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Zweiter Teil.
Eins ums andere

In acht Aufzügen und einem Zwischenspiel

Personen

Thamal
Sein Vater
Dschalifar
Ampheh
Der Kanzler
Der Herr des Palastes
Der Gaukler
Ananthas, der Schlangendämon
Metamorphosen des Mönchs
Yado, des Vaters Knecht
Der Hohepriester Aymars
Erster Bewunderer
Zweiter Bewunderer
Dritter Bewunderer
Fisillih, Tänzerin
Häscherhauptmann
Spiegelmensch
Priester Aymars, Volk, Vermummte, einige greise Fakire,
Hochzeitsgäste, Geister, Tiermasken, Polizeisoldaten

Ort: Phantastischer Orient

 

*

 

Das Vaterhaus

Hohe Halle. An den drei Bühnenwänden laufen in zwei Stockwerken Galerien. Im Hintergrund breite offene Tür. Hinter der Tür ein Raum mit mächtigem Ruhebett, über dem eine farbige Ampel hängt. Im Vordergrund rechts und links zwei große Truhen. Irgendwo im Schatten eine laut pendelnde Standuhr. Dämmerung, fast schon Finsternis, nur die Ampel über dem Ruhebett gibt etwas Licht.

Thamal und Spiegelmensch treten auf.

Thamal:
Es ist die alte Dämmerung
Im alten Raum. Hier war ich jung.

Spiegelmensch:

Jawohl! Noch hör ich deinen Atem fliegen.
Du zuckst. – Des Vaters Schritt tappt auf den Stiegen.

Thamal:
Und dennoch! Ich bin heimgekehrt.
Das Dunkel, das ich atme, ist mir wert.

Spiegelmensch der suchend umhergegangen ist, faßt Posto:
Hier standst du grad! Und das gewisse
Herzklopfen würgte dich allabendlich.
Koordinate und Abszisse,
Die Gleichung der Parabel prüft er dich.
Du schluckst, du stammelst, und kein Schimmer
Erhellt dir den verstockten Sinn.
Er aber starrt verächtlich vor sich hin,
Und schickt dich wortlos auf dein Zimmer.

Thamal:
Er hat als guter Vater sich benommen.
Verflucht! Ich kann's ihm danken kaum.
Parabel-Angst verfolgt mich noch im Traum.
Dann trifft sein Blick mich streng-verschwommen.
Und wie ich hier im alten Dunkel stehe,
Und mir mein Kind-Gespenst entgegenschwankt,
Bin ich an jener toten Angst erkrankt,
Und zittern läßt mich seine große Nähe.
Einst war er Gott. Vielleicht ist er es noch.

Spiegelmensch:
Gott, Gott! Ein großer Gott! Gott-Vater! Doch
Wie oft hast du an diesem Ort
An ihm verübt Gedanken-Mord?!
Er ist der »große Mann«, du bist als »Sohn« geboren,
Und setzt du auch die ganze Welt in Brand
Durch dein Talent, (denn du bist auserkoren),
Von ihm wirst du nicht anerkannt.

Thamal:
Mein Werk einst wird ihn lehren, mich zu schätzen.

Spiegelmensch:
Für ihn wirst ewig du die Schulbank wetzen.

Thamal:
Es riecht vertraut nach Staub, nach Zimt und Wein.

Spiegelmensch aus einer fernen Finsternis:
Ich finde, wie ich so durchs Dunkel steure –
Nach Wein riecht's weniger als nach Vater-Säure.

Thamal:
Es knackt im Holz. Nie werd ich mich befrein.

Spiegelmensch knapp hinter Thamal:
Der Holzwurm frißt dort in der schwarzen Truhe.
Sie ist uns beiden wohlbekannt.
Kaum siebzehn warst du. In der Hand
Hieltst du die Schuhe,
Und schlichst heran, nächtlich gewandt,
Mit Schlüsselbund und Dietrich, aufzusprengen
Den Schatzbehälter des Gestrengen.
Denn fern in den plüschigen Hallen
Heulten die Freunde besoffen,
Schmissen mit Gold und Scheinen.
Das Kleid der Weiber stand offen,
Sie zeigten stolzierend die Beine.
Er rüttelt an der Truhe.
Verfluchtes Schloß! Der Stechschlüssel sprang.
Der Vater rief. Das Werk mißlang.

Thamal:
Denk ich daran, vor Scham möcht ich mich morden.

Spiegelmensch:
Das Schloß ist auch nicht lockerer geworden.
Horcht auf.
Ich höre jemanden kommen. Unruhig.
Noch bin ich allzu verschwommen,
Nicht recht gesellschaftsfähig –
Aber was seh ich?
Die Uhr ist ein gutes Versteck. Bei der Standuhr.
Du! Was ist dir? Du bist ja bleich vor Schreck!
Hörst du! Vergiß nicht, was wir bedeuten.
Nimm dich zusammen vor den Leuten!
Rückgrat, Mann! Ich bin ja nah.
Er kriecht in die Standuhr, sie schlägt.

Yado tritt auf. Er ist des Vaters riesenhafter Negerknecht. Spricht mit schwerer Zunge. Trägt eine Laterne in der Hand:
Wer – ist – da?

Thamal:
Ich! Yado!

Yado:
Ho! – Wer? Hebt die Laterne.
W... H ... – junger Herr – der – junge Herr!
Wo – warst – du – gestern?

Thamal:
Gestern? Sieben Jahr ist's her,
Daß ich schon fort bin, Yado!

Yado:
Sieben?

Thamal:
Ja, versteh mich recht.
Du bist der alte Philosoph geblieben.

Yado stark:
Ich – bin – des – Vaters – Knecht!

Thamal zuckt zusammen:
Wo ist er?

Yado:
Oben!

Thamal:
Auf dem Dach?

Yado:
Ja!

Thamal:
Und?

Yado:
Schaut – Stern – Aspekt – und

Thamal:
Und?

Yado:
Schaut, – Straße –

Thamal:
Schaut!? Straße!? Und aus welchem Grund
Betrachtet er die Straße?

Yado:
Du!

Thamal:
Ich? Weich.
Er späht hinaus, und er erwartet mich
Nach sieben Jahren!

Yado:
Hörst – du – er –
Will – schlafen – gehn – der – alte – Herr.

Thamal:
Eine Türe knarrt. Mich friert. Mit fremder Stimme.
Wo ist mein Heft? Bin ich auch präpariert?
Schwere langsame Schritte werden oben laut, steigen Treppen hinab, wandern die obere Galerie entlang, steigen wieder Stufen hinab, wandern die untere Galerie entlang, wieder Stufen hinab, schallend, nahe, und

Sein Vater tritt auf.

Thamal steht vorgebeugt.

Vater traurig:
Was stehst du weggewandt?

Thamal wendet sich ihm zu.

Vater:
Die Zeit läuft nicht zurück. Du siehst mir's an.
Ohne Vorwurf.
Vor sieben Jahren bist du durchgebrannt,
Fast noch ein Bub.

Thamal:
Jetzt steht vor dir ein Mann.

Vater:
Wir werden's sehn.

Thamal:
So zweifelst du noch immer?

Vater schaut ihn scharf an:
Mein Sohn, ich habe zum glauben keinen Grund.
Unsicher zeigt dein Aug den gleichen Schimmer,
Der alte Kindertrotz krümmt deinen Mund.

Thamal:
Und doch! Ich hab in Kürze mehr erfahren,
Als du auf deinem Dach in vierzig Jahren.

Vater:
Welch schlimmer Rauch, der dir die Kehle beizt!
Kaum siehst du mich, sprichst du gereizt.
Ich habe ohne Vorwurf dich empfangen.

Thamal:
Mich wurmt, daß du nicht achtest meinen Wert.

Vater:
Ich trage Sorge. Willst du mehr verlangen?

Thamal:
Du weißt nicht, daß die Welt mich schätzt und ehrt.

Vater:
Die windige Ehre deiner Spießgenossen,
Die Ehre, die man gibt und nimmt auf Pump!
Solang du selbst lobst, wird dein Lob begossen,
Und lobst du nicht, bist du ein Lump!

Thamal:
Ich fand wohl andere, die an mich glaubten.
Leise. Und einer hebt zu den Gestirnen mich.

Vater aufbrausend:
Ehrgeiziger! Du bist nicht mehr als Ich.
Ruhig. Lenk drum aufs Erbe endlich deinen Sinn!

Thamal:
Ich bin kein Erbe. Ich bin selbst Beginn!

Vater:
Ich kenne sie, die schwächste deiner Schwächen,
Das Wortemachen und das Silbenstechen.
Du bist ein Erbe, sag ich! Sieh dich um!
Mein schönes Haus! Ich habe klein begonnen,
Gestrebt, erdacht, verloren und gewonnen,
Und so erschuf ich mir dies Eigentum.
Als Knaben schon hat mich die Not geschoren,
Die das Talent mir aus der Seele sog.
(Auch ich war zu was Besserem geboren,
Du weißt, ich bin ein wenig Astrolog.)
Ja Blut und Werk hängt hier in jedem Winkel.
Ich will's nicht opfern deinem Eigendünkel.
Was ich hierbei litt, all das, was du siehst,
Ich will, daß du – daß es mein Sohn genießt!
Auch habe ich noch mehr als dies errungen,
Im Rang des Reiches hoch mich aufgeschwungen.
Wie viele Männer würden sich zerreißen,
Dürften sie Erben, mehr noch Söhne heißen!
Was wärst du ohne mich?! Denn, was du tust,
Gefördert wird es, weil es auf mir fußt.
Jagdfanfare. Der Kanzlei (Mönch) mit Fackelträgern und Jägern tritt auf. Er trägt ein gelbes Jagdgewand und einen Speer.

Kanzler:
Ich kann an deinem Haus vorbei nicht reiten.
Die Freundschaft spornt den Gaul, seh ich's vom Weiten.
Zwar ist die Muße des Ministers knapp,
Doch dich zu sehen, steig ich gerne ab.

Vater:
Die Gunst des Freundes heiligt meine Türe.
Erlaub, daß ich die Hüfte dir berühre.
Sie begrüßen einander zeremoniell.

Kanzler:
Ich komme fernher von der Jagd des Herrn.
Lang hältst du dich dem höchsten Umkreis fern.
Der Herr, mein Alter, bald dich zu erblicken,
Wird des Palastes Läufer nach dir schicken.

Vater: Des Herren Gnade und Gewogenheit
Erhellt mein Herz. Er findet mich bereit.
Drum eil ich mich, die Gunst rein zu genießen,
Unfertiges im Hause abzuschließen.

Kanzler:
Gern will ich es vermelden–-
Auf Thamal. Doch, allein–-?

Vater:
Mein einziger Sohn ist heute heimgekehrt.

Kanzler:
Das trifft sich günstig. Unserer Jugend Reihn
Der Krieg hat sie gelichtet und verheert.
Der Nachwuchs taugt nicht viel, den wir bekamen.
Kaum zeigt sich noch ein junger Mann von Namen.
Zu Thamal. Ich grüße dich als meines Freundes Sohn.
In Jugend, wie die deine, setzt der Thron,
Der Herr des Reichs sein ungebeugtes Hoffen.
Das beste Amt des Landes steht dir offen –
Schlag ein! Ich bürge für die Karriere.

Vater:
Schlag ein, mein Sohn! Wir danken für die Ehre!

Thamal:
Ich hab mit euren Ämtern nichts zu schaffen.
Mich ekelt eure Ehre, euer Reich.

Kanzler nicht ironisch:
Nun, nun, mein Freund, ereifre dich nicht gleich.
Du schlägst es aus. Ein andrer wird's erraffen.
Es ist mein Teil, die Ämter anzutragen.
Ich bitte nicht, ich biete sozusagen.
Zum Vater. Mein Alter! Unser Herr erwartet dich.
Ab mit Gefolge.

Vater:
Als Prahler bist du immer noch kapabel,
Der in der Schule du der Letzte warst.

Thamal:
Ich wußte gleich, daß du mir's nicht ersparst.

Vater höhnisch:
Ich denke an die Gleichung der Parabel.

Thamal:
Die alte Dummheit.

Vater:
Doch dein Leichtsinn war
Der letzte Schlag für deiner Mutter Leben!

Thamal:
Und wer hat ihr den ersten Schlag gegeben?

Vater getroffen:
Ah! Hüte, hüte dich! Doch satt
Hab ich die Worte schon, die fruchtlos spitzen.
Ich frage dich: Willst du dereinst besitzen
Dies Haus, die Reederei, den Weinberg vor der Stadt?
Willst du es? Gut! – Die unbequeme Last
Von vierzig schweren Arbeitsjahren,
Sie drückt mich, ja erdrückt mich fast.
Bleib du im Haus bei mir! Du wirst erfahren,
Wie Arbeit eine Seele reifen macht.
Ein andrer bist du über Nacht.
Der Mensch in sich ist bös, und darum merk,
Entflieht er sich kopfüber in sein Werk.
So findest du im Werk hier deine Mitte,
Faßt du nur an und stößt das Wirre aus.
So Gott es will, bringst du ein Weib nach Haus,
Und dann begrabt ihr mich nach tiefer Sitte.
Da nicht zerbrochen des Geschlechtes Leiter,
Die hochgeheimnisvolle, sterb ich heiter.
Bist du's zufrieden?

Thamal:
Nein!

Vater:
Nein?

Thamal:
Nein!
Mit deinem Vorschlag lockst du mich vergebens.

Vater:
Du hast entschieden, Herr des eignen Lebens.
Du willst nicht? Nun, ich glaube, wir sind fertig!
Sei meiner Sorge weiter nicht gewärtig,
Und geh! Nach höchstem Ratschluß sei's zum Heil!

Thamal:
Noch nicht!

Vater: Was noch?

Thamal: Gib mir mein Teil!

Vater: Dein Teil?

Thamal:
Mein Erbteil, gib es mir in Gold!

Vater:
Willst du zum Erben plötzlich dich bekennen,
Und warst vor kurzem noch empört?

Thamal:
Die Schiffe muß ich hinter mir verbrennen!
Aufs Haus verzieht ich, das mir einst gehört.
Allein für meinen Weg, ihn zu beginnen,
Brauch ich die Barschaft, die dem Sohn gebührt.

Vater:
Ich denk nicht dran! Kein Soldo wird berührt.
Ich würde bald in deiner Hand zerrinnen.

Thamal:
Du gibst mir nichts?

Vater: Nichts! Nicht ein Kupferstück.
Du hast gewählt. Du wirst dich mir entfernen.
Ich lasse dich der Welt, in ihr zu lernen.
Doch findest du den Weg zurück,
So sehn wir uns vielleicht, eh es zu spät,
Wo nicht, und muß ich früher schon zu Grabe,
Verfällt dem Herrn des Reiches, was ich habe,
Die Sterne wissen, wie's beschlossen steht.
Im Abgehn einhaltend.
O stützig – trumpfend – knäbische Gebärden!
Da du nicht Sohn sein kannst, wie willst du Vater werden?
Er geht in die Schlafkammer. Yado folgt ihm und zieht den Vorhang zu. Spiegelmensch springt aus der Standuhr. Sie schlägt wieder. Pressierter Flüsterdialog.

Spiegelmensch:
Verflucht! Wer spricht
Mit seinem Vater so gespreizt?

Thamal:
Nicht bin ich meiner Worte Herr!
Sein Auge reizt.
Ich könnte ihn ...
Und doch: Er tut mir leid!

Spiegelmensch:
Das Geld!

Thamal:
Hier ist nichts mehr zu holen.

Spiegelmensch:
Dann mußt du morgen Stunden geben.
Doch diese Truhe klingt nicht hohl.
Er klopft auf die Truhe.
Du kennst sie wohl.
Der Schlüssel?

Thamal:
Er trägt ihn um den Hals
An einer Kette.

Spiegelmensch:
Nun?!!

Thamal:
Pfui!

Spiegelmensch:
Harmloses Mittel weiß ich!
Ephesisches Alphabet!
Kennst du die Wirkung?

Thamal:
Nein!

Spiegelmensch:
Zu Häupten des Schläfers
Sprich die drei ersten Zeichen!
Sein Schlaf wird sich magisch versteifen,
Und hebt sich erst fort
Bist du sieben Meilen vom Ort.
Yado kommt aus der Schlafkammer und geht quer über die Bühne ab. Spiegelmensch ist plötzlich nicht zu sehn.

Thamal:
Kann diese Zauberei
Nicht größeren Schaden bringen?

Spiegelmensch dicht neben Thamal emporschießend:
Geht es zu mit rechten Dingen,
Nein!
Nur in einem Fall!
Wenn, solang sich beschwörend
Zunge und Lippe bewegt,
Dein Herz einen Mordgedanken hegt,
Wird der erhört,
Und er stirbt!

Thamal:
Geh hin und sprich du die Formel!

Spiegelmensch:
Ich bin noch nicht so weit
Wirklichkeit,
Daß es wirken könnte.
Horcht. Jetzt schläft er,
Atmet ruhig.

Thamal:
Seufzt!

Spiegelmensch scharf:
Hexa, Tetrax, Dameneus,
Sind die drei Begriffe.

Thamal:
Nicht kann ich ...

Spiegelmensch:
Mußt.

Thamal:
Er hat wieder geseufzt,
Meinetwegen geseufzt.

Spiegelmensch hypnotisch:
Geh!

Thamal:
Er selber ist schuld.
Er läuft in die Schlafkammer. Spiegelmensch sitzt schlaff wie ein Automat auf der Truhe.

Spiegelmensch vor sich hin:
Jetzt: Hexa – Tetrax – Dameneus!
Die Kette! Zerreiß sie! Gut!

Thamal erscheint bleich, verstört, und wirft Spiegelmensch einen kleinen Schlüssel zu:
Ich bin nicht sicher!
Schlechte Gedanken
Kreuz und quer,
Fische, schnelle, in mir.
Vater!
Fort von hier!

Spiegelmensch hat die Truhe geöffnet und alle Taschen und seinen Gürtel mit Gold beladen. Schließlich schultert er einen Sack:
Nun, sind wir soweit?

Thamal:
Was hab ich gedacht? Stürzt ab.

Spiegelmensch im Abgehen:
Der alte Spruch wird gerne umgepflanzt,
Wenn rings Revolten durch die Städte blitzen.
Das Erbe, dem du nicht entgehen kannst,
Ermord es, um es – zu besitzen!

Terrasse des Palastes

Indischer, sehr überladener Bau mit tausend Säulen, Säulchen, Fenstern, Fratzen. Die Mittelbühne stellt in ziemlicher Höhe eine Terrasse dar. Die Vorderbühne wird von einer Freitreppe eingenommen, die steil zu einer imaginären Landstraße führt. Auf der Terrasse ein Tisch, an dem Thamal, Spiegelmensch und die drei Bewunderer sitzen.

Spiegelmensch sich selbst begleitend, singt des Spiegelmenschen Trinklied:
Wer sein Haus erbaut aus Stein,
Dem wird's und soll's ein Zuchthaus werden.
Drum, Brüder, laßt uns Läufer sein,
Türaus türein
Durch alle Tore Läufer auf Erden!
Frei ohne Säcke und Packe,
Ungekettet an Erker und Ecke!
Das ist ein guter Tausch,
Der uns winkt,
Trinkt!
Unser mildester Herr heißt: Rausch!

Was hat der Schwerfüßige errungen,
Tritt er dunkel aus dem Licht?
Er ist ein Friedhof von Erinnerungen,
Mehr nicht!
Brüder! Dies geb ich euch zum Vermächtnis,
Laßt euch nicht fangen! Springt!
Trinkt!
Aber tötet euer Gedächtnis!
Seht ihr in allen Wänden die Spalte?
Sie ist so schmal wie Schreck.
Dahinter das Auge schaut nicht weg.
Er starrt uns an, der spöttische Alte.
Wer? Gleichviel! Leben oder Tod!
Werft euch ins Wimpelboot!
Boote fahren auf dem Morgen- und Abendrot.
Brüder! Das ist ein guter Tausch,
Der uns winkt,
Trinkt!
Unser mildester Herr heißt Rausch!

Erster Bewunderer applaudierend:
Ich glaubte, dein Talent sei journalistisch,
Und jetzt kreierst du fast expressionistisch.

Dritter Bewunderer:
Und wahrst dabei durchtrieben und genau
Der ältern Meister strengen Strophen-Bau.

Zweiter Bewunderer Gesichts- und Körperzuckungen eines Nerventics beschleunigen ihn:
Alt-neuer Richtung steiles Meisterstück,
Geschliffen, leidenschaftlichst! – wünsch dir Glück!

Dritter Bewunderer zutrinkend:
Mein Prosit bitt ich gleichfalls anzunehmen!

Spiegelmensch:
Wollt ihr mich allzusehr beschämen?
Den Glückwunsch weise ich zurück.
Aus andrer Seele habe ich gesogen,
Aus einem andern Geist das Stück ans Licht gezogen.
Gedanke, Text, das Thema, neuentdeckte
Pikanterien, harmonische Effekte,
Kurz, dieses ganze Lied gehört nicht mir.
Auf Thamal. Der wahre Autor, meine Herrn, sitzt hier.

Thamal
Ich? – Nein! Ich nicht! Dies alles ist mir fremd.

Zweiter Bewunderer im zeitgemäßen Rausch:
Turm-Wort, hah, strammt, du, neuer Mensch, gestemmt!

Erster Bewunderer:
O Thamal, o Begnadeter, mit dir
Am Tisch zu sitzen, wie das uns bereichert!

Zweiter Bewunderer: Und wachsen macht,

Dritter Bewunderer: Und Energien speichert!

Zweiter Bewunderer:
O Mensch, du bist mein Lebenselixier!
Mein Kokaïn! Alle stoßen an.

Thamal: Ich habe wenig noch getan,
Womit ich eure Huldigung verdiene.

Erster Bewunderer seine Hände fassend:
Darauf, mein Freund, kommt es nicht an,
Du bist das Lockende – und ich bin Biene,
Bin Wespe, Hummel, Fliege – du die Frucht,
Die alkoholisch-süße, deren Gären
Die Sehnsucht meiner Schwäche sucht.

Zweiter Bewunderer:
Er nascht von dir, ich aber will mich nähren.

Dritter Bewunderer :
Von dir auf uns fließt Aufruhr, Atem-Lust.

Zweiter Bewunderer:
Mensch! Ich bin kränklich auf der Brust.
Sonst diese Zeit verfiebert ich in Betten.
Kein Arzt der Welt, du kamst, und mich zu retten,
Genügte fruchtbar deine Gegenwart.

Alle drei:
Das Wunder bist du, uns geoffenbart!

Thamal erhebt sich:
Ich dank euch, ihr Unsterblichen, dafür,
Daß Strahl und Strom aus meiner Seele dringt,
Daß ich ein Wasser bin, von dem man trinkt,
Und eine offene Tür,
Durch welche armverschlungen Freunde schreiten.
Mit schmerzlichem Zweifel.
Vielleicht bin ich es doch! Im Grund der Zeiten
Harrt meiner das Entscheidende, die Tat,
Nach der ich mich verzehre!...

Spiegelmensch:
Vivat Thamal!

Die Bewunderer:
Thamal vivat! Anstoßen.

Thamal setzt sich leise:
Wie traurig bin ich.
Der Herr des Palastes (Mönch) dunkelgewandet, taucht im Rücken der Trinkenden auf.

Der Herr des Palastes:
Ich grüße Thamal, meinen Gast!

Thamal:
Wer spricht mit mir?

Spiegelmensch unruhig, nahe bei Thamal:
Der Herr ist's vom Palast.
Alle erheben sich vom Tisch.

Der Herr des Palastes:
Ich will den Jüngling, den so viele preisen,
Geziemend hier im Haus willkommen heißen.
Dir wird die frühe Stunde schon zum Feste,
Das freut mich.

Trink, mein Gast! Trinkt, meine andern Gäste!

Thamal betreten:
Willst du, mein Herr, uns nicht ein Weilchen weihn?

Der Herr des Palastes:
Ich trinke nicht, ich danke, nein!

Thamal:
Verzeih mein Wort!

Der Herr des Palastes:
Thamal! Dein Vater war
Mein Freund, der Gute, in begrabnen Tagen.
Ich sehne mich nach ihm schon manches Jahr,
Und er mag auch nach mir Verlangen tragen,
Wenn er noch lebt! So sag mir schnell: Er lebt?

Thamal entsetzt:
Er lebt...

Der Herr des Palastes:
Heil ihm! Und lebt er aus dem Vollen,
Und ist gesund?

Thamal: Gesund – wenn es die Götter wollen.

Der Herr des Palastes:
Ist dir nicht wohl?

Spiegelmensch rührt Thamal an.

Thamal faßt sich.

Der Herr des Palastes:
So hoffe ich den Guten, Weisen, Alten
Wiederzusehn, will's Gott, in kurzer Zeit.
Schon ist mein Herz, verwaist, ihm ganz bereit.
Denn heut wird meine Tochter Hochzeit halten,
Die einzige geliebte. Blieb's dir noch
Verborgen, so errätst du doch,
Thamal, des Freiers Namen auf ein Haar!

Thamal:
Herr, wer ist es?

Der Herr des Palastes:
Dschalifar!

Thamal:
Was, Dschalifar, der unerreichte Reine,
Der selbstlos Hohe, tapfer nie Gemeine,
Mein Jugendfreund und erster Kamerad,
Den ich von mir stieß, kränkte, wehe tat!?
Wie könnt ich ihn vergessen?! Aber jetzt
Gedenk ich meiner Schuld bestürzt, entsetzt!
Daß meine Reue, meine allzuspäte
Ihn gleich erreiche, rufe ihn!

Der Herr des Palastes:
Er liebt dich, Thamal, und hat längst verziehn.

Thamal:
Wann seh ich ihn?

Der Herr des Palastes:
Jetzt, wenn ich von dir trete.
Er steigt die Treppe hinab und verschwindet.

Spiegelmensch:
Verehrter und Geliebter, sei nicht bös!
Aussprachen, wisse, machen mich nervös.
Erlaube gütig drum, daß ich mit diesen
Ein wenig promeniere auf den Wiesen.

Die drei Bewunderer protestieren.

Zweiter Bewunderer bekommt bei dem Gedanken, ohne Thamal zu sein, einen Hustenkrampf.

Spiegelmensch:
Ihr irrt! Ein Wiedersehn ertragen,
Ist unsre Sache nicht.
Da wird ein Pathos angeschlagen,
Das mir gebricht.
Ich liebe nicht, mich allzu leer zu fühlen
Und allzu hohl,
Doch ein Spaziergang tut uns wohl
Im Nebligen und Kühlen.
Die Zeit wird euch nicht unnütz ganz verstreichen:
Ich schmeichle mir, ein wenig ihm zu gleichen!

Erster Bewunderer:
Du gleichst ihm, wie dem Gotteswort ein Witz.

Zweiter Bewunderer:
Du gleichst ihm, wie das Feuerwerk dem Blitz.

Thamal:
Geht!

Spiegelmensch zieht die Widerstrebend-Rückblickenden mit sich.

Dschalifar tritt auf:
Mein Bruder!

Thamal stockt.

Dschalifar:                            Gib mir deine Hand!

Thamal:
Ich war im Unrecht.

Dschalifar:
Gib sie mir! Faßt Thamals Hand.
Der Schatten zwischen dir und mir
Verschwand.
Ich liebte dich in Bitterkeit. – Indessen
Die Liebe blieb, das Bittre ist vergessen.

Thamal:
Ich habe dich verraten.

Dschalifar:                                  Allzuwahr!
Du bist ein Glücksmensch, aller Bindung bar,
Ein Presto, nicht im Rhythmus aufzuhalten.
Wir andern dumpfgebundenen Gestalten,
Was sind wir dir? Wohl hast du mich gekränkt,
Doch wie gekränkt, so wunderbar beschenkt,
In andern großen Tagen. – Wir sind quitt.

Thamal:
Mein guter Bruder!

Dschalifar:                         Was ich durch dich litt,
Wo ist es mir? Doch all die Stunden,
Da wir in meiner Stube uns gefunden
Vor eines Buches Wunder, einem Satz,
Vor eines Verses ungehobnem Schatz, –
Die Stunden, wo in magischer Vereinung
Wir schauderten vor einer Welt-Erscheinung,
Ob's eine Frau war, die im Wagen schwebte,
Die Kavatine einer Sängerin,
Die süß zerfunkend sich zu Ende lebte,
Ein Flußlauf, einer Landschaft zarter Sinn, –
Die Stunden mancher nachtdurchwachten Frühe,
Wenn schon des Himmels grünliches Geglühe
Auf den Aurorenspiegel sank
Der Straße und dein Mund erklang!–
Mann, denk ich solcher langvergangnen Stunde,
Springt deine eigne Rede mir vom Munde.
Innig. Erzähl von dir! Ich sehne mich, zu hören.

Thamal:
Mir graut, Vergangnes, Totes aufzustören.
Es peitscht mich eine Fuchtel vor sich her,
Das Gegenwärtige ist verteufelt leer.
Ich lebe dort, wohin ich mich verbrenne,
An einem Ort, den ich nicht kenne,
Wo ich, der Selbstverfolger wohl zum Schluß
Mich den Selbstflüchtling fangen muß.

Dschalifar:
Auch mich ließ einst der Ehrgeiz nicht in Frieden.
Nur Wissen um uns selbst bringt den Verzicht,
Die Schluß-Bilanz, das Selbst-Gericht!
Ich habe mich beschieden.
Und als ich alle Sucht in mir zerstörte,
Da wurde mir das einzig unerhörte,
Das Glück, das sich den wenigsten ergibt:
Ich liebe, Thamal, und ich bin geliebt.

Thamal kurz:
Glückwunsch!

Dschalifar:                                 Es ist Ampheh, die mir bestimmte Seele,
Mit der ich mich um Mitternacht vermähle.

Thamal:
Mein Glückwunsch noch einmal!

Dschalifar sich fein überwindend:
Thamal, ich weiß,
Mein Kreis berührt sich nicht mit deinem Kreis. –
Du hast die größern Gaben zu verwalten,
Doch mußt du mich für keinen Spießer halten.
Ich bin ein Bauernsohn und sehr gekettet
An Erdbesitz, ein Mensch, der gern sich frettet,
Das Irdische nicht aus den Zähnen läßt,
Ich fliege nicht, doch steh ich dafür fest.
Ach, als ich kleidumwehten Schrittes streifen –
Es flog ihr Haar – sie durch die Landschaft sah –
»Die Mutter meines Sohnes« – fühlt ich da ...
Mysterium! Freund? Kannst du es begreifen?

Thamal:
Nein! Denn ein Säugling ist mir widerlich.

Dschalifar:
So zynisch? Mann! Es packt auch einmal dich!

Thamal:
Du bist mein Jugendkamerad! Doch fern
Und fremd ist, was du sprichst, für mich.
Und dennoch – gern,
Glaub mir's, verstünd ich dich.
Ihr alle, wie ihr liebt und lebt,
Wenn euch zu sehn, mich Neugier faßt,
Seid mir verhaßt und zugeklebt,
Und eure Lust wird mir zur Last!
Ich sehne mich, den höchsten Turm zu bauen,
Wo ihr mich seht, und ich euch nicht muß schauen.
Faßt erschrocken seine Hand.
Verzeih mir!

Dschalifar:                            Gern! Seh ich doch jetzt genug,
Du Glückspilz! Größer ist mein Glück als deins,
Der du noch steckst im Knabenkleid des Scheins!

Spiegelmensch und die drei Bewunderer kommen atemlos:
Der Hochzeitszug!

Dschalifar sehr warm:
Du wirst sie sehn. Vom heiligen Umgang heim
Kehrt sie aus blonder Mutter-Göttin Haus.
Das Opfer ist gebracht: Wein, Milch, der Seim
Von Honig, der Zyanenstrauß.
Nein! Nein! Nicht ärmer bin ich, Mann, als du!
Der Jubel meines Herzens tobt mir's zu!
Er läuft die Freitreppe hinab.
Eine Musik ist plötzlich da. Marsch mit Gong, kleinen
Trommeln und Glöckchen. Ampheh, der Herr des Palastes,
Gäste, Hausgesinde in einem Zug. Dschalifar faßt
die linke Hand Amphehs, so daß sie nun zwischen ihm
und dem Herrn des Palastes die Treppe emporschreitet,
gefolgt von der Festgesellschaft. Der Zug gruppiert sich
auf der Terrasse.

Der Herr des Palastes zu Ampheh, Thamal vorstellend:
Dies ist Thamal, der unsre Feier ziert.
Zu Spiegelmensch und den anderen.
Ihr Herren folgt uns frei und ungeniert!
Alle ab bis auf Thamal und Spiegelmensch.

Thamal:
Taumel!

Spiegelmensch:
Sie hat dich angesehn!

Thamal:
Wie er sie führt,
Besitzend!

Spiegelmensch:
Ihr Blick!

Thamal:
Liebt sie ihn?

Spiegelmensch:
Sie hat dich angesehn.

Thamal:
Meine Knie sind schwach,
So schön ist sie!

Spiegelmensch:
Der Blick!

Thamal:
Sein!

Spiegelmensch scharf:
Sein ist sie schon so sehr, daß, glaube mir,
Ein Wind aus seinem Arm sie weht – zu dir!
Beide schnell in den Palast.

III. Im Park

Lichtung. Kiesweg. Im Hintergrund Baumwand. Kurzes Theater. April. Dämmerung.

Spiegelmensch läuft über die Bühne. Er schwingt, heftig Zeichen gebend, zwei bunte Signallaternen. Verschwindet sogleich zwischen den Bäumen. Ampheh und hinter ihr Thamal, schnellen Auftritts.

Ampheh:
Das war des Schlosses Fenster nicht.
Ich fürcht, mich narrte ein Irrlicht.

Thamal:
Was suchst du dich mir zu entziehn,
Seit dreißig Tagen mich zu fliehn!?
Kaum trifft sich glücklich Stund und Ort,
Bist du entwischt, verhuscht und fort!
Bleib! Ich bitte dich!

Ampheh:           Nein!

Thamal:                     Warum
Bist du für mich allein kalt, taub und stumm,
Die du dein Lächeln unbedenklich schenkst,
Und jeden Tropf mit deinen Blicken tränkst?
Was tat ich dir? Haßt du mich?

Ampheh:           Nein!

Thamal:                     Du flichtst
Leichthin dein Wort in die Rede jedermanns.
Und mir? Die Schmach! Gestern! Der Korb beim Tanz!
Warum?

Ampheh:
Weil! – Nun! – Wie du sprichst
Von meinem Gatten, das – das leid ich nicht.
Die Ironie in deinem Augenzucken,
Das kecke halbverdeckte Gucken,
Die überlegne Miene im Gesicht,
Ich leid sie nicht!! – Und er, der so dich schätzt,
Dich liebt und ehrt! Wenn einer von dir schwätzt,
Und nicht im höchsten Ton, er schlüge ihn gleich nieder.
Doch du? Wie zahlst du solche Liebe wieder?

Thamal:
Ich bleib sie ihm nicht schuldig. Hör mich an:
Mein Freund, dein Gatte, ist der reinste Mann,
Ein wahrer Ritter, Prinz, Unegoist,
Ein Opferbringer, keinem zu vergleichen!
Ich weiß am besten, Frau, wie hoch er mißt,
Und wäre froh, ihm an die Brust zu reichen.

Ampheh:
Wie falsch du sein kannst!

Thamal:
Meine wahrste Meinung
Von Kind auf ist es, was ich sprach!
Er ist die einzige rechte Mann-Erscheinung.
Wir andern alle hinken nach!

Ampheh:
Falsch bist du!

Thamal ernst:
Nein! Ich ehre ihn abgöttisch.

Ampheh:
Ha-ha!

Thamal:           Wie?

Ampheh:                     Du zwinkerst spöttisch!

Thamal:
Ich zwinkere nicht, ich schwör's, es ist nicht wahr.

Ampheh:
Jetzt schielst du gar!

Thamal:                     Halt! Mir wird alles klar.

Ampheh scharf:
Was wird dir klar?

Thamal:                     Ich schweige still!

Ampheh:
Rede!

Thamal:
Stumm bin ich!

Ampheh stampfend:                     Ich will!

Thamal:
Nein – nein!

Ampheh:           Ich will, daß du mir Antwort gibst!

Thamal:
Nun denn! Ich sehe, daß du ihn nicht liebst.

Ampheh:
O Göttin, wissende!

Thamal:                    Du liebst ihn nicht.

Ampheh:
Ich lieb ihn.

Thamal:           So heißt deine Pflicht.
Einst glaubtest du zu lieben, doch schon zeigt
Es sich, wie sehr dein Herz ihm schweigt.
Jetzt aber bist du nur bedacht, zu schonen
Die Illusionen und die Suggestionen,
Voll Angst, daß nicht zu früh dein Auge schaut,
Auf welchem Wasser du dein Glück gebaut.

Ampheh:
Nein! Nein! Hinab!

Thamal:                     Glaub mir, ich kenn den Tanz,
Nach dem das Irdische antritt, das Gesetz
Des Stoßes und geringsten Widerstands.
Ja, ich durchschaue das Geschwätz,
Wenn Abgefeimte prahlen, daß sie wollen,
Und doch nur Kugeln sind, die abwärts rollen
Zu Schlaf und Fraß, ins möglichst Angenehme.
Es herrscht zuletzt das Endgültig-Bequeme!
Ampheh! O prangend ungebrochene du,
Du bist zu herrlich, bist zu gut dazu!
Lebst du, Erzwungenem dich anzupassen?

Ampheh:
Frei bin und war ich!

Thamal:                     Oh, so werde frei!
Denn deine Freiheit war: Geschehen lassen!

Ampheh:
Warum tust du mir weh?

Thamal:                     Verzeih,
Dein Schmerz hat jetzt mich schuldig nicht gesprochen,
Denn deine Heiterkeit ist längst zerbrochen.
Es taumelt, tanzt und quirlt nachts dein Schlaf.
Nur Aufgerührtes konnte so ich rühren,
Und eine Wunde war es, die ich traf.

Ampheh:
Wohl Wunde mir!

Thamal:                     Willst du ein Leben führen,
So wie man's führt, brav, mittelmäßig, rechts,
Im unerhellten Dickicht des Geschlechts
Dir Wunsch um Wunsch erwürgen und abschnüren?
Halb unverstanden matte Liebe geben,
Und was empfangen? Nicht ein großes Leben,
Nein einen Schmuck und Kameraderie,
Ergebenheit und Treue, aber nie
Rausch, Schauder, Phantasmagorie!
Frau, willst du dich ins tote Gleichmaß schicken,
Dich selbst betrügend durch die Jahre gehn,
Wohl anerkennen, aber nie aufblicken
Und nie aufwehn
In jenen Flammen, die uns nicht verzehren,
Doch blühen machen und zum Gott verklären?

Ampheh in wilder Selbstverteidigung:
Reiß mich aus meiner Welt nicht! Schweig!

Thamal dicht bei ihr, scharf und leise:
Du bist nicht tugendhaft, nur feig!
Schön! Schön! Schön! Schön! Dein sündig breiter Mund!
Dein Blick, kalt, blau, gefährlich bis zum Bösen!
Du kannst dich nicht verdämmern und verdösen,
Gewöhnlich werden und ein Lebensschund.
Ich weine um dich in den Dämmerungen,
Ich falle nachts wie welk von meinem Baum,
Denk ich an deinen Schritt, der mich bezwungen!
Einschlafend zittre ich vor meinem Traum,
Denn, das er bringt, das mir verwehrte Schemen,
Darf mich erschrecken, stürzen nur und lähmen!!
Wirft sich vor ihr nieder.
Fuß, Fuß, Fuß!!

Ampheh qualvoll:
O tu es nicht!

Thamal:
Für mich, für mich
Und nur für mich geworden und entstanden.
Daß wir uns fanden!
Ich liebe dich!
Weißt du denn wer ich bin, du, zu der ich bete?
Oh, mir scheint, die Welt ist eine tote Trompete,
Und ich in ihr der Schrei, der Ruf, der Stoß.
Ich bin groß, sei mit mir groß!
Mir ist noch manches vorbestimmt.
Mein Name klimmt,
Und deiner steigt mit mir
Zum Schnee der höchsten Spitze!
Oh, in mir alle Feuer, Stürme, Blitze,
Abgrund, Sturz, Himmelfahrten schenk ich dir!
Er reißt sie an sich.

Ampheh sich loswindend:
O wirkendes Gewissen in uns allen!
Gottheit! Ein Wort noch und ich bin verfallen. Läuft ab.
Spiegelmensch erscheint im Hintergrund auf einem Baumwipfel, signalisiert toll mit seiner Laterne und verschwindet.

Thamal der Entfliehenden nach:
Hör mich. Wohin? Bleib!

Dschalifar steht plötzlich da. Der Weg leuchtet auf:
Mit wem hier sprichst du?

Thamal dreht sich jäh um:
Ah! Du! Dschalifar!

Dschalifar:
Du riefst nach jemand?

Thamal:                     Ich? Rief ich? Fürwahr?
Suchst du mich?

Dschalifar:           Meine Frau war hier! Stark.
Thamal!! Sehr leise. O Thamal ich vertraue dir!

IV. Vor dem Vorhang

Zwischenaktsvorhang von der Rampe mäßig beleuchtet. Während der ganzen Szene bald ferne, bald nahe Musik.

Spiegelmensch huscht im Polkaschritt von rechts herein und tanzt längs des Vorhangs. Er schwingt diesmal eine große, sehr bunte, vielflächige Laterne. Manchmal stehenbleibend, gibt er ein Zeichen zurück, dann verschwindet er schnell hinter der linken Kulisse des Proszeniums. Nach einer kurzen Pause geht Dschalifar langsam von rechts nach links über die Bühne. Er ist dunkel, europäisch-mittelalterlich gekleidet, trägt einen großen Radmantel, als wäre er im Begriff, eine Reise zu tun. Auch er bleibt manchmal gesenkten Hauptes in Gedanken stehen, ehe er links abgeht. Die Musik wird stürmischer. Ampheh, dann Thamal, treten rasch von rechts auf.

Thamal:
Geliebte! Endlich muß es sein!

Ampheh:
Er – weiß noch immer nichts.

Thamal:
Wir werden uns befrein!

Ampheh:
Zweideutigkeit! Quälend!

Thamal:
Es muß geschehn!

Ampheh:
O meine Nacht, mein Elend,
Mein Sonnenaufgang, Vogelschrei!

Thamal:
Komm – und wir sind frei!

Ampheh:
Musik! Ah!

Thamal:
Du erschrickst!

Ampheh:
Er und wir!

Thamal böse:
Sag, wohin du blickst?

Ampheh: Zu dir!
Geliebter! Deine Hand!
Alles kalt! Nur du
Warm, spendend, schöpferisch!

Thamal als Cantabile:
O Duft - Gewalt,
Sich neigend zu mir her,
Wie Sommer mild und schwer!
Wie deiner Gestalt
Verborgenheiten,
Gerüche bereiten,
Die töten müssen.

Ampheh:
Sterben!

Thamal:
Küssen! Er küßt sie.

Ampheh:
Du knirschst mit den Zähnen?

Thamal:
Sehnen!!!

Ampheh:
Ewig!

Thamal lustbewußtlos:
Hüfte, o Knie,
O Fuß, den ich fühle,
Komm!

Ampheh in einem plötzlichen Entsetzen:
Nie!

Thamal: Jetzt!

Ampheh ihm am Hals:
Spüle
Mich fort, und muß ich ertrinken!
Thamal reißt Ampheh mit sich. Sie verschwinden im Spalt des Vorhangs, der ganz schmal, fast unsichtbar, nur durch einen schwachen Lichtschein verraten, offenbleibt. Die Musik ist jetzt laut und scharf. Pantomime. Spiegelmensch im Takte und auf den Zehenspitzen schleicht von rechts auf die Vorhangmitte zu. Er steckt den Kopf in den Spalt, verweilt eine Zeit so, dann wendet er ein erregtes und berauschtes Gesicht dem Publikum zu. Plötzlich wird es hinter dem Vorhang dunkel. Spiegelmensch hebt die Laterne hoch, und voyiert. Da fällt irgendwo ein Gegenstand zu Boden. Dissonanz in der Musik. Spiegelmensch wendet sich blitzschnell um.

Dschalifar kommt von links, den Blick zu Boden gerichtet.

Spiegelmensch in der einen Hand die erhobene Laterne, hält mit der anderen, Rücken gegen den Vorhang, krampfhaft den Spalt zu:
Psss–ss–-ssst!
Dschalifar stutzt, macht ein paar Schritte hinter sich, greift nach seiner Waffe, dann bleibt er einige Augenblicke starr stehen. Plötzlich schlägt er den Mantel über sein Gesicht und geht langsam nach rechts ab, während Spiegelmensch, in seiner Stellung verharrend, ihm nachblickt. Spiegelmensch ist glücklich, hüpft dreimal, schnalzt mit dem Finger. Dann macht er kehrt und beobachtet wieder. Er wird immer enthusiastischer, röchelt, breitet die Arme aus und spiegelt so für Zuschauer den Liebesakt ab, der sich hinter dem Vorhang begibt.

Spiegelmensch zitternd in höchster Zuckung:
Oh!
Die Musik bricht jäh ab. Spiegelmensch läßt die Laterne fallen, dreht sich zum Parkett, wischt die Stirne und schneuzt sich. Er macht einige knieweiche Schritte, gähnt lange und schlägt sich dabei vor den Mund. Er ist müde, macht eine wegwerfende Handbewegung und hockt sich neben den Souffleurkasten. Thamal und Ampheh treten aus dem Vorhang, diesmal Thamal zuerst.

Ampheh:
O größte aller großen Lebensstunden!
Ich bin! Ich bin! Nun hab ich mich gefunden,
Da ich so gänzlich mich an dich verlor.
Küß mich!
Sie macht einen Schritt und stößt mit dem Fuß an die Laterne von Spiegelmensch.

Thamal:
Geliebte, sieh dich vor!

Ampheh:
Denk dir, all meine hemmenden Gedanken,
Das Aus- noch Ein-Nichtwissen, Zweifeln, Schwanken,
Der ewige Vorwurf, stets bereite Schreck,
Die Angst sind fortgeblasen, tot und weg.
Gib mir die Hand!

Thamal:
                    Jetzt nicht! Wir müssen denken,
Noch heut zu fliehn, Verfolger abzulenken!
Der Fluchtplan fordert viel Verstand und List.

Ampheh:
Thamal, geliebter Mensch, wie gut du bist.
So schwebend ist mir! Alles zu verlassen,
Fällt mir so sündig leicht mit dir.
Nur einen laß ich schmerzlich hier,
Den Vater...

Thamal:                     Vater?

Ampheh:                               Seh ich dich erblassen?

Thamal mit leidend-eingebildetem Oberlehrerton:
Ich? Es ist nichts. – – Du gehst von hinnen
Mit mir, Ampheh, zu wachsen, zu gewinnen!
Vergiß nicht, einem höchsten Zweck geweiht
Ist dies mein Leben, und bald kommt die Zeit,
Den Traum zu tun, der mystisch mir erschienen.
Ich dien dem Traum – und du auch sollst ihm dienen!
Beide ab.

Spiegelmensch indem er seine Laterne aufklaubt:
Der Trick der Schöpfung ist satanisch witzig.
Das Weib bleibt vorher kühl, der Mann ist hitzig.
Sie glüht nachher und er sieht auf die Uhr.
So stirbt Betrug nicht aus und nicht Natur!
Folgt den Vorigen.

V. Landstraße

Die Vorderbühne stellt eine Landstraße vor. Gegen den Hintergrund zu eine Palmengruppe. Dort brennt ein Feuer, an den Stämmen sind Pferde angebunden, alle Anzeichen eines Lagers sichtbar. Thamal sitzt am Grabenrand und läßt die Beine in den Graben hängen. Spiegelmensch steht hinter ihm.

Thamal:
So wird es immer wieder Tag und Nacht!
Das, was ich wähnte, hab ich nicht vollbracht.
Im Herzen schleimen schon des Zweifels Maden,
Die Sprung- und Triebkraft leidet an Verdickung.
Der scharfe Wille kommt zu Schaden,
Der Glaube an Erwählung, Tat und Schickung,
Den du in ferner Nacht mir suggeriert,
Asthmatisch schrumpft er hin. Der Mensch laviert
Fad, zuchtlos, indolent und ohne Steuer.
Die Tat kommt nicht! Kaum kommen Abenteuer, –
Und bestenfalls hat man sich amüsiert.

Spiegelmensch:
Ich weiß, mein Lieber, was dir fehlt?

Thamal:                     Du weißt es?

Spiegelmensch:
Sehr heilbar ist die Krankheit deines Geistes.
Doch treibst du's also fort – leb wohl, Genie ... !

Thamal:
So sprich!

Spiegelmensch:           Die Krankheit, Mensch, ist –
Zeigt mit dem Daumen über die Schulter nach hinten.
                    sie!

Thamal:
Ampheh?

Spiegelmensch:
Nur sie! Gib dir's doch selber zu!
Ein Opfer ist schon reif: Sie oder – du!

Thamal:
Nein!

Spiegelmensch:
Opfere sie! Dein Wesen wird sich schärfen!

Thamal gegen seinen eigenen Willen:
Wohl hast du recht. Sie geht mir auf die Nerven.

Spiegelmensch:
So schick sie fort!

Thamal:                     Wie toll hab ich geworben
In dreißig Tagen der verrückten Gier.
Da hatt ich sie – und – schon war sie gestorben,
Denn, was wir haben können, töten wir.
Ich überwand sie – und im Doppelsinn!
Als sie sich gab – gab sie sich wahrlich – hin!
Seitdem ist jeder Kuß mir abgezwungen,
Die Liebesnächte sind Aufopferungen,
Ihr Bild erbittert, peinlich ist ihr Wort.
Lang halt ich's nicht mehr aus.

Spiegelmensch:                     Drum schick sie fort!

Thamal:
Bin ich denn ein Halunke? Das wär Mord!

Spiegelmensch:
Zwei Morde bleiben dir. Bedenk und wähle!
Der Mord an ihrer und an deiner Seele!

Thamal:
Nein! Nein! Ich schlepp die Lüge lieber mit!

Spiegelmensch:
Mensch! Dein Galopp ist längst schon Droschken-Tritt!
Geht ganz in den Vordergrund.

Thamal:
Ich werde krank!

Ampheh tritt auf:
Geliebter, ist der Morgen
Ein ungeheurer Gott nicht? Still, geborgen
Ging ich durch seinen atemzarten Leib.
Da wurdest du zum Morgen, Gott und Tag,
Daß ich vor deiner Übermacht erschrak,
Und zitternd habe ich ein Wort: – »Dein Weib«,
In die gewaltige Bläue hingestammelt.
Ich kam zu einem Baum. Sieh, die ich fand,
Die Früchte, süß, berauschend, unbekannt,
Ich habe sie für dich gesammelt.
Sie kniet nieder und breitet große Früchte vor Thamal hin, die sie in ihrem Kleid wie in einer Schürze mitgebracht hat.

Thamal neurasthenisch, zwischen den Zähnen:
Lyrismen! Die alltäglich gleiche Leier!

Spiegelmensch ins Publikum:
Ich sag es immer. Eine Lotte Meier! Ab.

Ampheh:
Hast du kein Wort für mich?

Thamal:                                 Mir ist nicht wohl.

Ampheh:
Und jener Witzling bunt, kokett und hohl,
Was hängst du dich an seine eitle Fratze?
Ich fühl's, er frißt an deinem Seelenschatze.
Du duldest einen Fremden, der mich haßt.

Thamal mit wütender Betonung:
Er sieht mir ähnlich.

Ampheh erschrocken:
Manchmal glaub ich's fast.
Denn oft geschieht es, daß vertrackt sich schiebt
Wie eine Maske sein Gesicht vor deines,
Wenn du auftrumpfst in der Gewalt des Weines ...

Thamal fährt aus der Haut:
Merk dir's! Mich liebt nicht mehr, wer ihn nicht liebt.

Ampheh entsetzt:
Ich lieb dich nicht!?

Thamal:                     Ich merke es schon lang.

Ampheh: Ich dich nicht lieben!

Thamal:                     Ja, ja, ja! Ein Zwang
Steht deutlich oft dir ins Gesicht geschrieben,
Zumeist dann, wenn – wir – miteinander lieben!

Ampheh:
Thamal, ich zittre, – dieses Wort bedeutet,
Daß mir dein Herz die Totenglocke läutet.
Zum erstenmal!

Thamal:                     Ich habe heiß geworben.

Ampheh langsam:
Ich habe?

Thamal larmoyant: Liebste!

Ampheh:                     Wär ich doch gestorben
An deinem ersten Kuß! Es kann nicht sein.
Faßt ihn an.
Errette mich! Erlöse mich! Sag nein!

Thamal:
Sagt ich was Böses, Kind? Ich bin heut krank.

Ampheh:
Ja Krankheit, Wolke, Trübung, Mißgesang!
Du liebst mich, sag es, rede, sprich!

Thamal:
Was willst du nur? Natürlich – lieb ich dich.

Ampheh nimmt seine Hand:
Hör mich! Als ich heut in der glühenden Frühe
Ging durch das Reifen, Brausen, Geblühe,
Und um mich von Wachstum stampfte der Raum,
Ward ich verwandelt und fühlte mich Baum.
Mystisch verwechselt ward da mein heimlichstes Wesen,
Und zu einem unsagbaren Tiefblick erlesen.
Ach, ich erkannte so viel – und war nicht mehr blind.
Thamal – ich bin – ich trage dein Kind.

Thamal empört:
Teufel!

Ampheh: Thamal!

Thamal:                     Nun ja! Wir müssen denken
Das Unglück klug und eilig einzurenken.

Ampheh:
Unglück?!!

Thamal:                     Gewiß! Noch in der nächsten Stadt
Ziehn wir das weise Mütterchen zu Rat.

Ampheh wild:
Abtreiben! Leise.
                    Und dein Sohn?

Thamal:                     Nenn's wie du's magst!
Doch ich versteh nicht, daß du schreist und klagst.
Denn willst du einem Mann wie mir gehören,
Vor allem sei bedacht, ihn nicht zu stören.

Ampheh:
Vernichtet – alles!
Geht ab in der Richtung des Hintergrundes.

Spiegelmensch kommt:
Nun?

Thamal: Sie ist schwanger.

Spiegelmensch:                                 Immer bunter.

Thamal zu sich:
Wie weiblich nobel fühlt sie!

Spiegelmensch:                                 Schluck's hinunter!
Ich glaube der Entschluß wird leichter so.

Thamal:
Was sagst du?

Spiegelmensch: Ceterum censeo! Horcht.
Hallo! Was peitscht und klingelt dort herbei?
Ein Esel trabt. Gelächter und Geschrei!
Der Gaukler führt den Wagen. Immer besser!
Ich ahne Messerschlucker, Feuerfresser,
Fakire, Tänzer, Chansonetten chic!
Spürst du den Duft von Schminke überall?
Ein Zirkus! Wie mich's reißt! Das ist mein Fall.
Ich selbst kam ja zur Welt durch einen Trick.
Gerät außer sich und tanzt. Der Gaukler (Mönch) tritt auf. Er führt den Esel am Halfter, der einen offenen Artistenwagen zieht, auf dem mancherlei merkwürdige Dinge zu sehen sind, wie gigantische Musikinstrumente, Turngeräte, Zauberapparate und so weiter. Mitten unter diesen Stücken sitzt eine verschleierte Gestalt. Dem Wagen folgen mühsam zwei neunzigjährige Greise mit dem Aussehen von Derwischen.

Spiegelmensch:
Wohin des Wegs?

Gaukler:                                 In die Provinz der Schlangen!

Spiegelmensch:
Der Schlangen? Unbekannt ist mir dies Land.

Gaukler:
Cholshamba wird's im Buch des Reichs genannt.

Thamal:
Doch sag! Durch welchen Fluch hat es empfangen
Des zweiten grausen Namens Titel-Wort?

Gaukler:
Es herrscht Ananthas in der Höhle dort.

Thamal:
Wer ist Ananthas?

Gaukler:                                 Einer von den Obren,
Der niederstieg und seinen Sinn erschuf.
Er ist der Herr der Nattern, Gott der Kobren.
Ein Schlangen-Meer, gehorsam seinem Ruf,
Wälzt ekel schlüpfrige Wellen auf die Saaten
Cholshambas, des gesegneten der Staaten.
Aymar, des Landes Gott, der Lichte, Gute,
Ihn hetzt Ananthas mit der Schlangenrute.
Das Volk kommt um von Myriaden Bissen
Fast unsichtbarer Vipern. Krampfzerrissen
Krepiert am Wegrand Mann, Weib, Kind und Greis.
Das Feld verdorrt, kein Bauer sät mehr Reis.
Kaum wagt man sich am Tage aus der Kammer.

Spiegelmensch:
Rentiert sich denn in Untergang und Jammer
Die Produktion und findet ihr Gewinn?

Gaukler: Mein Herr! Ist erst ein Volk versumpft und hin,
Gedeiht dort Wucher, Kuppelei und Brunst.
Das ist der rechte Boden unsrer Kunst.

Spiegelmensch:
Ich leugn' es nicht, ich bin schon sehr begierig.
Gebt eine Nummer eurer Kunst zum besten,
Ist es auf freier Straße nicht zu schwierig.
Wirft ihm ein Geldstück zu.

Gaukler fängt auf:
Des Himmels Frieden euch! Vor solchen Gästen
Zeigt man mit Ehrfurcht seine schwachen Gaben.

Thamal zu Spiegelmensch:
Den Kopf muß ich schon wo gesehen haben!

Spiegelmensch:
Mir wird ganz unbehaglich, seh ich die
Asketenglatze, und es scheint, die Nase
Ist spitz von einer anderen Ekstase
Als der seiltänzerischen – – –

Gaukler klatscht in die Hände: Fisillih!
Aga! Kaga! Zum Tanz macht euch bereit!
Die Verschleierte springt vom Wagen, wirft ihre Schleier weg und steht mit hundert falschen Steinen behängt im Tanzröckchen da. Es ist Fisillih, die Tänzerin. Die beiden Neunzigjährigen lassen sich zittrig auf die Erde nieder. Der eine hebt einen Dudelsack zum Munde, der andere nimmt eine Schellentrommel vor. Sie spielen in einem schreckhaft unordentlichen Rhythmus. Fisillih tanzt mit unbeteiligter Virtuosität. Gaukler feuert mit Zurufen an.

Thamal:
Das erste hübsche Weib seit langer Zeit.

Spiegelmensch:
Der Schminkgeruch nimmt mir die Seelenruhe,
Und mich bezecht der Anblick solcher Schuhe.

Thamal:
Die Lippen: Wie entzückend, wie gemein!
Das Aug verrucht und himmlisch untermalt!

Spiegelmensch mit Geste:
Ich weiß es längst schon. Nur wenn man bezahlt,
Kann man ganz unbekümmert glücklich sein.

Thamal:
Wie findest du Haupt, Wange, Brauenbogen?

Spiegelmensch:
Ein Totenkopf mit süßer Haut bezogen.

Thamal:
Gerade diese Häßlichkeit regt auf.

Spiegelmensch:
Der Mund ist allzu aufgestülpt, ein Knauf!
Und doch, das Krankhaft-Wüste dieser Züge
Lädt ein, daß man sich unerlaubt vergnüge!

Thamal lachend:
Kurzum! Wir ziehen nach Cholshamba mit!

Spiegelmensch unruhig:
Freund Thamal, nur kein unbedachter Schritt!
Bedenk, der Staat der Schlangen ist gefährlich.

Thamal zum Gaukler:
Stand noch dem armen Land kein Retter auf?

Gaukler:
Mein Edelster! Sie fanden sich zu Hauf,
Und starben auch zu Hauf alljährlich.
Denn es besteht ein alter Seherspruch,
Nach dem vom Lande weicht Ananthas' Fluch,
Wenn sich der Held bereitet, es zu wagen,
Der in des Yadgebirges Höhle bricht,
Und dort vermag mit Ohr und Augenlicht
Des Dämons Wort und Anblick zu ertragen.
Das haben Mönch und Ritter unternommen,
Und sind von Yad nicht wieder heimgekommen.

Thamal der mit wachsender Intensität zugehört hat, ausbrechend:
Endlich!

Spiegelmensch:
Ich zittre.

Thamal in höchster Erregung:
Die Tat! Die Tat!

Spiegelmensch:
Angst!

Thamal:                                 Der Gipfelgrat
Des Lebens löst sich aus der Wolke.
Ich werde zum Erlöser jenem Volke!
Das Leben? Nur Verdrängen, Flucht und Schweifen,
Ausweichen, Schuldigwerden, Unbestehn!
O endlich Tat! Den Dämon will ich greifen,
Und sieg ich nicht, zerschellen und vergehn!!

Spiegelmensch presto:
Was willst du tun? Mir klappern die Zähne!
Es tanzt mir im Innern wie Hobelspäne.
Ich bin nicht geschaffen zum Heldenlauf.
O höre! Du opferst mich mit dir auf.

Thamal:
Willst du verenden, zahnlos, bröckelnd, alt?

Spiegelmensch:
Gewiß!

Thamal:                                 Die Pferde ohne Aufenthalt!

Ampheh kommt mit einem hohen Wanderstab.

Spiegelmensch:
Es hilft nichts mehr. Wie wird es mir ergehn?

Gaukler:
Glückauf die Herren, und auf Wiedersehn,
Wenn wir vor Aymars Tempel uns begegnen.
Die Himmel mögen, was ihr vorhabt, segnen!
Der Wagen mit Gaukler und Greisen ab.

Fisillih springt auf Thamal zu, wirbelt und küßt ihn exageriert; dann läuft sie ihrer Truppe nach.

Thamal verlegen:
Ampheh? Du bist es? Liebste! Hör mein Wort!
Noch heute zieh ich nach Cholshamba, dort
Mich endlich in der Zauberkluft zu messen
Mit jenem Geist, von dem das Land besessen,
Dem Schlangenherrn! Und kann ich ihn vernichten,
Hab ich den Traum vollbracht und darf errichten
Mein Lebens-Monument! Kind! Du indessen,
Da du zu solcher Fahrt in grause Lande
Durch deinen Zustand, Herzchen, außerstande,
Magst dir gemächlich einen Ort entdecken
In einem dieser Dörfer, Städtchen, Flecken; –
Ich lasse dir zum Schutze meinen Knecht.
Bald findest du gemütlich, lieb und recht
Auf schönem Platz ein Häuschen, einen Garten,
Das miete! ...

Ampheh:                                 Dein vergeblich dort zu warten.
Nein, Thamal, du! Ich gehe selbst. Den Knecht
Und andre Opfer will ich dir erlassen.
(Gesetz der Welt, mit dir ist nicht zu spaßen.)
Was mir geschieht, geschieht allzu gerecht.
Ich auch hab einen Liebenden verlassen.

Thamal: Ampheh!

Ampheh: Kein Wort mehr. Was ich jetzt empfinde
Bleib ewig dir verhüllt! Nie sollst du fragen,
Nie nach Ampheh, und nie nach deinem Kinde
Wie ich aus diesem Abgrund Sehnsucht tragen.
Nie sollst du meine Liebe ganz ermessen,
Die diesen Wunsch dir schenkt zum Angebinde:
Lern ohne Schmerz und Reue mich vergessen! Geht ab.

Thamal:
Ampheh! Ihr nach! Geh nicht, du Seelenlicht!

Spiegelmensch mit ehrlichem Erstaunen:
Ampheh? Wer ist Ampheh? Die gibt es nicht!
Sie ist Einbildung, Wahnbild, Traum und Luft.
Sie war nicht!
Die Pferde werden vorgeführt.

Thamal:                                 War nicht??
Fuß im Bügel.
Fort! Zögert.
Ich bin ein Schuft!
Beide sitzen im Sattel.

VI. Cholshamba, das Land der Schlangen

Tempelvorhof. Im Hintergrund, in Galeriestockwerken erbaut, die Front des Heiligtums. Rechts und links Säulengänge. In der Mitte der Bühne das Standbild Aymars, des guten Gottes. Kopf und Gestalt der Gottheit sind mit Seilen umwunden, an denen viele Männer mit wilden Ausrufen ziehen. Priester in gelben Soutanen hocken abgewandt, weinen oder vergraben ihre Gesichter. Nur der Hohepriester steht hoch aufgerichtet, starr. – Plötzlich beginnt die Figur zu wanken und stürzt mit ungeheurem Getöse zu Boden. Jubelschrei des Volkes, das die Säulengänge besetzt hält.

Erster Mann tritt das Gottesbild:
Hier lieg im Dreck!

Zweiter Mann ebenso:
Krepier! Verreck!

Dritter:
Untreuer Gott!

Vierter:
Hundsfott!

Fünfter:
Falott!

Ein Priester:
Aymar! Aymar! Wirst du dich nicht erholen?

Die Männer stampfen auf dem Bildwerk.

Anderer Priester:
O Sakrileg!

Dritter Priester:
Der Brand in ihre Sohlen!

Erster Mann pißt auf das Gesicht des Gottes. Geschrei.

Bass:
Seht an! Des Gottes Antlitz schwitzt vor Schwäche!

Diskant:
Nun schlagt auf Trommel, Gong und Priesterbleche!
Barbarisches Getöse auf Schlagwerk. Das Volk stürzt in die Mitte des Hofes und tanzt um den gestürzten Gott.

Erstes Weib spuckt dem Gott ins Gesicht.
Nur du bist schuld, daß mir vom Leib gerissen
Die Kinder starben an den Schlangenbissen!

Zweites Weib:
Nur du bist schuld, daß wir in Lumpen lungern!

Drittes Weib:
Daß wir vergehn im Hausgestank verkrochen!

Viertes Weib:
An Fehlgeburt, Versehn und frühen Wochen
Hast du die Schuld – – –

Fünftes Weib:
Und Schuld, daß wir verhungern.

Erster Volks-Chor:
Der Gott hier war zu schwach,
Ananthas biß ihn tot.
Nun wälzt er sich im Kot.
Ananthas aber wacht,
Und haucht vom Berge Yad
Die Pest in faulen Stürmen
Mit Wolken von Gewürmen.

Zweiter Volks-Chor:
Hochwürdige Herren, gelb und blaß,
Mit Cingulum und Weihrauchfaß
Könnt ihr den Gott begraben,
Den wir nicht nötig haben.
Ananthas ist uns auf den Spuren ...
Drum laßt uns heut den Tag verhuren!

Orgie des Volkes

Der Hohepriester scheucht die Menge vom Bildwerk weg:
Weg von der Gottheit! Lästerer, verfluchte!
Besessene, vom Schweinegeist Versuchte!
Der Gott, den ihr bepißt und angespien,
Er kämpft für euch auf seinem bleichen Sitze,
Dem schneeumtanzten auf Parvatas Spitze,
Und hierarchisch ordnen sich um ihn
Die Engel aller dreiundsiebzig Grade,
Das Rishi und Divauka-Heer der Gnade,
Mit Fahnen und mit Schwertern in der Hand.
Und während jene sich zum Krieg bereiten,
Brecht lästernd ihr der Gottheit Widerstand,
Die schon den rüstet, der für euch wird streiten!
Gelächter.

Der Hohepriester:
O ihr noch bei lebendigem Leibe Äser!
Höhnt nur! Ich sag euch, euer Retter naht!
Seht! Ich zerreiß in Demut mein Ornat,
Ihn zu empfangen – –
Tolles Gelächter.

Der Hohepriester:
Auf das Dach die Bläser! Signale.
Die Hörner in den Wind! Die sieben Becken,
Die große heilige Ratsche und den Schrecken
Des Rasselwerks, ihr Mesner, setzt in Gang,
Dem Retter zur Begrüßung, zum Empfang!
Höhepunkt des Gelächters. Erneute Signale. Dann Pauken und Ratschen.

Erster Mann:
Auf diesen Heiland wartend, werd ich alt.

Zweiter:
Kennst du Adresse, Name, Aufenthalt
Von dem Messias?

Der Hohepriester:
Auf die Kniee, betet!

Dritter durchdringend:
Der Heiland hat im Wirtshaus sich verspätet.
Thamal und Spiegelmensch treten von links auf, mischen sich in den Trubel.

Der Hohepriester:
Ihr Kupplerinnen, Pülcher, Hurenbuben,
Ihr jagt ihn von der Schwelle! – –- Ratschen, Tuben!
Neue Posaunenstöße, Stille.
Hört ihr die Antwort? Oh, oh, oh, du Pack,
Hörst du die Antwort? Sphärisches Geläute,
Ah, Flöten nahn! Auf eure Knie, ihr Leute!
Hört ihr's?

Erster Mann:
Ich höre einen Dudelsack!
Der Dudelsack wird laut. Von einem Menschenhaufen umdrängt, kommt Gaukler mit seinem Wagen auf die Bühne. Die Truppe besteht diesmal nicht nur aus Fisillih und den beiden Greisen, sondern noch aus einigen todtraurigen Grauhäuptern mehr. Applaus und Freuden-Tumult.

Der Hohepriester sich verhüllend:
Betrogen! Wieder! Gott, für dessen Namen
Ich täglich sterbe.

Fisillih erscheint emporgehoben, über der Menge. Sie will sprechen, aber man hört nur:
Meine Herrn und Damen!
Alles andere geht im Lärm unter, der sich erst nach und nach legt. Die Menge bildet jetzt einen Halbkreis. Fisillih geht mit einer Sammelbüchse diesen Halbkreis ab. Die Männer umarmen, küssen, greifen sie ab. Sie kreiselt aus einem Arm in den andern.

Heiserer Mann:
Du vertrackte weiche Katze,
Windchen, Breitmaul, freche Fratze!
Springe nicht so schnell vorüber
Kitzlig süßer Nasenstüber!

Heiseres Weib:
Ja, da sieht man's, diese dicken
Raunzer, die im Zwielicht weinen,
Sind nun aufgetaut und zwicken
Einer Solchen in die Beine.

Viele heisere Weiber:
O ihr alten geilen Schweine!

Viele heisere Männer:
O ihr älteren Stocher-Waden,
Hängebrüste, Wackelbäuche!

Die Weiber:
Schlangennot, Pest, Hungerschaden
Und noch diese Menscher-Seuche!

Der Hohepriester:
Verrücktes Volk, statt durch Gebet und Fasten
Die müde Hand der Gottheit zu entlasten,
Türmst du die Sünde auf zu einem Berg.
Die höchste Hilfe ward mir abgeschlagen,
Der Retter kam nicht – und so muß ich's wagen,
Ich Alter, Eingestürzter, geh ans Werk.
Zu den Priestern.
Her mit dem heiligen Stab, dem Wehrgehänge
Dem gottheraldischen! Ich zwänge
In den geweihten Panzer den Verfall
Des Leibs. Und Ihr! Verkündet überall:
Der Hirte, der uralte, euch zu retten
Zerbricht des Greisentums vereiste Ketten!
Zum Volk.
Ist stark genug die Hand, den Stab zu halten,
Und stark der Stab auch, der Ananthas schlägt,
Seid ihr erlöst, und ich tat meine Pflicht
Als Hüter! Kehre ich nicht wieder,
Gedenkt! ...

Thamal vortretend:
Nein, alter Mann, das tust du nicht!
Im Bett zu sterben, schone deine Glieder!
Die Tuba hat den Helfer aufgestört.
Die Himmlischen, sie haben dich erhört.
Sie senden mich, das Große zu vollbringen. Zu sich.
Für Andre wagend, Mir Selbst zu gelingen!

Der Hohepriester vor Thamal niederkniend:
Ich wußt es ja! Triumph! Der Gott-Gesandte!
Triumph! Triumph! Oh, den ich ahnend kannte,
Du warst im Sehertraum mir schon gezeigt,
Mitleidender Erbarmer, Held der steigt
Zu dieses Volkes frechem Untergang.
Wie von Erwählung dir die Hand erschimmert!

Knabenstimme:
Seine Stirne flimmert
Im Überschwang!

Mädchenstimme:
Er ist schön!

Frauenstimme:
Er ist jung.

Matronenstimme:
Und schlank.

Alle:
Hilf uns!

Thamal begeistert:
Mich trägt euer Ruf wie ein Meer.
Mein Leben werfe ich vor mir her
Wie einen Ball zum Sieg.

Stimme:
Ja, er ist geboren.

Zweite Stimme:
Ausersehn.

Dritte Stimme:
Sein Auftreten.

Vierte Stimme:
Stimme!

Fünfte Stimme:
Aus gutem Haus.

Sechste Stimme:
Hochgebildet.

Siebente Stimme:
Feine Kleidung.

Alle:
Du bist es! Du! Du! Du!

Spiegelmensch dicht bei Thamal:
Du hast sie gewonnen, sie trubeln dir zu!
Du schlechter Kaufmann, du schleuderst dich fort,
Statt eine politische Rede zu schwingen,
Mit Pathos, Parteischwur, mit starkem Schlagwort
Ist jeder, der größte Sukzeß zu erringen.
Indessen du bringst dich, uns beide um,
Und der Teufel allein weiß, wozu und warum.

Thamal:
Ich tu's für sie. Und doch nicht ihretwillen.
Den Durst nach Wert in mir, ich muß ihn stillen
Durch eine lügenlose Opfertat.

Spiegelmensch:
Das ist Mord an mir, Verbrechen, Verrat!

Thamal:
Ich hab ein Ziel! Ich kann dich entbehren.

Spiegelmensch:
Ich zerstäube, ich sterbe, o laß dich belehren!

Gaukler zu Thamal:
Mein Herr! In meiner Gesellschaft vakant
Ist der zweite Verwandlungskomödiant.
Soll Dieser bei dir seinen Posten verlieren,
Bin ich bereit, ihn zu engagieren.

Thamal:
Ich gebe ihn frei!

Spiegelmensch:
O Mörder, du wirst
Noch weinen um mich.

Thamal:
Um dich weinen? Du irrst.
Priester!

Der Hohepriester:
O mein Gesalbter der Mächte!

Thamal proklamiert:
Ich ziehe nach Yad, zu retten die Rechte
Des Volks aus der Höhle des Schlangentyrannen.

Volk fanatisch anschwellend:
Aäiieoouuh!!!

Der Hohepriester mit ekstatischer Deklamation:
Auf! Bringt den Pomp, bringt die Räucherpfannen,
Den heiligen Panzer, das göttliche Schwert!

Thamal:
Nein, laßt das! Ich tue es unbewehrt.
Wirft die eigenen Waffen von sich.

Volk wie oben.

Thamal wendet sich zum Abgehen. Hoherpriester und Volk wollen ihm folgen. Mit einer großen Geste weist er alle zurück, so daß um ihn ein leerer Raum wird. Mit einem Schrei springt Spiegelmensch in diesen Raum.

Spiegelmensch sich an Thamal klammernd:
Hilf mir! Du zitterst ja selbst!

Thamal schüttelt ihn ab:
In den Staub!

Spiegelmensch:
Du schwankst, noch ist Zeit, gib Pardon!

Thamal:
Ich bin taub.
Geht langsam nach rechts ab.

Ruf:
Seht den Messias!

Spiegelmensch konvulsivisch:
Tot und Verloren!

Gaukler legt die Hand auf seine Schulter:
Noch nicht! Kurz ist der Atem der Toren.

VII. Die Höhle des Ananthas

Schmutzig-verwischtes, undefinierbares Licht, in dem keinerlei Form zu erkennen ist. Überall ein leises Heulen, Zischen, Tuscheln von Tierstimmen, das aber keinen Schmerz ausdrückt, sondern folgende träge Indolenzen: ›Was liegt daran!‹ ›Wenn schon!‹ ›Kann ich dafür?‹ Thamal, bei jedem Schritt im Morast einsinkend, tastet sich vorwärts.

Thamal:
Ekel! – Ekel! – Würgende Qual!
Endloser Weg durch Schlamm und Sumpf und Quatsch!
Ich selbst bin hängend schon und schlapp und latsch.
Irr ich durch einen riesigen Kanal,
Durch Mammut-Latrinen, Urkloaken?
Könnt ich nur eine Zacke packen,
Einen Fels! – Dieses faule Licht,
Diese Stimmen – – – – – – – – Schreit. Ananthas, stell dich!

Stimmen:
Bitt dich, mach kein Geschrei!
Es ist ja alles einerlei.
Wir liegen ja so weich.
Leg dich zu uns! Gleich!
Deck dich zu
Und rülpse in Ruh! Unanständig.
Eijajajajei
Eijajajajei

Thamal:
Furchtbare Kobren dacht ich hier zu finden,
Und finde nichts als ungebornen Dreck,
Und Ekel Ekel anstatt Schreck!

Stimmen:
Eijajajei ...

Thamal:
Ihr Stimmen, Stimmen, wer seid ihr?

Stimmen:
Wissen wir? Wissen wir? Wissen wir?

Thamal:
Mein Hirn zerschmilzt wie Kerzen-Wachs,
Ein geiler Schlaf umquillt mich lax. Verzweifelt.
Ananthas stell dich!

Stimmen: Warum? Wozu?
Laß ihn in Ruh!
Der gleichgültig zudringliche Singsang der Stimmen wird immer eindringlicher. Thamal, um nicht der Hypnose zu verfallen, schlägt um sich. Aber schon fühlt er, daß seine Sinne vergehn und er der trägen Melodie erliegen wird. Da wirft er sich auf die Knie und stößt mit der letzten Kraft seiner Seele die heilige weltumspannende Silbe hervor.

Thamal: Om!!!!!
In diesem Augenblick taucht empor Ananthas (Mönch), auf einem halbzerstürzten Thron sitzend. Er trägt einen zerfetzten Schlafrock, an den Füßen gestickte Pantoffeln, aus denen die Zehen gucken, auf dem Kopf eine eingedrückte Tiara. Unbestimmbare Tiere (Ratten, Molche, Schleichen) wimmeln über dem Thron und seiner Gestalt auf und nieder. Er zündet sich eine Pfeife an.

Ananthas:
Ich steh zur Verfügung der werten Partei.

Thamal:
Du bist Ananthas!

Ananthas: Weiß nicht, wer ich bin. –
Meine Pfeife zieht nicht – ich bin so frei ...
Er zündet nochmals die Pfeife an.

Thamal:
Du Ungeheuer! Du schmutziger Dschin!
Jetzt stehst du mir Rede! Durch deine Macht
Hast du das Volk zu Falle gebracht.
Ich ritt durch die Städte; was ich gesehn,
Gibt mir die Kraft, dein Bild zu bestehn.
In jedem Straßengraben im Reiche
Häuft sich Skelett und Leiche auf Leiche!
Sag! Wie kann deine Fäule, Morast, Dreck und Kot
Zu Schlangen werden, zu giftigem Tod?

Ananthas:
Auf halbem Wege wird alles zu Schlangen,
Doch kann es im Rang noch höher gelangen.

Thamal stürzt sich auf ihn, schreckt zurück:
Pfui! Dies Geschnecke, Gewürm, diese Ratten!

Ananthas:
Mit Brachialgewalt kommst du hier nicht vonstatten.
Bei uns kämpft man vornehm, das heißt in Debatten.

Thamal:
So rat mir, wie man dich vom Throne stößt!

Ananthas:
Ganz einfach! Indem du ein Rätsel löst!

Thamal:
Was geschieht, sollte mir die Lösung gelingen?

Ananthas:
Du wirst uns dann gleich um die Herrschaft bringen.

Thamal:
Und wenn ich nicht zu erraten vermag?

Ananthas:
Ist's für dich auch kein besonderer Schlag.
Du wirst einer der unsern mit Speichel und Schleim,
Und fühlst dich behaglich, geborgen, daheim!

Thamal:
Du willst mich betrügen!

Ananthas:
Keinesfalls, Mann!
Da ich selber das Rätsel nicht raten kann,
Mußt du durch schlagende Wahrheit mich rühren,
Durch scharfe Erkenntnis mich glänzend abführen,
Dann wirst du schon sehn ...

Thamal:
So nenne geschwind mir
Den Wortlaut des Rätsels!

Ananthas:
Der ist kurz! Wer sind wir?

Thamal:
Wer ihr seid? Du Geist in Schlafrock und Schlapfen!
Diese Höhlen, dein Land, –
Ohne Widerstand
Gluckst der Boden ein unter meinen Stapfen ...
Wer ihr seid? – Dieses Tuscheln, Mauscheln und Flüstern
Gleichgültig und lüstern ...
Von allen Seiten nahen kleine, gestaltlose Wesen, die um Thamal auf und nieder tanzen.
All die Wesen, die mich verwirren sollen,
Sie bringen meine Gedanken ins Rollen! Schaukelnder Tanz.
Ihr seid das Geborne, das niemals lebt,
Und dennoch vergebens zu Tode strebt,
Das freudlos und leidlos und ohne Geschlecht
Sich gerade dafür am Lebendigen rächt,
Indem es vergiftet das Fühlende Starke,
Bis es gleicht eurem eignen verschimmelnden Quarke!!

Alle Stimmen unter großem Jammer:
Au! Au! Au!
Du hast uns durchschaut!
Uns graut vor uns, graut!
O könnten wir fahren aus unserer Haut!

Ananthas dessen Thron einstürzt:
Respekt, mein Sohn! Ich kann dir gratulieren.
Du hast gesiegt. Ich muß mich retirieren.
Und dennoch hoffe ich, obschon
Du restlos und ins letzte uns durchschaut hast,
Und unser ganzes Ichgefühl zerhaut hast,
Ich hoffe kurz, trotz deines scharfen Witzes,
Die baldige Herstellung meines Sitzes.
Denn hör! Du kannst solang nur Sieger sein,
Als du in deinem eignen Willen rein!

Und da – bei allem schuldigen Respekt –
Stets in Erkenntnis Selbsterkenntnis steckt,
Und nur in meinem Reich der weiche Weg nicht holpert,
Bin ich gewiß – du bist noch heut gestolpert ...
Zu den jammernden und tanzenden Geistern.
Ihr aber packt die Koffer schnell!
Die Welt ist allzu intellektuell.
Ich muß mich in den Mitteln sublimieren
Und nach und nach assimilieren.
Vielleicht verleg ich von der Erdenkruste
Den Herrschersitz ins Unbewußte!
Nehmt Bücher mit in meine Fluchtkambüse!

Bibliothekar-Geist erscheint. Augenschirm, Ziegenbart, Gehrock von Schuppen grau überschneit. Knieabwärts in trübes Gewölk übergehend. Er fragt, ohne vom riesigen Katalog wegzusehn, den er weit von sich hält: Monismus?

Ananthas schüttelt den Kopf.

Bibliothekar-Geist umblätternd:
Marx?

Ananthas befaßt sich mit der Entschleimung seiner Bronchien.

Bibliothekar-Geist blättert toll.

Ananthas schnalzt mit dem Finger:
Halt! Psychoanalyse!

Alle Stimmen:
Er hat uns durchschaut!
Uns graut, uns graut, –
Die Stimmen vergehen zu ungeheurem Gähnen. Tanz, der die Vision einer fernen Börse voll sich wiegenden Gewimmels hervorruft.

Thamal:
Licht!
Alles um Thamal versinkt unter rasendem Gähnkrampf.

VIII. Tempelvorhof

Gleiche Dekoration wie im sechsten Aufzug. Das gestürzte Standbild der Gottheit ist fortgeschafft. Der breite Sockel steht leer inmitten des Raumes. Spiegelmensch lehnt davor, den Arm aufgestützt, die Beine kreuzend. Er trägt diesmal einen weiten Mantel von schreiendem Gelb. Die Haare seiner Perücke flattern nach allen Seiten gezaust, rot im Wind. Die drei Bewunderer treten eilig und höchst geschäftig auf. Jeder trägt ein Köfferchen als Reisegepäck. Sie verneigen sich tief vor Spiegelmensch, der den Gruß kaum erwidert.

Erster Bewunderer:
Unmächtig, unsere Ungeduld zu zügeln,

Zweiter Bewunderer:
Und sozusagen auf des Traumes Flügeln,

Dritter Bewunderer:
Gefahr nicht achtend –

Zweiter Bewunderer: Reise,

Erster Bewunderer: Noch Beschwer ...

Alle drei:
Kommen wir drei, verehrter Meister, her!

Spiegelmensch:
Da seid ihr grad zum rechten Tag gekommen.

Dritter Bewunderer:
Was haben wir nicht alles schon vernommen!

Zweiter Bewunderer leise:
Daß ihr gewagt, Cholshamba zu erlösen.

Dritter Bewunderer noch leiser:
Vom Urprinzip des radikalen Bösen!

Zweiter Bewunderer ganz geheimnisvoll:
Um bald die ganze Menschheit zu erretten!

Erster Bewunderer laut:
So liest man in Journalen und Gazetten!

Spiegelmensch:
Man kann die allzu vielen Worte sparen.
Durch unsern Mut ward mancherlei erreicht.
Gesäubert von dämonischen Gefahren
Ist diese Landschaft. Denn Ananthas weicht,
Zerstört von Thamals, des Erwählten, Blick,
Zum Kerker noch vermauerter Vulkane,
Bis zum Nadir des Erdensterns zurück.
Wir haben es geschafft. Er ist der neue Held,
Begeistert und charmiert die liebe Welt,
Und ich, ich bin der Wind in seiner Fahne,
Ein Siegeswind, der sich nicht lumpen läßt.
Item! Wir feiern heute unser Fest.

Erster Bewunderer:
Gott sei Dank! Das Wunderbare
Kommt in Mode, kommt in Schwung.
Und es folgt auf Forscher-Jahre
Wissenschafts-Ernüchterung.
Vornehm läßt man gern sich blicken
Heut als Neo-Katholiken!

Zweiter Bewunderer mit Operetten-Zungenfertigkeit:
Eucharistisch und thomistisch,
Doch daneben auch marxistisch,
Theosophisch, kommunistisch,
Gotisch kleinstadt-dombau-mystisch,
Aktivistisch, erzbuddhistisch,
Überöstlich taoistisch,
Rettung aus der Zeit-Schlamastik
Suchend in der Negerplastik,
Wort- und Barrikaden wälzend,
Gott und Foxtrott fesch verschmelzend –
Dazu kommt (wenn's oft auch Last ist),
Daß man heute Päderast ist ...
Also lautet spät und früh
Unser seelisches Menu.

Dritter Bewunderer:
Wir als Höhenmenschen hoffen,
Daß wir gut den Tag getroffen,
Und daß die Begebenheiten
Ein »Erlebnis« uns bereiten.
Gab uns Gott doch schnelle Sohlen,
Selber uns zu überholen.

Fisillih tritt auf in vielfarbig glänzendem Kostüm. Pumphosen. Fußspangen mit Glöckchen.

Spiegelmensch:
Dein Flimmern macht mich blind.
Ah! Dein Geruch und deine Formen saugen
Mich auf und aus! Und deine Füße, Kind,
Klingeln den Blick aus meinen Augen.

Fisillih macht eine fragende Gebärde.

Spiegelmensch:
Fragst du nach Thamal?

Fisillih nickt.

Spiegelmensch gekränkt:
Auf Schultern trägt ihn her das Volk
Zur Siegesfeier! Liebst du ihn?

Fisillih: Erfolg!
Herannahende, barbarische Triumphmusik. Spiegelmensch, Bewunderer und Fisillih treten in den Vordergrund. Der Festzug erscheint. Voran der Hohepriester mit großer klerischer Assistenz, dann Thamal, der von Jünglingen auf einem Schild getragen wird, hinterher in greller Menge das Volk.

Der Hohepriester tritt vor Thamal:
Daß noch mein altes Aug vermag zu schauen
So großen Tages berauschend-hehres Blauen!
Jetzt fahr ich ruhig abwärts in die Nacht
Und kehre heim. Das Wunder ist vollbracht.
Wer soll hier Führer sein? Von allen Seiten
Raunt es mir laut aus jeder Seele zu:
Dem Volk darf Einer nur den Weg bereiten!
Und der, mein Held und Heiland, der bist du!
Du darfst so hoher Pflicht dich unterwinden.
Drum nimm den Stab hier, nimm die Priesterbinden!
Er überreicht Thamal den goldenen Stab und die Binden
des Priesters. Jubelruf.

Der Hohepriester:
So weiß ich denn mein Amt in lichten Händen,
Auf denen Segen und Geheimnis ruht.
Doch eh ich seitwärts trete, um zu enden,
Mach, Thamal, dieses Volkes Frevel gut!
Den frech gestürzten Gott und seine Lehre
Errichte wieder, daß man ihn verehre!
Weih neu den Dienst mit Opfer, Tisch und Messen,
Und herrsch demütig so im Namen dessen,
Der nicht teil hat an der Verweslichkeit!

Spiegelmensch vorspringend:
Verehrtes Publikum! Jetzt ist es Zeit!
Vor euch hintretend lüfte ich den Schleier.
Wem gilt der Jubel, wem die Siegesfeier?
Thamal? Gewiß! Und er soll sich begnügen
Als erster Figurant von Priesterzügen,
Als einer, der die Siegel führt und Stempel,
Und schlafen darf des Nachts in diesem Tempel?
Er soll vor einem Gott im Dienst sich beugen,
Von dem nur sagenhafte Taten zeugen,
Und dessen Existenz durch nichts erwiesen
Als durch das plumpe Bildwerk eines Riesen?
Nein, hört mein Wort in Ehrfurcht, ohne Spott!
Mit Geheimnis. Thamal, der unter euch weilt, selbst ist Gott.

Erste Stimme:
Er ist Gott!

Zweite Stimme:
Längst wußte ich's!

Hysterische Rufe:
Schauder – –

Spiegelmensch:
Nun heiligt eure Ohren, mich zu hören.
Er ist ein Gott! Das will ich hier beschwören.
Er kam zur Welt, da stürzt ein Meteor
Vom Himmel ab, mit Feuerschrift durchritzt!
Die Mutter schreit – Dezembernacht –, es blitzt,
Und aus der Nacht tritt groß die Sonne vor,
Zehnmal so groß, als wie am Tag sie steht.
Das Volk stürzt aus den Häusern und vergeht.

Wilde Rufe:
Heilig!!

Spiegelmensch:
Das ist noch nichts. Das könnte man erfinden.
Vernunft und Logik bringt den stärksten Schluß,
Der jeden Zweifler zwingen muß,
Und jede Lästerzunge binden.
War's Thamal nicht, der den Ananthas schlug?
Theodizee, geschlossen, fest und klug!!
Kann je Verwesung Ewiges besiegen,
Muß nicht ein Mensch dem Dämon unterliegen?

Der Hohepriester:
Schweig, Blender! Wunder wirken zwar
Kann einer, der erkoren ist,
Doch alles, was geboren ist,
Ist Leib. Ein Gott ist unsichtbar.

Spiegelmensch anderer Rhythmus:
Unsichtbar? Das ist halt Exegese
Und anfechtbare Kathederthese,
Ein altes Theologen-Komplott!
Ich rufe! Es lebe der sichtbare Gott!!

Stimmen paroxystisch:
Thamal, der Gott!

Spiegelmensch zu Thamal:
Nun sag mir, erhabener Himmelsprinz,
Bist du ein Gott, bist du's?

Thamal traumhaft:
Ich bin's!
Alle, bis auf den Hohenpriester werfen sich auf die Knie, rutschen um Thamal. Plötzlicher Jubelschrei. Thamal wird von der Menge aufgehoben und auf den leeren Göttersockel gesetzt.

Die drei Bewunderer eilen bis zum Souffleurkasten.

Erster Bewunderer:
Ich zittre!

Zweiter Bewunderer:
Unsre Reise wurde gekrönt.

Dritter Bewunderer:
Ich bin mit allen Strapazen versöhnt.

Zweiter Bewunderer:
Thamal zum Gott erwählt ...

Erster Bewunderer
... Ernannt

Dritter Bewunderer:
Ich bin außer mir, ich gerate in Brand!

Erster Bewunderer:
Ha! Unsre Bekannten werden zerspringen
In den Premieren, auf jedem Jour.
Denn die Notablen, die sie sich fingen,
Sind Virtuosen und Grafen nur!
Doch ist keiner in unserer ganzen Stadt,
Der einen Gott in seiner Bekanntschaft hat.
Sie ziehen sich zurück.

Thamal steht hoch aufgerichtet auf dem Sockel.

Der Hohepriester:
O überheb dich nicht und tritt hinab,
So jung du bist, ist dein Geruch doch Grab.

Thamal:
Ich stehe hier mit jenem Teil in mir,
Der feurig Gott ist, und ich trotze dir!

Der Hohepriester:
Auch jener Teil ist trübes Element,
Und frecher Stoff die Flamme, welche brennt.

Thamal:
Greis! Einen Dämon schlug ich in die Flucht.

Der Hohepriester:
Doch nicht den Dämon, der dich jetzt versucht!

Thamal:
Erkennst du mich als Gott an oder nicht?

Der Hohepriester: Lästerer!

Thamal:
Büße!

Der Hohepriester macht einen Schritt gegen Thamal, greift sich an die Kehle und stürzt tot zusammen. Die anderen Priester scharen sich, das Haupt verhüllend, um den Leichnam. Aufschrei des Volkes.

Spiegelmensch sich über den Toten beugend:
Er ist tot!

Stimmen-Durcheinander:
Ein Wunder – Der Gott – Gottesurteil – Ein Wunder –

Thamal erschauernd:
Das wollte ich nicht!

Spiegelmensch in höchster Lustigkeit:
Es ist kein Gott außer Thamal,
Und ich bin sein Prophet.

Thamal krampfhaft: O glaubt an mich!
Von plötzlichem epileptischem Rausch befallen.
Einzig – Einzig!
Ich bin All!

Spiegelmensch mitten unter schreibenden Reportern, grandiosen Ausdrucks:
Radiogramm sogleich an Times und New York Herald,
An jedes Sternbild, das die Ohren herhält!:
»Welterlösung promptest zu erhoffen ...
                               Gott hier 12 Uhr 5 persönlich eingetroffen!«

Thamal verzweifelt: O glaubt an mich!
Das Volk ist nach und nach niedergekniet.

Erste Stimmenhälfte:
Gott! Schaff die Arbeit und das Altern ab!
Gott! Gott! Wir glauben, glauben!

Zweite Stimmenhälfte:
Erlöse uns von Krankheit, Tod und Grab!
Gott! Gott! Wir glauben, glauben.

Spiegelmensch tritt, Fisillih an der Hand führend, zum Sockel. Beide knien nieder:
Gott! Hier in Gottesfurcht naht dein Prophet.
Erhöre fortan gnädig mein Gebet!
Doch jetzt, da ich der Hohepriester bin,
Bring ich dir deine Hohepriesterin!

Die drei Bewunderer kniend:
Und daß sich würdig schließt die Klerisei,
Treten wir ihr als Kardinäle bei.

Thamal der nichts hört und sieht, blickt in innerster Verzückung zum Himmel. Knaben, die aus dem Tempel treten, reichen Spiegelmensch, Fisillih und den Bewunderern Fackeln und Weihrauchgefäße.

Spiegelmensch eine Weihrauchampel schwingend:
Der Weihrauch qualmt, die Fackeln sind entflammt,
Wohlan, beginnen wir das heilige Amt!
Er faßt Fisillih bei der Hand, die gleichfalls ein Weihrauchgefäß schwingt. Die Musik intoniert einen Niggerrhythmus. Spiegelmensch und Fisillih vollführen immerfort, Weihrauch schwenkend, einen tollen unzüchtigen Tanz. Die Bewunderer treten den Takt am Ort.

Thamal langsam zur Musik:
Ja! Ich bin Gott!
Denn ihr seid nur mein Traum – mein Traum –

Schwangere Frauen anbetend:
Berühr uns, Gott,
Daß wir in Wonne gebären!
Gott! – Gott!

Impotente Greise anbetend:
Berühr uns, Gott,
Bring unsern Schwächling wieder zu Ehren!
Gott! - Gott!
Der Tanz von Spiegelmensch und Fisillih geht in orgiastisches Finale über. Plötzlich verfällt die Musik in einen klagenden Trauermarsch. Der Tanz bricht ab. Die Gefäße fallen klirrend nieder. Von rechts taucht mit dumpfem Pomp ein Trauerzug auf. Voran Yado, des Vaters riesiger Negerknecht. Ihm folgen viele schwarzvermummte Männer, die einen gewaltigen Katafalk tragen. Die Musik bricht ab. Der Zug macht halt.

Thamal:
Auch das ist Spuk und Traumgeflecht,
Bist du's?

Yado:                       Ich – deines – Vaters – Knecht.

Thamal: Was führst du hier für schwarze Last?

Yado:
Den – Herrn, – den – du – ermordet – hast!

Einzelne Stimme: Sein Vater!

Spiegelmensch gleichsam das Volk beschwichtigend:
Man muß nicht alles für Wahrheit halten.
Der junge Gott steht nicht gut mit dem alten!
Links erscheint in seinem Radmantel Dschalifar.

Thamal:
Ein neuer Irrwisch rückt mir an den Leib,
Was willst du dort, Gespenst, von mir?

Dschalifar:
Das Weib!

Einzelne Stimme:
Der Gott ist ein Verführer!

Spiegelmensch teils zum Volk, teils ins Parkett:
Die Gatten von Jugendlich-sentimentalen
Leiden zumeist an Eifersuchtsqualen!

Thamal sich aufraffend:
Ist einer unter euch hier, Weib und Mann,
Der diesen Auftritt meiner Feinde sieht,
Und der, daß Gott ich bin, in Zweifel zieht,
Er trete vor und zeige es mir an!

Das ganze Volk:
Wir glauben! Wir glauben!

Thamal:
Ah! Meiner Allmacht, die sich stolz vereint
Mit eurem Glauben, widersteht kein Feind!
Trompeten. Häscherhauptmann und Polizeisoldaten
treten rasch auf und nehmen den Vordergrund.

Häscherhauptmann:
Wer ist der Thamal!

Stimmen:
Er ist unser Gott!

Häscherhauptmann auf Thamal zeigend:
Was bedeutet das?

Die Priester im Chor:
Gotteslästerung!

Häscherhauptmann:
Und dieser Tote?

Die Priester im Chor:
Von ihm gemordet!

Häscherhauptmann pocht mit dem Stab auf die Erde:
Ich als des Rechtes Vogt, des Reiches Mund,
Tu in des Herren Namen also kund:
Thamal! Du bist in Acht getan und Bann
Als Vatermörder und treuloser Mann.
In die vier Richtungen ruf ich die Acht!
Frei geht der aus, der Thamal niedermacht.
Doch, daß du deinem Schicksal nicht entläufst,
Der du blasphemisch frevelhaft
Mordtat und Lästerungen auf dich häufst,
Nehm ich dich hier auf eigne Faust in Haft!
Reißt ihn herab!

Spiegelmensch leise zum Hauptmann:
Ich bin zwar sein Prophet, doch jederzeit
Dien ehrerbietig ich der Obrigkeit.

Thamal:
Mein Volk! Laß dich verwirren nicht durch Trug!
Bedenk! Wer war's, der den Ananthas schlug?
Die Polizeisoldaten wollen auf Thamal eindringen. Das Volk schart sich dicht um den Sockel.

Erster Jüngling:
Du warst es, unser Gott!

Ein Weib:
Wir glauben!

Zweiter Jüngling:
Wir schützen dich!

Viele Männer:
Waffen! Waffen!

Viele Weiber:
Jetzt Gott! Ein neues Wunder!

Alle:
Ein neues Wunder!
Waffen blitzen den Soldaten entgegen. Hie und da ein Gefecht.

Thamal:
Triumph! Wer wagt es wider mich zu sein?

Gaukler ist plötzlich da. Um seine Arme ringeln sich Schlangen:
Ich!

Thamal:
Du?

Gaukler:
Steckt eure Schwerter ein!
Was bedeuten die Schlangen in meiner Hand?

Entsetzens-Schrei:
Schlangen!

Gaukler:
Sie bedeuten: Ananthas ist wieder im Land!
Durcheinanderirren des Volkes.

Gaukler:
Glaubt ihr, ein Narr hätte ihn besiegt,
Ein Selbst-Genüßling ihn untergekriegt?
Er gab euch Urlaub von seinem Haß
Für einen Tag nur, sich selber zum Spaß!
Jetzt ist er wiedergekehrt. Nicht allein
Nur Schlangen sind diesmal in seinem Gefolg,
Nein! Schakal, Wolf, Stinktier und Stachelschwein,
Von Wanderratten ein ganzes Volk!
Und glaubt ihr mir nicht, daß ich richtig sah,
Überzeugt euch selbst! Denn schon sind sie da!

Wilde Tiermasken mit Pfiff und Gebell dringen von allen Seiten herein und jagen das Volk.

Wütender Ruf:
Steinigt ihn!

Tausend wütende Rufe:
Steinigt ihn!
Man hört Steine sausen. Es wird schnell finster.

Zwischenspiel im Hochgebirge

Zerklüftete Wand. Auf einem Steig kommt Thamal, der den unwilligen Spiegelmensch hinter sich her zieht.

Thamal: Komm!

Spiegelmensch bleibt stehen:
Keinen Schritt mehr! Was geht es mich an?!

Thamal: So komm doch!

Spiegelmensch:
Ach was! Ich bin nicht in Acht und Bann!
Und kurz und gut, es wird mir zu dumm.

Thamal:
Man fängt uns. Du bringst uns noch beide um.

Spiegelmensch:
Herr! Da muß ich doch recht schön bitten:
Meine Person ist wohlgelitten.

Thamal:
Schweig, Schwätzer! Du bist ja an mich gebunden
In allen Stunden,
Zu Freud und Qual!

Spiegelmensch:
An dich gebunden in allen Stunden?
Mein Lieber, Bester! Es war einmal.

Thamal:
Was soll das dumme Gerede bedeuten,
Die Aufschneiderei und die Prahlerei?

Spiegelmensch:
Das bedeutet, daß andere Glocken läuten.
Kurzum das bedeutet: Jetzt bin ich frei!

Thamal:
Frei?

Spiegelmensch:
Ja frei!
Sieh meine Wangen an, wie sie brennen
Von einem köstlichen Rot.
Der ganze Mensch ist nicht mehr zu erkennen,
Er riecht nach Gesundheit und frischem Brot.
Und schlag ich die Schenkel, die rundlichen drallen, Tut's.
Frohlockt das Echo wie Peitschenknallen.
Meine Seele flaggt, ist bestickt und bebändert!
Auch du, o Freund, hast dich sehr verändert,
Deine Leibesfülle ist kärglich und mäßig.
Deine Nase spitz, deine Wangen käsig,
Deine Stirne durchfurcht, zeigt die Farbe des Schnees;
Im ganzen, Verehrter, du spielst à la baisse.
Und ich, der ich plastisch worden und physisch,
Voll Lebenselan bin und erzdionysisch,
Ich soll dich weiter schleppen. Nein, nein,
Brüderlein fein, geschieden muß sein.

Thamal:
Das wagst du zu sagen, der du mich verlockt,
Das Kloster zu fliehn?

Spiegelmensch: –                   Das find ich verstockt!
Wer hat mit affektierten Grimassen
Der Selbstflucht mich einst aus dem Spiegel entlassen?
Nun haben wir beide vertauscht unser Los:
Du bist klein und mager. Ich bin dick und groß!
Darüber beklage ein Kluger sich nie,
Das ist ja die psychische Geometrie!
Ich will nun auf eigene Rechnung sündigen,
Und drum ist's am besten, daß wir uns kündigen!

Thamal: Niemals!

Spiegelmensch:                   Wie unverständig, wie ganz unbändig!
Begreife doch endlich! Ich bin selbständig,
Mein eigener Herr und mein eigener Held.
Und ich wittere Welt!
Meine Adern brennen.
Frauen, Sektgelage und Rennen,
Gartenfeste, Redouten und Bälle,
Spieltische, Börse, Geld, Geld und Duelle,
Großes Leben, das prasselt und prunkt!
Nicht Voyeur mehr, nein, Mittelpunkt!!!
Ja, ich will alle Rivalen ausrotten, –
Um mich am Ende auch zu vergotten!

Thamal in höchster Angst:
Verlaß mich nicht, Einziger, der mir noch bleibt.

Spiegelmensch unbeirrt:
Eh nicht jede Zeitung von mir schreibt
Am Morgen, am Abend in hundert Notizen,
Eh nicht die Lichtreklamen der Stadt
Meinen Ruhm durch die nächtlichen Straßen blitzen,
Bin ich nicht ruhig, bin ich nicht satt!

Thamal zu Boden sinkend:
Weh! Jene Wunde in meiner Brust,
Jetzt bricht sie auf und wird wieder bewußt.

Spiegelmensch:
Welche Wunde?

Thamal stöhnend:
Blut, Blut, das nach innen floß!

Spiegelmensch:
Blut? –

Thamal:
Als ich dich – mich – aus dem Spiegel schoß!

Spiegelmensch:
Ah, Wunde! Was Wunde! Ich hör dir nicht zu.
Es ist der alte, hysterische Coup.

Thamal verlöschend:
Bleib bei mir!
Nebel von allen Seiten unheimlich schnell und grandios erfüllen die Risse und Spalten des Gebirges; kommen näher und näher.

Spiegelmensch mit langausgehaltenem Schrei:
Leben!!!
Er springt über den hingekauerten Thamal und läuft empor.

Thamal die Hände ihm nachstreckend:
Was tust du – Geliebter – Einziger – sprich!

Spiegelmensch schon sehr hoch, zurückrufend:
Das war der Bocksprung, Thamal, über dich!
Er mischt sich, eine italienische Kadenz jauchzend, in das Gewölk.

 

Ende des zweiten Teils

 


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