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Zusammenfassung

Es gelingt zwar durch die genaueste Berücksichtigung aller Dokumente, sich annähernd ein Bild von der Seele der Vukobrankovics zu machen; allerdings nur bis zu dem Grade, daß man auch dann nicht positiv ihre Zukunft vor sich hat, was immer noch der einzig sichere Beweis dafür bleibt, daß man einen Menschen durchschaut und innerlich erkannt hat, aber man kann so viel zusammenfassend über die Vukobrankovics sagen. Ob Giftmischerei ein Verbrechen ist oder ein Trieb, das bleibt vorläufig offen, sicher ist nur, daß die Vukobrankovics eine Giftmischerin war und daß sie alle typischen Züge der großen Giftmörderinnen trägt. Sie hat wohl kein einziges Todesopfer. Aber das beweist für die teuflische Absicht kaum etwas. Sie verwahrt sich oft genug dagegen, sie wiederholt immer, sie hätte nur eine leichte körperliche Beschädigung, nie aber einen Mord gewollt. Aber was sonst soll der große Phosphorgiftklumpen in der Pillenschachtel der Frau Piffl bedeuten? Sie verwahrt sich auch sehr bezeichnenderweise nicht in der Form, daß sie sagt, ich bin unschuldig, man kann mir eine solche Tat vernünftigerweise nicht zutrauen. Sondern sie geht von der Überzeugung aus: Alles ist möglich, warum nicht auch Gift von meiner Hand. Alles ist denkbar, auch daß ich gewollt habe, was geschah, nur will ich wissen, welches Motiv mich dabei hätte leiten sollen. Welchen »vernünftigen Grund« sie gehabt habe, wird sie nicht müde, den Richtern und Geschworenen als Problem vorzuwerfen, welche Logik hätte sie denn dazu veranlassen sollen, sich einer großen Gefahr auszusetzen, ohne auch eine große Kompensation erwarten zu können. Fürstin wäre ich doch nicht geworden, sagt sie und gibt mit diesen schaurig kalten Worten einen Teil ihrer innersten Geheimnisse preis, nämlich ihr Grundprinzip, so in Gift zu denken, so im Giftkomplex befangen zu sein wie ein Spieler in seinen Schachkombinationen, ein Kaufmann in seinen Bilanzen und Abschlüssen, ein Feldherr in seinen Plänen und strategischen Entwürfen. Das »Menschenmaterial« sagt ja an sich dem Feldherrn auch nichts Besonderes, er benützt es, um sich selbst und sein Genie zu Ende zu leben, persönlich tritt er nun weder in Güte noch in Haß entgegen, deshalb nennt er es ja Material und hütet sich, ihm nahe zu kommen, denn er könnte es, da er nur in dem Komplex denkt, der für den Einzelnen keinen Platz hat, nie gerecht behandeln, nie würdigen. Daher ihre Fühllosigkeit und Kälte, die an sich nicht Ausdruck der Bosheit sein müßte. Für die Würde, ja auch nur für die Existenzberechtigung des anderen hat dieser Mensch so wenig ein Gefühl wie die Vukobrankovics. Wohl aber behält sie ihr Gefühl für die eigene Würde, und das um so mehr, als sie sich und ihre Giftmanie in gewissem Sinne heroisch durchführt. Man kann das bei ihr sehr genau verfolgen. Man hört es nie von ihr und sieht es nie in den Akten, daß sie schwankt, daß sie in ihrer Tat, in ihrer paradoxen Zielstrebigkeit unsicher würde. Alles schwankt, alles bleibt unklar und verworren, nur nicht das Gift und dessen Wirkung. Und daß sie der Giftkomplex schändet, wird dieser Mensch nie verstehen. Denn wie wäre sonst ihre Rückfälligkeit zu deuten? Semper in idem, ist ihr heroischer Spruch. Sie kommt völlig ausgestoßen aus der Gesellschaft, verelendet; und abgehärmt aus dem ersten Gefängnis. Aber kaum hat sie Brot, Beruf, Gesellschaft und Wirkungskreis, da vergiftet sie wieder von neuem.

Sie trägt einen weißen Anstandsunterrock und empfindet es als besonders qualvoll, daß sie sich unter den Augen des schnüffelnden Sicherheitswachmannes im Gefängnis auskleiden soll. Das mag ein Zeichen ihrer »Menschenwürde« sein, und doch fehlt ihr völlig jedes echte Schamgefühl, und bewiese sie dieses Fehlen nicht durch den Gebrauch der scheußlichsten, unqualifizierbarsten Schimpfworte, so dann doch dadurch, daß sie stets von ihrer Ehre und von ihrem Schamgefühl spricht und es eben dadurch prostituiert. »Es geht doch nicht um Ihre Schamhaftigkeit«, herrscht sie den Vorsitzenden des zweiten Prozesses an und erzielt dann, was sie will.

Ihre Tücke, ihre Teufelei zeigen sich am deutlichsten im Verkehr mit Halbfremden. Sie scheint da einem Ressentiment nachzugeben, dessen innerste Wurzel so leicht nicht zu finden ist. Die Verleumdung des Stiefsohnes der Eheleute Piffl, von dem sie wußte, daß er die furchtbarste Kindheit hinter sich hatte und ganz auf die Ungnade oder Gnade der Stiefeltern angewiesen war, ist da das sicherste Zeugnis. Das kann man nicht durch »Triebe« entschuldigen, es ist böser Wille und böses Herz. Eine Notwendigkeit zu dieser Verleumdung lag durchaus nicht vor, sie mußte ihr zum Verhängnis werden. Man hatte wegen der unaufgeklärten Giftfunde auch die Köchin beschuldigt. Man hatte bei dieser nichts gefunden. Die Sache war im Abklingen, man hätte sich, besonders in den furchtbaren Zeiten zu Ende des Weltkrieges, dabei beruhigt, hätte die Vukobrankovics nicht von selbst darauf hingewiesen, um die Sache ja nicht in Vergessenheit kommen zu lassen. Wir finden bei einer ungleich größeren Giftmörderin, der Gesche Gottfried, von der hier schon öfter die Rede war, unter den vielen Taten eine, die ihr selbst am nächsten ging, nämlich die Vergiftung ihrer treuen Freundin und Dienerin Beta. Und nicht der Tod der armen Frau liegt ihr besonders am Herzen und macht ihr Gewissensbisse, sondern der Umstand, sie habe zwei Menschen getrennt, die einander sehr nahe standen und die für sie, die Giftmörderin, alles hergegeben haben würden. Ich lasse den kurzen Bericht darüber folgen:

»Ihre treue (Dienerin) Beta Cornelius hatte während der Abwesenheit ihres Mannes 50 Taler von diesem erhalten, die für die Kosten ihrer bevorstehenden Entbindung bestimmt waren. Die Gottfried brauchte das Geld. Die Wöchnerin mußte die letzte Mäusebutter (Arsenikbutter), welche die Gottfried noch vorrätig hatte, verzehren, aber Betas gesunde Natur widerstand lange. Nun gebar sie einen Knaben. Nun mußte die Todkranke ihre dreijährige Tochter vor sich sterben sehen, da das Kind von einer vergifteten Kirschensuppe zu essen bekommen hatte. Neue Mäusebutter, welche die Gottfried sich schnell zu verschaffen gewußt, vollendete schließlich die Zerstörung des kräftigen Körpers ihrer Beta.« Kein Todesfall schien sie später in gleicher Weise zu bedrücken als dieser und der ihres Sohnes Heinrich. »Ach, ich bekenne«, schrieb sie, »zwei Menschen getrennt zu haben, die sehr glücklich waren und die beide ihr Leben für mich würden hergegeben haben.« Man braucht für diese Handlungen nur eben die versuchte Trennung des Stiefsohnes Piffl von seinen Zieheltern, ferner die versuchte Aufhetzung des Kardinals Piffl gegen seine Schwägerin und gegen seinen Bruder zu setzen. Und später ganz ähnlich: der Versuch, die Ehefrau Stülpnagel und besonders die zwei Söhne von dem Vater zu trennen, der an ihnen so sehr hing, daß die Giftmischerin sich doch hätte sagen müssen, wenn sie stürben, würde das nur ein Hindernis mehr sein für die Verehelichung mit dem Vater. Aber so sinnlos ist alles aufgebaut, daß sich die Vukobrankovics einfach mit den Worten hilft: die Knaben sind jung und stark, sie werden es leichter überstehen. So groß ist der Zynismus, daß sie über den Zucker den Witz macht: Würfelzucker fräßen die Buben, allerdings ersparte sie ihnen auch nicht, den Staubzucker zu schlucken, dem das Bleiweiß beigemischt war.

Über die Wahl des Giftes war die Vukobrankovics offenbar durch die Lektüre verschiedener Schriften informiert. Es scheint auch, daß ihr das träge, lymphatisch wirkende Gift Bleiweiß sympathisch war, daß es ihrer eigenen, nur scheinbar lebensvollen Natur angemessen schien. Hierzu kommt noch eins: Gerade träge, innerlich sumpfartige verrottete Naturen sehnen sich oft nach starken Impressionen, nach Nervenkitzel und Abenteuer. Daß dies bei der Vukobrankovics mitgewirkt hat, ist möglich. Entscheidend aber nicht.

Verfolgt man die Prozeßakten der Gesche Gottfried, so findet man mehr als einen Punkt, der, allen Abstand zwischen diesen beiden Frauen vorausgesetzt, wie er durch das Milieu, die Abstammung und das Alter bedingt war, diesen Frauen gemeinsam ist, es bildet sich sogar ein typischer Komplex heraus, und die Analogie verschiedener Äußerungen geht fast bis zur wörtlichen Wiederholung. Bevor wir darauf näher eingehen, sei zuerst der sogenannten Hysterie gedacht, die man mit der Vukobrankovics in Zusammenhang gebracht hat. Wirkliche Symptome der großen Hysterie fehlen freilich bei ihr, und Zeichen der kleinen Hysterie wird man bei keiner Frau ihrer Kreise ganz vermissen. Die Theorien Freuds, die vor allem auf die Hysterie sich beziehen, versagen also, von einer »Verdrängung« kann keine Rede sein, und daß die Wiener Schule, die im ganzen doch als Nachfolge Freuds anzusehen ist, diesen Fall nicht psychoanalytisch aufzulösen vermocht hat, beweist wohl, daß er einer solchen Beurteilung die größten Schwierigkeiten entgegensetzt. Charakteristisch für die Hysteriedeutung Freuds bleibt immer das System, das sich der Kranke oder das sich im Kranken aufbaut, die strenge, fast ästhetisch schöne Methode, mit der dieser stille Wahnsinn sich die Welt umgestaltet. Von solch einer durchgeführten Methode findet man bei der Vukobrankovics so wenig Sicheres wie bei der Gottfried.

Ganz ergebnislos ist die Untersuchung allerdings auch nach dieser Richtung nicht. Ich erinnere vor allem an die zynische Äußerung der Vukobrankovics, daß das Bleiweiß die sexuelle Erregung, wenn auch nur auf kurze Zeit, steigere, es wäre also denkbar, daß die Vukobrankovics im Unterbewußtsein mit dem Gift als Aphrodysiakum operiert hat. Aber zwingend ist dies durchaus nicht. Es scheint überhaupt keine übermäßig starke erotische Triebsphäre bei ihr vorhanden gewesen sein, und sie bedurfte daher nicht des Giftes als Kompensation für entgangene Liebesfreuden. Es macht eher den Eindruck, daß die Vukobrankovics lesbisch veranlagt war, eine Erscheinung, die bei Lehrerinnen nicht ganz selten ist. Aber hier trennen sich die beiden Sphären oder Lebensbezirke: Gift und bürgerliches Leben, vollständig, und kein erotisches Erlebnis oder Sehnsuchtsgefühl vermag eine Brücke zwischen beiden herzustellen. Anders bei der Gottfried, die wohl auch einen starken bürgerlichen Komplex hatte, dabei auch einen starken Hunger nach Männerfleisch und eine Geldgier, die sich paradox mit verschwenderischer Wohltätigkeit paarte. Hier ist etwas, das an die Doppelseele der Vukobrankovics oder an ihr parzelliertes Bewußtsein erinnert. Die verschiedenen Interessen sind so von einander getrennt, widersprechen sich derart, daß manchmal ein geradezu erschütternd gespenstisches Lachen Zeichen dieser gräßlichen Entzweiung in einem gibt. Die Gottfried unternahm als ersten Giftmord die Tötung ihrer Mutter, obwohl diese mit abgöttischer Liebe, nicht anders als die Mutter der Vukobrankovics, an der Tochter hing. Sie rührte der Alten Arsenik in ein Glas Limonade, das Lieblingsgetränk der Alten. Die Verbrecherin bekannte später: »Denken Sie, wahrend ich das Gift hereinmachte, gibt mir der liebe Gott ein herzliches, lautes Lachen, daß ich erst selbst erschrak. Aber gleich besann ich mich: dies hätte der liebe Gott gefügt, zum Beweise, daß Mutter nun bald so im Himmel lachen werde.

Die Veranlagung der Gottfried scheint aber im Grunde ähnlich wie die der Vukobrankovics eine lymphatische, temperamentlose gewesen zu sein. Man gab an, von früh auf hätte etwas Ätherisches über ihrem Wesen gelegen. Von der Vukobrankovics sagt ihr Verteidiger, wie man annehmen muß, guten Glaubens, sie sei eine feingestimmte Seele. Gemeinsam ist beiden eine gewisse abergläubische Neigung, die sich daraus erklärt, wie schon ein zeitgenössischer Beurteiler feststellt, daß sie, die Gottfried, in selbsttrügerischer Weise vom Schicksal einen Wink erhalten wollte, um zum Werk veranlaßt zu werden. Sie wendete sich ebenso wie die Vukobrankovics an Kartenleserinnen und erhielt Auskünfte wie: die ganze Familie würde aussterben, sie allein würde übrigbleiben und dann ein sehr gutes Leben führen.

Ganz ähnlich wie bei der Vukobrankovics die große Rolle die Wahrsagerinnen bei ihren Taten spielten. Gemeinsam ist beiden Frauen auch der Hang zu ernster Lektüre: bei der Gottfried sind es religiöse Erbauungsbücher, Dräsekes Predigten und das Liederbuch, die ihr nicht bloß zum oberflächlichen Durchblättern dienen, sondern in Fleisch und Blut übergegangen sind, wie ihr Briefstil beweist, bei der Vukobrankovics sind es Schopenhauer, Goethes Faust, Nietzsche und Lieglers Buch über Karl Kraus.

Sind in einer Seele so divergente Triebe und Wesenheiten aneinandergekettet, so läßt es sich verstehen, daß solch eine Frau seelisch sich nicht leicht ergibt, daß sie nur zu gern einen Teil ihres Wesens gegen den anderen ausspielen möchte, und daß sie das Gute oder wertvoll Scheinende, das Humane und Menschenfreundliche unter allen Umständen gegen das Teuflische in Erscheinung zu bringen trachtet. Sie sucht sich ihre Güte, ihre Nichtteufelei selbst zu beweisen, spielt mit allem, weil sie die Konsequenz ihrer innersten Natur zu ertragen nicht stark genug ist. Wer wäre so stark? Mutter-, Vatermord, Bruder-, Kindermord – Diebstahl, Unterschlagung, Abtreibung, wer sieht sich selbst ohne Schaudern? Das geht bei der Gottfried so weit, daß sie Menschen unter den fürchterlichsten Martern in den Tod schickt, um wohltätige Werke verrichten zu können. Offen bekennen kann solch ein Mensch nicht, und es ist vielleicht ungerecht, ihm das allzu lange Zögern bei der Beichte als erschwerend auszulegen, wie es das Gericht beim zweiten Prozeß Vukobrankovics getan hat. Auch die Gottfried hat nur langsam bekannt, sie gestand nicht mit einem Male, es war ein fortgesetztes, zweijähriges Bekennen, und auch durch dieses Bekennen zog sich fortgesetztes, neues Ableugnen, »sie machte immer wieder Versuche, mit sich schön zu tun und das Mitleid und Interesse zu erwecken. In keinem der Fälle dieser Art, wie denn auch in dem Fall Brinvilliers, hat man die Motive ganz aufklären können. Bei der Vukobrankovics ist als erschwerender Umstand für eine reine Deutung eine maskenhafte, äußerlich ästhetisch orientierte Als sie zum zweiten Male vor dem Untersuchungsrichter steht, bewundert sie dessen schöne Hände, möchte sie modellieren, nur ein verkrümmtes Fingerglied an seiner Hand stört sie bei ihrem Anschmachten. Banalität und ein starres, fast stupides Verharren auf dem dürftigsten Geständnis, das sie wie ein Almosen dem Richter zubilligt. Auch die Brinvilliers hat alles geleugnet, überhaupt nur stereotyp erstarrte Antworten gegeben. Wichtig ist aber sicher zweierlei: der Mangel am Gedächtnis als positives Kennzeichen des Giftkomplexes und das Fehlen wahrer starker Affekte als negatives Kennzeichen; vor und nach der Tat können starke Affekte einsetzen, aber die Tat muß kalten Herzens angefaßt worden sein, daran ändern die wiederholten Motivierungen der Vukobrankovics von ihrer grenzenlosen Verzweiflung nichts.

Über den Mangel an Gedächtnis hat die Mutter der Vukobrankovics gelegentlich der italienischen Reise sehr bezeichnende Angaben gemacht. Handelt es sich hier um epileptoide Erscheinungen, um Absenzen oder um ein Phänomen, das Proust »Intermittences du cœur« nennt?

Von der Gottfried hören wir, daß die Napoleonische Zeit, das größte weltgeschichtliche Ereignis Europas, spurlos an ihr vorüberging, denn als man sie im Gefängnis darnach fragte, was das einzige, dessen sie sich erinnerte, ihre Freude, als ihr die Einquartierungskommission ein paar Taler zurückerstattet hatte. Ihre Verbrechen haben auch nicht in ihr selbst stark nachgewirkt. Wohl lebte sie sie sehr intensiv mit, während sie sie beging, nachher ließ sie sie fallen, tat, als ob nichts gewesen wäre, ganz wie die Vukobrankovics. Ihre Seelenruhe war erstaunlich. Wenigstens bei Tage. Nachts scheinen doch Träume und Gesichte über sie gekommen zu sein. Aber ihre Seele war nie so aufgerührt, daß sie gebetet, daß sie innerlich zusammengebrochen wäre. Und dieselbe Seelenruhe gibt der Vukobrankovics die Kraft, selbstbewußt und frech aufzutreten und Richter, Publikum und die Geschworenen zu bluffen. »Mir war gar nicht schlimm bei dem Vergiften zumute,« schreibt die Gottfried. »Ich konnte das Gift ohne die mindesten Gewissensbisse und mit völliger Seelenruhe geben. Es war mir, als wenn eine Stimme zu mir sagte, ich müsse es tun. Ich hatte gewissermaßen Wohlgefallen daran. Man schaudert doch sonst vor dem Bösen, allein das war bei mir nicht der Fall. Ich konnte mit Lust Böses tun.« Eine ganz gleichlautende Äußerung habe ich anfangs von dem Giftmörder Georg C. zitiert. Diese hemmungslose Freude am Gift, an der Wirksamkeit der weißen Körner und Pulver ging so weit, daß die Gottfried, um einen zeitgenössischen Ausdruck zu gebrauchen, »ihr Gift verspritzte wie eine Rasende, die mit ihrem Vorrat an Kraft zu Ende kommen will«. Es handelt sich also zweifelsohne um einen Trieb, das glaubte auch die Mutter der Vukobrankovics, die doch über die möglichen Beweggründe der Vukobrankovics sehr nachgedacht haben muß. Die Gottfried sagte von sich: »Zuweilen war ich monatelang vom Trieb frei, dann aber kam wieder eine Periode, wo ich mit dem Gedanken aufwachte, wenn der oder die kommen sollte, so solltest du ihm etwas geben.« Über die verschiedene Behandlung der aus Trieb Gemordeten habe ich schon berichtet.

Und doch keine Dämonie, weder hier noch dort. Ich habe das bei der Vukobrankovics schon ausgeführt, über die Gottfried gab ein Berichterstatter folgende Analyse: »Es war nicht so, daß ein Unentrinnbares, daß dunkle, dämonische Mächte ihre Lebensbahn bestimmten. Und was diese Frau so grauenhaft macht, daß ist gerade dieser Mangel an allem Dämonischen, ist das Fehlen jener großen, das ganze Sein vergewaltigenden Leidenschaft, die über Leichen zum Ziele treibt. Denn auch an den ersten Mordtaten ist kaum etwas von Leidenschaft zu spüren.« Hier ist auch der große Kontrast zur Lady Macbeth: Hier ist alles Blut, alles Zweck, alles Geist und daher alles Dämonie bis zum Wahnsinn.

Wie wäre es denn auch sonst möglich, daß beide Frauen ihren Platz in der bürgerlichen Gesellschaft mit gutem Gelingen ausgefüllt haben? Daß die Gottfried wie die Vukobrankovics sich in ihrem Kreise wohl gefühlt haben, anderes im Grunde nicht verlangten? Eine Fürstin zu werden lag der Vukobrankovics ja ganz fern, überhaupt kam ihr nie der Gedanke, aus ihrem Kreis herauszutreten; sie überhob sich nie, demütigte sich aber ebensowenig. Selbst wenn man von ihrer Frechheit im Gerichtssaal absieht, die zum Teil Unsicherheit ist, merkt man nie den Wunsch, sich zu erniedrigen, gegen sich selbst zu wüten, wie es die Verbrecher in Dostojewskis »Memoiren aus dem Totenhause« tun.

Es sind gute Bürgernaturen, in denen der Giftkomplex wuchert, und die kleinen, begreiflichen Eitelkeiten, die sich bei der einen als »guter Ruf«, bei der anderen als »weibliche Ehre und Schamhaftigkeit« darstellen, sind so echt wie bei jeder anderen kleinen Bürgerfrau auch. Die Vukobrankovics häkelt in der Zelle weibliche Handarbeiten für die Gefängniswärterin, sie leidet unter dem schmutzigen Laken, es tut ihr weh, daß die Röcke schlottern, weil die Bänder abgerissen sind, sie betont ausdrücklich, ihr Hut sei kaputt, als sie ihn zurückbekommt, die Sachen sind nicht mehr zu gebrauchen, und niemand kommt für den Schaden auf. Ihre weibliche Eitelkeit verläßt sie nie, weder körperlich noch geistig, und damit auch nie ihr menschliches Gleichgewicht. Auch die Gottfried hat ihrer Eitelkeit, wie berichtet wird, noch im Gefängnis soweit möglich Rechnung getragen. So schätzte sie es als größte Humanität, daß man es ihr vergönnt hatte (wieder diese große Milde und Güte gegen die dreißigfache Mörderin!), statt der gewöhnlichen Gefängniskleidung ihren seidenen »Schlumper« zu tragen, den sie auch trotz aller Flicken während all der Jahre der Gefangenschaft beibehielt. Sie schlief ohne Laken, um dieses des Morgens sauber über ihr Bett zu breiten, für den Fall, daß Besuch käme. Auch die Vukobrankovics will sich ihre Zelle möglichst behaglich ausstatten. Freilich wird man wenig dankbare Worte von ihr hören, wie sie die Gottfried ausspricht, obgleich auch sie in vielem besonderer Rücksicht sich erfreuen durfte.

Dieses dankbare Gefühl der Gottfried ist aber auch nicht tiefer gegründet als die humanen Anwandlungen der Vukobrankovics im Gefängnis. Im Grund sind beide und alle ihrer Art unsozial oder asozial.

Sie ist und bleibt der Mittelpunkt der ganzen Welt für sich, sie will herrschen, wirken, selbst im Gefängnis. Den Hungerstreik, den die Vukobrankovics im Gefängnisse inszenierte, hat ihr die Gottfried bereits vorgemacht. »Man fürchtete(!) einen Selbstmord«, wird berichtet, »und stellte die Gottfried unter die dauernde Bewachung von fünf Frauen. Da versuchte sie, durch den Hungertod dem Schaffot zu entgehen. Vergebens stellte ihr der Pastor vor, daß sich dieser Vorsatz nicht mit ihrer angeblichen Religiosität vereinbaren lasse. Aber die Natur half sich selbst (ganz wie bei der Vukobrankovics). Wenn der Hunger aufs höchste gestiegen war, verlangte sie doch etwas Fleischbrühe und Apfelmus. Die fünf Frauen erzählten, in der letzten Zeit sei die Gottfried sichtlich immer galliger, häßlicher, unartiger geworden. Sie betete nie und beklagte nie ihre Sünden. Die heuchlerisch-demütige Kreatur wurde nun frech gegen die Beamten und Richter und behauptete, die Bewachung habe ihr ein Gallenfieber zugezogen. »Es fehle nur noch, daß man sie auch noch fessele.« Dies alles genau wie bei der Vukobrankovics. Ebenso ihre Aufmerksamkeit für das Gefängnisleben, das sie mehr interessiert als ihr eigenes Leben; die Gottfried hatte das feinste Ohr für alles, was im Gefängnis vorfiel, sie horchte an den Mauern, kannte die Gefangenensprache, interessierte sich aufs lebhafteste für die anderen Gefangenen. Zu diesen haargenauen Analogien tritt bei der Gottfried auch noch die den Giftmördern eigentümliche Bezauberung und Begütigung, die immer neue Opfer an die furchtbare Frau heranlockten. Die Gottfried war dürr wie Haut und Bein, nur dreizehn übereinandergezogene Korsetts gaben ihr den Schein der Fülle, trotzdem galt sie als schöne, bezaubernde, wunderbare Frau. Nicht anders wie die Vukobrankovics, bei der nur der einzig objektive Gerichtsarzt wirklich gesehen hat, daß sie eine Rückgratverkrümmung hat.

Man darf vielleicht aus der großen Ähnlichkeit dieser Fälle den Schluß ziehen, daß es sich um einen eigenartigen Komplex handelt. Die Erscheinungen gleichen sich zu sehr. Zwei Fragen wären zu beantworten, eine theoretische und eine praktische.

Theoretisch: Sind Menschen mit diesem Giftkomplex geistig gesund und für ihre Handlungen kriminalistisch haftbar zu machen oder nicht?

Praktisch: Was soll mit solchen Menschen geschehen, kann man ihre Taten verhüten, kann man die Gesellschaft und sie selbst vor sich selbst schützen?

Auf die erste Frage würde ich, nach meinem persönlichen Ermessen, antworten, daß solche Menschen Grenzfälle darstellen, daß sie aber meiner Ansicht nach nicht »unter den Paragraphen« fallen. Sie gehören auch nicht vor das Gericht.

Damit beantwortet sich die zweite Frage: Da es sich um einen Trieb handelt, der meiner Ansicht nach mit dem Feueranlegetrieb und mit dem unwiderstehlichen Wandertrieb Ähnlichkeit hat, ist eine Besserung nicht zu erwarten, man kann auch derartige Taten nicht vorher verhüten, da das Gewebe zu dicht ist, als daß man den giftigen Faden rechtzeitig erkennen könnte. Ist man aber einem solchen Menschen auf die Spur gekommen, und dazu wird es nicht immer einer so großen Anzahl solcher Giftversuche bedürfen, wenn der Psychiater, der Arzt überhaupt und das Publikum von der Existenz solcher Anomalien unterrichtet sind, dann gehört ein solcher Mensch in lebenslängliche Absperrung, es müssen Abteilungen für diese und ähnliche Menschen, etwa wie für die mit »moral insanity« behafteten, den Irrenanstalten angeschlossen werden, dort sollen diese Menschen nicht etwa in Zellen festgehalten werden, sondern man muß versuchen, sie dort ihrem geistigen Niveau entsprechend zu beschäftigen, eine Aufgabe, die nicht über die Grenzen des tatsächlich Möglichen geht.


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