schwesterlichen Zähren.
Sogar ein Sonnenblick von Hoffnung kämpft
Aus seinem trüben Aug hervor, seitdem
Alkmenens Sohn, dem nichts unmöglich ist,
Ihn Hoffnung fassen hieß.
Allein zu bald verschlingt den ungewissen Strahl
Des Grames düstre Wolke wieder.
Er sinkt zurück in seine vorige
Trostlose Kleinmut. Ach! in diesem Zustand ists,
Wo er der Freundschaft sanfte Hand am meisten
Vonnöten hat. – O ewig teurer Schatten!
Wie kann ich besser meine Liebe dir beweisen,
Als wenn ich was Du liebst erhalten helfe?

O! der ist nicht vom Schicksal ganz verlassen,
    Dem in der Not ein Freund
        Zum Trost erscheint:

    Ein Freund, der willig ist
    Die Tränen die er weint
    In seinen Busen aufzufassen,
    Der seiner selbst vergißt
        Und mit ihm weint.

O! der ist nicht vom Schicksal ganz verlassen,
    Dem in der Not ein Freund
        Zum Trost erscheint!

Sie geht ab.

 
Zweite Szene

Der Schauplatz verwandelt sich in das Zimmer des Admet.

Admet allein:
O Jugendzeit, o goldne Wonnetage
Der Liebe, schöner Frühling meines Lebens,
Wo bist du hin? – Ists möglich, bin ich der,
Der einst so glücklich war? So glücklich einst,
Und itzt so elend! Ohne Grenzen elend,
Wenn nicht die Hoffnung, bald, Alceste, dir
Zu folgen, meine Qual erträglich machte.
Wo bist du? – Irrst du schon, geliebter Schatten,
Um Lethens Ufer? – Ah! Ich seh sie gehn!
In traurger Majestät geht sie allein
Am dämmernden Gestad; ihr weichen schüchtern
Die kleinern Seelen aus, sehn mit Erstaunen
Die Heldin an. – Der schwarze Nachen stößt
Ans Ufer, nimmt sie ein – Der Schleier weht
Um ihren Nacken – O! nach wem, Geliebte,
Unglückliche, nach wem siehst du so zärtlich
Dich um? – Ich folge dir, ich komme! –
Weh mir! Schon hat das Ufer gegenüber
Sie aufgenommen! Liebreich drängen sich
Die Schatten um sie her; sie bieten ihr
Aus Lethens Flut gefüllte Schalen an.
O hüte dich, Geliebte! Koste nicht
Von ihrem Zaubertranke! Ziehe nicht mit ihm
Ein ewiges Vergessen unsrer Liebe ein.

O flieh, geliebter Schatten, fliehe;
    Ich unterläge dem Gewicht
        Von diesem schrecklichsten der Schmerzen.
        Noch lebt Admet in deinem Herzen:
        Dies ist sein Alles! O entziehe
    Dies einzge letzte Gut ihm nicht!

 
Dritte Szene

Parthenia, mit einem goldnen Becher in der Hand, Admet.

Parthenia:
Admet, der Gram erschöpft dich; die ermüdete
Natur bedarf Erquickung. Nimm, mein König,
Aus einer schwesterlichen Hand
Nimm diesen Becher! Schmerzenstillend
Ist seine Kraft. Das Land der Isis sendet uns
Den Wundertrank –

Admet:
        Was soll er mir?

Parthenia:
Ein Trunk aus Lethe selbst befreiet nicht gewisser
Von jedem Kummer, jedem Leid das Herz.
Ein allgemein Vergessen –

Admet:
        Weg!
Parthenia, weg mit deinem Gift!
Wie? Treulos sollt ich je
Der teuren Ursach meines Leids vergessen?
O niemals, niemals! – Mit Alcesten hat
Die Freud auf ewig sich von mir geschieden.
Mein Gram ist meine Speise, mein Vergnügen,
Mein Labsal! – jede andre Lust
Verschmäht Admet! – Ich will an Sie allein
Nur denken; wachend, träumend Sie, nur Sie
Vor meinen Augen sehn. Auf ihrem Grabe
Soll meine Wohnung sein! Von meinen Tränen sollen
Die Myrten wachsen, die ihr Bild umschalten!

Parthenia
Unglücklicher, was hilft es dir
    Dein Dasein trostlos wegzutrauern?
Laß ewig deine Schmerzen dauern,
    Der Orkus gibt Sie nicht dafür!
Admet
O laß mir, laß mir meine Zähren,
    Grausame, laß mir meinen Schmerz!
Wie könnt ich diesen Trost entbehren?
    Er labt, er nährt mein leidend Herz.
Parthenia
Bedenk, um welchen Preis du lebest!
Admet
    O, der Gedanke tötet mich!
Parthenia
Wenn du in Gram dich selbst begräbest,
    So starb Alcest' umsonst für dich!

Admet:
Bemühe dich nicht länger meinen Tränen
Den Lauf zu wehren. Laß mich weinen,
Parthenia! Dies allein
Kann meine Seele vor Verzweiflung retten.

Parthenia:
Und hast du deines Freundes tröstendes
Versprechen schon vergessen? Hallen nicht
In deinen Ohren noch die letzten Worte
Des Göttersohns?

Admet:
Er hieß mich hoffen! – Hoffen soll Admet?
O sprich, Parthenia, sprich, was soll ich hoffen?
Was kann ich hoffen?

Parthenia:
Alles! Alles was den Göttern nicht
Unmöglich ist!

Admet:
        Und hat Apollo selbst,
Apollo, der mich liebt, mir helfen können?
Ist Herkules allmächtiger als er?
Ach! zu gewiß ist was ich hoffen könnte
Den Göttern selbst nicht möglich! – Laß uns nicht
In wesenlose Träum' uns töricht wiegen!
Der Unglückselge, der im finstern Kerker
Von goldner Freiheit träumte, fühlt erwachend
Der Ketten Zahn nur desto wütender
In seinem Fleische wühlen. – Ach Parthenia!
Anstatt zu eiteln Hoffnungen
Mich aufzumuntern, wecke mein von Gram
Erstorbnes Herz zu seinen Pflichten auf!
Zu lange säumten wir
Dem teuern Schatten durch ein Todesopfer
Die Höllengötter günstiger zu machen.
Schon nähert sich die feierliche Stunde
Der Mitternacht. Parthenia, komm und teile
Die Sorge für das heilge Werk mit mir.

Ende des vierten Aufzugs


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