Josef Wenter
Tiergeschichten
Josef Wenter

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Eine Affengeschichte

Peterl ist ein niedliches Geschöpf. Es ist gerade so groß, daß man es in einer Satteltasche über Land bringen könnte. Freilich würde sein schöner langer Schwanz bis an die Kruppe des Reitgauls hinschwingen. Das aber ließe Peterl, das seinen schönen Schwanz sehr liebt und sehr an ihm hängt – – ja wahrhaftig, es hängt an ihm, denn er ist fast doppelt so lang als das ganze Männchen, – das ließe es nicht zu. Viel lieber wirft es den Schwanz in graziösem Schwung um die Schultern und hüllt sich darein. Peterl hat eine schlanke Gestalt, und sein feiner Pelz ist über dem Rücken schwarz mit einem rötlichen Schimmer. An den Beinen hat es graue Flecken, wie die Eier mancher Wildhühner, und der kleine magere Bauch ist schön weiß. Wunderlich ist Peterls Gesicht. Der weiße Bauchpelz hört erst über den Augen auf, und der schwarze Rückenpelz zwickelt sich über den Kopf bis an die feine Schnobbernase hinab. Um das kleine Maul ist das furchtsame Lärvchen nackt und dunkel. Und weil die Augen auch dunkel sind und groß in großen Höhlen liegen, sieht es aus wie ein Totenköpfchen. Es hat aber gar nichts mit Tod und Gerippe zu tun, sondern ist überaus lebendig und zierlich, und der deutsche Farmer, der es im Urwald am La Plata fing, behauptet, es sei ein Affe. Er hat ihn Peterl genannt, was freilich für ein so undeutsches Wesen, wie Peterl ist, und in solch fernwestliche Landschaft nicht paßt. Aber der Mensch hat geheime 6 Seelengründe, aus denen er Namen für alle Lebendigen holt, nach seinem Willen. Und Peterl kennt seinen Namen genau und kommt auf leisesten Sohlen, wenn der Mensch es ruft.

In der Farm gibt es sehr viel Merkwürdiges für Peterl, und die große Neugier, die allen Tieren eignet, am meisten aber den Affen, weil sie bedeutenden Verstand und eine vielfältige Seele haben, welche in Bezirke hinspürt, die anderen Tieren lebenslang fremd bleiben: die große Neugier half Peterl über das Heimweh nach dem großen Wald.

Oh, viele Lebendige bringt der Mensch in seine Botmäßigkeit. Allen ordnet er dann einen genauen Kreis zu, den sie täglich willig und geduldig und aufmerksam erfüllen. Aber außerhalb dieses Kreises beginnt das große und feierliche Dunkel und die ungeheure Fläche. Wie viel weiter ist Peterls Kreis! Und voller Buckel und Täler und heller Merken; und immer wieder ist eine neue Dunkelheit da, die sein bewegliches Seelchen aufzuspüren strebt; und kein eigentlicher Kreis ist da, den ihm der Mensch etwa zuweisen könnte. Denn Peterl ist überall. Nur daß der Mensch zum Mittelpunkt seines hellen Verstandes wurde, läßt es scheinen, als ob es sich im Kreis um ihn bewegte.

Als der Farmer den kleinen Säugling aus dem Wald brachte, mußte er mit der Flasche aufgezogen werden. Man hatte ihn in ein Körbchen gelegt, das mit trockenem Heu warm ausgestopft war. Da hatte Peterl sich eingekuschelt, und man sah nur das kleine runde Köpfchen mit den Muschelohren, an deren Spitzen dünne Haarschöpfchen stehen. Die dunklen großen Augen starrten verloren und furchtsam; und wenn man es anredete, wurden die Augen gleich voll Tränen, die über die mageren, weißen Wangen herabkollerten. Das Salz jückte. Dann kam eine sehr kleine, feine 7 Pfote, die an einem dürren Ärmchen hing, zum Vorschein und wischte zart über das Gesicht und das nackte schwarze Mäulchen. Gleich aber verschloff das Ärmchen sich wieder.

Vor der Milchflasche stutzte Peterl und tat einen dünnen, zwitschernden Angstlaut. Dann aber mußte der Geruch der warmen Milch ihm heimelig vorgekommen sein. Als der Mensch den Lutscher an die Lippen führte, schaute Peterl aus großen Augen zu. Der Mensch schmatzte und gab einen Ton des Behagens von sich. Peterl schaute starr und aufmerksam. Das Schmatzen machte den Hunger groß. Ein Tropfen blieb am Lutscher. Als das Äffchen den auf seinen Lippen fühlte, leckte es ihn ein. Dann zwitscherte es, und gleich waren die beiden Ärmchen da, faßten den Lutscher, führten ihn an die Nase. Er roch sehr gut. Woran erinnert das Äffchen sich? Es hält ihn spannlang vor die Augen, schnobbert, zwitschert und starrt vor sich hin. Kommt ihm das Bild der säugenden Mutter? Dann betastet es die Flasche. Erschrocken weicht es zurück, und die Ärmchen sind im Heu verschwunden. Die Flasche war noch zu warm. Da geht der Mensch, sie abzukühlen. Enttäuscht blickt das feine Tier ihm nach und versteht nicht, warum man es betrogen hat. Nicht, daß ihm wieder die Tränen kämen. Es weint nur, wenn es sich fürchtet. Es zwitschert ein leises Selbstgespräch, in dem sehr viel von Heimweh nach dem Wald und nach der säugenden Mutter vorkommt, und sehr viel Fremdgefühl vor der neuen, beklemmenden Welt des Menschen.

Dann kommt die Flasche wieder, und der Hunger ist so groß, daß Peterl gleich den Lutscher in die nackten, schwarzen Lippen nimmt. Immer behaglicher wird ihm beim Saugen, und die Augen starren blank und schwarz auf den 8 freundlich redenden Mund des Menschen. Aber die Ärmchen läßt es im Heu. Die Flasche beäugt es ängstlich. Als die leer ist, und der Mensch sie ihm aus dem Mäulchen zieht, ist blitzschnell die kleine Pfote da, hat den Hals des Lutschers umgriffen und läßt keineswegs los.

»Also behalte sie Peterl! Ich habe noch welche«, sagt der Mensch und streichelt das runde Köpfchen. Erschrocken folgen die schwarzen Augen der Hand des Menschen, und das dünne Hälschen biegt und windet sich. Wer weiß, was die große Hand will? Aber sie will gut. Gut will sie. Und das Gutwollen geht wie eine vertrauliche Botschaft aus der warmen Menschenhand ins Gemüt des jungen Tieres, daß es sich wohlig hinkuschelt und vor Geborgenheit blinzelt und ganz dünn vor sich hin zwitschert. Jetzt hat der Mensch es in seinen großen Bann gebracht, der Liebe heißt, wenn er dauern soll, und der gesetzt ist vom Erschaffer beider Wesen und Würde gibt dem Menschen und dem Tier.

Dann allmählich wird Peterl der Freund und Begleiter des Menschen. Es lernt die Welt des Menschen in ihrer großen Vielfalt kennen und es benimmt sich bei allem genau so, wie es den Menschen sich benehmen sieht. Es kauert auf Stühlen, liegt gerne neben dem Menschen im Bett, kommt zum Essen an den Tisch. Es ist zu Hause in Speicher und Keller, in den Ställen und auf dem Hühnerhof. Als es ein tagaltes Kücken tötete, hatte es kein schlechtes Gewissen. Nur bei der Strafpredigt, die der Mensch ihm hielt, fing es zu begreifen an, daß in diesem Punkt der Mensch kein guter Freund blieb. Es verstand absolut nicht, warum dies so sei, aber es tötete kein Kücken mehr. Hauptsächlich deshalb, weil der Mensch die Kücken in einem Drahtverschlag hielt, bis sie so groß waren, daß sie Peterl Respekt einflößten. 9

Mit den Hunden ging es nicht so geschwind. Die eiferten lange auf das Nesthäkchen. Aber sie waren zu gut erzogen, um sich zu rächen. Auch erwischte man das Teufelsmännchen nie. Wenn man zusprang, saß es auf einem Kasten oder Ast, ehe man wieder auf den Boden gelangte. Es war wahrscheinlich vergnüglicher, mit dem sonderbaren Fremdling zu spielen.

Der große Leonberger, der aus stolzem Selbstgefühl nie geeifert hatte, machte den Anfang. Als Peterl auf dem First seiner Hütte erschien und ihn, der es nicht gewahrt hatte, – das Äffchen ist ein großer Leisetreter auf seinen kleinen nackten Sohlen – weil er gerade schön in der Sonne schlief, an der Mähne zupfte, glaubte er, es wäre der zahme Rabengeier, der mit gestutzten Flügeln im Hof herumfuhrwerkte und das Amt des Kehrichtverwesers genau und gründlich versah. Der machte sich hie und da den Spaß, mit den Vierfüßlern Kapriolen zu treiben. Als aber der Griff in die Halshaare doch anders und neu war, viel energischer als der Schnabel des Geiers, der nie einen Schüppel Haare halten konnte: da blinzelte der große Hund aufwärts. Peterl retirierte ein Hüpfchen und beroch die ausgerissenen Haare. Dabei schaute es aufmerksam den Hund an und zwitscherte ihm vor, daß er schöne Haare habe, die stark riechen, und wenn man mehr hätte, wäre es weich darauf zu liegen. Der große Hund verstand nichts von der Rede des Männchens; aber es gefiel ihm nicht schlecht. Er hatte es tagelang beobachtet und nicht den Eindruck gewonnen, daß es Unbotmäßigkeit in den Hof brächte. Er hatte es auf der Schulter des Menschen sitzen gesehen und deutlich gehört, daß der gut und freundlich zu dem seltsamen Fremden mit dem nackten Gesicht und dem langen Schwanz geredet hatte. Damit war 10 der Fall für den selbstbewußten Hund erledigt. Der Herr vertraut dem geschwänzten Zwitscherer, also läßt ihn der Hund passieren, wie er ist. Peterl fühlt aus dem Blick und magischen Strom des Leonbergers sofort diese Einstellung und turnt den First herunter, landet auf dem breiten Schädel und beugt sich zur Vorsicht nochmals über das ernsthafte Gesicht des Hundes. Weil der schon wieder zu blinzeln und einzuschlafen beginnt, hebt das Äffchen an, Flöhe zu suchen. Diese Beschäftigung liebt es sehr; sie ist ihm aus Urzeiten überliefert. Das Kraulen ist so wohlig, daß der Hund weiter aus der Hütte herauskommt und sich auf die Seite legt. Jetzt hat Peterl Festzeit, denn das Dunkel der Hütte hat es schon lange aus der Ferne neugierig betrachtet, nie aber den Mut gefunden, an dem gelben Riesenkerl vorbei, hineinzuschlüpfen. Aufmerksam und wichtig beriecht und kostet Peterl alle Geheimnisse der dunklen Höhle und kauert sich dann an die Flanke des Hundes, betrachtet unbeweglich die tiefen Atemzüge. Beide sind an diesem Nachmittag gute Freunde geworden. Die anderen Hunde schließen sich dieser Kameradschaft an, und seither ist für Peterl gut sein im Hofe.

Länger dauerte es, das Mißtrauen gegen die Katze zu besiegen. Erstlich ist die Witterung dieses Geschöpfes furchterregend. Tief im Gemüt des Äffchens, aus unermeßlicher Ahnenreihe überkommen, ist die Angst vor dem Puma und dem Jaguar. Auch hat man genau beobachtet, daß die Katze ein größerer Leisetreter ist, als man selber. Wozu leise? Ho, weil sie ihr Vorhaben geheimhalten will. Ganz wie man selber, wenn man sich dem Drahtnetz um den Kückenstall nähert. Wochenlang hat man sie aus irgendeinem Versteck, von einem unangreifbaren Hochsitz aus beobachtet. Man hat 11 genau gefühlt, daß auch die Katze einen beobachtet. Freilich ohne viel Neugier zu zeigen, blinzelnd, mit einer hochmütigen, nachlässigen Kopfwendung. Man hat nicht genau gefühlt, ob sie den buschigen Schwanz aus Sympathie oder aus Abneigung hin und her warf. Man hielt Abstand. Aber vielleicht war es doch Sympathie? Denn, als Peterl eines Tages neben seiner Milchschale hockte und ein Stück weißes Brot knabberte, rieb sich, ganz aus dem Unversehenen her, ein wolliger Pelz an seinem mageren Schenkel. Peterl tat einen Satz über die Schale hinweg und gurrte vor Schrecken. Da glotzte die Katze aus großen gelben Augen ruhig in sein Gesicht und schnurrte. Peterl zwitscherte. Die Schale stand zwischen den beiden Tieren und duftete fein. Da beugte die Katze den Hals und begann, Milch zu lecken. Peterl staunte. Das war seine Schale und sie stand auf dem gewohnten Platz, wie jeden Morgen und jeden Abend. Nie hatte jemand es gewagt, zu kosten. Nicht einmal der junge Hühnerhund, der doch wirklich ein guter Kamerad war. Peterl kreuzte die Ärmchen und vergaß zu zwitschern. Seine schwarzen Augen starrten unverwandt bald auf die Katze, bald auf die Milch, bald auf den Menschen, der am Tisch saß und die beiden Tiere beobachtete, neugierig, wie dies sich entwickeln würde.

Noch immer leckte die Katze und schnurrte behaglich. Immer weniger wurde die Milch. Jetzt zwitschert Peterl. Wie eine kurze Frage klingt es. Die Katze läßt sich nicht stören. Da greift Peterls rechte Pfote vorsichtig an den Schalenrand. Die Katze leckt ruhig. Jetzt kommt die linke Pfote. Peterl hält die Schale fest. Die Katze schnurrt stärker. Das Äffchen zieht vorsichtig die Schale weg, die Katze schaut auf, bleibt sitzen und schnurrt. Peterl zwitschert; fast wie eine 12 verlegene Rechtfertigung klingt es dem Menschen. Dann hebt Peterl die Schale hoch und, wie es das beim Menschen sah, trinkt es die Milch rein weg, stellt die Schale wieder hin, wischt sich die Lippen, kreuzt die Arme und zwitschert die Katze an. Die hat mit großen Augen zugeschaut, wie Peterl sich benahm. Jetzt putzt sie sich. Dann hat sie einen freundlichen Buckel und schnürt an die Flanke des Äffchens, das sich zum Sprung aufrichtet. Aber der Pelz ist weich und das Schnurren ist freundlich, und wahrscheinlich gibt es schöne Flöhe in den dichten Haaren. Vorsichtig taucht die rechte Pfote in den gelben Rückenpelz, und wie ihm die Katze den breiten Schädel freundlich in die Flanke pufft, krault es diesen und zwitschert vergnügt, und die Katze schnurrt stark und überaus behaglich. Seither gibt es doppelte Milchration in einer viel größeren Schale, und die beiden Tiere frühstücken einträchtig nebeneinander.

Besonders gerne hält Peterl sich im Pferdestall auf. Seit einer Woche steht eine Jungstute in einer der Boxen. Bisher war sie in der Herde, die draußen in der Pampa unter der Hut eines großen roten Hengstes lebt. Der Mensch besucht die Herde mehrmals im Monat und holt sich dieses oder jenes der Pferde in seine Ställe, je nachdem er es zur Aufzucht, Fahrdienst, zum Anbau oder sonstwie braucht. Die Pferde kennen den Menschen und seine Knechte genau und traben ihm entgegen, wenn er angeritten kommt.

Die Jungstute wird in wenigen Tagen ein Fohlen bekommen, darum hat der Mensch sie in den Stall gebracht. Sie steht zum erstenmal in der Box, und das Fremdartige und Neue der menschlichen Hegnis verwirrt das freiheitgewohnte Tier.

Die Stute tut einen erschrockenen Satz am Halfter, als 13 Peterl plötzlich am Rand der Futterkrippe auftaucht. Peterl seinerseits erschrickt namenlos über den starken Riß und das Gerassel des Halfterrings, und ist mit einem kleinen Sprung im Gespreiz der Futterraufe; von dort äugt es ängstlich ins Gesicht des Pferdes. Dieses kennt viele aus dem Kreis der Lebendigen. Einen Augenblick taucht das Bild des Hamsters in seiner Erinnerung auf. Der hing aber an keinem Schwanz, und auch sonst paßt das Bild wenig zu diesem Bürschchen, das vor Furcht dünn zu weinen anhebt und sich nicht mehr nach vorn und auch nicht zu flüchten getraut und keineswegs grunzt und schimpft, wie der Hamster, wenn man seinen Weg kreuzte. Eine Weile äugt die Stute blank vor Neugier und immer noch sehr mißtrauisch auf den Kömmling, hat die Ohren spitz und schnaubt. Dann tut sie, was sie bei allen Zweifeln am Wohlwollen ihrer Umgebung zu tun pflegt: sie schnobbert Peterl ab. Dem Äffchen kollern dicke Tränen vor Furcht über die weißen Wangen, und sein Herz fliegt. Aber jetzt hat die junge Stute die Witterung und ist von dem guten Wesen des Pelzmännchens ganz überzeugt und kollert freundlich.

Peterl faßt sich langsam. Es kennt die Pferde seit einem Jahr, und seit es kalt regnet hält es sich gerne in der Wärme des Stalles auf. Jetzt hatte es sich ein paar Tage im Rinderstall umgetrieben, wenn es nicht im Haus des Menschen sich aufhielt oder bei den Boxen der Reitgäule. Bei den Rindern blieb es nie lange. Es langweilte sich dort. Stundenlang kauten diese Leute dem überaus Lebhaften was vor, und wenn es ihnen auf den Rücken sprang, sie an den Ohren zupfte, oder sie an den Hörnern vergeblich zu schütteln versuchte, dann taten diese Behaglichen nichts dergleichen. Man konnte nicht mit ihnen sich des Lebens freuen. Mit 14 den Pferden ging das schon leichter. Am schönsten natürlich mit dem Menschen.

Peterl hat zu weinen aufgehört, streift sich mit einer Pfote die Tränen aus dem Gesicht und springt auf die Barriere zwischen den Boxen. Dort glättet es den weißen Bauch, den das Geschnobber der Stute in Verwirrung gebracht hat, legt den schönen Schwanz um den Hals, kreuzt die Arme über der Brust und sitzt aufrecht und aufmerksam, und zwitschert fast wie ein Vogel halblaut vor sich hin, indes die ernsten flinken Augen beständig um sich blicken.

Es geht ihm gut und es redet gerne mit sich selber, wenn es ihm gut geht. Mittags war es in den Stall gekommen, gerade als die Pferde bei der Tränke waren. Vom Regen war es naß geworden und Näße litt es nicht. Da hat es sich davongemacht und ist durch das Futterloch in den Heuboden geturnt. Heuböden liebt es sehr. Man kuschelt sich tief ins trockene Gras, die Wärme steigt durch alle Futterlöcher herauf, man hört die wohlvertrauten Geräusche aus dem Stall, man guckt bald da, bald dort durch eine Ritze in die Welt hinaus, reckt den Kopf durch dieses und jenes Futterloch, gewahrt die ruhigen Köpfe der Pferde, zwitschert, sieht sie aufwerfen und heraufäugen; man glotzt sich freundlich an, langt mit einem Arm hinunter, hängt sich wohl mit dem ganzen Leib hinab, beschnobbert einander und schwingt sich dann wieder hinauf. Oh, wie lang und herrlich ist ein Tag in Stall und Heuboden. Man kennt genau alle Pferde an der Witterung, an der Farbe, am Wesen. Man hat deutliche Merken in seinem hellen Verstand und geht sicher zwischen ihnen durch das schöne Leben.

Neulich hat Peterl auf dem Heuboden einen Festtag erlebt. Es saß eine lange Weile vor einem Windloch und 15 guckte in den Regen hinaus. Da flog ein Spatz herein, dem das Loch schon lange als Einflug diente, weil es erstlich da immer irgendwelchen Samen oder Körner zu fressen gab, und vor allem, weil er sich vorgenommen hatte, im Frühling unterm Gebälk anzubauen. Peterl zitterte am ganzen Leib, rührte sich nicht und begriff nicht gleich. Der Spatz pickte und machte sich davon. Ho, jetzt waren Peterls dunkle sanfte Augen kalt vor Gier, und statt Schreck und Furcht saßen nur Sprung und Fang in seinem schlanken Leib. Vielleicht war es kein Kücken? Dann kam der Spatz wieder. Er saß noch kaum vor den Körnern, da war Peterls Fäustchen in seinem Nacken. Und weil er flatterte, griff auch die zweite Faust danach. Jetzt waren die Augen wieder feucht und froh und schauten den zappelnden Spatzen dunkel an. Der zwitscherte in Todesangst, und Peterl zwitscherte vor Lust. So verschieden geht das zu. Dann biß ihm Peterl den kleinen Kopf durch, und da war das Zwitschern still. Peterl aber zwitscherte weiter, während es den Spatzen rupfte; und dann futterte es den Vogel mit großem Behagen. Nur die Beine und Flügel ließ es liegen. Das war einmal was anderes, als Früchte und Milch, die es vom Menschen kriegt, oder Blattknospen, die es sich selber abrauft. Seither liebt Peterl den Heuboden noch mehr.

Jetzt kommt der Knecht auf den Boden und die Abendfütterung der Pferde beginnt. Das Äffchen, das vor den Schritten zuerst sich versteckt hatte, kommt hervor, als es den Mann erkennt und springt ihm auf die Schulter.

»No, Peterl, bist du da? Gib schön die Hand! So! Brav! Na, laß das nur! Ich hab mich heute morgen schon gekämmt. Brauchst mir nicht die Haare zu teilen.«

Ernsthaft und immer wieder staunend horcht das feine 16 Tier auf die Menschensprache. Es beugt sich von der Schulter des Mannes gegen dessen Gesicht vor, betastet sehr zart die Lippen und die Nase des Menschen, der immer freundlich zu ihm weiterredet. Und weil er jetzt zu lachen anhebt, greift die feine Pfote des Äffchens nach den weißen Zähnen und versteht nicht, versteht nicht, woher die seltsamen Töne kommen, die ihm das Gemüt streicheln, und die es nie nachmachen kann, wenn es auch noch so gutwillig und fast ehrerbietig zwitschert auf die Rede des Menschen.

Es zottelt neben dem Knecht her bis zur Stalltüre. Als der die Tür aufmacht, kommt naßkalter Wind herein. Das Äffchen verhält.

»Kommst du mit, Peterl? Es gibt Milch mit Weißbrot.«

Peterl zwitschert nur, legt vor dem Wind den Schwanz um den Hals und kauert sich hin.

»Bleibst lieber bei den Rössern! Gelt? Gute Nacht, Peterl!« Die Tür fällt ins Schloß.

Peterl springt erschrocken zurück, läuft dann an die Tür, beguckt den Spalt, fingert an den Pfosten, bringt das schwere Schloß nicht auf, zwitschert kurz und überlegt. Nein, es bleibt doch lieber im Stall. Zwar, im Bett des Menschen, zu dessen Füßen und unter der warmen Decke ist es auch recht behaglich. Aber im Stall gibt es soviel Kurzweil. Spinnen und Asseln sind ein herrliches Frühstück, und wenn gar eine schläfrige Grille aus einem Grasbüschel krabbelt, oder eine halberfrorene gelbe Bremse irgendwo an einem Fenster hockt: oh, welche Überraschungen ein Stall in der Regenzeit birgt!

Peterl turnt die Boxen entlang. Es passiert die Nase der jungen Stute. Die schnaubt und spitzt befremdet. Da geht Peterl sanftmütig in die nächste Box zur braunen 17 Nachbarin. Es ist nicht gekränkt. Es ist nie gekränkt, denn es hat ein viel zu gutes und furchtsames Gemüt und ist immer bereit, sich selber für sträflich zu halten. Die braune Stute beschnobbert den feinen Besuch freundlich. Sie kennt ihn gut. Und als Peterl jetzt sein mageres Ärmchen ausreckt, senkt die Stute den Kopf und läßt sich von dem Äffchen gerne die Stirn kraulen. Das hat Peterl dem Menschen abgeguckt. Dann nimmt es ihre Lefzen ganz zart in seine dünnen Finger, hebt sie hoch, betrachtet ernsthaft die großen gelben Zähne, wie es der Mensch tut, zwitschert dabei der Stute eine kleine Rede vor, streichelt ihr dann die langen Wangen. Wie das Äffchen aber auch das große Auge untersuchen will, wirft die Stute auf und beutelt die kleine Hand ab. Peterl zieht sich sofort zurück, sitzt mit gekreuzten Armen still da und betrachtet die Braune stumm. Weil die zu fressen anhebt, springt es auf ihren Rücken, von da auf den Rücken des Fohlens, das am Euter saugt und erschrocken aufbockt. Da landet Peterl auf dem Rücken der jungen Stute, die vor Schrecken ausfeuert und heftig schnaubt, als das Äffchen sich jetzt zwischen ihre Ohren hinsetzt und der lange Schwanz ihr zum Hals herabbaumelt. Sie schüttelt sich, wirft auf, und da begreift Peterl, daß es nicht wohl gelitten ist. Es springt in die Futterrinne, setzt sich vor die Nüstern der Stute hin und zwitschert der Aufhorchenden zu, daß es ihr wohlwolle. Sie horcht auf das kleine Gerede des seltsamen Männchens und schnobbert gutmütig und ein wenig verdutzt.

Draußen ist es Nacht, und die ausgehende Stallaterne schwankt mit seltsamem Schein und Schatten über die Futterkrippen und die glänzenden Rücken der Pferde. Peterl wird müde. Es ist ein Frühschlafengeher. Es hat einen mutwilligen und behenden Tag hinter sich. Noch ist es nicht mit sich im 18 reinen, bei welchem der Pferde es heute schlafen wird. Gewöhnlich wartet es, bis eine oder die andere Stute sich niedertut. Dann kommt es lautlos heran und kuschelt sich zwischen Bauch und Beine des großen Tiers in den wärmsten Winkel. Die Pferde achten genau, daß sie das leise Männchen nicht drücken.

Noch sitzt Peterl vor den großen Augen der jungen Stute und hat sich vorgenommen, bei dieser zu nächtigen. Irgendetwas an ihr gefällt ihm besonders. Vielleicht fühlt es, daß sie aus der Freiheit kommt. Wer kennt die feinen und starken Magien unter den Lebendigen, denen keine Vernunft das reine Empfangen magischer Ströme verwirrt?

Wie stets, wenn die Nacht kommt und die Furcht des zaghaften Äffchens steigert, tauchen in sein Gemüt dunkle Erinnerungen herauf, aus der Zeit, da es noch mit der großen Sippe im Urwald am gelben Strom hauste. Dann zwitschert es dünn eine lange Rede vor sich hin oder hält sie dem Menschen, wenn es auf dessen Knien hockt, und aus großen Augen in das immer wieder bestaunte, unfaßliche Licht starrt, oder es tut diese Rede vor den Pferden, den Rindern, den Schafen; wo es gerade zu nächtigen sich anschickt. Immer die gleiche Rede hält es, weil es in der Nacht Heimweh bekommt. Immer hebt es gleich an und redet das nämliche und hört auf beim Erlebnis mit dem Menschen. Denn von dort ab verwirrt sich ihm die Welt des Menschentags mit der Welt seiner Urwaldnacht.

»Ich bin nicht von da, ich bin nicht von da! Von weit her bin ich. Wir waren viele, viele. Aber jetzt bin ich allein. Wir haben hoch oben in den großen Bäumen gelebt und haben uns lieb gehabt. Wir haben geschlafen in den hohen Palmbäumen und sind munter geworden, wenn die Sonne 19 auf uns kam. Wir haben nebeneinander geschlafen, viele, viele, und haben immer warm gehabt. Süße Früchte haben meine Sippen gegessen und feine Palmenknospen. Kleine Vögel, wenn sie still gesessen sind, haben sie gefangen und gefuttert. Aber manchmal sind die davon geflogen, dann haben sie gelacht. Ich war sehr klein und habe das alles gesehen. Ich habe bei meiner Mutter Milch bekommen, und sie hat mich immer in ihren Armen gehalten. Dann bin ich größer geworden und bin auf ihrem Rücken gesessen. Sie ist mit mir über die Baumkronen gesprungen und ich habe mich gefreut. Dann sind wir eines Tages sehr erschrocken. Unser Großer hat laut gepfiffen. Meine Mutter ist so gesprungen, daß ich sie ganz fest um den Hals gefaßt habe. Dann hat etwas Fremdes gesaust, und meine Mutter ist fehlgesprungen und hat vergessen, sich zu halten, und ist heruntergefallen, immer tiefer in die unteren Äste, auf denen wir sonst nie sitzen, bis auf den Boden. Ich habe ihren Hals nicht ausgelassen. Dann war der große Mensch da und hat mir die Arme losgemacht. Ich habe geweint und gezittert und er hat mich eingesteckt. Dann bin ich beim Menschen groß geworden. Ich bin gerne beim Menschen und habe ihn lieb und fürchte mich oft sehr vor ihm. Aber er ist gut zu mir. Ich will bei ihm bleiben. Meine Bäume sind nicht da, und meine Sippen sind weit fort. Ich denke immer an die Palmbäume und an die Sippen, wenn der Mensch still wird, und wenn ihr Großen still werdet, und wenn es Nacht ist. Bist du gerne beim Menschen? Du riechst nicht so nach Mensch wie die andern. Kommst du von dem großen Tag draußen? Von dem großen Tag, in dem keine Menschen sind?«

Peterl rückt ganz nahe vor die blanken Augen der Stute und starrt und zwitschert. Die versteht das Bürschchen nicht. 20 Gutmütig schnaubt sie und duldet mit zurückgelegten Ohren, daß das Äffchen ihr die Wange streichelt.

Da wesen sie einander gegenüber. Entfernte Seelen aus fremdesten Lebensräumen, friedlich einander fühlend und im Gemüt hegend und erkennend; in paradiesischer Lebenseinheit und Reinheit, durch den Willen des Herrn der Erde, von dem geschrieben steht: »Lasset uns den Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, der da herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde.« –

Dann tut die junge Stute sich nieder. Das Äffchen turnt die Krippe hinab und kauert sich an ihre Flanke, beugt das feine Köpfchen zwischen die Beine, daß es fast die Erde berührt, schlingt den schönen Schwanz um Schulter und Lenden und schläft gleich ein. Dann ist nur mehr das tiefe Schnauben der Pferde, und da und dort dumpfes Aufstampfen im dunklen Stall. 21

 


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