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Erster Teil.
Spiegel

Personen

Abt
Mönch
Thamal
Spiegelmensch
Wandernde Gestalten

Ort: Kloster in einem sagenhaften Hochland

 

*

 

Kloster in einem sagenhaften Hochland. Die Szene stellt einen kahlen Raum dar, der aus unbehauenen Steinquadern errichtet ist. Die Wand im Hintergrund ist von zwei riesigen Fenster-Öffnungen fast ausgefüllt. Dahinter sieht man langsam ein Gebirge bis zu kolossalen schneebedeckten Höhen ansteigen. Angehäuftes Steingerölle und kleine pagodenartige Türmchen sind in der Landschaft sichtbar, hie und da auch ein dürftiger Baum. Späte Dämmerung. Rechts in der Zelle eine Schlafmatte, in der Mitte ein niedriger Tisch, links ein großes, von einem Vorhang sorgfältig verhülltes Rechteck. Es treten ein der Abt des Klosters und Thamal.

Der Abt: Glattrasierter Schädel mit langem Schopf am Wirbel, graue Kutte, statt eines Stricks einen verzierten breiten goldenen Gürtel um die Hüften. Thamal: reiches Kostüm.

Abt:
Bleib du als Gastfreund weiter unter uns!
Was du befehlen wirst, wir Brüder tun's.
Wir wollen dich im Wissen unterweisen,
Und mit Geheimnis deine Kräfte speisen.
Doch, was du forderst, Herr, noch nicht gefeit
Ist Deine Seele, nicht genug bereit ...

Thamal:
Ich komme aus der Stadt, wo Eins
Das Andre mordet, lau und ohne Wissen,
Wo Tote trubeln tatlos und beflissen
Durch Haus und Straße, wo die Nacht des Weins
Verreckt in eines Morgens schalen Schleim, –
Wo jede Lust sich züchtigt insgeheim,
Wo ohne wahren Atemzug sich Alle
Betäubt und unerwacht im trägen Schwalle
Weltlos und lebenlos zu Ende fretten.
Da ließ ein weiser Geist mich euer Leben sehn.
Das reine heilige – ich lernte es verstehn. Passioniert.
Stoß mich nicht fort! Ich muß – Du mußt mich retten!

Abt:
Dein ungelebtes Leben fortzuwerfen,
Wo ist dein Recht, zu fliehn vor Gottes Schärfen,
Die unbestandne Prüfung zu verfluchen,
Und den du nicht kennst, unsern Tag zu suchen?!

Thamal:
Fragst du nach meinem Recht, mich darzubringen?
Mißlingen heißt es und heißt Unvollbringen.
Schau mich nur an! Du siehst in meinen Zügen
Den ewigen Fluch, Gott niemals zu genügen.
Den Fluch des Menschen, der die Ahnung hat,
Doch nicht die Kraft, den Dreck von sich zu wälzen.
Drum will ich fliehn und schnalle ab die Stelzen
Des Irrsinns und der Lüge, der ich satt.
O nimm mich auf in diese Brüder-Mitte!
Verwirf mich, Vater, nicht und meine Bitte!
Ja! Ich will alle Flammen niederhalten,
Zerstampfen dieses Leibes Schmutz-Gewalten,
Und was ich einzig sehne hier auf Erden,
Rein werden, Vater, und vollkommen werden!

Abt:
Wohl fordert die Gottheit: Vollkommenheit.
Doch erschuf sie den Abfall und Abgrund des Leibs,
Daß wir ihn bewohnen, ganz dem Wahn hingegeben,
Und solang wir noch wähnen, auch glauben: Dies sei Leben!
Denn so allein wird der Wert bemessen,
Und der weisesten Väter einer sagt:
Gott haßt seine Engel, indessen
Liebt er den Mann, der zu sündigen wagt.
Ja, alle Reinheit ist unbeweglich,
Sie steigt nicht die himmlische Leiter empor.
Nur aus der Vernichtung gerät unsäglich
Der blutig Gehetzte ans Tor.

Thamal:
Ich bin nicht einer, den Gott auserkor –
Drum sperr ich ein, was schwach und schlecht mich lenkt.

Abt:
Der Hofhund, den man an die Kette hängt,
Wird zahmer nicht, wird bissiger als zuvor.

Thamal:
Ich kann vom Schlechten mich nicht anders scheiden,
Als mich vernichten, um es zu vermeiden.

Abt:
Auch so gemieden wird es fett und groß,
Und noch im Tode bist du es nicht los.

Thamal:
Kann es denn eine andre Rettung geben?

Abt:
Nicht es vermeiden, Sohn, nein es zerleben!

Thamal:
Du sprichst das Wort dem Leben, Du, –
Den nie ich sah an einer Speise kauen,
Der nächtelang mit unbewegten Brauen
Auf seinen Schoß starrt, schon wie tot und zu?!

Abt:
Auch der Erhabene, der die Welt erkannte,
Und sich hinan zu letzter Spaltung löste,
Er mußte sehn, eh er sein Wesen wandte,
Vor dem Palast den Leichnam, der verweste.

Thamal:
Den Leichnam sah ich schon in jedem Sinn!

Abt:
Vermessener! Und sagst du auch: Ich bin
Verwandelt. Frisch sind deine Lippen,
Von denen Kuß und Wort in gleichem Leichtsinn spritzt.
Willst du die Last von deiner Schulter kippen,
Die kaum dir noch die Haut geritzt?
Weh dir! Wir sind auf dieser Erde
Verflucht, daß niemals ein Betrug gelingt,
Daß nichts beschwindelt und umgangen werde,
Hängt über uns ein Wille, der bezwingt.
Und was unwissend deine Unrast sucht,
Zur Peitsche wird dir diese feige Flucht!

Thamal:
Wenn du auch zürnest, Vater, laß ich nicht
Von meinem Willen!

Abt:
Stehe ab, verzicht!

Thamal:
Hier nicht verzichtend, leist ich Welt-Verzicht!

Abt:
Wie alt bist du?

Thamal:
Kaum dreißig Jahr geworden.

Abt:
So warn ich dich!

Thamal:
Darfst du die Türe wehren
Dem, der ein Mönch sein will in diesem Orden?

Abt:
Wohl warnen darf ich; aber wehren? Nein!
Wer Bruder sein will, der soll Bruder sein;
So will's die Regel.

Thamal:
Halte sie in Ehren!

Abt:
Hör mich noch einmal an! Ein zauberhaft
Und unentsiegeltes Geheimnis droht
Dem, der durch meiner Hand und meines Kusses Kraft
Zum Bruder wird, gefährlicher als Tod.
Sohn, wenn du noch auf jenen Wellen treibst,
Wo Wort und Wahrheit, Sinn und Sinn entzweit,
Dann, lieber Gastfreund, ist es Zeit,
Daß du zur Stund von uns gehst. Wenn du bleibst,
Stellt dir Gefahr nach.

Thamal:
Ich begegne ihr.

Abt:
So warte noch bis morgen!

Thamal:
Jetzt und hier!

Abt:
Zum drittenmal!

Thamal:
Üb deinen hohen Brauch!

Abt verharrt lange, indem er Thamal anblickt.

Thamal schweigt unbewegt.

Abt legt feierlich mit einem beschwörenden Wort die Hand auf Thamals Stirn, dann haucht er ihn an und küßt ihn:
So weih ich dich mit meiner Hand, mit meinem Hauch.

Thamal:
Nun hast du mich gerettet von der Welt!

Abt:
Noch nicht! Erst wenn dein Haar der Schere fällt.
Doch schon mit diesem Hauch und Kuß verfällst
Du dem Geheimnis, das du selbst enthältst.
Geht ab. Kaum ist der Abt verschwunden, tritt ein Mönch durch die Türe, in der er eine Spanne lang bedeutsam stehnbleibt. In der einen Hand trägt er einen Krug, in der andern ein Lämpchen, um den Arm hängt ihm eine Kutte. Licht und Krug stellt er auf den Tisch, die Kutte breitet er übers Lager.

Thamal:
Was gibt es, Vater?

Mönch:
Ich bin hier
In dieser Nacht, wenn du's brauchst, dir zu dienen.

Thamal zur Seite:
Der Totenstarre gleichen seine Mienen.
Laut. Was tust du?
Mein Lager bereitest du mir?

Mönch das Laken zurechtstreichend:
Morgen dient keiner dir mehr.

Thamal:
Ein Krug?

Mönch: Diesen Trunk
Sendet dem Gastfreund der Abt. Jung
Bist du noch heute.

Thamal:
Und morgen?

Mönch:
Bist du zeitlos und alterlos worden.
Mit dem Durst verliert sich die Labe.

Thamal:
Was hast
Du über mein Lager gelegt?

Mönch:
Leichte Last,
Die nicht drückt und sich lüftig trägt.
Die Kutte von Hanf, dein neues Gewand.
Dies hier, was du anhast, wird morgen verbrannt.

Thamal:
So verbrennt mein mißlungenes Leben mit.
Und ich habe mich wieder im Atem und Schritt,
Mich, den ich als Kind schon verloren.
Sag! Gibt es noch ein strengeres Kleid?

Mönch:
Die Väter zur höchsten Erwählung geboren,
Die in ihrem Bewußtsein vernichten die Zeit,
Sie tragen Kutten, geflochten aus Gras.

Thamal:
Und bleibt mir versagt dieses heilige Maß?

Mönch mißt ihn stumm.

Thamal:
Euer Höchster, ihn kleidet kein gräserner Schurz?

Mönch:
Wen meinst du?

Thamal:
Den Abt!

Mönch:
Er ist niederer Stufe!

Thamal:
Doch schmückt ihn das Zeichen des goldenen Gurts.

Mönch:
Nur wer noch halb Knecht, taugt zum Herrscherberufe.

Thamal:
Er, als ein Minderer, trägt den Gurt?

Mönch:
Als Jüngster in der Wiedergeburt.
Noch feucht von der Prüfung ist seine Seele,
Die nichts vor der höheren Dürre gilt;
Weil durch sie noch Zerfall zuckt und Vielheit schrillt,
Ward er erwählt, daß er herrsch und befehle!
Dem Niederen nur ziemt die Sorge der Macht.
Er, der noch träumt und schreit in der Nacht,
Muß der Herrschaft goldenen Gürtel tragen.
Doch die Mönche, die hohen, die zum Himmel ragen,
In letzter Armut hocken sie vor sich her,
Zerschweigen den Raum und lächeln leer.

Thamal:
Noch eines sag mir der Vater! Warum
Gibt's in diesem Kloster kein Heiligtum?
Nur manchmal seh ich im Geröll, unter Felsen
Uralte Türmchen mit gebrochenen Hälsen,
Verlassene Tempel, die keiner betreut.
Doch im Kloster kein Altar, kein Dienst, kein Geläut.
Aus keiner Nische schattet das Bild
Einer Gottheit von Flämmchen umschreckt und umschrillt.
Auch keine Kränze verdorrn und verderben
Als rostige Opfer.

Mönch:
Die Götter sterben
Jeder zu seiner Zeit. Das wissen die Väter.
In den Tempeln der Täler heulen die Beter,
Im singenden Sturm mit gerungenen Händen
Umflehn sie die Gottheit in Furcht und Gefauch.
Doch der feinere Sinn riecht mitten im Rauch
Die Götter-Verwesung von allen Wänden.
Die Nacht in der Landschaft erhellt sich, so daß ein Licht, wie von Sternen, das verhängte Rechteck links in der Zelle ätherisch beleuchtet.

Thamal im Auf- und Abgehen plötzlich innehaltend:
Was hält der Vorhang hier verborgen?

Mönch:
Darauf darf ich dir jetzt nicht Rede stehn.
Nach dieser Nacht schon wirst du's wissen: Morgen!

Thamal unruhig:
Ist hier Gefahr und muß ich sie bestehn?

Mönch:
Wohl ist Gefahr! Drum hör mein Wort genau!
Fixiert ihn.
Der Mensch erwacht in diesem Wallen
Nach seinem Werte zu dreifacher Schau.
Die erste niedre gibt sich allen.
Sie ist die allgemeine grobe
Des Nie-Erwählten unbestandne Probe.
Denn wer aus der zarten Dämmerung taucht,
Aus dem Wiesen-Nebel, der das Haupt des Kinds
Umhaucht und umraucht,
Und vor sich tritt und sagt: Ich bin's,
Der ist erwacht in das erste Gesicht.
Er tritt in die Welt und sieht die Welt nicht.
Zaubrisch verwandelt sind alle Dinge,
In jedem lauert geheime Schlinge.
Denn was auf der Erde, unterm Himmel sich
Ihm zeigt und begegnet ist ewig: sein Ich!
Besteigt er den Berg, eilt er über die Gasse,
Kein Blatt bleibt es selbst, es wird zu seiner Grimasse.
Was ihm naht, Mensch, Tier, ob gehuft, ob gefiedert,
Ist immer sein Ich nur, das aus allem erwidert.
Und dieses Ich zerflossen, zergossen
Wird aus allem gesoffen, aus allem genossen.
Doch oft, wer am Morgen noch schreitet und singt,
Den Tag als Vielfraß zu Ende bringt.
Stumpf und voll Beschwerde
Fragt er nach dem Sinn der Erde,
Die für ihn nicht Erde war, nicht Sinn, nur ein Schein
Von Sättigung und von Hungrigsein.
Und ist es um und soll er von hinnen,
Darf er nicht steigen und muß nochmals beginnen.
Pause.
Doch wem das Wirkende erhellt
Zur zweiten Schau das Auge, der verfällt
Der erzgeheimen Macht,
Die in einem Morgen-Graun oder um Mitternacht
Den tiefsten Feind ihm gegenüberstellt.
Der bleibt ihm zugesellt.
Von Stund an ist er entzweit,
Und muß blutig und mit zerrissenen Händen ringen,
Zu bezwingen sein Geleit,
Das ihn schleppt durch Mord und schuldige Taten.
Sonst kann der Lohn nicht gelingen.
Er muß durch ungeheure Sümpfe waten,
Aus seinem Willen wählen den Buße-Tod.
Denn so geht das Gebot!
Ein Heiliger sagt: Es stirbt, wer Gott erblickt!
Doch auch wer sich selbst schaut, läßt das Leben!
Er aber, daß sein Feind erstickt,
Muß bis zum letzten Rest sich hingeben.
Dann wird ihm die zweite Schau vergönnt,
Und er erkennt!
Er erwacht in eine mächtige Trunkenheit,
Wie sie nur ihm beschert ist hienieden.
Er ist nicht mehr entzweit,
Er atmet in Frieden,
Und ist ganz mit sich vereinigt.
Die Dinge sind von seiner Selbstsucht gereinigt.
Aus allen Wesen winkt ihm zu
Unzählig seiendes wirkendes Du,
Das sich ihm jubelnd ergibt.
Er aber sieht – und liebt.
Mit anderer Stimme.
Doch wer zur dritten Stufe erkoren,
Der wird in einem Geheimnis geboren.
Der Erste in der Welt nur sein Zerrbild kennt,
Der Zweite bekriegt sich, denn er ist getrennt.
Der Dritte muß nicht erlöst werden,
Als Erlöser wandelt er selber auf Erden.
Die Gottheit träumt einen schweren Traum,
Der heißt Stern, der heißt Mensch, der heißt Tier, der heißt Baum.
Was aber des Meisters Auge berührt,
Wird zu sich selber zurückgeführt.
So hilft er den Starken, und hilft den Schwachen,
Und läßt die träumende Gottheit erwachen;
Weshalb man ihn Welterlöser heißt,
Doch Gott-Erlöser ist er zumeist – Langsam.
Präge dir, was ich hier künde, gut ein!

Thamal:
Ich bin geboren zur zweiten Schau.

Mönch:
Fremdling! Weißt du das so genau?
Hast du's schon erfahren?

Thamal:
Erfahren? Ich? Nein!
Doch will ich im Kloster so hoch mich erheben.

Mönch kalt:
Du bist geweiht, so wirst du erleben!

Thamal:
Nochmals! Was verbirgt sich dort hinter den Falten?

Mönch:
In meinem Wort ist die Antwort enthalten.

Thamal:
Sprich klarer, Mönch!

Mönch:
In dieser Nacht
Will ich warten und wachen dort auf den Stufen.
Wenn du mich brauchst, hab meiner acht,
Und rufe! – Ich komme. – Doch – du mußt mich rufen!
Geht ab.

Thamal:
Der Schatten fort! Es regt sich nichts.
Nur ein Falter tobt um den Leib dieses Lichts.
Was hab ich getan? Hab ich recht gehandelt?
Mich selbst zu verwandeln fehlt mir die Kraft.
Nun bin ich geweiht und werde verwandelt ...
Hinab denn: Tag, Tanz, Spiel, Leidenschaft!
Er wirft Waffen, Zierate von sich und legt zwei langhalsige
Pistolen auf den Tisch.

Hier die Pistolen schenkte mir ein Scheich;
Sie mögen auf dem Scheiterhaufen kohlen
Mit meiner Irrfahrt anderen Idolen!
Wirft Andenken und Briefe fort.
Da! Amulett und Briefe, Gott befohlen!
Wie fällt mir dieser Abschied leicht!
Er setzt sich auf die Matte.
Wie? Wenn eine Lüge den Fuß mir stellt,
Eine Laune mich jagt? Denk nach,
Ob du noch liebst, ob dich was zieht, etwas hält? – – –
Mein Vater? Dieser Punkt ist schwach.
Als Knabe schon hab ich ihn totgeträumt.
Das war ein wilder Traum-Schmerz damals; –
Der ist nun lange schon fortgeräumt.
Und jedenfalls,
Was wir erlebten, haben wir abgelebt.
Frauen? Wie hab ich an jenem Geländer gebebt!
Meine Knie erschraken vor ihrem Gesicht.
Ihr Lächeln war flüssiges Licht.
Wir führten uns an der Hand
Durch erwachendes Land.
Am Abend fuhren wir in seligen Booten über den Fluß ...
Doch einmal erwachte ich in ein mageres Zwielicht,
Am Fenster rann Regen und Dächer-Spülicht,
Und hinter einem allzu erwarteten Kuß
Roch ich den Hauch, der mir nicht behagte,
Bald ward mir alles peinlich, was sie sagte.
Und heut, wenn sie riefe,
Das wäre ein Ekel verlogener Gesten,
Ein Schaben im Topf nach verrosteten Resten ...
Ah was! Hier liegen die Briefe!
Freunde? Wie hab ich vor ihnen gezittert,
Daß sie mich groß nur und würdig fänden!
Sie wogen mich auch in gewitzigten Händen,
Und taten entzückt und taten erbittert.
Am meisten schätzten sie mich als Clown.
Einem harmlos Schamlosen ist nicht zu mißtraun.
Auch nickten sie zu meinen Psalmen und Suren;
Doch heute sind sie kommune Naturen.
Sie fielen ab, im Gemeinen zu gleißen,
Und ich – ich weiß kaum mehr, wie sie heißen!
Wäre das alles, was mich bewegte,
Was lauern könnte und Schlingen legte?
Dürfte noch etwas mich irritieren,
Wäre noch immer was zu verlieren,
Das mich peinigen könnte und placken sekündlich?
Du selbst! Ich selbst?! Ich hasse mich gründlich.
Er ergreift das Lämpchen und geht zu dem verhängten Rechteck.
Warum schlottere ich jetzt?
Fast fiel mir die Lampe aus der Hand.
Was ist, das mich entsetzt,
Mich wegstößt und wieder bannt? Er tritt etwas zurück.
Muß ich denn diesen Vorhang wegreißen,
Anziehn die gefährlichen Strafen?
Soll man mich einen Feigling heißen?
Am besten wär es, ich ginge schlafen!
Vielleicht hat der Abt meiner Kraft nicht vertraut,
Die Neugier zu bemeistern,
Nicht geglaubt, ich könnte trotzen den Geistern,
Dem Augengewimmel, das mich anschaut.
Er legt sich auf die Matte, springt aber sogleich wieder auf.
Aus dem Schlaf wird nichts. Dreh ich mich zur Wand,
Fühl ich meinen ganzen Rücken verbrannt.
Ein magischer Sonnenstich trippelt mir über den Nacken.
In meinem Kopf steckt ein Enterhaken
Und zieht ihn mit sich.
Verhüllt sich dort das Bild
Der Gottheit, nach der ich fragte,
Eine verfluchte, unbeklagte
Gestalt der verwesenden Gottgestalten?
Es quillt und quillt
Sternseim durch die langen Täler der Falten –
Es hutschen und hasten
Die Schatten der Quasten. Nimmt heftig wieder die Lampe.
Mut! Ich bin entschlossen! Ich bin gewillt!
Mich selber habe ich fortgeschmissen!
Was fürchte ich noch? Er tritt ganz nah.
Dies ist ein Tuch!
Und Tod der mildeste Fluch!
So sei denn der Vorhang des Tempels zerrissen!
Er ergreift die Verhüllung und reißt sie weg. Man sieht einen großen Spiegel, der starke Lichtschwaden aussendet.
Ist es nicht mehr als das?
Ein Spiegel aus sidonischem Glas? Untersucht.
Hier lugt unverlöteter Bruch.
Ein Rändchen Zinnober ist frei.
Mir gelingt keine Zauberei,
Find ich nicht den belebenden Spruch. Er fährt zurück.
Wer ist hier? Teufel! Wie bin ich erschrocken!
Ich fühle mein Blut sich stauen und stocken.
Und war ja mein Spiegelbild und Konterfei nur.
Wär ich dieses Bildes doch ledig und frei nur!
Ich hebe die Lampe und bei der Betrachtung
Aufsteigt mir das alte Gift der Verachtung.
So ward ich gezeuget, so bin ich geboren,
Die Schönheit verehrend, der Schönheit verloren!
Wild in den Spiegel grimassierend.
Mich dünkt: Meine Stirne, mein Schädel verraten:
Links laufen die Worte, rechts rennen die Taten.
Und was die grünschimmernden Augen zeigen,
Des Lüstlings geschwungene Lippen verschweigen.
Die Nüstern der Nase sind mir noch verhaßter,
Die Zähne – ein Räuberfamilienlaster!
Summarisch! Wenn du dich selber vergißt,
Weißt du nicht, wie du abscheulich bist.
O weises Schicksal, das mich hergetrieben!
Ich fühle überwunden die Gefahr.
Ich werde werden, werde lieben.
Ja, alles löst sich und ist klar:
Der Spiegel wird mir nichts anhaben,
Weil seinen Zauber-Sinn mein Witz erkennt.
Hier vor mir steht ein Delinquent,
Und wird sogleich begraben.
Ich wage einen starken Streich,
Entzweizuhaun den Alexanderknoten.
Er ergreift eine der Pistolen.
Hörst du? Zu Ende ist dein Reich!
Du! Es ist an der Zeit!
Geh zu den Toten!
Thamal schießt in sein Spiegelbild. Der Spiegel zerklirrt und fällt zu Boden. Aus dem Rahmen springt Spiegelmensch. Er ist eine ähnliche, aber keineswegs mit Thamal identische Figur. Vor allem, wenn auch in ähnlichem Kostüm, so doch viel marktschreierischer gekleidet. – Er beginnt in wahnsinniger Geschwindigkeit durch die Zelle zu laufen und zu tanzen. Er springt auf den Tisch,die Fensteröffnung, klettert traumhaft behende die Mauer empor und bleibt endlich vor Thamal stehn, der zusammengekauert kniet und die Hände auf die Brust preßt.

Spiegelmensch:
Zu den Toten? Nein! Du hast mich befreit!
Es erfaßt ihn plötzlich ein Taumel, und er rast wieder umher.
Frei! Frei! Frei!
Raum! Raum! Raum!
Leib! Leib!
Hände! Finger! Füße!
Springen! Springen
Im Traum – Raum!
Er springt wie ein Tänzer, wie der Mensch im Traum, in großen Pirouetten hoch, fast bis zur Decke.
Frei! Frei!
Süßer Leib!
Wahrer Leib!
Ich! Ich!
Ich! Er kniet zu Thamal nieder.
Du mein Befreier!
Du mein Größter!
Mein Erlöser!
Du mein Gott, du!
Er streichelt Thamal, zuerst wie in einem wahren Überschwang, nach und nach wird er ruhiger, seine Bewegungen gewinnen jene Glitschigkeit, wie sie verlebten Männern bei Liebkosungen eigen ist.

Thamal kniend:
Was ist mit mir geschehn?
Ich sehe Sternsysteme rasen.
Milliarden Sonnen drehn
Vor meinem Auge! Lichtekstasen
Entstehn, vergehn!
Bin ich in anderer Welt erwacht?
Zeigt die Uhr die Stunde nach dem Tod?
Lila lacht es und loht!
War's eine Ohnmacht? Wie erwachend.
Ich bin verwundet! bin verwundet!

Spiegelmensch geschäftig:
Du bist verwundet? Süßer Freund, wo, wo?
Er knöpft dem Knienden das Kleid auf.

Thamal:
Blut! Verwundet ...

Spiegelmensch:
Verwundet? Nicht verwundet. – Gesundet!
Legt das Ohr auf Thamals Brust.
Kein Blut, kein Riß! Das Herz hüpft froh!

Thamal aufspringend:
Wer ist hier?

Spiegelmensch stakkato:
Ich! Ich! Nur Ich! nur Ich! nur Ich!

Thamal:
Du! Wo war ich? Welche Ewigkeit verstrich?

Spiegelmensch:
O mein Befreier! Nun sind wir vereint!

Thamal:
Mensch! Wer bist du? Stürzt auf ihn.
Du! Du bist mein Feind!

Spiegelmensch zurückweichend:
Dein Feind? Ich, Ich? Dein Feind! Ich, Ich, dein Feind?!
Unter allen rollenden Sterngewalten
Kein Engel, der's inniger mit dir meint!
Ich höre, wie sie zusammenhalten,
Alle gegen dich!
Nur ich
Bin treu und schütz dich vor ihrer Verschwörung.
Listig erlausche ich jede Empörung.
Ich bin dein Hund, dein Pferd, dein Stab.
Denn stürbest du, müßte ich mit ins Grab.
Gibt's einer Liebe höheren Beweis?

Thamal:
Weh! Was erkenn ich! Du bist mein ...

Spiegelmensch legt den Finger an den Mund:
Pst! Nur leis!
Ich bin mein Ich! Bin meine eigene Grenze.
Ich bin nicht Du, nicht Er, nicht Sie, nicht Es.
Und wie du siehst, in seiner ganzen Gänze
Recht stattlich ist mein Sterbliches. Liebkost seine Gestalt.
Ach, mich erfüllt Entzückung, zu bewohnen
Hier diese drei geliebten Dimensionen. Wirft sich
nieder.

Aber nur dir hab ich alles zu danken.
Du hast mich entrissen den schrecklichen Schranken.
So war noch gebannt kein Geist in der Flasche,
So hilflos verbrannte kein Ketzer zu Asche,
So ward noch gekreuzigt kein Held und kein Büßer. –
Du hast mich erlöst, du mein Guter, mein Süßer!
So atmet kein Kerl dem Zuchthaus entronnen
Wie ich das Erwachen in räumliche Wonnen!
Er tanzt von neuem.

Thamal:
Bist du schon du, was wagst du zu spotten,
Mich äffend mit meinem eigenen Kleid?

Spiegelmensch:
Du Lieber! Bei Gott, das sind keine Marotten,
Denn es verwischt die Persönlichkeit,
Wenn Weiber, Tenöre, Hochstapler und Laffen
Jahrlang, als wären sie's selbst – mich begaffen.
Man wird davon am Ende gewöhnlich
Und schließlich dem schmutzigsten Waschwasser ähnlich;
Die Physiognomie muß süßlich verpatzen
Zum geometrischen Ort aller Fratzen!
Doch gönn mir den Blick, betrachte mich schnell!
Dreht sich um die eigene Achse.
Turnüre und Habit sind originell!

Thamal:
Gleisner! Marktschreier! Was willst du von mir?

Spiegelmensch:
Nur was du selbst willst, mein Gott, mein Befreier.
Doch ich allein enthülle es dir,
Nennst du mich Gleisner auch, nennst mich Marktschreier!

Thamal:
Was will ich von mir?

Spiegelmensch:
Das weißt du noch nicht,
Du halb-bewußter Traumstraßen-Befahrer.
Ich bin, das dir aufgehn wird, heut noch, das Licht,
Deiner wahreren Wahrheit Siegelbewahrer!

Thamal:
Meine Wahrheit ist: Ich bin geflohn
Im Ekel des eigenen Ungenügens.

Spiegelmensch:
O du Meister des Lügens!
Wieder die magere Invention?

Thamal:
Ich lüge?!

Spiegelmensch:
Der Spiegel hat sich gebogen
Vor deinen Mono- und Dialogen.

Thamal:
Was sagst du?

Spiegelmensch:
Ja, ja, dieses ganze Gestöhn:
»Meine Zähne, meine Stirn, wie abscheulich, wie gräßlich!«
Du Glücklicher! Erstens bist Du ja schön!
Und zweitens hältst du dich gar nicht für häßlich.

Thamal:
Er trifft mich.

Spiegelmensch:
Und dann tust du so blasiert,
Als könnte ein Weib dich nicht mehr entzücken. –
Und dennoch wett ich, zeigt eins nur den Rücken,
Wird gleich ein Tier an dir irritiert,
Das man kaum unter Brüdern nennt ...

Thamal:
Sprich weiter!

Spiegelmensch:
Deine Freunde? Du Erzasket, du gescheiter!
Hast Du ihr Wanken denn überwunden,
Und träumst du nicht in verlorenen Stunden
Alle, alle vor dir in den Staub?

Thamal:
Was willst du? Was willst du?

Spiegelmensch:
Glaub an dich, glaub!

Thamal:
Ich flieh meine Schwäche und Blöße.

Spiegelmensch:
Du fliehst deine eigene Größe
Und fürchtest sie wie ein Leid!

Thamal:
Ich bin nicht groß.

Spiegelmensch:
Die Demütigkeit
Der wahren Erwählung.

Thamal:
O wär ich groß!

Spiegelmensch leiernd, klerikal-nasalen Tones:
Sei nur getrost.
Du bist zum Zeitentrost erlost.
Es stand in Konjunktion
Bei deiner Geburt des Aristoteles Stern,
Der fern auch über Anandos weiser Wiege stand,
Und wandelte über Konfuzes edlen Geistessohn.
Derselbige Stern hob seine Bahn
Über den unbesiegten Mongolenchan –
Er schien nur den Begnadeten zulob –
Das ist, o Herr, dein Horoskop.
– – – – – – –
Du schweigst? So traue meiner Sternenuhr!
Sie zeigt den Sinn deiner Natur,
Die sich verriet vor kurzer Zeit
In deutlichem Symbol.
In welchem? Du errätst es wohl – – –

Thamal:
?

Spiegelmensch:
Nun! Du wolltest mich töten, und hast mich befreit!

Thamal:
Kann ich befrein?

Spiegelmensch:
Du Gott! Nur du allein!
In dir ruht eine Kraft,
Von der du keusch nichts weißt,
Ein unerweckter Geist,
Der niederrennend alle Wissenschaft
Den Raum in Stücke reißt.
Ja! Jeder Vogel, jede Pflanze spürt
Die Strahlung, lebten sie am fernsten Hange,
So sehnt sich alles in geheimem Drange,
Von dir zu werden angerührt.
Nur du kennst nicht, was dir Geburt verlieh,
Die höchste Zauberei: Weiße Magie!

Thamal:
Wahr sprichst du. Denn jetzt fällt mir ein,
Wenn ich des Nachts daheim
Vor meinem Schreibtisch in Gedanken starrte,
Da prickelte elektrisch meine Haut,
Als lösten Kräfte sich, von ihr gestaut,
Und wirkten aus. Das Holz der Kästen knarrte,
Im Schranke schwankte, was im Schatten lag,
Daß ich vor meiner eigenen Macht erschrak.

Spiegelmensch:
Da hast du's selbst getroffen.
Die andern sind wie Stumpfgeburt und Stein,
Nur du allein
Bist offen!
Ein Tor, das sperrangelweit
Ins Universum aufgetan ist,
Und Wellen mächtigen Äthers speit,
Gewaltigen Einfluß weit und breit.
Ich selbst erfuhr, daß das kein Wahn ist.
Und du, du willst dich hier verriegeln?

Thamal:
Könnt ich dir nur den Mund versiegeln!

Spiegelmensch:
Und wer gibt dir 's Recht,
Dich der Welt wegzustehlen,
Den durstigen Seelen,
Dem harrenden Leidensgeschlecht?
Wem frommt der heilige Marterpfahl?
Glaub mir, der hier alles erkennt:
Du bist mehr als ein Original,
Du bist ein Instrument.

Thamal:
Ein Instrument! Das sagte ich mir schon
Im Aufschwung meiner größten Stunden.

Spiegelmensch:
Das hast du gut und recht empfunden.
Du lügst ja nur in der Raison.
Hör mich! Die Worte der meisten Sprecher,
Was so die Dichter und Weisen schwatzen,
Sind schwächer als Spatzen,
Sie fliegen kaum auf die Dächer.
Doch wo dein Wort seine Schwingen breitet,
Ist ihm keine Grenze, kein Ende bereitet. –
Du gleichst darin den berühmtesten Betern,
Vor allem Mose, vor dessen Zetern
Jehova selber sich mußte verstecken.
Fühlst du nicht, wenn du sprichst unter Leuten
Wind um die eigenen Schläfenecken?
Die andern sind still, gedrückt und erschrecken,
Und du weißt es nicht zu deuten?

Thamal:
Oh, diese Macht war meine höchste Lust!

Spiegelmensch:
Und wirfst sie weg an einen Wust
Verlogner Ziele!

Thamal: Weich von mir!

Spiegelmensch:
Wir sind nun einmal hier!
Mach dir's doch klar!
Und vor allem: Sei'n wir wahr! Nur wahr! Scharf.
Mach schnell deine Augen zu!
Wo ist das erfabelte Du
Der Dinge, die am Gewissensstrick
Deiner Seele zerrten?
Ein Augenblick
Macht sie zu nebligen Traumgallerten,
Die sie im Grunde sind! Tritt mit Hokuspokus hinter
Thamal.

Du nur bist die Wirklichkeit,
Der Punkt der Punkte du,
Aus dem sich alles schürzt,
In den sich alles stürzt,
Durch den alles gedeiht!
Du bist der Befreier, bist der Größte.
Und – der mich erlöste,
Wird alle befrein.

Thamal traumhaft:
Ich?!

Spiegelmensch orgiastisch:
Wie süß das klingt! Ja du allein!
Gierig. Sag's noch einmal!

Thamal begeistert: Ich!

Spiegelmensch: Das klingt! Das klingt!
Und dein Engel schwingt
Wie die Saiten einer Harfe in dir!

Thamal:
Das höchste Gut gelänge es mir!

Spiegelmensch:
Dein Werk wirst du tun.

Thamal:
Mein Werk! Mein Werk!

Spiegelmensch: Und Ruhm
Unirdisch wird dein!

Thamal: Ah! Werk und Ruhm,
Die beiden höchsten Worte des Lebens.

Spiegelmensch:
Deine Feinde erbleichen vergebens.

Thamal lacht unbändig.

Spiegelmensch:
Doch dein Heldentum
Durch alle Adern der Erde fließt.
Und wie Gott die Gottes-Furcht genießt,
Genießt du den Ruhm. Leise.
Du kannst ihm fast gleichen,
Tust Wunder und Zeichen.

Thamal:
Wunder und Zeichen?

Spiegelmensch:
Ja, dreh dich nur um!
Es wird draußen in der Landschaft folgende Vision sichtbar: Eine Anzahl Menschen, arm, in abgerissenen Kleidern, Männer, Weiber und Kinder wandern über Geröll und Felsen auf die Fensteröffnung zu. Ihr Schritt zeigt die bedächtige Mattigkeit des Bergsteigens. Alle tragen in der einen Hand lange Bergstöcke, in der andern Laternen, die sie ununterbrochen zum Himmel heben, als hätten sie dort etwas zu suchen. Ein paar besonders armselige Gestalten treten dicht heran und schauen in die Zelle, aber sie sehen nichts und machen den Eindruck von Blinden. Hie und da breitet einer die Arme aus. Im übrigen sind es dieselben Figuren, die im zweiten Teil das Volk darstellen.

Thamal:
Wer sind die, was suchen die?

Spiegelmensch: Einen neuen Gott!

Thamal:
Mit ihren Laternen?

Spiegelmensch:
Sie suchen mit ihren Laternen
Den neuen Gott in den Sternen.
Und während sie suchen, die Toren,
Ist ihnen ihr Abgott längst schon geboren.

Thamal: Wo ist er?

Spiegelmensch: Nah!

Thamal: Wo?

Spiegelmensch mit Geste: Hier!
Er wandelt ihnen in dir.

Thamal:
Wie elend sie sind, wie verkrüppelt, verkommen,
Von Arbeit und Hunger wie mitgenommen!
Ich spüre den niedrigsten Menschengeruch,
Die Beize von Zwiebel und schweißigem Tuch.
Könnt ich ihnen helfen!

Spiegelmensch: Du wirst sie erhöhn.

Thamal:
Ins Leben sie führen ...

Spiegelmensch: Du erst machst sie schön.

Thamal:
Ist das wahr? Kann ich sie erheben?

Spiegelmensch:
Kein andrer als du, denn du verwandelst das Leben!
Die Vision verschwindet.
Aus Gebrechen, Verbrechen, Gebrest,
Aus endlosen Plagen, aus Krampf von Despoten,
Aus Hütten von hinstumpfend Toten
Führst du sie alle zu ewigem Fest,
Zu einem Welt-Freuden-Fest!

Thamal:
Fest! Das war immer mein höchster Begriff.

Spiegelmensch:
Da fahren wir ja auf dem gleichen Schiff.
Wenn ich auch nur aus der Fläche stamme,
Brennt dennoch in mir die Hoffnungsflamme,
Daß am Ende der Zeiten die Freude steht.
Aus dunstiger Kammer
Aus Röcheln und Räude
Fühl ich schon, wie sie emporgerät.
Das Amen des Lebens hieß: Katzenjammer!
Durch dich heißt es: Freude!

Thamal: Ja Freude! Freude!
Ich werde sie entzünden.
Ja Freude, Freude!
Ich werde das Reich begründen.
Ich führe herauf das ewige Fest!
Es steigert sich in meinen Fingerspitzen
Die Kraft zu Funken und zu Blitzen.
Wellen, die in die Weite spritzen
Sind Wonne, die sich nicht sagen läßt.
Ich! – I – hi – ich!

Spiegelmensch hingerissen:
Schön ist, daß du bist! Schön ist, daß wir sind!
Umarmt ihn. Komm jetzt! Nur fort aus dieser Höhle!

Thamal:
Wie dein Glaube mit heiligem Öle
Mich salbt!

Spiegelmensch:
Er wird ewig dich stärken.

Thamal:
Gewißheit von Ruhm und Werken!

Spiegelmensch:
Alles, alles, du Gott!

Thamal mit freudigstem Selbstbewußtsein:
Laß uns gehn, mein Begleiter!

Spiegelmensch wollüstig zu Boden schlotternd:
Dein Begleiter?
Dein Wurm!
Dein Pferd!
Sei mein Reiter!

Thamal nimmt seine Hand:
Komm! Zögert.
Zieh ich dich, oder ziehst du mich mit dir?

Spiegelmensch:
Zwischen uns gibt es kein Dort und kein Hier –
Beide stehn an der Fensterbrüstung.

Thamal wie erwachend:
Träum ich jetzt? Oder träumte ich vorher?

Spiegelmensch:
Das entscheidet kein wissender Dämon mehr.

Thamal verwirrt:
Der Mönch – Er wacht – Ich ruf ihn herbei,
Mich zu retten.

Spiegelmensch: Ermanne dich, wir sind frei –
Komm! Komm! Daß wir die Schläfer nicht stören!

Thamal schreit plötzlich:
Ich bin verwundet! Hil– – –

Spiegelmensch hält ihm den Mund zu – – –:
Laß dich beschwören!

Thamal: Blut!

Spiegelmensch: Einbildung! Du bist gesund und frisch.
Hier steht Wein auf dem Tisch.
Trink! Reicht ihm den Krug.

Thamal trinkt den Krug aus und schleudert ihn fort:
Oh! Jetzt ist alles verschwunden!
Ich spüre kein Blut, keine Wunden!
Blas aus das Licht! Spiegelmensch bläst die Lampe aus.
Schnell!
Beide verschwinden durchs Fenster. Die Bühne bleibt eine Weile leer. Dämmerung. Abt und Mönch treten ein. Mönch bindet einen starken Strick um die Kutte und setzt einen Pilgerhut auf.

Abt:
Er ist erlegen. Tu deine Pflicht!

Mönch zeigt eine Geißel ins Publikum und geht gleichfalls durchs Fenster ab.

Ende des ersten Teils

 


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