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Oberschwaben.

Ich bin auch ein Mahler.

Annibal Carragio.

Augspurg.

Troja fuit! – – so seufzt man, wenn man sich zu Augspurg befindet. Diese Stadt, welche ehemals einen so schmeichelhaften Rang unter den europäischen Handlungsstädten hatte, ist sich nicht mehr ähnlich. Sie gleicht einem von der Abzehrung angegriffenen Körper, welcher mit sich selbst kämpft. Auswärts von einem mächtigen Nachbar, und innerlich von Nahrungsmangel gedrängt, ist sie ihr eigener Raub.

Die Häuser sind schön. Es sind welche darunter, welche sich in Rom und Genua auszeichnen würden. Aber sie sind öde und unbevölkert.

Es ist wahr, der Pöbel giebt sich alle Mühe, die Bevölkerung zu befördern. Nirgends werden mehr Bastarde erzeugt, als hier. Aber es ist, als wenn Juno einen Fluch auf die Werke ihres Enkels gelegt hätte. Die meisten sterben in der Geburt.

Die Stadt hat ihr meistes Ansehen den Fuggers zu danken, welches die berühmtesten Weber in Europa waren. Davon erhält sie noch den Charakter. Beym Eintritte spührt man sogleich den Weberaufzug und den Eintrag: die Enden stechen in allen Gassen herfür.

Augspurg ist eine Reichsstadt – und diß ist keines der geringsten ihrer unglücklichen Schicksale. Es unterwirft sie dem Eigensinne ihres Nachbars. Der Churfürst von Bayern, welcher der Stadt Luft und Wasser versagen kan, beherrscht sie unumschränkt. Er betrachtet die Stadt wie einen Wechselbrief, auf den er ziehen kan, so oft ihm beliebt.

Die unbesonnenen Schritte, wodurch sich die Stadt bey verschiedenen Fällen das Mißvergnügen des österreichischen Hofs zugezogen, hat sie eines nachdrücklichen Schutzes von dieser Seite beraubt, und der Stolz, welcher sich in ihre Geschäfte mit andern Reichsstädten mischt, macht sie des Mitleids derselben unwürdig.

Die Künste, welche einige Zeit in Augspurg ihre Wohnung aufgeschlagen hatten, haben viel für die Stadt gethan. Man findet Meisterstücke in der Mahlerey und Bildhauerkunst, die unauslöschlich sind. Seit dem sie sich aber weggezogen haben, so ist die gröbste Barbarey an ihren Platz getretten. Nichts ist unerträglicher, als der Anblick der übermalten Kanonen, welche man im Rathause findet. Die Kanonen sind aus Bronze gegossen: um ihnen einen neuen Geschmack zu geben, lies der Magistrat die Läufe mit grüner Oelfarbe anstreichen.

Das Publikum theilt sich in drey Klassen, welche eben soviel Rangordnungen sind. Die Patrizier, die Kaufleute und der Pöbel.

Die Patrizier, welche einen Theil des hohen Magistrats ausmachen, zählen einige vornehme Geschlechter unter sich: die Stetten, die Welser, die Imhof, die Rehling. Aber da sie mit dem Geblüte ihrer Vorfahren das Gewerbe derselben verlohren haben, so kriechen sie mehrentheils in einer melancholischen Armuth, welche sie der Verachtung der Bürgerschaft aussetzt. Man muß sich nicht durch die Allmanachs von Augspurg irre machen lassen. Man wundert sich bey jedem Wappen, Herr auf Goldberg und Silberthal; Erbherr von Diamantbruch und Perlengrube, zu lesen. Aber diese glänzenden Güter gehören ihnen längst nicht mehr. Sie haben eben denselben Antheil daran, wie der König von Frankreich am Königreich Cypern, oder wie der türkische Kaiser an den Ländern der Sonne und des Mondes, welche diese Souverains in ihren Titeln haben.

Die Kaufmannschaft, welche nach dem Adel den zweyten Rang prätendiert, und deßwegen eine besondere Zechstube, dicht an der Patrizier ihre, hat, ist eigentlich der nahrhafte Theil des Publici. Ungeachtet es wenige unter ihnen giebt, die sich mit ihren Vorfahren, den Fuggers, den Rauners und den Welsers mehr in Vergleichung stellen können, so besitzen sie doch die Ansprüche derselben ganz. Sie halten ihre Equipagen, ihre Lusthäuser und sprechen im Hoftone.

Der Pöbel bringt sein Leben in Verwünschungen über die Obrigkeit, im allerschimpflichsten Müßiggange, und der verzweiflungsvollesten Armuth hin. Da das Geld in den Händen einiger vornehmen Familien ist: so ist der Rest des Publici ein Haufen Bettler, welcher um eine Kanne Bier herumtanzt.

Diß ist das Bild von Augspurg. – Es ist noch nicht ganz.

Zu Augspurg ists, wo man den Drachen der Parität in seiner Lebensgröße sehen kan. Seit dem Religionsfrieden herrschen beyde Religionen, die katholische und die lutherische allhier, mit gleicher Stärke, nebeneinander. Diese Verfassung, welche eine von den Grundconstitutionen der Stadt ist, nennt man Parität. Sie würde verehrenswürdig seyn, wenn sie ein Product der Tugend, wenn sie aus dem Grundsatze der Toleranz und der Menschenliebe – aus diesem unserm Jahrhunderte so heiligen, und so schönen Grundsatze – geflossen wäre. Aber sie ist mehr nicht als ein Werkzeug der Politik; sie besitzt lediglich nichts von der Tugend ihres Namens.

Die Parität zu Augspurg erstreckt sich nicht nur auf das Ebenmaaß der Religionspartheyen, der Kirchengebräuche und des Gottesdiensts; sondern sie beziehet sich auf alle bürgerliche Einrichtungen, auf die Bedienstungen im Civil- und Militairetat, auf die Oekonomie der Republik, auf die Gleichheit der Stimmen in den Berathschlagungen des Senats: kurz sie ist ein Werkzeug, welches eine oder die andere Religionsparthie in jedem Falle bereit hält, eine politische Unternehmung zu hindern, oder zu betreiben.

Diese Parität ist so weit von ihrem wahren Charakter, dem Duldungsgeist, entfernt, daß jede von den zwo Religionsparthien alle Augenblick bereit ist, der andern den Hals zu brechen, wenn der Magistrat nicht in beständiger Wachbarkeit bliebe. In der That bey einer so unglücklichen Stellung des Publici kan man die Gränzen nicht genau genug hüten.

Das Gleichgewicht der Parität wird auf der einen Seite von dem Reichthum, auf der andern von der Bevölkerung erhalten. Die evangelische Parthie hat an ihrer Spitze die reichsten und mächtigsten Patrizier. Die Katholicken aber, deren Adel arm und unmächtig ist, sind desto grösser in der Anzahl.

Der Magistrat lebt, welches eine Ministerialtugend ist, die ihn verehrenswürdig macht, in einer patriotischen und erleuchteten Eintracht. Der Pöbel ist eine Furie, die man auf beyden Seiten an die Kette legen muß.

Es ist wahrscheinlich, daß die Parität in unendlich viel Fällen heilsamen und neuen Einrichtungen hinderlich gewesen ist. Die Vermehrung der Spitäler, und allgemeinen Zufluchtsörter des Elends: die Erweiterung der Zünfte; die Wahl der besten Subjekte zu Verwaltung des öffentlichen Wohls: die Ansiedelung einzelner Künstler: der Gebrauch der Arbeitstäge leiden darunter. Diese Krankheit ist so sichtbar, daß man behauptet, die evangelischen Religionsverwandten hätten in der Verborgenheit eitle eigene Nothkasse, um etwas, so auf ihre Seite gesucht wird, durch Bestechung zu unterstützen.

Die Vernunft des Publici mangelt gänzlich der Kultur. Da der Fleiß unter den Inwohnern erstorben ist, so geht die Kunst betteln. Die Büchercensur, eine Muse, welche hier auf einem Auge blind ist, verjagt den Tag. Der Kaufmannsgeist, dessen Regungen Geiz und Sparsamkeit sind, läßt die Litteratur darben; und die Policey vollendet die Barbarey, indem sie geschickten Leuten den Aufenthalt versagt.

Mitten in diesem Elende hebt sich ein Stolz aus der Seele der Inwohner herfür, der sie von der lächerlichsten Seite der Welt bildet. Unter den charakteristischen Untugenden des Publici zu Augspurg ist vornehmlich die Lästersucht. – Es kan gar nicht anders seyn, sagt der Abt Coyer, die eine Hälfte dieser Nation muß sehr vollkommen, und die andere sehr lasterhaft seyn, weil sich die eine immer Mühe giebt, die andere zu verkleinern. – Nichts ist weiter getrieben, als der Spott, den beyde Religionen über einander haben.

So oft man die Katholicken spotten will, so fällt man gemeiniglich auf die Bilder ihrer Heiligen und Heiliginin. Schlaget das Gesangbuch eines lutherischen Bürgers zu Augspurg auf, oder besuchet einem Patrizier in seinem Kabinet. Es ist nicht ein einiger von all den kleinen schwarzrockigten Herren, die am Predigtamte der Stadt gestanden sind, dessen Bild ihr nicht en taille douce, von Nilson oder Haid gestochen, antreffen werdet, und unten: M. Imanuel Christoph Fadus, Candid. Minist. Aet. XXVI, oder – Frau Susanna Beata Fromännin, Helferin bey St. Jacob, geb. den 16. Jan. 1728, vermählt 18. Jul. 1747. hat Kinder erzeugt 19. – Die Betschwestern und Hospitäler küssen diese Küpferchen mit Ehrfurcht, und die Kinder zeichnen ihre Lectionen im Katechismus damit.

Wenn ein Mahler den heiligen Georg, oder die heilige Walpurgis fünfhundert Jahre nach ihrem Tode abbildet, weil die ganze Welt ihre Namen kennet, und weil sich etwas in dem Leben dieser Personen befindet, woran die allgemeine Geschichte Theil genommen, so betrachtet man diese Bilder mit Selbstzufriedenheit. Aber wenn sich ein junger Geistlicher in einer unbekannten Stadt bey lebendigen Leib in Kupfer stechen läßt, weil er in zwey bis drey Predigten etliche loci communes gesagt hat, und wenn die Gemeinde diese Bilder im Wettstreite kauft, und in goldene Rahmen einfassen läßt, so weis man nicht, ob man mehr Mitleiden mit dem Hochmuthe des Heiligen, oder mit der Einfalt seiner Verehrer tragen soll.

So oft man die Evangelischen spotten will, so beziehet man sich zuerst auf die Frauen ihrer Geistlichen. Man muß gestehen, daß sich die Gemahlinnen des evangelischen Clerus in Augspurg sehr bescheiden aufführen. Wenn sie Gunstbezeugungen von ihren Herren erhalten, so verbergen sie solche in das Innere ihrer Schlafzimmer. Aber wenn man ein junges, lustiges Mädchen auf den Strassen, in den Kirchen und in den Gesellschaften herumflattern siehet, wie sie ein Domherrnkreuz an der Brust geheftet trägt, und zu jedermann spricht – es ist vom Grafen *.... meinem Amanten; ich habe es ihm im Scherze geraubt: und wenn der Pöbel niederfällt, und dieses Kreuz an der verbulten Brust küsset, so wünscht man lieber den Domherrn verheyrathet, und das Kreuz bey einem Juden zu sehen. Gleichwohl ist es eine Anektode dieser Stadt.

Wenn die Jesuiten zu Augspurg einen Umgang mit ihren Schülern halten, so ist kein Lutheraner, den nicht das Lachen bis zum Ersticken drückt. Sehet da, die heilige Komödie! spricht man.

Die Katholicken zu Augspurg sind viel billiger, wenn die Kinder eben dieser Spötter an gewissen Festtägen des Jahrs, unter Anführung ihrer Schulmeister und Schulmeisterinnen, in Prozession in der Stadt herumziehen, mit Trommeln, Pfeiffen und einem Harlekin an der Spitze, der tausend lächerliche Sprünge und Geberden macht.

Der Ekel wird vollends aufs höchste getrieben, wenn man diese Prozession sich in einem Garten an einer Schenke endigen siehet, wo sich die Jugend lagert, und allen Arten von Ausschweifung überläßt. Nichts ist ärgerlicher, als der Anblick betrunkener Kinder.

Mich dünkt, ich befinde mich auf dem St. Morizplatze zu Augspurg. Auf der einen Seite gehet eine Prozession Jesuiterschüler, welche mit großer Mühe hölzerne Figuren wälzen, und einen traurigen Gesang dabey anstimmen. Auf der andern Seite ziehet eine Prozession lustiger Kinder mit Trommeln, Pfeiffen und Harlekinen vorbey, welche unabläßig jauchzen – Jo Bache! Die Anführer von beyden Seiten versichern mich, daß es ein Kirchenfest bedeute. Was für einen Unterschied soll ich im Tadelhaften finden? – Wenn man seine Gegner beschämen will, so muß man zum mindesten ihre Fehler nicht nachahmen, sondern sie übertreffen.

Ich würde ermüden, alle Anmerkungen zu wiederholen, welche man über den Stolz der Augspurger machen kan. Er ist eines theils die Wirkung vom Einflusse einer eingebildeten republikanischen Hoheit, welches die schwache Seite aller Reichsstädte ist; anderntheils wird er von einem eingebildeten Adel erzeugt. Von beyden Seiten macht er sie im höchsten Grade ungesellig: und der Mangel ihrer guten Lebensart allein beweißt schon, wie wenig Anspruch sie auf Adel machen können.

In der That, diese sogenannte Noblesse bestehet in einer Anzahl Kaufleute und Kramer. Hierunter sind einige, die durch ihre Einsichten und ihren Fleiß ihren Stand ehren: Schülin, Schwarz, Obwexer, Lieber. Der Geist der meisten übrigen erstreckt sich nicht viel über den Geist eines Theewrackers zu Amsterdam. Sie besitzen nichtsdestoweniger den Stolz der Kavaliere. Sie tragen Brillianten an den Fingern, und sprechen von der großen Welt: dann es giebt welche unter diesen gnädigen Herren, die jährlich zweymal zur Marktzeit nach Wien kommen, um unter den hölzernen Ständen in der Vognergasse und auf dem Kohlmarkte feil zu haben.

Die Vergnügungen der zwey ersten Klassen bestehen in der Gesellschaft, in einer Art Concert, und im Schauspiel. Zur Karnevalslustbarkeit kommt eine Redoute hinzu. Von dem Werthe der ersten kan man sich einen Begrif machen. Da ihnen alle Erziehung und der Gebrauch der guten Welt mangeln, so sind ihre Zirkel für einen Fremden nicht praktikabel.

Ich war in ihrem Concert, welches der Versammlungsort der schönen Welt ist. In der That sah ich eine Menge Stutzer, die einander die artigsten Verbeugungen machten. Nachdem ich einige Sinfonien abgewartet hatte, die ich für das Miserere des Allegri hielt, begab ich mich weg.

Der Magistrat fiel im vorigen Jahre auf den Entwurf ein Schauspielhaus zu bauen, um gegen die Jesuiten, auf deren Theater bisher die Schauspiele aufgeführt wurden, in keiner Verbindlichkeit mehr zu seyn. Man schickte einige Bauverständige nach München, um die Architektur des dasigen Schauspielhauses zu kopiren. Nach deren Zurückkunft fieng man das Werk an, und mittelst eines Aufwandes von 15000 fl. war es binnen sechs Monaten fertig. Kaum wollte die herbeygerufene Truppe ihre erste Vorstellung anfangen, so fand man, daß das Theater unbrauchbar sey. Die Baumeister hatten sich im Maasstabe verirrt. Es war weder Verhältniß in der Bühne, noch im Parterre. Die Fehler schienen unabhelflich zu seyn.

Dieses Schicksal war unvermeidlich bey einem Volke, welches zu viel Stolz besitzt, um Fremde zu Rath zu ziehen, und zu wenig Genie um etwas von selbst zu machen.

Nichtsdestoweniger spielte man fort. Der Augspurger, welcher nichts als Gelegenheit zum Müssiggange sucht, vergaß sich selbst, und setzte einige Zeit die Bierbank bey Seite, um das Schauspiel zu besuchen.

Die Ursachen der Nahrungslosigkeit der Stadt sind moralisch. Die Kaufmannschaft verabsäumt den ökonomischen Handel, um der Spekulation mit baarem Gelde anzuhängen. Diese Gattung Spekulation hat den Fehler, das sie das Publikum nichts nützt. Das Geld ist nur ein Zeichen der Reichthümer. Eine Million Zeichen aber machen keine Waare. Hier liegt der Grund zur traurigen Theurung, welche in Augspurg herrscht. Man hat Zeichen, aber die Waare selbst fehlt.

Die Augspurger athmeten dem Congresse 1760, entgegen, als einer Quelle, welche ihrem Elende abhelfen, und sie auf einige Zeit glücklich machen würde. Allein das Schicksal ordnete die Sachen anderst. Der Congreß unterblieb: und dis schenkte Europa den Frieden.

Nichts ist abgeschmackter, als die berühmte augspurger Tracht. Man sieht sie nur noch beym Bürgerstande: dann die Vornehmen tragen sich französisch. Die Kleidung der bürgerlichen bestehet in einem fischbeinenen Harnische, der die Brust einkerkert und den Bauch herfürpreßt. An diesem Harnische hängt ein Röckchen, welches bis an die Spitze des Knie gehet. Da die Natur den Augspurgerinnen keine Brüste und große Füße gegeben hat, so findet man nicht Ursache, eine Mode zu beneiden, wo für das Aug nichts zu gewinnen, und für die Tugend nichts zu verlieren ist.

Ich könnte meine Beschreibung schließen, wenn ich, nach soviel berührten Unvollkommenheiten, dem Verdienste nicht eine Forderung abzutragen schuldig wäre. Die Nahrung der Stadt bestehet, wie man weiß, in Nichts. Nichtsdestoweniger ist der Pöbel zahlreich. Die Zunft der Weber allein wird auf dreytausend geschätzt. Diese dreytausend Seelen wären verlohren gewesen, ohne die Großmuth eines sehr merkwürdigen und sehr erleuchteten Mannes. Seine Lebensgeschichte verdient in der Biographie der berühmten Partikuliere zu stehen. Ich übergehe sie anmit.

Johann Heinrich Herr von Schülin ist der Eigenthümer einer der berühmtesten und größten Cottonfabriken in Deutschland. Das Schicksal schien ihn nicht zu dieser Unternehmung bestimmt zu haben: dann er erlernte in seiner Jugend das Schmiedehandwerk: aber die Natur hat ihn zu einem großen Genie ausersehen. Von dem allgemeinen Elende gerührt, welches unter der Innwohnerschaft zu Augspurg, besonders aber unter den Webern, herrschte, entschloß er sich zur Anlage einer Cottonfabrik. Seine Unternehmung gleichet jenen Wassern, welche bey ihrer Quelle klein sind, sich aber hernach in unermeßliche Flüsse verändern. Die Natur begeisterte ihn mit allen Einsichten, die zu diesem Werke gehören. Binnen wenig Jahren errichtete er das vollkommenste und merkwürdigste Meisterstück einer Fabrik in Cotton und Indienne.

Man hätte glauben sollen, daß sich das Publikum beeifert hätte, diesem großmüthigen und patriotischen Manne Ehrensäulen zu errichten. Im Gegentheile beneidete man ihn. Man legte dem Aufkommen seiner Unternehmung tausend verhaßte Schwürigkeiten in Weg. Man wiegelte die Weber, die ihm die Erhaltung ihres Lebens zu danken hatten, indem er ihnen Arbeit und Brod verschafte, wider ihn auf. Diese Elenden, welche sich erinnerten, daß ihre Vorfahren einst den Attila mit seinen Hunnen vor Augspurg wegschlugen, rottirten sich, und vertrieben ihren Wohlthäter aus seinem Hause. Der Herr von Schülin sah sich soweit getrieben, daß er um das Wohl des Publici einen Prozeß mit dem Magistrate führen mußte. Sein überlegener Geist und der Verfall einer erleuchtetern Welt, erhoben ihn über alle Hindernisse. Er hat das Vergnügen, sein Werk in der vollkommensten Blüthe, und sich von eben denjenigen angebethet zu sehen, die ihn zuvor verfolgten.

In der That ist diese Cottonfabrik des Herrn von Schülin der einige – oder wenigstens der vornehmste Gegenstand der Merkwürdigkeiten in Augspurg. Sie erzeugt die schönsten Werke der Kunst, der Einbildungskraft, und des Geschmacks. Ihre Cottone sind in ganz Europa bekannt.

Der Herr von Schülin lebt mit einem Prachte, der den Verdiensten eines großen Mannes gemäß ist. Er hat Millionen gewonnen, und er gibt dem Publikum davon Rechenschaft, indem er magnifique Gebäude aufführt, prächtige Equipagen unterhält, und einigen tausend Menschen Nahrung und Leben verschafft. Sein Haus ist beynahe das einige, welches die Honneurs zu Augspurg macht.

Wenn das Glück auf die Seite des Fleisses und des Verstandes tritt, so gönnt man seinen Lieblingen ihren Genuß. Der Herr von Schülin genießt ein Vergnügen, welches sich selten bey Unternehmungen befindet die ihre Größe blos dem Genie ihres Urhebers zu danken haben: er hat die Hofnung, daß sein Werk auf seine Nachkommen reichen wird. Er besitzt Söhne, welche die verdienstvollesten und wohlerzogensten Jünglinge von der Welt sind.

Umriß des Schwabenlands. Natürliche Geschichte von Oberschwaben. Nationalcharakter seiner Einwohner.

Von der Gränze Bayerns an, bis an die Spitze vom Elsas ist Alles Schwaben. Man nennt den Theil, welcher zwischen dem Herzogthum Würtemberg und dem Bodensee liegt, das obere Schwaben. Er bestehet aus tausend kleinen Völkern, wovon jedes seinen eigenen Herrn hat, und die in ihrer Kleidertracht, in ihren Gesetzen, in der Religion und in der Sprache eben so verschieden sind, als in ihren Regierungsformen.

In diesem Theile von Schwaben sind die Menschen von einer häßlichen Gestalt. Ihre Sitten sind arm und einfältig, und ihr Geist ist grob, sclavisch und träge. Der Feldbau wird blos von der Bevölkerung unterstützt, welche in ganz Schwaben ausnehmend ist. Die Künste haben in diesen Gegenden weder Feuer noch Heerd.

Die Fruchtbarkeit der Sonne allda ist verschieden: und die Nachbarschaft unterschiedener, sich oft widersprechender Gesetze hindert den Einfluß derselben in die allgemeine Aufnahme des Ackerbaues und der Haushaltungskunst.

Die Oberschwaben sind, unter allen Völkern Deutschlands, jenes, welches dem ursprünglichen Charakter der Regierungsform der alten Germanier am meisten ähnlich geblieben. Das Land bestehet aus einer Menge kleiner Völkerschaften, die ihre Wohnungen in Wäldern oder an Flüssen vertheilt haben, und als soviel Familien, unter ihren besondern Oberhäuptern leben. Diese Familien, wovon jede, ihrer Lage, ihrem Interesse und ihrer Einsicht nach, seine eigenen häuslichen Gesetze hat, sind bald Hierarchien, bald Republiken, bald Verbindungen, oder Alleinherrschaften ähnlich. Aus der Verschiedenheit solcher Herrschaften sind die Verfassungen entstanden, welche man unter den Namen der Reichsstädte, Prälaten, Ritterschaft, Burggrafen und Reichsfürsten versteht, und die man nirgends so zahlreich antrift, als in Schwaben.

Es giebt kein Volk auf dem Erdboden, so von seiner Gesetzeinrichtung, und von der politischen und physikalischen Eigenschaft seines Vaterlandes weniger unterrichtet ist, als die Oberschwaben. Sie wissen sehr wenig, ob der Staat ein gemeinschaftliches Oberhaupt hat, oder ob er vom Ungefähr regiert wird. Sie würden den Namen des Landesherrn nicht kennen, wenn sie ihn nicht zuweilen an der Spitze der Steuerpatente nennen hörten. Zur Unterdrückung gebohren, erhebt sich ihr Geist, welcher durch das Elend in der Unwissenheit, und durch die Unwissenheit im Elende erhalten wird, nicht von der Erde.

Die ausserordentliche Bevölkerung in Schwaben ist eine Folge der Frugalität, die einen allgemeinen Sittenzug der Nation ausmacht. Es giebt keine verliebtere Geschöpfe als die Schwaben. Sie begatten sich Sommer und Winter, und eine Schwäbin bringt gemeiniglich zwey Jungen, eines vorne im Jahr und eins hinten.

Diese Kinder wachsen unter der Hand der Vorsicht auf, wie die Pilsen. Wenn sie groß geworden, so werden sie von ihren Landsherren in die Dienste fremder Höfe verkauft, oder sie wandern kolonienweis aus. Nirgends ist das Uebel der Auswanderung, welches von der einen Seite durch die Länderprivilegien, und von der andern durch unverzeihliche Staatsfehler unterstützt wird, häufiger und stärker. Man hat Züge von Schwaben auf dem Wege nach Hungarn, nach Pommern, nach Astrakan gesehen, welche so wie die Bienenschwärme, oder wie die Züge der Kraniche, die Sonne verdunkelt haben. Es ist natürlich, daß die Menschen ihre Erhaltung anderwärts suchen, wo die Regierung keine Anstalten zur Nahrung macht. Die kleinen Staaten vieler schwäbischen Regenten gleichen verdorbenen Mägen, welche den Ueberfluß ausspeyen, den sie nicht verdauen können.

Eine schwäbische Anekdote.

Die Regenten der kleinen Staaten, welche den Strich von Oberschwaben längs dem Schwarzwalde hin, bewohnen, herrschen öfters wie die Nabas in Indien. Sie haben ihren Hofstaat, ihre Armeen, ihre Vezire, und ihre Serails.

Man erzählt von einem derselben, welcher seit mehr als fünfzig Jahren todt ist, und dessen Land sehr menschenlos war, daß er einen Thurm bauete, der aus 22 Zimmern bestund. Jedes dieser Zimmer wurde von einem Mädchen bewohnt. Wenn der Sultan geneigt war, sich ein Vergnügen zu machen, so lies er alle 22 Favoritinnin in einen Saal zusammenkommen, und theilte ihnen ein Tarockspiel aus. Die, welche der Paccat traf, erhielt den Dienst, und die zween höchsten Matadors hatten die Anwartschaft auf selbige Nacht.

Hierbey ließ es der Fürst nicht bewenden. Um die Politik eines morgenländischen Serails desto genauer zu erreichen, verheyrathete er die Töchter, so er mit diesen Mädchen erzeugte, an die Baschen, die Beamten seines Lands. In kurzer Zeit wurde der Staat von seinem eigenen Blute bevölkert. Der Fürst konnte sich am Ende seiner Regierung mit Recht einen Vater seiner Unterthanen nennen.

Pater Gaßner.

Die Religion – die bey starken Gemüthern eine Tugend, in schwachen Seelen aber eine Krankheit ist – hat den Aberglauben nach Schwaben verbannt. Die Abentheuren des Pater Gaßners sind noch ganz frisch. Dieser Mann, einer der berühmtesten Taschenspieler unsers Jahrhunderts, beschloß eine Komödie der Religion. Man muß gestehen, daß wenn er nicht zur rechten Zeit auftrat, so trat er wenigstens am rechten Orte auf. Während der Tag in allen übrigen Gegenden Europens hell leuchtete, überredete er mitten in einem Winkel von Schwaben, die Menschen, das er Wunder thun könne. Man floß aus Bayern, vom Rhein, und aus Franken im Strome herbey, sich an Krankheiten heilen, sich entzaubern, sich bekehren zu lassen.

Die Blendstücke des Pater Gaßners erhielten sich eine geraume Zeit. Endlich mischten sich andere Pfaffen seiner Religion darein. Sie behaupteten, daß er ein Betrüger wäre. Es war der Fall des Kommendanten zu Amiens: meine Herren, sagte er zu einer Truppe Komödianten, die ihn um die Erlaubniß gebethen hatten, ihre Schaubühne in der Stadt aufzuschlagen, – sie haben mich ersucht, hier Komödien spielen zu dürfen: ihre Mitbrüder die Geistlichkeit setzt sich dagegen. Es ist mir leid einen Handwerksneid entstehen zu sehen.

Inzwischen bewog dieser Zufall den Künstler, die Scene zu ändern. Er gieng nach Bayern. Der Wechsel des Clima war ihm nicht günstig: und die Wunder hörten auf, zu wirken.

Ausschweifung über Niederschwaben.

Was jenseits der Diametrallinie, die man von Augspurg aus bis an den Rhein ziehet, liegt, das nennt man Niederschwaben. Hiezu gehören die Staaten des Herzogs von Würtemberg, die Reichsstädte Nördlingen, Halle, Heilbronn und die Marggrafschaft Baaden etc. In diesem Bezirke siehet es etwas lichter aus. Die Menschen sind besser gebildet. Das Land ist mit mehr Einsicht gebauet. Die Städte sind volkreicher und polizirter. Die Sitten sind zahmer; und die Wissenschaften haben schöne Früchte getragen.

Nichtsdestoweniger, wenn man diese Länder mit dem übrigen Theile Schwabens vergleicht, so findet man eine Einförmigkeit der Natur und der Lebensart der Inwohner, welche die Vermuthung zu bestätigen scheinet, daß nicht die Regierungsform, oder die Religion, sondern der Horizont, das meiste zum Nationalcharakter beytrage, und daß dieser Einfluß weit mächtiger ist, als alle übrigen.

Eine merkwürdige Urkunde hievon giebt der Aberglaube, welcher sich in ganz Schwaben unbeweglich festgesetzt hat. Dieses Land hat vor andern den Vorzug, daß der Blocksberg, dieser berühmte Mittelpunkt der Hexen, des Aberglaubens und des Unsinns, auf seinen Gefildern stehet. Es spuckt bis in die Universitäten und in die Kabinete. Die Universität zu Tübingen hat in ihren Rechtsrathschlagen (consil. Tubingens.) Processe verurtheilter Hexen verewigt, welche die Verhandlungen des Urban Grandier noch übertreffen.
In dem Gemeindeprotokoll des Städtchens Hechingen befindet sich ein fürstliches Ausschreiben vom 18. Febr. 1725 eingetragen, wodurch jedem Landmanne, der einen Kobolt, eine Nixe oder andere dergleichen Gespenster fangen, und lebendig oder todt einliefern würde, eine Belohnung von fünf Gulden beym Obristjägermeisteramte bestimmt wird.

Etwas weniges Politik.

Auf einer Reise nach Lindau, disseits den Schweizergränzen, traf ich in einem Dorfe ein Spiel an, wo sich die Männer im Säcketragen übten. – Bedauernswürdige Menschen! Ihr fühlt also, daß ihr zu Eseln gebohren seyd! – Dieses Sclavenspiel ist ein Beweis von der unglückseligen Verfassung dieser Gegend, welche in einem System von Lehnsherrlichkeiten, Real- und Personal-Leibeigenschaften, Zehend und Steuren bestehet, so undurchdringlich ist.

Vor allen Gesetzen bey Einrichtung der Gesellschaft scheint das Recht leben zu können, hergegangen zu seyn. Man war Mensch, ehe man Unterthan ward. Die Steuer ist, ihrer Natur nach, eine freywillige Aufopferung eines Theils unsers Eigenthums, um den andern Theil zu erhalten. Leibeigene aber haben kein Eigenthum. Ihnen etwas abfodern, ist, ihnen von dem Geschenke des Lebens entziehen, welches sie aus den Händen der diesen Natur empfangen.

Der Zehend, diese freyer Menschen unwürdige, von einem verächtlichen Volk erfundene, und von einem noch verächtlichern fortgepflanzte Anklage, ist ein eben so unheiliger, als grausamer Grif. Man ist kein Eigenthümer des Ackers mehr, wenn man es nicht von der Frucht ist. Die Staatskunst sollte in unserem Jahrhunderte erröthen, eines ihrer wichtigsten Hoheitsrechte, die Besteurung, in den Händen des Clerus zu sehen.

Man kan unmöglich an diese verhaßte Auflage denken, ohne den Einfall des berühmten Polizeyaufsehers Argenson, zu bewundern. Als einer von den elenden Schriftstellern zu Paris vor ihn gebracht wurde, so drohete ihm der Herr von Argenson, daß er ihn ins Zuchthaus schicken würde, wenn er fortführe, zu schreiben. – Aber ich muß leben – sagte der Autor – das finde ich eben nicht für unumgänglich nothwendig – versetzte der Policeyaufseher.

 


 


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