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Viertes Buch
Laurentin der Landstreicher

Sprüche

Prooemium

Heda, Master dieses Einkehrhauses, einen Whisky!
Heda, Mann, Schenkwirt der großen Wasserscheiden!
Ich bin durstig südwärts der Beringstraße.
Ich fror, so muß ich mir ein Feuer machen!
Durstig werde ich sein nordwärts Assuan und des Jupiter Hamon,
Ich werde das Feuer löschen müssen.
Drum, Master, Euern Whisky her! Und nun seht, wen Ihr beherbergt!
Ich gefalle Euch nicht. Sehe nicht aus wie ein Zobeljäger. Bin ich ein Derwisch?
Oder kam ich auf Seiltänzerwagen her, ein Liebling der Dörfer?
Nein! Ich will Euch sagen: Ich bin allzusehr nach Osten gegangen, so kam ich allzusehr nach Westen!
Das ist meine erste Narrheit, meine erste Weisheit.
Ich bin voll Wanderung und voll Ungeziefers.
Aber ich lache, denn in mir ist unvergänglich Freude. Ich schenke meinen juckenden Leib an Insekten weg.
Ich bin der heilige Landstreicher, unheilig frevelhafter Stifter, verlauster Kirchenvater neuer hinreißender Kirchen.
Ich bin der heilige Dreikönig mit der goldenen Papiermütze.
Immer ist mein Tag, täglich ist mein Tag, ich bin nicht fortzubringen von den Türen.
Ich sage meine Sprüche her,
Ich male alle Teufel an die Wand.
Ich bin kommen, ich komme, das Gesetz aufzulösen,
Ich, der Todfeind, Verhöhner, Henker aller Henker, Richter, Jurys, Präsidenten, Aldermen, Kadis und Alkalden!
Ich bin betrunken! Aber ich komme noch über Euch, ich komme noch über mich mit Nüchternheit und Zorn!
Das ist mein erster Spruch!
Heda, Master, noch einen Whisky, und nicht den letzten!

Der Vorwurf

Glaubst du, ich wäre unverständlich, verständiger Tropf, weil du mich nicht verstehst?
Ist unsichtbar das Gestirn, das du Triefäugiger nicht siehst? Der Sternenmeister sieht es.
Ist unhörbar die erhabene Wirrsal, der chaotische Kanon, Zebaoths Marschlied, der Strahlenchor des Morgens, den du Stumpfhöriger nicht hörst?
Und was verstehst du denn, Verständiger?
Und was ist dir klar, der du Klarheit forderst von mir?
Verstehst du und hast ergründet das süße Leiden des Löwenzahns, dessen gespenstige Krone ein Kind in die Welt bläst?
Und ist dir klar des Wassers Zusammenlauf, daß der Tropfen nicht einsam bleiben will und zum Leib zusammenströmt, zur Gemeinde der Versprengte, Einzelne?
Du zählst die Halme und mißt die Gewässer, du Statistiker, du Statist der Lebendigkeiten!
Aber Halm und Gewässer bleiben dir fremd, wie die geflügelten Sterne.
Und bist du hinabgestiegen, – der du die Worte so klar und verständig setzest, in das Gottesgeheimnis der lebendigen Grammatik?
Ermißt du – der du sie mißt und gebrauchst – die gespendete Gnade der Formen, die Bedeutungen der Konjugation und der Syntax,
Die schwesterliche Zartheit des Genitivs und das Partizipium ein erstarrter Höllensturz, Himmelfahrt, die Gott durch großen Zuruf in Schwebe hält?
Aber ich weiß, du hassest mich, weil ich weiß! Mein Wissen gefährdet dich in deinem Stieren.
Dein innerlich Unfruchtbares ruft mir höhnisch sein Kusch zu.
Aber ich lasse nicht ab.
Ich trompete dir entsetzliche Reveille!
Ich bin dir verhaßt wie einer, der aus dem stickigen Bett den traumlosen Vielfraß rüttelt und ruft: Auf, es ist Morgen!
Ich funkle in den Morgen, eine ungeduldige Tuba.
In meinem Metall bebt schon die Schwingung der letzten Posaune!

Warnung und Lehre

Wehe dir, mein Mensch, wenn du lassest von deiner Welt,
Wehe dir, wenn du ermüdest in deiner Leidenschaft!
Du wirst zur wachsenden Wüste über deinem lebendigen Grab.
Lallende Glocken schlägt Stunde für Stunde die Leere in dir.
Widerlich wird dir dein Antlitz.
Du höhnst dir entgegen.
Schief wird dein Mund, so will es Gott, zum Zeichen!
Nicht rettest du dich in Gedanken,
Sie denken die Verfluchung nicht aus, sie machen dich nicht durstig,
Sie tränken dich nicht. Du schielst vor Nichtigkeit.
Deine Tagworte peitschen dich abends aus.
Lüge, Lüge, Lüge pfeift jeder Hieb.
Deine Eitelkeit, letzte Labung, versickert im Sand.
Am Morgen findest du dich nicht, du greifst nach dir, ob du bist.

Was lehre ich zur Gesundung?
Ein Wort lehre ich zur Gesundung: Hingabe!
Was ist Hingabe?
Sieh an, sage ich dir, hier auf dem niedrigen Ästchen wippend die kleine Bachstelze!
Wie unaufhörlich ihr Schwanz wippt, ein Schwimmer auf dem Sprungbrett, bereit, sich in den Raum zu werfen! Wie ihr Körperlein in die Idee des Wagemuts ausläuft! Wie ihr ganzes Wesen Abstoß ist!
Sieh an, sage ich dir, diesen durchsichtigen, zartblättrigen Erlenbaum! Er wächst nicht mit Schultern in den Raum. Er durchstreichelt ihn, er durchzittert ihn. Er ist wie ein leiser Taumel vergoldeter Sphäre. Gläsern durchfahren ihn Vögel, die er nicht aufhält. Der Abend, ein Teppich hinter ihm. Er gleicht einem Markt zu kühler Stunde mit seinem Treiben.

Spür an, sage ich dir, hier am Bachrand, die Minze überall! Gleicht ihr Geruch nicht, grünstaubig, dem windigen Knabenspiel?
Sieh die Flammen an! Wie verschiedenartig sie sind! Wieviel Geschlechter und Sippen von Flammen gibt es! Die einen gotisch. Spitz falten sie sich, und stechen mit Inbrunst empor. Die anderen aus dem Raub des Prometheus. Mit allen Fingern schüttelt und zerzackt ihr auftrotzendes Haupt das Schicksal!

Soll ich noch mehr nennen?
Fragst du noch immer, was Hingabe ist?
Hingabe ist die Gnade, mit allen Sinnen zu sehen!
Sehen aber ist die Gnade, abzusehn von sich selbst!
Wer aber von sich absieht, wer aber von sich aufsieht, der trägt die Welt in sich.
Wer aber die Welt in sich trägt, der kann nicht verstummen, der kann nicht veröden, denn er liebt!

Der Mächtige

Wie kannst du, o Mächtiger, ertragen das Erblassen der Sklaven, wenn sie in deiner Türe stehn?
Wie ist es möglich, daß du nicht aufspringst und sie an beiden Händen fassest?!
Siehst du nicht, wie ihre Knie auf Wolken gebeugt sind, wie ihre Augen weiß werden, wie ihre Hände nichts mehr von sich wissen, wie ihr Atem schmachtet?
Du aber knarrst mit deinem Stuhl,
Du aber schnarrst mit deiner Stimme!
Doch ich sage dir: Du bist sklavischer als der Letzte deiner Sklavenschaft.
Er ist frei, weil er leidet, vor dir!
Du aber bist stumpf und von Gewicht,
Mit niedriger Stirn gehässiger Knecht deiner Gesetze.

Die Götter lachen über dich.
Sie halten sich den Bauch über deine Stimme.
Ich sage dir, wir leben, die Wesen dieser Welt zu erkennen in ihrem Wesen.
Was aber heißt Erkennen?
Erkennen heißt teilhaben am Schicksal des Erkannten,
Erkennen heißt, ein Hicetubique sein!
Ist Erkennen und Lieben zweierlei?
Erkennen und Lieben ist einerlei.
Du aber bist ohne Erkenntnis, grausame Unfruchtbarkeit, leeres Grönland ...
Darum flüchtest du dich in deine Einrichtungen, in deine Disziplinarordnungen, Komitees, Statuten und Erlässe!
Ich aber will deine Einrichtungen zerschmeißen, deine Disziplinarordnungen anzünden, deine Komitees ausräuchern, dich aus deinen Statuten und Erlässen peitschen!
Ich bin mit Magiern im Bunde, ich bespreche Asmodi und die mächtigen Geister der Heiligen!
Morgen bin ich des Papstes Tischgenoß.
Lerne, sage ich dir, geh in dich! Ich halte Wort.
So wahr ich zerfranste Hosen habe, und in der Tasche fünfundsiebzig Centimes und einen deutschen Groschen ...
Ich halte Wort.
Hörst du? Sieh mir ins Auge, vergeh!

Der Nichtige

Wer aber ist, und wahr ist,
Er blickt sich um ...
Da liegt die goldene Wandrung seines Vormittags:
Dort war ich, was ich hier bin.
Hier bin ich, was ich dort war.
Adler des Mittags heben ihn hin.
Schritt und gute Luft in den Lungen.

Wer aber nichtig ist,
Er blickt sich um ...
Da schwebt der Staub, stockt Schotter-Hohn:
Bin ich der Nebel, der ich dort war?
Hinweg, du Nachmittag!
Lüge will Vergessenheit.
Schuld erseufzt Vernichtung.
Um Dämmerung fleht ein Schatten.

Der Fluch

Es ist ein Fluch über uns.
In uns heißt er: Böser Wille.
Nur Absicht ist in deinen Augen,
Darum wird Einsicht ihnen nicht zuteil.
Du siehst, nur was du willst, zu sehn,
Du siehst, dich zu vermehren, in die Welt.
Das heißt Leben.
Böser Wille ist in deinen Händen,
Zweck zwackt deine Finger.
Was seufzt du! – Wüste!?
Die Welt ist leer, weil sie von dir so voll ist!
So lebst du ohne Gnade.
Doch willst du wissen
Geheimnis der Größe, Geheimnis der Genien:?
Lebe aus Gottes Hand!

Das Unrechte

Es ist ein falscher Schmerz in dir ...
Drum hörst du nicht den Finken in der Fichte.
Es sticht dich böse Unruh auf ...
Drum ruhst du segnend unter Buchen nicht.
Du schielst zuviel nach den Füßen der Weiber ...
Drum hast du Liebe verlernt,
Und wischst den Untergang des Lichts von deiner Wange.

All-Wirkung

Es schwankt ein Nest in hoher Linde.
Bewegt ist es von deinem alten Kinderschlaf.
Ein toter Vogel liegt im faulen Laub,
Du saßest mit im Rate seines Schicksals.
Oh du Sebastian.
Dir stecken alle Pfeile der Welt in der Brust!
Doch, sieh, auch dein Pfeil
Steckt aller Welt in der Brust.
Du bist die Spinne großen Netzes ...
Die Schöpfung harrt des Worts,
Das in dir harrt,
Des Bannspruchs, der sie erlöst.
Du aber wankst hinter den vielen Farben der Frauen.

Weiß und schwarz

Gott schuf die weißen und die schwarzen Engel.
Gott schuf die schwarzen und die weißen Narren.
Alles Weiße schaffet Süßigkeit.
Alles Schwarze schaffet Bitterkeit.

Doch so entscheidet Gott:
Am letzten Tag unsichtbar sind
Die weißen Engel und die weißen Narren.
Das Lichte stirbt im Licht.
Doch sichtbar sind und wirklich am letzten Tag
Die schwarzen Engel und die schwarzen Narren.
Gott mißt allein das heißere Herzklopfen.
Ins Paradies geht ein sein Widerspruch.
Sagt, wie nennen wir also die Welt?
Die Wert-Vertauschung laßt sie uns nennen.

Unmut

Daß all dies noch Sprache ist,
Noch voriges Verlauten.
Gebunden, angekettet, gesetzt!
Und überall möchte ich schon hinaus,
Ich laure durch die Löcher meiner Zerlumptheit.
Aber dies hier ist Welt und wird immer rund,
Und überall die alte Geformtheit!
Da aber sind auch Worte, und eins fängt das andere,
Mystische Polizeispitzel, Angeber, Untertanen. –
Um den Tisch sitzen die Sätze
Und löffeln aus einer Schüssel
Starr, pünktlich, hornhäutige Bauern.
Er aber, der Fremdling,
Der Weise, der Ausgescherte,
Der Sträfling,
Nagt an der Luke, nagt an dem Eisen-Gitter,
Und kann nicht entwischen –
Der erhabne Ausreißer!

Unwandelbar

Da hilft kein Wasser aus dem Versiegen schöpfen,
Da hilft kein Feuer aus dem Verlöschen schlagen,
Da hilft keine Erkenntnis vom Himmlischen, Kühnen, Reinen!
Da bist du, da bist du!
Deine Stimme ist nicht lauter, als sie laut ist,
Dein Mut nicht mutiger, als er Mut hat.
Je mehr du schreist, je weniger Gesang!
Je mehr du tobst, je weniger Tat!
Was übertreibst du? – Die Rampe wankt, aber die Seelen bleiben unerschüttert.
Ich weiß, ich weiß,
Es tönen unterm Himmel noch Heilige, noch Anmutige, noch Vollender!
Wo bist du, wo bin ich?!
Ja, friß die Erkenntnis,
Verzweifle,
Aber knie, wirf dich hin, bete an!!

Schicksal

Die Siege des Großen, gesiegt, werden vor ihm hinfällig und nichtig,
Die Gebirge des Großen, überstiegen, werden vor ihm niedrig und nichtig.
Er ächzt, weil alle Höhe gleich tief ist.
Er seufzt, weil keine Tat ihn übertrifft.
Er wächst,
Aber ewig gleich ist der Abstand. –
Das ziellose Herz zweifelt, wütet an sich,
Wohin es auch versucht, wohin es auch gelingt! –
– Aber die Götter höhnen. –

Die Feuerpaten

Es ward dem König der glänzende Knabe geboren.
Da nahten mit Gaben drei Fürsten des Feuers.
Über den Kinderschlaf schwangen sie ihre Pfannen.
Funken fuhren um ihre glühenden Bärte.
Der erste segnete seine Flamme:
»Sei Feuer,« sprach er, »Knabe, lodernd unlöschlich!«
Der zweite segnete seine Flamme:
»Sei Feuer,« sprach er, »Knabe, weitscheinend und sichtbar!«
Der dritte aber fluchte seiner Flamme,
Ließ sich umlecken die Faust von lüsterner Flamme:
»Sei Feuer,« sprach er, »Knabe, darein ich
Tauche die Faust, die nicht schwarz wird und Asche.
Sei Feuer, lodernd unlöschlich, weitscheinend und sichtbar!
Doch wie nichts andres verzehre dich selbst nicht!
Entzücke, süß entzündeter Schein, aber stirb nicht!
Sei Feuer, Knabe, in das du die eigene Faust tauchst!
Unleidender, leide den Fluch zu Ende!«

Da entsetzten die Gäste sich alle der Feier!

Die Meister

Seht, es gibt so viele Antlitze!
Hört, es gibt so viele Beschaffenheiten!
Aber die Meister haben nur eins gelehrt.
Aber die Meister sind einig gewesen.
All Lebensschlaf ist Vielfalt!
Hört mich, ihr babylonischen Träumer,
Ihr Tausendtoren, ihr Auseinandersprecher, ihr Charaktere und aufgeblasenen Babeltürmer!
Verbissen in verständige Tollheit,
Was wißt ihr vom Auge der Pferde,
Was von der sinkenden Hand des Kranken,
Was vom Hinwandel der Frauen,
Ihr Gewaltsamen, Fischäugigen!?
Da glaubt ihr zu besitzen, wo man hineinstößt,
Da glaubt ihr zu haben, wo man heraussäuft!!
Aber dennoch, ihr Bluthunde, –
Nur ein Hauch, nur ein Haar, nur ein Schritt,
Euer Auge hat Schein zum Scheinen –
So wenig fehlt zur Erlösung.
Aller Schlaf ist Babel und Vielfalt,
Aber Erweckung ist Einfalt!
Das wissen die Meister,
Wanken einfältig trunken,
Kennen die Augen der Pferde
(Ihr Auseinanderwisser!),
Folgen mit hohem Lobspruch
Der Einfalt des Werkes, dem Wandel der Welt.

An die Sibylle Mara

Einsam sind wir auf dem Erdenstern.
Eitle Peitsche treibt uns wie Kreisel.
Zu Spiegel werden alle Geschwister.
Süß tänzeln wir im Spiegel-Labyrinth.

Doch Nächte sind. – Es zerbricht das Spiegelnde.
Zwischen blitzenden Splittern strömt unser Urfluß.
Die Leere ersäuft und geschwollenes Nichts,
Wenn der heilige Wind des Gesanges sich hebt.

Da sprechen wir unsere Sprache, die Sprache des Sirius,
Aller Wesen Sprache auf allen Sternen.
Wir schreiten in tiefumschlungener Heerschar.
Das Herzklopfen Gottes sind wir da. Nichts andres.

Dämonen

Oh fühle nun,
Da die Dämmerung mit ihren Krähn
Und modrigen Altarfetzen
Flattert über die Entlaubnis,
Da Grabeskerzen taumeln,
Und Harpyien windig niederfahren
Durch Zwielicht und Zweifelherbst, –
Oh fühle du die alten Götter hocken auf den Bergen,
Böse über Zigeuner-Kesseln, die Verbannten!
Oh fühle du die Entzweiung der Mächte,
Zu deinem Haupt geballt die beiden Balger!
Der schickt dir Regen, boshaft Boreas, –
Der Seelenherzog
Hermes über die schwankenden Lampen
Läßt er dich stolpern des Erebus.
Günstig ist dir der Leto-Sohn
Und günstig der Löser,
Günstig auch Kypris.
Doch dir zu Häupten
Ilischer Kampf der Dämonen!
Du selbst der Staub nur ihrer Schlacht,
Du selbst der Schreck nur ihres Schreis,
Das Beben der Sphäre,
Kurzhaftender Blitz ihrer Pole,
Du nur der alte Sohn ihrer Balance.

Die Lerche

Ich springe aus dem nächtigen Laub auf.
Ich spanne mich wie einen Bogen in den Morgen.
Näher donnert die Sonne, noch unterirdische Pauke
Näher dem Gekräh!
Auf frühen Schollen frühen Lebens finde ich die Lerche.
»Geliebter kleiner Vogel, irdener Vogel, bist du da und gleichst an Farbe und Einfalt dieser Erdenscholle?«
»Ich gleiche der Erdenscholle, mein Freund, ich bin sie selbst, ich bin Erde, Erde, die über sich ansteigt.«
»Steigst du an und bist trunken ohne Trunk?«
»Ich steige an, mein Freund, und bin trunken. Ich ward, als der Geist innehielt im Flug und rückwärts sah in den Morgen.«
»Bist du so hoher Abkunft, und falb doch, und ohne Ansehn?«
»Ich bin gering und falb von Ansehn, denn zusammengedrängte Leichte bin ich, Gestalt des Geistes, Überwindung, Aufbruch, Anstieg!
Ich bin armselig, damit gewaltig unter dem Feuer mein Gesang sei.
Ich bin Verheißung, Tröstung, Hochamt, Unverlöschliches von unten nach oben!«
»Oh kleiner geliebter Vogel!«
»Ein Gleichnis bin ich, mein schwerer Freund, wie du selbst!«

Die Vollkommenen

Sie haben sich zusammengetan auf der Wiese und sagen: Wir sind schön.
Innerlich ist ihr Morgen, Gottes Schritt ihr Tanz.
Unentwirrbar glücklich ihre Augen!
Ihre Augen scheinen: Wir sind vollendet!
Von seligem Gesetz geflügelt die Hoboe ihres Atems.
Ihr Atem spielt: Wir sind vollkommen!
Aber warum jetzt dieser Schauer auf ihrem Tanz?
Diese Angst, diese dünne Bosheit?
»Warum wird hochmütig eure Stirn, ihr Schönen,
Warum hart und gebieterisch euer Nacken?!
Warum läßt euer Fuß den entzückten Schritt?«
»Siehst du denn nicht, du Tor, es ist ein Schatten auf uns.
Siehst du denn nicht, sie schleicht um unsre Vollendung?
Sie trübt den Teich unseres Gleichmuts mit Mangel.
Siehst du sie dort? Am Rasenhang sitzt sie.
Sie sieht zu uns her, die häßliche Agnes.
Sehnsüchtig verschränkt sie die Hände ums Knie.«
»Geh von uns, geh von uns!
Du kannst nicht mit uns sein!
Hörst du uns, geh doch!
Du dort! Geh fort, du!
Wir leiden, wir scheiden, wir stoßen dich aus.«

Ja, geh nur, geh du nur, Agnes, den wehmütigen Weg hier hinab,
Wo die Pappeln schon scharf werden, geh!
Geh in deinen bitteren Tag, dort, wo die lauten Höfe schon dampfen.
Meine Torheit aber wendet sich ab.
Meine Torheit aber fragt meine Weisheit:
Ist das Vollendung, ist das Vollkommenheit, was ausstößt und abscheidet?
Meine Weisheit aber sagt zu meiner Torheit: Einzig nur das ist Vollendung, einzig nur das ist Vollkommenheit, was ausstößt und abscheidet!
Meine Torheit aber greift sich ans Herz, meine Torheit aber ruft: Wehe denn also der Vollendung, Fluch denn über die Vollkommenheit!

Lobpreisung

Wenn aber die Vollkommenheit ihr Kleid zerreißt
Und niedersteigt in den Dunst der Küchen,
Wenn aber die Vollendung, unendliche Charis,
Sich legt zu des Schreibers Armseligkeit,
Wenn aber die unantastbare Fürstin
Den Aussatz küßt und lächelt den Mißgeburten ...
Dann werfe ich mich zur Erde, dann weine ich, dann lobpreise ich.
Denn ich bin ein Prediger der rasenden Spannungen.
Ich reiße die Pole auseinander um des feurigen Stromes willen.
Über alle Triebe preise ich den Durst,
Über alle Elemente das Feuchte,
Über alle Bewegung das Strömen!

Die Widersacher

Es werden aber kommen die Trockenen
Und preisen das trockene Element.
Es werden kommen die Gefrorenen
Und preisen die Starrheit als Bewegung.
Du traue nicht den Männern des zweiten Worts.
Den Wider-Wörtlern, den Antwörtlern.
Den Läufer will der Lahme meucheln.
Der Läufer aber kennt die Welt,
Lädt sich den Kobold auf den Rücken,
Geht mit dem Haß durch,
Der sich selbst zergrinst.

An die Dichter

Oh Dichter, alle meiner Zeit,
Vor deren geliebten Namen
Der Knabe oft in hohes Grauen schwand!
Oh Dichter,
Mitsterbliche, gefährtenhaft,
Verloren wandelnd über die vielen Meridiane:
Ich komme gesenkt,
Ich rühre euch an
Mit meinem Saum,
In großer treulicher Liebe.
Oh Dichter,
Erschallende, tröstende Bojen,
Von Gottes Güte getan
In diesen zynischen Taifun!
(Er hält sich an euch an
Mit armen Armen, der Schwimmer.)
Oh Dichter,
Ihr großen, immerschreitenden
Mit aufgedrehtem Antlitz Blinden!
Und immer immer
In weißem Kleid, mit Schritten,
Immer, immer – ihr Blinden straßenhin!
Ich komme, ihr Heiligen,
In eueren schallenden Morgen,
Wo geistiger Stern noch weht.
Da toben noch nicht die hartherzigen Räder,
Und nicht gerben Elend und Hohn
Der Frauen schlafenden Schein.
Ich komme, ihr geneigten Häupter!
Ihr mit den starren Lidern des Bildwerks!
Ich nahe euerer donnernden unhörbaren Küste,
Ich stehe vor euerem stummen erbrausenden Wald.
Mit gebeugtem Knie,
Ehrfurchtsvoll wecke ich euch,
Daß ihr herüberseufzet zu mir
Von euerer Schiffahrt!
Ich spreche in eueren Traum:
– Immer müssen erste Menschen sein
Wieder atmend auf neuem Ararat. –
Ich rufe euch zu heiligem Schicksal,
Ich trage euch Martyrium her,
Und nur Verlust und nur Verfolgung!
Ich leite euch,
Wie ein Knabe einen riesigen Blinden leitet.
Ich führe euch zu untenwachsender Zusammenkunft.
Ich bereite euch vor zu dem Genuß des weitergereichten Weins.
Ich lade euch in die Katakomben
Zu großer Verschwörung, zu tiefem Geheimnis.

Geheimnis

So reich bist du, als du tränenreich bist.
So frei bist du, als du dich selbst überspringst,
So wahr bist du, als du dich kannst verwerfen.
So groß bist du, als klein vor dir der Tod ist.
So tief bist du Wunder,
Als du tiefe Wunder siehst!

Unwichtig

Ich bin ein Freund der vielen Feuerwasser,
Ein Kunde der Betrunkenheit.
Denn es ist viel Gericht in mir.
Drum sage ich mir manchmal:
Geh fort du!
Weise mir manchmal die Türe.

Weh, wenn das Wort dem Geist beischläft,
Die herrische Gattin!
Entbildet sind die Bilder,
Zum Schall verschachert das Wesen.

Nun sitz ich hier, Freund aller Feuerwasser,
Schaue die Bilder der Schmetterlinge,
Die Blüte des Apfelbaums.
Bin der Staub, der ich bin,
Ein niederer Mönch nur,
Ein Saufbruder der Vorhöfe,
Nichts wert,
Nichts wertend,
Unwichtig und quitt!

Was ein jeder sogleich nachsprechen soll

Niemals wieder will ich
Eines Menschen Antlitz verlachen.
Niemals wieder will ich
Eines Menschen Wesen richten.

Wohl gibt es Kannibalen-Stirnen.
Wohl gibt es Kuppler-Augen.
Wohl gibt es Vielfraß-Lippen.

Aber plötzlich
Aus der dumpfen Rede
Des leichthin Gerichteten,
Aus einem hilflosen Schulterzucken
Wehte mir zarter Lindenduft
Unserer fernen seligen Heimat,
Und ich bereute gerissenes Urteil.

Noch im schlammigsten Antlitz
Harret das Gott-Licht seiner Entfaltung.
Die gierigen Herzen greifen nach Kot, –
Aber in jedem
Geborenen Menschen
Ist mir die Heimkunft des Heilands verheißen.

Mein eigener Henker bin ich

Du wirst so viel meinem Wortwerk nur glauben,
Als ich selbst vom Welt-Werk zu glauben vermag.
Dich Hellhörigen täusche ich nicht,
Der mit preußisch-jüdischem Grinsen des Feinds
Mein nächtliches Zimmer teilt.
Dich täusche ich nicht, mich täusche ich nicht,
Keinen täusche ich, auch die Nachwelt nicht.
Du richte mich nicht!
Ich selbst richte mich, da ich mich baue.

Leicht hat das Leben, wer stimmlos ist.
Aber die bösen Ohren der Unsingenden
Ersehnen wollüstig, daß falsch singt, wer singt.
Wenn ich daneben singe,
Bin ich ein Gelächter im Gefüge.
Nicht brauch ich deinen Lustschrei, Grinsender!
Ich singe mich, ich baue mich.
Mein eigener Henker bin ich so.
Dies ist meine angeschmiedete Freiheit.

Sein und Treiben

Erkennen ist noch Hast.
Auch Können ist Unrast.
Wer wirklich ist, der ist!
Der wohlgeborene Hund darf sein.
Der mißgeborene Hund muß springen.

Gestörtes Gleichgewicht ist die Welt

In die Trompete von feinem Metall
Stößt ein unhimmlischer Hauch. Warum?
In die Trompete von trübem Metall
Stößt ein himmlischer Hauch. Warum?
Wagschalen-Gesetz herrscht inmitten des Baus.
Doch ist gesorgt, daß das Zünglein nicht ruht.
Geheimster Mangel zermalmt unsern Mut.
Das Ohr des Horns hört seinen Schall gut.

Der weinende Zerstörer

Wer ist der grimmigste Verbrecher?
Der unter Tränen dich zerbricht, ist es.
Wer ist der böseste Vernichter?
Der die Trümmer streichelt, ist es.
Wer ist der kälteste Zerstörer?
Der die Scherben um Verzeihung bettelt, ist es.
Wer ist der furchtbarste der Feinde?
Den ihr nie hassen werdet, ist es.
Hört es Frauen, Mädchen!

Liebe

Oh ihr Königssöhne und Jünglinge!
Einst waren Nächte. Es wölkten sich die Tanzsäle um euch.
Wach waren Zimbel und böser Duft der Cafés.
Da hinget ihr an der Gelassenheit der Göttinnen.
Wie der leise Nebelkranz am Atem der Alpe
Schwebte eure Sehnsucht um die Almen der Sitzenden,
Hing im Geklirr ihrer Zierate.
Und ihr sagtet: Wir lieben!

Was ist geschehen? Die Säle haben sich entwölkt.
Ein Sträfling streut Sand aufs Parkett, als gälte es Mord zu verschütten.
Der lange Entzückungsschrei verflattert im Geheul.
An einem wackligen Bette stehst du, Jüngling!
Die Glieder der stolzen Schrittmeisterin sind ein Gespött.
Du gingst mit einer sanft strahlenden Fürstin schlafen,
Nun sitzt eine arme graue Krähe am Bettrand,
Eine fröstelnde Witwe verhüllt den Verfall ihrer Brust.
Wer sagt noch: Wir lieben?

Ich aber traurig auf meinem Stein sitzend lehre euch, ihr Königssöhne und Jünglinge!
Wehe, wer nachhängt dem Schmelz und dem Schimmer!
Er hat sich dem Reichtum verschrieben,
Der Fledermaus, die aus allen Herzen Gott saugt.
Er ist verfallen der Begierde,
Er ist verfallen der Enttäuschung.
Denn das sind die Pförtnerinnen der beiden Tore.
Der Enttäuschte wird nimmermehr glauben,
Der Ungläubige nimmermehr leben,
Nie sagt der Unselige mehr: Ich liebe!

Das Geheimnis aber ist: Zu lieben das Ärmste,
Zu lieben der eingefallenen Wange Göttlichkeit,
Zu lieben den Blütenfall unter dem Frauenaug,
Zu lieben die Süßigkeit der Gebrechlichen.
Zu den Schmerzen gehn, ist das Geheimnis, und Schmerz werden!
In des Abgrunds Tiefe, wo es nicht Willen gibt noch Lüge,
Mag flüstern die Lippe: Ich liebe!

Der reine Mensch

Wenn ein reiner Mensch deinen Raum betritt,
Läßt sich Gottes Gegenwart nieder auf Stuhl und Tisch.
Der Sonnenstrahl zittert vor Andacht,
Aber die Spiegel erblinden,
Und alles Böse in dir wird müde.
Deinem Teufel wird übel,
Wenn süß dein Herz zu flattern beginnt.

Er aber steht da, der hohe Arme,
Mit fast zerrissenen Stiefeln,
Verschossen der Samt seines Überrocks.
Doch begrüßt er dich
Weise mit der Höflichkeit des Paradieses.

Aus bösem Traum erwacht
Siehst du in seine großen Augen, –
Gedämpfter Jubel aller Mittelmeere
Schläft still in ihrem Licht.
Und seine einfache Stimme hörst du,
Die spricht immergut mit alten Eltern.

Da wieder, totes Herz,
Strömst du empor
In großer Mütterlichkeit
Zu ihm, zu allem Sterblichen.

Wieder erwachst du in Verheißung!
Verheißung:
Daß dereinst jeder seinen Acker bestellt,
Daß ein Meister des Abendgedankens sein wird,
Wer am Morgen ein Meister des Pflugs ist.

Wenn ein reiner Mensch deinen Raum betritt,
Oh Gegenwart Gottes!

Stufenleiter

Ich bin vornehm, sagt der See,
Ich steh still.
Doch unedel bist du, Fluß,
Du fließt irr!

Fließe ich, so fließe ich
Doch vorwärts.
Edler Steher, stehst dich ab
Zum Sumpf einst.

Rollt das Meer aus seiner Tiefe:
Kruppzeug!
Fälschen ihre Ohnmacht um
Zum Wert gern.

Kannst du fließen, See? Und du,
Fluß, stillstehn?
Also ist dein Adel Neid, dein Fernlauf
Knechtschaft!

Ich nur fließe, Pack, und ich nur
Steh fest.
Tief aus mir allein wächst Flut,
Wächst Stillstand!

Bricht ein Sturm aus: Lügnerin
Atlantis!
Wer bewegt dich, sag's mir, wer
Entläßt dich?

Nur mein Wille, der dich stillt,
Dich toll macht.
Ich bin einig und mein Wert
Ist: Frei sein!

Singt ein Stern: Du Sturm bist meiner
Herkunft.
Erzgeheim erreget dich
Mein Einfluß.

Ruhe bin ich und mich meidet
Maßlust.
Denn ich weiß mein hoher Wert
Ist unmein.

Was an mir geschieht heißt Licht.
Ihr teilt es.
Preiset drum das erste Wort
Des Urmunds.


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