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Ernst Wichert

Einleitung.

Man sollte annehmen, daß die zahlreichen Lustspiele Ernst Wicherts, die jahrzehntelang auf dem Spielplan deutscher Bühnen standen, den Namen ihres Verfassers bekannter gemacht hätten, als er es in Wahrheit ist. Von den Erzählungen des Dichters ganz zu schweigen. Die großen Romanerfolge der letzten Jahre haben eben das gute Alte, zu welchem auch Wichert das Seine redlich beigesteuert hat, zurückgedrängt. Und schon deshalb erscheint es billig, sein Werk vor der Vergessenheit zu bewahren und ihm vor allen andern den Leserkreis wieder zuzuführen, für den er in erster Linie geschrieben hat: den deutschen Bürgerstand, der sich seinen literarischen Geschmack noch nicht hat verderben lassen.

Ernst Wichert wurde am 11. März 1831 zu Insterburg geboren. Nach dem Besuch der Realschule zu Pillau und des Gymnasiums zu Königsberg bezog er die dortige Universität, ursprünglich, um Geschichte zu studieren, die er aber nach des Vaters Willen mit der Rechtswissenschaft vertauschte. In seiner Heimat machte er dann die Richterlaufbahn durch, war zuerst Amtsrichter in dem litauischen Marktflecken Prökuls und später Oberlandesgerichtsrat in Königsberg. Im Jahre 1887 kam er als Kammergerichtsrat nach Berlin, wo er nach neunjähriger Wirksamkeit mit dem Titel eines Geheimen Justizrats in den Ruhestand trat. So sehr ihn sein richterliches Amt und seine vielseitige schriftstellerische Arbeit aber auch in Anspruch nahmen, so widmete er sich daneben doch mit unermüdlichem Eifer noch einer regen Vereinstätigkeit; trotzdem begegnet man bei ihm nirgends einer oberflächlichen Hast. Was er angriff, das tat er ganz und gründlich. Sein gesamtes Werk trägt den Stempel der Gediegenheit, die ein Merkmal seines Charakters war. Begünstigt wurde der Erfolg seiner Arbeit zwar durch eine feste Gesundheit und das schönste, friedlichste Familienleben. Er starb am 21. Januar 1902.

Seine ersten dichterischen Versuche fallen in die Zeit seiner Universitätsjahre. An die Öffentlichkeit trat er aber erst im Jahre 1858 mit seinem vaterländischen Drama »General York«, das in Königsberg aufgeführt wurde, ihm aber nicht den Erfolg einbrachte, wie das schon damals im Entstehen begriffene Schauspiel »Aus eignem Recht«, das in der Zeit des großen Kurfürsten spielt, seine Erstaufführung in Hamburg erlebte und dann, umgearbeitet, erst in den neunziger Jahren am »Berliner Theater« gegeben wurde. Ein kläglicher Byzantinismus hatte es zwar zuerst abgelehnt; als aber der Kaiser selbst einmal Interesse an dem Drama bekundet hatte, genügte es auch den Hurrapatrioten und machte seinen Weg. Ein ähnliches Schicksal war dem Drama »Im Banne der Pflicht« und dem in einem Badeort spielenden ebenso harmlosen wie lustigen Stück »Ein Schritt vom Wege« beschieden. Dieses sowie das preisgekrönte und bald danach mit Unrecht allzuarg verrissene Lustspiel »Der Narr des Glücks« brachten dem Dichter die meisten Lorbeern ein. Von da ab war er »den Bühnen als Lustspieldichter persona gratissima«, was ihm als ein Glück erschien, da er's immer verschmäht hat, die eigne künstlerische Überzeugung der Spekulation zum Opfer zu bringen, dem Publikum Konzessionen zu machen und zum Lustspielfabrikanten zu werden. Lieber verzichtete er auf den Erfolg und blieb sich selber treu. Auf diesem Wege ist ihm denn auch schließlich die Anerkennung zuteil geworden, die er verdiente. Zwar, an dem Operettenschwindel der Gegenwart darf diese Anerkennung nicht gemessen werden. Sie reichte aus für seine Bedeutung; denn neue Bahnen hat er ja nicht eingeschlagen. Darüber täuschte er sich nicht. Das schon erwähnte Lustspiel »Ein Schritt vom Wege« war von einem Preisrichterkollegium einstimmig für eine Arbeit von Benedix gehalten worden, ein Beweis dafür, daß Wichert in ihm seinen Meister sah. Seine ersten Dramen jedoch waren nicht viel mehr als rein Schillersches Epigonentum und kennzeichneten sich als solches schon durch ihren rhetorischen Aufwand.

Viel fruchtbarer noch als auf dramatischem Gebiet war Wichert als Erzähler. In seiner umfangreichen Selbstbiographie »Richter und Dichter« zählt er 34 Dramen und Lustspiele auf; nahezu die doppelte Zahl erreichen seine Romane und Novellen. Als 33 jähriger ließ er seinen ersten Roman »Aus anständiger Familie« erscheinen, dem bald darauf andere folgten. Am höchsten stehen darunter die historischen Romane, insbesondere die aus Preußens Vergangenheit. Wichert klammert sich nicht ängstlich an die geschichtliche Überlieferung an, sondern macht in ausgiebigem Maße von dem Recht des Dichters Gebrauch, Erfindung und Wahrheit miteinander zu verweben. Auf diese Weise erzielt er eine interessante, lebhafte Handlung und ist imstande, poetisch dürre Stellen des gegebenen Stoffes durch farbenfrohe Bilder zu bereichern. Sein freies, unbekümmertes Fabulierungstalent hilft ihm nicht selten auch glücklich über den Mangel an einer prägnanten Charakterzeichnung hinweg. Dem Dramatiker allerdings war diese Neigung zur epischen Breite nicht immer dienlich. Manches seiner Bühnenstücke erhielt dadurch hemmendes Beiwerk, das die Aufführung erschwerte, oder sie um ihren Erfolg brachte. Als die wertvollsten seiner historischen Romane sind »Heinrich von Plauen« und »Der große Kurfürst in Preußen« zu betrachten. Andere, wie auch die aus dem Nachlaß veröffentlichten, weisen keine besonderen Vorzüge auf, genügen aber immerhin den Ansprüchen, die man an eine gute Unterhaltungslektüre stellt.

Künstlerisch am höchsten zu bewerten sind Wicherts Novellen. Diejenigen, in denen er's vermieden hat, einleitende oder abschließende Betrachtungen anzustellen, haben eine schöne, glatte Form, viel mehr als seine bürgerlichen Romane. Durchweg glänzende Stücke sind seine in einer Reihe von Jahren entstandenen »Litauischen Geschichten«, denen übrigens das Verdienst gebührt, jene Grenzlandschaft für die Literatur eigentlich erst gewonnen zu haben. Auffallend ist der stark sozialpolitische Zug, der durch viele seiner Erzählungen geht und sie zur Volkslektüre in ganz hervorragender Weise geeignet macht. Manches verbrauchte Motiv kehrt darin zwar wieder, manches Ereignis mutet auch wohl etwas romanhaft an, von dem Geist der achtziger Jahre verspürt man in ihnen kaum einen Hauch, und doch, unter dem Niveau eines tüchtigen Mittelguts steht nichts. Sicher trägt dazu auch die immer vornehme Sprache bei, die von den üblichen Stillottrigkeiten erfolgreicher Vielschreiber nicht verunziert wird. Was er schreibt, ist zudem gesund und wahr. Als scharfer, etwas nüchterner Beobachter mit einem unbestechlichen, doch maßvollen Urteil tritt er uns in seinen Werken entgegen, oft zwar auch als ein Mensch mit tiefem Gefühlsleben.

An seinen »Gedichten und Sprüchen« würde er wohl selbst nicht gemessen werden wollen, wenn er noch lebte. Sie sind erst nach seinem Tode veröffentlicht worden, und vielleicht hat er selber nie daran gedacht, es zu tun. Nun, da sie aber da sind, muß man sie ansehen als das Vermächtnis eines vortrefflichen Menschen, dem man mit Pietät begegnen soll. Viel Gutes ist ja darin, manches sogar, das auch vor einer strengen Kritik bestehen kann; in der Mehrzahl aber sind die Gedichte für den Augenblick geschrieben worden; es sind Gelegenheitsgedichte. Unter den Sprüchen jedoch findet sich manche Perle, die aufbewahrt zu werden verdiente.

Alle, die dem Dichter nahestanden, schätzten sein liebenswürdiges Wesen ebensosehr wie seinen lauteren, tiefernsten Charakter, der allem Schein und Trug feindlich gesonnen war.

Köln, im März 1909.
Richard Wenz-Enzio.

Handschrift

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