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Das Buch der Milica Vukobrankovics

Daß Milica Vukobrankovics sich des öfteren schriftstellerisch betätigte, geht aus den beiden Prozessen hervor. Es muß ihr das schriftliche Mitteilen eine innere Notwendigkeit gewesen sein. In diesem Sinne ist auch ihr im Jahre 1924 erschienenes Buch »Weiberzelle 321« interessant, das der Verlag R. Löwit in Wien herausgegeben hat. Es ist ein Buch von 241 Seiten, bringt eine Photographie der Milica Vukobrankovics und ihren Namenszug. Das Inhaltsverzeichnis enthält folgende Überschriften:

1. Kapitel: Den Menschen, die guten Willens sind. 2. Kapitel: Im Namen des Gesetzes. 3. Kapitel: Im Polizeigefangenenhause. 4. Kapitel: Die Überstellung. 5. Kapitel: In der Gemeinschaftszelle des Landgerichtes. 6. Kapitel: Die Einzelzelle.

Weder das Bild der Vukobrankovics noch der Text ihres Buches erklären auch nur im mindesten den ungewöhnlichen Zauber, den die Persönlichkeit im unmittelbaren Verkehr ausströmen mag. Wenn man die oft schwülstigen, unecht philantropischen Schilderungen liest, findet man viel banales, selten ein eigenes Wort, ein mehr oder weniger verschleiertes Bekenntnis. Diese Stellen will ich auch zitieren. Der Stil ist journalistisch lebendig, bisweilen lehrerhaft gespreizt, damenhaft süßlich, aber alles in allem doch interessant. An ein Werk wie die Memoiren aus einem Totenhause von Dostojewski darf man dabei auch im entferntesten nicht denken. Von Dämonie ist bei der Vukobrankovics nirgend auch nur eine Spur. Geschrieben ist das Buch, das wohl vom Verteidiger durchgesehen und zum Druck gebracht worden ist, in der langen Untersuchungshaft vor dem zweiten Prozeß. Es beginnt folgendermaßen: »Nicht für jene schreibe ich, die auf Sensationen ausgehen, die fremde Skandalaffären brauchen, um das eigene Leben interessanter zu finden, – wer Nervenkitzel braucht, der lege dieses Buch aus der Hand. Sensationsgier und Sucht nach Nervenkitzel werden als Motive des Giftmordes bei der Gesche Gottfried angeführt. Ob die Vukobrankovics hier im Unterbewußtsein aufrichtiger ist, als sie es weiß? Wer aber auch im verirrten, kranken, unglücklichen Mitmenschen den Menschen, den Bruder sieht, wer die trübe Brille engherziger Moral abgelegt hat, wer helfen, wer verstehen lernen will, für den sind diese Aufzeichnungen geschrieben. Ich will versuchen, das äußere und innere Leben der Gefangenen zu schildern.

Ist schon eine Psychologie der Gefangenen geschrieben worden? Meines Wissens noch nicht. Ist es aber – allem Ignorantentum und Pharisäerstolz zum Trotze – nicht wichtig, zu wissen, wie Menschen, die über von Menschengehirnen erdachten und von Menschenherzen bestätigten Gesetzen gestrauchelt, in von Menschen bewachten Kerker geworfen werden, wie diese ›Parias der Moral‹ denken, fühlen, und leiden?« Auffällig ist die von vornherein aggressive Stimmung, die automatisch aus jeder Situation sich ergebende »moralische« Überhebung.

Über ihren eigenen Prozeß: »Ich war zweimal in Untersuchungshaft. Das erste Mal in den Jahren 1918 und 19. Damals wurde ich von den Geschworenen in der Hauptsache freigesprochen, jedoch wegen Verleumdung verurteilt, nahm das Urteil nicht an, und wurde schließlich von der Untersuchungszelle weg begnadigt und in Freiheit gesetzt.

Meine zweite Untersuchungshaft fällt in die Jahre 1922 bis 23 und ist heute, am 31. März 1923, nach achtmonatiger Dauer noch nicht zu Ende.

Dieses Buch hat nicht den Zweck, über meine Schuld und Unschuld zu diskutieren. Meine persönlichsten Angelegenheiten sollen hier überhaupt nicht berührt werden. Nur das, was von allem, was ich erlebte oder an anderen beobachtend miterlebte, Anspruch auf allgemeine Gültigkeit hat und allgemeines Interesse hat, will ich erzählen ...

Um die Diskretion, die ich mir auferlegen muß, nicht zu verletzen (wohl auch, um sich selbst nicht zu belasten! Denn diese Aufzeichnungen konnten vom Untersuchungsrichter gelesen werden und wurden es wahrscheinlich auch, obwohl der Prozeß keinen Aufschluß darüber gibt) bin ich gezwungen, manches, das ich selbst erlebte, als von anderen erlitten und manches fremde Erlebnis als mein eigenes hinzustellen.« (Für die letztere Version findet sich im Buche kaum ein sicheres Beispiel. Es bestand dazu auch nicht die geringste Notwendigkeit. Es ist bloß der Ausdruck der Vorsicht, derselben dummschlauen Denkungsart, die die Milica Vukobrankovics dazu brachte, die Gifttöpfe in die Wohnung der Eheleute Piffl zu bringen, um dadurch einen fremden Menschen zu belasten, oder die raffinierte Methode, sich das Bleiweiß von einem Drogisten zu verschaffen, der auch Staubzucker führte.)

»Ort und Zeit«, fährt die Vukobrankovics fort, »erscheinen dadurch verändert, nicht aber die innere Wahrhaftigkeit dieser Zeilen. Denn vieles, was meine Leidensgenossinnen erfahren und erdulden mußten, erschütterte mich so sehr, als hätte ich es selbst erlebt. (Das kann doch unmöglich der Grund sein, fremde Erlebnisse als die eigenen hinzustellen.)

Es ist selbstverständlich, daß unter den Umständen, unter denen diese Blätter geschrieben sind, an die Wahrung einer auch nur menschlichen Objektivität nicht immer gedacht werden kann. Hier ist alles nur vom Standpunkt des Inhaftierten aus betrachtet und gewertet ... Ich gehe dabei nicht von der Voraussetzung aus, daß diese Aufzeichnungen einmal in die Öffentlichkeit gelangen ... Ich möchte diese Blätter einem Menschen in die Hand geben, der das wichtige und wesentliche daraus verwertet, ohne dabei an die Verfasserin zu denken. Wenn die Bilder einer Welt, die ich hier als ehrlicher und gewissenhafter Chronist aufzeichne, auch nur das Herz eines Menschen zu fassen und zu erschüttern vermögen, der den Willen und die Macht hat, Härten aus der Welt zu schaffen und zu lindern (Wer sollte das sein? Der Verteidiger? Der Untersuchungsrichter? Der Präsident der Nationalversammlung, der die Vukobrankovics aus der ersten Haft heraus begnadigt hat, ohne daß sie seiner gedenkt? Denn sie stellt es so hin, als hätte bloß ihr ›ich nehme das Urteil nicht an‹ ihre Freilassung bewirkt) , dann ist ihr Zweck erreicht, und ich fühle mich für die Arbeit, der ich mich aus Interesse unter den schwierigsten äußeren Verhältnissen unterzog, herrlich belohnt.«

Im zweiten Kapitel, das sie wie der gute Wiener Autor Wildgans mit den pathetisch-banalen Worten »Im Namen des Gesetzes« betitelt, finden sich folgende bemerkenswerte Stellen: »Die Leiden der Haft, der Untersuchungshaft setzen stürmisch und mit einem Höhepunkt der Qual ein – mit der Verhaftung selbst, die in den meisten Fällen überraschend kommt, selbst für jene, die auf diesen Augenblick seit Monaten warten.« Dieser Gedanke wird einigemal an Beispielen erläutert und fast wörtlich noch zweimal wiederholt. Er ist also nicht gleichgültig, sondern sehr wesentlich.

Ich zitiere hier aus dem außerordentlich wertvollen Buche von Dr. J. Scholz über die Giftmörderin Gesche Gottfried, von der schon früher die Rede war, und der wir wichtige Aufschlüsse über die Metaphysik des Giftmordes verdanken, eine Stelle, die sich auf das Warten auf die Verhaftung bezieht. Der Giftmörder mordet nämlich nicht ins Blaue hinein, er will den Schatten seiner Tat sehen. Er ist, und darin gleicht die Vukobrankovics sehr ihrer größeren, teuflischeren Schwester Gesche Gottfried, auf der Suche nach der Identität. Er drängt sich an das Opfer heran, auch wenn er das Gift schon abgegeben hat und nichts mehr zu tun hat. Wie die Giftmörder nur auf die Wirkung des Giftes warten, warten sie auch auf die Wirkung des Giftmordes auf sich selbst, das ist: die Verhaftung und Untersuchung. Für beides bringt der Fall Gottfried außerordentlich bezeichnende Schilderungen. Für das erste: »Denjenigen, denen ich aus Trieb etwas gab«, sagte die Gottfried aus, »gab ich weniger als den anderen. Wenn sie weg waren, hatte ich Unruhe, wie es mit der Person geworden war. Ich schickte nächsten Tages unter leerem Vorwande hin und erfuhr dann jedesmal die Wirkung, nämlich Erbrechen.« So drängt sich die Vukobrankovics in das Haus Piffl und besonders an die Frau Stülpnagel mit krankhafter Neugierde, doppelt bemerkenswert bei ihrer sonstigen Zurückhaltung, heran.

Über die Verhaftung und die Erwartung derselben bei der Gottfried: »Um zwei Uhr erschien die Gerichtsbehörde in ihrem Zimmer. Die G. lag noch im Bett, sie war äußerlich ziemlich gefaßt, innerlich offenbar voll Angst. Auf die Anrede des Gerichtes, es gingen hier im Hause so eigene Dinge vor, die eine genaue Untersuchung erforderten, beging sie gleich die Unbesonnenheit, zu antworten, es habe sie auch schon längst verlangt, eine Untersuchung über sich ergehen zu lassen.« So hat die Vukobrankovics die schon auf Betreiben der gutherzigen, humanen Frau Piffl eingestellte Untersuchung wieder durch ihre »Komödie« aktiviert. Über die Gefühle vor der Gefangennahme erzählt sie in dem Buche verschiedenes, teils als selbst erlebt, teils als von anderen erlebt: »Eine Hebamme, der eine Patientin an den Folgen eines Eingriffs gestorben war, erzählte mir (der Vukobrankovics), wie sie von Stunde zu Stunde gewartet habe, bis die Polizei sie holen komme. Bei jedem Glockenzeichen sei sie tödlich erschrocken. Schließlich habe sie es daheim nimmer ausgehalten und sei planlos und ziellos durch die Straßen gelaufen, bis sie schließlich zu einer Kirche kam. Dort habe sie zum heiligen Judas Thaddeus gebetet, und sei dann ruhiger wieder heimgekehrt und daheim verhaftet worden.« (An anderer Stelle erzählt sie, man habe sie, die Vukobrankovics, einige Tage durch Detektive beobachten lassen. Aber ihrer Aufmerksamkeit zum Trotz habe sie fünfmal an einem Nachmittag das Haus verlassen. Ist das nicht: Planlos Hin- und Herirren?)

Als Gegenstück, aber offenbar erfunden und gar nicht charakteristisch, folgendes: »Eine andere Frau erzählte mir wieder, wie viel sie vor ihrer Verhaftung gebetet habe. In allen möglichen Kirchen sei sie gewesen, Messen habe sie lesen lassen, nun sei sie aber böse und wolle überhaupt nimmer beten. Es helfe ja doch nichts.«

Die Vukobrankovics behauptet zwar, vorher von dem hl. Thaddeus von ihrer Schulzeit her bloß gewußt zu haben, daß er ein Verwandter des Heilandes gewesen sei und daß ein sehr altes Bild, ihn darstellend, in der Jesuitenkirche »zu den neun Chören der Engel« am Hof in Wien verehrt werde. Als sie nun in der Gemeinschaftszelle ein Bildchen dieses Heiligen sieht, erkundigt sie sich bei einer Leidensgefährtin sofort, was es für eine Bewandtnis mit dem Bildchen habe. »Was, Sie kennen den hl. Judas Thaddeus nicht?« habe die Leidensgefährtin geantwortet, »und nun erzählt man mir von dem wundertätigen Bilde am Hofe, dessen Kopie ebendieses Bildchen vorstelle. Viele Votivtafeln in der genannten Kirche sollen Zeugnis davon ablegen, wie der Heilige jenen geholfen habe, die vertrauensvoll zu ihm flehten. Und – berichtet meine Erzählerin weiter – sie selbst sei oft in jener Kirche vor dem Gnadenbilde gekniet und habe dort auch diese und jene Leidensgefährtin aus unserer oder der Nachbarzelle gesehen.«

Aber es ist gar nicht die »Leidensgefährtin«, die den Heiligen und das alte Bild genau kennt und sich vor der erwarteten Verhaftung dorthin flüchtet, sondern sie selbst ist es. Und wenn sie sagt, sie hätte es bloß in der Schulzeit gekannt, so ist es eine Lüge und doch auch die Wahrheit. Das ist nicht die Schule, in die sie als Schülerin ging, sondern die, in der sie Unterricht erteilt hat, denn während dieser Schulzeit hat sie die Giftmordversuche im Hause Piffl unternommen. Wie sie weiter über die Sache spricht, beweist sehr deutlich, daß es ihre eigene Sache ist, um die es sich dreht.

»Allerdings ist es keine gute Reklame für den Heiligen, wenn die, die bei ihm Zuflucht suchen, nachher doch eingesperrt werden. Vielleicht hilft er später bei der Verhandlung. (!) Andererseits wäre es doch auch wieder ein schönes Zeichen seiner Unbestechlichkeit, wenn er der ›Gerechtigkeit‹ nicht in den Arm fiele.

Ja, Not lehrt beten, sagt ein altes Sprichwort, für dessen Richtigkeit ich unter meinen Mithäftlingen eine Reihe von Zeugen fand. Manch eine, die früher nie an Gott gedacht hatte, rannte zähneklappernd in die Kirche, als die Polizei hinter ihr her war, und betet jetzt, in stiller Zelle, ein Vaterunser nach dem anderen. Theoretisch erklären kann ich mir das, der Mensch sucht eben in seiner höchsten Not einen Trost, eine Stütze, eine Hoffnung; und je hoffnungsloser der Fall ist, desto brünstiger hofft er, weil natürliche Mittel ihn nicht mehr retten können, auf ein übernatürliches, auf das Wunder. Er fleht und betet um das Unmögliche zu Gott und zu seinen Heiligen und vermag durch seine Inbrunst eine ganze Schar von Zellengenossen mitzureißen.«

Nachdem sie so sehr ergreifend ihren eigenen Seelenzustand geschildert hat, nimmt sie schlau im folgenden alles wieder zurück.

»Theoretisch kann ich das, was ich eben gesagt, begreifen, persönlich nachfühlen aber nicht.« Aber es ist unverkennbar ihr eigenes Gedankensystem, das überall sich geltend macht. Das Merkantilische, Manchesterartige ihrer Weltanschauung, das schon in ihrem Verhalten zu der Firma Stülpnagel in Erscheinung getreten ist, macht sich sehr charakteristisch geltend bei den Worten: es sei keine Reklame für den Heiligen, nicht geholfen zu haben.

»Ist eine Religiosität«, fragt sie offenbar sich selbst, »die sich nur im Unglück und auf Hilfe spekulierend zeigt, nicht höchst unmoralisch? Und sollte man nicht meinen, daß gerade der vom Unglück verfolgte oder auch nur der mit Unglücklichen fühlende Mensch denken müsse, wenn so viel Jammer, so viel Ungerechtigkeit auf der Welt sei, könne es doch keinen höchst gerechten und weisen, allwissenden und allmächtigen Gott geben?«

Die Vukobrankovics übt nun strenge, an manchen Stellen auch verständige Kritik an den Polizeibehörden und den Gerichten, denen sie unnötige Härte vorwirft. Sonderbar klingen diese philanthropisch angehauchten Erörterungen aus dem Munde gerade dieses Menschen.

Sehr charakteristisch für die Verwirrung der Rechtsbegriffe ist folgende Darlegung, die zeigt, wie schlecht, wie unlogisch die Vukobrankovics denkt. Ihre Schlüsse sind scharf, aber zwingend nur durch ihre Schärfe, nicht durch ihre Wahrheit.

»In den Wachzimmern der Sicherheitsorgane {solche amtliche Ausdrücke liebt die Vukobrankovics im allgemeinen sehr, so sprach sie in der Verhandlung auch von dem ›Lehrkörper‹ der Schule) sind stets die Fälle plakatiert, die der Aufklärung harren, mit der Angabe des Preises (!) natürlich. Ist es ein Wunder, wenn man nicht gerade sich für die am schlechtesten honorierten Fälle am meisten interessiert? In den anderen Ämtern (im Original gesperrt gedruckt) wird es streng bestraft, wenn eine Partei dem Beamten ein Geschenk macht, um ihre Angelegenheit schneller erledigt zu wissen.«

Hierbei sind folgende Irrtümer der Vukobrankovics unterlaufen. Erstens wenden sich diese Plakate mit den Geldprämien nicht so sehr an die Beamten, als vielmehr an das Publikum, um es zu reizen, sonst vielleicht unbeachtete Wahrnehmungen, die zur Entdeckung eines Verbrechers dienen können, dem Gerichte mitzuteilen. Zweitens ist es ein fundamentaler Unterschied, ob man das rechtlich positive Bestreben, den Schuldigen zu eruieren, mit einer Prämie belohnt, oder ob eine »Partei« einen Beamten zu bestechen sucht, damit er das Recht beuge.

Einen Rechtsbegriff im tieferen Sinne hat die Vukobrankovics überhaupt nicht. Sie glaubt auch nicht daran, daß andere ihn haben könnten. Deshalb wurden die Aussprüche in der Verhandlung als so bezeichnend angeführt, daß man sie aus sadistischen Gründen im Gefängnis schlecht behandele. Auch das Fakultätsgutachten weist darauf hin, daß sie gerade in Rechtssachen eine blinde Stelle in ihrer Seele hätte, »es eben nicht begreife«. Auch die Memoiren enthalten eine in diesem Sinne bezeichnende Stelle.

– »Plötzlich – es dämmerte schon – wurde auch meine Zellentür wieder geöffnet – ich war bis jetzt noch immer ruhelos auf- und abgerannt – und Dr. Bruno (der Polizeikommissar) holte mich in höchsteigener Person nach oben in seine Kanzlei. Gleich auf dem Wege beschwerte ich mich bei ihm wegen der mir zuteil gewordenen schlechten Behandlung und wegen des Schmutzes in der Zelle. Er heuchelte Bedauern und sagte, gegen die Hausordnung könne er nichts machen. Aber ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen und gab der Freude Ausdruck, daß die moderne Folter so gut funktioniere. In seinem Büro angekommen, meinte er zu mir: ›Es ist ja in Ihre Hand gegeben, diesem Zustand, den Sie als so qualvoll empfinden, ein Ende zu machen. Legen Sie ein reumütiges Geständnis ab, und ich werde trachten, Sie zu enthaften.‹

Wie viele sind auf solche Versprechungen schon hereingefallen und haben unter dem Druck der vorhin geschilderten Qualen und in der Hoffnung, diesen Qualen dadurch ein Ende zu machen, ein fingiertes Geständnis abgelegt.« Nun erzählt sie ausführlich von einer unschuldig verhafteten Geschäftsfrau. Dann setzt sie fort: »Aus meiner Art, wie ich auf die verschiedenen Schikanen und Quälereien reagiert hatte, schloß Dr. Bruno, daß man bei mir mit der Einschüchterungsmethode nicht viel erreichen könne, und suchte nun, mir durch freundliches Entgegenkommen Vertrauen einzuflößen. Da er mein blasses Aussehen bemerkte, schrieb er mir einen Zettel, daß ich auch tagsüber das Bett benützen dürfe. Damit widerlegte er allerdings durch die Tat seine früher aufgestellte Behauptung, daß er auf Dinge, die das Gefängniswesen betreffen, keinen Einfluß habe. ( Aber vor allem widerlegt er durch dieses humane Wesen die Behauptung der verleumderischen Vukobrankovics, daß er das Bedauern ihr gegenüber nur geheuchelt habe. Das geht auch aus dem folgenden hervor.) Er bot mir eine Zigarette und Feuer, zündete dann selbst eine Zigarette an und redete mir zuerst eine Weile freundlich zu.«

Sich selbst stellt die Vukobrankovics immer als Menschenfreundin hin. Sie allein hat »ein Herz« für die armen Kreaturen, während »es Polizeibeamte gibt, denen wehrlosen Frauen gegenüber der Mut wächst und denen es eine Art Vergnügen bereiten muß, diese armen Geschöpfe zu erschrecken. »Kurz vor meiner jetzigen Haft«, erzählt die Vukobrankovics, »ging ich einmal spätabends von einem Konzert nach Hause. Mein Weg führte mich durch die Kärntnerstraße. ( Diese Straße entspricht der Friedrichstraße in Berlin.) Vor mir trippelte eng an den Häusern entlang ein kleines Frauenzimmer. Ich beachtete sie nicht weiter und sah erst später, daß sie ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt und entweder geheim oder behördlich sanktioniert der Prostitution ergeben gewesen sein dürfte. ( Curialstil.) Plötzlich fuhr aus einem Winkel ein Wachmann so auf sie los, daß ich unwillkürlich erschrak. Er packte sie an der Schulter und schnauzte sie an: ›Bist schon wieder da, du Kanaille, jetzt kommst aber gleich mit.‹ Sie weinte, sie bettelte, alles vergeblich. Er nahm sie unsanft beim Arm und wollte sie fortführen. Da verstellte ich ihm den Weg, verwies ihm ein barsches Benehmen in höflichen Worten und ersuchte, das Mädchen frei zu lassen, da ich selbst hinter ihr hergegangen sei und mich dafür verbürgen könne, daß sie nichts Unrechtes getan habe. Da kam ich aber schön an! Nun entlud sich das Unwetter über meinem Haupte, und mit knapper Not entging ich der Verhaftung wegen »Einmengung in eine Amtshandlung«. Der Wachmann aber zog mit seiner Beute ab. Es ist für die Vukobrankovics überhaupt sehr charakteristisch, daß sie immer den Wahn oder den Trieb hat, Justiz zu spielen. Mit Recht hat der Staatsanwalt gerügt, daß sie bei der zweiten Verhandlung unaufhörlich in den Gang der Verhandlung aktiv eingreift, oft mit scheinbarer Berechtigung, oft aber auch ganz willkürlich und fast immer mit Erfolg. Auch im ersten Prozeß hat sie bestimmte Zeugenaussagen gefordert, die Psychiater strikt abgelehnt. Dann wird es auch verständlich, daß sie, statt für ihre Begnadigung dankbar zu sein, einfach sagt: ich habe das Urteil nicht angenommen.

Die sentimentale Einstellung, die Giftmörderinnen oft zu eigen ist, ersieht man aus der folgenden Stelle, die vielleicht auch etwas homosexuellen Einschlag hat. Freilich ist das erotische Gebiet gerade bei den Verbrecherinnen schwer zu erforschen. Erotische Interessen sind, bei einer solchen Frau ganz besonders, allgemeine Lebensinteressen, und die genaue Scheidung von den anderen Lebensbezirken und anderen Gefühlsregungen ist schwer durchzuführen. Auch hier. Die Stelle lautet: »Während meiner Verhaftung mußte ich plötzlich an meine Lieblingsschülerin aus dem Vorjahr denken. Ich sah ihre großen, schönen Kinderaugen auf mich gerichtet und fragte mich voll schmerzlicher Neugier: ›Was wohl die kleine Käthe dazu sagen wird, wenn sie es erfährt.‹«

Dabei ist allerdings sicher, daß »die kleine Käthe« nicht allein das schöne, unschuldige Mädchen mit den »Kinderaugen« bedeutet, sondern die ganze Welt der Schule, der Bürgerlichkeit oder besser der Kleinbürgerlichkeit. Dieses kleinbürgerliche Element, Ordnungsliebe und sentimentales Hängen an Gegenständen ist allerdings sehr stark bei der Vukobrankovics. Ganz anders bei der Gesche Gottfried. Diese sagte aus: »Meine Bestürzung, meinen Schreck und Gefühl (als ich verhaftet wurde) kann ich unmöglich beschreiben ... Stelle dein Schicksal Gott anheim, sagte ich im stillen zu mir selbst. Du bist für diese Welt verloren und wirst dein Haus nicht wieder betreten.«

Als die Vukobrankovics erfährt, daß man genaue Hausdurchsuchung (ohne etwas zu finden) in ihrem Zimmer gehalten habe, ist sie tief erschüttert. Ja, es scheint, daß alles andere nicht so tief gegangen ist. Sie schreibt darüber: »Es läßt sich nicht beschreiben, daß in meinem Heiligtum, in meinem Schreibtisch, in meinem Bücherkasten, wozu ich keinem Menschen, nicht einmal meiner Mutter (?) Zutritt gewährt hatte, nun fremde Fäuste gewühlt und das Unterste zuoberst gekehrt hatten. Ich glaube an das, was Strindberg in einem seiner Werke ›die lebende Materie‹ oder ›die belebte Materie‹ nennt. Die Dinge, unter denen ich aufgewachsen bin, sie sind für mich gute Kameraden, jedes dieser Stücke hat sein eigenes Leben, seine besondere Geschichte, und oft glaube ich, daß auch sie mich kennen und lieben. (!) Die Sehnsucht nach diesen Gegenständen, nach unserem Haus, nach meinem Zimmer, nach dem Bücherkasten, dem Klavier und der Gitarre packt mich jetzt oft unbeschreiblich heiß und heftig und steigert die Qualen der Haft zur Unerträglichkeit ... Es war ein Schmerz, als ob man mir einen guten Freund gemordet hätte.« Sie hat aber keinen »guten Freund«, wenigstens kennt sie keinen Menschen, nach dem sie die Sehnsucht »unbeschreiblich heiß und heftig packe«. Sind das die Gefühle der alten Jungfer, der Urschel, oder ist es der Ausdruck dafür, daß ein zum Spielen verdammter Mensch nirgends mehr festen Boden unter den Füßen hat und sich in seinen Zweifeln der Identität an die leblosen Dinge klammert, von denen er sich geliebt glaubt, weil er selbst sie liebt, während die belebten Dinge, das heißt, die Menschen nur zu sehr unter ihm zu leiden haben und er auch unter ihnen. Sie wird nicht müde, über diesen Eingriff in ihr wertvollstes Gut zu jammern. Kaum ein Wort über die Mutter, deren einzige Tochter und einzige Freude sie ist, sondern wieder nur folgendes: »Namentlich für Bücher hatten die Menschen, die meinen Bücherkasten durchwühlten, kein Herz. Da waren Einbanddeckel losgerissen und gebrochen, Seiten beschmutzt, Blätter eingerissen und eingebogen.« Sie sagt später selbst, es handle sich dabei um rein sentimentale Regungen, tut aber diese abschwächende Äußerung nur deshalb, damit man in der Sorge um ihr Eigentum nicht die Angst vor der Bestätigung des Giftverdachtes wittern möge.

Für ihr erotisches Gefühl zu Frauen spricht folgende Stelle. Sie erzählt: »Eine Zellengenossin, ein hübsches, blutjunges Mädchen aus sehr gutem Hause, war während der Kriegszeit verschiedener politischer Delikte beschuldigt worden. Wegen ihrer knabenhaften Körperformen, ihres kecken Bubengesichtes und ihres oft jungenhaft übermütigen Benehmens wurde sie von Angehörigen Sascha genannt, und auch wir (in der Zelle) pflegten sie mit diesem Bubennamen zu rufen. Sascha gehörte wirklich einer geheimen Vereinigung von Anarchisten an usw.«

Es kommt ihr nicht darauf an, für die Republik in Österreich ein gutes Wort einzulegen, an einer anderen Stelle setzt sie sich, an sich nicht unvernünftig, gegen den ominösen Abtreibungsparagraphen ein, der bloß die sozial schlecht gestellten Schichten treffe und die gut bürgerlichen Kreise schone.

Wie sehr der Vukobrankovics das Geschäftliche ins Fleisch und Blut gedrungen war, erhellt auch aus folgender Stelle. Man darf dabei nicht annehmen, daß im Geschäfte Stülpnagels für sie besondere materielle Vorteile bestanden. Sie mag da Eigennutz ebensowenig bewiesen haben, als er auch sonst bei ihr in Erscheinung tritt. Wohl bedeutet die leitende Stellung, die gesicherte Gegenwart und sorgenlose Zukunft, beides hatte die Vukobrankovics schätzengelernt, aber ihr eigenes Schicksal hätte ihr doch näher liegen müssen als das Schicksal des Geschäftes. Und doch gelten ihre ersten Gedanken, Bedenken und Sorgen bei der Verhaftung nicht ihr selbst, sondern der Firma. – Man geht vielleicht nicht fehl, wenn man ihr wenigstens in diesem Punkte glaubt. »Da ich die Kassenschlüssel und andere Schlüssel des Büros bei mir trug und aus Erfahrung wußte, daß man, wenn man bei einer österreichischen Behörde zu tun hat, nicht unter ein paar Stunden wegkommt, ersuchte ich den (verhaftenden) Detektiv, mich entweder vorerst ins Büro zu begleiten oder mir sonstwie Gelegenheit zu verschaffen, die Schlüssel einem zuverlässigen Menschen zu übergeben, da ich für die Kasse verantwortlich sei und man im Büro Geld und Geschäftsbücher dringend brauche. Erst nach mehr als 24 Stunden wurde dieser dringenden und sicher gerechtfertigten Bitte entsprochen. Auf der Polizei angekommen, wieder dasselbe Warten. Ich saß wie auf Kohlen. Im Büro lag viel Arbeit für mich, und ich allein trug die ganze Verantwortung, da der Chef (an Bleivergiftung) krank lag. Ein Teil des Personals war auf Urlaub, ein anderer neu eingetreten und noch nicht so versiert, außerdem hatte ich mir für den Vormittag mehrere Parteien zu Besprechungen bestellt, wollte Geld kassieren, sollte Rechnungen bezahlen ... Viertelstunde auf Viertelstunde verrann, der Kommissär kam nicht. Ich saß mit der Uhr in der Hand und wartete.«

Sehr charakteristisch ist eine Stelle im dritten Kapitel des Buches. Der Aufsichtsbeamte kann den undeutlich geschriebenen Namen der Vukobrankovics nicht lesen. »Nachdem er eine Weile studiert und sich hinterm Ohr gekratzt hatte, fragte er in fast beleidigtem Tone: ›Wia haßen Se?‹ Ich gab ruhig Auskunft, innerlich allerdings mit einiger Unsicherheit. Denn ich hatte in den letzten Tagen und Stunden solche Aufregungen und Gemütserschütterungen mitgemacht und war namentlich nach meinen Personaldaten so oft und eindringlich gefragt worden, daß ich wirklich schon zu zweifeln begann, ob ich wirklich ich sei, ob ich immer noch so und so heiße und ob ich je so geheißen habe. (!)

Ich habe in der Folge Stunden erlebt, in denen ich mir die Nägel ins Fleisch grub, um mich zu versichern, daß alles Wirklichkeit sei, daß ich noch lebte, wachte und nicht einen bösen Traum träumte.«

Manches wieder ist albern romanhaft, es stammt eben aus einer Zeit der Courths-Mahler, des Kinos. »Die Ruhe, die einen umfängt«, erzählt die Vukobrankovics, »hat nichts wohltuendes, sie ist furchtbar bedrückend und aufregend. Sie kann zur Verzweiflung, zur Raserei bringen. ›Lebendig begraben‹ mußte ich in einem fort denken, und noch heute verfolgt mich dieser Gedanke. Und doch ist dieser Zustand noch bedeutend ärger, als lebendig begraben sein (!), denn der lebendig Begrabene stirbt in kurzer Frist – dann ist er erlöst –. Die Qualen der Haft aber dauern lange ... In kurzen Zeiträumen kam der Posten an meiner Tür vorbei, dann guckte er herein. Mir kam blitzartig der Gedanke: ich werde warten, bis er weitergeht, dann werde ich schnell meinem Leben ein Ende machen, den Kopf gegen die Mauer rennen oder die Pulsadern durchbeißen (!). Dann dachte ich aber weiter: wenn sie mich tot finden, werden sie sagen, ich sei doch schuldig gewesen, ich habe mich selbst gerichtet ... ich erkannte daher, daß es nötig war, unter allen Umständen durchzuhalten und diesen Kampf zu Ende zu kämpfen.« Das ist allerdings nur Phrase. Echter ist folgende Klage, und wenn sie auf Wahrheit beruht, machte sie der Stadt Wien und ihrer Polizei keine Ehre: »Es war kein Trinkgefäß, auch kein Becher in der Zelle, ich hätte also aus dem Kruge trinken müssen. Da auch keine Waschgelegenheit in der Zelle vorhanden war, benützte ich das Wasser im Kruge, um mir ein wenig Wasser auf das Taschentuch zu gießen und mich so zu waschen. Angeblich soll im Polizeigefangenenhaus auch ein Bad sein, doch hat man mich nie hingeführt, und auch meine Leidensgenossinnen haben es nie gesehen.«

Das Bett besteht aus einer eisernen Bettstelle, darauf liegt ein zerrissener Strohsack aus graubrauner Sackleinwand, ein eben solcher Polster und eine dunkelbraune, pferdedotzenähnliche Decke. »Mich ekelte«, sagt die Vukobrankovics, »als ich dieses Bett näher besah. Strohsack und Polster zeigten reichlich Spuren zerdrückter Insekten, daneben auch Blutflecke und Flecken undefinierbarer Herkunft ...« Natürlich sind auch Wanzen in reichlicher Menge vorhanden. »Fiel solch ein Tierchen von der Decke auf mein Bett«, erzählt sie weiter, »daß ich es mühelos mit der Hand erreichen konnte, oder kam es gar meinem Gesicht zu nahe, was ich, wenn ich es nicht sah, sofort an dem unleidlichen Geruch erkannte, dann gab ich ihm mit dem Finger einen Stüber, so daß es in sanftem Bogen zur Erde fiel. Ich habe einmal gehört, daß es mancher alte Türke ebenso machen soll. Was ich nicht mühelos erreichen konnte, ließ ich ungestört. Zwar spürte ich bald ein heftiges Krabbeln, Jucken und Brennen am ganzen Körper, doch war ich zu stumpf, um etwas dagegen zu tun.

... Ich mußte weiter denken, wie ungerecht und hart die Menschen doch eigentlich sind. Was tut uns die Wanze? Sie beißt uns, und der Schaden ist so gering, daß er, juristisch gesprochen, nicht einmal einer leichten Körperbeschädigung gleichkommt. (Als leichte Körperbeschädigungen sah die Vukobrankovics ihre eigenen Taten an.) Was tun wir Menschen dafür der Wanze? Wir verurteilen sie zum Tode und vollstrecken dieses Urteil nicht immer auf die humanste Art ... Ich war so apathisch, daß ich für die aktiven Gefühle, die mich bei Tage beseelten, Zorn, Scham, Trotz, Enttäuschung, Erbitterung, keine Kraft mehr fand, sondern still dalag, in Schmerz aufgelöst. Manchmal schwieg für Augenblicke dieser Schmerz – dann betrachtete ich das ganze Erlebnis, meine Umgebung, mein Schicksal, mich selbst mit gespanntem, fast neugierigem Interesse – als ob ich ein unbeteiligter Zuschauer wäre. Ich fragte: Wache ich oder träume ich? Bin ichs oder bin ichs nicht? Lebe ich oder bin ich tot?«

Sehr interessant sind die moralisierenden Betrachtungen der Vukobrankovics. Es ist schon aufgefallen, welche eigenartige Kraft sie treibt, Gerechtigkeit zu spielen. Im ethischen Sinn wird sich die Vukobrankovics trotz gelegentlicher Reue allen anderen, und besonders den Berufsrichtern und Polizeibeamten gegenüber, im Punkte des Rechtsempfindens überlegen gefühlt haben. Das Moralisierende, Frömmlerische wird man bei der Gottfried noch viel deutlicher fühlen, das Courthsmalerische ist bei der anderen, einer ganz geschlossenen Persönlichkeit, noch viel exemplarischer zum Ausdruck gekommen. Daß aber die Vukobrankovics zu Gericht sitzt, und zwar nicht über sich, sondern auch über andere, das ist eine Eigenheit, die sich nicht so bald wiederholt. Sie erzählt: »In der ersten Nacht, wenn der Gefangene das erste Mal wieder mit sich allein ist, tritt gewöhnlich die erste Ernüchterung nach der Tat ein. Er legt sich Rechenschaft ab über sein Tun und fühlt und ahnt wohl die näheren und entfernteren Folgen zum erstenmal. Später sorgen schon die meisten Herren von der Polizei und vom Gericht dafür, daß diese Reue wie jede andere bessere Regung im Häftling unterdrückt werde. Sie bringen in der Regel dem Geständigen so wenig Verständnis entgegen, nehmen überall die schwärzesten, unedelsten Motive an, sehen die böseste Absicht und halten jeden für schlechter, als er in Wirklichkeit ist, so daß sich auch der Schuldigste ungerecht behandelt fühlen muß. Das weckt Erbitterung und Trotz, durch die die Herren sich selber schon manches Geständnis verscherzt (!) haben – und durch sie auch in den meisten Häftlingen die Reue ertöten. Wahre Reue ist für den Verirrten das erste und wichtigste Heilsmittel, denn nicht die Strafe läutert ihn, die Strafe verdirbt ihn nur ...«

»Mir ist es in der Folge mehreremal geschehen, daß Frauen, die den Richtern gegenüber die ihnen zur Last gelegte Tat leugneten, mir ihr Vergehen unter den Zeichen lebhaftester Reue eingestanden haben und mir, da ich sie zu trösten, aufzurichten und zu gutem Vorsatz zu bewegen suchte, unter Tränen das Versprechen gaben, sich in Zukunft nie mehr gegen die Gesetze verfehlen zu wollen.«

Offenbar von sich selbst spricht sie in folgender Stelle: »Da hat einer vielleicht wirklich einmal einem anderen eine leichte Körperverletzung zugefügt, er bereut sein Tun, und es drängt ihm (!) förmlich, sich dem Kommissar oder dem Richter anzuvertrauen. Aber Richter und Kommissar wollen von der leichten Körperverletzung nichts wissen – ein interessanter Fall winkt – die Affäre wird als versuchter Mord hingestellt, obwohl der ›Ermordete‹ lebt und heil und gesund ist. Der Täter erschrickt – Mord? Das war nicht seine Absicht und war auch nicht geschehen. Wenn er sich nun nicht als ›Mörder‹ verurteilt wissen will, bleibt ihm nur das eine Mittel, die Handlung als solche überhaupt in Abrede zu stellen, also auch die leichte Körperbeschädigung zu leugnen. Er wird verbittert und verzweifelt an der Gerechtigkeit überhaupt.«

Zweifel an der irdischen Gerechtigkeit spricht sie wiederholt aus: »Die innere Ungewißheit: der Verhaftete wisse nie, wie die Sache ausgeht, weil er nie weiß, wie sie von den Herren, von denen sein Schicksal abhängt, aufgefaßt werden wird. Vielleicht ist diese innere Ungewißheit bei der zweiten Verhaftung noch größer, weil man da schon Erfahrung hat und weiß, von welchen Zufällen man abhängig ist und wie wenig man auf Menschlichkeit rechnen darf.« (Dabei war sie doch nach kurzer Strafhaft begnadigt worden. Wer konnte auf Menschlichkeit rechnen, wenn nicht sie?) An anderer Stelle spricht sie von ihrem empörten Gerechtigkeitsgefühl, aber es ist eher Größenwahn und Verfolgungswahn, die sich überhaupt gern kombinieren. Denn wenn man eine sittliche oder geistige Größe nicht anerkennt, wie es ihrem Wahne entspricht, wird sie sich verfolgt wähnen, und ihr Gerechtigkeitsgefühl wird sich empören. Aber dieser Größenwahn erstreckt sich auch auf die Mitgefangenen: Sie gibt ihnen »prächtige Anlagen«, die nur durch die Haft zerstört würden. Die Haft, die Strafe ist an allem schuld, davon wird sie niemand abbringen. Daß Haft nicht bessernd wirke, wird wohl richtig sein, aber ebensowenig wird sie den seelischen Kern eines Menschen anfressen können, eher versteinern. Und vor allem ist Strafe und Haft nur die Notwehr der menschlichen Gesellschaft, und man müßte ohne Voreingenommenheit gegen die Vukobrankovics sagen, die Haft für sie kann zwar nicht mild und rücksichtsvoll genug sein, aber ebensowenig darf sie zu kurz währen. Nicht als Strafe, sondern als Schutz und Prophylaxe. Sie selbst sagt: »Der Mensch wird in der Zelle verbittert, gereizt, kleinlich, boshaft, er vertiert allmählich. Und wenn er dann nach monatelanger Haft in den Gerichtssaal kommt, zeigen juristische Richter, Staatsanwalt und Psychiater mit dem Finger nach ihm und rufen entrüstet: Seht doch diesen schlechten, boshaften, gemeinen Menschen. Daß aber der Mensch erst in der Haft so geworden ist, daß er die Schlechtigkeit von Mithäftlingen, die Kleinlichkeit von Richtern und Psychiatern, die gemeinen Schimpfwörter von Aufsehern gelernt hat – das verschweigen sie alle, diese Hüter des Gesetzes ...

Es gibt sowohl unter den kleinen Gelegenheitsdiebinnen als auch unter den ganz großen Berufsverbrecherinnen wahrhaft gütige Menschen, Leute, auf deren Wort man bauen kann, die Treue und Freundschaft vielleicht besser halten als mancher Spießbürger. ( Spitze gegen Stülpnagel?) ... So fand ich in den Weiberzellen des Landesgerichtes gerade unter den ›schwersten Nummern‹ Frauen von genialen Fähigkeiten (!), von sittlichem Werte, Frauen, um die ich hätte weinen mögen ( offenbar sie selbst), daß ihnen kein besseres Los beschieden war als der Kerker, Frauen, die von einem vernünftigen Psychiater – der anscheinend noch nicht geboren wurde sicherlich gerettet worden wären.«

Die Gesche Gottfried schreibt: »O wie leicht irrt man in der Beurteilung des menschlichen Herzens! Wie empfindlich der Schmerz ist, von anderen verkannt zu sein und sich bei bestem Willen hämisch beurteilt zu sehen, davon hat wohl keiner mehr Ursache als ich ... So unedel, wie sie mich schildern, bin ich nicht, bloß unglücklich. Wer hat mehr Tränen der Verzweiflung geweint als ich – und lebe dennoch ... Können Sie mir eine unedle Handlung beweisen? Eine unglückliche Ehe war mein Los, aber Vertrauen zum lieben Gott ließ mich alles ertragen.« Es handelt sich bei diesen Briefstellen der dreißigfachen Giftmörderin um Briefe an einen Mann, dem die Gottfried stets »als Frau von hohem Ehrgefühl und edlem Stolz« erschienen war, und der, als die Giftmorde ans Tageslicht gekommen waren, mit der Veröffentlichung ihres Verhaltens in der Schuldsache gedroht hatte. Der Größenwahn der Giftmörderin geht aus den Briefen deutlich hervor.

Und doch, Vukobrankovics hat nicht nur ein sehr feines Gefühl für die Unhumanität anderer, sie hat auch selbst Regungen von Menschlichkeit. Sie erzählt von einer tschechischen Gefangenen (auch hier mögen homosexuelle Motive mitspielen, aber das ändert nichts an dem ethischen Wert der Handlungen), die wegen politischer Gründe gefangen war. »Bozena war damals am Verhungern. Die ärarische Kost war unzureichend. Zu kaufen bekam man im Gefängnis nur Wein und schwarzen Kaffee. (Es war gegen Ende des Krieges, und in Österreich herrschte Hungersnot.) Manchmal erhielt Bozena Pakete von ihren Angehörigen aus Böhmen. Diese ließ man eine Zeitlang liegen, bis sie in der Kanzlei verdarben. So hatte Bozena nie satt zu essen, und meine erste Sorge war, sie ›aufzufüttern‹. Freilich ging dies nur ein ganz klein wenig, denn ich mußte von meinen Paketen auch an Sascha etwas abgeben, die ebenfalls wenig von daheim erhielt. Und ich bekam von meiner guten Mutter nur Pakete für mich, also nur für eine Person. Die Zeiten ließen sich schlecht an, man bekam selbst für Geld nichts zu kaufen, und ich hatte nicht das Herz, meine Mutter um größere Sendungen zu bitten. Was für eine Person bestimmt war, mußte für zwei reichen. Bozena sah zwar nach einiger Zeit ein ganz klein wenig besser aus, aber ich fürchtete doch, sie würde die Haft nicht mehr lange ertragen. Da schwor ich ihr zu helfen. Bozena war älter als ich, aber ich war energischer« (eben der Mann in der homosexuellen Bindung). »Verhandlung um jeden Preis: war die Parole ... Ich ließ kleinliche Erwägungen beiseite, schüttelte die Angst ab und handelte. Der Streich gelang. Bozenas Freund intervenierte bei einem Abgeordneten. Ich triumphierte, Bozena bekam durch mich ihre Verhandlung.«

»Im übrigen betone ich nochmals«, sagt sie aber am Ende eines Kapitels, »daß weder Sensationslust, noch Rachegier, noch sonst ein unlauteres Motiv mich bestimmt, diese Dinge aufzuzeigen, sondern einzig und allein der aufrichtige Wunsch, den Ärmsten der Armen zu helfen.«


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