Christoph Martin Wieland
Alceste
Christoph Martin Wieland

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Zweiter Aufzug

Der Vorsaal vor Alcestens Zimmer.

Erster Szene

Admet allein.

Wo ist Sie, daß ich diese Freude
In Ihren Busen schütte? Diese Wonne
Mit Ihr empfinde? Dieses neue Leben
In Ihren Armen doppelt wieder fühle?
Allmächtge Götter! welch ein Wunder rief
So plötzlich mich vom schwarzen Ufer
Des Styx zurück?

Wem dank ich dies Leben, wem dank ich die Wonne,
    Zum zweiten Male geboren zu sein?
Mit welcher Wollust saugt, o alles erquickende Sonne,
    Mein Auge deine Strahlen ein!
Wohltätige Götter! Euch dank ich die Wonne,
    Zum zweiten Male geboren zu sein!

 
Zweite Szene

Admet, Parthenia.

Parthenia:
Unglücklicher! du überlässest dich
Der Freude? – Wüßtest du –

Admet:
Parthenia!

Parthenia:
        Gott! wo werd ich Worte finden,
Das schreckliche Geheimnis –

Admet:
Welch ein Geheimnis? Schwester, deine Worte
Sind schreckend! schreckender dein Blick!
O rede, rede!

Parthenia:
Beweinenswürdiger! – Alceste! – deine Gattin –
Ich kann nicht reden – Sieh!

 
Dritte Szene

Das Zimmer der Alceste öffnet sich, und zeigt Alcesten, in einem Lehnstuhl schlummernd. Eine Kammerfrau kniet neben ihr; zwei andere stehen seitwärts, aufmerksam auf den Augenblick ihres Erwachens lauschend.

Admet, Parthenia, Alceste.

Admet:
Alceste? – Götter! welch ein tötender Gedanke
Trifft wie ein Donnerkeil in meine Seele!
Alceste –

Parthenia:
        Stirbt – Du lebst – Nun weißt du Alles!

Admet:
Weh mir! Sie stirbt? – Sie stirbt damit ich lebe?
O Lieb! o Tugend! –

Zu ihren Füßen.

        Du, für deren Wert
Die Sprache keinen Namen hat, Getreuste, Beste,
Geliebteste der Weiber! Höre, höre mich!
O hebe deine Augen, siehe mich
Zu deinen Füßen –

Alceste erwacht. Sie betrachtet ihn etliche Augenblicke mit liebevollen Blicken, als ob sie sich seines Daseins versichern wolle, dann reicht sie ihm die Hand.

Alceste:
O mein Admet, Du lebst? Dank sei den Göttern!
Du lebst!

Admet:
Für dich, für dich allein, Alceste!
Was könnte dies Geschenk der Götter ohne dich
Mir helfen?

Parthenia:
        Ach! zu teur, Admet,
Zu teuer mußt du es erkaufen!

Alceste:
Zu teuer, sagst du? – O Parthenia,
Du kennest nicht was eine liebende
Getreue Gattin fähig ist.

Hätt ich für sein schönes Leben
Tausend Leben hinzugeben,
O mit Freuden gäb ich sie.
Admet
Große Götter! welche Liebe!
Parthenia
Welch ein Beispiel reiner Triebe!
Beide
Nein! Die Erde sah es nie!
Alceste
Ohne dich, wie könnt ich leben?
O Geliebter, sage, wie?
Admet, Parthenia
Bestes Weib! dein eignes Leben
Für den Gatten hinzugeben!
Alceste
Hätt ich tausend hinzugeben,
O mit Freuden gäb ich sie!

Admet:
Zu lang', Alceste, ließ ich dich
In einem Irrtum, den mein Herz verabscheut.
Du, die ich mehr als diese Augen, mehr
Als meine Seele liebe, solltest sterben?
Für mich? Für mich? – Und dein Admet, der nur
Um deinetwillen noch zu atmen wünschte,
Er sollt um diesen Preis sein Leben kaufen?
O glaub es nicht, Alceste! Halte nicht
Den Mann, der deiner Liebe würdig war,
Der schmählichen verhaßten Feigheit fähig!

Alceste:
Admet, ich kenne deine ganze Liebe.
Hier fühl ich sie; mein Herz ist mir
Für deines Bürge –
Groß und edel war es stets;
Und dies entscheidet unsern Streit.
Wie? Solltest du dich weigern können
Der, die du liebst, die Qual, dich zu verlieren,
Die schrecklichste der Qualen, abzunehmen?
Du bist ein Mann; ich nur ein schwaches
Mutloses Weib! – O sage nicht, Admet,
Du liebest mich, wenn du nur denken
Nur zweifeln kannst, daß ich
Dich überleben sollte.

Admet:
Ihr hört sie, Götter! – Und ihr könntet sie
Mir rauben? Könntet so viel Tugend
Der Welt entziehen? Dieses holde, schöne
Liebatmende Geschöpf in seiner Blüte
Dem Orkus opfern? – Nein,
Ihr seid nicht Götter, oder
Ihr könnt es nicht!

Alceste:
O mäßge dich, Admet!
Erzürne nicht die Mächte, die uns trennen!
Vielleicht daß die Geduld, womit wir ihrem Willen
Uns unterwerfen, ihre Strenge mildert.
Vielleicht erweicht sie – Doch, was hälf' es uns
Mit eitler Hoffnung unsern Schmerz zu täuschen?
Apollo hat gesprochen! – Mein Gemahl,
Geliebter, bester Mann! wie könnt ich schöner
Mein Leben als für dich verlieren?
Verlieren? Nein! wenn Du lebst, ist es nicht
Verloren! Leb ich nicht in dir?

Admet:
Was kann ich sagen? Gott! was kann ich ihr
Erwidern? – Schau in meine Seele,
Geliebtes Weib! – Alceste, höre mich!
Um aller Götter willen, höre mich!
Du hoffst durch deinen Tod mein Leben zu erkaufen?
Vergebens hoffst du! – Deine Wohltat ist
An mir verloren. Fordre nichts
Unmögliches. Ich kann nicht, kann nicht
Dich überleben! Unsre Seelen hat
Die Liebe unauflöslich in einander
Verwebt, und ewig, ewig unzertrennbar
Vereinigt, sollen sie ins Land der Schatten gehen!

Alceste:
Er hört mich nicht – Parthenia! geh, und hole
Mir seine Kinder her.

Parthenia gehorcht.

 
Vierte Szene

Admet, Alceste.

Admet:
Alceste, sei gerecht! Du, die so zärtlich liebt,
So edel denkt, o sei gerecht, Alceste!
Kannst du von mir verlangen, was
In meinen eignen, was in Aller Augen mich
Entehren müßte? – Nein, beim Himmel, nein,
Ich will die Schmach nicht dulden,
Daß jeder, dem ein Herz im Busen schlägt,
Mit Fingern auf mich weise, spottend sage:
Hier geht er, hier,
Der Feige, der sein Leben mehr
Als seine Ehre liebt! der fähig war
Mit seiner Gattin sich vom Tode los zu kaufen!

Alceste:
Und kann Admet vergessen, daß sein Leben
Nicht ihm, nicht seiner Gattin zugehört?
Hast du kein Volk, das dich anbetet? Hast
Du seine Tränen, seine Opfer, seine
Gelübde für dein Leben schon vergessen?
Vergessen, wie es scharenweis mit bleichen
Gesichtern, mit empor um Hülfe
Gerungnen Armen deinen Vorhof füllte?
O laß nicht, mit dem Gram dich ihrer Liebe
Unwert zu sehn, Alcestens Geist beschämt
Vor deinen Vätern sich verbergen müssen!

Admet:
Grausame! Höre auf mein Herz zu foltern!
Ich kann in dieser schrecklichsten der Stunden
Nicht denken, nichts als dich! Du, du, Alceste,
Bist mir die ganze Welt! Verlier ich dich,
So ist für mich kein Volk, kein Vaterland,
Kein Leben mehr –

 
Fünfte Szene

Parthenia mit den Kindern, die Vorigen.

Alceste, indem sie ihre Kinder erblickt:
Auch keine Kinder?
Kommt, Kinder, laßt zum letzten Mal
An diese Brust euch drücken. – Süße, rührende
Geschöpfe! –

Sie umarmt sie.

Bald, o meine Kinder,

mit erstickter Stimme,

Bald habt ihr keine Mutter mehr!
Admet, o sieh sie an,
Und wenn du jeden andern Namen, der dir heilig
Sein soll, vergessen hast,
Kannst du vergessen, daß du Vater bist?

Admet:
Unwiderstehlichs Weib! Wer kann dich hören,
Dich sehn, dich sterben sehn
Und überleben wollen? – O! dir gab
Ein Gott es ein,
Die Pfänder unsrer Liebe mir zu Hülfe
Zu rufen! – Siehe Du sie an, Alceste!
Erbarm dich ihrer Unschuld, ihres zarten
Hülflosen Alters! Sieh,
Wie sie bestürzt mit liebevoller Angst
Die kleinen Arme dir entgegen strecken!

Alceste:
Geliebter, schone deiner sterbenden
Zu schwachen Gattin! Kürze nicht durch diese
Grausame Zärtlichkeit die Augenblicke,
Die uns die Parze schenkt!

Admet:
O meine Kinder!
Ihr fühlet nicht was ihr verliert –

Alceste:
Ich fühls für sie.

Admet:
Und änderst nicht den schrecklichen Entschluß?

Alceste:
Wie kann ich? – Ach, Admet, die Todesgötter
Sind unerbittlich. Eines von uns beiden
Muß fallen! – O! um unsrer Liebe,
Um dieser armen
Unmündigen, um deiner Gattin willen,
Laß mich, laß mich allein das Opfer sein!

Admet, von Tränen erstickt:
Es ist zu viel!

Alceste

Weine nicht, du meines Herzens
Abgott! Gönne mir im Scheiden
Noch die süßeste der Freuden,
    Daß mein Tod dein Leben ist.

    Ach! die Größe deines Schmerzens
    Ist das Maß von meinen Leiden.
    Mein Gemahl! O meine Kinder!
    Glaubet nicht, ich fühle minder,
    Weil mein Herz bei euern Leiden
        Seiner eignen Not vergißt!

Weine nicht, du meines Herzens
Abgott! Gönne mir im Scheiden
Noch die süßeste der Freuden,
    Daß mein Tod dein Leben ist.

Alceste, durch diese letzte Anstrengung ihrer Kräfte erschöpft, fällt in eine Ohnmacht, aus welcher sie durch die Zuckungen des Todes wieder erweckt wird. Die Kammerfrauen drücken ihren Jammer durch Gebärden aus, und zeigen sich geschäftig ihr beizustehen. Admet liegt trostlos zu ihren Füßen; er streckt mit flehenden Gebärden die Arme gen Himmel, bemüht sich Worte heraus zu bringen, aber vergebens. Parthenia führt die weinenden Kinder hinweg. Da sie zurück kommt, findet sie ihre Schwester mit dem Tode ringend.

Parthenia:
Sie stirbt, o Gott! sie stirbt –

Admet:
O! ist denn kein Erbarmen
Im Himmel mehr?

Alceste, sterbend:
Sonnenlicht, o mütterliches Land,
O Schwester, o Gemahl! – Zum letzten Mal
Sieht euch Alceste – Drücke deinen Mund
An meinen Mund, Admet – ich sterbe – Lebet wohl!
Geliebte – lebet –

Admet sinkt von Schmerzen betäubt zu Boden. Einige Bediente bringen ihn hinweg. Die Kammerfrauen breiten einen weißen Schleier über das Gesicht der erblaßten Königin.

Parthenia:
O! dieser Schmerz zerreißt die Dämme der Geduld!

Sie stirbt, ihr Götter!
Sie bringt den Schatten
Sich selbst zum Opfer
Von ihrer Pflicht!

Grausame Götter!
Ihr könnt es sehen?
Und unsre Tränen,
Die Angst des Gatten,
Sein heißes Flehen,
Sein banges Stöhnen,
Es rührt euch nicht?

Da ist kein Retter!
Sie stirbt! – Alceste!
Die treuste, beste!
Und, o ihr Götter!
Ihr rettet nicht!

Ende des zweiten Aufzugs


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