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Fünftes Kapitel
Der Kampf im Löwendickicht

Ugh-lomi lag still, den Rücken gegen eine Erle gelehnt, und sein Schenkel war eine rote Masse, schrecklich anzusehen. Jeder zivilisierte Mensch wäre an solch schweren Wunden zugrunde gegangen; aber Judina brachte ihm Dornen, um die Wunden zu schließen, und kauerte Tag und Nacht an seiner Seite, verscheuchte ihm tagsüber die Fliegen mit einem Fächer aus Schilfgräsern und verjagte in der Nacht die Hyänen mit der Axt – der ersten Axt – in der Hand. Und nach kurzer Zeit begann er zu genesen. Es war Hochsommer und es gab keinen Regen. Während der ersten zwei Tage, als seine Wunden noch offen waren, hatten sie wenig zu essen. An diesem tief gelegenen Platz, wo sie sich versteckt hielten, gab es keine Wurzeln, keine kleinen Tiere, und der Fluß mit seinen Fischen und Wasserschnecken lag etwa hundert Ellen weit weg auf freier Ebene. Bei Tag wagte sie sich nicht hinaus, aus Angst vor den Leuten des Stammes, ihren Brüdern und Schwestern, und bei Nacht nicht, aus Angst vor den Tieren; sowohl um seinet- wie um ihretwillen. So teilten sie den Löwen mit den Geiern. Aber es gab in der Nähe ein kleines Wasserrinnsal und da brachte ihm Judina Wasser, soviel sie in ihren Händen tragen konnte.

Der Platz, an dem Ugh-lomi lag, war versteckt und gegen den Stamm zu durch Erlengestrüpp gut geschützt, ganz eingezäunt von Binsen und hohem Schilf. Der Löwe, den er erschlagen hatte, lag nun tot unweit vom alten Lager auf einem Flecken niedergetretenen Schilfes, fünfzig Ellen weit weg, so daß man ihn durch das Schilfrohr sehen konnte, und die Geier stritten sich um die besten Stücke und hielten die Schakale von ihm ab. Sehr bald hing eine Wolke von Fliegen, die wie Bienen aussahen, über ihm, und Ugh-lomi konnte ihr Summen hören. Und als Ugh-lomis Wunden eben zu heilen begannen – bis dahin waren nur wenige Tage verstrichen – da waren nur noch einige Knochen von dem Löwen übrig, die weiß schimmernd und verstreut umherlagen.

Ugh-lomi saß tagsüber meist ganz still, starrte vor sich hin und murmelte nur manchmal etwas von Pferden und Bären und Löwen, und manchmal schlug er mit der ersten Axt auf den Boden und nannte die Namen der Leute des Stammes – es schien, als fürchte er gar nicht, sie dadurch herbeizuführen – und so ging es oft stundenlang. Aber größtenteils schlief er; infolge des großen Blutverlustes und des Mangels an Nahrung träumte er wenig. Während der kurzen Sommernächte blieben sie beide wach. Die ganze Zeit über, solange die Finsternis dauerte, bewegten sich allerhand Dinge um sie, Dinge, die sie am Tag nie gesehen hatten. Ein paar Nächte lang kamen die Hyänen nicht und dann, in einer mondlosen Nacht kamen ihrer etwa ein Dutzend und kämpften um die Reste des Löwen. Die Nacht war von ihrem Lärmen und Heulen erfüllt und Ugh-lomi und Judina konnten hören, wie die Knochen zwischen ihren Zähnen krachten. Aber sie wußten, daß keine Hyäne ein lebendes und wachendes Geschöpf anzugreifen wagt, und so hatten sie keine große Angst.

Später pflegte Judina bei Tag den engen Pfad zu gehen, den der Löwe im Schilf getreten hatte, bis sie jenseits der Biegung war, und dann kroch sie ins Dickicht und beobachtete die Leute des Stammes. Sie pflegte dicht bei den Erlen zu liegen, an die sie, als Opfer für den Löwen angebunden worden war, und von dort aus konnte sie sehen, wie sie auf dem Erdwall beim Feuer saßen, klein, doch deutlich erkennbar, so wie sie sie in jener Nacht gesehen hatte. Aber sie erzählte Ugh-lomi nur wenig von dem, was sie sah, weil sie fürchtete, sie könnte die Leute durch die Nennung ihrer Namen herbeiführen. Denn das glaubten sie in jenen Tagen, daß Namennennen herbeiriefe.

Sie sah, wie die Männer Speere und Wurfsteine bereiteten, am Morgen, nachdem Ugh-lomi den Löwen erschlagen hatte, und wie sie auszogen, um ihn zu erjagen; die Frauen und Kinder ließen sie beim Erdwall zurück. Sie wußten wohl nicht, wie nahe er war, als sie so dahinzogen, einer hinter dem andern, den Hügeln zu, Siß der Fährtensucher an der Spitze. Und sie beobachtete die Frauen und Kinder, wie sie, nachdem die Männer fortgegangen waren, Farnkräuter und Zweige für das Nachtfeuer sammelten und wie die Knaben und Mädchen rannten und miteinander spielten. Vor dem sehr alten Weibe jedoch hatte sie Angst. Gegen Mittag kam sie, als die meisten von ihnen unten an der Biegung des Flusses waren, und stand diesseits des Erdwalls – eine knorrig-braune Gestalt – und gestikulierte so heftig, daß Judina glauben mußte, sie hätte sie gesehen. Judina lag wie ein Hase in seinem Lager, die glühenden Augen starr auf die niedergebeugte Hexe dort drüben gerichtet, und dann erst begann sie langsam zu verstehen, daß es der Löwe sei, den das alte Weib anbetete – der Löwe, den Ugh-lomi erschlagen hatte.

Und am nächsten Tage kamen die Jäger müde zurück, sie brachten ein Rehkalb, und Judina sah dem Festmahl voll Neid und Hunger zu. Und dann geschah etwas Merkwürdiges. Sie sah – sie hörte es deutlich – wie das alte Weib schrie und gestikulierte und auf sie hinwies. Sie erschrak und kroch wieder zurück wie eine Schnecke in ihr Haus. Bald aber überfiel sie die Neugier und schon war sie wieder an ihrem Auslug, und als sie hinüberspähte, stand ihr das Herz vor Schreck stille; denn da standen alle Männer, die Waffen in den Händen, und schritten vom Erdwall gemeinsam auf sie zu.

Sie wagte nicht, sich zu rühren, damit man nicht etwa ihre Bewegung sehen könne, und drückte sich eng an den Boden. Die Sonne stand tief, und das goldene Licht fiel auf die Gesichter der Männer. Sie sah, daß sie auf einem Eschenstab ein großes Stück rotes Fleisch trugen. Plötzlich blieben sie stehen. »Vorwärts!« schrie das alte Weib. Katzenfell brummte, und sie kamen näher, das Dickicht mit sonnengeblendeten Augen durchsuchend. »Hier!« rief Siß. Und sie nahmen den Eschenstab mit dem Fleische darauf und stießen ihn in die Erde. »Uya!« schrie Siß, »hier ist dein Teil! Und Ugh-lomi haben wir erschlagen. Wirklich, wir haben Ugh-lomi erschlagen. Heute haben wir Ugh-lomi erschlagen und morgen werden wir dir seinen Leichnam bringen.« Und die anderen wiederholten die Worte.

Sie sahen einander an, blickten ängstlich zurück, dann wandten sich einige um und begannen zurückzugehen. Zuerst schritten sie dem Dickicht halb zugewendet dahin, dann, als der Erdhügel ihrer Verschanzung in Sicht kam, gingen sie schneller und blickten über die Schultern zurück, dann schneller und immer schneller; bald rannten sie, zuletzt war es ein Wettlauf, bis sie zum Erdwall kamen. Dann verlangsamte Siß, der der letzte war, zuerst seine Schritte.

Die Sonne ging unter und das Zwielicht kam. Die Feuer leuchteten rot gegen das neblige Blau der fernen Kastanienbäume, und jenseits des Erdwalles klangen fröhliche Stimmen. Judina lag da und rührte sich kaum; sie blickte vom Erdwall zu dem Stück Fleisch und wieder zurück zum Wall. Zuletzt kroch sie zu Ugh-lomi zurück.

Er sah sich bei dem schwachen Geräusch ihrer Schritte um. Sein Gesicht war im Schatten. »Hast du mir etwas zum Essen gebracht?« fragte er.

Sie sagte, daß sie nichts hatte finden können, daß sie aber weiter suchen wolle, und dann ging sie zurück, den Löwenpfad hinunter, bis sie den Erdwall wieder sehen konnte; aber sie vermochte es nicht über sich zu bringen, das Fleisch zu nehmen; sie hatte die instinktive Empfindung des Tieres, das die Falle wittert. Sie war sehr unglücklich.

Endlich kroch sie zu Ugh-lomi zurück und hörte, wie er sich herumwarf und stöhnte. Wieder wandte sie sich dem Erdwall zu; da sah sie, wie sich in der Nähe des Pfostens etwas im Dunkeln regte, und als sie aufmerksam hinstarrte, erkannte sie einen Schakal. Im Augenblick war sie tapfer und zornig zugleich; sie sprang auf, schrie laut und stürzte sich auf die Opfergabe zu. Sie strauchelte und fiel und hörte das Brummen des Schakals, der sich entfernte.

Als sie sich erhob, lag nur der Eschenstab am Boden, das Fleisch war fort. Da ging sie zurück, um mit Ugh-lomi die Nacht durchzufasten; und Ugh-lomi war böse auf sie, weil sie ihm nichts zu essen gebracht hatte. Aber sie erzählte ihm nichts von alldem, was sie gesehen hatte.

Zwei Tage vergingen, und sie waren nahe am Verhungern. Da erschlugen die Leute des Stammes ein Pferd. Dann kam die gleiche Zeremonie und es wurde ein Schenkel bei dem Eschenstab zurückgelassen; diesmal aber zauderte Judina nicht.

Durch Zeichen und Worte versuchte sie, Ugh-lomi alles zu erklären; aber er hatte bereits den größten Teil verspeist, ehe er zu begreifen anfing, und dann, als er den Sinn dessen verstand, was sie erzählte, wurde er sehr vergnügt und freute sich über das Essen. »Ich bin Uya«, sagte er. »Ich bin der Löwe. Ich bin der große Höhlenbär, ich, der ich nur Ugh-lomi gewesen bin. Ich bin Wau der Schlaue. Es ist nur billig, daß sie mich füttern, denn demnächst werde ich sie alle töten.«

Da wurde es Judina leicht ums Herz, und sie lachte mit ihm; und dann aß sie voll Freude alles, was er von dem Pferdefleisch übriggelassen hatte.

Darnach geschah es, daß er einen Traum hatte, und am nächsten Tag ließ er sich von Judina die Zähne und Klauen des Löwen bringen – soviel sie eben davon noch finden konnte – und von einer Erle eine Keule abhacken. Und er befestigte sehr schlau die Zähne und Klauen im Holz, so daß die Spitzen nach außen standen. Er brauchte sehr lange dazu; zwei Zähne wurden ihm stumpf beim Hineinschlagen, da wurde er zornig und warf das Ding fort. Aber später schleppte er sich wieder bis zu der Stelle, wohin er es geworfen hatte, und machte es fertig – es war eine neue Art von Keule, mit Zähnen besetzt. An diesem Tage gab es wieder Fleisch für sie beide, abermals eine Opfergabe des Stammes für den Löwen.

Eines Tages – es waren schon mehr Tage verstrichen, als Finger an einer Hand sind, mehr Tage, als irgend jemand zählen konnte – nachdem Ugh-lomi die Keule gemacht hatte, lag Judina, während er schlief, im Dickicht und beobachtete die Siedlung. Seit drei Tagen hatte es kein Fleisch mehr gegeben. Und das alte Weib kam und verrichtete ihre Andacht in ihrer Art. Während sie dies tat, kam Judinas kleine Freundin Si mit einer anderen, dem Kind des ersten Mädchens, das Siß lieb gehabt hatte. Sie kamen über den Erdwall, blieben stehen, um die dürre Gestalt zu betrachten, und fingen gleich an, sich über sie lustig zu machen. Judina fand das spaßig, aber plötzlich drehte sich das alte Weib schnell um und sah die beiden. Einen Augenblick lang standen sie und die Kinder regungslos still, dann aber stürzte sie sich mit einem Wutschrei auf sie und alle drei verschwanden hinter dem Wall.

Nach einer Weile tauchten die Kinder wieder hinter der Biegung des Walles zwischen den Farnkräutern auf. Klein-Si rannte voran, denn sie war ein flinkes Mädchen, und das andere Kind rannte quietschend hinterdrein; das alte Weib war ihm dicht auf den Fersen. Und über dem Wall erschien Siß, einen Knochen in der Hand, und Bo und Katzenfell neugierig hinter ihm, beide ein Stück vom Mahle in den Händen, und sie lachten und schrien laut, als sie das alte Weib so zornig sahen. Mit einem Schrei wurde das Kind gefangen und das alte Weib machte sich daran, auf dieses loszuschlagen: das Kind heulte, und das Ganze war ein herrlicher Nachmittagsspaß für alle. Klein-Si lief noch ein Stückchen weiter und blieb endlich stehen, zwischen Angst und Neugier kämpfend.

Und plötzlich erschien die Mutter des Kindes mit flatternden Haaren, schnaufend und bebend, einen Stein in der Hand. Das alte Weib fuhr herum wie eine wilde Katze. Sie konnte es mit jeder Frau aufnehmen, sie war die oberste Feuerhüterin, trotz ihrer Jahre; doch ehe sie noch etwas tun konnte, rief Siß ihr zu, und es erhob sich ein allgemeines Geschrei. Immer mehr Zottelköpfe tauchten auf. Es schien, als wäre der ganze Stamm beim Schmaus zu Hause. Das alte Weib aber wagte es nicht, ihren Zorn weiter an dem Kinde auszulassen, da Siß sein Freund war.

Alle schrien und schimpften – sogar Klein-Si. Plötzlich ließ das alte Weib das Kind, das sie gefangen hatte, los und lief schnell auf Si zu, denn Si hatte keine Freunde. Und Si, die das Unheil erst merkte, als es sie schon nahezu erreicht hatte, stieß einen schwachen Schreckensschrei aus und rannte, ohne zu achten wohin, Hals über Kopf davon, geradewegs auf das Lager des Löwen zu. Jetzt erst – plötzlich gewahr werdend, wohin sie lief – wandte sie sich seitwärts ins Schilf.

Aber das alte Weib war ein ganz wundervolles altes Weib – ebenso behend wie boshaft – und sie erwischte Si bei ihren flatternden Haaren, dreißig Ellen weit von Judina entfernt. Der ganze Stamm lief jetzt den Wall hinunter; sie schrien und lachten und wollten bei dem Spaß dabei sein.

Da empörte sich etwas in Judina; etwas, das sich niemals vorher empört hatte; und an nichts anderes denkend als an Klein-Si, sprang sie, ihre Furcht vergessend, hervor aus ihrem Hinterhalt und rannte schnell vorwärts. Das alte Weib sah sie nicht, denn sie war emsig damit beschäftigt, Klein-Sis Gesicht mit den Fäusten zu bearbeiten. Sie schlug mit aller Kraft, und plötzlich traf etwas Hartes, Schweres ihre Wange. Sie taumelte zurück und erblickte Judina, mit flammenden Augen und brennenden Wangen, zwischen sich und Si stehen. Sie schrie auf vor Überraschung und Schreck und Klein-Si rannte verständnislos auf und davon, auf die gaffenden Leute ihres Stammes zu. Sie waren jetzt ganz nahe, denn Judinas Anblick hatte die verblassende Furcht vor dem Löwen aus ihren Köpfen verjagt.

Im Augenblick hatte sich Judina von dem kauernden alten Weibe abgewendet und überholte Si. »Si!« rief sie, »Si!« Sie hob das Kind in ihre Arme, als es stehen blieb, preßte das von den Nägeln zerkratzte Gesichtchen an das ihre und wandte sich, um ins Lager zurückzulaufen – ins Lager des alten Löwen. Das alte Weib stand bis an die Hüften im Schilf und brüllte schmutziges Zeug in unartikulierten Wutschreien, wagte es aber nicht, ihr den Weg zu versperren; und bei der Biegung des Pfades blickte Judina zurück und sah, wie alle Männer des Stammes auf einander losschrien, und wie Siß im Trab daherrannte, auf der Spur des Löwen.

Sie lief geradewegs den schmalen Pfad durch das Schilf, auf den schattigen Platz zu, wo Ugh-lomi mit seinem heilenden Schenkel saß – eben aufgeweckt durch das Geschrei – und sich die Augen rieb. Sie langte bei ihm an, ein Weib, Klein-Si in den Armen. Das Herz pochte ihr im Halse. »Ugh-lomi!« schrie sie, »Ugh-lomi, der Stamm kommt!«

Ugh-lomi saß da und starrte sie und Klein-Si voll Erstaunen verständnislos an.

Sie hielt Klein-Si fest in ihren Armen und zeigte und deutete mit der Hand. Vergeblich versuchte sie, sich mit ihrem kleinen Wortschatz verständlich zu machen. Sie konnte die Männer rufen hören. Anscheinend hatten sie draußen Halt gemacht. Sie setzte Si auf die Erde, packte die Keule mit den Löwenzähnen und gab sie Ugh-lomi in die Hand, stürzte sich dann auf die erste Axt, die drei Ellen weiter aus dem Boden lag, und hob sie auf.

»Ah!« sagte Ugh-lomi und schwang die neue Keule, und plötzlich die Gelegenheit ergreifend, rollte er sich herum und fing an, sich auf die Füße zu arbeiten.

Er stand unsicher. Er stützte sich mit einer Hand an einem Baum und berührte den Boden mit dem verwundeten Bein nur behutsam. Mit der anderen Hand hielt er die neue Keule fest. Er sah nach seinem heilenden Schenkel – da begann es plötzlich im Schilf zu flüstern, hörte wieder auf und begann von neuem, und vorsichtig längs der Fährte herankommend, gebückt, den feuergehärteten Eschenspeer fest in der Hand, erschien Siß. Er blieb wie vom Schlage gerührt stehen und sein Blick begegnete dem Ugh-lomis.

Ugh-lomi vergaß, daß er ein verwundetes Bein hatte. Er stand fest auf beiden Beinen. Er fühlte ein leises Tröpfeln. Als er flüchtig hinuntersah, bemerkte er, daß ein paar kleine Blutströpfchen langsam am Rande der verheilenden Wunde durchsickerten. Er rieb seine Hand dort ein, um einen festen Griff an der Keule zu haben, und faßte Siß scharf ins Auge.

»Wau!« schrie er und sprang vor, und Siß – noch wartend vorgebeugt – stieß seinen Speer mit einem boshaften Ruck schnell vor. Er riß den Arm auf, den Ugh-lomi zum Schutze vorhielt, die Keule aber sauste nieder – niemals vermochte Siß den Zusammenhang zu verstehen. Er fiel, wie ein Ochse fällt, von einer Streitaxt getroffen, zu Ugh-lomis Füßen.

Für Bo aber war dies das Merkwürdigste, was ihm je geschah. Er hatte das beruhigende Gefühl, zu beiden Seiten von hohem Schilf gedeckt zu sein und eine unüberwindliche Schanze, Siß, zwischen sich und jeder Gefahr zu haben. Schneckenfresser war dicht hinter ihm, und so war auch dort keine Gefahr. Er war bereit, sich jederzeit zurückzuziehen, und schickte Siß aus, sich den Tod oder Sieg zu holen. Das war sein Platz als Zweiter. Er sah, wie das Ende des Speeres, den Siß trug, davonflog, und plötzlich – ein dumpfer Schlag – der breite Rücken fiel vornüber und er sah Ugh-lomi, über seinen gefallenen Führer weg, ins Gesicht. Bo hatte das Gefühl, selbst ins Herz getroffen worden zu sein. In der einen Hand hielt er einen Wurfstein, in der anderen einen Eschenstab. Das Ende dieses Augenblicks der Unschlüssigkeit, welche der beiden Waffen er zuerst gebrauchen solle, erlebte er nicht mehr.

Schneckenfresser war ein entschlossenerer Mann; auch fiel Bo nicht nach vorn wie Siß, sondern knickte ein in Knie und Hüften und brach langsam zusammen, die gezähnte Keule auf dem Kopfe. Schneckenfresser stieß seinen Speer geradeaus vor, schnell und sicher, traf Ugh-lomi in die Schulter und dann drang er hart auf ihn ein, den Wurfstein in der anderen Hand, und schrie dabei laut auf. Die neue Keule strich leer durch das Schilf. Judina sah, wie Ugh-lomi von dem engen Pfad auf den freien Platz zurückgetaumelt kam, wobei er über Siß stolperte; ein Stück des Eschenspeeres ragte oberhalb des Armes fußbreit aus ihm heraus. Und dann tat sie Schneckenfresser, dessen Namen sie erfunden hatte, als sein frohlockendes Gesicht hinter seinem Speer aus dem Schilf herauskam, den letzten Schimpf an. Denn sie schwang die erste Axt schnell und hoch und traf ihn voll und gut auf die Schläfe; und nieder fiel er auf Siß, zu Füßen des gestürzten Ugh-lomi.

Aber ehe sich Ugh-lomi erheben konnte, stürzten die beiden rothaarigen Männer aus dem Schilfe hervor, Speere und Wurfstein bereithaltend, und Schlange stand hart hinter ihnen. Einen traf sie im Nacken, aber nicht stark genug, um ihn niederzuwerfen; er taumelte beiseite und verdarb den Schlag, den sein Bruder gegen Ugh-lomis Kopf führte. Im Augenblick ließ Ugh-lomi seine Keule fallen, faßte seinen Gegner um die Mitte und, schwer, auf gespreizten Beinen, schleuderte er ihn hin. Blitzschnell griff er wieder nach seiner Keule und hob sie auf. Der Mann, den Judinas Axt getroffen, hatte nach ihr mit dem Speer gestochen, als er unter ihrem Hieb taumelte; unwillkürlich ging sie zurück, um ihm auszuweichen. Er schwankte, halb abgewendet, zwischen ihr und Ugh-lomi, stieß einen schwachen Schrei aus, als er sah, wie nahe Ugh-lomi war, und im Nu faßte ihn nun dieser an der Kehle und die Keule hatte ihr drittes Opfer. Als er hinfiel, schrie Ugh-lomi laut – nicht Worte waren es, sondern ein Schrei des Frohlockens.

Der andere rothaarige Mann lag sechs Fuß weiter weg, den Rücken Judina zugekehrt, und über seinen Kopf lief ein dunkler, roter Streifen. Er arbeitete sich auf die Beine. Sie fühlte ein tolles Verlangen, ihn daran zu hindern. Sie warf die Axt nach ihm, verfehlte ihn, sah sein Gesicht im Profil, und schon hatte er sich hinter Klein-Si geduckt und rannte durch das Schilf. Sie sah noch, wie im Traume, Schlange am Eingang des Pfades stehen, halbabgewendet von ihr, und dann sah sie seinen Rücken. Sie sah die Keule durch die Luft wirbeln, sah Ugh-lomis Zottelkopf, mit Blut im Haar und Blut auf den Schultern, und sah, wie er, seinen Gegner verfolgend, unten im Schilfe verschwand. Dann hörte sie Schlange aufschreien wie ein Weib.

Sie rannte an Si vorbei, auf einen Haufen Farnkräuter zu, aus dem der Griff der Axt hervorragte, und sich umwendend fand sie, daß sie atemlos und allein dastand, drei reglose Körper zu ihren Füßen. Die Luft war erfüllt von Rufen und Schreien. Einen Augenblick lang fühlte sie sich schwach und schwindlig; dann schoß es ihr plötzlich durch den Kopf, daß Ugh-lomi dort am Wege erschlagen worden war, und mit einem wilden Schrei sprang sie über Bos Leichnam und eilte ihm nach. Quer über den Weg lagen die Beine von Schlange, sein Kopf war im Schilf. Sie folgte dem Pfade, bis zur Biegung, wo er bei den Erlen ins Freie ging, von hier aus sah sie alles, was vom Stamme noch übriggeblieben war, auf dem freien Platze verstreut; sie trieben wie welkes Laub im Winde und zogen sich über den Erdwall zurück. Ugh-lomi war dicht hinter Katzenfell.

Aber Katzenfell hatte flinke Beine und entkam, ebenso der junge Wau-Hau, als Ugh-lomi sich gegen diesen wandte; und Ugh-lomi verfolgte Wau-Hau weit über den Wall hinaus, ehe er von ihm abstand. Die Kampfwut war über ihn gekommen, und die Stange, die ihm in der Schulter stak, stach ihn wie ein Sporn. Als Judina sah, daß er nicht in Gefahr war, hielt sie inne und stand keuchend still. Sie beobachtete die fernen, sich bewegenden Gestalten, wie sie hinaufliefen und einer nach dem andern hinter dem Walle verschwanden. Binnen kurzem war sie wieder allein. Alles war sehr schnell vor sich gegangen. Der Rauch von Bruder Feuer stieg steil und gerade von der Siedlung auf, genau so wie zehn Minuten vorher, als das alte Weib dort gestanden und den Löwen angebetet hatte.

Erst nach einer langen Weile, wie es ihr schien, kam Ugh-lomi wieder über dem Erdwall zum Vorschein und kehrte zu Judina zurück, triumphierend und schwer atmend. Das Haar fiel ihr ins Gesicht und sie stand da mit brennenden Wangen, die blutige Axt in der Hand, an eben der Stelle, wo die Leute des Stammes sie dem Löwen zum Opfer dargebracht hatten. »Wau!« schrie Ugh-lomi, als er sie erblickte; Kampfbruderschaft strahlte von seinem Gesicht, und er schwang seine neue Keule, die jetzt voll Blut und Haaren war; bei dem Anblick seines glühenden Gesichtes ließ ihre angespannte Haltung ein wenig nach, und sie stand da und schluchzte und freute sich zugleich.

Ugh-lomi empfand ein merkwürdiges, unerklärliches, beängstigendes Gefühl beim Anblick ihrer Tränen, aber er rief nur um so lauter »Wau!« und schwenkte die Keule nach Ost und nach West. Er rief ihr gebieterisch zu, ihm zu folgen, und wandte sich mit großen Schritten, die Keule in der Hand schwingend, der Siedlung zu, als hätte er den Stamm niemals verlassen; und sie hörte auf mit ihrem Weinen und folgte ihm schnell, wie es einem Weibe geziemt.

 

So kamen Ugh-lomi und Judina zur Siedlung zurück, aus der sie viele Tage vorher vor dem Antlitze Uyas geflohen waren; und bei der Siedlung lag ein halb verzehrtes Wild, genau so wie damals, ehe Ugh-lomi zum Mann und Judina zum Weibe gereift waren. So ließ sich Ugh-lomi nieder, um zu essen, und Judina saß an seiner Seite, wie ein Mann, und die übrigen Leute des Stammes beobachteten sie aus sicheren Verstecken. Und nach einer Weile kam eines der älteren Mädchen scheu zurück, Klein-Si in den Armen, und Judina rief sie beim Namen und bot ihnen Speise an. Aber das ältere Mädchen hatte Angst und wollte nicht kommen, obwohl Si herumarbeitete, um zu Judina zu gelangen. Später, nachdem Ugh-lomi gegessen hatte, nickte er im Sitzen ein, und endlich war er eingeschlafen: da krochen nun die anderen langsam aus ihren Verstecken hervor und kamen näher. Und als Ugh-lomi erwachte, schien es – abgesehen davon, daß kein Mann zu sehen war – als hätte er den Stamm niemals verlassen.

Eines ist merkwürdig, aber doch wahr: daß nämlich Ugh-lomi während des ganzen Kampfes vergessen hatte, daß er lahm war, und auch tatsächlich nicht lahm gewesen war; erst nachdem er gerastet hatte, siehe! da war er ein lahmer Mann und blieb es bis an das Ende seiner Tage.

Katzenfell und der zweite rothaarige Mann und Wau-Hau, der geschickt im Schärfen der Steine war, so wie sein Vater es vor ihm gewesen, flohen vor dem Angesichte Ugh-lomis und niemand wußte, wo sie sich verborgen hielten. Aber zwei Tage später kamen sie und kauerten sich hübsch weit vom Erdwall entfernt unter den Kastanien ins Farnkraut und lugten wartend hervor. Ugh-lomis Zorn war vorbei. Er stand auf, um auf sie loszugehen, tat es aber nicht, und bei Sonnenuntergang gingen sie fort. An diesem Tage fanden sie auch das alte Weib in den Farnen, wo Ugh-lomi zufällig auf sie gestoßen war, als er Wau-Hau verfolgt hatte. Sie war tot und häßlicher als je, aber unversehrt. Die Schakale und Geier hatten von ihr gekostet, sie aber stehen gelassen; – sie war eben immer ein wundervolles altes Weib.

Tagsdarauf kamen die drei Männer wieder und kauerten diesmal näher und Wau-Hau hatte zwei Kaninchen, die er in die Höhe hob, und der rothaarige Mann eine wilde Taube, und Ugh-lomi stand vor den Frauen und verspottete sie.

Und am nächsten Tage kamen sie noch näher – ohne Steine und Stöcke und brachten dieselben Gaben, und Katzenfell hatte eine Forelle. Es kam selten vor in jenen Tagen, daß Menschen Fische fingen, aber Katzenfell pflegte stundenlang ganz still im Wasser zu stehen und sie mit den Händen zu fangen.

Und am vierten Tag duldete Ugh-lomi, daß diese drei in Frieden zum Siedlungsplatz kamen, mit dem Essen, das sie mit sich brachten. Ugh-lomi aß die Forelle.

Hierauf war Ugh-lomi viele Monate hindurch Herr und herrschte unumschränkt über den Stamm.

Und als seine Zeit erfüllt war, ward er getötet und verspeist, so wie Uya einst erschlagen worden war.


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