Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erste Phase

Erstes Bild

Regierungssitz des Bürger-Präsidenten Don Benito Juarez zu Chihuahua im Norden Mexikos.

Ein kahles und ziemlich verfallenes Amtslokal, das noch aus der Zeit der spanischen Herrschaft stammt. Tiefe und hohe Rundbogenfenster im Hintergrund. Die zerbrochenen Scheiben sind mit Papier verklebt, die Wände mit Anschlägen, Manifesten, Erlässen behängt, die immer mit dem groß gedruckten Aufruf schließen: »Es lebe die rechtmäßige Republik«. Links eine Tür, die durch flüchtig angebrachte Matratzen gepolstert ist. Rechts die große Ausgangstür. Zum Licht gerückt ein Beamtenschreibtisch, an dem der Sekretär des Präsidenten, Lizentiat Elizea, arbeitet. Auf der Holzbank für wartende Parteien hockt die unbeweglich starrende Figur des Stadtverordneten von Chihuahua.

Mister Clark, der Kriegskorrespondent des »New York Herald«, geht mit großen, selbstbewußten Schritten hin und her.

Clark: Donnerwetter, Herr! Der hochverehrte Señor Benito Juarez scheint ein Abstraktum zu sein.

Elizea zuckt die Achseln, um anzudeuten, daß er nicht helfen könne.

Clark er hat eine rasche, scharfe Art zu reden: Ich habe die eindringlichsten Empfehlungen aus Washington. Von unserem Staatssekretär Seward und von Ihrem Gesandten Romero. So gut rekommandiert zu arbeiten, ist für einen ehrlichen Reporter mit fünfzehn Dienstjahren eine Schande. Wo bleiben da die Schwierigkeiten, dacht ich mir. Wohl bekomm's! Seit Wochen mache ich diesen geheimnisvollen Rückzug der rechtmäßigen Regierung mit. Von San Luis nach Saltillo, von Saltillo nach Monterey, vom Meere hieher in dieses Nest, das man nicht aussprechen kann, Chi ...

Elizea: Chihuahua! Belieben Sie an Ihr Chicago zu denken!

Clark: Ach, es ist das Ende bewohnter Welt! ... Und was soll dieser Rückzug? Bazaine ist sehr weit. Kein Gefecht, keine Sensation, kein Abenteuer bietet sich uns! Ich strebe ein Interview mit dem Bürgerpräsidenten an, um meine Zeitung zu bedienen. Interview?! Ich habe trotz Gewalt und List die Erscheinung des Don Juarez noch nicht zu Gesicht bekommen. Existiert er überhaupt?

Elizea: Arbeit Tag und Nacht! Der Bürgerpräsident wahrt seine Einsamkeit.

Clark: Mein Chef schreibt mir Drohbriefe. Unser Publikum wünscht bewegte Ereignisse und keine romantischen Stimmungen. Die Berichterstattung von den Schauplätzen unseres Sezessionskrieges verlief einwandfrei. Nur ich hier in Mexiko stelle mein Blatt nicht zufrieden. Ich riskiere meine Stellung, wenn Sie mir das Interview nicht ermöglichen, Señor Sekretär!

Elizea: Geduld! Sie sehen, die Herren Generäle sind noch beim Präsidenten.

Clark: Zwei Stunden schon und vorher der Ministerrat doppelt so lange!

Elizea: Man trifft große Entscheidungen. Die Zeit drängt. Die Generäle kommen von weit her und verreisen heut nachts.

Clark: Ja, die Herren Generäle sind sehr fern vom Hauptquartier stationiert. Wer weiß wo? Er ist überhaupt ein Rückzugsgenie, der Señor Juarez ... In Verakruz bei der Landung hätte er diese freche Invasion ersticken müssen. Transportmittel vernichten, die Straßen zerstören, kein großes Gefecht annehmen, aufhalten, aufhalten und die verfluchten Franzosen im gelben Fieber umkommen lassen ... Er aber gibt die Chancen aus der Hand, räumt ohne Kampf das Hafenfort, läßt die Tür für Louis Napoleons Rothosen-Pack frei und für diesen eingebildeten Habsburger!

Elizea immer arbeitend: Krankheiten muß man reifen lassen.

Clark: Wenn man unbedingt an ihnen sterben will. Die Monarchie, verehrter Lizentiat, ist ein gefährlich Ding für Völker mit mangelhafter Ausbildung. Da ist solch ein gottverdammter Pomp dabei.

Elizea: Es hat sich Einer schon angemaßt, Kaiser von Mexiko sein zu wollen. Sieben Soldatenkugeln haben sein Urteil vollstreckt!

Clark: Iturbide?! Das war ein militärischer Parvenu, ein Hergelaufener! Maximilian, Herr, ist ein Habsburger, ein Bruder und Cousin aller Monarchen Europas, ein Nachkomme Karls des Fünften, der vor dreihundert Jahren schon über Mexiko geherrscht hat. Hol's der Teufel, das wirkt im lateinischen Amerika! ... Adelsglanz und Legitimität!

Elizea: Legitimität!? Auch Montezuma, wahrlich ein legitimerer Kaiser Mexikos, ist unter den Pfeilen seines Volkes gefallen.

Clark hält im Aufundabgehen inne: Don Benito Juarez ist Indianer, nicht wahr? Azteke?

Elizea: Azteke! Ja, das ist er! Und reinster Herkunft.

Der Stadtverordnete der bisher reglos vor sich hin gestarrt hat, erhebt sich und drückt devot seinen Sombrero gegen die Brust. Er ist ein alter tiefgebräunter Mestize: Ihr Herren, verzeiht! Unser Bürgerpräsident ist nicht vom Stamme der Azteken, sondern Zapoteke!

Clark: Und was ist der Unterschied?

Der Stadtverordnete wird verlegen, weil sein ungelenker Kopf zu einer Definition gezwungen ist: Die Azteken sind sehr sanft. Aber die Zapoteken haben das kälteste Blut. Er schweigt, über die eigene Formulierung erstaunt.

Elizea: Ja, sie sind die starrsten unserer Indianer. Zu Zeiten des Cortez sollen sie die unbeugsamsten Independenten gewesen sein.

Der Stadtverordnete: Ich habe einen Geschäftsfreund im Süden. Der hat einen Compadre, und dessen Vater war der Patron von Señor Juarez, als er im Kaufmannsladen gedient hat. Eine Klingel schrillt.

Elizea erhebt sich rasch und geht durch die gepolsterte Tür ab.

Clark zum Stadtverordneten: Ah?! Sie kennen also die Jugend des großen Mannes. Sehr interessant!

Der Stadtverordnete ringt seiner Schweigsamkeit mühsam die Erzählung ab: Von niedrigen Viehhirten stammt er ab, unser Präsident. Dem kleinen Jungen gingen die Kühe durch und zertrampelten ein Weizenfeld. Er lief davon in die nächste Stadt. Denn hart waren seine Leute. Da stand es nun auf der Plaza und jammerte mit seinen armen indianischen Worten, das Kind ... Eine Sprache zu reden verstand's nicht.

Clark hat sich flüchtig Notizen gemacht: Sagt mir, lieber Mann! Eure Indianer gleichen unseren nordischen Rothäuten nicht. Sie sind ja hier das Volk, die große Masse. Sie vermischen sich mit den Weißen, leben in den Städten und tragen unsere Kleidung. Aber gibt es nicht Stämme, die ihre Religion und Sitte bewahrt haben?

Der Stadtverordnete: Oh, Señor! Viele hunderttausend in der Sierra Madre, in der Sierra Leone, in allen Gebirgen! Sie verschmähen die Sakramente, sie haben ihre Altäre, ihre Zauber, ihre Tempeltrommel, ihre Götzen, die sie mit den Federn des Truthahns schmücken. Sie beten die Sonne an und warten auf den lichten Mann, der da kommen wird. Dies aber ist nicht Christus.

Clark: Und was geschah weiter mit dem Knaben Juarez?

Der Stadtverordnete: Der Patron nahm ihn auf, gab ihm Brot und Arbeit. Später gar schickte er ihn in die Schule. Er kam zu den Priestern. Scharfen Geistes war er. Darum wollten sie aus ihm einen Bischof machen.

Clark: Was? Juarez, der Todfeind der Kirche und der Pfaffen, der Mann des Reformgesetzes, das die Kirchengüter aufhebt, Juarez ist Theologe gewesen?

Der Stadtverordnete: Er kennt seine Teufel!

Clark murmelt: Und diesen Mann bekomme ich nicht zum Interview?

Der Stadtverordnete aus der Tiefe qualvollen Erlebens hervor: Wo er ist, ist Rettung! Eine Pause. Man könnte ja leben. Aber einige Menschen kommen ohne Politik nicht aus.

Clark: Sie wollen zum Präsidenten?

Der Stadtverordnete: Er hat mich berufen ... Ich bin Abgesandter dieser Stadt ... Weh uns! Es kann nichts Gutes sein.

Die republikanischen Generäle Maziano Escobedo, Riva Palacio und Porfirio Diaz treten aus der Tür des Präsidenten, hinter ihnen Elizea. Die Generäle haben nicht die grellen Phantasieuniformen der kaiserlichen Offiziere Mexikos. Escobedo und Palacio tragen einfache graue und lange Waffenröcke, graue Hosen mit roten Streifen und Reitstiefel à la Wellington, nur Porfirio Diaz trägt das rote Garibaldihemd (das auch in Mexiko zur symbolischen Tracht der demokratischen Revolution geworden ist), ferner einen Patronengürtel und den nationalen Sombrero. Er ist ein kleiner funkelnder Mensch mit äußerst konzentrierten Zügen und einem dünnen Schnurr- und Fliegenbart. Er muß sehr viel jünger wirken als der vornehme Riva Palacio und der finster vollbärtige Escobedo.

Die Generäle nehmen den Vordergrund.

Elizea der mit den Generälen eingetreten ist, winkt dem Stadtverordneten und geleitet ihn nach links, ins Arbeitszimmer des Präsidenten. Er kehrt sogleich wieder und zieht sich mit dem Reporter in eine Fensternische zurück.

Riva Palacio: Sind Sie ebenso sehr erschöpft, meine Herren, wie ich? Der Mann ist ein logischer Schraubstock. Ich habe Kopfschmerzen.

Porfirio Diaz: Mir geht es anders. Auf mich wirkt dieser Graukopf wie eine Frau, die man fürchtet und anbetet. Er, der Klare, reizt zu Tollheiten auf, die ich für ihn begehen möchte.

Riva Palacio: Jetzt erst komme ich recht zum Bewußtsein und sehe dich, mein Porfirio! Überall singen sie ein Lied von deiner Flucht aus Puebla. Das war ein Teufelstück, Freund, ein Heldengedicht ...

Porfirio Diaz: Nur eine Indianergeschichte.

Mariano Escobedo: Wir alle sind stolz auf Sie, General! Und was noch mehr ist, wir sind nicht eifersüchtig.

Porfirio Diaz: Meine Herren! Es gehört zu den Ungerechtigkeiten des Lebens, daß der Rausch, den es bietet, mehr Bewunderung erntet, als die Mühe, die es fordert. Als ich zwanzig Meter hoch über der Straße hing, der Sandsteinheilige, um den mein Seil geschlungen war, bedenklich schwankte und der harte Postenschritt unten immer näher kam, das ... das war ein unbeschreiblich großer Augenblick, ein Augenblick mächtigen Glücks.

Clark hat sich den Generälen genähert: Ich habe die große Ehre, mit den führenden Generälen der Republik zu sprechen!

Die Generäle streifen den Mann mit einem abwehrenden Blick.

Clark: Die Vereinigten Staaten blicken mit Freundschaft und Bruderliebe auf den Heldenkampf des mexikanischen Volkes gegen Fremdherrschaft und aufgezwungene Monarchie. Es war ausdrücklicher Wunsch des Weißen Hauses, daß ein Korrespondent das Zeitungspublikum der Union mit sympathischen Nachrichten bediene ...

Riva Palacio: Sympathische Nachrichten sind nicht zu vermelden.

Clark: Darf ich Eurer Exzellenz meine Beglaubigung ...

Riva Palacio: Danke!

Clark: Die Herren Generäle werden mir einige Fragen nicht übelnehmen. New York brennt darauf ...

Mariano Escobedo: Don Palacio, Sie sind der Gelehrte unter uns. Stehen Sie diesem wißbegierigen Zeitungsmann Rede!

Riva Palacio: Wer führt das Wort, wenn Porfirio Diaz zugegen ist?

Clark zu Diaz: Ich verehre in Ihnen, Herr General, den Helden des fünften Mai.

Porfirio Diaz: General Ortega, nicht ich, hat in Puebla kommandiert. Diese Tat ist heut eine schöne Erinnerung ohne Konsequenz.

Clark: Seit Ihrer staunenswerten Flucht aus der Gefangenschaft sind erst einige Tage vergangen. Und doch ...

Porfirio Diaz: Ich hatte dem Befehl meines Präsidenten, der den Zeitpunkt bestimmte, zu gehorchen.

Clark: Und kehren Sie jetzt zu Ihren Truppen zurück?

Porfirio Diaz: Die Präsenz-Standesliste meiner Truppen kann ich Ihnen auswendig hersagen: Ein Oberst, zwei Subalterne, ein Hornist, acht Mann!

Clark: Um Gottes willen! Dies ist Scherz!

Porfirio Diaz: Bitterer Ernst! Verkünden Sie Ihrem Publikum, daß wir kein interessantes Schauspiel aufführen, sondern um unser Leben und die Demokratie Amerikas kämpfen.

Clark: Aber, meine Herren, man spricht doch von republikanischen Divisionen?

Riva Palacio: Der Feind tut uns diese Ehre nicht an. Erlässe der kaiserlichen Regierung bezeichnen unsere Soldaten als Dissidenten, und Bazaine tituliert sie Banditen.

Clark: Und die größeren Verbände?

Mariano Escobedo: Der letzte ist von den Franzosen bei Oajaca vernichtet worden.

Clark: Die Macht Bazaines und Maximilians soll überschätzt werden!

Porfirio Diaz: Keineswegs! Sie verfügen über vierzigtausend Franzosen, Belgier, Österreicher, über die Sieger von Magenta und Sebastopol, über die geschultesten Offiziere Europas, die aus unserem armen Volk wohlexerzierte Formationen bilden werden.

Clark: Die Lage kann so verzweifelt nicht sein. Auf Ihrer Seite, Exzellenz, kämpfen die Besten. Die Talente der Nation, die wahren Patrioten! Und dann die Protektion revolutionärer Welthäupter! Garibaldis Freundschaft!

Porfirio Diaz: Sie irren! Unsere bewährtesten Strategen, General Uraga und General Vidaurri sind Maximilians innige Freunde geworden. Und die Patrioten reißen sich um seinen Guadalupe-Orden ... Garibaldi? Ja! Aber wo ist Garibaldi?

Clark: Der Erzherzog also hat Erfolg?

Porfirio Diaz: Ernste Grazie und Distinktion wirken immer in Mexiko.

Clark: Er soll sehr liberal denken.

Porfirio Diaz: Ein europäisches Märchen, mit dem jeder Prinz sein Debüt ziert.

Clark: Ist es wahr, Herr General, daß Maximilian Ihnen Anträge gemacht hat?

Porfirio Diaz: Während meiner Gefangenschaft! Zuerst beschied er mich zur Audienz. Als ich nicht kam, sandte er einen Wagen, der mich zu geheimer Zusammenkunft abholen sollte. Das drittemal bemühte er sich selbst zu mir. Dreimal habe ich die Begegnung abgelehnt. Dennoch hat er mir sein Bild verehrt.

Elizea tritt hinzu: Auch der Präsident hat sein Bildnis erhalten. Ein sehr großes, mit einer Inschrift.

Riva Palacio: Welche Inschrift?

Elizea: »Der Sinn der Feindschaft ist die Versöhnung.« Und darunter mit starken Lettern: »Maximilian.«

Riva Palacio: Und Señor Juarez?

Elizea: Erst studiert er das Gesicht zwei Minuten lang, dann legt er das Bild fort und sagt: »Der Mann spiegelt sich.«

Clark: Meine Herren Generäle! Ist sich der Bürgerpräsident seiner schwierigen Lage voll bewußt? Hat er Kenntnis von dem Verrat seiner Offiziere, von der Stimmung selbst liberaler Kreise für Maximilian?

Porfirio Diaz: Er weiß alles und besser als Maximilian selbst.

Clark: Und?

Porfirio Diaz: Nun! Er ist sehr zufrieden!

Clark: Zufrieden? Verstehn Sie das?

Porfirio Diaz: Nein! Aber er hat recht!

Clark starrt ihn an.

Porfirio Diaz: Benito Juarez fügt sich nicht in undeutliche Situationen. Er ist gewohnt, dem Schicksal auf den Grund zu gehn.

Clark: Himmel! Und was sind seine Absichten?

Riva Palacio: Gentleman! Diese Frage ist sehr neugierig. Glücklicherweise können wir sie nicht beantworten. Wir Generals en chef gehen heute abend nach Süd, Ost und West auseinander ... Er zeigt einen versiegelten Brief. Sehen Sie diese verschlossene Ordre! Jeder von uns hat solch ein delphisches Couvert bekommen. Lesen Sie!

Clark liest: »Erst am Bestimmungsort zu öffnen!«

Porfirio Diaz: Hier innen steckt die Zukunft Mexikos!

Einige ängstliche Gestalten drängen sich in der Eingangstür.

Clark: Und Sie fürchten sich nicht, mein Herr General, so ins Ungewisse, Gefährlich-Unbekannte ausgesandt zu werden?

Porfirio Diaz: Mann! Dies gerade ist herrlich! Ich reite am liebsten im dichten Morgennebel, aus dem noch alles werden kann! ... Juarez ist ein Prophet. Wir aber sind jung!

Clark: Wir sind jung. Dieses Wort ist Amerika.

Der Stadtverordnete kommt totenbleich aus der Tür links, die ein wenig offen bleibt: Ich habe es gewußt ... Zu den Gestalten, die ihn erwarten. Ihr da! Ihr Brüder! Wir sind verloren. Morgen verläßt uns der Präsident. Er, die Regierung, die Garde ... Sie ziehen nach Norden an die Grenze. Und uns verderben die Schwarzen! Die Franzosen kommen, der Fremde kommt! Sie werden sich rächen. Sie töten Kinder! Oh, oh! Was soll aus uns werden? Jammernde Rufe.

Porfirio Diaz: Ruhig Bürger! ... Ihr seid in Sicherheit ... Für euch ist gesorgt! ... Keine Furcht! ... Es lebe die Republik! Leise zu den Generälen. Meine Herren! Gehen wir! Zeigen wir uns in der Stadt!

Mariano Escobedo: Gut! Gehen wir!

Porfirio Diaz: Auf die Plaza, Bürger! ... Es lebe die Republik!

Gepreßte Rufe: Es lebe die Republik!

Elizea: Leise! Ruhe im Vorsaal des Präsidenten! Generäle, Stadtverordneter und Bürger ab.

Clark: An den Rio del Norte? Die Sache steht schlimm.

Elizea: Mein Herr Korrespondent! Das können wir beide nicht beurteilen.

Clark: Aber das ist ja nicht mehr Rückzug, das ist Flucht! Bis an unsere Grenze?!

Elizea: Ein guter Sprinter nimmt einen weiten Anlauf.

Clark: Anlauf genug! Wo werden wir morgen sein?

Elizea winkt dem Reporter und weist auf den schmalen Spalt an der Tür zur Linken: Sehen Sie!

Clark nähert sich neugierig, blickt kurz durch den Spalt und kommt sogleich erschrocken und kleinlaut nach vorn: Herr! Er hat mich angeschaut.

Elizea: Er hat Sie nicht angeschaut.

Clark: Ich bin kein Feigling. Aber mein Herz galoppiert.

Elizea: Er hat Sie nicht gesehen. Er ruht.

Clark: Mit solch starren Augen!?

Elizea: Er schläft nicht, er wacht nicht, er ruht. Wie immer nach großen Anstrengungen.

Clark: Ich glaube, ich werde auf dieses Interview verzichten.

Elizea: Und dazu haben Sie mich wochenlang gequält, Mister Clark?

Clark: Mein Chef muß sich gedulden. Ich werde ihn vorerst schildern.

Elizea: Wie?

Clark: Den Titel weiß ich schon: »Der Magus der Revolution.« Wie finden Sie das?

Elizea: Schön, aber falsch. Don Juarez ist die schlichte Vernunft selbst!

Clark der immer wieder nach links schielt: Wollen Sie nicht auf jeden Fall diese Tür schließen?

Der Vorhang fällt.

 

Zweites Bild

Terrasse des kaiserlichen Lustschlosses von Chapultepec. Sternhelle Nacht. Der Hintergrund ist offen, denn die Terrasse ist auf einem Vorsprung des Grashüpferfelsens gebaut, der die Burg der alten Aztekenkaiser trug. Steinbänke. In der Mitte des Raumes ein Tisch mit Windlichtern. Ehe der Vorhang aufgeht, hört man eine angenehme Tenorstimme, die zum Habanera-Rhythmus einer Gitarre einen schmerzlichen Gesang vorträgt.

Maximilian: Sein schmales Gesicht hat den gespannt aufmerksamen Ausdruck eines Horchenden, dem die Menschen tief fremd sind, der ihre Rede nicht recht versteht und dennoch immer auf der Höhe der Situation sein will. Der blonde, zweigeteilte Bart verschleiert nur die Jugendlichkeit der Züge und ein sehr wenig durchgebildetes Kinn. Der Kaiser pflegt oft mit der Hand durch den Bart zu fahren, als würde er ihn stören. Die Gestalt ist sehr groß, was dem kleinen mexikanischen Typus gegenüber besonders auffällig wird. Maximilian leidet an der Verlegenheit der Hochgewachsenen, er leidet an der sonderbaren Scham der Gutrassigen angesichts unfeiner und verdorbener Erscheinungen. In erregten Augenblicken versucht er, die Fessel seiner Standes-Manieren zu zerreißen. Seine joviale Herzlichkeit ist dann nicht ganz natürlich. In schlaffen Momenten zeigt er das Liebenswürdig-Automatische altösterreichischer Adelshaltung. Er trägt an diesem Abend einen langen feierlichen Schlußrock und einen einzigen großen Orden.

Oberst Miguel Lopez ist ein unglaublich eleganter Mann Ende der Dreißig. Er trägt die höchst überladene Uniform der kaisertreuen Offiziere. Das sanfte Gesicht mit dem rötlichen Schnurrbart, weit auseinanderstehenden Schlitzaugen, weichen Zügen, zeigt Freundlichkeit, Bescheidenheit, es ist eine Liste aller gesellschaftlichen Tugenden. Der Oberst bietet dem Partner ein unverändertes Lächeln dar, wodurch dieses Gesicht oft zu neurasthenischer Maskenhaftigkeit erstarrt. Lopez ist der Sänger des Liedes gewesen. Ein wenig echauffiert fährt er sich jetzt mit dem Taschentuch über die Stirn.

Zwei indianische Musikanten entfernen sich. Ins Schweigen der Szene rauscht der entfernte Lärm eines Gartenfestes.

Maximilian: Wunderschön, mein lieber Lopez! Welch exzellente Stimme! Sie sollten Italiener sein! Von meiner Mailänder Regierungszeit her bin ich Fachmann. Brillant!

Lopez: Eure Majestät ist allzu gnädig. Wie jeder Soldat dilettiere ich ein wenig. Der militärische Dienst heißt zur Hälfte: Warten! Man muß sich beschäftigen.

Maximilian herzlich: Es gibt nichts, was ich an einem Menschen mehr schätze als musische Begabung. Ein wahres Brudergefühl flößt uns doch nur ein künstlerisches Naturell ein ... Er erschrickt ein wenig über diese Empfindsamkeit. Ich möchte Sie ganz an meinen Hof ziehen ...

Lopez: Eure Majestät überschüttet mich mit Gnadenbeweisen. Sie haben geruht, Taufpate meines Kindes zu sein.

Maximilian: Ich vergesse nicht, Herr Oberst, daß Sie der erste mexikanische Offizier waren, der auf diesem Boden der Kaiserin und mir gute Dienste geleistet hat. Als Sie auf der prekären Reise von Verakruz neben unserer Diligence ritten, haben wir in Ihnen den Kavalier kennengelernt. Ihre Freunde preisen die Tapferkeit des Offiziers.

Lopez: Ich durfte mich für das Kaiserreich schlagen.

Maximilian: Bei einer Neubesetzung der Flügeladjutantur oder Personal-Ordonnanz werde ich Ihrer denken. Verlegenheitspause, die dem Ende einer Audienz oder der Verabschiedung eines Besuches vorangeht.

Lopez: Eure Majestät wird meine Kühnheit vergeben ...

Maximilian blickt auf.

Lopez: Gewiß hat sich Eure Majestät mit dem Charakter des Mexikaners schon vertraut gemacht!

Maximilian: Vollkommen! Und ich weiß jetzt, daß man mir in Europa darüber sehr falsche Informationen gegeben hat. Ich habe eine Prédilection für diesen Charakter. Eindeutig ist er gewiß nicht. Aber jener Autor lügt, der vom Verrat spricht, »der durch des Mexikaners Adern kreist«.

Lopez: Er lügt und verleumdet, Sire! Bei der Madonna! Ist ein Mann ein Verräter, der eine Frau heiß geliebt hat; und siehe da, nun ist sie alt geworden, gewohnt, gewöhnlich, ausgesogen. Er muß davon gehn, er muß sie verlassen, das Neue suchen, das Andere ...

Maximilian: Wir nennen das wankelmütig.

Lopez: Ein sehr moralisches Wort. Es gibt Männer, die nur ein einzigesmal im Leben lieben. Manches Herz aber läuft und flieht und kann nicht stehnbleiben. Es ist gewiß nicht schlecht, aber es vergißt, muß immer wieder vergessen ...

Maximilian: Wollen Sie, lieber Lopez, sich mit diesem Gleichnis selbst charakterisieren?

Lopez: Oh, nicht mich allein. Ihre Untertanen, Sire, sind ein vortreffliches Volk. Sie haben Blut und Opfermut, aber sie haben kein Gedächtnis ...

Maximilian: Das heißt?

Lopez: Ich nehme mir die Freiheit, Eure Majestät, vor uns zu warnen. Im großen und ganzen natürlich ... Der Kaiser braucht Männer von Kontinuität um sich.

Maximilian sein Gesicht strahlt: Prachtvoll, lieber Lopez, Sie sind prachtvoll ... Dieses Selbstmißtrauen kenne ich so gut an euch allen, diese Sucht, sich selbst zu supplantieren. Eure Koryphäen in Rom und in Paris treiben das bis zur Narretei. Guttierez, Hidalgo, keiner hat den Mut zu seiner eigenen Person. Ich bot ihnen die Regierung an, keiner wollte mir folgen ... Aber diese Schwäche ist mir sympathischer als das ganze arrogante Selbstbewußtsein des alten Europa. Ihr leidet an euch, ja ihr leidet an euch! Er geht bewegt auf und ab. Ist es bei der traurigen Geschichte dieses einzigen Landes, unseres Vaterlandes, anders möglich? Drei Jahrhunderte spanische Ausbeutung, ein halbes der gräßlichste Bürgerkrieg ... Er bleibt vor Lopez stehen. Ich werde Euch helfen! ... Sie bleiben in meiner Nähe, Herr Oberst! Erwarten Sie detaillierte Ordre! Er reicht ihm die Hand.

Lopez beugt sich tief über die Hand des Kaisers: Sire! Ich habe Sie aus aufrichtigem Herzen vor mir gewarnt.

Maximilian verlegen huldvoll: Ihre schöne Stimme soll mich noch oft erfreuen. Ich danke Ihnen.

Lopez ab.

Maximilian: Das ist ihre Art. Sie beichten auf alle Fälle die Sünden, zu denen sie fähig sind.

Doktor Samuel Basch nähert sich. Der Leibarzt des Kaisers ist ein Mann von unbestimmbarem Alter mit einem mageren Gesicht, kurzem Vollbart und ruhiger Haltung. Er befolgt die höfischen Formen mit lässiger Überlegenheit wie ein geistiger und unabhängiger Mensch, der seine freie Würde wahrt. Der Kaiser ist ihm gegenüber leicht befangen, was er hinter großer Freundlichkeit verbirgt. Achtung vor dem Menschen, Freude an jedem Europäer seiner Umgebung und der traditionelle, hier nicht bewußte, Antisemitismus des Aristokraten streiten miteinander.

Maximilian: Sehr schön, lieber Doktor, daß Sie noch kommen. Sie können ruhig sprechen, Grill und Blasio attentionieren die Zugänge. Wie finden Sie die Kaiserin?

Dr. Basch: Eine Diagnose ist überflüssig. Ich kann Eure Majestät mit ehrlichem Gewissen beruhigen. Die Kaiserin ist gesund.

Maximilian: Aber diese Depressionen und Erregungsausbrüche?

Dr. Basch: Sind Folgen von Überarbeitung, von allzu brennender Aktivität und Hochspannung. Hier muß der Kampf gegen die wachsende Nervosität einsetzen. Es geht nicht an, daß Ihre Majestät um drei Uhr nachts aufbricht, um das Hospital zu visitieren. Ganz abgesehen davon, daß solche Überraschungen für die Inspizierten ein Mißtrauensbeweis sind – was von souveräner Seite besonders schwer wiegt –, untergräbt die Kaiserin damit ihr Wohlbefinden.

Maximilian: Und die Ursachen der Hochspannung ... wie Sie's nennen?

Dr. Basch: Dieser Tätigkeitsdrang – Eure Majestät werden verzeihen – ist eine an Frauen häufig beobachtete Erscheinung. Man kennt die Unrast der Kinderlosen sehr wohl.

Maximilian ablenkend: Also nicht das Klima? Zerstreut. Dieses Klima?

Dr. Basch: Das Klima der Hochebene von Mexiko ist eine Wohltat für jedermann!

Maximilian: Ja, Sie haben recht, lieber Basch! Er ist köstlich, der ewige Frühling ... Mit einer fast traurigen Bewegung. Ananas, Azur und Kolibri! ... Manchmal zwar habe ich noch mein Meerweh, aber das kommt schon recht selten vor.

Kammerdiener Grill tritt nah.

Maximilian: Grill, was gibt's?

Grill meldet: Staatsrat Herzfeld.

Maximilian erregt: Ah! Herzfeld kommt aus der Hauptstadt, jetzt noch! Bitte hieher!

Grill ab.

Maximilian: Das ist etwas sehr Wichtiges, etwas Außerordentliches ... Unruhig, huldvoll. Ich danke Ihnen, lieber Doktor! Adieu, adieu! Ich danke ...

Dr. Basch zieht sich zurück.

Stefan Herzfeld tritt rasch auf. Er ist fünfunddreißig Jahre alt, um zwei Jahre älter als der Kaiser und hat das scharfe offene Gesicht des Marineoffiziers. Maximilian verliert ihm gegenüber wirklich die beengende Distanziertheit, die er sonst so oft zeigt. Herzfeld, den Jugendfreund, liebt er fast stürmisch. Diese Liebe wird mit skrupulöser Treue erwidert. Stefan Herzfeld trägt einen Reitanzug.

Maximilian: Herzfeld! Seitdem du aus Europa zurück bist, ist ein guter Geist in alles gefahren. Welche Freud für mich, daß du heut noch kommst. Du bist geritten ... Weist auf eine Bank. Setz dich! Du wirst müd sein. Du erlaubst, daß ich nach Gewohnheit peripatiere. Willst du eine Zigarre? Hier! Setz dich! Ich bitt dich, sei kommod!

Herzfeld wehrt ab: Danke.

Maximilian: Was bringst du?

Herzfeld: Ich bringe Eurer Majestät eine große Nachricht. Benito Juarez ist an den Rio del Norte zurückgegangen. Man sagt, er habe die Grenze der Union überschritten.

Maximilian erschüttert, leise: Gott! Das ist zu viel! Das ist der Sieg! Des Freundes Hände pressend. Herzfeld! Das ist der Sieg!

Herzfeld: Ich habe diese Wendung nicht erwartet.

Maximilian rasch assoziierend: Ja, lieber Herzfeld! Gott sei dafür gepriesen! Dein Pessimismus hat eine Schlappe erlebt ... Juarez ist geflohen! Das bedeutet: Die sogenannte konstitutionelle Regierung hat aufgehört zu bestehen. Ergo entfällt für die Vereinigten Staaten jeder Grund, meine Position nicht anzuerkennen! Ergo ist auch der Konflikt zwischen Napoleon, der unsere Monarchie kreiert hat, und Washington erledigt. Frankreich hat freie Hand und Bazaine keine Ausrede mehr.

Herzfeld: Ich bin dem Wagen des Marschalls begegnet, der Hals über Kopf vom Feste heimgekehrt ist. Die französische Kommandantur sah ich hell erleuchtet. Ein Brief Kaiser Napoleons soll eingetroffen sein.

Maximilian: Die Franzosen werden jetzt ihre Vertragspflicht erfüllen. Die politische Lage ist gegeben, die rasche Pazifikation des Landes höchste Notwendigkeit. Die fremden Truppen fressen nicht nur unser Geld, sondern ebenso das Prestige Napoleons und das Vertrauen der Pariser Börse in die mexikanische Anleihe ... Klare Logik!

Herzfeld: Klare Logik, wenn der Indianer nicht an, sondern über die Grenze gegangen ist, was bisher ein Gerücht bleibt.

Maximilian: Da nennt man die Österreicher leichtsinnig! Melancholische Pedanten seid ihr, die sich nach dem Haar in der Suppe sehnen.

Herzfeld: Irgend etwas beunruhigt mich an dieser »Flucht«. Das Nachdrängen der Generäle war nicht eben großartig. Und Bazaine, der große Feldherr, kümmert sich den Teufel um die Armee. Er paradiert in der Residenz, gibt diplomatische Diners und spielt die Instanz über dem Kaiser ... Warum zieht sich Juarez zurück? Wer begreift das?

Maximilian: Vorhin, Herzfeld, als du die Nachricht brachtest, hatte ich einen Augenblick lang ein großes Erlebnis. Plötzlich habe ich das Mysterium der christlichen Feindesliebe verstanden ... Ich liebte Juarez ...

Herzfeld: Er ist eine sonderbare Gewalt.

Maximilian: Er und Porfirio Diaz! Alle andern Mexikaner gebe ich für diese beiden Männer.

Herzfeld: Man weiß nichts von ihm. Nirgendwo ist sein Bild zu finden, kein Ausspruch wird kolportiert. Hinter einigen Erlässen verschwindet diese unpersönlichste aller Personen. Und doch hört man sie in der Ferne rollen! Ein Niagarafall! Der Mann ist nicht von diesem Jahrhundert!

Maximilian schwärmend: Sein Tag ist vorbei ... Warum kommt er nicht, warum? Er flieht, und ich würde ihn in die Arme schließen. Ich könnte ihm die Mittel zur Größe leihen. Warum kommt er nicht?

Herzfeld: Das sind Träume. Er muß den Kaiser vernichten ...

Maximilian: Warum?

Herzfeld: Weil er Kaiser ist.

Maximilian: Falsch! Auch Garibaldi gibt nach, und ich bin freier als Viktor Emanuel.

Herzfeld: Garibaldi ist sentimentaler Europäer. Juarez aber schenkt kein Haar seines Rechtes her.

Maximilian: Recht?

Herzfeld: Er ist vom Volk erwählter Präsident.

Maximilian: Mich hat später das Plebiszit berufen.

Herzfeld: Eure Majestät wissen so gut wie ich, daß dieses Plebiszit durch klerikale Umtriebe und durch Brutalität französischer Platzkommandanten zustande kam.

Maximilian: Ich weiß es, aber ich wußte es nicht. Herzfeld, du bist mein gutes und mein böses Gewissen.

Herzfeld fast wider Willen: Ach, ich habe schon in Miramar gewarnt. Kann etwas Gutes auf Rechenfehlern errichtet werden?

Maximilian: Jeder Geniestreich ist ein glücklicher Rechenfehler. Alle Erkenntnisse, Taten, Siege der Geschichte, was sind sie anderes als durch Erfolg sanktionierte Rechenfehler?!

Herzfeld: Gebe es Gott!

Maximilian heftig: Aber ich sehe hier keinen Rechenfehler, Herzfeld! Niemals wirst du den verbitterten Charakter des k. und k. Offiziers ablegen. Der Schreck der militärischen Erziehung steckt dir zeitlebens in den Knochen. Freund, ich kenne mein höheres Recht, die Aufgabe, die in mir wohnt. Recht und Unrecht, das sind politische Nuancen. Man muß das Gute oktroyieren. Einst wirst du mich begreifen.

Madame Rarrio die Hofdame der Kaiserin erscheint und verschwindet sogleich.

Maximilian: Herzfeld! Du liebe Seele! Du warst ein guter Bote jetzt ... Erwarte mich in einer Stunde! Hast du schon soupiert? Wende dich an Grill! Inzwischen leb wohl!

Herzfeld geht ab.

Charlotte eilt auf Maximilian zu. Sie ist eine schon erblühte Frau von fünfundzwanzig Jahren. Ihre Anmut wird durch die wissende Reife nur gesteigert, die der tägliche Umgang mit politischen Dingen einem Frauenantlitz verleiht. Die Kaiserin erscheint in Abendtoilette mit Krinoline. Ein großer Shawl, der landesübliche Rebozzo, verhüllt das Décolleté. Das wunderbare dunkle Haar ist im Mailänder Stil geordnet, in der Mitte gescheitelt, mit schwerem hängenden Knoten rechts und links, und trägt ein halbkreisförmig großes, gezacktes Diadem. Charlotte spricht gehemmt mit unregelmäßigem Rhythmus. Ihr Wesen ist erregt, provisorisch, gleichsam immer Abschied nehmend.

Maximilian küßt ihr die Hand: Endlich hast du dich von diesem odiosen Fest befreit, Carlota!

Charlotte: Ja! Vor dem Feuerwerk war die Pflicht getan. Mein Schatz! Ich habe Rarrio fortgeschickt. Wir sind doch allein?

Maximilian: Du hast dich wieder überanstrengt ...

Charlotte: Alle Welt fordert hier sans gêne das peinliche Shakehand. Aber das ist es nicht, sondern Ekel. Ich habe etwas Grauenhaftes erlebt. Nein! Nichts Ausgesprochenes, mein Schatz! Aber Bazaine hat mit seiner kleinen Señora die Habanera getanzt. Wie eine träge Riesenfliege. Der ganze, schwere Mensch montiert, alt und mit schrecklicher Energie. Man hat gelacht. Doch ich habe seinen Charakter verspürt. Er ist unmöglich verliebt. Warum wird der Ausdruck solcher Männer infernalisch böse, wenn sie verliebt sind?

Maximilian: Er ist ein Tölpel – Was willst du haben? Der Sohn eines Unteroffiziers von Bonaparte.

Charlotte: Er hat sich plötzlich sehr verlegen beurlaubt ... Aber mein Schatz! Du bist emotioniert?!

Maximilian: Weißt du es noch nicht?

Charlotte: Juarez ...?

Maximilian: Ja! Es ist wahr, Carlota! Jetzt können wir unser Werk frei beginnen.

Charlotte: Max! Du mußt, du mußt reussieren! Wie könnte ich sonst meine Schuld ertragen? Ich habe in Miramar gegen alle Widerstände, gegen Tod und Teufel gesagt: »Gut, gehn wir!«

Maximilian: Ich dachte einst, die schönste Prinzessin Europas sei meine Frau, aber ich habe die große moralische Chance meines Lebens geheiratet.

Charlotte schnell: Rede nicht so! Ich bin nichts, ich bin gar nichts.

Maximilian: Du bist die beste Kaiserin.

Charlotte: Niemand mag mich leiden. Hochmut!? Aber es ist kein Hochmut, sondern Angst um dich, weil ich Böse so ehrgeizig war.

Maximilian: Ohne dich wüßte ich noch jetzt nicht, wer ich bin. Du hast mit deinem herrlichen Mut meine Fesseln gelöst. Was war ich denn? Ein apanagierter Prinz! Zu elegantem Nichtstun und sarkastischem Verzicht verurteilt. Peinliches Schicksal! Allein wäre ich ihm nie entkommen.

Charlotte: Ich wußte nur: Alles, was du anrührst, wird rein.

Maximilian: Du junges Geschöpf hast mich meine Familie kennengelehrt. Diese Binnenseelen, die ihr Atridenschicksal gar nicht begreifen. Du hast mich gelehrt, Franz Josef, meinen Bruder, zu erkennen. Ich hasse ihn nicht mehr, diesen korrekten Vorgesetzten seiner Untergebenen. Mit einer weiten Geste nach Österreich hinüber. Wartet nur eine Weile, und ihr werdet das Wunder erleben ... Dein kühner Sinn hat aus einem Österreicher einen Weltmenschen gemacht. Ich war ein Dilettant, der schlechte Reimereien verbrochen hat. Du hast das Wahrhaft-Schöpferische in mir erweckt. Ja, schau mich nur an! Es sind Tränen. Die guten Ströme meines Herzens wollen in die Welt. Dir danke ich die Liebe, die in mir ist.

Charlotte: Mein Gott! Ich? Ich Arme, ich Leere, ich Fruchtlose? Du siehst uns groß. Wir Menschen aber sind raffiniert und zwecksüchtig. An dir, Kind, kann man nur schuldig werden.

Maximilian: Nein! Die Menschen sind vortrefflich. Wir müssen es aus ihnen herausholen.

Charlotte: Da ich nichts anderes kann, will ich für dich arbeiten, Max!

Maximilian: Du arbeitest ja Tag und Nacht! Du reibst dich auf! Das geht so nicht weiter ...

Charlotte: Was bleibt mir übrig?

Maximilian: Karla! Erwache! Du siehst so elend aus! Du bist stets unruhig und gehetzt. Diese Angst ist Unsinn! Ich bin kein Schwärmer. Ich stehe fest und bin nicht umzuwerfen. Juarez ist geflohen. Unsere Monarchie ruht heute auf gesünderem Grunde als Österreich und Frankreich. Die konstitutionellen Kaisertümer dort drüben sind unwahr und längst schon verwest! ... Amerika! ... Hier ist die Zeit und ihr Leben! Die anderen souveränen Herren sind doch nur Polizeichefs ihrer privilegierten Klassen. Ich aber habe meinen neuen Kaisergedanken!

Charlotte: Nur du hast ihn und nicht der pointilleuse Napoleon.

Maximilian: Die Republik hat Unrecht! ... Setz dich zu mir, Karla! Sie nehmen Platz. Das geläuterte Blut, die Ahnenerbschaft, die Legitimität sind Lebenswerte. Ich kann Menschenglück begründen, denn ich will nichts für mich. Politik aber ist immer nur die Resultante aus den Gier-Instinkten von Parvenus. Ich zerstöre die Politik. Höre! Nur eine Million Weiße gibt es im Land und neun Millionen Indianer und Halbindianer. Diese ungeheuren Massen gilt es zu erwecken und zu gewinnen. Eine soziale Tat ohnegleichen. Ich habe die neue Thronrede schon entworfen. Juarez ist Indianer. Muß er nicht kommen? Wird ihn meine Revolution nicht in die Knie zwingen? Ich sehe den Tag ...

Charlotte schließt die Augen: Verzeih! Ich sehe das süffisante Gesicht des Erzbischofs, mit dem ich um das Konkordat gekämpft habe, wie mit einem schwarzen Hund. Ich sehe den Erz-Politiker Lares und die andern Mandarine. Ich sehe die snobistische »gute Gesellschaft«, die für Einführung der Inquisition schwärmt. Ich sehe den Plebejer Bazaine ...

Maximilian: Juarez ist mehr als sie alle. Er mußte weichen.

Charlotte: Ich sehe das Nichts von Granit! Es ist stärker als Juarez! Beide erheben sich.

Maximilian in die Nacht weisend: Meine Charlotte. Ich sehe die tausendjährigen Zypressen, die Taxodien Montezumas und Guatimozins. Ich sehe die Sterne über beiden Vulkanen. Ich sehe dieses verzauberte Land, auf dessen Hochfläche wir einsamen Seefahrer stehen wie auf dem Deck eines hinträumenden Schiffes. Und ich sehe noch etwas, was ich nicht erkenne und nicht sagen kann ...

Charlotte: Ich sehe dich!

Maximilian: Und ich kann nicht bändigen, was aus mir will und wirklich werden: Das Neue, das Junge, das lang uns überdauern wird.

Charlotte: Lang uns überdauern ... Sie küßt seine Hand.

Maximilian: Aber Carlota!

Charlotte: Ich muß dir etwas sagen. Man hat mir verraten, daß du den kleinen Enkel des früheren Kaisers Iturbide zum Kronprinzen erklären willst ...

Maximilian peinlich berührt: Das ... ist ... nicht ganz so.

Charlotte: Du sollst nicht glauben, daß ich ein kleines Herz habe. Du mußt nichts hinausschieben oder mir verschweigen. Ich weiß, daß ich keine Kinder bekommen werde ...

Maximilian: Wie kannst du das so dezidiert sagen?

Charlotte: Ich weiß es! ... Es ist ein sehr guter Plan, den kleinen Iturbide zu adoptieren. Du mußt einen erklärten Nachfolger bekommen. Das bindet die Nation fester an dich! Und ... und wenn du eigene Kinder haben willst, mein lieber Schatz, dann schick mich fort ...

Der Vorhang fällt.

 

Drittes Bild

Im kaiserlichen Palast zu Mexiko. Sitzungssaal des Staatsrates. Rechts zwei überhöhte Tischreihen für die Mitglieder. Links die Estrade mit dem Präsidententisch des Kaisers. In der Mitte des Raumes ein leerer, grün bespannter Tisch. Große Tür im Hintergrund. Links kleine Tapetentür. Die Versammlung besteht aus fünfundzwanzig Personen. Die sichtbarsten Plätze nehmen die Minister des Kaisers ein: Don Theodosio Lares, Chef des Conseils, Don Lacunza und der moderiert liberale Lizentiat Siliceo. Der indianische General Thomas Meja sitzt in der zweiten Reihe. Im Vordergrund, etwas abseits, steht der Erzbischof von Mexiko, Monsignoie Pelagio Labatista, in violettem Habit. Maximilian verliest seine Rede stehend. Er ist von einem kleinen Gefolge umgeben: Herzfeld, der Privatsekretär Don Luis José Blasio, Museumsdirektor Dr. Bilimek. Diese Herren stehen dicht hinter dem Kaiser. Man trägt durchweg Frack, weiße Handschuhe, große Uniform mit vollem Ordensschmuck.

Maximilian in der Vorlesung fortfahrend: So entstand die heiße Liebe zu Unserem Vaterlande, nicht erst mit der Übernahme Unseres schweren Amtes, sondern ward früh schon durch göttliche Providenz in Unser Herz gesenkt. Pause. Unseres erhabenen Urahns Kaiser Karl des Fünften Feldherr, Fernando Cortez, hat, durch harte Umstände gezwungen, schwere Schuld gegen die edlen Völkerschaften dieses Landes auf sich geladen. Es war immer Unser Traum, die Schuld solcher Grausamkeit wiedergutzumachen. Denn in der Geschichte der Menschen verjährt nichts, und alles muß beglichen werden. Wir haben jüngst das Fest der Unabhängigkeit gefeiert und dem heiligen Namen des Priesters Hidalgo gehuldigt, der als erster das Werk der Befreiung begonnen hat. Wie sehr hätten wir gewünscht, an diesem Tage der Nation Unser Geschenk zu überreichen. Die Ankunft des Schiffes verzögerte sich aber. So können Wir jetzt erst die Waffen und Insignien des adeligen Kaisers Montezuma in Ihre Hände legen. Sie waren dem Trophäenschatz des väterlichen Hauses Habsburg eingereiht. Nun kehren sie zurück als hohes Sinnbild der wiedererstandenen legitimen Macht. Sie allein kann das Vaterland erlösen, dem Unterjochung und Aufruhr so tiefe Wunden geschlagen haben.

Die Insignien seiner ältesten Dynastie gehören nunmehr Mexiko. Wir ordnen an, daß sie im Museum des Staates zur Aufstellung gelangen. Er gibt Direktor Bilimek ein Zeichen.

Direktor Bilimek ein ungelenker Naturgeschichtsprofessor tritt vor den leeren Tisch und zeigt, während er sie erklärt, die Objekte: Hohe Versammlung! Dies ist die juwelengeschmückte Federnkrone Kaiser Montezumas. Er trug sie in der Stunde seines Märtyrertodes. Und hier sein goldener Schild. Auf ihrer nächtlichen Flucht aus dieser Stadt konnten die Spanier die beiden Schätze retten. Er legt die Insignien auf den Tisch und zieht sich zurück.

Der Erzbischof Labatista tritt hinzu und betrachtet mit Nachlässigkeit das Geschenk des Kaisers.

Maximilian liest: Nicht um das Sinnbild allein ist es Uns zu tun. Unser Herz verfolgt einen Lieblingsgedanken. Noch immer wie in ältesten Zeiten bildet die Urrasse, einst Herrin im Land, die Masse der Bevölkerung. Sie wurde von der vornehmen Kulturstufe, die rings die Denkmäler bezeugen, in Elend und Verrottung gestürzt. Muß Unser Herz nicht bluten, wenn Wir die hohen Gaben jener Indianer bewundern, die sich aus den trüben Bedingungen ihres Stammes emporgearbeitet haben? Wieviel Menschen-Gold könnte gehoben werden? Es liegt noch nicht in Unserer Macht, den Pauperismus abzuwenden. Aber des seelischen, sittlichen Elends erbarmen Wir Uns tief.

Hohe Versammlung der Notabeln Mexikos! Trotz aller politischen Probleme, die Uns hart bedrängen, legen Wir Ihnen die große produktive Frage Unserer Staaten ans Herz. Die Indianerfrage! Wir erbitten Ihre Vorschläge zu folgenden Punkten:

Erstens: Einsetzung eines Rates der Indianer.

Zweitens: Lösung des Schulproblems!

Er faltet das Blatt zusammen.

Ich erteile dem Doyen der Versammlung das Wort.

Erzbischof Labatista grobzügiger und zugleich feiner Kopf, wie man ihn bei italienischen Geistlichen mittleren Ranges findet. Ein hartnäckiger, von seiner Sache durchdrungener Mann: Wer kennt nicht das hohe Herz Seiner Majestät des Kaisers, das sich hier in dem kostbaren Geschenk an sein Museum offenbart?

Herzfeld leise hinter Maximilian: Schurke!

Labatista: Nicht minder groß zeigt sich dieses Herz, wenn es das wichtige Problem der Indianer aufrollt. Schulen!? Wahrlich, auch ich sage: Schulen her! Denn im Gegensatz zu Erzpriestern anderer Länder bin ich modern und aufgeklärt. Aber, mein Gott, wer anders als die Majestät hat denn die Errichtung von Schulen (und nicht nur für die Indianer) verhindert? Die Schulfrage ist eine Lehrerfrage. Wo nehmen wir die Lehrer her? Nicht nur ein katholischer, selbst ein ketzerischer Fürst müßte antworten: aus den Ordensstiften, aus der weltlichen Geistlichkeit, da es keine Laienseminare gibt ... Aber die katholische Majestät selber hat das sogenannte Reformgesetz des Erzverbrechers Juarez bestätigt, das die Klöster aufhebt, das Kirchengut einzieht und den Klerus zum Bettler macht. Der hungernde Priester steht weinend abseits. Wie könnte er helfen!

Maximilian: Eure Eminenz malen mit sehr rührenden Farben. Ich kenne kein Land, in dem die Geistlichen Aberglauben und Unwissenheit eifriger nährten als Mexiko. Die Anbetung der Madonna von Guadalupe gleicht ja dem heidnischen Astartedienst.

Labatista: Es gehört zum elastischen Wesen unserer wunderbaren Religion, daß die ewigen Heilswahrheiten sich dem Verstande anpassen, in dem sie sich spiegeln. Katholizismus ist keine Philosophie, sondern Leben.

Maximilian: Ich bin ein guter Katholik, Monsignore! Aber ich hätte mir denken können, daß Sie unversöhnlich meine Absichten konterkarieren werden.

Labatista: Meine Person, die Eure Majestät innig verehrt, steht nicht im Spiel. Die Partei der Kirche aber war es, die Ihnen, Sire, den Thron angeboten hat.

Maximilian: Beliebt ihr's, mir das vorzuhalten?

Labatista: Sie fühlt sich verlassen und verwirrt. Die erste Regierungshandlung Euer Majestät war eine Anerkennung des Kirchenschänders Juarez.

Maximilian: Ich bin kein Parteichef, sondern der Kaiser.

Labatista: Überall steht und fällt der Thron mit dem Altar.

Theodosio Lares, eine nervös glatte Vermittlernatur, ergreift das Wort: Im Namen der Regierung und Nation danke ich Euer Majestät für Ihr historisch wertvolles Geschenk. Was die beiden zur Diskussion befohlenen Punkte anbetrifft, so beantrage ich eine Kommission zu bestimmen, die geeignete Vorschläge auszuarbeiten hat ...

Herzfeld leise: Kommission!? Aha! Du schlauer Totengräber!

Lares: Ihr hoher Edelmut, Sire, bedenke aber! Die Indianer sind die unreifste Schicht unserer Bevölkerung. Als Vertreter der konservativen Gesinnung muß ich vor übereilten Rechtsverleihungen warnen. Man soll nicht mit dem jakobinischen Feuer spielen. Beglücken europäische Souveräne die Klasse der Arbeiter freiwillig mit politischen Rechten? Wohin würde das führen?

Don Lacunza imitiert mit amerikanischer Übertreibung einen Staatsmann des Metternichstils: Ich verkenne nicht die Wichtigkeit des aufgeworfenen Problems. Doch bitte ich Seine Majestät, dringendere Belange nicht zu vergessen. Da ist gleich das Statut des Guadalupe-Ordens. Es muß fester gezogen werden. Der Kaiser zeichnet gewisse Familien aus, an sich hochachtbare Patriziergeschlechter, ... aber jüngere Mitglieder dieser Familien sind der subversiven Gesinnung offen ergeben. Ich nenne die Familie Riva Palacio. Das erregt unter einem treuen Adel Malkontenz. Ferner wage ich submissest anzuregen, daß die Kommerzwelt inniger in den Kreis fürstlichen Wohlwollens gezogen werden möge. Geld will geehrt sein. Sonst wird es abtrünnig. Und wir leben in Amerika.

Lares: Im gegenwärtigen Augenblick würde ein Indianergesetz nicht vorteilhaft wirken. Wir Kreolen sind schließlich die somma gente des Landes, und unsere eigenen Privilegien sind vor dem Indianer Juarez nicht sicher. Humanität? Ja! Aber später!

Lizentiat Siliceo ein ängstlicher Gelehrter: Als maßvoll liberaler Mann begrüße ich einerseits die erhabenen Ideen Seiner Majestät, andererseits kann ich meinen verehrten Vorrednern nicht unrecht geben. Ich begrüße den Plan einer vorbereitenden Kommission ... Denn einerseits ... Gelächter. Andererseits ...

Labatista: Deine Rede sei »Einerseits-andererseits«! Setz dich, Lizentiat!

General Thomas Meja ein dumpfer, kindlicher Azteke von mittleren Jahren tritt vor: Mein Kriegsherr! Ich, Eurer Majestät General Thomas Meja, bin Indianer. Das ist das Leid meines Lebens. Sehnsüchtig blicke ich nach dem höheren Menschen, dem weißhäutigen. Meine Brüder sind häßlich und niedrig. Ich verachte sie. Ihnen wird geholfen sein, wenn sie nicht mehr sind!

Maximilian: General! Spricht Ihr Bruder Juarez wie Sie?

Meja: Der Kaiser wird ihn gefangennehmen und töten!

Maximilian: Wäre es nicht besser, ihn zu versöhnen und zu überzeugen?

Stimme: Die demokratische Revolution muß in ihrem Blute erstickt werden.

Andere Stimme: Dazu haben wir die Franzosen und einen Kaiser geholt.

Maximilian: Gegensätze kann man nicht töten, sondern nur befriedigen.

Lachen und unwillige Ausrufe von allen Seiten.

Maximilian: Meine Herren, Ihr Fanatismus hat nichts anderes erreicht als einen fünfzigjährigen Bürgerkrieg. Ich habe eine harte Stirn und werde ihn beenden. Juarez scheint seine Sache verloren zu geben. Weg mit allem Haß! Ich beschwöre Sie, helfen Sie mir! Man hört plötzlich weit entfernten langdahinrollenden Geschützdonner.

Meja: Kanonen!

Große Bewegung.

Lares: Was hat das zu bedeuten?

Meja: Zehn Leguas Entfernung!

Stimme: Die Antwort des Bürgerpräsidenten!

Labatista: Der Marschall!

François Achille Bazaine Marschall von Frankreich, ist in den leeren Mittelgrund getreten. Er trägt Dienstuniform, Reitstiefel, Reitgerte. Bazaine ist das sehr vergröberte Ebenbild Napoleons des Dritten. Der berühmte Schnurr- und Knebelbart ist schlecht gefärbt. Mit einer Verbeugung gegen Maximilian: Sire! Ich bitte, meine Unpünktlichkeit zu verzeihen. Dringende Berichte hielten mich ab ...

Maximilian: Ich habe dem Marschall von Frankreich keine Vorschriften zu machen. Können Eure Exzellenz der Hohen Versammlung über dieses sonderbare Geschützfeuer Aufklärung geben? Wohl eine Feldübung französischer Artillerie?!

Bazaine: Unsere braven Truppen sind im Begriff, eine starke Bande juaristischer Guerillas gefangenzunehmen. Weiter nichts!

Maximilian: Vor wenigen Tagen, Herr Marschall, haben Sie mir versichert, daß der Feind aus all seinen Stellungen vertrieben sei. Und heute müssen Sie seine Banden, wie Sie es nennen, im Angesichte Unserer Residenz mit Artillerie bekämpfen?

Bazaine mit hochmütigem Ton: Ich werde durchgreifen! Bin bereit, Eurer Majestät über alle Vorfallenheiten Rede zu stehn, aber nicht an diesem Ort.

Maximilian: Ich bitte darum! ...
Hohe Versammlung! Die Sitzung des Staatsrats ist aufgehoben.
Schnell durch die Tapetentür ab mit Gefolge. Nur Herzfeld bleibt allein auf der Estrade und blickt wütend in den Saal. Die Notabeln haben ihre Plätze verlassen und bewegen sich in aufgeregten Gruppen.

Labatista nähert sich dem Marschall: Ist es wahr, Herr Marschall? Sie beabsichtigen, Ihr Stadtpalais zu verkaufen?

Bazaine: Wer sagt das? Welch ein Unsinn!

Labatista: Mein Gott! Es könnte doch sein, daß Sie die ganze Geschichte einmal satt kriegen.

Bazaine: Auf mich kommt es nicht an.

Labatista: Der Neid spricht aus mir, Marschall Bazaine! Ich bewundere Ihr elegantes Haus Buena Vista. Gegebenenfalls denken Sie an mich!

Sie gehen plaudernd ab.

Der Vorhang fällt.

 

Viertes Bild

Im kaiserlichen Palast zu Mexiko. Ein Audienzzimmer. Hohe Spiegel. Im Hintergrund und rechts zwei große Türen. Links eine Portierentür. Einrichtung im gemischten Geschmack des zweiten Empires mit mexikanischen Motiven.
Maximilian, Bazaine und Kapitän der Zuaven, Edouard Pierron.

Bazaine: Dies ist Pierron! Mein junger Freund wird die Verständigung zwischen Eurer Majestät und mir erleichtern. Pierron ist kein banaler Truppier wie unsereins. Meine nüchternen Eigenschaften werden Sie an ihm nicht stören. Er ist Philosoph.

Maximilian: Kaiser Napoleon hat mir Ihre Person warm empfohlen, Kapitän!

Pierron ein häßlicher Generalstäbler, der den in jeder Armee vertretenen sehr belesenen und markiert intellektuellen Offizier vorstellt. Nichtzivilisten sehen ehrfürchtig erschaudernd in ihm einen »Denker«. Solange ihn die dialektische Rage nicht erfaßt, ist er ein guter Kerl: Eure Majestät! Ich melde gehorsamst den Antritt meines Dienstes.

Maximilian: Danke. Er reicht ihm die Hand. Meine Herren! Ich verschweige es nicht. Ich bin tief bekümmert. Die prächtigen Truppen Kaiser Napoleons haben unter Ihrer Oberleitung, Marschall, Erfolg auf Erfolg erkämpft. Juarez mußte sich an die Grenze, vielleicht sogar über die Grenze zurückziehen. Die Entscheidung schien gefallen zu sein ... Und plötzlich beginnt die Gegenregierung mit ungeahnter Energie diesen Guerillakrieg, tollkühn ...

Bazaine: Ich habe Gegenmaßregeln ausgearbeitet.

Maximilian pointiert: Daran zweifle ich nicht, Marschall Bazaine. Nicht nur mein Erfolg, sondern Ihr und Frankreichs Ruhm stehen auf dem Spiel.

Bazaine breit: Allerdings wird man meine Maßregeln unterstützen müssen.

Maximilian: Sie können sich darüber wahrlich nicht beklagen. Ich opfere meine und meines Staates Interessen zugunsten Frankreichs immer wieder auf. Den letzten Bissen Brot werfen wir euch hin. Der Zoll und die Minen sind euer, dabei bezahlen wir den Sold eurer Mannschaften. Ich habe meine Bedürfnisse auf ein Fünftel reduzieren müssen, um die Finanzen zu entlasten. Denn der Marschall ist ein guter Feldherr, aber ein schlechter Sparer.

Bazaine: Diesmal kommt es weniger auf Geld an.

Maximilian: Ihre Unternehmung steht im dritten Jahr. Die Opposition in Paris höhnt. Haben Sie Hugos Gedicht gegen den Kaiser gelesen? Böse genug. Man hat immer gesiegt und nichts erreicht. In dieser Lage senden Sie eine ganze Brigade nach Hause.

Bazaine dreist: Das Urteil über reservate Befehle meines Herrn steht weder Eurer Majestät noch mir zu.

Maximilian ignoriert die Frechheit: Ich verstehe den Kaiser nicht! Diese neue Attitüde des Mißwollens? Und ich verstehe Sie nicht, Bazaine! Sie lassen garnisonieren. Keine Aktion! Keine Verfolgung! Feindliche Zentren bilden sich bereits. Man weist Avancen nicht zurück.

Bazaine: Sire! Sie dürfen ruhig meiner Autorität vertrauen. Mexiko ist dreimal so groß wie Frankreich. Die Soldaten sind marschmarod.

Maximilian: Wir haben das gleiche Ziel.

Bazaine: Aber sehr ungleiche Rollen. Eure Majestät ziehen die strahlende Milde vor, und ich muß den bissigen Hund spielen.

Maximilian: Sie sind Militär! Des Souveräns Tugend ist Güte!

Bazaine: Nicht immer!

Maximilian mit scharfer Wendung: Warum, Marschall Bazaine, hindern Sie mich auf jede Weise, eine nationale Armee aufzustellen?

Bazaine: Mein Herr hat mir die Aufgabe gesetzt, dieses Land zu desarmieren. Ich kann nicht dulden, daß unzuverlässige Flibustier, die sich »General« titulieren, bewaffnete Massen sammeln. Diese Generäle stiften mit den vorhandenen Mannschaften schon genügend Unfug.

Maximilian: Bewundern Sie mein ruhiges Blut! Marschall, Sie sind der herrschsüchtigste Mensch, den ich kenne.

Bazaine: Das Grundmotiv meiner Handlungen ist die Sorge um Eure Majestät. Dies wird einst klar werden. Pierron! was haben wir heute nachts getan?

Pierron: Alle Möglichkeiten erwogen, die Eurer Majestät Thron endgültig befestigen können!

Bazaine: Das Resultat?

Pierron: Gipfelt in einem einzigen Wort: Energie! Energie! Energie!

Maximilian: Erklären Sie sich Kapitän!

Pierron: Eure Majestät allein haben bisher eine ungemeine Milde der Person und Revolution des Juarez angedeihen lassen. Gut! Die Wahlstimmen verliehen dem Mann einen Schein von Rechtmäßigkeit. Nun hat er aber sein Land verlassen.

Maximilian: Das ist nicht erwiesen.

Pierron: Nebensache! Wir erweisen es! Das Wichtigste! Seine Periode läuft ab! Der Augenblick der Initiative ist für Sie gekommen, Sire.

Maximilian: Initiative?

Pierron: Eure Majestät müssen jetzt den Feind zerschmettern, indem Sie ihm den gebührenden Rang einräumen.

Bazaine: Bravo, Pierron, Sie haben das Dekret doch mitgebracht.

Pierron zieht ein Blatt aus seiner Aktentasche.

Maximilian: Ich lehne dieses Dekret ab ...

Bazaine: Sire! Sie kennen es ja nicht ...

Maximilian: Aber ich fühle es in diesem Zimmer.

Bazaine: Pierron! Skizzieren Sie den Hauptartikel.

Pierron: »Jedermann, der als Feind der bestehenden Ordnung mit der Waffe in der Hand betreten wird, verfällt auf Verfügung des nächstliegenden Truppenkommandos dem schmählichen Tode.«

Maximilian ruhig: Marschall Bazaine! Männer meines Ranges sind die Beglücker oder Märtyrer ihrer Völker, nicht ihre Mörder.

Bazaine: Sehr bequem, wenn sie das Morden unsereinem überlassen.

Pierron: Ich habe mich, um Analogien zu finden, in die Geschichte des ersten Napoleons vertieft. Der Titan rät seinem Bruder Josef von Spanien, alle ertappten Malkontenten und Guerillas hängen zu lassen. Hätte König Josef diesen Rat befolgt, wäre Spanien niemals verlorengegangen.

Bazaine ganz eitel wegen der Wissenschaft seines Offiziers: Ja, dieser Pierron!

Maximilian: Habe ich mich noch immer nicht verständlich gemacht. Ich bin kein Cäsar, kein Diktator, kein Usurpator! Ich will nicht mich, ich will nicht meine Macht. Ich bin aus uraltem, längst gesättigtem Geschlecht. Der legitime Herrscher ist der Stellvertreter der weltlichen Liebe Gottes. Guten Willens muß er sein.

Bazaine: Guter Wille, Sire, ist meist schlechte Politik.

Pierron: Und wie gedenken Eure Majestät sich zu fixieren?

Maximilian: Durch Mord? Ich? Durch Mord?! Ich soll Menschen töten, weil sie eine Gesinnung haben?!

Pierron: Für und wider Eure Majestät sterben viele im offenen Kampf.

Maximilian: Das ist etwas anderes!

Pierron: Tod bleibt Tod! Konsequenzen müssen zu Ende gedacht werden.

Maximilian fällt in ein Fauteuil: Ja! Und das ist das Furchtbare.

Pierron: Es gibt für Eure Majestät zwei Möglichkeiten: Sich behaupten oder ...

Maximilian erhebt sich starr.

Pierron: Das Ziel muß erreicht werden. Energie ist die einzige Moral, die dabei in Betracht kommt. Jede Schwäche ist doppelt inhuman, denn sie verzögert die Konsolidierung und verlängert das Blutvergießen ...

Maximilian plötzlich ausbrechend: Man hat mich betrogen.

Pierron: Nicht der Mensch, die Situation diktiert. Das Dekret ist kein unsanfteres Kriegsmittel als Bomben und Granaten.

Bazaine geräuschvoll: Das ist Logik, mein guter Pierron!

Pierron von seiner Dialektik fortgerissen: Recht besehen ist dieser Erlaß ein Akt der Menschenliebe. Drei, vier scharfe Exempel werden statuiert. Das Gerücht verhundertfacht sie. Der Schreck demobilisiert den Feind. Der Widerstand wird zum Verbrechen degradiert. In drei Monaten haben wir Frieden.

Bazaine bäurisch: Ich verpflichte mich!

Pierron: Sire! Würde Juarez an Ihrer Stelle nur einen Augenblick zögern?

Maximilian: Er ist er! ... Leise. Darf ich nicht rein bleiben?

Bazaine: Unsere Truppen sind abgebraucht. Der Guerillakrieg ist die deprimierendste Form des Rencontres. Wir ertragen alles! Für wen? Für Eure Majestät, die sich separiert. Das geht nicht weiter. Sie müssen mich unterstützen. Ich habe strikte Weisung aus Paris. Sie sind meinem Herrn und Kaiser verpflichtet, dieses Gesetz zu unterfertigen.

Maximilian scharf: Ich bin allein meinem Gewissen verpflichtet. Ich verzeihe Eurer Exzellenz die mangelnde Manier. Kein Wort mehr von dieser Sache!

Er steht verabschiedend da.

Bazaine läßt die Maske militärischer Grobheit fallen. Seine Augen werden ganz mongolisch klein vor leidenschaftlicher Tücke. Er geht suggestiv auf den Kaiser zu.

Maximilian weicht mit leicht-abwehrenden Händen zurück, um die ihm notwendige Körperdistanz zu wahren.

Bazaine: Ich verstehe Sire! Sie fordern Bedenkzeit für mein Ultimatum. Bitte!

Pierron: Eure Majestät mögen sich an das Wort Virgils halten. »Wenn ich den Himmel nicht rühre, will ich den Acheron erschüttern« ... Es gilt den Enderfolg!

Er legt das Dekret auf einen Tisch.

Beide Franzosen rechts ab.

Herzfeld vom Sekretär Don Blasio gewiesen, tritt durch die Mitteltür ein.

Maximilian packt ihn: Da lies! Er gibt ihm das Blatt.

Herzfeld schweigt, nachdem er gelesen hat.

Maximilian fast schreiend: Was, Herzfeld, soll geschehn?!

Herzfeld: Niemand prüft die Waffen der Notwehr.

Maximilian krampfhaft: Dezision Herzfeld!

Charlotte ist plötzlich durch die Vorhangstür links eingetreten. Sie trägt den dreijährigen Knaben Augustin Iturbide auf dem Arm. Mit starrem Ernst tritt sie auf Maximilian zu: Hier, Kaiser, bringe ich dir deinen Kronprinzen.

Maximilian nimmt, tief betroffen, das widerstrebende Kind aus dem Arm der Frau: Du?! Du bringst mir dieses Kind?! Er stellt das Kind auf die Erde. Charlotte ... Er nimmt die Hand des Knaben. Du gehörst jetzt zu uns. Könntest du doch Orakel deiner Zukunft sein.

Don Blasio kommt eilig erregt: Eure Majestät! Diesen großen Brief finde ich in meinem Zimmer. Niemand weiß, wer ihn abgegeben hat.

Maximilian wartet, bis Blasio aus dem Zimmer ist, dann überfliegt er das Couvert: »An Maximilian Habsburg ... Vom Hauptquartier des Bürgerpräsidenten« Gott! Gott! ... »Paso del Norte« Gott, Gott! Als Stoßgebet. Jetzt die Erlösung! Jetzt die Hilfe! Jetzt das Glück! Er zerreißt den Umschlag. Mein Bild! Pause. Das ist stark ... Nach fünf gespannten Sekunden wirft er das Bild fort und packt das Dekret. Carlota hilf mir, groß sein!

Charlotte sehr ruhig: Groß bist du aus dir selbst. Kommen Sie Herzfeld! Der Kaiser will allein bleiben!

Charlotte, Kind, Herzfeld links ab.

Maximilian mit dem sinnlosen Ausdruck eines Menschen, dem etwas Unerträglich-Peinliches zugestoßen ist: Das ist stark ... Er verzerrt sich, seine Finger zucken schon, das Dekret zu zerreißen. Plötzlich aber nimmt er eine absichtlich entspannte Haltung an, geht leichten Schrittes zum Tisch, legt das Blatt hin und läutet.

Don Blasio tritt ein.

Maximilian gleichgültig abgewandt: Noch etwas zu erledigen? Menschen?

Blasio: Nichts, Eure Majestät.

Maximilian: Dann danke ich Ihnen, Freund, für heute! Halt! Daß ich es nicht vergesse! Das Blatt hier kommt auf meinen Schreibtisch! Er dreht sich um und blickt mit starrem Aug dem Sekretär nach, der höfisch rückwärts retiriert.

Der Vorhang fällt.

 


 << zurück weiter >>