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Erstes Buch
Die Geburt der Schatten

Balladen

Ballade von Wahn und Tod

Im großen Raum des Tags, –
Die Stadt ging hohl, Novembermeer, und schallte schwer
Wie Sinai schallt. Vom Turm geballt
Die Wolke fiel. – Erstickten Schlags
Mein Ohr die Stunde traf,
Als ich gebeugt saß über mich zu sehr.
Und ich entfiel mir, rollte hin, und schwankte da auf einem Schlaf.

Wie deut ich diesen Schlaf, –
Wie noch kein Schlaf mich je trat an, da ich verrann
In Dunkelheit, als mich eine Zeit
In mein Herz traf!?
Und als ich kam empor,
In Traum auftauchend Atemgang begann,
Trat ich in mein vergangnes Haus, in schwarzen Flur durchs winterliche Tor.

Nun höret, Freunde, es!
Als ich im schwarzen Tage stand, schlug mich eine leichte Hand.
Ich stand gebannt an kalter Wand.
Oh schwarzes, schreckliches
Gedenken, da ich ihn nicht fand,
Den Leichten, der mich so ging an,
Und mich im schwarzen Tag des Tors geschlagen leicht mit seiner leichten Hand!

Es fügte sich kein Schein,
Und selbst das kleine schnelle Licht, das sich in falsche Rosen flicht,
Und unterm Bild verschwimmt und schwillt,
Das kleine Licht ging ein.
Es trat kein schwarzer Engel vor,
Kein Schatten trat, kein Atem trat aus dem kalten Stein!
Doch hinter mir in meinem Traum, aufschluchzend kaum versank das Tor.

Und auch kein Wort erscholl.
Doch ganz mit meiner Stimme rief ein Wort in meinem Orkus tief.
Und wie am Eichen-Ort ein Blatt war ich verdorrt.
Weh! Trocken, leicht und toll
Fiel ich an mir herab und fuhr in Herbst und großem Stoß.
Mich nahm ein Wort und Wind mit fort,
Das Wort, das durch mich stieß, das Wort mit dreien Silben hieß, das Wort hieß: rettungslos!

Oh letzte Angst und Schmerz!
Oh Traum vom Flur, oh Traum vom Haus, aus dem die Frau mich führte aus!
Oh Bett, im Dunkel aufgestellt, auf dem sie mich entließ zur Welt!
Ich stand in schwarzem Erz,
Und hielt mein Herz und konnte nicht schrein,
Und sang ein – Rette mich – in mich ein.
Der Raum von Stein baute mich ein. Ich hörte schallen den Fluß und fallen, den Fluß: Allein.

Und da es war also,
Tat sich mir kund mein letztes Los, und ich stieg auf aus allem Schoß.
Im schwarzen Traum vom Flur zerriß und klang die Schnur.
Und ich erkannte so,
Warum da leicht und fein die Hand mich schlug,
Die schwach an meine Stirne fuhr,
Und meinen Gang geheim bezwang, daß ich nicht wankte mehr und kaum mich selber trug.

Und als ich ihn erkannt,
Den Augenblick, der mich trat an, da war ich selbst der andre Mann,
Und der mir hart gebot, ich selber war mein Tod.
Und nahm mir alles unverwandt,
Und wand es fort aus meiner Hand und hielt's gepackt: –
Genuß und Liebe, Macht und Ruhm und jammernd die Dichtkunst zuletzt.
Und stand entsetzt und ausgefetzt und ohne Wahn und aufgetan und völlig nackt.

Oh Tod, oh Tod, ich sah
Zum erstenmal mich wahrhaft sein, mich ohne Willen, Wunsch und Schein,
Wie Trinker nächtlich spät sich gegenüber steht.
– – Er lacht und bleibt sich fern und nah – –
Ich stand erstarrt in erster Gegen-Wart, allein, zu zwein.
(Ach, was wir sagen, lügt schon, weil es spricht.)
Ich fand mich, ohne Wahn mich sein, und starb in mein Erwachen ein.

Im großen Raum des Tags
Hob ich mein Haupt auf aus dem Traum und sah auf meinen Fensterbaum.
Die Stadt ging hohl, Novembermeer, und schallte schwer,
Der Himmel glühte noch kaum.
Ich aber ging hinab mit großem Haupt und Hut,
Und ging durch Straßen, rötliches Gebirg und Paß ...
Mein Haupt vom Traum umlaubt noch. Ging mit dumpfem Blut.

Ich ging, wie Tote gehn,
Ein abgeschiedner Geist, verwaist und ungesehn.
Ich schwebte fern und kühl durch Heimkehr und Gewühl,
Sah Kinder rennen und sah Bettler stehn.
Ein Buckliger hielt sich den Bauch, und eine Greisin schwang den Stock und schrie.
Leicht eine Dame lächelte. Ein Mädchen küßte sich die Hand ...
Und ich verstand, was sie verband, und schritt durch ihre Alchimie.

Ballade von einer Schuld

Am Rande Oktoberwalds, –
Der Morgen, alternder Schlaf,
Verfallen seufzte herbei.
Nachttiere wischten, eins, zwei.
Specht war noch nicht da.
Weiß schwang sich die Straße vorbei,
Ich fuhr mit der Straße vorbei.
Baum rührte mich an wie ein Ahn,
Verwelkender Abraham
Aus Blättern sang greise: Es sei!
Im Kreuz hing mir ein schwer Blei.
Mich führte ein Bann ohne Schritt.
Da fuhr aus dem Waldort ein Schrei,
Und zweimal und dreimal ein Schrei,
Ich weiß nicht, wer da Tod litt.
Es war eines Kindes Schrei,
Der mich entzweiriß, zerschnitt.
Es war von viel Männern Schrei,
Schrei war wie von Weibern mit.
Wie der Haufe, den Hufschlag zertritt,
Schreit, war da ein Schrei,
Wie flehenden Volkes Schrei,
Und doch nur wie Kindes Schrei,
Das den Tod von Würgern erlitt.
Daß Gott mir verzeih,
Mich führte die Straße mit.
Ich lief nicht, ich half nicht herbei!
Schnell machten die Winde es quitt.
Ich sagte: Du träumst nur vorbei,
Auf dieser Straße vorbei.
Es war nur ein Schreck und kein Schrei,
Und der Tag ist da, eins, zwei, –
Die Schleier schleifen schon mit.
Die Felder voll leichten Geschneis, –
Das Zwielicht schneit leicht ohne Schrei,
Die Felder weiß schweifen herbei.
Ich sagte: Du wachst dich schon frei.
In Tag dich und Frische schon frei.
Erzväter drohten mir fein
Mit schüttelndem Laub, und ich glitt
Aus dem Meiler in Tag und in Schritt,
Aus Weiler und Einsiedelei,
Aus dem Waldbann in Tag und in Schritt.

Ballade von Nachtwandel

Nachtwandelnder Gesang, Gesang von Wandel und Nacht!
Gesang aus Blindheit! Sang nicht mein und dein! Gesang im Rollen,
Gesang im Altertum der Nacht! Wir gleiten über Schollen
Mit Flügelfüßen, Schritten ungefühlt und überwacht.
Wie unser Wandel sich hebt, wie unser Schritt sich lebt, ist von Gewicht
Das Obere behängt, die Brust bedrängt, der Atem überfrachtet
Von Last, die wie schlafendes Kind um uns sich flicht.
Von Last, die wir einst als für nichts erachtet.

Was ist, daß wir wandeln mit allzu großem Haupt,
Doch leichten Fußes vor uns das Unbekannte tragen?
Von fern, den wir nicht sehn, ein Baum naht halbentlaubt,
Uns groß mit Hundeblick, nur daß er sei, zu sagen.
Was ist, das nun von oben eingeflößt –
– Nacht, die hinsingt, und ein Gesang, der nachtet –
Ertönt, und schwerer sich von unseren Lippen löst
Gesang, den wir einst als für nichts erachtet.

Warum, ist dieser Nacht Erde wie Traum und Rauch,
Daß wir wie Geister was uns unten hält nicht fühlen?
Wir sind so leicht und schwer, wenn große Blum' und Strauch
Vorbei geschlossenen Augs in unser Wehen kühlen.
Leicht hinter uns fällt Rohr und Lattich zu
Wie Totes, das sich zu verbergen trachtet,
Die Nachtwelt leer erweht von leerem Du,
Vom Du, das wir so sehr für nichts erachtet.

Und doch, warum die Last auf uns, Last wie von Mord,
Als hätten altes Urteil wir längst vergessen.
Wir wollen uns erinnern, doch der Ort,
Ort aller Nacht versagt, was wir besessen.
Verließ ich eine Frau, die starr nach mir ergraut,
Verriet den Freund, der in Katorgen schmachtet?
Durch Leere und Raum uns kein Gedenken taut
Nach dem, was wir zu sehr für nichts erachtet.

Nachtwandle Ballade den Gang, Sang deine Bahn!
Ich weiß nicht, wer du bist und ob ich dich hinsagte.
Bist du, bin ich wie Totenreich ein Wahn,
Der in der Nacht durch Kraut und Strauche klagte?
Und waren wir's, die wachten durch den Wind,
Oder wart ihr's, die ihr durch Windnacht wachtet?
Nimm Urlaub, Sang, versagend wer wir sind,
Die wir nachtwandelnd uns für nichts erachtet!

Ballade von zwei Türen

Ich ruhe in einer Pagode von Traum.
Meine Feinde schleichen am Waldsaum.
Sie sind wie von Nebel, gespitzt und schief.
Ich schlief mich in Weihrauch tief.
Meine Hand rührt sich ein Jahrtausend nicht,
Ich fühl keinen Leib, nur ein dunkles Licht.
Mein Gesicht ist von blinder Schau versteint,
Fern stößt in sein Horn ein reitender Feind.
Ich hebe mein Bein nicht aus dem Moor,
Eine Glockenblume kitzelt und streift
Wie der Kuß eines Kindes mein rauschendes Ohr.
Ein Glockenwind in meine Krone greift.
Es atmet in mir ein Schallen lang,
Und Gesang ist mein Starren, mein Starren Gesang.

Ich ruhe in einer Pagode von Traum.
Tiefsinnige Flecken durchflicken den Raum.
Zwei Türen sehe ich offen stehn,
Den rechten Himmel zerschwärzen Krähn,
Den linken goldrote Störche verwehn.
Die eine Türe heißt: Lügnerin,
Die andere Türe heißt: Wahnsinn.
Ich ruhe inmitten und rühre mich nicht.
Der Tierkreis umfitticht mein Moosgesicht.
Die Feinde lachen mit Waffengetös, –
Von Atem zu Atem dicht
Trifft mich ein rhythmischer Tropfen bös.

Kleine Ballade an die Schwester

Liebe Schwester, liefen wir durch große Wiesen?
Ist es wahr, daß wir den Löwenzahn
Selbst versonnen in die Sonne bliesen?
Lachten wir uns unter Reisig an?
Knirscht im Park noch immerdar der Kies?
War einmal ein Leierkastenmann, der Pan Radecky hieß?
Wuchsen einst vor unsern ganz zerschlafenen Blicken
Leise Gletscherberge auf wie weiße weite Blechmusiken?

Saßen wir an sonnentollen Tischen
Mit dem Lachen großer Gliederfraun?
Kruzifixe schreckten uns in Lampennischen,
Tief aus unserm Traum trat der Fluß Traun.
Standen wir, zwei Seelchen, an den Seen?
Sahen Liebe ahnend wir den Rauch der kleinen Dampfer wehn?
Lebten wir ins Klingeln einer Heimfahrt urverloren?
Aßen wir am Abend unter Hirschgeweih bei den Drei Mohren?

Ach, warum, wenn Bäume mich mit Schmerzenslaub berühren,
Eine Fichte mich durchraucht mit lang verwirktem Dunst,
Müssen böse Hände meine Kehle schnüren,
Geister häufen falschen Schrei und Worte zwischen uns?
Und ich weiß nicht, wer ich war und wer ich bin!
Meine Seele spannt sich wie Geschwür und fiebert hin.
Und die Schläfe, wie jetzt meine Hände drüberstrichen,
Ach sie brannte, Schwester, so von unsern toten Sommerbienenstichen.

Gesänge

Gesang der Memnons-Säule

Oh Zeitlichkeit,
Die wiederkehrt zu zeitlicher Stunde!
Oh sagenhafte Höhlung, von alter,
Erfüllt von Urverwirrung noch!
Noch ist der Atem
Im unbestechlichen Horn,
Noch steht der Tonstrahl, Sehne des Bogens,
Unabgelöset, unverrückt dahin.
Nun aber,
Ah! Nun aber
Rollt schon der Donner den Himmel aus.
Die Dämmerung, leise Lawine, dahin im Kreis ...
Oh Zeitigkeit,
Die den Bogen erweckt!
Ernst ist der Rand und streng.
Die Höhe grünt wie Knabentum,
Doch in der Kuppel
Schon stehn die Adler golden.
Die jammernde Wüste wirft sich,
Das Böse seufzt.
Denn was sich wachend selbst liebt,
Haßt sich im Morgenschlaf.
Nun aber,
Ah, nun aber
Nun aber ist es da mit einemmal.
Und wie es mich anhaucht
Mit rötlichem Wind,
Und ansteckt mit mildem Phosphor,
Mich verläßt,
Und anschüttet immer mehr!
Wie es fährt über meinen Knauf
Mit hauchendem Gefieder,
Und wie es taucht um meinen Fuß
Mit kühlen, vielen Mädchen ...
Jetzt aber,
Jetzt stampft es auf,
Unhörbar, stolz und neu,
Mit unverbrauchten Feuern!

Oh Hoffnung,
Daß wir nicht umsonst sind,
Oh Reinheit,
Oh Vergebung,
Morgendlich entzündend dich und mich!
Oh Morgen, Morgen, Brüder,
Oh täglich neu tauendes Haupt!
Oh täglich neu erschaffener Mensch!

Ich aber verfalle vor Gesang.
Denn mich tötet die Stimme in mir.
Leicht hat ein Singen der nichtige Stoff.
Wer aber Stein ist und dauernd,
Den erwürgt der Sang,
Den zertrümmert das Lied.
Doch wenig ist und klein die Stimme innen,
Und alles ist die Erweckung,
Die Göttin
Geschüttet über mich hin.

Säule bin ich
Im Mittag,
Schattenwerfend, stumm.
Mich rührt kein Kampf der Stämme
Und nicht die Mühe
Des Mühlkamels,
Die Frauen auch nicht
Am Brunnengewind'.
Denn wer berufen ist und gefordert
Von einer Stunde,
Nicht ist ihm gegeben der Tag,
Nicht Reichtum und Vielfältigkeit.
Und wer gefordert ist vom Gesang,
Ist Säule und wirft
Den unbeweglichen Schatten
Und schweigt.
Unmenschlich ist
Der Menschliche, der Dichter.

Novembergesang

Das ist November.
Jahrzeit der Mühlen,
Wind der schwarzen Frühmessen,
Friedhof,
Und Tausendnächtlichkeit
Der kindischen Lichtlein
Und ihre Angst.
Nun sind die Stapfen schwer
Im Straßensumpf.
O, wie wir atmen,
Wir armen Tiere!
Aber es errötet schon
Unser Ofenrost,
Wenn draußen das zweifelnd freie,
Verhöhnende Rabenvolk
Fährt über den Tod der Gottsbäume,
Über Schollen und schlotterndes Moor.

Nun sagt November:
Das ist eure Welt! –
Und schnaubt in den Rauch
Des schnaufenden Gauls,
Und schnaubt in den Qualm
Der qualvollen Erd'.
Nun tragen wir
Geheimnisvollen Strohkranz
Und Distelschmuck.
Nun vergessen wir euch,
Ihr Freunde, lieben Freunde,
Da unser Atem pilgert
Durch keuchenden Acheron.
Nebel zwischen Bergen und Wäldern,
Nebel
Zwischen unseren Häuptern, Freunde!
Vergessen unser Blick,
Und daß wir uns anrührten,
Und lachten bei den Wahrsagern,
Und tanzten unterm Kronenlicht,
Und abwärts stürzten
Im Abendprunk die Triumphfahrt!
Verloren die Lüge unserer Lust.
Da wir doch lügen mußten!

Es schärft sich der Tag.
Und streng wird die Nacht.
Arm sind wir und ohne Brot.
Niemand holt uns Wasser vom Brunnen.
In unserer innerlichen Stadt
Schon wächst das Spital.
Und die Irren
Keifen im kreischenden Garten.
Der Gott des alten Stroms
Benagt die Selbstmörder,
Wenn alle Dome brummen.
Doch die Dämonen,
Unsere unausweichlichen
Schutzengel, Schutzteufel,
Würfeln über den Häusern,
Raufen im Rauch,
Schlagen die Wolken-Schlacht.
Leis aber von unserem Fenster
Sinkt das trostlose Horn ab,
Des guten Hüters Horntreue,
Nächtlich ein schwacher Flug.

Dies sei uns aber gesagt,
Euch, die ihr mich vergaßet,
Mir, die ich euch vergaß!
Vergolten werden die Sünden.
Pünktlich, gerecht!!
Dies, Freunde, ein großer Trost.
Denn hier ist ein Sinn.

Dezembergesang

Dezember ist braun.
Frost rostet die Felder.
Umstarrt sind die Stangen,
Die Bäume umbaut.
Die Menschen gehn
Hinter trübem Kristall.
In sich verstorben
Besteigen sie flirrend die Hügel,
Jeder nach innen gerichteter Tod.

Tod aber ist Leben der Seele.
Wir klirren an unsere Grenze. –
Dies ist ein
Geheimnis der Gemeinschaft.

Sturm,
Nordöstlicher Khan
Reißt den Kranz vom Wegkreuz,
Kreischt: Stirb, stirb!
Aber ein weißes Wiesel
Zückt über den Hang,
Letzte Freundlichkeit,
Das Lächeln eines vereisten Fakirs
Zu Häupten des schlafenden Kindes.

Weg, Baum, Haus, Kreuz,
Geschlossener Füße
Einwärts schaukelnd
Chinesenschritt
Rennen, rennen
Immer schneller
In Nacht, in Nacht.
Wie ein keuchender, dampfender Strom
Will alles zur Nacht.
Denn dort ist noch Heimat
Und dort sind noch Feuer.

Dezember macht Fremdlinge
Mit weißen Bartspitzen.

Ich aber, Fremdling,
Ich aber weiß ein Feuer
In Urheimat,
In von allen Seiten schief
Anwachsendem Tempel.
Über offener Kuppel steht
Niemals nachtendes,
Niemals tagendes Blau.
Aus scheinenden Brunnen
Gleichmäßig wachsen die weißen Zacken,
Biegen und bäumen sich leicht.
Die Priesterin aber,
Jetzt hebt sie langsam
Die langsam tönenden Arme,
Und ihre Hände – nicht in Harfen – ruhn
Im gelassenen Zwischenreich.
Die Meere aber sind voll
– Die kleinwelligen Schalen –
Von Segeln, vielfarbigem Tausend.
Seereiher streifen
Nie winternden Schaum,
An Küsten
Aufwärts bevölkerte Felsen
Schallt ein Korsarensang.

Fragment der Eurydike

Wie gut, daß ich von deinen Fersen ließ,
Und wieder durch den Schlaf der Tale fließ.
Nun bin ich an den alten Bach gebannt,
Ich kleine Flamme, wandelnd im Gewand.
Und weil ich von den hellen Kernen aß,
Neigt mich der leichte Wind auf Schilf und Gras.
O weise Müdigkeit, o Müdigkeit, die weiß, –
Wie weise weh ich durch den Schlafenskreis.
Nicht kann ich, Freund, dich halten an der Hand,
Da wachend du verkennst, was schlafend ich erkannt.
Und die mit fernem Lächeln dir entglitt,
Merk auf, sie weiß von Tor und Weg und Schritt.
Und die in tiefster Wolkenfremde geht,
Das Heimische ihr ziemt, daß sie's versteht:
Was sich im Licht begegnet fremd und groß,
Hier ist es nah und wie aus meinem Schoß.
– – – – – – – – – – – –

Der Ruf

So stand sie schon vor dem großen Nachmittagstor
Und hielt mit ihrer Hand den Durchblick zu.
Ihr Kleid sang westlich im tiefen Wind.
Dort aber war der Tag,
Wo Munde abwärts ernster werden,
Und Hände hart, die nicht mehr streichelnden.
Des Auges Wille geht dort nicht mehr aus vor Herz.
Nicht rast das Antlitz mehr dort,
Die süße Fläche ebbet, weh, flieht in sich.
Der Schritt verwaltet keinen Tanz mehr dort.
Schritt schreitet Arbeit, Arbeit dort und Verlust.

Ihr Fuß stand auf dem Schwellenstein.
Doch ihre Hand vor ausblickendem Aug.
Das Haar im Westwind leicht ...
Ich rief sie an.

Doch wie sie sich wandte,
Wie sie horchte nach dem Rufenden hin,
Hob in den Lüften um sie ein Kampf an.
Die ernsten Dämonen des Ausgangs taten sich in Wind,
Rafften mahnend vorwärts Kleid ihr und Haar.
Aber die jauchzenden Götter des Aufgangs
Warfen sich in die Saiten der Sonne,
Töneten, sangen die Leichte zurück.

Da aber wankte ihr Antlitz unter den Schatten,
Und sie sah mich stehn im rollenden Tag,
Sah mich unter den brüllenden Festen:
Ruhm, Mittag, Lüge, Gesang und Blauheit!
Sie selbst war Wachsen schon der Brüst', Aufbruch des Munds ...

Ich rief noch einmal –
Wie im leichten Schmerze,
Zögernd,
Wehte sie ihre edle Mädchenheit mir her.

Verlust

Dich noch verlieren,
Der ich dich schon verlor in mancher Mitternacht!
Dich noch verlieren,
Der ich dich scheiden sah so oft im frühen Fünf-Uhr-Licht!
Ich liebte dich,
Also starbst du mir stündlich.
Ich bin vertraut mit dem Schreck meines Erschreckens,
Vertraut mit meinem Wanken im Traum.
Noch glänzest du über den Weg dahin,
Ich aber sah dich sinken schon zur Seite.
Noch dämmst du wandelnd den Sommer mit deinem Sommer,
Ich aber saß schon an deiner Stätte.
Noch lachst du die Treppe hinab,
Ich aber füllte schon die öde Lampe auf.
Noch bist du da, noch schiedest du nicht ab, noch atmest du das liebe Zugeteilte,
Ich aber verlor dich oft in strengen Frühen, ich kenne mein Witwertum.
So überaus ertönst du mir noch,
Ich aber schüttete schon die Schale über dein Gras.

Vergessen

An dieses Flusses Walten wachend,
Hinüberruhend
Nach des Eilands, nach des Schilfes nördlichem Drang,
Habe ich dein vergessen.
Vergaß dein Antlitz,
Deiner Züge Niederwehn
In die offenen harten armen Hände.
Vergessen hab ich deinen Schmerz in diesem Abend ...
Niedrige Möwen schnellen über Wirbel hin.
Das Gras braust in die Nacht.
Weh, mein Gesicht ist Sünde.

An eine Lerche

Heil Dir, zarter Lied-Geist,
Vogel warst Du nie!

Shelley

 

Du heiliges Zittern unter dem toten Oben!
Du geistiges Schwirren über dem tödlichen Unten!
Du immer fruchtbare, fruchtbare Seele!
Oh Hoffnung, nicht unser,
Inmitten dieses tränenlosen Abgrunds!
Wir heben die harten Füße
Zu Trommel und Sträflingsmarsch.
Trompete, Peitsche im offenen Fleisch,
Ätzt uns und reißt uns voran.

Doch dich fühlen wir
Überm Sklavennacken,
Dich Wärme klein,
Dich Gottesflämmlein Lieds.

Oh du Leben, einfältiger Punkt,
Du bist nicht unser!
Denn wir lügen,
Wir brüllen und stieren,
Stößt uns der Wächter zur Suppe.
Viel fürchten wir
Unsern Herrscher, den Hieb. –
Und so nicht sind wir, was wir sind.
Du aber, Lerche,
Du unversehrte zarte Wahrheit,
Du tust dein Leben,
Du schwebst deinen Sang, und
Du bist, was du bist.

Trinklied

Wir sind wie Trinker,
Gelassen über unsern Mord gebeugt.
In schattiger Ausflucht
Wanken wir dämmernd.
Welch ein Geheimnis da?
Was klopft von unten da?
Nichts, kein Geheimnis da,
Nichts da klopft an.

Laß du uns leben!
Daß wir uns stärken an letzter Eitelkeit,
Die gut trunken macht und dumpf!
Laß uns die gute Lüge,
Die wohlernährende Heimat!
Woher wir leben?
Wir wissen's nicht ...
Doch reden wir hinüber, herüber
Zufälliges Zungenwort.

Wir wollen nicht die Arme sehn,
Die nachts aus schwarzem Flusse stehn.

Ist tiefer Wald in uns,
Glockenturm über Wipfeln?
Hinweg, hinweg!
Wir leben hin und her.
Reich du voll schwarzen Schlafes uns den Krug!
Laß du uns leben nur,
Und trinken laß uns, trinken!

Doch wenn ihr wachtet!
Wenn ich wachte über meinem Mord!
Wie flöhen die Füße mir!
Unter den Ulmen hier wär ich nicht.
An keiner Stätte wäre ich.
Die Bäume bräunten sich,
Wie Henker stünden die Felsen!
In jedes Feuer würf ich mich,
Schmerzlicher zu zerglühn!

Trinker sind wir über unserem Mord.
Wort deckt uns warm zu.
Dämmerung und in die Lampe Sehn!
Ist kein Geheimnis da?
Nein, nichts da!
Kommt denn und singt ihr!
Und ihr mit Kastagnetten, Tänzerinnen!
Herbei! Wir wissen nichts.
Kämpfen wollen wir und spielen.
Nur trinken, trinken laß du uns!

Erscheinungen

Der Gerichtsherr

Es schritten aus die Schöffen
Und hielten vor dem Sitz.
Es verbeugten sich die Alten
Vor dem nickenden Kaiser.
Das aber war der Herr von Huai-Nan,
Der vielweinende Kaiser,
Liu-Han der Fürst.

So brachten sie nun,
Es brachten die Alten
Die großen Insignien:
Das Buch und die Tafel,
Den Pinsel und Griffel,
Das Beil und die Peitsche,
Die Pfanne der wartenden Flamme.

Fallen aber ließ Liu-Han
Das Buch und die Tafel,
Den Pinsel und Griffel,
Das Beil und die Peitsche,
Die Pfanne aus langsamer Hand.
Nicht trennte der Kaiser
Die weilende Lippe
Vom vorwärts erstarrten Auge,
Nicht den schon singenden Mund
Vom vorwärts gefrorenen Blick:
Ich kenne das Schicksal des Schlafes,
Nachtatem, Schlafodem,
Atem der Menschen
In den Asylen,
In den Kasernen,
Gesänge des Atems
In den Spitälern,
Schicksal der Schlafe
Unter dem wimmernden Licht.
Atemgesänge
Hochtönend, tieftönend,
Die Welle der Knaben,
Den Absturz der Alten,
Schlafantlitz, Nachtantlitz,
Den kindischen Mund
Des träumenden Mörders,
Des Steuerpächters
Verdorbene Lippen ...
Ich kenne den Atem
Der wehenden Hallen,
In den Asylen,
In den Kasernen
Das Schicksal des Schlafs.

Ich kenne das Welken der Sünd'rin,
Das Welken vor meinen Schranken.
Immer stürzen die Wangen, die jungen, guten.
Nacht sammelt sich unter dem Aug,
Die Haare beginnen zu dämmern.
Ich kenne die Stunde der Sünd'rin, der jungen, guten.
Nicht wird sie mehr verwüstet von ihrem Liebsten.

Ich kenne den Triumph des Gehenkten.
Wie höflich wankt er im Winde!
Er verbeugt sich, er verhöhnt mich,
Er hat mir die Sünde vererbt.
Nun winkt er mit seinen Fransen.
Ich atme sein Schicksal des Schlafes.
Nachtatem, Nachtantlitz ...
Aber die Sünderin streichelt mich,
So fern schon die gute, schmachtende,
Mit der nachtenden Wange.
Grau flattern der Jungen die Haare,
Ich kenne ihr Schicksal des Atems.
Ich verfluche das Buch,
Ich hebe an, das Gesetz aufzuheben.

So sang der Herr von Huai-Nan,
So sang Liu-Han der Kaiser,
Vorwärts erstarrt auf seinem Sitz,
Sang vor seinen gerechten Schöffen
Die aber ruhten in sich.
So saß er zum Abend
Und schielte vor Denken.
Dann stieg er hinab
Und wankte aus seinem Gerichtstag.

Der Tempel

O Tempel, in die
Zarteste Stunde gebaut,
Wenn schon die unermüdlichen
Schmetterlinge
Kreisend verwelken an
Der alten Lampe des Weisen und
Die Träumer plötzlich das Haupt
Tauchen aus tausend Fenstern.

Tempel,
In solcher Stunde erschallend,
Läßt du uns gehn
Über die Treppe.
Nur wenig leuchtet
Die Laterne voran des Priesters,
Wenn tief der Tierkreis
Brüllet und leis im Schlaf.

Wie bald doch steh ich
Und schon im Kuppelsaal.
Dort aber wölbt sich
Der offene Himmel.
Ein Morgen
Macht ihn schon fast
Zum verschwommenen Knaben.
Doch in dem hellen Boden
Findet er sich bemessen
Zu unseren Füßen wieder
Genau
Im bildenden Wasserteich.

Wie da ruhen
Über unseren Schultern
Die einhaltenden Vögel,
Die Planeten sich aus!
Sitzen sanft eine Weil' nur,
Geschlossener Flügel
Auf atemlosen Säulen.
Einer trällert im Schlaf.
Aber als letzter
Luzifer schwirrend
Hebt sich hinweg
Morgender Stern,
Mit fernem Gelächter
Spiegelnd Gefieder
Im schon helleren Bassin.

Nun aber seh ich
Wolken grünen im Wasser.
Sehe dreifach
Das Strandgut treiben
Im kleinen Umkreis
Des Brunnenteichs.

Wohl weiß ich,
Und nimmer täuschet mich wer,
Mattes und Morsches.
Drei Dinge schwimmen:
Kleines Brett Noahs,
Binsenkorb Mosis,
Holzspan der Krippe.
Drei Schatten schwimmen
Auf wachsendem Himmel.

Nun aber schreiten –
(Da es bald noch mehr Frühe ist)
Die Männer hinaus,
Die herrlichen,
Nach der Abfertigung.
Über den Brauen
Schimmern die Glatzen vor Osten.
Sie neigen und schreiten,
Die Heiligen schreiten
Hinter Planeten,
Frühe Arbeiter
Und kühl
Von diesem Himmel und Frische.
So schreiten sie,
Ohne zu wecken,
Gesenkte Stirnen,
Aus allen Türen zugleich
Hinaus aus diesem
Kuppelkreis,
Die Verschmäher der Speise.

Das Gebet Mosis

Nicht vierzig Tage, vierzig Nächte,
Nicht vierzig Jahre und aber vierzig!
Nein vierzig Leben, vierzigmal vierzig Leben!
Dies noch zu wenig. Ich will mich rühren nicht!
O Söhne, Knechte, stützt mir die Arme auf,
Die Arme mir empor, hört ihr, Knechte, Söhne!
Die Arme stemmt mir empor, türmt mich hinauf!
Hörst du, ich bin kein Bittender, ich bin der
Alte Furchtbare, dein alter Kampfhahn bin ich,
Dein Türeinschläger, dein Gläubiger-Ungetüm!
Ich lasse nicht ab, ich rüttle an dir, ich renne dich ein!
Ich bin der alte Festungsstürmer, du zitterst, du kennst mich!
Verrammle dich, versammle nur um dein Haupt die Diener der oberen Feste und der unteren Feste,
Die Engel der Lehre, die Engel der Vollstreckung, sie taugen dir nicht!
Ich lasse nicht ab, ich zerschmeiße deine Wälle, ich saufe deine Gräben aus, ich schleife dich.
Ich fahre in deine Ordnung, ich werfe mich kopfüber in dein Walten, du widerstehst mir nicht.
Ich beiße mich in deine Brust, ich flechte mich in dein Feuer, ich hämmere mit Fäusten an deinen Mund!
Ihr Söhne, Knechte, werft mich empor! Fühlt ihr den brüderlichen Orkan!?
Auf, auf! Du wirst mich nicht los, wie du dich auch windest.
Ich halte dich, du mein Feind, du mein Vater, an deinem Saum unwiderstehlich!
Ich befehde die Rotte um deinetwillen, du mein Feind!
Ich befehde dich um der Rotte willen, du mein Vater!
Ich habe keinen, nicht dich und nicht die Rotte!
Ich kämpfe nach oben und nach unten,
Ich tobe auf einem Berg zwischen dir und ihnen.
Ich bin nicht wohlgeneigt. Lache nie. Ich bin Trompetenschrei, Unversöhnlichkeit, Feind allen Ausgleichs!
Ich führe keinen Frieden herbei, denn mein Schwert schlägt Himmel und Erde!
Ich lasse dich nicht, du wendetest denn an allen Enden!
Ich bin die Wahrheit, die nicht vertrieben wird, die Gerechtigkeit, die man nicht zur Seite nimmt.
Ich will mich an deine Majestät hängen mit meinem Außentum!
Auf, auf, ihr Knechte, Söhne, stützt meine kriegerischen Fäuste gut!
Du entgehst mir nicht in deiner Unendlichkeit!
Du mußt mir Rede stehn mit zitternden Lippen!
Ich fordere dich vor dein Gericht, Richter!
Da ist keine Flucht mehr, ist kein Ausweg.
Du erscheinst – ich kniee deine Welt ins Nichts –
Ich schlage dich mit deinem Namen,
Du erscheinst, du rechtfertigst dich, du wendest es denn!

Absalom

Die große Verfolgung hat begonnen, Absalom!
Bald wird greifen dein schönes, schönes Haar
Die Hand der neigenden Trauerweide.
Aber eh dein Verfolger dich faßt,
Dein König, Absalom, der du selbst bist,
Ist deinem Mund gegönnt ein Gesang,
Deinem Mund eine liebliche Herzfreude.

Innehältst du in deinem Lauf.
Verschwunden die Nebengedanken-Hunde ...
Die Meute zupft deinen Mantel nicht mehr,
Du stehst in deinem Lächeln! Woher,
Wohin lebt dein Lied im Morgen?:
»Unter den Menschen ist Freude.«

Aus dem Traum einer Hölle

Eintritt

Als, den wir alle kennen, sich der Wald
Der Mitternacht vor meinen Schritten teilte,
Und leicht der Weg aufatmend wurde kalt,

Der hallend und doch lautlos weiterweilte,
Und zwischen Traum und Träumen dichtgebaut,
Umsäumt von Wildnis in den Morgen eilte,

Da hab ich meinen Stern zuerst geschaut,
Als ich des Weges ging in eine Weite,
Wo Wald und Traum sich seitwärts schon geblaut.

Es war die Welt des Tals zu meiner Seite
Noch nicht geboren und sie wallte hin,
Endloser Herde wolliges Geleite.

Da war es, daß der neue Stern erschien,
Der in mich eingriff, daß ich mich nicht kannte,
Nur eines wissend, wie erwacht ich bin!

Und eine kühle Frühe glutlos brannte,
Wie nie noch eine Frühe brennend war,
Die je ein Wind auf Nachtruinen spannte.

Die Frühe brannte. Doch kein Ding war klar,
Denn sie war alles. Ich nur in ihr wachte.
Nichts als mein Wachsein war mir offenbar,

Als mich der unbekannte Stern entfachte.
Und fremd und kühl mein Fühlen in mich riß,
Daß ich erwachend nur mein Wachen dachte.

Vor diesem Traum erschien wie Finsternis
Der Tag, in dem ich lachte, grüßte, sprach,
Und las und trank und in die Speise biß.

Doch wird in Worten nicht mein Wachen wach,
Und wie der Stern in jeder Ader rollte,
Dies neu zu fühlen ist die Seele schwach.

Ich weiß, daß meinen Schritt ein andrer wollte
Auf dieser Straße, die sich heller hob
An einem Fluß, der über Blöcken tollte.

Ein kleiner Wind in meinem Rücken schnob,
Wie hinterm Herrn ein Hündlein keucht und klingelt,
Dann springt's zur Seite, bellt und streitet grob.

Ich aber ging von einem Tal umzingelt,
Das tieflebendig ohne Leben war,
Dem Lauf entlang, der wirr sich abwärts ringelt.

Und immer war ich meines Sterns gewahr,
Der ins Geäste meines Wesens zückte,
Und endlos blaß mir flatterte im Haar.

Die Straße klang, die nach den Bergen rückte.
Dort, fast erstickend, schien das Tal gepackt,
Das zitternd sich an grimmige Schenkel drückte.

Ich ging mit mir in einem fremden Takt
An schnellen Wassern jener Klamm entgegen,
Den Bergen windig und mit Wald beflaggt.

So schritt ich neben meines Herzens Schlägen,
Die wurden plötzlich schmerzhaft wirr und schnell,
Ich konnte kaum die Hand zur Brust bewegen,

Als aus des Morgens wachsendem Geröll
Entgegenwandernd Menschen mir erschienen,
Sie lachten sanft bestrahlt und gingen hell.

Und ich erkannte sie, begegnend ihnen:
Die Eltern waren es – und noch so jung –
Und ein Spaziergang war in ihren Mienen.

Und hinter ihnen – oh Erinnerung –
Die Schwestern liefen, und die eine schlug
Den Ball aus seinem Netz mit kleinem Schwung.

Zuletzt der Knabe traumzerfahren trug
Auf seiner Schulter einen grünen Fänger.
Ich selbst erkannte mich in jedem Zug,

Und wollte rufen. Doch wie einem Sänger
Der höchste Ton zerbricht, so blieb ich stumm ...
Sie, leichten Hauptes, zögerten nicht länger.

Nur noch von ferne sahen sie sich um,
Aus Augen sehend, welche mich nicht sahen,
Durch mich, an mir vorbei, ins Morgentum.

Ich wartete, bis sie dahin geschahen.
Und konnte nicht zurück, wie's mich auch zog,
Und mußte den erzürnten Bergen nahen,

Wohin der Stern, die schwache Wolke flog.
Und in die Engnis tretend, die erdröhnte,
Folgt ich dem Fluß, der roh sich niederbog.

Die Felsen, die mich überlaubten, krönte
An jedem Vorsprung Kruzifix und Bild,
Sie schwankten in dem Wasserwind, der stöhnte.

Der Himmel über mir war überfüllt
– So klein und hoch – von Durcheinanderscharen
Wahnsinniger Vogelwirrnis schrill und wild.

Nun hob die Straße sich, um einzufahren
In eine Brück', die übers Wasser sprang,
– Mit Balken, die zerkratzt von Worten waren.

Es war die Brücke ein gedeckter Gang.
Oh Gang und Brücke! Doch am Brettgerüste
Verschmachtet eine Lampe ohne Trank.

Und ich trat ein, wo wüst das Licht mich grüßte.
Der Gang erklang und wurde lang und lang,
Als fände er nicht mehr die andre Küste.

Und auch mein Gehen wurde lang und bang,
Denn unter mir erweiterten sich Fugen,
Daß oft der tiefe Schaum dazwischensprang.

Oh Traum, den viele Kindernächte trugen,
Oh Traum der Brücke, die inmitten brach,
Daß sanfte Wasser unsere Knöchel schlugen!

Ich schwankte unter altem Brückendach,
Das Licht hub an, im Rücken sich zu enden,
Und meinem Schwanken schwankten Schatten nach.

Und schwanker ward es in den schwanken Wänden,
Und alle Planken schwankten überm Schacht.
Ich stand vor Bann unfähig, mich zu wenden,

Und sank in eine mütterliche Nacht.
Da aber brach ein Wind in mich, und Leben
Und Tosen ein und süße Übermacht.

Mein Blut begann wie leichter Stoff zu schweben,
Ein Wille riß mein Antlitz morgenhin,
Und als ich aufsah, stand ein Mann daneben.

Oh Antlitz, das seit erstem Anbeginn
Gebaut aus Traum und Seinesündewissen!
Oh Blick, um Sieg nicht eitelnd und Gewinn!

Oh Mund, du Grotte stürzender Gewissen!
Oh Fläche, nicht von Willen überirrt,
Von Ernst umlaubt und leichten Finsternissen!

Vor diesem Antlitz bin ich abgeklirrt
Und konnte meine Scherben nicht mehr halten,
Von Schatten überschüttet und verwirrt.

Und mir entgegen innige Gewalten,
Ein Wald von Ruhe beugte sich und schwoll,
Ein schwarzes Rauschen füllte meine Falten.

Ich aber hob ein Haupt von Spinnen voll
Hinein ins Reine, das ich nun erkannte,
In Wind und Spiegel, der vor mir erscholl.

Und hörte staunend, daß ich Worte nannte,
Und hörte fern mich rufen: »Dichter, sprich,
Gebild im Mantel, Antlitz, du bist ...?«

Er aber, der mein Wort zur Seite strich:
»Nenn meinen Namen nicht, den ich nicht trage,
Doch gib mir deine Hand, ich führe dich.«

Er faßte mild mich an. Mit süßem Schlage
Bis in das Herz mir die Verwandlung fuhr,
Und ich verlor die Schwere meiner Tage.

Doch kurze Zeit hielt meine Hand er nur,
Bis wir auf wohlgepflegter Wiese standen,
Vor uns war Haus und Turm. Es schlug acht Uhr.

Das Haus, das wir vor unsern Augen fanden,
Aus meinen Jahren stieg es alt mir auf.
Ich sah die Buben, einzeln und in Banden.

Die einen langsam, andere im Lauf,
Die Bücher schleppend, unterm Arm, in Taschen,
Und jeder sah verstört zur Uhr hinauf.

Und meine Freunde sah ich auch. Mit raschen
Schlenkernden Winken riefen sie mich an
Und machten in die Taschentücher Maschen.

»Heut ist Virgil«, hört ich noch einen, dann
Zertrat er ängstlich seine Zigarette.
Die Türe schloß sich hinterm letzten Mann.

Der Stern erbleichte über dieser Stätte.
Mein Führer aber rührte an das Tor,
Das tat sich auf mit durchgerißner Kette.

Und ich erkannte alten Korridor,
Die Bilder an den Wänden waren wieder.
Ich sah zur Alexanderschlacht empor.

Die kalte Treppe stieg ein Alter nieder
Und fuhr in seinen Bart und lachte knapp.
»Quousque tandem?« fragte er mich bieder,

Und schüttelte den Kopf und sah herab.
Ich hörte ungeheure Schritte fallen,
Er aber schwand vor meinem Blick bergab.

Von ferne höhnte eine Türe knallend.
Mein Führer aber hob die Hand und ging
Voran durch Gänge schattenhaft und schallend.

Und an der Wand Insekt und Schmetterling,
Die in den Kästen aufgespießt sich spannten,
Entflatterten in einem wirren Ring,

Als sie den Meister meines Wegs erkannten,
Und schwärmten um sein Haupt als Fetzenkranz,
Verrückt durchsichtig kreisende Trabanten.

Am Ende aber sank der Gang, der ganz
Von reinlichen Figuren überhängt war,
Und tauchte ab in einen schwarzen Glanz.

Wo das Gewölbe endlich eingeengt war,
Blieb, der mich führt, vor einer Türe stehn,
Die rings von Dickicht tausendfach bedrängt war.

»Hier ist der tiefe Ort, um einzugehn«,
Der Dichter sprach. »Willst du die Inschrift lesen,
Die Worte, die auf uns herniedersehn?«

Ich sah der Türe mir vertrautes Wesen,
Die Klinke, Holz, von schwacher Farbe braun:
»Direktorat« war da, sonst nichts zu lesen.

Doch er befahl mir deutlicher zu schaun!
Ich aber sah die Inschrift, wie ich nahte,
In fürchterlichen Lettern sich aufbaun.

Die alte Schrift vor dem verruchten Staate.
Neun Verse! Alt im Ohr der letzte schloß:
»Lasciate ogni speranza voi ch'entrate!«

Jetzt nahm aus einer Nische mein Genoß
Zwei Krüge, Wein und Honig, und sie schwenkend,
Mit dunklem Seim die Schwelle er begoß,

Mit wenig Tropfen eine Stelle tränkend,
Da schrie die Türe leicht, wir fuhren ein,
In grenzenloses Abwärts uns versenkend ...

Nur zart und kühl auf meiner Schulter – klein
Fühlt ich die Amsel meines Sternes sein.

Das Café der Leeren

Wie um uns noch die riesige Babel rollte,
Auf Schienen tollte, in Kaminen schrie,
Hob mich mein Lehrer, wo's schon ferner grollte,

Kurzatmender die Straße stieß und spie.
Ins Schattenatmen schwindend einer Treppe
Hört fern den Feind ich, meinen Schritt, wie nie!

Auf einer Höhlung höhnte sein Geschleppe,
In einer Ödnis donnerte sein Beil,
Es war ein Saal, und dennoch Rauch der Steppe.

Der andere schrittlos sprach zu mir: Verweil!
Ich sah den Wolkendrang zu Häupten kochen,
Aus dem ein Licht schlug abwärts grauen Keil.

So war verwesender Himmel unterbrochen
In diesem Saal von einer Lampe Unmut.
Mit Sklavenstrahlen kam sie angekrochen,

Die schlichen ab, wie ein Gepeitschter tut.
Ein Summen, Surren, ungeheures Sieden
Erfüllte mich und Traum wie Kesselsud.

Eh noch der Sinn sich selber unterschieden,
Stand ich in einem scheußlich strengen Chor.
In Kreisen donnernd, die einander mieden,

Nach allen Seiten vor und hoch empor,
Unendlich durcheinander, kreisten, höhnten
Schwarz Fliegenvölker ans verlorne Ohr.

Mit jedem Nu die Kreise schwärzer dröhnten,
Und stiegen auf und ab im lauten Rauch,
Den sie wie mit Metallen überstöhnten.

So war durchräumt des Saals verwester Bauch
Von einem Raum, den selbst das Grab nicht bildet,
Kein Atem der Natur glich seinem Hauch.

Oh Traum, in dem sich dieses Feld gefildet,
Oh Traum, da dennoch Saal im Nebel lag,
Sich Wüste wüstete und Wildnis wildet ...

Mein Atem, der ins Herz davor erschrak,
Begann zu wanken, daß ich fast erstickte,
Und meine Kreatur dem Schwall erlag.

Doch der Erhabene seinen Blick mir blickte,
Hob an die Gnade seiner Haltung mich,
Daß ich mich wusch und endlos neu erquickte.

»Ist dir so fremde dieser Ort hier, sprich,
Daß sich das Leben quält durch deine Kehle?«
So sprach er und befahl: »Sieh nur um dich!«

Alt im Gewölbe wiederfand sich Seele,
Und der Gestank war plötzlich mir vertraut,
Als ob ich selbst – ein Irrwisch – ihm entschwäle.

An Tischen sitzend hab ich sie erschaut,
Mir fremd im Traum und Traums mir Tiefbekannte,
Sie saßen da von lauem Dunst umbraut.

Den Starrenden das schlaffe Antlitz spannte
Ein schiefes Grinsen mit verruchtem Riß,
Das sich nicht von gestülpten Munden wandte.

Das Haar im Weichselzopf, braun das Gebiß,
Von ihren Lippen hing in großen Trauben
Langsamer Fliegen eine Finsternis.

Nicht konnte Wachen sie des Schlafs berauben,
Kein Schlaf noch raffte je ihr Wachen hin,
Die Zeit um sie war sichtbar, war ein Stauben.

Ich aber fühlte selbst mich mittendrin
In ihrem Qualm und trug den Kranz von Fliegen
Verfallenen Hauptes schon seit Anbeginn.

Ja, eine Wüste war ich. Und kein Liegen,
Kein Stehn und Wandeln füllte mein Gebein.
Kein Wort der Erde nennt mir das Versiegen,

Das sich in meine Quelle brannte ein.
Ich schwand und blieb. Ich war der Leib der Leere,
Nichts, nichtiger als Nichts, noch dessen Schein.

Im Schoß trug meinen Leib ich, fremde Schwere,
Wie harter Kot hing er an mir hinab,
Und in mir starrte scheußlich träge Sphäre.

Unendliche Verwesung, Stank und Grab, –
Dies jubiliert noch – hatte ich vergessen
Jegliche Regung Lebens, die es gab,

Als wäre ich von je schon hier gesessen,
Unsterblich, wie die Härte, die mich rief,
Nichts, dennoch seiend! Spuk von Götterspäßen!
– – – – – – – – – – – – –


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