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Dritte Phase

Neuntes Bild

Vedette vor dem Cerro de la Campana (Glockenhügel) bei Queretaro. Ausgedörrte Steppe. Eine hochaufgeworfene Deckung mit Sandsäcken. Rechts eine Gewehrpyramide.

Korporal Johann Nepomuk Wimberger von der früheren österreichischen Freiwilligenbrigade, die beiden Infanteristen Yatipan, ein Mestize, und Polyphemio, ein Indianer, lagern auf der Erde und sind im Begriffe, aus zerbeulten Eßschalen ihre Mahlzeit zu verzehren. Die Uniform des Korporals ist trotz aller Defekte halbwegs instand gehalten, die Montur der beiden Mexikaner von unwahrscheinlicher Verkommenheit. Ihre grauen Zwilchhosen sind mit allen Kotfarben der Welt besudelt. Yatipan trägt unter der zerschlissenen Bluse das Rothemd der Juaristen. Er ist ein Überläufer.

Korporal Wimberger ein verwitterter Mensch von vierzig Jahren, stößt angeekelt seine Speise von sich: Da du Dreckfresser! Nimm diese Zubuße!

Polyphemio: Man erkennt nicht, ob er kretinhaft oder nur bis an die Grenze europäischer Fassungskraft faul ist. Er langt nach dem Napf.

Wimberger: Gestern haben eure Soldatenhexen eine verweste Katze gedünstet ... Das hier schmeckt nach Aasgeier ...

Polyphemio: Wer kann das wissen, Herr?!

Wimberger spuckt: Pfui, Pfui, Pfui! Wenn ich nicht meine Señorita in dem Malefiz-Queretaro gefunden hätte! ...

Yatipan ein nicht unsympathisches Galgengesicht: Warum bist denn hergekommen aus deinem Europa, Korporal?

Wimberger: Um dich kennenzulernen ...

Yatipan: Ayaya! Du bist ein großer Herr! Hast du drüben schon für den Kaiser pronuntschiamentiert?

Wimberger: Die Familie hat mir nicht immer gepaßt ... So um Achtundvierzig ...

Yatipan: Was ist das Achtundvierzig?

Wimberger: Das war unsere Revolution, du Maultier! Da kann der rote Juarez dort einpacken!

Yatipan: Habt Ihr nur eine Revolution gehabt?

Wimberger: Ja! Aber mit Barrikaden, sag ich dir!

Yatipan: Weißt Korporal! Ich war noch so klein! Da kommen die Kerle von der Soldatenpresse! »Bub! Pronuntschiamentier dich! Wir machen Revolution!« Die erste Revolution hat mir drei Centavos im Tag gezahlt! Die zweite, ein halbes Jahr später, fünf Centavos! Bruder, ich hab mich für siebzehn Revolutionen, weiße und rote, pronuntschiamentiert. Aber mehr als zehn Centavos hat keine gegeben ... Und du, was hast du von der Revolution gehabt?

Wimberger: Eine Einladung zum längerdienenden Militär!

Yatipan: Und bist nicht mehr geworden als Korporal?

Wimberger: O du halbroter Strolch! Hier bin ich ein dreckiger freiwilliger Korporal. Zuhaus aber war ich ein k. u. k. wirklicher Gefreiter vom Infanterieregiment Prinz von Hessen. Die Charg' ist mehr als so ein mexikanischer General wie dieser Marquez. Der Hund echappiert mit der halben Garnison und läßt den Kaiser sitzen!

Yatipan: Weißt du, was sie erzählen? Der Marquez hat gesagt: »Der Kaiser, das ist gar kein Kaiser!« Ein Kaiser hat eine goldene Montur, rote Streifen und einen Federbusch. Der aber mit seinem blauen Rock?! Nicht ein Stern!? Und er geht zu Fuß!? Und er redet angenehm?!

Wimberger: Wärst du bei deinen Chinacos drüben geblieben!

Yatipan: Korporal! Du bist ein hundsgemeiner Korporal! Und der Juarez hat den Offizieren verboten, uns zu schimpfen und zu schlagen. Alles nach Reglement! Keine Strafe ohne Rapport! Aber ich sag dir: Ist dein Gewehr nicht geputzt: Spangen! Schläfst du auf Posten ein: An die Wand! Die Revolution ist nichts für mich. Da bin ich schon lieber kaiserlich ...

Maximilian kommt langsam. Er trägt einen einfachen blauen Waffenrock ohne jede Distinktion. In der Hand hält er einen groben Stock. Sein Ausdruck ist abwesend und erwartend, das Gesicht gebräunt und gealtert, der Bart ist nicht mehr zweigeteilt, kürzer, schütterer.

Wimberger salutierend: Euer Gnaden! Ich meld gehorsamst: Feldwache fünfzehn der Division Miramon!

Maximilian: Danke, Freund! Laßt euch nicht stören! Weitermachen!

Yatipan erhebt sich langsam.

Polyphemio nimmt keine Notiz.

Maximilian: Ich kenne Sie schon, Korporal ... Sie heißen ...

Wimberger: Natürlich Wimberger, Euer Gnaden!

Maximilian: Die Soldaten?

Wimberger: Der da! Yatipan! Überläufer!

Maximilian müde wie ein Mensch, der immer das gleiche wiederholen muß: Yatipan! Sie haben recht gehandelt! Sie müssen sich nicht schämen! Sie kämpfen nicht gegen Juarez, Ihren früheren Kriegsherrn, und nicht für mich! Sie kämpfen für den Nationalkongreß, der das Schicksal unseres Vaterlands entscheiden soll. Ich will Frieden! Ich will, daß Sie zu Ihrer Arbeit zurückkehren können ...

Yatipan mit leichter Verächtlichkeit: Krieg! Frieden!? Was nützt das?

Maximilian: Wir wollen ein glückliches Leben für Mexiko schaffen!

Yatipan: Leben?! Gut! Nichtleben?! Gut! Was liegt daran?

Maximilian: Sie sind jung! Sie haben gewiß eine Mutter!

Yatipan: Ich weiß es nicht.

Maximilian über solche Apathie entsetzt: Was ist Ihre Profession?

Yatipan grinst, zeigt ein belustigtes Gebiß, lacht langsam: He – he – he – he!

Wimberger vertraulich: Euer Gnaden! Bankerte von indianischen Troßweibern! Mit was für Bagasch haben wir uns eingelassen ...

Maximilian Ekel überwindend: Niemand kämpft für mich! Wir schlagen uns für die Abstimmung! Wimberger! Erklären Sie das den Leuten! Auf Polyphemio weisend. Der?

Wimberger: Polyphemio, Euer Gnaden, ein konservativer Wähler!

Maximilian: Hungriger Polyphemio! Es tut mir leid, daß wir alle zusammen keine bessere Menage haben. Was gibt es denn?

Polyphemio ungerührt fressend: Wer kann das wissen, Herr?

Maximilian: Ich will einige Bissen Eurer Mahlzeit kosten ... Er nimmt mit höchster Überwindung eine Eßschale und ißt von der Speise.

Wimberger: Euer Gnaden, tun Sie das nicht! Das ist nichts für Unsereins ...

Maximilian: In wenigen Tagen sind unsere Entbehrungen zu Ende. Ich habe gute Nachrichten. Der General Marquez kommt schon mit achttausend Mann zurück ...

Polyphemio gähnt: Wer kann das wissen, Herr!

Maximilian gibt die Eßschale zurück: Hat die feindliche Batterie drüben auf San Gregorio geschossen?

Wimberger: Jetzt ist Mittagspause!

Polyphemio und Yatipan nehmen ihre Gewehre und legen sich auf die Böschung der Schanze.

Wimberger will sich dem Kaiser nähern.

Maximilian zuckt zusammen, weicht zurück. Sein Gesicht zeigt den gequälten Ausdruck von Migräne, Zerrüttung, Ekel, unerträglicher Last. Er faßt sich schnell. Ihm gelingt ein forciertes Lächeln: Geduld lieber Landsmann! Ich weiß. Es ist schwer. Aber ich bin unter euch, immer unter euch!

Yatipan legt das Gewehr an: Halt! Wer da?

Stimme: Ein Freund!

Wimberger bei der Deckung: Feldruf?

Stimme: Rückkehr General Marquez!

Wimberger: Parole?

Stimme: Glockenhügel!

Wimberger: Passiert!

Ein Offizier im Juaristischen Rothemd tritt vor, nimmt seinen Sombrero ab und entpuppt sich als die blonde Prinzessin Agnes Salm die sich vor dem Kaiser verneigt: Eure Majestät! Ich melde gehorsamst mein Einrücken!

Maximilian erschrocken: Aber Fürstin! Woher in aller Welt kommen Sie?

Prinzessin Salm: Aus dem Lager des Escobedo, wo ich gute Freunde habe.

Maximilian: Sie machen mich ernstlich böse! Das tollkühnste Wesen sind Sie, das mir jemals begegnet ist. Ihr Mann und ich werden über Sie Zimmerarrest verhängen müssen!

Prinzessin Salm: Aber warum, Eure Majestät!? Lassen Sie mich doch! Es ist Glück und Lebenslust für mich, Ihnen zu dienen!

Maximilian: Zu allen Sorgen habe ich noch die Sorge um Sie. Sie erleichtern mir die Verantwortung nicht, die ich hier für alle fühlen muß.

Prinzessin Salm: Meine Tätigkeit ist herrlich. Ein erfüllter Traum. Sehr einfach. Ich habe den Helden gefunden, an dessen Existenz ich den Glauben schon verloren hatte. Ich müßte krank werden vor Scham, dürfte ich nichts für Eure Majestät tun.

Maximilian: Ich bitte Sie, Prinzessin!

Prinzessin Salm mit offener Naivität: Sie sind ein wahrer Herrscher, Sire! Sie haben meinem Leben Sinn und Inhalt gegeben. Ach, alles ist Monotonie. Kein Mensch steht dafür. Aber in Ihrem Namen, im bloßen Namen schon lag Zauberei. Tief hab ich das gespürt. Und darum sind wir, mein Mann und ich, nach Mexiko gegangen. Unsicher. Habe ich mich dumm ausgedrückt?

Maximilian mit einem Blick auf die Soldaten bei der Deckung: Sprechen wir leiser!

Prinzessin Salm: Ich lese Ihre Gedanken. Sie denken: Diese Seiltänzerin! Ich bin Künstlerin gewesen, es ist wahr, und ich habe mein Leben gelebt. Aber ich stamme von guter Puritanerfamilie. Ich sage das nur, um in den Augen Eurer Majestät mir ein wenig zu helfen ... Unterbricht sich beschämt. Ach Gott! Ein Mensch werden, ist alles!

Maximilian: Ja, Fürstin, und das ist nicht leicht.

Prinzessin Salm innig: Es ist leicht, wenn wir einen Führer gefunden haben. Leise. Bis zu Escobedo bin ich vorgedrungen.

Maximilian: Und was gibt es?

Prinzessin Salm: Schlimme Nachricht leider! Marquez ist bei San Lorenzo von Porfirio Diaz geschlagen worden und ist jetzt in der Hauptstadt eingeschlossen. Keine Hoffnung auf Entsatz mehr!

Maximilian: Hoffnung auf nichts mehr!

Prinzessin Salm: O nein! Es bleibt ein todsicherer Weg für Eure Majestät: Der Durchbruch in die Sierra gorda! Das Gebiet ist Mejas Heimat und bis ins letzte Dorf kaiserlich! Der Weg zum Meer steht frei. Escobedo wird nicht wagen, Sie zu verfolgen. Ich weiß es! Kanonenschuß.

Wimberger: Euer Gnaden! Die Batterie drüben hat uns eingesehn. Achtung! Sie streuen in Gabel! Feines Rauschen einer Granate und Explosion.

Wimberger: Zweihundert Schritt zu weit!

Prinzessin Salm: Sire! Sie müssen sogleich Schutz suchen!

Maximilian: Madame! Sie sind strenger mit mir als mit sich!

Prinzessin Salm: Auf mein Leben kommt es nicht an ... Abschuß, Rauschen, Explosion.

Wimberger: Hundert Schritt zu kurz!

Prinzessin Salm: Die Grotte des Glockenhügels liegt sehr nah! Ich bitte, Sire, suchen Sie Deckung auf!

Maximilian: Darum muß ich Sie ganz ergebenst bitten ... Abschuß, scharfes Näherheulen.

Wimberger: Maria und Josef! Die kommt! Eins ... zwei ... drei ... Er bückt sich tief zur Erde.

Yatipan und Polyphemio werfen sich hin.

Prinzessin Salm zieht die Schultern hoch, senkt den Kopf und schützt ihn mit den Händen.

Maximilian breitet die Arme aus, schreitet so vor und die Deckung hinan, als wollte er die Granate auffangen.

Klatschendes Geräusch, wie wenn ein großer Stein ins Wasser fällt.

Wimberger: Blindgänger! Euer Gnaden bringen Glück!

Yatipan und Polyphemio von plötzlicher Wildheit erfaßt, tanzen und brüllen feindwärts: Ayaya! Ihr stinkenden Äser! Ayaya! Ihr Latrinen! Ayaya!

Oberst Lopez nähert sich von rechts: Ich bin Eurer Majestät gefolgt. Habe nur die Batterielage in der Grotte abgewartet ...

Prinzessin Salm lacht auf: Sehr vorsichtig!

Maximilian menschenscheu: Meine Visitierung der Feldwachen ist noch nicht beendet. Ich möchte wie immer dabei allein bleiben. Lieber Lopez! Begleiten Sie die Prinzessin ins Hotel de Diligencias! Schnell! Ehe die Batterie wieder beginnt. Zu den Soldaten. Kameraden! Eine kleine Weile noch ... Er winkt allen flüchtig zu und geht.

Lopez tritt dicht an die Prinzessin und sagt leise: Madame! Sie beantworten meine Briefe nicht!

Prinzessin Salm ignoriert ihn.

Lopez: Sie kennen mich nicht! Sonst wären Sie gut zu mir!

Prinzessin Salm: Ich will wenigstens aufrichtig sein, Oberst Lopez! Schöne Männer Ihres Stils sind mir widerlich! Ich mag Sie nicht. Ich verstehe des Kaisers Hund Bebelle, der heult, wenn er Sie sieht.

Lopez verzerrt: Sind Sie im Lager Escobedos auch so spröde, gnädige Frau?

Prinzessin Salm: Das ist eine Frechheit!

Lopez zerknirscht: Ach, verzeihen Sie mir! Strafen Sie mich! Ich liebe Sie. Nicht mehr ertragen kann ich dieses Leben. Die grauenvolle Einsamkeit in Queretaro! Ein Dorf! Nur Männer, nur Uniformen, Hunger, Elend, Langweile, Belagerung! Ich halte mich nicht aus. Wüßt ich das Zauberwort, ich ließe die Welt einstürzen! Nur mich nicht mehr tragen müssen! Sie allein können mich retten! Oh, Ihr Duft, Ihre Stimme! Ich bin besinnungslos ...

Prinzessin Salm: Sie sind krank.

Lopez ernst: Ich bin krank. Unruhe ist meine Krankheit von Kind auf. Niemals bin ich geliebt worden. Ich suche! Nur die Stunde mit einer Frau kann mich heilen, ruhig machen. Sie sind meine Gesundung! Haben Sie Mitleid!

Prinzessin Salm: Mitleid? Nein! Eher Angst vor Ihrem Gesicht ...

Lopez: Sie lieben den Kaiser.

Prinzessin Salm: Lästern Sie nicht!

Lopez: Wenn Sie den Kaiser lieben, wenn Sie sein Heil wünschen, müssen, müssen Sie mich erhören. Ich bete täglich zur Jungfrau. Aber verjagen Sie meinen Schutzengel nicht! Ich beschwöre Sie!

Prinzessin Salm: Genug! Gehen Sie!

Lopez: Ich habe Befehl, Sie zu begleiten.

Prinzessin Salm: Ich verbiete Ihnen, mich zu begleiten!

Lopez: So will ich heute die ganze Nacht im Hof des Hotels auf Begnadigung warten. Das können Sie mir nicht verbieten.

Prinzessin Salm blickt an sich hinab: Jetzt ist mir diese Verkleidung peinlich! So gehn Sie doch! Plötzlich. Halt! Wieso kommt es, daß die feindlichen Offiziere dort drüben Sie so gut kennen, Herr Oberst?

Lopez blutrot, mit schwerem Atem: Ich kann mich nicht besser verständlich machen. Ich bin ich. An Ihnen liegt es, ein Unglück zu verhüten.

Der Vorhang fällt.

 

Zehntes Bild

Kaiserliches Hauptquartier im Kloster La Cruz zu Queretaro. Eine Terrasse, von der freie Stufen zu einem hofartigen Platz herabführen. Rechts über der Terrasse steigt ein kahles, ziemlich niedriges Gebäude an, dessen flaches Dach, die Azotea, dem Zuschauer sichtbar ist. Den Hintergrund schließt eine festungsartige Mauer ab. Nacht. Auf der Terrasse ein Tisch mit Kerzen und einem Orangeade-Glas.

Maximilian sitzt am Tisch.

General Thomas Meja steht vor ihm.

Lopez lehnt schweigsam an der Haustür.

Meja sein breites und braunes Gesicht strahlt, die dürftige Figur ist gestrafft. Er hält eine Depesche in der Hand: Bedenken Sie, mein erhabener Herr, ich bin fünfzig Jahre alt! Keine Kinder zu haben, war mein großer Schmerz. Drum nahm ich die junge Frau. Und gestern – Dank Euch, Ihr Heiligen – bekomme ich einen Sohn. Hier die Depesche! Einen gesunden Jungen! Und er ist mehr nach ihr geraten als nach mir Häßlichem! Weiße Haut hat das Kindchen. Jetzt, Majestät, jetzt kämpft Thomas Meja nicht mehr für den Kaiser allein, jetzt kämpft er für sich und sein Kind! Wir kommen durch, mein Kriegsherr! Wir kommen durch in die Sierra gorda, in meine Berge, die ihre alte Wildkatze lieben. Ich verbürge mich. Dort sind wir sicher und stark.

Maximilian: Ich freue mich innig mit Ihnen, mein lieber General! Das muß ein wunderschönes Gefühl sein ... Mögen Ihr Kind, Sie, wir alle noch froh werden! ... Sind die Dispositionen getroffen?

Meja: Bis in die letzte Kleinigkeit! Dreitausend Zivilisten haben die Schanzen bezogen und beginnen um sechs Uhr früh ein Verschleierungsfeuer mit den zurückbleibenden schlechten Musketen.

Escobedo wird darauf hier im Osten die Cruz voll angreifen. Wir aber stoßen, alle sechstausend Mann in dichten Kolonnen, westlich beim Glockenhügel vor. In zwei Stunden ist die schwache Stellung von San Gregorio überrannt, und wir sind durch!

Maximilian: Wird man sich nicht an der Bevölkerung von Queretaro rächen?

Meja: Keine Gelegenheit dazu! Im Augenblick unseres Vorstoßes legen die Zivilisten die Waffen hin und gehn nach Hause.

Lopez plötzlich aus dem Hintergrund mit einer mühsam monotonen Stimme: Warum hat man den Durchbruch nicht gestern unternommen, wie es zuerst geplant war?

Maximilian: Ich bin gar nicht unzufrieden damit. Der konventionelle Dreizehnte ist auch mein Glückstag nicht.

Lopez träumerisch: Schade! Schade!

Maximilian: Was für Ordre haben die Husaren und die Eskorte?

Lopez: Ich komme von der Visitierung. Die Mannschaft schläft in Bereitschaft, die Pferde gesattelt mit lockeren Gurten.

Meja: Gut so!

Maximilian: Und die Reveille?

Meja: Um fünf Uhr!

Maximilian Meja umarmend: Mein geliebter Freund Meja! Ich gratuliere Ihnen nochmals vom Herzen. Ihr Vaterglück sei unser gutes Omen! ... Und jetzt legen Sie sich hin. Sie müssen schlafen!

Meja erschüttert: Oh, mein Herr! Ich kann nicht sagen, was mich bewegt. Ab über den Hof.

Maximilian: Sie haben mir von Beginn an sehr aufopfernd gedient, Lopez! Ich will Ihnen danken! Nehmen Sie hier die Tapferkeitsmedaille, die mir die Armee geschenkt hat!

Lopez erschrocken: Nein! Keinesfalls, Eure Majestät!

Maximilian: Sie haben eine quälende Zurückhaltung.

Lopez: Ich verdiene das nicht.

Maximilian: Ihr Generalpatent ist leider abgelehnt worden. Die Generäle erklären sich gegen Sie. Sie faseln von einem patriotischen Fehltritt Ihrer Jugend, von Felonie gar. Mein Gott, Militärs zeigen ein großes Ehrgedächtnis für andere ...

Lopez als würde er einen Grund zur Erbitterung suchen: Und Eure Majestät haben es nicht versucht, Ihren Willen gegen die Generäle durchzusetzen?

Maximilian: Dazu wäre die Zeit schlecht gewählt gewesen!

Lopez mit einer leisen Spur sentimentaler Giftigkeit: Sire! Ich möchte auch nicht befördert werden.

Maximilian: So kann ich Ihnen für Ihre Treue nichts anderes schenken als eine Bitte! Sie haben eine gute Pistole. Wenn mir Gefangenschaft droht, erlösen Sie mich durch eine Kugel!

Lopez mit funkelnd-lockenden Augen: Wollen Eure Majestät nicht lieber mich erschießen?! Gleich!?

Maximilian fixiert ihn eine Weile: Sie sind sehr überreizt, Lopez!

Lopez: Das ist wahr, Eure Majestät. Queretaro ist zwei Kilometer lang, einen halben breit. Drei Monate leben wir in diesem Käfig. Sire! Kennen Sie den gräßlichen Augenblick, wenn die arme Seele schreit, wenn sie ertrinkt in sich selbst, wenn sie in der eigenen Einsamkeit erstickt!? Man möchte rennen, rennen, rennen! Ins Freie! Aber Mauern überall, schmutzige Soldaten, Pferdeknechte mit Tränkeimern! ...

Wieviel Fremde leben in einem Menschen?! Sie klopfen, sie locken, sie wollen heraus ...

Maximilian: Morgen werden wir frei sein!

Lopez: O nein! Immer dasselbe! Berge, Dörfer, Einsamkeit! Gehetzt. Eure Majestät! Ich gäbe mein ganzes Leben darum, wenn wir jetzt fort wären, weit, weit überm Meer, in Europa, im Licht, in Paris ...

Maximilian lächelnd: Und die Fürstin Salm, bester Lopez?

Lopez: Eine ganze Dirne hätte geholfen!

Dr. Basch kommt aus dem Haus: Der Feind hat ein Paket europäischer Zeitungen passieren lassen.

Maximilian: Aufs Stichwort! So können wir die Paris-Schwärmerei unseres Freundes Lopez gleich befriedigen. Nehmen Sie Platz, meine Herren! Und Basch liest uns vor.

Dr. Basch beginnt, nachdem er sich gesetzt hat, die Überschriften zu lesen: »Die Weltausstellung« ... »Paris, ein zauberhafter Licht-Ozean« ... »Die kulturelle Apotheose des Kaiserreichs« ... »Triumphale Huldigung für Napoleon auf dem Marsfeld« ... »Blumenfeste«.

Lopez träumend: Blumenfeste! Was es gibt, was es alles gibt!?

Maximilian: Ja, was es alles gibt!!

Dr. Basch: »Jules Favre spricht in der Kammer über Mexiko.«

Maximilian: Das geht uns an! Nun?

Dr. Basch vorlesend: »Glaubte man mit der republikanischen Ethik, mit dem ehernen Rechtswillen eines Juarez so leicht fertig werden zu können? Nichts zeigt die neurasthenische Hast und Unehrlichkeit napoleonischer Politik greller als der mexikanische Unfug! Maximilian ist ...« Unterbricht.

Maximilian: Was bin ich denn? Heraus damit!

Dr. Basch: Majestät! ...

Maximilian nimmt ihm das Blatt aus der Hand: Jedenfalls bin ich kein Schauspieler, der eine schlechte Presse fürchtet. Er liest. »Maximilian ist ein veritabler Don Quixote.« Er gibt lachend die Zeitung zurück. Finden Sie das so bös? Es gibt sehr gewitzte Zeiten, wo ein anständiger Mensch nichts Besseres sein kann!

Lopez fährt unvermittelt aus einer langen Apathie auf: Sire! Ich habe einen Inspektionsgang!

Maximilian: Geben Sie mir die Hand, Lopez! ... Gute Nacht!

Lopez fast laufend über die Treppe nach hinten ab. Ehe er verschwindet, bleibt er noch einmal stehen, ohne sich nach dem Kaiser umzublicken.

Dr. Basch kopfschüttelnd: Diese Kreolen sind durch die Bank Epileptiker.

Maximilian: Er hat eine angenehme Stimme! Sein Wesen zieht mich an wie Mexiko.

Dr. Basch: Hätte er nur einen Blick in den Augen!

Maximilian: Sie sind nervös?

Dr. Basch: Ich bewundere tief die Ruhe Eurer Majestät!

Maximilian: Sehn Sie hinaus, Basch! Die Gipfellinie der Sierra im fremden Sternlicht. Eine unheimliche Stenographie! Mir ist es, als verstünde ich jetzt erst diese Natur, wie ich jetzt erst Juarez verstehe und mich! ... Ananasduft, giftig-süß! Spüren Sie ihn?

Dr. Basch: Wind des Plateaus von Mexiko!

Maximilian seine Seele kämpft gegen Porfirio Diaz: Selbsterkenntnis?!? Man hat immer nur soviel Selbsterkenntnis, als man ertragen kann. Ich habe ihrer viel ertragen gelernt. Nicht das Leid erzieht, aber die Gefahr! Sie ist die Mutter unseres wahren Wesens. Alles ist erborgt, was dem höchsten Risiko nicht standhält, und fällt ab: Geburt, Titel, Ruhm, Ehrgeiz, Kunst ... Lächerlich! Der Mensch und vor ihm das nackte Leben ohne Lüge. So erkennt er seinen eigentlichen Rang in der Natur! Er kommt zu sich. O göttliche Ruhe des erfüllten Selbst! Mein Körper ist krank. Aber ich fühle diese abenteuerlich-fremde Erde unter meinen Sohlen wie ein Wanderer, der sein Ziel kennt. Pause. Ich bin so eigen glücklich. Das erstemal in Mexiko. Und der Glückliche wird Glück haben. Die Glocke von La Cruz schlägt ein Uhr.

Dr. Basch: Nur mehr drei Stunden Schlaf ...

Maximilian er blickt noch einmal in die nächtliche Landschaft hinaus: Was auch geschehen mag, es wird nicht häßlich sein. Ab ins Haus. Dr. Basch folgt mit dem Leuchter. Die erst sternhelle Sommernacht bewölkt sich. In tiefster Finsternis wird die angespannte Zeit des Dramas selbst jetzt zum Vorgang. Die Uhr der Cruz schlägt in gemessenen Spannen nacheinander zwei und drei. Der unwirkliche Raum dieser Stunden ist von allerhand hallenden Nachtgeräuschen erfüllt: Stampfen, Scharren, Wiehern der Pferde, Hundegebell, seltenen Schritten. Ganz von weitem erklingt das mißtönende, immer wieder unterbrochene Lied eines Betrunkenen, schläfrig lallend.

Nach dem letzten Glockenschlag erscheinen zwei Gestalten mit Laternen, die den Hof umkreisen. Sie verschwinden wieder und kehren dann mit einem lautlosen Pikett Soldaten zurück, von denen zwei Mann Fackeln tragen, die sie alsobald verlöschen. Die Abteilung dringt ohne jedes Geräusch ins Haus und erscheint sodann auf dem flachen Dach. Zugleich verteilt einer der Laternenträger vor allen Ausgängen des Hofes Doppelposten. Es schlägt vier Uhr. Dämmerung, Zwielicht, erste Helle folgen einander rasch. Die Gestalten von Lopez und von dem republikanischen Obersten José Rincon-Gallardo werden deutlich.

Rincon-Gallardo senkt die Pistole, die er gegen die Stirn des Lopez gerichtet hielt: Kein Betrug also! Haben wir alle taktischen Punkte besetzt?

Lopez starr wie ein Schläfer: Alle ...

Rincon-Gallardo: Die Batterie der Cruz ist gegen die Kaserne gerichtet?

Lopez: Gegen die Kaserne ...

Rincon-Gallardo: Nichts versäumt?

Lopez: Nichts ...

Rincon-Gallardo packt Lopez und schleudert ihn zu Boden: Du hündischer Verräter, warum hast du das getan?

Lopez wendet, kniend, ein leeres Antlitz empor: Ich weiß es nicht.

Rincon-Gallardo: Um Geld nicht, denn du bist reich.

Lopez: Um Geld nicht.

Rincon-Gallardo: Hat er dir Böses getan?

Lopez: Nur Gutes.

Rincon-Gallardo: O krankes Verbrechen du, könnte ich dich zertreten! Du bist die erste Schande der Republik. Er wendet sich ab.

Lopez mit krampfigen Lauten: Erwachen ... Ich ... Erwachen ...

Rincon-Gallardo: Stehen Sie auf! Wecken Sie den Erzherzog! Man finde einen Weg! Ich lege kein Gewicht auf Gefangennahme. Konsequenzen wären nicht zu vermeiden. Verstanden? Vorwärts!

Lopez aufbrüllend: Verrat! Verrat! Der Kaiser verraten! Der Feind ist in der Cruz! Verrat ... Stürzt ins Haus.

Rincon-Gallardo: Queretaro unser! Aber meine Hände sind schmutzig! Er wischt sie in ein Tuch. Pfui Teufel! Die gewaltige Südsonne steigt auf. Die Schatten werden violett. Der Ruf des Verräters pflanzt sich fort. Halbbekleidete Männer rennen aus dem Haus und von allen Seiten herbei: Offiziere, Soldaten, Pferdeknechte, Diener mit Gepäck. Ungeheures Durcheinander. Dr. Basch, Don Blasio, Grill werden sichtbar.

Maximilian tritt im Höhepunkt des sogleich verstummenden Tumults vollkommen ruhig, mit überlegener Fassung aus dem Haus. Er trägt den nackten Säbel in der Hand: Ruhig, Brüder! Es ist nichts verloren! Keine Rede von Verrat! Eine feindliche Patrouille hat uns überrascht! Weiter nichts! Auf zum Glockenhügel, Brüder! Meja erwartet uns! Ruhig!

Die Kaiserlichen sammeln sich um Maximilian.

Maximilian nähert sich Rincon-Gallardo.

Rincon-Gallardo blickt zur Seite und ruft seine Posten an: Bürgerliche! Sie passieren!

Maximilian: Mein Herr! Ich bin der Kaiser.

Rincon-Gallardo: Ich kenne keinen Kaiser. Von Ihnen nehme ich nicht Notiz. Was diesen überflüssigen Säbel betrifft, erinnere ich Sie an das Blutdekret des Eindringlings! »Wer mit der Waffe in der Hand angetroffen wird ...« Sie dürften den Text ja kennen. Tritt weg.

Gewehrfeuer setzt plötzlich ein. Die Stadt läutet Sturm.

Die Kaiserlichen angstbleich, in einem dumpf-gehackten Rhythmus: Es lebe Maximilian!

Maximilian nach einer Pause, leise mit einer heiteren Stirn: Nein ... Nicht ich ... Nicht ich ... Er hebt leicht den Säbel. Zum Glockenhügel, liebe Brüder!

Höchste Steigerung des Morgenlichts.

Der Vorhang fällt.

 

Elftes Bild

Regierungssitz des Präsidenten Juarez zu San Luis Potosi. Schmales Amtszimmer, ähnlich, doch wohlgehaltener als das zu Chihuahua. Prinzessin Salm in einem Reisekostüm mit Hut und Schleier. Sie glüht vor Erregung und geht mit unweiblich großen Schritten im Zimmer auf und ab.

Herzfeld strapaziert, gealtert: Das Kriegsgericht im Theater von Queretaro war eine abgekartete Farce! Man denke nur: Junge Hauptleute, Lausbuben als Richter! Durch Nichtachtung noch sollte die Monarchie gekränkt werden. Das Todesurteil war längst vorher gefällt. Es ist aus! Wir werden den Kaiser nicht retten!

Prinzessin Salm: Wir werden nicht!? Ja, das ist euer Wort und eure Seele, ihr feigen Österreicher! ... Ich hatte schon alles zur Flucht des Kaisers vorbereitet. Zwei republikanische Oberste waren gewonnen. Da handelt es sich um einen lächerlichen Wechsel, den der österreichische Gesandte kontrasignieren soll, weil kein Geld da ist. Aber er weigert sich, der Eitelkeitskadaver, der bürokratische. Er könnte die k. und k. Gesandtschaft kompromittieren. Männer??? Ha! Verprügelte Internatsknaben sind das, Jesuitenopfer, lasterhafte! Die Flucht ist zum Teufel gegangen ... Bleibt vor Herzfeld stehen. Wir werden nicht, Herzfeld?! Wir werden!! Wir müssen!!

Porfirio Diaz tritt ein.

Prinzessin Salm ihm entgegen: Der herrlichste Mann Mexikos, Porfirio Diaz! General, Sie haben die Belagerung der Hauptstadt verlassen. Das kann nur bedeuten, daß Sie nicht dulden werden, daß man die lichteste Unschuld hinmordet.

Porfirio Diaz mit kaltem Ernst: Ich habe hier in San Luis keine andere Aufgabe als mein Referat.

Herzfeld verbeugt sich vor dem General: Herzfeld bin ich, der Jugendfreund Maximilians von Österreich. O warum, Herr General, kennen Sie diesen Engel nicht? Sie, gerade Sie würden sich schützend vor ihn stellen.

Porfirio Diaz: Der Erzherzog Ferdinand Max ist ein Verbrecher!

Herzfeld: Verbrecher?! Barmherziger Gott! Vor welchem Gesetz? Ich schwöre den heiligsten Zeugeneid: Maximilian hat im guten Glauben gehandelt. Man hat ihn umworben, rücksichtslos zur Kronannahme gedrängt. Die Adhäsionsakte sämtlicher Provinzen häuften sich in Miramar. Trotz alledem zog der Edle in höchster Gewissenhaftigkeit noch internationale Rechtsexperten heran ... Die ganze offizielle Welt sagte Ja!

Porfirio Diaz: Ein Zeichen ihrer Verbrechermoral.

Herzfeld: Ein Zeichen von Maximilians Unschuld!

Porfirio Diaz: Subjektive Unschuld hebt weder das Naturgesetz, noch auch das göttliche und menschliche auf. Wäre Ihr Freund reifer, klarer gewesen, hätte er beizeiten erkannt, daß er das Opfer eines wollüstigen Spekulanten und einiger feudaler Desperados werden muß. Nun ist er das Opfer!

Prinzessin Salm gepeinigt: Diskussionen! Immer Diskussionen!

Herzfeld: Ach, Herr General! Warum ziehen Sie Napoleon und Bazaine nicht zur Verantwortung?

Porfirio Diaz: Der Bürgerpräsident ist leider gezwungen, sich an ihren Stellvertreter zu halten.

Herzfeld in flehender Erregung: Maximilian ist kein Prinz nach der Regel. Er ist eine geniale Ausnahme seines Standes. Sehen wir ab von diesem Stand, den auch ich als geringer Schiffsoffizier nicht liebe! Maximilian ist ein schöner Mensch , in der Gottesbedeutung dieses Wortes. Fanatiker jeder Gesinnung gibt es genug! Aber wo lebt noch ein schöner Mensch?! Ich flehe Sie an, sehen Sie nichts als diesen Menschen! Sein ganzes Verbrechen war, daß er sich Kaiser nennen ließ. Aber kam er nicht wie ein Apostel ins Land, mit einem sozialen Willen, der (ich sage es kühn) den Radikalismus des Präsidenten übertrifft? Sein großer Traum war die Befreiung des indianischen Volkes. In einer Heils-Tat sah er den einzigen Zweck seiner souveränen Mission. Den Indianer Juarez müßte gerade diese Tatsache versöhnen.

Porfirio Diaz: Don Benito Juarez hat keine Leidenschaften. Nichts also kann ihn bestechen. Er tut nicht das Gute, sondern das Richtige, und einzig dies ist in den Folgen gut. Der Apostel aber, der »schöne Mensch« erläßt das Dekret vom dritten Oktober. Mehrere tausend Mexikaner werden hingeschlachtet ... Jetzt hat er sich selbst in der Schlinge seines Gesetzes gefangen. Ich bitte, klar und gerecht zu schließen!

Herzfeld: Das Dekret? Scheinheilig alle Entrüstung!! Dieses Dekret hat den Sieg der Republik erwirkt.

Prinzessin Salm: Porfirio Diaz! Ich glaube Ihnen nicht! So können Sie nicht fühlen.

Porfirio Diaz: Das Kriegsgericht von Queretaro hat vollkommen zu Recht das Todesurteil ausgesprochen.

Herzfeld mit drohender Fassung: Herr General! Lassen wir alle Sophistik beiseite! Tatsachen! Die Republik hat gesiegt. Aber die Hauptstadt ist noch nicht gefallen. Noch hat keine Großmacht die neue Regierung anerkannt. Hinter dem Habsburger Maximilian aber stehen die herrschenden Gewalten der ganzen Welt. Selbst Nordamerika, Ihre Freundesrepublik, verwirft das Todesurteil. Die Exekution wäre ein Wahnsinn, den der Präsident nicht begehen kann! Die Empörung der Erde wird ihn hinwegfegen. Europäische Flotten, mächtige Heere landen in Verakruz. Die Rache aller Monarchen erstickt Ihre Partei und Mexiko in Blut!

Porfirio Diaz ruhig: Ich rate Ihnen, werter Herr, auf dieses Argument der Verteidigung vollkommen zu verzichten. Es kann Ihrem Freund nur schaden. Wir haben mehr errungen als den Parteierfolg eines Bürgerkriegs. Durch unseren Triumph ist die alte verrottete Gesellschaft der ganzen Welt ins Herz getroffen. Sie mucke nur auf, die Larve der Titel und des Geldes! Hier und überall stirbt sie an ihrem eigenen Leichengift ... Es tut mir leid, daß Prinz Maximilian ein höherer Mensch ist. Doch er muß mit dieser Gesellschaft fallen, der er rettungslos angehört, und wäre er ein Christus!

Prinzessin Salm: Mensch! In diesem Augenblick reden Sie von Sieg und Triumph, wo ein holdes Wesen, ein zartes Kind umgebracht werden soll? Alle, alle sind des Teufels. Aus jedem Mund geifert kranker Wahnwitz. Und keiner sieht die lieben Augen, keiner spürt den reinen Atem, keiner das süße warme Leben, ach keiner ... Sie bricht in Tränen aus.

Herzfeld zitternd: General Porfirio Diaz! Sie sind nach dem Präsidenten die mächtigste Stimme des neuen Reiches. Erwägen Sie Ihre Verantwortung! Man hat vorgestrigen Tages dem Kaiser den Tod angekündigt. Drei Stunden später hätte das Urteil vollzogen werden sollen. Der Vollzug wurde suspendiert. Drei Stunden hat ein Mensch auf den sicheren Tod gewartet! Drei Stunden! Fühlen Sie diese Stunden? Ich frage, fühlen Sie das Ungeheure dieser drei Stunden? Was ist der Tod dagegen? Wollen Sie, daß diese unausdenklich-kannibalische Marter wiederholt wird? Nein! Sie können es nicht wollen! Es ist Ihre Pflicht, General, die heiligste Pflicht Ihres irdischen und überirdischen Lebens, die Begnadigung zu erwirken ... Geben Sie mir eine Antwort!

Porfirio Diaz: Meine Pflicht kenne ich selbst!

Herzfeld: So will ich meine Zeit nicht verlieren. Vielleicht finde ich unter den Ministern eine Menschenseele. Ab.

Prinzessin Salm läuft schluchzend durchs Zimmer. Plötzlich beruhigt sie sich, nimmt Hut und Schleier ab, ordnet ihr Haar, sucht einen Spiegel: Gott, ich bin sehr zerzaust ... Vielleicht alt geworden ... Diese Tage waren ja so furchtbar ... Sehen Sie mich an, Porfirio Diaz! ... Ich gelte für schön ... Man begehrt mich ... Ich will alle Verräter der Welt erhören ...

Porfirio Diaz: Schweigen Sie, Madame! Ich will Ihnen die Schande nicht antun, Sie zu verstehen.

Prinzessin Salm wild ihm entgegen: Und er hat Sie geschont, als Sie sein Gefangener in Puebla waren, der dumme, dumme Mann! Warum hat er Sie nicht getötet, warum?!

Porfirio Diaz: Ich hab's vergolten und werde es vergelten bis ans Ende!

Prinzessin Salm ihn furios umarmend: Sie wollen mir helfen, mein Liebling, Sie werden ihn retten!

Porfirio Diaz drängt die Frau von sich und tritt zurück: Wir haben ihm die Türe offengelassen bis zum letzten Augenblick.

Prinzessin Salm: Ach, er ist ja ein so dummer, heiliger Mensch. Er hat sich gewehrt, er wollte nicht! ... General! Zum Präsidenten! Schnell! Sie sind unsere Sonne! Schnell!

Porfirio Diaz: Was kann ich tun? Der General hat gesprochen! Jetzt ist es zu spät.

Lizentiat Elizea tritt schnell ein: Bürger General! Eine sehr wichtige Depesche aus Italien.

Porfirio Diaz liest: »Caprera. An Juarez und alle Republikaner Mexikos.« Aufblickend. Das ist Garibaldi! Jetzt, Frau, beten Sie! Garibaldi ist des Präsidenten Abgott, der einzige Mensch, den er liebt. Sie waren Freunde ... Entfaltet die Depesche und liest. »Ich Garibaldi, Feind alles Blutvergießens, bitte dich um das Leben Maximilians. Verzeihe ihm! Meine Mitbürger, deren Blut die Henkersfamilie Habsburg in Strömen vergossen hat, bitten Euch: Verzeiht ihm! Immer siegt das großmütige Volk, und immer vergibt es.«

Wenn einer ihn retten kann, so Garibaldi! Kommen Sie, Elizea! Schnell zum Präsidenten! Beide ab.

Prinzessin Salm: Heiliger Garibaldi, reiner Gottesmensch du, Garibaldi hilf!

Herzfeld kommt in tiefster Niedergeschlagenheit: Alle Türen versperrt! Es ist schon Gnade genug, daß man mich frei umhergehen läßt. Könnte ich zu ihm, nur zu ihm! Aber weit ist Queretaro, weit ... Er schließt in furchtbarer Müdigkeit die Augen.

Prinzessin Salm: Mann! Es ist etwas Gutes, etwas Wichtiges geschehen! Konzentrieren Sie Ihre Gedanken! Stark, stark! Machen Sie aus Ihren Gedanken einen Sturm zu Juarez hin! Denken Sie: Garibaldi hilf!!

Herzfeld: Hätte ich ein Relais von Reitpferden, vielleicht ...

Prinzessin Salm stampft auf: Denken Sie: Garibaldi hilf!!

Ein schrilles Läuten.

Prinzessin Salm: Was ist das?

Elizea von rechts, ein Beamter von links treten rasch ein.

Elizea: Ein Glas Wasser ins Zimmer des Präsidenten!

Beamter: Wasser? Das wird nie gefordert. Ist etwas geschehn?

Elizea: Nein! Nein!

Beamter: Ein Unwohlsein?? Soll man ...

Elizea: Gar nichts! Beeilen Sie sich!

Beamter winkt einem Diener hinaus.

Prinzessin Salm tritt starr ganz nach vorne und flüstert scharf zum Himmel empor. Gott im Himmel, laß ihn sterben! Ich gelobe, ich will keinen Mann mehr lieben! Laß Juarez sterben!!! Ich gelobe, ich will auf jede Freude verzichten! Laß ihn sterben!! Ich opfere mein Reitpferd! Laß ihn sterben! Ich will niemals wieder Seide und Batist tragen. Laß ihn sterben!

Der Beamte nimmt ein Glas Wasser in Empfang und reicht es Elizea.

Porfirio Diaz kommt: Gehn Sie!

Elizea, Beamter ab.

Porfirio Diaz mit erschütterter Stimme: Mein Bittgang ist gescheitert. Die Fürsprache Garibaldis war umsonst. Der Bürgerpräsident hat das Urteil bestätigt. Maximilian stirbt morgen nach Sonnenaufgang!

Prinzessin Salm: Und niemand ist bei ihm, niemand, der ihn liebt ... Sie wankt.

Der Vorhang fällt.

 

Zwölftes Bild

Maximilians Gefängniszelle im Kloster Las Capuchinas zu Queretaro. Kahler schmaler seichter Raum. Tür im Hintergrund. Ausgang rechts. Ein eisernes Bett. Ein Mahagonitischchen mit Kruzifix und silbernen Leuchtern. Nacht.

Maximilian sitzt am Bettrand. Er trägt seinen blauen Waffenrock, der aber nicht zugeknöpft ist. In der Hand hält er einen Brief. Sein Mund spricht Worte vor sich hin, deren Sinn er nicht versteht. Der Wille zur Liebe ... ist Liebe noch nicht ...

Dr. Basch tritt rechts leise ein. Er hebt während der ganzen Szene nur selten den tief gesenkten Kopf und vermeidet es, Maximilian anzusehen. Er hat ein Kleidungsstück mitgebracht, das er an einen Nagel hängt.

Maximilian: Ja, Freund Basch, ich habe Sie gerufen.

Dr. Basch: Eure Majestät hat vor einer Stunde noch so schön, so friedlich geschlafen.

Maximilian: Ich bin erschrocken über meinen Schlaf. Er ist in dieser Situation eine große Zeitvergeudung. Darum bin ich aufgestanden und habe einen langen Brief an Juarez geschrieben.

Wie spät ist es?

Dr. Basch: Vier Uhr. Soll ich den Brief verwahren?

Maximilian: Vernichten Sie ihn! Ich fürchte, er enthält sehr viel Wortfülle und Pathos. Schlechte Haltung wäre das! Die Sprache ist ungenau, der Tod dezidiert. Sie passen nicht zueinander.

Dr. Basch: Ich bin seelenruhig. Juarez kann es nicht wagen.

Maximilian: Er muß. Und ich selbst billige es. In diesem Brief habe ich alle Schritte perhorresziert, die unternommen wurden, eine Begnadigung zu erzwingen. Ich bin schuldig, lieber Basch! Und daß ich es bin, gibt mir meine Ruhe. Ungerechtigkeit zu erleiden wäre viel viel schwerer. So aber bleibe ich selbst mein Richter ... Alles habe ich bis in den letzten Grund durchdacht!

Dr. Basch: Diese Gerechtigkeit ist nicht menschlich.

Maximilian: Jetzt als vollkommen befreiter Mensch ohne Stand und Vorurteil weiß ich es: Schuld ist: Seinen Taten nicht gewachsen sein! Mißerfolg ist Schuld! Der Wille zur Güte ist Güte noch nicht. Meine Konstruktion einer radikalen Monarchie war unwahr. Also muß der Fehler, die Lüge, in meinem Wesen liegen. Schuld! ...

Die souveräne Epoche ist vorüber. Im Schiffbruch der privilegierten Klassen keuchen armselige Könige, die keine sind! Die Zeit der Diktatoren beginnt, Juarez!!

Dr. Basch: Vae victoribus! Wehe den siegenden Massen!

Maximilian: Und doch! Dir gleiche ich nicht, Franz Josef! Ihr alle seid nur Deserteure eures Schicksals. Mich hielt es gebannt. Ich hätte desertieren können, aber ich durfte es nicht. Auch das muß tief in meinem Wesen liegen. Sie wissen es, Basch: Mit offenen Augen bin ich nach Queretaro gegangen, mußte gehn, so wie Lopez mich verraten mußte!

Dr. Basch: Sire! bitter sind Sie an Lopez gerächt. Er ist von Freund und Feind geächtet. Kein Haus und keine Herberge nimmt ihn auf. Seine Frau hat sich scheiden lassen.

Maximilian: Der arme Teufel! Er ist dem Mysterium des Verrats nicht gewachsen.

Dr. Basch leise: O Herzfeld!

Maximilian zieht einen Ring vom Finger: Bringen Sie ihm den Ring! Ja, guter Herzfeld! Zum Leben habe ich nicht getaugt, aber zum Tode tauge ich. Und das ist nicht wenig.

Ein Wimmern und Jammern wird hörbar.

Maximilian: Das ist Meja! Der arme kleine Meja daneben! Hätte Juarez nur Meja und Miramon begnadigt, o der arme kleine Indianer Meja!

Dr. Basch: Die Zeit läuft, und Sie haben noch Mitleid?

Maximilian: Aber Meja ist doch so tief gebunden. Er hat eine gesunde Frau und einen Sohn von zwei Monaten. Wie entsetzlich ist das! – Ich bin frei. Charlotte ...

Dr. Basch: Die Kaiserin ist erlöst.

Maximilian: So heißt es. Doch vielleicht will man mir nur den Tod erleichtern. Warum? Er ist mein einziger Schatz! Seitdem meine Frau fort ist, spüre ich ihn in mir. Der innerste Mensch ist es. Jetzt kann ich ihn fast greifen, so lebendig ist er. Mein Gesicht, doch schöner! Mein Ebenbild, aber reiner! Er ist mehr als meine notwendige Rechtfertigung vor der Welt. Er ist ich und alles, was ich habe.

Dr. Basch fassungslos: Nein! Nein! Es darf nicht geschehn!

Maximilian: Sie leben noch. Wie sollen Sie das verstehn können ... dieses ungeheure Erstaunen, Basch!

Postenrufe pflanzen sich verhallend fort: Die Wache ist munter! ... Die Wache ist munter! ...

Maximilian: Haben Sie einen schwarzen Rock aufgetrieben?

Dr. Basch nimmt das Kleidungsstück vom Nagel: Hier! Schlecht genug ist er und abgetragen.

Maximilian: Er wird genügen. Er vertauscht die Litewka mit dem langen Rock.

Dr. Basch: Diese Binde auch.

Maximilian nimmt: Kein Spiegel! Eine große Entbehrung! ... Sehn Sie nach, ob in den Taschen nichts zurückgeblieben ist.

Dr. Basch: Ein uneröffneter Brief!

Maximilian: Der letzte Brief meiner Frau. Ich habe nicht den Mut gehabt, ihn zu lesen. Er hält zaudernd den Brief in der Hand. Ich kann nicht. Basch, mein Freund! Öffnen Sie ihn! Lesen Sie! Er setzt sich aufs Bett.

Dr. Basch öffnet das Couvert und liest: »Mein innig geliebter Schatz! Alles ist gut. Du hast triumphiert. Jetzt haben sie Scheu, mich zu vergiften, und geben Ruhe. In Gottes Siegen über den Erzfeind bist Du! Dein reines Herz hat alles verwandelt. Überall blicken Deine Augen, und Deine Stimmen sind um mich. Ich war an allem schuld. Jetzt aber bin ich glücklich. Denn Du bist der Herr der Erde, Du wirst der Souverän des Universums ...«

Maximilian ist ohnmächtig zurückgesunken.

Dr. Basch beugt sich weinend über ihn, hebt seinen Kopf, streichelt ihn: O du mein geliebter Mensch ... Wach nicht mehr auf ... Geliebter Mensch!

Morgendämmerung.

Maximilian kommt zu sich: Sonderbar ... Ein Gesicht ... Ein Kindertraum ... Fern ... Habe ich das schon einmal geträumt?

Dr. Basch: Was? Was?

Maximilian: Einen Blitz lang versteht man alles ... Nur ein Bild ... Es entweicht ... Ein Berg ... Ich komme näher ... Eine Pyramide ... Menschen, auf und ab in roten Talaren ... Tragen Aktentaschen, Schreibtafeln ... Uralte, urweise Tiergesichter ... Und ganz oben, ganz steif Juarez ... Juarez ... Jetzt endlich ist er mir erschienen ... Aber ich fürchte mich nicht ... Ich atme ... Ich singe ... Nein, nein! So nicht, so war's nicht!! Ermannt sich. Mit hartem Ton. Auch dieser Brief wird vernichtet! Er steht straff auf. Gott sei Dank! Der Morgen!

Erster Tagesstrahl und Postenrufe.

Kanonikus Soria und ein Mesner im Ornat treten ein.

Soria: Eure Hoheit! Ich lese in der Zelle des Generals Miramon für die drei Herren eine stille Messe.

Maximilian: Gehn Sie nur voraus Abbé! Ich komme.

Soria: O Gott! Hoheit! Was für ein schöner, junger Mann sind Sie! Und gerade mich mußte es treffen, mich Weichherzigen. Ich habe nicht Fassung genug ... Seine Stimme versagt.

Maximilian lächelnd: Nun muß ich auch meinem Beichtvater noch Trost zusprechen. Leise zu sich selber mit klarster Kontrolle. Nur nichts Falsches jetzt! Nicht lügen jetzt!

Soria und Mesner ab.

Dr. Basch rafft sich auf und spricht sehr rasch: Eure Majestät! Wir sehen uns in zwei Stunden gewiß wieder. Dennoch! Ich habe ein gutes Mittel, das Körper und Geist in wohltätige Apathie versenkt. Ich flehe Sie an, Sire, dieses Pulver hier zu nehmen ...

Maximilian unterbricht ihn: Wollen Sie mir die letzte Habe rauben? Die Materie allein ist Angst. Sie soll mich nicht dominieren! Sie meinen es gut, Dr. Basch! Ich danke Ihnen. Aber ich will meinen Tod erleben. Ab durch die Hintergrundtür.

Dr. Basch blickt ihm nach. Dann nimmt er den blauen Waffenrock und drückt ihn gegen die Brust.

Heller Morgen. Wachsende Trommel- und Hornsignale. Die Ausgangstür wird aufgestoßen.

Ein Offizier tritt ein.

Soldaten hinter ihm.

Dr. Basch hebt die Hände gegen sie auf, weicht zurück und läßt sich totenbleich aufs Bett nieder.

Der Vorhang fällt.

 


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