Gustav Weil
Tausend und eine Nacht, Dritter Band
Gustav Weil

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Geschichte des Prinzen Ahmed und der Fee Pari Banu.

Zwei persische Worte, welche beide eine und dieselbe Bedeutung haben, nämlich: weiblicher Geist oder Fee.

Herr! Es war einmal ein Sultan, und zwar einer der Vorfahren meines Königs, der viele Jahre lang friedlich über Indien herrschte und noch in seinem hohen Alter die Freude hatte, an drei Prinzen, seinen Söhnen und würdigen Nachahmern seiner Tugenden, sowie an einer Prinzessin, die seine Nichte war, die Zierde seines Hofes zu besitzen. Der älteste von den Prinzen hieß Husein, der zweite Ali, der jüngste Ahmed, und die Prinzessin, seine Nichte, Nurunnihar.

Die Prinzessin Nurunnihar war die Tochter des jüngsten Bruders vom Sultan, der vom Sultan einen bedeutenden Jahresgehalt bezogen, aber schon wenige Jahre nach seiner Vermählung gestorben war, und sie als zartes Kind hinterlassen hatte. In Rücksicht auf die brüderliche Freundschaft und treue Anhänglichkeit, die sein Bruder ihm stets bewiesen, hatte der Sultan die Tochter desselben in seinen eigenen Palast aufgenommen, um sie mit den drei Prinzen erziehen zu lassen. Mit einer ausnehmenden Schönheit und allen nur erdenklichen Vollkommenheiten des Körpers vereinigte diese Prinzessin einen außerordentlichen Verstand, und ihre fleckenlose Tugend zeichnete sie vor allen Prinzessinnen ihrer Zeit aus. Der Sultan, als Oheim der Prinzessin, der sich längst vorgenommen hatte, sie, wenn sie einmal mannbar geworden sein würde, zu verheiraten und durch ihre Vermählung mit irgend einem benachbarten Fürsten ein Freundschaftbündnis anzuknüpfen, dachte jetzt um so ernstlicher darauf, als er bemerkte, daß seine Söhne alle drei in leidenschaftlicher Liebe zu ihr entbrannten. Dies machte ihm viel Herzeleid, nicht sowohl, weil er dadurch verhindert wurde, das beabsichtigte Bündnis abzuschließen, sondern vielmehr, weil er die Schwierigkeit voraussah, sie über diesen Punkt zu vereinigen, und wenigstens die zwei jüngeren zu bewegen, daß sie die Prinzessin dem ältesten überlassen sollten. Er sprach mit jedem von ihnen insbesondere, und nachdem er ihnen die Unmöglichkeit vorgestellt hatte, daß die Prinzessin alle drei zugleich heiraten könne, sowie die Unruhen, die aus ihrem hartnäckigen Beharren entstehen würden, so bot er alles auf, um sie zu überreden, daß sie entweder der Prinzessin die entscheidende Wahl unter ihnen überlassen, oder alle drei von ihren Ansprüchen abstehen und zugeben sollten, daß sie mit einem auswärtigen Fürsten vermählt würde; sie selbst könne ja auf andere Verbindungen denken, bei denen er ihnen durchaus nichts in den Weg legen wolle. Da er aber eine unüberwindliche Hartnäckigkeit bei ihnen fand, so ließ er sie alle drei vor sich kommen und sprach also zu ihnen: »Meine Söhne, da es mir nicht gelungen ist, euch zu euerm eigenen Wohl und zu eurer Ruhe zu überreden, daß ihr von euren Ansprüchen auf die Prinzessin, meine Nichte, abstehen möchtet, und da ich von meiner väterlichen Gewalt keinen Gebrauch machen und sie nicht einem, mit Hintansetzung der beiden andern, geben will, so glaube ich nunmehr ein passendes Mittel gefunden zu haben, um euch zufrieden zu stellen, und die pflichtschuldige Einigkeit unter euch zu bewahren, wenn ihr anders auf meine Worte hören und das ausführen wollet, was ich euch sagen werde. Ich halte es nämlich für angemessen, daß ihr auf Reisen gehet, und zwar jeder allein und in ein anderes Land, so daß ihr nicht miteinander zusammentreffen könnet; und da ihr wisset, wie neugierig ich auf alles bin, was für selten und einzig in seiner Art gelten kann, so verspreche ich meine Nichte demjenigen, der mir die außerordentlichste und merkwürdigste Seltenheit mitbringen wird. Auf diese Weise kann es der Zufall mit sich bringen, daß ihr selbst über die Vortrefflichkeit der von euch mitgebrachten Sachen durch Vergleichung derselben urteilen werdet und dann werdet ihr hoffentlich so billig sein, demjenigen den Vorzug zu überlassen, der ihn verdient. Zur Bestreitung der Reisekosten und zum Ankauf der Seltenheiten, die ihr mitbringen wollet, werde ich jedem von euch eine eurem Stande angemessene Summe mitgeben, die ihr aber nicht auf Reisegefolge oder Reisegerätschaften verwenden dürfet; denn ihr würdet dadurch eure Abkunft verraten und könntet leicht die Freiheit einbüßen, deren ihr nicht nur zur Ausführung eures Plans, sondern auch dazu bedürfet, um alles, was eure Aufmerksamkeit verdient, beobachten und einen um so größeren Nutzen aus eurer Reise ziehen zu können.« Da die drei Prinzen sich immer willig in die Wünsche des Sultans, ihres Vaters, gefügt hatten, und jeder sich schmeichelte, das Glück werde ihm günstig sein und zum Besitz der Prinzessin Nurunnihar verhelfen, so gaben sie zur Antwort, sie seien bereit, zu gehorchen. Der Sultan ließ ihnen ohne Aufschub die versprochene Summe ausbezahlen, und sie gaben noch an demselben Tage ihre Befehle, daß die Vorkehrungen zu ihrer Reise getroffen wurden; sodann nahmen sie Abschied von ihrem Vater, um sich am anderen Morgen in aller Frühe auf den Weg machen zu können. Sie zogen alle drei, wohlberitten, mit allem Nötigen versehen, als Kaufleute verkleidet und jeder nur mit einem einzigen vertrauten Diener in Sklavenkleidern, zu demselben Tore hinaus und gelangten miteinander in die erste Nachtherberge, von wo dann sich der Weg nach drei Richtungen teilte. Als sie hier die Abendmahlzeit verzehrten, die sie sich hatten bereiten lassen, so verabredeten sie untereinander, daß ihre Reise ein Jahr dauern sollte, und bestellten sich wieder in dieselbe Herberge, mit der Bedingung, wer zuerst eintreffe, solle auf den anderen warten, und die beiden dann auf den dritten, so daß sie alle drei, wie sie zugleich miteinander von ihrem Vater, dem Sultan, Abschied genommen hatten, ebenso bei ihrer Rückkehr wieder vor ihn treten könnten. Am anderen Morgen stiegen sie mit Tagesanbruch, nachdem sie einander umarmt und sich gegenseitig glückliche Reise gewünscht hatten, zu Pferd, und schlugen nun jeder einen von den drei Wegen ein, ohne wegen der Wahl Streit zu bekommen.

Der Prinz Husein, der älteste von den drei Brüdern, der viel von der wundervollen Größe und Macht, dem Reichtum und dem Glanze des Königreichs BisnagarDas indische Königreich Bisnagar, auf der indischen Halbinsel, hatte eine sehr glänzende Periode während des fünfzehnten Jahrhunderts, und die Fürsten dieses Staats scheinen mittelbar oder unmittelbar fast ganz Südindien, wenigstens den im Süden vom Flusse Kistna gelegenen Teil, in ihrer Gewalt gehabt zu haben. Die portugiesischen Schriftsteller bezeichnen es bisweilen mit dem Namen Königreich Narsinga, dem Namen eines der mächtigsten Fürsten dieses Reichs. Die Hauptstadt Bisnagar wurde um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts an den Ufern des Tongbudra von zwei Brüdern gegründet, die ihr den Namen Bidjayanagara (Siegesstadt) gaben, woraus nachher Bidnagar entstand. Das Königreich wurde im Jahr 1564 durch eine Koalition der vier muselmännischen Sultane von Bizapur, Golkonda, Ahmednagar und Berar zerstört. Nach einer Schlacht, in welcher der indische Fürst besiegt und getötet wurde, fiel seine Hauptstadt in die Gewalt der Muselmänner, welche das ganze Reich verheerten und unter sich teilten. gehört hatte, nahm seine Richtung nach dem indischen Meer, und nach einer Reise von etwa drei Monaten, wobei er sich an verschiedene Karawanen anschloß und bald öde Wüsten und steile Berge durchzog, bald aber auch sehr bevölkerte, wohlbebaute und fruchtbare Gegenden, wie man sie nicht leicht in anderen Teilen der Erde trifft, kam er nach Bisnagar, der Hauptstadt des gleichnamigen Königreichs und dem gewöhnlichen Wohnsitze seiner Könige. Er kehrte in einem Chan ein, wo die fremden Kaufleute abzusteigen pflegen, und da er hörte, daß es hauptsächlich vier Orte in der Stadt gebe, wo die Kaufleute und Verkäufer aller Arten von Handelswaren ihre Läden haben, so begab er sich gleich am folgenden Tage nach einem dieser Stadtviertel. In der Mitte desselben lag das Schloß oder vielmehr der Palast der Könige, der einen sehr bedeutenden Raum einnahm, und gleichsam den Mittelpunkt der Stadt bildete. Die Stadt aber hatte drei Ringmauern, und ihre Tore waren zwei volle Stunden Wegs von einander entfernt. Der Prinz Husein konnte das Stadtviertel, worin er sich befand, nicht ohne Bewunderung betrachten: es war sehr geräumig und in die Kreuz und Quere von mehreren Straßen durchschnitten, welche sämtlich zum Schutz gegen die Sonnenhitze oben überwölbt, aber gleichwohl sehr hell waren. Die Kaufläden waren alle gleich groß und hatten ganz die gleiche Form; die Läden derjenigen Kaufleute, welche die gleichen Artikel führten, waren nicht zerstreut, sondern in einer und derselben Straße beisammen; ebenso verhielt es sich auch mit den Buden der Handwerker. Die Menge der Läden, die mit einer und derselben Art von Waren angefüllt waren, wie z. B. mit den feinsten Schleiertüchern aus den verschiedenen Gegenden Indiens, mit buntbemalten Linnentüchern, worauf in den lebhaftesten Farben Menschen, Landschaften, Bäume und Blumen dargestellt waren, mit Seide- und Brokatstoffen aus Persien, China und anderen Orten, mit Porzellan aus Japan und China, mit Fußteppichen von allen Größen – dies alles überraschte ihn so sehr, daß er nicht wußte, ob er seinen eigenen Augen trauen durfte. Als er aber vollends zu den Läden der Goldschmiede und Juweliere kam (beide Gewerbe wurden nämlich von einer und derselben Klasse von Kaufleuten betrieben), da war er beim Anblick der ungeheuren Menge ausgezeichneter Gold- und Silberarbeiten ganz außer sich und wie geblendet vorn Glanze der Perlen, Diamante, Smaragde, Rubine, Saphire und anderer Edelsteine, welche in Hülle und Fülle zum Verkauf ausgesetzt waren. Wenn er nun schon über die Aufhäufung so vieler Reichtümer an einem einzigen Orte verwundert war, so wuchs sein Erstaunen noch weit mehr, wenn er an den Reichtum des ganzen Königreichs dachte, denn er bemerkte, daß außer den Braminen und Tempeldienern, die es zu ihrem Berufe machten, fern von den Eitelkeiten der Welt zurückgezogen zu leben, im ganzen Reiche nicht leicht ein Inder oder eine Inderin zu sehen war, die nicht Hals- und Armbänder, ja sogar an den Schenkeln und Füßen Schmuck von Perlen und Edelsteinen gehabt hätten, deren Glanz um so mehr hervorleuchtete, als die Einwohner alle schwarz waren. Eine andere Eigentümlichkeit, die der Prinz Husein bewunderte, war die große Menge von Rosenverkäufern, von denen alle Straßen wimmelten. Er dachte, die Inder müssen große Liebhaber von dieser Blume sein, denn er sah auch nicht einen, der nicht einen Rosenstock in der Hand oder einen Rosenkranz auf dem Kopf gehabt hätte, und namentlich standen in jedem Kaufladen mehrere Vasen mit diesen Blumen zu sehen, so daß das Stadtviertel trotz seines gewaltigen Umfangs ganz davon durchduftet war. Als nun der Prinz Husein, voll Gedanken über die vielen Reichtümer, die sich seinen Augen darboten, sämtliche Straßen dieses Stadtviertels durchwandelt hatte, fühlte er endlich das Bedürfnis, auszuruhen. Er gab dies einem Kaufmann zu erkennen, und der Kaufmann lud ihn sehr höflich ein, in seinen Laden zu treten und sich bei ihm zu setzten, was er dann auch annahm. Er war noch nicht lange da gesessen, als er einen Ausrufer vorübergehen sah, mit einem Teppich von etwa sechs Fuß ins Gevierte, den er zum Preise von dreißig Beuteln im Aufstreiche ausbot. Diesen Ausrufer beschied er zu sich und verlangte den Teppich zu sehen, der ihm nicht bloß wegen seiner Kleinheit, sondern auch wegen seines sonstigen geringen Aussehens viel zu teuer ausgeboten schien. Als er ihn lange genug betrachtet hatte, sagte er zu dem Ausrufer, er könne nicht begreifen, wie man einen so kleinen und so unscheinbaren Teppich zu einem so hohen Preise feilbieten könne.

Der Ausrufer, der den Prinzen Husein für einen Kaufmann hielt, gab ihm zur Antwort: »Edler Herr, da dir dieser Preis schon übermäßig hoch vorkommt, so wirst du dich noch weit mehr wundern, wenn ich dir sage, daß ich Befehl habe, ihn bis auf vierzig Beutel zu steigern und bloß für diesen Preis und zwar gegen bares Geld abzulassen.« – »Demnach«, versetzte der Prinz Husein, »muß er irgend eine mir unbekannte Eigenschaft haben, die ihm so viel Wert verleiht.« – »Du hast es erraten, edler Herr«, antwortete der Ausrufer, »und du wirst es mir selbst zugeben, wenn ich dir sage, daß man sich auf diesen Teppich nur zu setzen braucht, um überall hin, wo man nur wünscht, versetzt zu werden, und daß man augenblicklich an dem gewünschten Orte ist, ohne daß irgend ein Hindernis in den Weg kommen kann.« Bei diesen Worten dachte der indische Prinz, da der Hauptgrund seiner Reise doch nur sei, dem Sultan, seinem Vater, irgend eine außerordentliche und unerhörte Seltenheit zu bringen, so werde er nicht leicht etwas habhaft werden können, das dem Sultan größere Freude machen könne. »Wenn dieser Teppich«, sagte er zu dem Ausrufer, »wirklich die Eigenschaft hätte, die du rühmst, so würde ich den dafür verlangten Preis von vierzig Beuteln keineswegs zu hoch finden und könnte mich wohl entschließen, die Summe dafür zu bezahlen; außerdem würde ich dir noch ein Geschenk machen, mit dem du gewiß zufrieden sein könntest.« – »Edler Herr«, antwortete der Ausrufer, »ich habe dir die Wahrheit gesagt und werde dich leicht davon überzeugen können, sobald du unter der Bedingung, daß ich dich eine Probe sehen lasse, den Handel eingegangen haben wirst. Da du die vierzig Beutel nicht hier hast, und ich dich doch, um sie in Empfang zu nehmen, nach dem Chan begleiten muß, wo du als Fremder abgestiegen sein wirst, so laß uns mit Erlaubnis des Herrn vom Laden in den Hinterladen treten; dort will ich den Teppich ausbreiten, und wenn wir beide, du und ich, darauf sitzen und du den Wunsch ausgesprochen haben wirst, mit mir nach deinem Zimmer im Chan versetzt zu werden, und dies nicht auf der Stelle in Erfüllung geht, so soll der Handel null und nichtig und du zu nichts verpflichtet sein. Was das Geschenk betrifft, so werde ich es, da meine Mühe mir von dem Verkäufer bezahlt werden muß, als eine Gnade annehmen, die du mir erzeigst, und wofür ich dir immer verpflichtet sein werde.« Der Prinz vertraute auf die Redlichkeit des Ausrufers, ging den Vorschlag ein und schloß unter der eben erwähnten Bedingung den Handel ab. Hierauf trat er mit Erlaubnis des Kaufmanns in den Hintergrund des Ladens, wo der Ausrufer den Teppich ausbreitete. Sie setzten sich beide darauf und kaum hatte der Prinz den Wunsch ausgesprochen, nach seinem Zimmer im Chan versetzt zu werden, so befanden sich beide dort, und zwar ohne im mindesten aus ihrer Lage gekommen zu sein. Da er nun keiner weitern Zeugnisse für die Wunderkraft des Teppichs mehr bedurfte, so bezahlte er dem Ausrufer die Summe von vierzig Beuteln in Gold aus und fügte ihm noch ein Geschenk von zwanzig Goldstücken hinzu. So war denn nun der Prinz Husein Besitzer des Teppichs, und ungemein erfreut, gleich bei seiner Ankunft in Bisnagar ein so seltenes Stück an sich gebracht zu haben, das ihm, wie er nicht zweifelte, die Hand der Prinzessin Nurunnihar verschaffen mußte, Er hielt es in der Tat für unmöglich, daß seine beiden jüngeren Brüder etwas von ihrer Reise mitbringen könnten, was mit seinem glücklichen Funde nur entfernt in Vergleichung kommen dürfte. Auch hätte er sich jetzt sogleich auf seinen Teppich setzen und nach dem verabredeten Zusammenkunftsorte verfügen können; allein er hätte dann zu lange auf sie warten müssen, und da er ohnehin neugierig war, den König von Bisnagar und seinen Hof zu sehen, zugleich aber auch die Streitkräfte, Gesetze, Gewohnheiten, Religion und den Zustand des ganzen Reiches kennenzulernen, so beschloß er, einige Monate auf Befriedigung seiner Neugierde zu verwenden. Der König von Bisnagar hatte die Gewohnheit, den fremden Kaufleuten jede Woche einmal Zutritt zu seiner Person zu gestatten. Unter diesem Namen sah ihn der Prinz Husein, der durchaus nicht für das gelten wollte, was er war, mehrere Male, und da er nicht nur sehr hübsch von Gestalt war, sondern auch ungemein viel Verstand und feine Geistesbildung besaß, wodurch er sich vor den anderen Kaufleuten, die mit ihm vor dem König erschienen, auszeichnete, so wandte sich dieser vorzugsweise an ihn, wenn er über die Person des Sultans von Indien, über die Streitkräfte, den Reichtum und die Verwaltung seines Reichs Erkundigung einziehen wollte. Die übrigen Tage verwandte der Prinz dazu, die Merkwürdigkeiten der Stadt und Umgegend zu besichtigen. Unter anderen bewundernswürdigen Dingen sah er auch einen Götzentempel, der einzig in seiner Art und ganz aus Erz gebaut war. Seine Grundfläche betrug zehn Ellen ins Gevierte, seine Höhe fünfzehn Ellen; die größte Schönheit darin aber war ein Götzenbild in menschlicher Größe aus gediegenem Gold, das als Augen zwei Rubine hatte, und zwar so künstlich angebracht, daß jeder, der es betrachtete, gleichviel von welcher Seite, der Meinung war, es richte die Augen auf ihn. Dann sah er noch einen, der nicht minder Bewunderung verdiente, in einem Dorfe. Es war da nämlich eine Ebene von etwa zehn Morgen Landes, die aus einem einzigen köstlichen, mit Rosen und anderen anmutigen Blumen übersäten Garten bestand, und dieser ganze Raum war mit einer kleinen Mauer von der Höhe eines Geländers umgeben, um die Tiere des Feldes abzuwehren. Mitten in der Ebene erhob sich eine mannshohe Terrasse, die so kunstreich und sorgfältig mit ineinander gefügten Steinen bedeckt war, daß jedermann glaubte, es sei nur ein einziger Stein. Der Tempel, der mitten auf der Terrasse stand und eine Kuppelform hatte, war fünfzig Ellen hoch, so daß man ihn mehrere Meilen in der Umgegend sehen konnte. Seine Länge betrug dreißig, die Breite zwanzig Ellen, und der rote Marmor, woraus er erbaut war, war außerordentlich fein und glänzend. Das Kuppelgewölbe war mit drei Reihen sehr anmutiger und geschmackvoller Gemälde geschmückt, und der ganze Tempel von oben bis unten mit einer Menge anderer Gemälde, halb erhabenem Bildwerk und Götzenbildern angefüllt.

Morgens und abends wurden in diesem Tempel abergläubische Zeremonien begangen, auf welche Spiele, musikalische Vergnügungen, Gesänge, Tänze und Festschmäuse folgten. Die Diener des Tempels und die Bewohner des Orts leben bloß von den Opfergaben, welche die zahllosen Pilger aus den entferntesten Gegenden des Reichs unaufhörlich dahin bringen, um ihre Gelübde zu erfüllen.

Der Prinz Husein war auch noch Zuschauer eines feierlichen Festes, das alle Jahre am Hof von Bisnagar begangen wird, und wobei die Statthalter der Provinzen, die Befehlshaber der festen Plätze, die Vorsteher und Richter der Städte, sowie die durch ihre Gelehrsamkeit berühmtesten Braminen sich einfinden müssen. Einige von ihnen kommen aus so weiter Ferne, daß sie nicht weniger als vier Monate zu ihrer Reise brauchen. Die Versammlung besteht aus einer unzähligen Menge von Indiern und findet sich auf einer ungeheuren Ebene ein, wo sie einen überraschenden Anblick darbietet, so weit das Auge reicht. Mitten In der Ebene befand sich ein sehr langer und breiter Platz, auf einer Seite durch ein prächtiges Gebäude begrenzt in Form eines Gerüstes, das neun Stockwerke hatte, von vierzig Säulen getragen wurde, und für den König, den Hof und diejenigen Fremden bestimmt war, denen er wöchentlich einmal die Ehre erwies, sie vorzulassen. Im Inneren war es prächtig geschmückt und mit Gerätschaften versehen, von außen mit Landschaften bemalt, worin man alle Arten von Tieren, Vögeln, Insekten, selbst Fliegen und Mücken, ganz nach der Natur abgebildet sah. Die drei übrigen Seiten des Platzes waren von anderen Gerüsten eingefaßt, die wenigstens vier bis fünf Stockwerke hatten, und eines beinahe wie das andere bemalt waren. Auch hatten diese Gerüste das Eigentümliche, daß man sie von Stunde zu Stunde herumdrehen und dadurch ihr ganzes Ansehen, sowie ihre Verzierungen verändern konnte. Auf allen Seiten des Platzes standen in kurzen Zwischenräumen voneinander tausend Elefanten mit den prachtvollsten Harnischen, jeder mit einem viereckigen Turm von vergoldetem Holz auf dem Rücken, worin sich Tonspieler oder Tänzer befanden. Rüssel, Ohren und die übrigen Teile dieser Elefanten waren mit Zinnober und anderen Farben bemalt, so daß sie ein gar seltsames Aussehen darboten. Was bei diesem ganzen Schauspiel dem Prinzen am meisten Bewunderung einflößte für die Betriebsamkeit, Geschicklichkeit und den Erfindungsgeist der Inder, war ein überaus großer und gewaltiger Elefant, der mit seinen vier Füßen oben auf einem senkrecht aufgerichteten, zwei Fuß hohen Ständer stand, und nach dem Takt der Musik mit seinem Rüssel in der Luft herumfocht. Nicht minder bewunderte er einen anderen ebenso gewaltigen Elefanten, der auf dem einen Ende eines quer über einen zehn Fuß hohen Ständer gelegten Balkens stand, an dessen anderem Ende ein ungeheurer Stein als Gegengewicht befestigt war, so daß er vermittelst desselben bald höher, bald tiefer vor dem König und dem ganzen Hofe durch die Bewegungen seines Körpers und Rüssels, gleich wie der andere Elefant, den Takt der Musik angab. Die Inder hatten nämlich zuerst den Stein als Gegengewicht angebunden, sodann das gegenüberstehende Ende zur Erde hinabgebogen und den Elefanten hinauftreten lassen. Der Prinz Husein hätte sich noch länger am Hof und im Reich Bisnagar aufhalten können; eine Unzahl anderer Wunderdinge hätte ihn gewiß bis zum letzten Tage des Jahres, auf welchen er und seine Brüder sich beschieden hatten, angenehm unterhalten; allein da er durch das, was er gesehen hatte, vollkommen befriedigt, überdies beständig mit dem Gegenstand seiner Liebe beschäftigt war, und da seit der neuen Erwerbung, welche er gemacht, die Schönheit und die Reize der Prinzessin Nurunnihar die Heftigkeit seiner Leidenschaft von Tag zu Tag steigerten, so glaubte er, sein Gemüt würde ruhiger werden und er selbst seinem Glücke näher sein, wenn er durch eine geringere Entfernung von ihr getrennt wäre. Er bezahlte daher dem Wirt des Chans den Mietzins für sein Zimmer, bezeichnete ihm die Stunde, wo er den Schlüssel dazu an der Türe abholen könne, und ohne sich über seine weiteren Vorbereitungen zur Abreise auszusprechen, ging er auf sein Zimmer zurück, schloß es hinter sich zu und ließ den Schlüssel stecken. Hierauf breitete er den Teppich aus und setzte sich mit seinem Begleiter darauf. Sodann sammelte er seine Gedanken, und kaum hatte er recht ernstlich gewünscht, in die Herberge versetzt zu werden, wo er mit seinen Brüdern zusammentreffen sollte, als er auch schon bemerkte, daß er dort war. Er kehrte also da ein, gab sich für einen Kaufmann aus und wartete auf die andern.

Indes hatte Huseins jüngerer Bruder, Prinz Ali, der, um dem Plane des Sultans von Indien zu entsprechen, eine Reise nach Persien machen wollte, sich schon drei Tage nach der Trennung von seinen beiden Brüdern einer Karawane angeschlossen und war mit derselben nach diesem Lande abgegangen. Nachdem er beinahe vier Monate unterwegs gewesen, kam er endlich nach Schiras, welches dazumalen die Hauptstadt des Königreichs Persien war. Da er auf der Reise mit einer kleinen Anzahl von Kaufleuten Bekanntschaft und Freundschaft geschlossen hatte, ohne sich jedoch für etwas anderes als einen Juwelenhändler auszugeben, so stieg er auch in einem und demselben Chan mit ihnen ab. Am folgenden Tag, während die Kaufleute ihre Warenballen öffneten, zog der Prinz Ali, der nur zu seinem Vergnügen reiste und sich bloß mit dem zu seiner Bequemlichkeit erforderlichen Reisegepäck versehen hatte, andere Kleider an und ließ sich nach dem Stadtviertel führen, wo Edelgesteine, Gold- und Silberarbeiten, Brokat, Seidenstoffe, feine Schleiertücher und andere überaus seltene und kostbare Waren zum Verkauf ausgesetzt standen. Dieser sehr geräumige und auf die Dauer gebaute Ort war oben überwölbt, und das Gewölbe wurde von starken Pfeilern getragen, die Buden aber waren teils um dies herum, teils den Mauern entlang, sowohl von innen, als von außen angelegt. Der Ort selbst war in Schiras allgemein unter dem Namen Besastan bekannt. Prinz Ali durchstreifte also den Besastan sogleich nach allen Seiten in die Länge und Breite, und aus der erstaunlichen Menge kostbarer Waren, die er da ausgelegt sah, schloß er mit Bewunderung auf die Reichtümer, welche innerhalb der Läden aufgehäuft sein mußten. Unter den vielen Ausrufern, die beständig hin und her gingen und verschiedene Sachen zum Kauf ausboten, sah er zu seiner nicht geringen Verwunderung auch einen, der ein elfenbeinernes Rohr in der Hand hielt, welches etwa einen Fuß lang und etwas dicker als ein Daumen war, und dasselbe zu dreißig Beuteln ausrief. Im Anfang glaubte er, der Ausrufer sei nicht recht bei Verstand. Um sich nun darüber Auskunft zu verschaffen, trat er in den Laden eines Kaufmanns, und sagte zu diesem, indem er auf den Ausrufer deutete: »Herr, ich bitte dich, sage mir, ob ich mich nicht täusche: Ist der Mann dort, der ein kleines elfenbeinernes Rohr zu dreißig Beuteln ausruft, wohl bei gutem Verstande?« – »Herr«, antwortete der Kaufmann, »wenn er ihn nicht anders seit gestern verloren hat, so kann ich dich versichern, daß dies der klügste und gesuchteste von allen unsern Ausrufern ist, und daß er das größte Vertrauen genießt, wenn es sich um den Verkauf von sehr wertvollen Gegenständen handelt. Was indes das Rohr betrifft, das er zu dreißig Beuteln ausruft, so muß dasselbe wohl aus irgendeinem nicht in die Augen fallenden Grunde diesen großen, ja vielleicht einen noch größeren Wert haben. Der Mann wird im Augenblicke wieder hier vorbeikommen, dann wollen wir ihn hereinrufen, und du magst dich selbst von der Sache überzeugen. Setze dich einstweilen auf mein Sofa und ruhe ein wenig aus.«

Der Prinz Ali lehnte das höfliche Anerbieten des Kaufmanns nicht ab, und kaum war er eine Weile da gesessen, als der Ausrufer wieder vorbeikam. Der Kaufmann rief ihn bei Namen und er trat herein. Hierauf sagte der Kaufmann zu ihm, indem er auf den Prinzen wies: »Antworte einmal diesem Herrn, der mich fragt, ob du wohl bei Sinnen seiest, daß du ein elfenbeinernes Rohr, das so unscheinbar aussieht, zu dreißig Beuteln ausbietest. Ich selbst würde mich darüber wundern, wenn ich nicht wüßte, daß du ein verständiger Mann bist.« Der Ausrufer wandte sich jetzt an den Prinzen und sagte zu ihm: »Edler Herr, du bist nicht der einzige, der mich wegen dieses Rohrs für einen Toren ansieht; du magst übrigens selbst urteilen, ob ich einer bin, wenn ich dir seine Eigenschaft gesagt haben werde, und dann hoffe ich, daß du ein ebenso hohes Gebot darauf tun wirst, wie diejenigen, denen ich es bis jetzt gezeigt, und welche dieselbe üble Meinung von mir hatten, wie du. Vor allem, Herr«, fuhr der Ausrufer fort, indem er dem Prinzen das Rohr überreichte, »mußt du wissen, daß dieses Rohr an jedem Ende ein Glas hat und man nur durch eines dieser Gläser zu sehen braucht, um sogleich alles zu erblicken, was man nur wünscht.« – »Ich bin bereit, dir feierliche Genugtuung zu geben«, antwortete Prinz Ali, »wenn du mir die Wahrheit dessen, was du behauptest, dartun kannst.« Da er nun das Rohr in der Hand hatte, so besah er sich die beiden Gläser und fuhr dann fort: »Zeig' mir doch, wo ich hineinsehen muß, um mir darüber Aufklärung zu verschaffen.« Der Ausrufer zeigte es ihm; der Prinz sah hinein, und da es ihn nach dem Anblick des Sultans von Indien, seines Vaters, verlangte, so sah er ihn in vollkommenster Gesundheit mitten unter seinem Reichsrat auf dem Throne sitzen. Sodann wünschte er, da er nächst dem Sultan nichts Lieberes auf der Welt hatte, als die Prinzessin Nurunnihar, auch diese zu sehen, und erblickte sie sogleich an ihrem Putztische sitzend, umgeben von ihren Frauen, lachend und in der heitersten Laune. Der Prinz Ali verlangte keine andere Probe, um sich zu überzeugen, daß dieses Rohr die kostbarste Sache nicht nur in der Stadt Schiras, sondern auf der ganzen Welt sei, und er es glaubte, wenn er unterließ, dasselbe zu kaufen, so würde er nie mehr weder zu Schiras, und wenn er zehn Jahre da bliebe, noch sonstwo eine ähnliche Seltenheit antreffen, die er von seiner Reise mitbringen könnte. Er sagte daher zu dem Ausrufer: »Ich nehme meine unvernünftige Ansicht, die ich von deinem Verstande hatte, zurück, glaube aber, daß es dir hinlängliche Genugtuung sein wird, wenn ich mich erbiete, das Rohr zu kaufen. Da ich es nicht gerne in andere Hände kommen lassen möchte, so sage mir den Preis, den der Verkäufer dafür haben will, ganz genau, und gib dir fortan keine Mühe mehr, mit diesem Rohr deine Füße müde zu gehen und es auszurufen. Du brauchst nur mit mir zu kommen, so werde ich dir die Summe ausbezahlen.« Der Ausrufer beteuerte mit einem Eid, er habe Befehl, es um vierzig Beutel zu verkaufen, und im Fall er daran zweifle, so wolle er ihn selbst zum Verkäufer führen. Der indische Prinz glaubte seinem Wort, nahm ihn mit sich nach Hause, und als sie in seiner Wohnung im Chan angelangt waren, bezahlte er ihm die vierzig Beutel in schönen Goldstücken aus und wurde auf diese Art Besitzer des elfenbeinernen Rohres. Der Prinz Ali war über diesen Kauf umso mehr erfreut, als er fest überzeugt war, seine Brüder können nichts so Seltenes und Bewundernswürdiges gefunden haben, und folglich werde die Prinzessin Nurunnihar der Lohn für die Beschwerden seiner Reise sein. Er dachte jetzt bloß noch darauf, unerkannt den Hof von Persien, so wie die Merkwürdigkeiten der Stadt Schiras und ihrer Umgebung kennenzulernen, bis die Karawane, mit welcher er gekommen war, nach Indien zurückreisen würde. Er hatte seine Neugierde vollkommen befriedigt, als die Karawane Anstalten zur Abreise traf, und der Prinz ermangelte nicht, sich ihr anzuschließen und mit ihr auf den Weg zu machen. Kein Unfall störte oder unterbrach die Reise, und ohne weitere Unbequemlichkeit, als die Beschwerden eines so langen Weges, kam er glücklich an dem verabredeten Orte an, wo der Prinz Husein bereits eingetroffen war. Der Prinz Ali traf ihn dort, und sie warteten nun gemeinschaftlich auf ihren Bruder Ahmed.

Prinz Ahmed hatte den Weg nach Samarkand eingeschlagen, und gleich am ersten Tage nach seiner Ankunft war er, wie seine beiden Brüder, nach dem Besastan gegangen. Auch hatte er diesen Ort kaum betreten, als sich ein Ausrufer, mit einem künstlichen Apfel in der Hand, ihm nahte, und denselben zu fünfunddreißig Beuteln ausrief. Er hielt den Mann an und sagte zu ihm: »Zeig' mir einmal diesen Apfel und sage mir, welche außerordentliche Kraft oder Eigenschaft er hat, daß er zu so hohem Preise ausgerufen wird.« Der Ausrufer gab ihm den Apfel in die Hand, daß er ihn untersuchen möchte, und sagte dann zu ihm: »Edler Herr, wenn man diesen Apfel bloß nach seinem Aussehen beurteilt, so ist er freilich sehr gering; zieht man aber die Eigenschaften, Kräfte und den bewundernswürdigen Gebrauch, den man zum Wohle der Menschheit davon machen kann, in Erwähnung, so muß man sagen, daß er eigentlich mit keinem Preis bezahlt werden kann, und gewiß ist, daß sein Besitzer einen wahren Schatz besitzt. In der Tat gibt es keine tödliche Krankheit, anhaltendes Fieber, Fleckfieber, Seitenstechen, Pest, oder wie sie sonst heißen mögen, welche durch diesen Apfel nicht sogleich geheilt würde; ja, wenn einer schon in den letzten Zügen liegt, so gibt er ihm die Gesundheit auf der Stelle so vollständig zurück, wie wenn er nie in seinem Leben krank gewesen wäre. Und zwar geschieht dies auf die allerleichteste Art von der Welt, denn man darf weiter nichts tun, als den Kranken daran riechen lassen.«

»Wenn man dir glauben darf«, antwortete der Prinz Ahmed, »so ist dies freilich ein Apfel von wunderbarer Kraft, ja, man darf wohl sagen, ganz unschätzbar; aber wie kann ein ehrlicher Mann, wie ich, der ihn gerne kaufen möchte, sich überzeugen, daß bei deiner Lobpreisung des Apfels weder Lüge, noch Übertreibung mitunterläuft?«

»Herr«,erwiderte der Ausrufer, »die Sache ist in der ganzen Stadt Samarkand bekannt und bewährt, und du darfst, ohne weiter zu gehen, nur die hier versammelten Kaufleute fragen; sie werden alle darin übereinstimmen, und mehrere von ihnen werden bekennen, daß sie selbst nicht mehr leben würden, wenn sie sich nicht dieses vortrefflichen Mittels bedient hätten. Um dir einen Begriff beizubringen, was du davon zu denken hast, so wisse, daß es die Frucht der Studien und Nachtwachen eines sehr berühmten Weltweisen aus dieser Stadt ist, der sich sein ganzes Leben hindurch der Erforschung der Pflanzen und Mineralien widmete, und endlich diese zusammengesetzte Masse hier daraus bereitete, vermittelst welcher er so wundervolle Kuren in dieser Stadt gemacht hat, daß sein Andenken hier niemals in Vergessenheit kommen wird. Vor kurzem raffte ihn der Tod so schnell weg, daß er selbst nicht mehr Zeit hatte, von seinem Universalmittel Gebrauch zu machen, und seine Witwe, die nur ein geringes Vermögen, dagegen einen Haufen von kleinen Kindern hinterließ, hat sich endlich entschlossen, den Apfel verkaufen zu lassen, um sich mit ihrer Familie etwas bequemer einrichten zu können.«

Während der Ausrufer den Prinzen Ahmed von den Wunderkräften des künstlichen Apfels unterrichtete, blieben mehrere Personen bei den Sprechenden stehen. Die meisten bestätigten das Gute, das der Ausrufer von ihm rühmte, und da einer hinzusetzte, ein Freund von ihm sei so gefährlich krank, daß man bereits an seinem Aufkommen verzweifle, und somit sei dies eine sehr bequeme Gelegenheit für den Kaufliebhaber, einen Versuch mit dem Apfel zu machen, so nahm der Prinz Ahmed das Wort und sagte zu dem Ausrufer, er wolle ihm vierzig Beutel dafür geben, sofern der Kranke durch das bloße Riechen daran geheilt würde. Der Ausrufer, welcher Befehl hatte, ihn um diesen Preis zu verkaufen, sagte zu dem Prinzen: »Herr, wir wollen einmal diesen Versuch machen, und der Apfel ist somit dein; ich sage dies mit um so größerer Zuversicht, weil gar kein Zweifel vorhanden ist, daß er diesmal ebenso gut seine Wirkung tun wird, wie er bisher Kranke, die bereits aufgegeben waren, von den Pforten des Todes zurückgerufen hat.«

Der Versuch glückte, Prinz Ahmed bezahlte dem Ausrufer vierzig Beutel für den künstlichen Apfel und erwartete nun voll Ungeduld den Abgang der ersten besten Karawane, um nach Indien zurückzukehren. Indes benützte er die Zwischenzeit, um alle Merkwürdigkeiten Samarkands und seiner Umgebung zu besichtigen, vornehmlich aber das Tal Sogd, das von dem gleichnamigen Flusse, von welchem es durchströmt wird, seinen Namen hat, und wegen der Schönheit seiner Gefilde, seiner Gärten und Paläste, sowie wegen seines Reichtums an Früchten aller Art und wegen der Annehmlichkeiten, die man während der schönen Jahreszeit dort genießt, von den Arabern für eines der vier Paradiese der Welt gehalten wird. Der Prinz Ahmed versäumte indes die Gelegenheit nicht, mit der ersten besten Karawane nach Indien abzugehen. Trotz der vielen Unbequemlichkeiten, die unausbleiblich mit einer so langen Reise verbunden sind, langte er im besten Wohlsein in der Herberge an, wo Husein und Ali ihn erwarteten. Der Prinz Ali, der etwas früher als Ahmed angekommen war und den Prinzen Husein dort schon antraf, hatte denselben gefragt, wie lange er schon da sei. Als er nun hörte, daß es demnächst drei Monate sein werden, hatte er zu ihm gesagte: »Demnach mußt du nicht weit gekommen sein.« – »Ich will jetzt«, antwortete Husein, »nichts von dem Orte sagen, wo ich war, doch kann ich dich so viel versichern, daß ich mehr als drei Monate gebraucht habe, um dahin zu gelangen.« – »Wenn das der Fall ist«, sagte darauf der Prinz Ali, »so kannst du dich nicht lange daselbst aufgehalten haben.« – »Lieber Bruder«, antwortete Husein, »du täuschest dich. Ich war vier bis fünf Monate dort und hätte sehr leicht noch längere Zeit bleiben können.« – »Sofern du nicht etwa zurückgeflogen bist«, erwiderte Ali, »so begreife ich nicht, wie du mich überreden willst, daß du schon drei Monate hier seiest.« – »Ich habe dir die Wahrheit gesagt«, sagte Prinz Husein, »aber das Rätsel werde ich erst bei der Ankunft unseres Bruders Ahmed lösen, und dann werde ich auch die Seltenheit zeigen, die ich von meiner Reise mitgebracht habe. Was dich betrifft, so weiß ich nicht, was du mitgebracht hast, aber es scheint nichts Bedeutendes zu sein. Wenigstens sieht man deinem Reisegepäck keinen großen Zuwachs an.« – »Und was dich betrifft«, erwiderte Ali, »so bemerke ich weiter nichts, als den unscheinbaren Teppich da, womit dein Sofa bedeckt ist, und könnte dir also, wie mir's scheint, deinen Spott zurückgeben. Da du indes aus deiner Seltenheit ein Geheimnis machen zu wollen scheinst, so wirst du mir nicht übel nehmen, wenn ich in Betreff der meinigen das gleiche tue.« Darauf erwiderte der Prinz Husein: »Ich bin so vollkommen überzeugt, daß die Seltenheit, die ich mitgebracht habe, jeder andern, welcher Art sie auch sein mag, unendlich vorzuziehen ist, daß ich sie dir wohl zeigen könnte; denn sobald ich dir ihre Vortrefflichkeit auseinandersetzen würde, könntest du nicht umhin, mit mir übereinzustimmen, und ich brauche durchaus nicht zu fürchten, daß die deinige ihr vorgezogen werden dürfte. Indes halte ich es doch für passend, die Ankunft unseres Bruders Ahmed abzuwarten; dann können wir einander mit mehr Einsicht und Anstand das Glück mitteilen, das jedem von uns zuteil geworden ist.« Der Prinz Ali wollte mit seinem Bruder nicht länger wegen der Vortrefflichkeit der von ihm mitgebrachten Seltenheit rechten, sondern begnügte sich mit der Überzeugung, daß, wenn das Rohr, welches er vorzuzeigen hatte, auch nicht gerade den Vorzug verdienen sollte, es doch wenigstens nicht zurückstehen könne, und so verabredete er sich denn mit ihm, das Vorzeigen desselben bis zur Ankunft des Prinzen Ahmed aufzuschieben.

Als Ahmed endlich eingetroffen war und die drei Brüder einander zärtlich umarmt und zu dem fröhlichen Wiedersehen an demselben Orte, wo sie sich getrennt, Glück gewünscht hatten, so nahm der Prinz Husein, als der älteste, das Wort und sprach also: »Liebe Brüder, wir werden noch Zeit genug übrig haben, um uns über die einzelnen Umstände unserer Reise zu unterhalten. Vorderhand wollen wir nur davon reden, was zu wissen uns am meisten frommt, und da ihr euch des Hauptbeweggrundes zur Reise gewiß noch so gut erinneren werdet, als ich, so wollen wir einander nicht verbergen, was wir mitgebracht haben, sondern ein jeder lasse das Seinige sehen, damit wir schon zum voraus darüber sprechen und urteilen mögen, wem von uns der Sultan, unser Vater, wohl den Vorzug geben wird. Um euch mit gutem Beispiel voranzugehen«, fuhr der Prinz Husein fort, »so wißt, daß die Seltenheit, die ich von meiner Reise in das Königreich Bisnagar mitgebracht habe, in dem Teppich besteht, worauf ich sitze. Er sieht freilich sehr gewöhnlich und unscheinbar aus; wenn ich euch aber seine Eigenschaft auseinandergesetzt haben werde, dann werdet ihr euch gewaltig verwundern und selbst eingestehen müssen, daß ihr nie von etwas Ähnlichem gehört habt. Denn in der Tat, man darf sich nur, wie wir eben jetzt sind, darauf setzen und an irgend einen, wenn auch noch so entfernten, Ort hinwünschen, so ist man fast im Augenblicke dort. Ich habe es selbst versucht, ehe ich die vierzig Beutel, die er mich kostet, bezahlte, und ich muß gestehen, daß der Kauf mich nicht reut: Denn als ich meine Neugierde am Hofe von Bisnagar befriedigt hatte und zurückzukehren wünschte, so bedurfte ich keines anderen Fuhrwerks, als dieses Wunderteppichs, um mich und meinen Bedienten hierher zu bringen. Dieser kann euch sagen, wieviel Zeit ich dazu gebraucht habe. Wenn ihr es übrigens wünschet, so will ich euch beiden ebenfalls eine Probe zeigen. Indes erwarte ich jetzt, daß ihr mir sagt, ob das, was ihr mitgebracht habt, mit meinem Teppich in Vergleichung kommen kann.«

Mit diesen Worten schloß der Prinz Husein seine Lobrede auf die Vortrefflichkeit des Teppichs, worauf der Prinz Ali folgendermaßen das Wort ergriff: »Lieber Bruder, ich muß gestehen, daß dein Teppich zu den bewundernswürdigsten Dingen gehört, die man sich nur denken kann, denn ich zweifle nicht, daß er die Eigenschaft besitzt, die du von ihm gerühmt hast. Übrigens wirst du zugeben müssen, daß es auch noch andere, ich will nicht sagen bewundernswürdigere, aber doch wenigstens ebenso bewundernswürdige Dinge geben kann. Zum Beispiel dieses elfenbeinerne Rohr da erscheint auf den ersten Anblick auch nicht als eine Seltenheit, die große Aufmerksamkeit verdiente. Ich habe es indes ebenso teuer bezahlt, wie du deinen Teppich, und bin mit meinem Kauf nicht minder zufrieden, als du mit dem deinigen. Bei der Billigkeit deiner Gesinnungen wirst du mir bald zugestehen, daß ich damit nicht betrogen worden bin, wenn du dich durch einen eigenen Versuch überzeugt haben wirst, daß man nur oben oder unten hineinzusehen braucht, um alles zu erblicken, was man nur irgend wünscht. Ich verlange nicht, daß du mir auf mein bloßes Wort glaubst«, fügte der Prinz Ali hinzu, indem er ihm das Rohr überreichte; »hier ist es, überzeuge dich, daß ich nicht gelogen habe.« Der Prinz Husein nahm das elfenbeinerne Rohr aus der Hand seines Bruders, hielt ein Ende davon an sein Auge und wünschte die Prinzessin Nurunnihar zu sehen, um zu erfahren, wie sie sich befinde. Seine Brüder Ali und Ahmed, welche die Augen auf ihn geheftet hatten, gerieten in das größte Erstaunen, als sie ihn auf einmal die Farbe verändern sahen, und zwar auf eine Weise, welche die höchste Bestürzung und schwere Betrübnis verriet. Der Prinz Husein ließ ihnen keine Zeit, nach der Ursache zu fragen, sondern rief aus: »Ach, meine Brüder, wir haben alle drei vergeblich diese beschwerliche Reise unternommen in der Hoffnung, durch den Besitz der reizenden Nurunnihar dafür belohnt zu werden: Die liebenswürdige Prinzessin wird in wenigen Augenblicken nicht mehr am Leben sein. Ich sah sie soeben in ihrem Bett, umgeben von ihren Frauen und Verschnittenen, welche alle in Tränen schwimmen und nur noch ihren letzten Seufzer zu erwarten scheinen. Da nehmt, sehet sie selbst in diesem erbarmungswürdigen Zustande, und vereinigt eure Tränen mit den meinigen.« Der Prinz Ali nahm das elfenbeinerne Rohr aus der Hand seines Bruders, und nachdem er mit tiefem Herzeleid dasselbe erblickt hatte, gab er es weiter an den Prinzen Ahmed, damit dieser ebenfalls das traurige und betrübende Schauspiel, welches alle gleich nahe anging, betrachten möchte.

Als der Prinz Ahmed das Rohr aus den Händen seines Bruders Ali empfangen und beim Hineinsehen ebenfalls die Prinzessin Nurunnihar am Rande des Todes erblickt hatte, nahm er das Wort und sagte zu den beiden anderen Prinzen: »Brüder, die Prinzessin Nurunnihar, der Gegenstand unserer gemeinsamen Wünsche, befindet sich allerdings in einem Zustande, der dem Tode sehr nahe ist. Indes glaube ich, daß es wohl noch möglich ist, den Augenblick des Todes von ihr zu entfernen, wenn wir nur keine Zeit verlieren.« Zugleich zog der Prinz Ahmed den künstlichen Apfel, den er angekauft, aus seinem Busen, zeigte ihn seinen Brüdern und sagte zu ihnen: »Dieser Apfel hier hat mich ebenso viel gekostet, wie euch der Teppich oder das elfenbeinerne Rohr, das ihr von der Reise mitgebracht habt. Da sich nun eine so günstige Gelegenheit zeigt, seine Wunderkraft euch zu beweisen, so reuen mich die vierzig Beutel, die ich dafür ausgegeben habe, nicht. Um euch nicht länger in gespannter Erwartung zu erhalten: Er hat die Kraft, daß ein Kranker, selbst wenn er schon in den letzten Zügen liegt, durch das bloße Riechen daran auf der Stelle seine Gesundheit wieder erlangt; der Versuch, den ich selbst angestellt habe, läßt mich nicht daran zweifeln; jetzt aber kann ich euch seine Heilkraft an der Prinzessin Nurunnihar beweisen, wenn wir nur die nötige Eile anwenden, um ihr zu helfen.« – »In diesem Fall«, versetzte der Prinz Husein, »können wir nichts Besseres tun, als uns vermittelst meines Teppichs sogleich ins Zimmer der Prinzessin versetzen zu lassen. Laßt uns keine Zeit verlieren, kommt und setzt euch mit mir hierher; er ist groß genug, um uns alle drei mit Bequemlichkeit aufzunehmen. Vor allen Dingen aber wollen wir unsern Bedienten befehlen, daß sie sogleich miteinander abreisen und uns im Palast aufsuchen sollen.« Nachdem sie diesen Befehl gegeben hatten, setzten sich die Prinzen All und Ahmed zu ihrem Bruder Husein auf den Teppich, und da ihnen allen dreien nur eines am Herzen lag, so hatten sie auch den gemeinschaftlichen Wunsch, ins Zimmer der Prinzessin Nurunnihar versetzt zu werden. Ihr Wunsch ging in Erfüllung, und sie wurden so schnell dahin versetzt, daß sie sich an dem erwünschten Orte sahen, ohne irgend eine Bewegung bemerkt zu haben.

Die unerwartete Erscheinung der drei Prinzen erschreckte die Frauen und die Verschnittenen der Prinzessin, welche nicht begreifen konnten, durch welche Zauberei auf einmal drei Männer sich in ihrer Mitte befanden. Im Anfang erkannten sie die Prinzen nicht einmal, und schon waren die Verschnittenen im Begriff, auf die Fremdlinge, die sich in einem ihnen durchaus unerlaubten Ort eingedrängt, loszustürzen; doch kamen sie bald von ihrem Irrtum zurück und erkannten sie für das, was sie waren.

Der Prinz Ahmed hatte nicht sobald die sterbende Nurunnihar erblickt, als er rasch mit seinen Brüdern vom Teppich aufstand, sich dem Bett näherte und ihr den Wunderapfel unter die Nase hielt. Einige Augenblicke nachher schlug die Prinzessin die Augen auf, wandte den Kopf nach beiden Seiten, sah die Umstehenden an, setzte sich dann auf und verlangte mit derselben Unbefangenheit und Klarheit, als ob sie bloß von einem langen Schlaf erwachte, angekleidet zu werden. Ihre Frauen sagten ihr nun sogleich voll Freude, daß sie den drei Prinzen, ihren Vettern, und hauptsächlich dem Prinzen Ahmed, ihre plötzliche Wiederherstellung verdankte. Sie bezeigte ihnen daher ihre Freude, sie wieder zu sehen, und stattete ihnen insgesamt, und dem Prinzen Ahmed insbesondere ihren Dank ab. Da sie angekleidet zu werden verlangt hatte, so sagten die Prinzen nur mit wenigen Worten, wie sehr sie sich glücklich schätzen, noch zu rechter Zeit angelangt zu sein, um insgesamt zu ihrer Rettung aus der augenscheinlichsten Lebensgefahr beitragen zu können, und nachdem sie noch ihre glühenden Wünsche für die lange Dauer ihres Lebens ausgesprochen hatten, entfernten sie sich.

Während die Prinzessin sich ankleidete, gingen die Prinzen unmittelbar von den Gemächern derselben nach den Zimmern des Sultans, ihres Vaters, um sich ihm zu Füßen zu werfen und ihm ihre Ehrfurcht zu bezeigen. Als sie vor ihm erschienen, fanden sie, daß der Oberste der Verschnittenen der Prinzessin ihnen bereits zuvorgekommen war, und sowohl ihre unvermutete Ankunft, als auch die durch sie erfolgte vollständige Heilung der Prinzessin gemeldet hatte. Der Sultan empfing und umarmte sie daher um so freudiger, als er im Augenblick des Wiedersehens die frohe Kunde erhielt, daß die Prinzessin, seine Nichte, die er wie sein eigen Kind liebte, nachdem sie von den Ärzten bereits aufgegeben worden, auf eine so wunderbare Weise ihre Gesundheit wieder erlangt habe. Nach den bei solchen Gelegenheiten gewöhnlichen Begrüßungen überreichte jeder der Prinzen die Seltenheit, die er mitgebracht hatte: Der Prinz Husein seinen Teppich, der Prinz Ali das elfenbeinerne Rohr und Prinz Ahmed den künstlichen Apfel. Jeder pries sein Stück, und nachdem sie ihm der Reihe nach alle drei Sachen eingehändigt hatten, baten sie ihn, zu entscheiden, welches er für das Vorzüglichste halte, und auf die Art zu erklären, wem von ihnen dreien er seinem Versprechen gemäß die Prinzessin Nurunnihar zur Frau gebe.

Nachdem der Sultan von Indien alles, was die Prinzen zum Lobe ihrer Seltenheiten vorbrachten, sehr wohlwollend und ohne Unterbrechung angehört, und sich sofort nach den näheren Umständen bei der Heilung der Prinzessin Nurunnihar erkundigt hatte, so schwieg er eine Weile lang still, als überlegte er, was er antworten sollte. Endlich brach er dieses Stillschweigen und hielt folgende sehr weise Rede an sie: »Liebe Söhne, ich würde mich sehr gern für einen von euch entscheiden, wenn ich es mit Gerechtigkeit tun könnte; aber überlegt selbst, ob es mir möglich ist. Dir, o Ahmed, und deinem künstlichen Apfel verdankt die Prinzessin allerdings ihre Wiederherstellung; aber, ich frage dich, ob du dies hättest tun können, wenn du nicht durch Alis elfenbeinernes Rohr die Gefahr, worin sie schwebte, erfahren hättest und durch Huseins Teppich in den Stand gesetzt worden wärest, noch zu rechter Zeit zu Hilfe zu kommen? Dein elfenbeinernes Rohr, o Ali, hat sowohl dir, als deinen Brüdern die Kunde verschafft, daß ihr auf dem Punkte standet, die Prinzessin, eure Muhme, zu verlieren, und man muß gestehen, daß sie dir deswegen zu großem Danke verpflichtet ist. Auf der anderen Seite wirst du aber auch zugeben, daß dir diese Kunde allein, ohne den künstlichen Apfel und den Teppich, nichts genützt haben würde. Was endlich dich betrifft, Husein, so würde es sehr unrecht von der Prinzessin sein, wenn sie sich nicht wegen deines Teppichs, der zu ihrer Wiederherstellung so notwendig war, zu großem Danke gegen dich verpflichtet fühlte; du mußt aber wohl bedenken, daß er dir hierbei durchaus von keinem Nutzen gewesen wäre, wenn du nicht durch Alis elfenbeinernes Rohr ihre Krankheit erfahren und Ahmed sie nicht durch seinen Wunderapfel geheilt hätte. Da nun also weder der Teppich, noch das elfenbeinerne Rohr, noch der künstliche Apfel irgend einem auch nur den mindesten Vorzug vor den anderen verliehen, sondern ihr im Gegenteil dadurch alle ganz und gar gleich gestellt seid, und da ich die Prinzessin Nurunnihar nur einem geben kann, so sehet ihr selbst, daß die einzige Frucht eurer Reise die Ehre ist, auf gleiche Weise zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit beigetragen zu haben. Wenn dies nun so ist«, fuhr der Sultan fort, »so werdet ihr einsehen, daß ich zu einem anderen Mittel greifen muß, um bei der Wahl unter euch dreien ein entscheidendes Wort zu reden. Da wir noch mehrere Stunden haben, bis es Nacht wird, so will ich es heute noch tun. Gehet, nehmet jeder einen Bogen und einen Pfeil und begebt euch vor die Stadt hinaus auf die große Ebene, wo die Pferde zugeritten werden, ich werde ebenfalls dahinkommen und erkläre, daß ich die Prinzessin Nurunnihar demjenigen zur Frau gebe, welcher am weitesten schießen wird. Übrigens kann ich bei dieser Gelegenheit nicht umhin, euch insgesamt und jedem insbesondere für das Geschenk zu danken, das ihr mir mitgebracht habet. Ich besitze mancherlei Seltenheiten in meiner Sammlung, aber keines vor allem kommt an Merkwürdigkeiten dem Teppich, dem elfenbeinernen Rohr und dem künstlichen Apfel gleich, womit ich sie jetzt vermehren und bereichern will. Diese drei Stücke werden die erste Stelle darin einnehmen, und ich werde sie aufs sorgfältigste aufbewahren, nicht bloß wegen ihrer Merkwürdigkeit, sondern auch, um bei Gelegenheit nützlichen Gebrauch davon zu machen.«

Die drei Prinzen konnten gegen diese Entscheidung ihres Vaters nichts einwenden. Als sie sich von seinem Angesicht entfernt hatten, brachte man jedem von ihnen einen Bogen und einen Pfeil, was sie sofort einem von ihren Dienern, die sich auf die Nachricht von ihrer Rückkehr sogleich versammelt hatten, einhändigten; und nun begaben sie sich, von einer unzähligen Menge Volks begleitet, auf die Ebene, wo die Pferde zugeritten werden. Der Sultan ließ nicht lange auf sich warten, und sobald er angekommen war, nahm der Prinz Husein, als der älteste, Pfeil und Bogen und schoß zuerst. Darauf schoß der Prinz Ali, und man sah seinen Pfeil viel weiter fliegen und hinfallen, als den des Prinzen Husein. Zuletzt schoß der Prinz Ahmed, aber man verlor seinen Pfeil aus dem Gesicht und niemand sah ihn niederfallen. Man eilte hin und suchte, allein so viele Sorgfalt auch alle Anwesenden, sowie der Prinz Ahmed selbst anwandten, der Pfeil war weder in der Nähe, noch in der Ferne zu finden. Obwohl man nun glauben mußte, daß er am weitesten geschossen und so die Prinzessin Nurunnihar verdient habe, so war dennoch, um die Sache augenscheinlich und gewiß zu machen, die Auffindung des Pfeiles notwendig, und der Sultan ermangelte nicht, trotz aller Gegenvorstellungen Ahmeds, sich zu gunsten des Prinzen Ali zu entscheiden. Er gab nun sogleich Befehl, die nötigen Anstalten zur Hochzeitsfeier zu treffen, und wenige Tage darauf wurde die Vermählung mit vieler Pracht gefeiert.

Der Prinz Husein beehrte das Fest nicht mit seiner Gegenwart. Da seine Liebe zur Prinzessin Nurunnihar sehr feurig und herzlich war, so fühlte er sich nicht stark genug, um mit Gleichmut die Kränkung zu ertragen, sie in die Arme des Prinzen Ali führen zu sehen, der, wie er sagte, sie nicht besser verdiente und in keinem Fall heißer liebte, als er. Ja, die Sache verdroß ihn dermaßen, daß er den Hof verließ, auf sein Recht der Thronfolge Verzicht leistete und Derwisch wurde. Er ging zu einem sehr berühmten Scheich in die Lehre, der wegen seines musterhaften Lebenswandels in großem Rufe stand und mit seinen zahlreichen Schülern in einer anmutigen Einöde wohnte.

Der Prinz Ahmed wohnte aus demselben Grunde, wie sein Bruder Husein, der Hochzeit des Prinzen Ali und der Prinzessin Nurunnihar nicht bei, ohne jedoch, wie jener, der Welt deshalb zu entsagen. Da er nicht begreifen konnte, wie sein Pfeil sozusagen unsichtbar geworden sein sollte, so entfernte er sich von seinen Leuten, mit dem festen Vorsatz, ihn so sorgfältig aufzusuchen, daß er sich keine Vorwürfe zu machen hätte, und begab sich an die Orte, wo die Pfeile der Prinzen Husein und Ali aufgehoben worden waren. Von da ging er in gerader Richtung vorwärts, immer rechts und links blickend, und ohne zu finden, was er suchte, war er endlich so weit gekommen, daß er einsah, alle seine Mühe sei vergebens. Indes fühlte er sich unwillkürlich weitergezogen und setzte seinen Weg fort, bis er zu sehr hohen Felsen kam, bei denen er seitwärts hätte ablenken müssen, wenn er noch weiter hätte gehen wollen. Die Felsen waren außerordentlich steil und lagen in einer unfruchtbaren Gegend, etwa vier Stunden von dem Ort, von wo er ausgegangen war. Als Ahmed näher zu diesem Felsen hintrat, bemerkte er einen Pfeil, hob ihn auf, betrachtete und erkannte ihn zu seiner großen Verwunderung als denselben, welchen er abgeschossen hatte. »Er ist es wirklich«, sagte er bei sich selbst, »aber weder ich, noch irgend ein Sterblicher auf der ganzen Welt kann die Kraft haben, einen Pfeil so weit zu schießen!« Da er ihn auf der Erde liegend und nicht mit der Spitze darin feststeckend gefunden hatte, so schloß er, daß er an den Felsen geflogen und von da zurückgeprallt sei. »Eine seltsame Sache!« dachte er; »da muß irgend ein Geheimnis dahinter stecken, und dies Geheimnis kann für mich nur vorteilhaft sein. Nachdem das Schicksal mich so sehr betrübt und desjenigen Gutes beraubt hat, von dem ich hoffte, es werde das Glück meines Lebens werden, so hat es mir zu meinem Troste vielleicht irgend ein anderes vorbehalten.«

Da die Außenseite der Felsen mehrere vorspringende Spitzen und dann wieder mehrere tief sich hineinziehende Schluchten hatte, so trat der Prinz unter solchen Gedanken in eine der Vertiefungen hinein, und indem er seine Augen von einem Winkel zum anderen gehen ließ, entdeckte er eine eiserne Türe, an der aber kein Schloß zu sehen war. Er fürchtete, sie möchte wohl verschlossen sein; als er aber daran stieß, öffnete sie sich nach innen zu, und er erblickte einen sanft abschüssigen Weg, ohne Stufen, den er sofort, mit dem Pfeile in der Hand, hinabstieg. Im Anfang glaubte er in tiefe Finsternis zu geraten, allein bald trat an die Stelle des Lichts, das er verließ, ein anderes, weit helleres, und nach fünfzig bis sechzig Schritten gelangte er auf einen geräumigen Platz, wo er einen prachtvollen Palast erblickte, dessen wundersamen Bau er aber nicht Zeit hatte, genau zu betrachten; denn in demselben Augenblick trat eine Frau von majestätischer Gestalt und Haltung und einer Schönheit, welche durch den Reichtum ihrer Kleider und den Schmuck der funkelnden Edelsteine nicht höher gehoben werden konnte, unter der Vorhalle heraus, begleitet von einer Anzahl von Frauen, unter denen sie leicht als die Gebieterin zu erkennen war. Als der Prinz Ahmed die schöne Frau bemerkte, so beschleunigte er seine Schritte, um ihr seine Ehrfurcht zu bezeigen, und die Frau, die ihn kommen sah, rief ihm entgegen: »Tritt näher, Prinz Ahmed, du bist willkommen.«

Die Überraschung des Prinzen war nicht gering, als er seinen Namen in einer Gegend nennen hörte, von welcher er noch nie das Geringste vernommen hatte, obwohl diese Gegend so nahe an der Hauptstadt des Sultans, seines Vaters, war, und er konnte nicht begreifen, wie er einer Frau bekannt sein solle, die er selbst durchaus nicht kannte. Endlich warf er sich ihr zu Füßen, und als er wieder aufgestanden war, redete er sie folgendermaßen an: »Edle Frau, bei meiner Ankunft an einem Ort, wo ich fürchten mußte, durch unüberlegten Vorwitz zu weit gelockt worden zu sein, danke ich dir tausendmal für deine Versicherung, daß ich willkommen sei. Aber, edle Frau, wirst du es nicht für unhöflich halten, wenn ich dich frage, durch welchen seltsamen Zufall es kommt, daß ich dir nicht unbekannt bin, während ich selbst bis auf diesen Augenblick nie etwas von dir erfahren hatte, obgleich du so ganz in unserer Nachbarschaft wohnst?« – »Prinz«, antwortete die schöne Frau, »laß uns in den Saal treten; dort werde ich deine Fragen mit größerer Bequemlichkeit für dich und mich beantworten.«

Mit diesen Worten führte die schöne Frau den Prinzen Ahmed in einen Saal von wundervollem Bau. Das Gold und das Himmelblau, womit das kuppelförmige Gewölbe geschmückt war, sowie die unschätzbare Pracht der Gerätschaften erschien ihm so ganz neu, daß er seine Verwunderung darüber nicht verbergen konnte und laut ausrief, er habe noch nie etwas der Art gesehen und glaube nicht, daß irgend etwas auf der Welt diesem nur entfernt gleichkommen könne. »Und dennoch«, erwiderte die schöne Frau, »versichere ich dich, daß dies das geringste Zimmer in meinem Palast ist; du wirst es selbst zugestehen, wenn ich dir die übrigen Gemächer gezeigt haben werde.« Sie stieg sofort einige Stufen hinauf und setzte sich auf ein Sofa, und als der Prinz auf ihre Bitten neben ihr Platz genommen hatte, sagte sie zu ihm: »Prinz, du wunderst dich, wie du sagst, daß ich dich kenne, und du mich nicht; deine Verwunderung wird jedoch bald aufhören, wenn ich dir sage, wer ich bin. Es ist dir ohne Zweifel nicht unbekannt, was ja schon eure Religion euch lehrt, daß die Welt sowohl von Geistern als von Menschen bewohnt wird. Ich bin die Tochter eines dieser Geister, und zwar eines der mächtigsten und ausgezeichnetsten, und mein Name ist Pari Banu. Du darfst dich also nicht wundern, daß ich dich, deinen Vater, den Sultan, deine beiden Brüder und die Prinzessin Nurunnihar kenne. Ich weiß auch von deiner Liebe und deiner Reise und könnte dir alle einzelnen Umstände derselben wieder erzählen, denn ich war es, die zu Samarkand den künstlichen Apfel, den du gekauft, ausbieten ließ, desgleichen in Bisnagar den Teppich, den der Prinz Husein bekam, und in Schiras das elfenbeinerne Rohr, welches der Prinz Ali mitgebracht hat. Daran magst du zur Genüge erkennen, daß mir nichts von all dem, was dich betrifft, unbekannt ist. Ich will nur noch dies eine hinzufügen, daß du mir ein glücklicheres Los zu verdienen schienest, als den Besitz der Prinzessin Nurunnihar, und daß ich dir den Weg dazu gebahnt habe. Da ich nämlich gerade zugegen war, als du den Pfeil, den du in der Hand hast, abschossest, und da ich voraussah, daß er nicht einmal weiter fliegen würde, als der des Prinzen Husein, so faßte ich ihn in der Luft und gab ihm den erforderlichen Schwung, so daß er an die Felsen anprallen mußte, neben denen du ihn gefunden hast. Es wird jetzt bloß noch von dir abhängen, die Gelegenheit, die sich dir darbietet, zu benützen und noch glücklicher zu werden.«

Da die Fee Pari Banu diese letzten Worte in einem ganz anderen Tone aussprach, indem sie den Prinzen Ahmed gar zärtlich anblickte und dann sogleich sittsam errötend die Augen niederschlug, so erriet der Prinz sehr leicht, welches Glück sie damit meinte. Er überlegte schnell, daß Nurunnihar nicht mehr die Seinige werden konnte, und daß die Fee Pari Banu sie an Schönheit, Anmut und Holdseligkeit, sowie durch hervorragenden Verstand und unermeßliche Reichtümer, soweit er nämlich aus der Pracht des Palasts darauf schließen konnte, unendlich weit übertraf, und so segnete er den Augenblick, da ihm der Gedanke gekommen war, seinen Pfeil zum zweitenmal zu suchen. Indem er sich daher ganz der Neigung hingab, die ihn zu dem neuen Gegenstand seines Herzens hinzog, antwortete er ihr also: »Edle Frau, wenn ich mein ganzes Leben lang nur das Glück hätte, dein Sklave und der Bewunderer all dieser Reize zu sein, die mich mir selbst entrücken, so würde ich mich für den glückseligsten aller Sterblichen halten. Verzeih mir meine Kühnheit, wenn ich es wage, dich um diese Gunst zu bitten, und verschmähe es nicht, an deinem Hofe einen Prinzen zuzulassen, der sich ganz deinem Dienste widmen will.« »Prinz«, erwiderte die Fee, »da ich schon lange Zeit schalten und walten kann, wie ich will, und von der Vormundschaft meiner Eltern frei bin, so will ich dich nicht als Sklaven an meinem Hofe aufnehmen, sondern als Herrn meiner Person und alles dessen, was mir gehört, sofern du mir nämlich Treue geloben und mich zu deiner Gemahlin annehmen willst. Ich hoffe, du wirst es mir nicht übel deuten, daß ich dir mit diesem Anerbieten zuvorkomme. Wie gesagt, ich hänge von niemandes Willen ab, und füge bloß noch hinzu, daß es bei den Feen nicht ist, wie bei den Frauen unter den Menschen, welche dergleichen Anerbietungen nicht zu machen pflegen und sie sogar für unverträglich mit ihrer Ehre halten würden. Wir dagegen tun es und denken, daß man uns Dank dafür wissen muß.«

Der Prinz Ahmed antwortete nichts mehr auf diese Rede der Fee, aber durchdrungen von Dankbarkeit glaubte er, diese nicht besser an den Tag legen zu können, als wenn er sich näherte, um den Saum ihres Kleides zu küssen. Sie ließ ihm indessen nicht Zeit dazu, sondern reichte ihm ihre Hand, die er küßte, und indem sie nun die seinige festhielt und sie drückte, sagte sie zu ihm: »Prinz Ahmed, willst du mir nicht Treue geloben, wie ich dir gelobt habe?« – »Ach, edle Frau«, erwiderte der Prinz voll Freude und Entzücken, »was könnte ich wohl Besseres und Angenehmeres tun! Ja, meine Sultanin, meine Königin, ich weihe dir mein Herz und meine Hand zu ewigem Dienste.« – »Wenn das ist«, antwortete die Fee, »so bist du mein Gemahl und ich deine Gemahlin. Die Ehen werden bei uns ohne weitere Zeremonien geschlossen, sind aber weit fester und unauflöslicher, als die der Menschen, ungeachtet diese eine Menge Förmlichkeiten dabei haben. Während man nun«, fuhr sie fort, »für heute Abend die Anstalten zu unserm Hochzeitsmahle trifft, will ich dir, da du offenbar heute noch nichts zu dir genommen hast, vorerst einen leichten Imbiß vorsetzen lassen, und dann werde ich dir die Zimmer meines Palasts zeigen, damit du selbst entscheiden magst, ob es nicht wahr ist, was ich dir sagte, daß nämlich dieser Saal gerade das schlechteste Zimmer ist.« Einige von den Frauen der Fee, die bei ihr im Saale waren, hatten kaum ihre Absicht vernommen, so gingen sie hinaus und kamen bald darauf mit mehreren Speisen und trefflichem Weine zurück.

Als der Prinz Ahmed zur Genüge gegessen und getrunken hatte, führte ihn die Fee Pari Banu von einem Zimmer ins andere, und er sah darin Diamanten, Rubine, Smaragde und alle Arten der feinsten Edelsteine, nebst Perlen, Achat, Jaspis, Porphyr und dem kostbarsten Marmor von allen Gattungen angebracht, ohne von den Zimmergerätschaften zu sprechen, die einen unschätzbaren Wert hatten. Überdies war alles in so erstaunlichem Überfluß vorhanden, daß der Prinz erklärte, er habe in seinem Leben nie etwas Ähnliches gesehen, und es könne auf der ganzen Welt nichts der Art mehr geben. »Prinz«, sagte hierauf die Fee, »da du meinen Palast, der allerdings große Schönheiten hat, so sehr bewunderst, was würdest du erst von den Palästen unserer Geisterfürsten sagen, die alle noch weit schöner, geräumiger und prachtvoller sind! Ich könnte dich auch noch meinen Garten bewundern lassen, allein das kann ja auch ein anderes Mal geschehen. Die Nacht ist im Anzug, und es ist Zeit, daß wir uns zu Tische setzen.«

Der Saal, in welchen die Fee nunmehr den Prinzen führte und wo sie die Tafel hatte decken lassen, war das letzte Zimmer im Palast und zugleich das einzige, das der Prinz noch nicht gesehen hatte: Es stand indes hinter keinem von allen zurück, die er bereits in Augenschein genommen. Gleich beim Hineintreten bewunderte er den Lichtglanz unzähliger von Ambra duftender Kerzen, die in so schöner und zierlicher Ordnung aufgestellt waren, daß man sie nicht ohne Vergnügen sehen konnte, Ebenso fiel ihm ein großer Schenktisch in die Augen, der mit goldenen Gefäßen besetzt war, die durch ihre kunstreiche Arbeit noch mehr Wert hatten, als durch ihren Stoff; ferner mehrere Frauenchöre von bezaubernder Schönheit und in den prachtvollsten Kleidern, welche so lieblich sangen und so melodisch auf allen möglichen Instrumenten dazu spielten, daß er in seinem Leben nie etwas Schöneres gehört hatte. Sie setzten sich zu Tische; Pari Banu ließ es sich ganz besonders angelegen sein, dem Prinzen Ahmed die köstlichsten Speisen vorzulegen, und nannte ihm dieselben jedesmal, sooft sie ihn aufforderte zuzugreifen, mit Namen und da der Prinz nie etwas davon gehört hatte und immer ein Gericht wohlschmeckender fand, als das andere, so lobte er alles über die Maßen und rief aus, die gute Mahlzeit, womit sie ihn bewirte, übertreffe bei weitem alles, was man bei den Menschen finde. Ebenso war er ganz entzückt über die Vortrefflichkeit des Weins, welcher aufgetragen wurde, wovon er und die Fee jedoch erst beim Nachtisch, der aus Früchten, Kuchen und anderen dazu passenden Speisen bestand, zu trinken anfingen.

Nach dem Nachtisch standen die Fee Pari Banu und der Prinz Ahmed von der Tafel auf, die sogleich weggetragen wurde, und setzten sich dann sehr bequem auf das Sofa, indem sie den Rücken an seidene Polster lehnten, die mit großem, vielfarbigem Blumenwerk, alles von der feinsten Stickerei, bedeckt waren. Sofort trat eine große Anzahl von Geistern und Feen in den Saal und begannen einen reizenden Tanz, der so lange dauerte, bis die Fee und der Prinz Ahmed aufstanden. Dann tanzten die Geister und Feen zum Saal hinaus und zogen so vor den Neuvermählten her, bis an die Türe des Zimmers, wo das hochzeitliche Lager bereitet war. Als sie da angekommen waren, stellten sie sich in Reihen auf, um das Paar hindurchgehen zu lassen, worauf sie sich entfernten und die beiden allein ließen.

Das Hochzeitsfest dauerte auch am anderen Tage noch fort, oder vielmehr die nächstfolgenden Tage waren ein ununterbrochenes Fest, in welches die erfinderische und hochverständige Fee Pari Banu die größte Mannigfaltigkeit zu bringen wußte, durch neue Speisen und Gerichte bei den Mahlzeiten, durch neue musikalische Vergnügungen, neue Tänze, Schauspiele und eine Menge anderer Ergötzlichkeiten, die alle so außerordentlich waren, daß der Prinz Ahmed, und hätte er auch tausend Jahre unter den Menschen gelebt, nie dergleichen hätte erdenken können.

Die Absicht der Fee war nicht bloß, dem Prinzen die deutlichsten Beweise von der Aufrichtigkeit ihrer Liebe und herzlichen Zuneigung zu geben, sondern sie wollte ihm dadurch auch recht fühlbar machen, daß er, da er am Hofe des Sultans, seines Vaters, keine Ansprüche mehr zu machen hatte, und an keinem Ort der Welt, um von ihrer Schönheit und Reizen zu schweigen, irgend etwas hätte finden können, was mit dem Glück, das er bei ihr genoß, vergleichbar wäre, – sich nun gänzlich an sie anschließen und nie mehr von ihr trennen solle. Dies gelang ihr auch vollkommen; die Liebe des Prinzen Ahmed wurde durch ihren vollständigen Besitz nicht nur nicht vermindert, sondern stieg vielmehr bis zu einem so hohen Grade, daß es nicht mehr in seiner Macht stand, von seiner Liebe zu ihr abzulassen, selbst wenn sie sich jemals hätte entschließen können, gleichgültig gegen ihn zu werden.

Endlich nach Verlauf von sechs Monaten ergriff den Prinzen Ahmed, welcher den Sultan, seinen Vater, immer geliebt und geehrt hatte, gewaltiges Verlangen, etwas von ihm zu erfahren, und da er diesen Wunsch nicht anders befriedigen konnte, als wenn er sich auf einige Zeit entfernte, um in eigener Person Nachrichten einzuziehen, so sprach er eines Tages gelegentlich mit Pari Banu darüber und bat sie, es ihm zu erlauben. Diese Worte beunruhigten die Fee, denn sie fürchtete, es sei bloß ein Vorwand, um sie zu verlassen. Deshalb sprach sie also zu ihm: »Durch was kann ich dir Ursache zu Unzufriedenheit mit mir gegeben haben, daß du dich gedrungen fühlst, mich um diese Erlaubnis zu bitten? Wär's möglich, könntest du dein mir gegebenes Wort vergessen haben und mich nicht mehr lieben, während ich dich so zärtlich und von ganzem Herzen liebe? Wenigstens solltest du davon überzeugt sein, da ich dir unaufhörlich so viele Beweise gebe.« – »Königin meines Herzens!« erwiderte der Prinz Ahmed, »ich bin von deiner Liebe vollkommen überzeugt, und würde mich ihrer unwürdig machen, wenn ich nicht durch die innigste Gegenliebe meine Dankbarkeit bewiese. Wenn meine Bitte dich beleidigt hat, so bitte ich dich tausendmal um Verzeihung und bin aber bereit, dir jede Genugtuung zu geben, die du verlangen kannst. Ich tat sie nicht, um dich zu kränken, sondern einzig und allein aus Ehrfurcht gegen den Sultan, meinen Vater, den ich von der Betrübnis zu befreien wünschte, in welche ihn meine lange Abwesenheit versetzt haben wird: denn ich glaube, daß er um so größeres Herzeleid darüber empfindet, weil er ohne Zweifel annimmt, ich sei nicht mehr am Leben. Da es dir indes lieb ist, wenn ich hingehe, um ihm diesen Trost zu bereiten, so will ich dasselbe, was du willst, und es gibt nichts auf der Welt, was ich nicht zu tun bereit wäre, wenn es sich darum handelt, dir einen Gefallen zu erweisen.«

Der Prinz Ahmed war kein Heuchler: Er liebte die Fee in seinem Herzen wirklich so heiß, als er es sie versichert hatte, und drang nicht weiter in sie, um die gewünschte Erlaubnis zu erhalten, so daß sie über seine Nachgiebigkeit höchlich erfreut war. Da er indes seinen Plan doch nicht ganz aufgeben konnte, so erzählte er ihr geflissentlich von Zeit zu Zeit von den Eigenschaften des Sultans von Indien und hauptsächlich von den Beweisen seiner Zärtlichkeit, die er ihm insbesondere gegeben, denn er hoffte immer, sie werde sich dadurch endlich erweichen lassen. Die Vermutungen des Prinzen waren gegründet: Der Sultan von Indien hatte sich mitten unter den Lustbarkeiten wegen der Vermählung des Prinzen Ali mit der Prinzessin Nurunnihar über die Entfernung seiner beiden anderen Söhne tief bekümmert. Er erfuhr bald, daß der Prinz Husein den Entschluß gefaßt hatte, die Welt zu verlassen, und auch den Ort, den er sich zu seinem künftigen Aufenthalte ausgewählt. Als guter Vater, der einen großen Teil seines Glücks darein setzt, die Kinder, die aus seinen Lenden hervorgegangen sind, recht oft um sich zu haben, zumal wenn sie sich seiner Zärtlichkeit würdig zeigen, hätte er es freilich lieber gesehen, wenn er am Hofe und in seiner Nähe geblieben wäre; da er indes nicht mißbilligen konnte, daß er diesen Stand gewählt hatte, wodurch er sich zu immer höherer Vervollkommnung verpflichtete, so schickte er sich mit Geduld in seine Abwesenheit. Dagegen gab er sich alle mögliche Mühe, um Nachrichten von dem Prinzen Ahmed zu erhalten: Er schickte in alle Provinzen seines Reichs Boten ab und ließ den Statthaltern befehlen, ihn anzuhalten und zur Rückkehr an seinen Hof zu nötigen; allein alle Bemühungen waren vergebens, und sein Kummer wurde von Tag zu Tag größer. Oft besprach er sich darüber mit seinem Großvezier. »Vezier«, sagte er zu ihm, »du weißt, daß Ahmed derjenige von meinen Söhnen ist, den ich immer am zärtlichsten liebte; auch ist dir nicht unbekannt, welche Mittel ich aufgewendet habe, um ihn wiederzufinden, aber ach! Alles umsonst. Dies bereitet mir so großes Herzeleid, daß ich ihm am Ende erliegen muß, wenn du nicht Mitleid mit mir hast. Wofern dir meine längere Erhaltung am Herzen liegt, so beschwöre ich dich, leihe mir deinen Rat und deinen Beistand.«

Der Großvezier, der ebensowohl der Person des Sultans ergeben, als in Verwaltung der Staatsangelegenheiten eifrig war, sann auf Mittel, ihm einige Beruhigung zu verschaffen, und da fiel ihm eine Zauberin ein, von der man Wunderdinge erzählte. Er machte den Vorschlag, sie kommen zu lassen und um Rat zu fragen. Dem Sultan gefiel dies, und der Großvezier beschickte die Frau und schickte sie zu ihm. Der Sultan sagte zur Zauberin: »Der Kummer, worin mich seit der Vermählung meines Sohnes Ali mit der Prinzessin Nurunnihar, meiner Nichte, die Abwesenheit des Prinzen versetzt hat, ist so stadt- und landkundig, daß du ohne Zweifel davon wissen wirst. Könntest du mir nicht vermöge deiner Kunst und Geschicklichkeit sagen, was aus ihm geworden ist? Lebt er noch? Wo ist er? Wie geht es ihm, und darf ich hoffen, ihn je wiederzusehen?« Darauf erwiderte die Zauberin: »Herr, so viel ich auch Geschicklichkeit in meinem Fache haben mag, so ist es mir doch nicht möglich, die Frage meines Herrn und Königs sogleich zu beantworten. Wenn du mir aber bis morgen Zeit vergönnen willst, so werde ich dir wohl Bescheid geben können.« Der Sultan gestattete ihr diese Frist und entließ sie mit der Zusicherung, sie gut zu belohnen, wenn die Antwort seinen Wünschen entsprechen würde.

Die Zauberin kam am folgenden Tage wieder, und der Großvezier stellte sie zum zweiten Male vor. Sie sagte zum Sultan: »Herr, so eifrig und gewissenhaft ich auch alle Regeln meiner Kunst befolgt habe, um in Erfahrung zu bringen, was du zu wissen verlangst, so habe ich doch nur so viel ermitteln können, daß der Prinz Ahmed noch nicht tot ist. Dies ist ganz gewiß; mein Herr und König kann sich darauf verlassen. Was aber den Ort betrifft, wo er sein mag, so war es mir unmöglich, diesen zu entdecken.«

Mit dieser Antwort mußte sich der Sultan von Indien zufrieden geben, obgleich sie ihn über das Schicksal seines Sohnes beinahe in derselben Unruhe ließ, worin er schon lange schwebte.

Um nun auf den Prinzen Ahmed zurückzukommen, so erzählte dieser der Fee Pari Banu so oft und viel von dem Sultan, seinem Vater, ohne jedoch seinen Wunsch in betreff eines Besuchs bei ihm aufs neue zu erwähnen, daß sie gerade dadurch seine wahre Gesinnung erriet. Da sie nun seine Zurückhaltung und Ängstlichkeit, nach jener abschlägigen Antwort abermals ihr Mißfallen zu erregen, bemerkte, so schloß sie daraus erstens, daß seine Liebe zu ihr, wovon er auch bei jeder Gelegenheit unablässig Beweise gab, aufrichtig sei; zweitens bedachte sie in ihrem Inneren, wie ungerecht es sein würde, der Zärtlichkeit eines Sohnes gegen seinen Vater Zwang anzutun, wenn sie ihn nötigen wollte, der natürlichen Neigung, die ihn zu jenem hinzog, zu entsagen, und so beschloß sie denn, ihm das zu gestatten, was er offenbar noch immer aufs feurigste wünschte. »Prinz«, sagte sie eines Tags zu ihm, »die Erlaubnis, um die du mich batest, den Sultan, deinen Vater, zu besuchen, hatte mir gerechte Besorgnis eingeflößt, sie möchte für dich bloß ein Vorwand sein, um deine Unbeständigkeit zu beweisen und mich zu verlassen, und ich hatte sonst keinen anderen Grund, sie dir abzuschlagen. Heute aber, da ich mich sowohl durch dein Benehmen als durch deine Reden vollkommen überzeugt habe, daß ich mich auf deine Festigkeit, so wie auf die Dauer deiner Liebe verlassen kann, bin ich anderer Ansicht geworden und gewähre dir diese Erlaubnis, jedoch nur unter einer Bedingung: Du mußt mir nämlich zuvor schwören, daß deine Abwesenheit nicht lange währen und du bald zu mir zurückkehren willst. Du darfst dich über diese Bedingung nicht ärgern, denn ich mache sie nicht aus Mißtrauen, sondern nur, weil ich zum voraus weiß, daß sie dir nach der Überzeugung, die ich soeben von der Aufrichtigkeit deiner Liebe ausgesprochen habe, nicht lästig sein wird.«

Der Prinz Ahmed wollte sich der Fee zu Füßen werfen, um ihr seinen innigen Dank zu bezeigen, allein sie ließ es nicht zu. »Königin meines Herzens«, sagte er zu ihr, »ich erkenne den Wert der Gnade, welche du mir erweisest, in seiner vollen Größe, allein es fehlt mir an Worten, um dir nach Gebühr dafür zu danken. Ich beschwöre dich, ergänze in Gedanken, was ich nicht auszudrücken vermag und sei überzeugt, daß alles, was du dir selbst darüber sagen magst, weit hinter dem zurücksteht, was ich in meinem Herzen empfinde. Du hast sehr recht, wenn du glaubst, daß der Schwur, den du von mir verlangst, mir nicht schwer fallen werde; ich leiste ihn dir um so bereitwilliger, als es mir fortan unmöglich wäre, ohne dich zu leben. Ich will also abreisen; aber die Eilfertigkeit, womit ich zurückkehren werde, soll dir beweisen, daß ich es nicht sowohl aus Furcht vor einem Meineid tue, sondern weil es die innerste Neigung meines Herzens ist, mein ganzes Leben an deiner Seite zuzubringen, und wenn ich mich manchmal mit deiner Genehmigung entferne, so werde ich stets durch schnelle Rückkehr dem Kummer zu begegnen wissen, den eine allzu lange Abwesenheit mir verursachen müßte.«

Pari Banu war im Innersten erfreut über diese Versicherung des Prinzen, weil sie dadurch von allem Verdacht gegen ihn und der Furcht befreit wurde, daß sein heftiges Verlangen, den Sultan von Indien zu sehen, nur ein scheinbarer Vorwand sein möchte, das ihr gegebene Wort zu brechen. »Prinz«, sagte sie ihm, »du kannst abreisen, so bald es dir beliebt; nimm mir aber nicht übel, wenn ich dir zuvor einige Winke über die Art und Weise gebe, wie du dich auf dieser Reise am besten benehmen kannst. Fürs erste halte ich es nicht für angemessen, daß du dem Sultan, deinem Vater, von unserer Verbindung oder von meinem Stande, sowie von dem Orte erzählest, wo du dich niedergelassen und seit der Trennung von ihm deinen Aufenthalt genommen hast. Bitte ihn, er möge sich mit der Versicherung begnügen, daß du glücklich seiest und dir nichts mehr wünschest, sowie, daß der einzige Grund deiner Reise zu ihm die Absicht gewesen sei, ihn von seiner unruhigen Besorgnis über dein Schicksal zu befreien.« Hierauf gab die Fee den Prinzen zu seiner Begleitung zwanzig wohlgerüstete und stattliche Reiter. Als alles bereit war, umarmte sie der Prinz Ahmed zum Abschied und erneuerte sein Versprechen, in Bälde zurückzukehren. Man führte ihm das Pferd vor, das sie für ihn hatte satteln lassen, und es war nicht nur aufs kostbarste angeschirrt, sondern auch weit schöner und wertvoller, als irgend eines in den Marställen des Sultans von Indien. Er bestieg es zur großen Freude der Fee mit vielem edlem Anstande, winkte ihr sein letztes Lebewohl zu und sprengte von dannen.

Da der Weg nach der Hauptstadt nicht lange war, so war der Prinz Ahmed bald daselbst. Als er zum Tore einzog, empfing ihn das Volk, voll Freude über seinen Anblick, mit lautem Jubelruf und eine Menge Leute zog ihm nach bis vor den Palast des Sultans. Der Sultan empfing und umarmte ihn ebenfalls mit großer Freude, machte ihm aber väterlich liebevolle Vorwürfe wegen des Kummers, in welchen ihn seine lange Abwesenheit versetzt habe. »Diese Abwesenheit«, fuhr er fort, »war für mich um so schmerzlicher, weil ich seit dem Tag, da der Zufall zu deinem Nachteil und zugunsten deines Bruders Ali entschied, immer fürchtete, du habest dich vielleicht zu irgend einem verzweifelten Schritte hinreißen lassen.« – »Herr«, erwiderte der Prinz Ahmed, »ich überlasse es dir selbst, zu überlegen, ob ich nach dem Verluste Nurunnihars, welche der einzige Gegenstand meiner Wünsche gewesen war, mich entschließen konnte, Zeuge von meines Bruders Glück zu sein. Wenn ich eines so unwürdigen Betragens fähig gewesen wäre, was würde man bei Hof und in der Stadt, und was würde mein Herr selbst von meiner Liebe gedacht haben? Die Liebe ist eine Leidenschaft, die man nicht von sich abschütteln kann, sobald man will. Sie beherrscht und bemeistert uns; ja, ein wahrhaft Liebender hat nicht einmal Zeit, von seiner Vernunft Gebrauch zu machen. Mein Herr weiß, daß mir mit dem Pfeile, den ich abschoß, etwas so Außerordentliches begegnete, wie wohl nicht leicht einem andern, daß nämlich dieser Pfeil auf dem ganz ebenen und freien Platze, wo die Pferde zugeritten werden, durchaus nicht mehr aufzufinden war, wodurch ich denn eine Sache verlor, in der meine Liebe so gut Recht verdient hätte, als jeder von meinen beiden Brüdern. Besiegt durch die Laune des Zufalls, verschwendete ich meine Zeit nicht mit unnützen Klagen. Um mein Gemüt über diese sonderbare und unbegreifliche Begebenheit zu beruhigen, entfernte ich mich unbemerkt von meinen Leuten und ging allein nach dem Schießplatz zurück, um meinen Pfeil zu suchen. Ich suchte ihn diesseits und jenseits, rechts und links von der Stelle, wo, wie ich wußte, Huseins und Alis Pfeile aufgehoben worden waren, und wohin nach meiner Ansicht auch der meinige gefallen sein mußte; allein vergebens waren alle meine Bemühungen. Dies schreckte mich indes nicht ab, und ich setzte meine Nachforschungen fort, indem ich in gerader Linie nach der Richtung, wo er hingefallen sein mußte, immer weiter vorwärts ging. Schon war ich über eine Stunde lang, immerfort rechts und links hinblickend und mich von Zeit zu Zeit auch noch umdrehend, fortgegangen, so daß mir nicht das Geringste, was nur irgend Ähnlichkeit mit einem Pfeile hatte, entgehen konnte, als ich überlegte, mein Pfeil könne unmöglich so weit geflogen sein. Ich blieb stehen und fragte mich selbst, ob ich denn den Verstand verloren und so ganz von Sinnen gekommen sei, daß ich mir Kraft genug zutraue, einen Pfeil nach einer solchen Weite abzuschießen, wie niemals einer unserer ältesten und durch seine Stärke berühmtesten Helden im stande gewesen. Bei solchen Betrachtungen hatte ich gute Lust, mein Unternehmen aufzugeben; als ich aber diesen Entschluß ausführen wollte, fühlte ich mich unwillkürlich weiter fort gezogen, und nachdem ich vier Stunden weit gegangen und an den Ort gekommen war, wo die Ebene von Felsen begrenzt wird, bemerkte ich einen Pfeil. Ich eilte hin, hob ihn auf und erkannte ihn für den, welchen ich abgeschossen hatte, der aber weder am rechten Ort, noch zu rechter Zeit aufgefunden worden war. Statt nun die Entscheidung, die mein Herr zugunsten des Prinzen Ali getan, als eine Ungerechtigkeit gegen mich zu betrachten, legte ich das, was mir hier zustieß, ganz anders aus, und zweifelte nicht daran, es werde irgendein für mich vorteilhaftes Geheimnis dahinter stecken, und ich müsse alles aufbieten, mir darüber Aufklärung zu verschaffen; diese Aufklärung fand ich auch, ohne mich zu weit von dem Orte zu entfernen. Indes ist dies ein neues Geheimnis, und ich muß meinen Herrn und König bitten, es nicht übel zu nehmen, wenn ich darüber stillschweige, und sich mit der Versicherung zu begnügen, daß ich glücklich und mit meinem Schicksal vollkommen zufrieden bin. Da mich in meinem Glücke nichts zu beunruhigen und zu stören vermochte, als der Gedanke, daß mein Herr sich über mein Verschwinden vom Hofe und über mein Schicksal bekümmern werde, so hielt ich es für meine Pflicht, hierher zu kommen, um dich von dieser Unruhe zu befreien. Dies ist der einzige Grund, der mich zu dir führt, und die einzige Gnade, die ich von meinem Herrn erbitte, ist, daß du mir erlauben mögest, von Zeit zu Zeit zu kommen, um dir meine Ehrfurcht zu bezeigen und mich nach deinem Befinden zu erkundigen.«

»Mein Sohn«, antwortete der Sultan von Indien, »ich kann dir diese Erlaubnis nicht verweigern; obwohl es mir weit lieber gewesen wäre, wenn du dich hättest entschließen können, bei mir zu bleiben. Indes sage mir wenigstens, wo ich Nachrichten von dir erhalten kann, so oft du selbst mir keine zukommen lässest, oder wenn deine Gegenwart einmal nötig sein sollte.« – »Herr«, erwiderte der Prinz Ahmed, »das, worüber du mich fragst, ist ein wichtiger Teil des Geheimnisses, von dem ich bereits gesagt habe. Ich bitte daher meinen Herrn, mir gnädigst zu erlauben, daß ich über diesen Punkt stillschweige; ich werde mich so häufig zur Erfüllung meiner Pflicht einstellen, daß ich eher lästig zu werden fürchte, als dir Veranlassung zu geben, mich der Gleichgültigkeit anzuklagen, im Fall meine Gegenwart einmal nötig werden sollte.«

Der Sultan von Indien drang jetzt nicht weiter in den Prinzen Ahmed, sondern sagte zu ihm: »Mein Sohn, ich verlange nicht, in dein Geheimnis eingeweiht zu werden, und sage dir bloß, daß du mir kein größeres Vergnügen hättest machen können, als indem du mich besuchtest und mir dadurch wieder einige heitere Stunden bereitetest, wie ich sie lange nicht gehabt habe; auch wirst du jedesmal sehr willkommen sein, sooft du unbeschadet deiner Geschäfte oder Vergnügungen mich besuchen willst.«

Der Prinz Ahmed blieb bloß drei Tage am Hofe des Sultans, seines Vaters, und reiste am vierten in aller Frühe wieder ab. Die Fee Pari Banu war um so erfreuter, ihn wieder zu sehen, als sie diese baldige Rückkehr durchaus nicht erwartet hatte, und sie machte sich jetzt in ihrem Inneren Vorwürfe, daß sie ihn für fähig gehalten, die Treue, die er ihr schuldete und so feierlich gelobt hatte, zu brechen. Sie verhehlte dies auch dem Prinzen nicht, sondern gestand ihm frei und offen ihre Schwachheit und bat ihn um Verzeihung. Von nun an war die Eintracht der beiden Liebenden so vollkommen, daß, was der eine Teil wollte, sicher auch dem anderen angenehm war.

Einen Monat nach der Rückkehr des Prinzen Ahmed fiel es der Fee Pari Banu auf, daß der Prinz, der ihr einen ausführlichen Bericht über seine Reise und seine Gespräche mit dem Sultan, seinem Vater, abgestattet, und somit auch erzählt hatte, daß er ihn um Erlaubnis gebeten, ihn von Zeit zu Zeit zu besuchen – daß, sage ich, der Prinz seither mit keiner Silbe mehr des Sultans erwähnte, gleich als ob er nicht mehr auf der Welt wäre, und doch hatte er vorher sooft von ihm gesprochen. Sie dachte nun, er unterlasse es ohne Zweifel aus Rücksicht für sie, und nahm daher eines Tags Gelegenheit, also zu ihm zu sprechen: »Prinz«, fing sie an, »sag einmal, hast du denn den Sultan, deinen Vater, ganz vergessen? Erinnerst du dich nicht mehr, daß du ihm versprochen hast, ihn von Zeit zu Zeit zu besuchen? Ich für meinen Teil habe nicht vergessen, was du mir bei deiner Rückkehr sagtest, und bringe es dir hiermit in Erinnerung, auf daß du nicht länger säumest, dein Versprechen zum ersten Male zu erfüllen.« – »Geliebteste meines Herzens!« antwortete der Prinz Ahmed in demselben heiteren Tone wie die Fee, »ich fühle mich einer solchen Vergeßlichkeit durchaus nicht fähig, will aber lieber den unverdienten Vorwurf von dir ertragen, als mich einer abschlägigen Antwort aussetzen, wenn ich zu unrechter Zeit eine Sehnsucht nach etwas blicken ließe, was du vielleicht nicht gerne bewilligtest.« – »Prinz«, sagte die Fee, »ich verlange durchaus nicht, daß du solche Rücksichten gegen mich nimmst, und damit dergleichen nicht wieder vorkomme, so denke ich, da du den Sultan von Indien, deinen Vater, bereits seit einem Monat nicht mehr gesehen hast, du solltest deine Besuche bei ihm nie länger als einen Monat aussetzen. Fange morgen damit an und fahre so von Monat zu Monat fort, ohne daß du mir etwas davon sagest oder eine Äußerung von mir erwartest. Ich genehmige es sehr gern.«

Der Prinz Ahmed reiste schon am folgenden Tag mit demselben Gefolge wieder ab, das aber weit geschmackvoller gekleidet war, und auch er selbst war viel prächtiger ausgerüstet, als das erste Mal. Der Sultan empfing ihn abermals mit großer Freude und Vergnügen. So setzte er dann seine Besuche mehrere Monate lang fort, und immer erschien er in einem reicheren und glänzenderen Aufzuge.

Endlich mißbrauchten einige Veziere, welche die Lieblinge des Sultans waren und aus dem Aufwand des Prinzen auf seine Macht und Größe schlossen, die Freiheit, die ihnen gestattet war, mit ihrem Fürsten zu reden, dazu, daß sie ihn gegen seinen Sohn einzunehmen suchten. Sie stellten ihm vor, die Klugheit erfordere es, daß er in Erfahrung bringe, wo der Prinz seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe, und womit er seinen großen Aufwand bestreite: Denn es sei ihm doch weder eine Leibrente, noch ein bestimmter Jahresgehalt angewiesen worden, und er scheine bloß deswegen an den Hof zu kommen, um dem Sultan zu trotzen und zu zeigen, daß er auch ohne seine Geschenke als Prinz leben könne; überhaupt sei zu befürchten, er möchte das Volk aufwiegeln, um ihn frevlerischerweise zu entthronen. Der Sultan von Indien, der eine zu gute Meinung von dem Prinzen Ahmed hatte, als daß er ihn eines so verbrecherischen Planes, wie seine Günstlinge ihm unterschoben, fähig geglaubt hätte, antwortete ihnen: »Ihr scherzet wohl nur; mein Sohn liebt mich, und ich bin seiner Zärtlichkeit und Treue um so gewisser, da ich mich nicht erinneren kann, ihm jemals den geringsten Anlaß zur Unzufriedenheit gegeben zu haben.« Auf diese letzten Worte bemerkte einer der Günstlinge: »Herr, obgleich du nach dem Urteil aller Verständigen nichts Besseres tun konntest, um die drei Prinzen in ihrer Angelegenheit wegen der Prinzessin Nurunnihar zufrieden zu stellen, als du wirklich getan hast, so kann man doch nicht wissen, ob der Prinz Ahmed sich in die Entscheidung des Zufalls mit derselben Entsagung fügt, als der Prinz Husein. Wie leicht könnte er es sich in den Kopf setzen, er allein verdiene die Prinzessin, und mein Herr habe dadurch, daß er ihm nicht den Vorzug vor den älteren Prinzen gab und die Entscheidung darüber dem Zufall überließ, eine Ungerechtigkeit begangen. Mein Herr wird vielleicht sagen«, fügte der boshafte Günstling hinzu, »der Prinz Ahmed verrate ja durch nichts eine Spur von Unzufriedenheit, unsere Furcht sei unbegründet und voreilig, und es sei unrecht von uns, ihm einen ohne Zweifel grundlosen Verdacht dieser Art gegen einen Prinzen seines Geblütes einflößen zu wollen. Aber, mein Herr und König, vielleicht ist dieser Verdacht auch gut begründet. Du weißt gar wohl, daß man bei einer so zarten und so wichtigen Angelegenheit immer das sicherste Mittel wählen muß. Bedenke nur, daß der Prinz dich durch seine Verstellung gar leicht ergötzen und hinters Licht führen kann, und daß die Gefahr um so bedenklicher ist, da Ahmed seinen Aufenthalt ganz in der Nähe deiner Hauptstadt zu haben scheint. Denn wenn du ebenso aufmerksam gewesen bist, wie wir, so hast du bemerken können, daß jedesmal, so oft er kommt, sowohl er, als seine Leute, ganz frisch und munter, und ihre Kleider, sowie die Decken der Pferde nebst dem übrigen Schmuck, so blank aussehen, als kämen sie eben erst von dem Handwerksmann, der sie verfertigt. Auch ihre Pferde sind so wenig müde, wie wenn sie von einem bloßen Spazierritte kämen. Dies ist ein augenscheinlicher Beweis, daß der Prinz Ahmed ganz in der Nähe wohnt, und wir würden unsere Pflicht nicht zu erfüllen glauben, wenn wir es dir nicht untertänig vorstellten, damit du zu deiner eigenen Erhaltung und zum Wohl deiner Völker die angemessene Rücksicht darauf nehmen mögest.« Als der Günstling seine lange Rede geendet hatte, brach der Sultan dies Gespräch mit den Worten ab: »Dem mag sein, wie ihm wolle, ich glaube nicht, daß mein Sohn Ahmed so schlecht ist, wie ihr mich gerne überreden möchtet; gleichwohl danke ich euch für euern Rat und bin überzeugt, daß ihr ihn mir aus der besten Absicht gegeben habt.« So sprach der Sultan von Indien zu seinen Günstlingen und gab ihnen nicht zu erkennen, daß ihre Äußerungen Eindruck auf sein Gemüt gemacht hatten. Dennoch beunruhigte er sich darüber und beschloß, die Schritte des Prinzen Ahmed beobachten zu lassen, ohne jedoch seinem Großvezier ein Wort davon zu sagen. Er beschied die Zauberin zu sich, die durch eine geheime Türe in seinen Palast eingelassen und in sein Zimmer geführt wurde. »Du hast mir«, sagte er zu ihr, »die Wahrheit berichtet, als du mich versichertest, daß mein Sohn Ahmed nicht tot sei, und danke dir dafür; jetzt mußt du mir aber noch einen Gefallen tun. Seitdem ich ihn nämlich wieder gefunden habe und er jeden Monat einmal an meinen Hof kommt, war es mir unmöglich, seinen Aufenthalt von ihm zu erfahren, und ich wollte ihm sein Geheimnis auch nicht mit Gewalt ablocken. Indessen halte ich dich für geschickt genug, meiner Neugierde Befriedigung zu verschaffen, ohne daß er selbst oder irgend jemand am Hofe etwas davon erfährt. Du weißt, daß er hier ist, und da er gewöhnlich wieder abreist, ohne Abschied von mir oder sonst von jemanden zu nehmen, so verliere keine Zeit, begib dich noch heute auf seinen Weg und beobachte ihn so gut, daß du erfährst, wo er jedesmal hingeht, und mir darüber Bescheid bringen kannst.«

Die Zauberin entfernte sich aus dem Palast, und da man sie belehrte, an welchem Ort der Prinz Ahmed seinen Pfeil gefunden hatte, so begab sie sich augenblicklich dahin und versteckte sich in der Nähe der Felsen, so daß sie nicht bemerkt werden konnte. Am anderen Morgen reiste der Prinz Ahmed in aller Frühe ab, ohne weder beim Sultan, noch irgend einem anderen bei Hof Abschied genommen zu haben, denn dies war so seine Gewohnheit. Die Zauberin sah ihn kommen und begleitete ihn mit den Augen so weit, bis sie ihn samt seinem Gefolge aus dem Gesichte verlor. Da die Felsen so steil waren, daß kein Sterblicher weder zu Fuß, noch zu Roß sie hätte übersteigen können, so schloß die Zauberin, hier können nur zwei Sachen möglich sein: Entweder müsse sich der Prinz in irgend eine Höhle zurückziehen oder an einen unterirdischen Ort, wo Geister und Feen wohnen. Sobald sie nun vermuten konnte, daß der Prinz mit seinen Leuten verschwunden und in die Höhle oder den unterirdischen Ort, den sie sich dachte, eingegangen sein müsse, so verließ sie ihr Versteck und ging geraden Wegs auf die Schlucht zu, wo sie dieselben hineinreiten gesehen hatte. Sie ging nun selbst hinein und schritt so weit vor, bis die Schlucht sich in allerlei Krümmungen endigte; hier sah sie sich nach allen Seiten um und ging mehrere Male auf und ab. Allein trotz der angestrengtesten Aufmerksamkeit konnte sie weder eine Höhlenöffnung entdecken, noch die eiserne Türe, die dem Prinzen Ahmed sogleich aufgefallen war. Diese Türe war nämlich bloß für Männer sichtbar, und zwar nur für solche, deren Gegenwart der Fee Pari Banu angenehm sein konnte, nicht aber für Frauen. Da die Zauberin sah, daß sie sich vergeblich abmühte, so beschloß sie endlich, sich mit dieser Entdeckung zu begnügen. Sie ging also wieder nach Hause, um dem Sultan Bericht abzustatten, und nachdem sie ihm umständlich alles erzählt, was sie getan hatte, fügte sie hinzu: »Mein Herr wird aus dem, was ich eben zu erzählen die Ehre hatte, deutlich ersehen, daß es mir nicht schwer fallen wird, ihm über das Betragen des Prinzen Ahmed den befriedigendsten Aufschluß zu geben, den er nur wünschen kann. Ich will für jetzt noch nicht sagen, was ich davon halte: Ich ziehe es vor, dir eine so genaue Kenntnis davon zu verschaffen, daß du gar nicht mehr zweifeln kannst. Um dies aber möglich zu machen, erbitte ich mir Zeit und Geduld, nebst der Erlaubnis, mich nach eigenem Gutdünken schalten zu lassen, ohne nach den Mitteln zu fragen, deren ich mich dabei zu bedienen gedenke.« Der Sultan genehmigte zum voraus alle Maßregeln, welche die Zauberin ergreifen würde. »Du kannst tun, was du willst«, sagte er zu ihr, »um die Sache zum Ende zu führen; ich will dir nichts dareinreden und mit Geduld erwarten, bis du deine Versprechungen erfüllst. « Dann schenkte er ihr noch zur Aufmunterung einen sehr kostbaren Diamant mit der Bemerkung, dies bekomme sie bloß vorläufig, die vollständige Belohnung werde nachfolgen, sobald sie ihm den wichtigen Dienst, wobei er sich ganz auf ihre Geschicklichkeit verlasse, geleistet haben würde. Da der Prinz Ahmed, seit er von der Fee Pari Banu die Erlaubnis erhalten hatte, dem Sultan von Indien seine Aufwartung zu machen, regelmäßig jeden Monat einmal erschienen war, so wartete die Zauberin, die dies recht gut wußte, bis der laufende Monat zu Ende ging. Einen oder zwei Tage vorher aber begab sie sich an den Fuß des Felsen, und zwar an die Stelle, wo sie den Prinzen und seine Leute aus den Augen verloren hatte, und wartete dort, um den Plan, welchen sie entworfen, auszuführen. Gleich am anderen Tag ritt der Prinz Ahmed, wie gewöhnlich, mit demselben Gefolge, das ihn jedesmal zu begleiten pflegte, zur eisernen Türe heraus und kam ganz in die Nähe der Zauberin, die er nicht für das erkannte, was sie wirklich war. Da er bemerkte, daß sie den Kopf auf den Felsen gelehnt da lag und gar jämmerlich klagte, wie wenn sie von heftiger Krankheit geplagt wäre, so bewog ihn das Mitleid, seitwärts abzulenken, sich ihr zu nähern und sie zu fragen, was für einen Schmerz sie habe und was er zu ihrer Linderung tun könne? Die arglistige Zauberin sah den Prinzen, ohne den Kopf empor zu heben, so jammervoll an, daß sein bereits rege gemachtes Mitleid noch dadurch vermehrt wurde, und antwortete bloß mit abgebrochenen Worten, als ob es ihr sehr schwer würde zu atmen, sie sei vom Hause weggegangen, um sich in die Stadt zu begeben, aber unterwegs habe sie ein so heftiges Fieber befallen, daß ihr die Kräfte geschwunden und sie genötigt worden sei, anzuhalten und in dieser unbewohnten Gegend ganz ohne alle Aussicht auf Beistand in dem Zustande zu bleiben, worin er sie gefunden. »Gute Frau«, antwortete der Prinz Ahmed, »du bist nicht so weit von der nötigen Hilfe entfernt, als du glaubst. Ich bin bereit, es dir zu beweisen und dich ganz in der Nähe von da an einen Ort hinzubringen, wo man dich nicht nur aufs sorgfältigste verpflegen, sondern auch in Bälde vollkommen wieder herstellen wird. Du darfst bloß aufstehen und erlauben, daß einer meiner Leute dich hinter sich aufs Pferd nimmt.«

Die Zauberin, die sich bloß deshalb krank stellte, um zu erfahren, wo der Prinz Ahmed wohne, was er treibe, und überhaupt, wie es ihm ergehe, lehnte dieses freundliche Anerbieten nicht ab, und um ihm mehr durch die Tat, als durch die Worte zu beweisen, daß sie es sehr gerne annehme, stellte sie sich, als gebe sie sich sehr große Mühe, um aufzustehen, werde aber durch die Heftigkeit ihrer angeblichen Krankheit daran verhindert. Indes stiegen sogleich zwei von den Reitern ab, halfen ihr auf die Beine und setzten sie hinter einen anderen Reiter aufs Pferd. Während sie selbst wieder aufstiegen, sprengte der Prinz an der Spitze seiner Reiterschar den Weg zurück und gelangte bald an die eiserne Türe, die ein vorausgeschickter Reiter geöffnet hatte. Er ritt hinein, und als er in den Hof des Feenpalastes gelangt war, stieg er nicht ab, sondern ließ der Fee durch einen seiner Leute melden, daß er sie zu sprechen wünsche. Die Fee Pari Banu eilte um so schneller herbei, weil sie nicht begreifen konnte, warum der Prinz Ahmed wohl so schnell wieder umgekehrt. Dieser ließ ihr indes keine Zeit, nach dem Grunde zu fragen, sondern sagte zu ihr, indem er auf die Zauberin deutete, welche zwei seiner Leute vom Pferd herabgehoben hatten und unter den Armen hielten: »Liebe Prinzessin, ich bitte dich, schenke dieser Frau ebenso viel Mitleid, wie ich. In dem Zustande, worin du sie jetzt siehst, habe ich sie soeben angetroffen und ihr den nötigen Beistand versprochen. Ich empfehle sie dir nun in der Überzeugung, daß du sie sowohl aus eigenem Antrieb, als auch aus Rücksicht auf meine Bitte nicht hilflos lassen wirst.«

Die Fee Pari Banu, welche während der Rede des Prinzen Ahmed ihre Augen auf die angebliche Krankheit geheftet hatte, befahl zweien ihrer Frauen, die ihr gefolgt waren, dieselbe aus den Händen der beiden Reiter zu übernehmen, in ein Zimmer des Palasts zu führen und ebenso sorgfältig zu verpflegen, wie wenn sie es selbst wäre. Während aber die beiden Frauen den empfangenen Befehl vollzogen, trat Pari Banu zu dem Prinzen Ahmed und sagte leise zu ihm: »Prinz, ich lobe dein Mitleid, es ist deiner und deines Ranges würdig, und mit großem Vergnügen werde ich deinen guten Absichten entsprechen; erlaube mir indes, dir zu sagen, daß ich sehr fürchte, diese gute Absicht möchte uns schlecht belohnt werden. Es scheint mir durchaus nicht, als ob die Frau so krank wäre, wie sie vorgibt, und mich müßte alles täuschen, wenn sie nicht ausdrücklich ausgesandt ist, um dir Unannehmlichkeiten zu bereiten. Laß dich indes dies nicht kümmern; was man auch anzetteln mag, so kannst du überzeugt sein, daß ich dich aus allen Schlingen befreien werde, welche man dir legt. So gehe denn hin und setze deine Reise fort.« Der Prinz Ahmed ließ sich durch diese Worte nicht beunruhigen und antwortete seiner Gemahlin: »Prinzessin, da ich mich nicht erinneren kann, irgend jemandem etwas zuleide getan zu haben, und da ich auch gegen niemanden eine böse Absicht hege, so kann ich mir durchaus nicht denken, wer wohl im Sinne haben sollte, mir ein Leid zuzufügen. Dem mag übrigens sein, wie ihm wolle, ich werde nie aufhören, Gutes zu tun, so oft sich mir Gelegenheit darbietet.« Herauf nahm er Abschied von der Fee, trennte sich von ihr und setzte seine Reise, die er wegen der Zauberin unterbrochen hatte, wieder fort. Nach wenigen Stunden langte er am Hofe des Sultans von Indien an, der ihn fast ganz wie gewöhnlich empfing, da er sich so viel als möglich Gewalt antat, um seine Unruhe nicht blicken zu lassen; denn die Einflüsterungen seiner Günstlinge hatten ihm doch einigen Verdacht eingeflößt.

Indes hatten die beiden Frauen, welchen die Fee Pari Banu die Sache aufgetragen, die Zauberin in ein sehr schönes und reich geschmücktes Zimmer geführt. Sie ließen sie zuerst auf ein Sofa sitzen, wo sie sich auf ein Kissen von Goldbrokat lehnte, und bereiteten ihr dann auf demselben Sofa eine Lagerstätte, deren Unterdecken aus Atlas und mit Seidestickereien verziert waren; das Bettuch bestand aus der feinsten Leinwand und die Oberdecke war von Goldstoff. Als sie ihr nun ins Bett geholfen hatten, – denn die Zauberin stellte sich fortwährend, wie wenn ihr Fieberanfall sie so quälte, daß sie sich kaum rühren könnte, – ging eine von den Frauen hinaus und kam bald darauf mit einem überaus feinen Porzellangefäße zurück, worin sich eine Flüssigkeit befand. Sie reichte es der Zauberin, während die andere Frau ihr aufsitzen half, und sagte zu ihr: »Da nimm diesen Saft, es ist Wasser aus der Löwenquelle und ein unfehlbares Mittel für alle und jede Fieber. Du wirst in weniger als einer Stunde die Wirkung verspüren.« Die Zauberin ließ sich, um ihre Rolle besser durchzuführen, lange bitten, wie wenn sie eine unüberwindliche Abneigung gegen diesen Trank gehabt hätte. Endlich jedoch nahm sie die Schale und schluckte den Saft hinunter, schüttelte aber dabei den Kopf, gleich als ob es sie große Überwindung kostete. Als sie sich sodann wieder gelegt hatte, deckten die beiden Frauen sie gut zu, und diejenige, die den Trank gebracht, sagte zu ihr: »Bleib jetzt ganz ruhig und schlafe, wenn du Lust hast; wir verlassen dich auf ungefähr eine Stunde und hoffen, bei unserer Wiederkehr dich vollkommen gesund anzutreffen.«

Die Zauberin, die nicht gekommen war, um lange die Kranke zu spielen, sondern bloß, um den Aufenthalt des Prinzen Ahmed auszuforschen und zu erfahren, was ihn wohl veranlassen möchte, sich vom Hofe des Sultans, seines Vaters, zu entfernen, wußte jetzt schon, was sie wollte, und hätte gern auf der Stelle erklärt, der Trank habe seine Wirkung getan, denn sie hatte großes Verlangen, nach Hause zurückzukehren und den Sultan von der glücklichen Ausführung seines Auftrags zu benachrichtigen. Da man ihr aber nicht gesagt hatte, daß der Trank auf der Stelle wirke, so mußte sie, wiewohl sehr ungern, die Rückkehr der Frauen abwarten. Diese kamen zur bestimmten Zeit zurück und fanden die Zauberin aufgestanden und angekleidet auf dem Sofa. Sie lief ihnen sogleich entgegen und rief: »O, der herrliche Trank! Er hat weit schneller gewirkt, als ihr sagtet, und ich wartete schon geraume Zeit voll Ungeduld auf euch, denn ich möchte euch bitten, daß ihr mich zu eurer mildtätigen Gebieterin führt, damit ich ihr für ihre Güte, welche ich nie vergessen werde, danken und nach dieser wundervollen Genesung ohne weiteren Aufschub meine Reise fortsetzen kann.« Die beiden Frauen, die ebenfalls Feen waren, bezeigten der Zauberin ihre Teilnahme und Freude über ihre schnelle Genesung, gingen dann vor ihr her, um ihr den Weg zu zeigen, und führten sie durch mehrere Zimmer, die alle weit prächtiger waren, als das, woraus sie eben kam, in den glänzendsten und am reichsten geschmückten Saal im ganzen Palast. In diesem Saale saß Pari Banu auf einem Throne von gediegenem Golde, der mit Diamanten, Rubinen und Perlen von außerordentlicher Größe reich verziert war, und neben ihr standen zur Rechten und Linken eine Menge Feen, sämtlich von ausnehmender Schönheit und sehr kostbar gekleidet. Beim Anblick all dieses Glanzes und dieser Herrlichkeit wurde die Zauberin ganz geblendet und so verwirrt, daß sie, als sie sich vor dem Throne niedergeworfen, nicht einmal den Mund zu öffnen vermochte, um der Fee zu danken, wie sie sich vorgenommen hatte. Pari Banu ersparte ihr auch die Mühe, indem sie zu ihr sagte: »Gute Frau, es freut mich sehr, daß sich diese Gelegenheit gefunden hat, dir einen Dienst zu erweisen, und daß du imstande bist, deine Reise fortzusetzen. Ich will dich nicht länger hier aufhalten, doch wird es dir nicht unangenehm sein, zuvor meinen Palast zu besehen. Geh mit meinen Frauen, sie werden dich begleiten und ihn dir zeigen.« Die Zauberin, die noch immer ganz verblüfft war, verneigte sich abermals mit der Stirne bis an den Teppich, der den Fuß des Thrones bedeckte, und verabschiedete sich dann, ohne Kraft oder Mut zu haben, ein einziges Wort vorzubringen. Die beiden Feen, die sie begleiteten, führten sie im ganzen Palast herum, wo sie mit Erstaunen und unter beständigen Ausrufen der Verwunderung der Reihe nach dieselben Zimmer, dieselben Reichtümer und dieselbe Pracht erblickte, welche die Fee Pari Banu dem Prinzen Ahmed gleich bei seiner Ankunft selbst gezeigt hatte. Was ihr aber die größte Bewunderung einflößte, war, daß die beiden Feen, nachdem sie das ganze Innere des Palasts in Augenschein genommen, zu ihr sagten, alles das, was sie so sehr bewundere, sei nur eine kleine Probe von der Größe und Macht ihrer Gebieterin, denn sie besitze im Umfang ihres Reichs noch unzählige andere Paläste, die alle von verschiedener Form und Bauart, aber nicht minder stattlich und prachtvoll seien. Indem sie sich so mit ihr über allerlei Gegenstände unterhielten, führten sie die Zauberin bis zur eisernen Türe, zu welcher der Prinz Ahmed sie hereingeführt hatte, öffneten dieselbe und wünschten ihr, nachdem sie Abschied von ihnen genommen und für ihre Bemühungen gedankt hatte, glückliche Reise. Als die Zauberin einige Schritte weit gegangen war, drehte sie sich um, um nach der Türe zu sehen und sich dieselbe genau zu merken; allein sie suchte vergeblich, denn die Türe war für sie, wie überhaupt für alle Frauen, was ich ja oben schon erzählt habe, unsichtbar geworden. Sie begab sich nun, abgesehen von diesem einzigen Umstande, ziemlich zufrieden mit sich selbst und der Vollziehung ihres Auftrags, zum Sultan zurück. Als sie in der Hauptstadt angelangt war, schlug sie Nebenwege ein und ließ sich wieder durch die geheime Tür in den Palast führen. Der Sultan ließ sie, sobald ihm ihre Ankunft gemeldet worden war, sogleich vor sich kommen, und da er sie mit sehr traurigem Gesichte erscheinen sah, schloß er daraus, die Sache müsse ihr nicht gelungen sein, und sagte zu ihr: »Nach deinem Anblick zu urteilen, ist deine Reise wohl vergeblich gewesen und du vermagst mir den Aufschluß, den ich von deinem Diensteifer erwartete, nicht zu geben?«

»Herr«, antwortete die Zauberin, »erlaube mir die Bemerkung, daß du aus meiner Miene nicht schließen darfst, ob ich in der Vollziehung des Auftrages, womit du mich beehrt, glücklich gewesen bin, sondern nur aus dem getreuen Bericht über alles, was ich getan und was mir begegnet ist; du wirst sehen, daß ich nichts versäumt habe, um mich deines Beifalls würdig zu machen. Der traurige Zug, den du vielleicht auf meinem Gesichte bemerkt hast, hat einen anderen Grund, als das Mißlingen unseres Planes, und ich hoffe, daß mein Herr in dieser Beziehung mit mir wohl zufrieden sein wird. Ich sage dir die eigentliche Ursache nicht: Der Bericht, den ich dir nun abstatten werde, wofern du die Geduld hast, mich anzuhören, muß alles erklären.« Sofort erzählte die Zauberin dem Sultan von Indien, wie sie sich krank gestellt und die Sache so eingerichtet habe, daß der Prinz Ahmed, von Mitleid ergriffen, sie an einen unterirdischen Ort habe bringen lassen und in eigener Person einer Fee von unvergleichlicher Schönheit vorgestellt, empfohlen und dieselbe gebeten habe, für die Wiederherstellung ihrer Gesundheit Sorge zu tragen. Ferner, mit welcher Gefälligkeit die Fee sogleich zwei anderen Feen aus ihrer Umgebung befohlen habe, sie in ihre Pflege zu nehmen und nicht zu verlassen, als bis sie vollkommen genesen sein würde; daraus sei ihr ganz deutlich geworden, daß diese Willfährigkeit nur in einem Verhältnis zwischen Mann und Frau ihren Grund haben könne. Auch ermangelte die Zauberin nicht, ihr Erstaunen bei Erblickung des Feenpalastes zu schildern, von dem sie behauptete, daß es auf der ganzen Welt nichts Ähnliches geben könne, und in welchem die beiden Feen sie wie eine Kranke, die ohne ihren Beistand weder gehen noch stehen könne, herumgeführt haben. Sodann beschrieb sie ihm ausführlich, mit welchem Eifer die Feen sie in einem besonderen Zimmer verpflegt, welchen Trank sie ihr gereicht haben, und wie schnell darauf vollständige Heilung erfolgt, die aber, wie auch die Krankheit, nur verstellt gewesen sei, obgleich sie an der Kraft des Trankes durchaus nicht zweifelte; ferner von der Majestät der Fee, als sie auf einem ganz von Edelsteinen strahlenden Throne gesessen, dessen Wert alle Reichtümer Indiens übersteige, und endlich von den übrigen unermeßlichen und sowohl im allgemeinen als im besonderen ganz unberechenbaren Schätzen, die in dem weiten Umfange des Palastes enthalten seien. Damit schloß die Zauberin ihren Bericht vom Erfolg ihrer Genesung und fuhr dann weiter also fort: »Was denkt mein Herr und König wohl von diesen unerhörten Reichtümern der Fee? Vielleicht wirst du sagen, du bewunderst sie und freuest dich über das hohe Glück deines Sohnes Ahmed, der dieselben mit der Fee gemeinschaftlich genießt. Was indes mich betrifft, Herr, so bitte ich um Verzeihung, wenn ich mir die Freiheit nehme, dir vorzustellen, daß ich anders davon denke, ja sogar, daß der Gedanke an das Unglück, welches dir daraus erwachsen kann, mich in Angst und Schrecken versetzt. Gerade das ist der Grund meiner Unruhe, die ich nicht so gut zu verbergen vermochte, daß du sie nicht hättest bemerken können. Ich will gern glauben, daß der Prinz Ahmed bei seiner guten Gemütsart nicht imstande ist, gegen meinen Herrn etwas zu unternehmen; aber wer bürgt dafür, daß die Fee ihm nicht durch ihre Reize, durch ihre Liebkosungen und die Gewalt, die sie bereits über ihren Gemahl erlangt hat, den verderblichen Plan eingibt, dich zu verdrängen und sich der Krone des Reichs Indien zu bemächtigen? Es kommt meinem Herrn zu, dieser hochwichtigen Angelegenheit all die Aufmerksamkeit zuzuwenden, welche sie verdient. « So fest nun auch der Sultan von Indien von der guten Gemütsart des Prinzen Ahmed überzeugt war, so hinterließen diese Vorstellungen der Zauberin dennoch einigen Eindruck bei ihm. Er entließ sie mit den Worten: »Ich danke dir für deine Bemühungen und deinen heilsamen Rat. Ich erkenne die hohe Wichtigkeit desselben, kann aber in der Sache noch nichts beschließen, bevor ich meine Ratgeber angehört habe.« Als man dem Sultan die Ankunft der Zauberin gemeldet hatte, unterhielt er sich eben mit denselben Günstlingen, die ihm, wie schon oben erzählt, bereits früher Verdacht gegen den Prinzen Ahmed eingeflößt hatten. Er befahl nun der Zauberin, ihm zu folgen, und begab sich wieder zu den Günstlingen. Diesen erzählte er, was er soeben vernommen, und nachdem er ihnen mitgeteilt, warum er befürchte, daß die Fee das Gemüte des Prinzen umstimmen werde, so fragte er sie, welcher Mittel er sich wohl bedienen solle, um so großes Unheil zu verhüten? Einer der Günstlinge nahm hierauf für alle das Wort und sprach: »Herr, da du denjenigen kennst, der dieses Unglück veranlassen könnte, da er mitten an deinem Hofe lebt und in deinen Händen ist, so solltest du, um es zu verhüten, ihn sogleich verhaften und, wenn auch nicht hinrichten – denn dies würde zu viel Aufsehen erregen –, doch wenigstens auf Lebenszeit in einen engen Kerker werfen lassen.« Die übrigen Günstlinge gaben dieser Ansicht einstimmig ihren Beifall. Der Zauberin indes schien dieser Rat doch zu gewaltsam; sie bat den Sultan um Erlaubnis, zu sprechen, und als sie dieselbe erhalten, sagte sie zu ihm: »Herr, ich bin überzeugt, daß bloß der große Eifer für dein Wohlergehen deine Ratgeber bewogen hat, dir die Verhaftung des Prinzen Ahmed vorzuschlagen. Sie mögen mir es aber nicht übelnehmen, wenn ich sie zu bedenken bitte, daß man mit dem Prinzen notwendig zugleich auch seine Begleiter verhaften müßte, und diese sind Geister. Halten sie es wohl für etwas Leichtes, dieselben zu überfallen, Hand an sie zu legen und sich ihrer Person zu bemächtigen? Würden sie nicht vermögen der ihnen inwohnenden Kraft, sich unsichtbar zu machen, augenblicklich verschwinden und die Fee von der ihrem Gemahl angetanen Beleidigung benachrichtigen? Und würde die Fee diese Beleidigung wohl ungerächt lassen? Könnte sich der Sultan nicht vielleicht durch ein anderes weniger auffallendes Mittel gegen die bösen Anschläge, die der Prinz Ahmed haben mag, schützen, ohne daß dadurch der Ruhm meines Herrn im mindesten leiden oder irgend jemand ihm eine schlimme Absicht beilegen könnte? Wenn mein Herr einiges Vertrauen auf meinen Rat hätte, so würde er, da die Geister und Feen Sachen vermögen, welche alle menschliche Kraft bei weitem übersteigen, den Prinzen Ahmed bei seiner Ehre anfassen und verpflichten, ihm durch Vermittlung seiner Fee gewisse Vorteile zu verschaffen, unter dem Vorwande, daß ihm eine große Gefälligkeit damit geschehe. Z.B. sooft mein Herr zu Felde ziehen will, muß er einen ungeheuren Aufwand machen, nicht bloß für Schutzdächer und Zelte für sich und sein Heer, sondern auch für Kamele, Maulesel und andere Lasttiere: Könntest du ihn nun nicht verpflichten, daß er dir vermöge des großen Einflusses, den er bei der Fee haben muß, ein Schutzdach verschaffen soll, das in der Hand Platz haben, aber gleichwohl sich über dein ganzes Heer ausbreiten müßte. Mehr brauche ich meinem Herrn nicht zu sagen. Wenn der Prinz das Zelt herbeischafft, so kannst du noch so viele ähnliche Forderungen an ihn machen, daß er am Ende, so erfinderisch und reich an Mitteln auch die Fee, die ihn bezaubert und von dir abwendig gemacht, sein mag, den Schwierigkeiten erliegen und gestehen muß, es sei ihm unmöglich, deinen Wunsch zu erfüllen. Aus Scham wird er es dann nicht mehr wagen, sich sehen zu lassen, und genötigt sein, fern von allem Verkehr mit der Welt sein Leben mit der Fee zuzubringen; dann wird mein Herr auch nichts mehr von seinen Anschlägen zu befürchten haben, und man wird ihm eine so gehässige Handlung, wie die Hinrichtung oder lebenslängliche Einkerkerung seines eigenen Sohnes wäre, nicht vorwerfen können.« Als die Zauberin ihren Vortrag geendet hatte, fragte der Sultan seine Günstlinge, ob sie vielleicht etwas besseres wüßten, und da sie alle stillschwiegen, beschloß er, den Rat der Zauberin zu befolgen; denn dieser schien ihm der vernünftigste und den milden Grundsätzen, nach denen er bis jetzt geherrscht hatte, angemessenste zu sein.

Als nun der Prinz Ahmed am anderen Tage vor dem Sultan, seinem Vater, der sich eben mit seinen Günstlingen unterhielt, erschien und neben ihm Platz genommen hatte, so ließ dieser sich durch seine Gegenwart nicht abhalten, sein Gespräch über allerlei gleichgültige Gegenstände noch eine Weile fortzusetzen. Hierauf nahm der Sultan das Wort und sprach also zu dem Prinzen Ahmed. »Mein Sohn, als du erschienst und mich von dem tiefen Kummer, worein deine lange Abwesenheit mich versetzt hatte, befreitest, machtest du mir ein Geheimnis aus dem Orte, den du zu deinem Aufenthalt gewählt, und in der ersten Freude, dich wieder zu sehen und mit deinem Schicksal zufrieden zu wissen, wollte ich nicht weiter in dein Geheimnis eindringen, sobald ich merkte, daß du es nicht wünschest, Ich weiß nicht, welchen Grund du haben kannst, so gegen einen Vater zu handeln, der damals, so wie auch jetzt, den größten Anteil an deinem Glücke genommen haben würde. Indes weiß ich jetzt, worin dieses Glück besteht, ich freue mich mit dir darüber und billige deine Wahl, daß du eine so liebenswürdige, so reiche und so mächtige Fee geheiratet hast, wie ich aus guter Quelle erfahren. Bei all meiner Macht wäre ich nicht imstande gewesen, dir eine so vorteilhafte Verbindung zu verschaffen. Da du nun zu einem so hohen Rang erhoben bist, um welchen dich jeder andere, als ein Vater, wie ich, beneiden könnte, so bitte ich dich nicht bloß, daß du auch fernerhin, wie bisher, immer in gutem Einverständnis mit mir bleiben, sondern auch, daß du den ganzen Einfluß, den du bei deiner Fee haben kannst, aufbieten mögest, um mir in Fällen der Not ihren Beistand zu verschaffen, und du wirst mir erlauben, daß ich diesen deinen Einfluß noch heute auf die Probe stelle. Du weißt, mit welchen ungeheuren Kosten – um nichts von den Schwierigkeiten zu sagen – meine Heerführer, meine Hauptleute und ich selbst, sooft ich in Kriegszeiten zu Felde zu ziehen genötigt bin, Schutzdächer und Zelte, sowie auch Kamele und andere Lasttiere zur Fortbringung derselben anschaffen müssen. Wenn du nun bedenken wolltest, welchen Gefallen du mir damit erweisen könntest, so bin ich überzeugt, daß es dich nicht viele Mühe kosten wird, von deiner Fee ein Zelt zu bekommen, das in einer Hand Platz hat, unter welchem jedoch mein ganzes Heer ein Obdach finden kann, – zumal wenn du ihr sagst, daß es für mich bestimmt sei. Die Schwierigkeit der Sache wird dir keine abschlägige Antwort zuziehen: Alle Welt weiß ja, daß den Feen die Macht gegeben ist, noch weit außerordentlichere Dinge zu bewerkstelligen.«

Der Prinz Ahmed hatte sich einer solchen Forderung von seiten seines Vaters nicht versehen, und die Sache schien ihm gleich im Anfange äußerst schwierig, wo nicht ganz unmöglich. Denn obwohl ihm die Macht der Geister und Feen nicht ganz unbekannt war, so bezweifelte er doch, daß sie sich so weit erstrecke, ihm ein solches Zelt verschaffen zu können, wie verlangt wurde. Überdies hatte er bisher sich noch nie etwas Ähnliches von Pari Banu erbeten, sondern sich stets mit den Beweisen ihrer Liebe, die sie ihm fortwährend gab, begnügt und dabei nichts unterlassen, was sie überzeugen konnte, daß er ihre Zärtlichkeit von ganzem Herzen erwidere und keinen anderen Wunsch habe, als sich in ihrer Gunst zu erhalten. Er war daher in großer Verlegenheit was er seinem Vater antworten sollte. »Herr«, sagte er endlich, »wenn ich dir nach dem, was mir nach Auffindung meines Pfeiles begegnet ist, und wozu ich mich damals entschloß, ein Geheimnis gemacht habe, so geschah es bloß darum, weil ich dachte, es könnte dir an nähern Aufschlüssen darüber nichts liegen. Ich weiß nicht, auf welchem Wege dir dieses Geheimnis eröffnet worden ist, kann aber nicht verhehlen, daß man dir einen wahren Bericht abgestattet hat. Ich bin allerdings Gemahl der Fee, von der man dir gesagt hat; ich liebe sie und darf überzeugt sein, daß sie mich ebenfalls liebt. Was indes den Einfluß betrifft, den ich nach deiner Ansicht auf sie haben soll, so kann ich hiervon weiter nichts sagen. Es ist mir noch niemals in den Sinn gekommen, einen Versuch damit zu machen, und ich hätte sehr gewünscht, daß mein Herr mich dieses Versuches überhoben und mich im Besitze des Glückes, zu lieben und geliebt zu werden, gelassen hätte; denn diese Liebe war so uneigennützig, daß ich gar nichts anderes mehr wünschte. Indes ist der Wunsch eines Vaters Befehl für einen Sohn, der, wie ich, es sich zur Pflicht macht, in allen Stücken zu gehorchen. Obwohl höchst ungern und mit unbeschreiblichem Widerwillen, werde ich doch nicht ermangeln, meiner Gemahlin den Wunsch meines Herrn vorzutragen, kann aber nicht versprechen, daß ich ihn erfüllen werde. Sollte ich mir daher die Ehre versagen müssen, dir meine Hochachtung zu bezeigen, so wird dies ein Zeichen sein, daß ich nichts ausgerichtet habe, und ich bitte zum voraus, du mögest mir dann verzeihen und bedenken, daß du selbst mich in diese Notwendigkeit versetzt hast.« Darauf antwortete der Sultan von Indien: »Mein Sohn, es sollte mir sehr leid tun, wenn mein Verlangen mich jemals des Vergnügens berauben würde, dich bei mir zu sehen. Ich merke wohl, daß du die Gewalt nicht kennst, die ein Mann über seine Frau hat, und die deinige würde nur sehr schwache Liebe beweisen, wenn sie bei ihrer Macht als Fee die Kleinigkeit abschlagen wollte, um die ich sie durch dich bitten lasse. Lege deine Schüchternheit ab; sie kommt nur daher, weil du glaubst, sie liebe dich nicht ebenso sehr, als du sie liebst. Geh' hin, bitte sie nur und du wirst sogleich sehen, daß die Fee dich weit mehr liebt, als du glaubst; dabei mußt du wohl bedenken, daß man sich großer Vorteile beraubt, wenn man nie um etwas bittet. Wie du sie so sehr liebst, daß du ihr nie eine Bitte abschlagen würdest, so wird auch sie dir deine Bitte nicht abschlagen, weil sie dich liebt.« Der Sultan von Indien vermochte seinen Sohn durch solche Vorstellungen nicht zu überzeugen. Es wäre dem Prinzen weit lieber gewesen, wenn er irgend etwas anderes von ihm verlangt hätte, als daß er ihn der Gefahr aussetzt, seiner geliebten Pari Banu zu mißfallen. Er war darüber sehr verdrießlich, daß er zwei Tage früher, als er sonst zu tun pflegte, vom Hofe wieder abreiste. Als er nach Hause kam, fragte ihn die Fee, die ihn bisher immer mit heiterem Gesichte erscheinen gesehen hatte, sogleich, was die Veränderung zu bedeuten habe, die sie an ihm bemerke. Da er aber, statt zu antworten, sich nach ihrem Befinden erkundigte und zwar mit einer Miene, die deutlich zu erkennen gab, daß er ihre Frage zu umgehen suchte, so sagte sie zu ihm: »Ich werde deine Frage nicht eher beantworten, als bis du die meinige beantwortet haben wirst.« Der Prinz sträubte sich lange dagegen und versicherte, es sei weiter nichts; aber je mehr er sich sträubte, um so mehr drang sie in ihn. »Ich kann dich«, sagte sie, »unmöglich in deiner gegenwärtigen Stimmung sehen, ohne daß du mir die Ursache deiner Bekümmernis gestehst, auf daß ich sie hebe, sie mag bestehen, in was sie wolle. Sie müßte von ganz außerordentlicher Art sein, wenn es mir unmöglich sein sollte, abzuhelfen, es wäre denn, daß der Sultan, dein Vater gestorben wäre, In diesem Fall müßte dir nebst dem, was ich dazu beitragen könnte, die Zeit hauptsächlich Trost gewähren.«

Der Prinz Ahmed vermochte den inständigen Bitten der Fee nicht länger zu widerstehen und sagte also zu ihr. »Geliebteste meines Herzens, Gott verlängere das Leben des Sultans, meines Vaters, und segne ihn bis ans Ende seiner Tage! Ich verließ ihn voll Kraft und in der besten Gesundheit. Dies ist es also nicht, was mir den Kummer verursacht, den du an mir gemerkt hast; nein, der Sultan selbst ist es, und die Sache betrübt mich um so mehr, da sie mich in die verdrießliche Notwendigkeit versetzt, dir lästig zu fallen. Fürs erste, geliebte Prinzessin, weißt du, wie sorgfältig ich ihm mit deiner Genehmigung das Glück zu verhehlen gesucht habe, das mir dadurch zuteil wurde, daß ich dich sah, dich liebte, dein Wohlwollen und eine Liebe verdiente und von dir das Gelübde der Treue empfing, indem ich dir das meinige gab; gleichwohl ist es mir unbegreiflich, auf welche Art er alles erfahren hat.«

Bei diesen Worten unterbrach die Fee Pari Banu den Prinzen und sagte zu ihm: »Ich weiß es recht gut. Erinnere dich nur an das, was ich dir in Betreff jener Frau vorausgesagt habe, die sich vor dir krank stellte und mit der du so großes Mitleid hattest; eben diese hat dem Sultan, deinem Vater, alles berichtet, was du ihm verbergen wolltest. Ich hatte dir schon damals gesagt, daß sie so wenig krank sei, als du und ich, und dies hat sich auch bestätigt. Denn kaum hatten die beiden Frauen, denen ich sie zur Pflege übergeben, ihr einen allgemeinen Trank gegen alle Arten von Fieber, dessen sie aber gar nicht bedurfte, überreicht, so stellte sie sich, als hätte dieser Trank sie sogleich geheilt, und ließ sich zu mir führen, um Abschied zu nehmen und unverzüglich von dem Erfolg ihrer Sendung Bericht abzustatten. Ja, sie hatte so große Eile, daß sie fortgegangen wäre, ohne meinen Palast zu besehen, wenn ich ihr nicht zu verstehen gegeben hätte, daß dies wohl der Mühe wert sei, worauf zwei von meinen Frauen sie auf meinen Befehl überall herumführten. Fahre indes nur fort und laß sehen, wodurch der Sultan, dein Vater, dich in die Notwendigkeit versetzt hat, mir lästig zu fallen, was übrigens, wie ich dich zu glauben bitte, niemals vorkommen wird.«

»Liebe Gemahlin«, fuhr hierauf der Prinz Ahmed fort, »es kann dir nicht entgangen sein, daß ich mich bis jetzt mit deiner Liebe begnügt und dich nie um irgend eine andere Gunstbezeigung gebeten habe. Was könnte ich auch bei dem Besitz einer so liebenswürdigen Gemahlin noch weiter wünschen? Ich wußte gut, wie groß deine Macht ist, allein ich hatte mir zur Pflicht gemacht, sie niemals auf die Probe zu stellen. Deswegen beschwöre ich dich, bedenke wohl, daß nicht ich, sonder der Sultan, mein Vater, die meines Erachtens höchst unbescheidene Bitte an dich tut, du möchtest ihm ein Zelt verschaffen, das ihn nebst seinem ganzen Hofe und seinem ganzen Heere, so oft er im Felde ist, gegen die Unbilden der Witterung schütze, dabei aber in einer Hand Platz habe. Ich sage es noch einmal, nicht ich bin es, der um die Gefälligkeit bittet, sondern der Sultan, mein Vater.«

»Prinz«, erwiderte die Fee lächelnd, »es tut mir leid, daß diese Kleinigkeit dir so viel Unruhe und Bekümmernis verursacht hat, wie du so eben blicken ließest. Ich sehe wohl, daß zweierlei Sachen dazu beigetragen haben. Erstens, weil du dir zum Gesetz gemacht hattest, dich mit unserer gegenseitigen Liebe zu begnügen und mich nie um etwas zu bitten, was meine Macht auf die Probe stellen könnte; zweitens, weil du, du magst es nun leugnen oder nicht, der irrigen Ansicht warst, das Begehren, das du auf den Wunsch des Sultans, deines Vaters, an mich richten solltest, liege außerhalb der Grenzen meiner Macht. Was nun den ersten Grund betrifft, so lobe ich dich darob und würde dich nur noch mehr lieben, wenn es irgend möglich wäre. In Beziehung auf den zweiten aber wird es mir nicht schwer werden, dir zu beweisen, daß das Verlangen des Sultans eine Kleinigkeit für mich ist, und daß ich gelegenheitlich noch ganz andere, weit schwierigere Sachen zu vollbringen vermöchte. Deswegen beruhige dich und sei überzeugt, daß du mich nicht nur nicht belästigt hast, sondern ich mir stets ein großes Vergnügen daraus machen werde, dir alles zu bewilligen, um was du mich jemals bittest, sobald dir eine Gefälligkeit damit geschieht.«

Nach diesen Worten befahl die Fee, ihre Schatzmeisterin zu rufen. Die Schatzmeisterin kam und die Fee sagte zu ihr: »Nurdschihan, – so hieß nämlich die Fee, – bring' mir das größte Zelt, das in meinem Schatze ist.« Nurdschihan kam nach einer kleinen Weile zurück und brachte ein Zelt, das nicht nur auf ihrer Hand Platz hatte, sondern man konnte es sogar darin verschließen; sie überreichte es ihrer Gebieterin, der Fee, und diese übergab es dem Prinzen Ahmed, damit er es besehen sollte.

Als der Prinz Ahmed sah, was die Fee Pari Banu ein Zelt und zwar das größte Zelt in ihrer Schatzkammer nannte, so glaubte er, sie wolle seiner spotten, und verriet sein Befremden darüber durch Mienen und Gebärden. Pari Banu, die dies bemerkte, lachte laut auf und rief: »Wie! Mein Prinz, meinst du denn, ich wolle deiner spotten? Du sollst sogleich sehen, daß ich nicht so boshaft bin. Nurdschihan«, sagte sie hierauf zu ihrer Schatzmeisterin, indem sie das Zelt aus den Händen des Prinzen nahm und ihr zurückgab, »geh', spanne es aus, auf daß der Prinz sehen kann, ob der Sultan, sein Vater, es nicht groß genug finden wird.« Die Schatzmeisterin ging aus dem Palast und entfernte sich so weit, daß beim Ausspannen des Zeltes das eine Ende davon bis an den Palast reichte. Als sie damit fertig war, fand der Prinz Ahmed es nicht nur nicht zu klein, sondern groß genug, um zwei ebenso zahlreichen Heeren, wie das des Sultans von Indien war, ein Obdach zu verschaffen. »Prinzessin«, sagte er jetzt zu Pari Banu, »ich bitte dich tausendmal um Verzeihung wegen meiner Ungläubigkeit. Nach dem, was ich jetzt sehe, glaube ich nicht, daß dir irgend etwas, was du einmal unternehmen willst, unmöglich sein könnte.« – »Du siehst«, erwiderte die Fee, »das Zelt ist größer, als nötig war; indes mußt du wissen, daß es die Eigenschaft hat, ganz selbst, ohne daß jemand Hand daran legt, größer oder kleiner zu werden, je nach der Größe dessen, was dadurch bedeckt werden soll.«

Die Schatzmeisterin schlug das Zelt wieder ab, legte es in seine vorige Lage und übergab es dem Prinzen. Der Prinz Ahmed nahm es, und gleich am folgenden Tage stieg er ohne längeres Zögern mit seiner gewöhnlichen Begleitung zu Pferd, um es dem Sultan, seinem Vater, zu überreichen.

Der Sultan, der des festen Glaubens lebte, ein solches Zelt, wie er verlangt hatte, könne gar nicht aufgefunden werden, erstaunte nicht wenig über die schnelle Rückkehr seines Sohnes. Er empfing das Zelt und wunderte sich über die Maßen, daß es so klein war; noch höher aber stieg seine Bewunderung, als er es auf der oben erwähnten Ebene ausspannen ließ und sich überzeugte, daß noch zwei andere ebenso große Heere, wie das seinige, bequem darunter Platz gehabt hätten. Da er indes diesen letzteren Umstand als überflüssig und beim Gebrauch sogar unbequem hätte betrachten könne, so vergaß der Prinz Ahmed nicht, ihn darauf aufmerksam zu machen, daß die Größe des Zeltes sich stets der Stärke seines Heeres anpassen werde.

Der Sultan von Indien stellte sich, als ob er seinem Sohne sehr dankbar für dieses prachtvolle Geschenk wäre, und bat ihn, der Fee Pari Banu in seinem Namen schönstens zu danken; zugleich befahl er, zum Beweis, wie hoch er dasselbe schätze, es sorgfältig in seiner Schatzkammer aufzubewahren; allein in seinem Inneren erwachte jetzt eine weit ärgere Eifersucht, als seine Schmeichler und die Zauberin ihm eingeflößt hatten, wenn er bedachte, daß sein Sohn mit Hilfe der Fee Sachen ausführen könne, die unendlich weit über die Grenzen seiner eigenen Macht hinaus gingen, obgleich er einer der gewaltigsten und reichsten König des Erdkreises war. Er wurde dadurch nur noch mehr aufgereizt, alles aufzubieten, um ihn zugrunde zu richten, und fragte die Zauberin darüber um Rat; diese aber riet ihm, den Prinzen aufzufordern, daß er ihm Wasser aus der Löwenquelle bringen sollte.

Als nun der Sultan abends, wie gewöhnlich, seine Höflinge um sich versammelt hatte und der Prinz Ahmed ebenfalls zugegen war, so sprach er folgendermaßen zu ihm: »Mein Sohn, ich habe dir bereits innigen Dank für das Zelt ausgesprochen, das du mir verschafft hast, und das ich als das kostbarste Stück in meiner ganzen Schatzkammer betrachte; du mußt mir aber noch einen anderen Gefallen tun, womit du mich ebenso sehr erfreuen kannst. Ich habe nämlich gehört, daß deine Gemahlin die Fee sich eines gewissen Wassers aus der Löwenquelle bediene, um alle möglichen Arten von Fieber, auch die gefährlichsten, zu heilen; da ich nun vollkommen überzeugt bin, daß meine Gesundheit dir sehr am Herzen liegt, so zweifle ich nicht daran, daß du die Güte haben werdest, für mich ein Gefäß mit solchem Wasser zu erbitten und es mir zu überbringen, als ein Heilmittel, dessen ich jeden Augenblick bedürftig werden kann. Erweise mir auch noch diesen wichtigen Dienst und setze dadurch deiner kindlichen Liebe, wie sie ein guter Sohn gegen einen guten Vater haben muß, die Krone auf.«

Der Prinz Ahmed, welcher geglaubt hatte, der Sultan, sein Vater, werde sich mit dem Besitz eines so einzigen und nützlichen Zeltes, wie er ihm gebracht, begnügen und ihm keinen neuen Auftrag mehr aufbürden, der ihn bei der Fee Pari Banu in Ungunst setzen könnte, war über diese zweite Forderung sehr verdrießlich, obgleich seine Gemahlin ihn versichert hatte, daß sie ihm alles bewilligen werde, was in ihrer Macht stehe. Er schwieg eine Weile, ohne zu wissen, was er antworten sollte; endlich aber nahm er das Wort und sagte: »Herr, ich bitte dich, als gewiß anzunehmen, daß es nichts gibt, was ich nicht zu tun oder zu unternehmen bereit wäre, um dir etwas zu verschaffen, was zur Verlängerung deines Lebens beitragen kann; nur wünschte ich, daß es ohne die Vermittlung meiner Gemahlin geschehen könnte, und kann es daher nicht wagen, mit Gewißheit zu versprechen, daß ich dieses Wasser bringen werde. Alles, was ich geben kann, ist die Versicherung, daß ich darum bitten werde, jedoch mit demselben Widerwillen, wie bei dem Zelte.« Als der Prinz Ahmed nun am anderen Tage zur Fee Pari Banu zurückgekehrt war, stattete er ihr einen aufrichtigen und treuen Bericht über alles ab, was er getan hatte und was am Hofe seines Vaters bei Überreichung des Zeltes vorgegangen war. Er meldete ihr dafür den großen Dank des Sultans und erzählte zugleich, welche neue Bitte er in seinem Namen an sie zu machen hatte; er schloß mit den Worten: »Geliebte Prinzessin, ich teile dir dies alles nur als einen einfachen Bericht über das mit, was zwischen meinem Vater und mir vorgegangen ist; im übrigen kannst du tun, was du willst, und ich bin ebenso zufrieden, wenn du seinen Wunsch erfüllst, als wenn du ihn gar nicht berücksichtigst; denn ich will nichts, als was dir angenehm ist.«

»Nein, nein«, antwortete die Fee Pari Banu, »es ist mir sehr angenehm, dem Sultan von Indien zeigen zu können, daß du mir nicht gleichgültig bist. Ich will ihn zufrieden stellen, und welche Ratschläge ihm auch die Zauberin erteilen kann (denn ich sehe wohl, daß er nur auf sie hört), so soll er weder mich noch dich in Verlegenheit bringen können. Es liegt diesmal etwas Boshaftes in seiner Forderung, wie ich dir sogleich auseinandersetzen werde, Die Löwenquelle befindet sich nämlich mitten im Hof eines großen Schlosses, dessen Eingang von vier ungeheuren Löwen bewacht wird, von denen immer zwei schlafen, während die anderen wachen; denn sie wechseln so miteinander ab. Laß dich indes dadurch nicht bekümmern; ich werde dir ein Mittel an die Hand geben, vermöge dessen du ohne die mindeste Gefahr mitten durch sie hindurchgehen kannst.«

Die Fee Pari Banu war eben mit Nähen beschäftigt, und da sie mehrere Zwirnknäuel neben sich liegen hatte, so nahm sie einen, überreichte ihn dem Prinzen Ahmed und sagte: »Zuerst nimm diesen Knäuel, ich werde dir bald sagen, wozu du ihn gebrauchen kannst. Fürs zweite laß zwei Pferde anschirren, eines, um darauf zu reiten, das andere, um es als Handpferd nebenher zu führen, belastet mit einem in vier Teile geschnittenen Hammel, der heute noch geschlachtet werden muß. Drittens versieh dich mit einem Gefäß, daß ich dir geben lassen werde, damit du Wasser damit schöpfen kannst. Morgen in aller Frühe setze dich dann zu Pferd, führe das andere Pferd am Zügel nebenher, und sobald du vor der eisernen Türe draußen bist, so wirf den Zwirnknäuel aus. Er wird dann anfangen zu rollen und immer fortrollen bis ans Tor des Schlosses. Du reitest ihm nach, und da das Tor offen sein wird, so wirst du die vier Löwen erblicken. Die beiden wachenden werden durch ihr Gebrüll sogleich die beiden anderen schlafenden aufwecken. Erschrick indes nicht darüber, sondern wirf, ohne vom Pferd abzusteigen, jedem ein Hammelviertel zu. Hierauf gib deinem Pferd die Sporen und reite, so schnell du kannst, zur Quelle; dort fülle, aber ohne abzusteigen, dein Gefäß und eile dann mit derselben Schnelligkeit zurück. Die Löwen werden noch mit Fressen beschäftigt sein und dich ungehindert hinausziehen lassen.« Der Prinz Ahmed ritt am anderen Morgen zur Stunde, welche die Fee Pari Banu bestimmt hatte, aus und vollzog Punkt für Punkt, was sie ihm vorgeschrieben. Er gelangte ans Tor des Schlosses, warf die Hammelviertel den vier Löwen zu, ritt sodann unerschrocken mitten durch sie hindurch, kam bis zur Quelle und füllte sein Gefäß mit Wasser. Sodann kehrte er sogleich wieder um und gelangte gesund und wohlbehalten wieder zum Schlosse hinaus. Als er aber ein Stück Weges fortgeritten war, sah er sich um und erblickte zwei Löwen, die hinter ihm hersprangen. Er erschrak indes nicht, sondern zog seinen Säbel und wollte sich zur Wehr setzen. Da er aber unterwegs bemerkte, daß der eine in einiger Entfernung seitwärts ablenkte und mit Kopf und Schweif zu verstehen gab, er komme nicht, um ihm etwas zuleide zu tun, sondern um vor ihm herzulaufen, und daß der andere zurückblieb, um hintennach zu folgen, so steckte er seinen Säbel wieder ein und ritt unausgesetzt bis in die Hauptstadt Indiens. Die beiden Löwen begleiteten ihn fortwährend und wichen nicht von ihm, bis sie vor das Tor des königlichen Palastes kamen. Hier ließen sie ihn allein hineinreiten und sprangen dann denselben Weg, den sie gekommen waren, zurück, zum großen Entsetzen des Volkes und aller derer, welche sie erblickten und sich entweder versteckten, oder rechts und links von ihrem Wege ab flohen, obwohl die Löwen in gleichmäßigem Gange vorwärts eilten und durchaus mit keinem Zeichen ihre Wildheit verrieten. Mehrere Palastbeamte eilten sogleich herbei, um dem Prinzen Ahmed vom Pferd zu helfen und begleiteten ihn bis vor die Zimmer des Sultans, der eben mit seinen Günstlingen sprach. Er näherte sich dem Throne, stellte das Gefäß zu den Füßen des Sultans, küßte den reichen Teppich, der die Stufen des Thrones bedeckte, stand dann wieder auf sagte: »Herr, hier ist das heilsame Wasser, welches mein Herr in der Sammlung von Kostbarkeiten und Seltenheiten zu besitzen wünscht, die seinen Schatz zieren und bereichern. Indessen wünsche ich dir eine so vollkommene Gesundheit, daß du nie in den Fall kommst, Gebrauch davon machen zu müssen.«

Als der Prinz seine Anrede geendigt hatte, hieß der Sultan ihn zu seiner Rechten Platz nehmen und sagte zum ihm: »Mein Sohn, ich bin dir für dein Geschenk um so mehr verbunden, als du dich mir zuliebe großer Gefahr ausgesetzt hast. (Er hatte dies nämlich von der Zauberin erfahren, die sowohl von der Löwenquelle, als von der Gefahr wußte, welche mit dem Wasserschöpfen daselbst verbunden war.) Tu mir jetzt den Gefallen«, fuhr er fort, »und sage mir, durch welche Geschicklichkeit oder welche unglaubliche Kraft du dein Leben gesichert hast.« – »Herr«, antwortete der Prinz Ahmed, »ich kann dein Lob durchaus nicht annehmen, sondern es gebührt einzig und allein meiner Gemahlin, der Fee, und ich habe dabei bloß den Ruhm anzusprechen, daß ich ihren guten Rat befolgt habe.« Er setzte ihm hierauf auseinander, worin dieser gute Rat bestanden habe, und erzählte ihm die ganze Reise, die er gemacht und wie er sich dabei benommen. Als er zu Ende war, stand er Sultan, der ihn fortwährend mit großen Freudenbezeugungen, aber innerlich mit immer wachsender Eifersucht, angehört hatte, auf, zog sich ins Innere seines Palastes zurück und ließ sogleich die Zauberin vor sich führen. Die Zauberin ersparte dem Sultan die Mühe, ihr die Ankunft des Prinzen Ahmed und den Erfolg seiner Reise zu erzählen. Sie war durch das Gerücht, das sich in der ganzen Stadt verbreitet hatte, gleich anfangs davon unterrichtet worden und hatte bereits ein Mittel ausgedacht, das sie für ganz unfehlbar hielt. Dieses Mittel teilte sie nun dem Sultan mit, und der Sultan erklärte es am anderen Tag in der Versammlung seiner Höflinge dem Prinzen Ahmed, der sich ebenfalls daselbst eingefunden hatte, mit folgenden Worten: »Mein Sohn, ich habe nur noch eine einzige Bitte an dich, und dann will ich keine weiteren Ansprüche mehr auf deinen Gehorsam und Einfluß bei deiner Gemahlin, der Fee, machen. Ich wünsche nämlich, daß du mir einen Mann herbeischaffst, der nicht über anderthalb Fuß groß sei, einen dreißig Fuß langen Bart habe und auf der Schulter eine fünfhundert Pfund schwere Eisenstange trage, die ihm als ein an beiden Enden beschlagener Stab diene; er muß übrigens auch sprechen können.«

Der Prinz Ahmed, der nicht glaubte, daß es auf der Welt einen solchen Menschen geben könne, wie sein Vater verlangte, wollte sich entschuldigen, allein der Sultan beharrte auf seiner Forderung und wiederholte ihm, die Fee vermöge noch weit unglaublichere Dinge.

Als nun der Prinz am folgenden Tage in das unterirdische Reich Pari Banus zurückgekehrt war, teilte er ihr die neue Forderung des Sultans, seines Vaters, mit und sagte, daß er diese Sache noch für weit unmöglicher halte, als die beiden früheren. »Ich für meine Person«, fuhr er fort, »kann mir durchaus nicht denken, daß es auf der ganzen Welt eine solche Art von Menschen geben soll. Er will mich ohne Zweifel auf die Probe stellen, ob ich wohl einfältig genug bin, mir viele Mühe zu geben, denselben aufzufinden, oder wenn es dergleichen gibt, so muß er die Absicht haben, mich zugrunde zu richten. Denn wie kann er verlangen, daß ich mich eines so kleinen Männleins bemächtigen soll, wenn es auf diese furchtbare Art bewaffnet ist? Welcher Waffen könnte ich mich bedienen, um ihn meinem Willen unterwürfig zu machen? Wenn es wirklich einen solchen Mann gibt, so bitte ich dich, mir ein Mittel zu sagen, wie ich mich mit Ehren aus diesem Handel ziehen kann.« – »Mein Prinz«, erwiderte die Fee, »sei deshalb ohne Sorgen. Gefahr gab es bloß damals, als du dem Sultan, deinem Vater, Wasser aus der Löwenquelle bringen mußtest; nicht aber jetzt, wo es sich darum handelt, den Mann aufzufinden, welchen er verlangt. Dieser Mann ist nämlich mein Bruder Schaibar, der zwar denselben Vater, wie ich, aber sonst durchaus nicht die mindeste Ähnlichkeit mit mir hat; denn er ist von so heftiger Gemütsart, daß er, sobald man ihm mißfällt oder ihn beleidigt, sich durch nichts abhalten läßt, blutige Beweise seines Zornes zu geben. Sonst aber ist er der beste Mensch von der Welt, und stets bereit, jede Gefälligkeit zu erweisen. Er ist ganz so gestaltet, wie ihn der Sultan, dein Vater, beschrieben hat, und führt keine andere Waffe, als die fünfhundert Pfund schwere eiserne Stange, ohne die er niemals ausgeht, und die er dazu benützt, sich in Respekt zu setzen. Ich will ihn sogleich kommen lassen, damit du selbst siehst, daß ich die Wahrheit spreche; bereite dich indes vor, daß du über seine seltsame Gestalt nicht erschrickst, wenn du ihn erscheinen siehst.« – »Meine Königin«, antwortete der Prinz Ahmed, »du sagst, Schaibar sei dein Bruder? So häßlich und mißgestaltet er auch sein mag, so ist mir dies allein schon genug, daß ich bei seinem Anblick nicht erschrecken, sondern ihn lieben, ehren und als meinen nächsten Angehörigen betrachten werde.« Die Fee ließ sich hierauf in die Vorhalle ihres Palastes eine goldene Rauchpfanne mit glühenden Kohlen, und eine Kapsel von demselben Metall bringen. Aus der Kapsel nahm sie wohlriechendes Rauchwerk, das darin aufbewahrt war, und als sie es in die Rauchpfanne geworfen hatte, stieg ein dicker Rauch daraus empor. Einige Augenblicke nach dieser Zeremonie sagte die Fee zu dem Prinzen Ahmed: »Siehst du, Prinz, da kommt mein Bruder.« Der Prinz sah hin und bemerkte Schaibar, der nicht über anderthalb Fuß hoch war, und mit seiner fünfhundert Pfund schweren eisernen Stange auf der Schulter und dem stattlichen, dreißig Fuß langen Barte, der sich vorn in der Höhe erhielt, feierlich einherschritt. Sein Schnauzbart war verhältnismäßig dick und bis zu den Ohren aufgestülpt, so daß er beinahe das ganze Gesicht bedeckte; seine Schweinsaugen steckten tief in dem ungeheuer dicken und mit einer spitzigen Mütze bedeckten Kopfe. Außerdem war er vorn und hinten bucklig.

Hätte der Prinz nicht vorher gewußt, daß Schaibar Pari Banus Bruder war, so hätte er ihn nicht ohne das größte Entsetzen ansehen können; so aber war er beruhigt, erwartete ihn festen Fußes mit der Fee, und empfing ihn, ohne die mindeste Verzagtheit zu verraten. Schaibar, der, als er näher kam, den Prinzen Ahmed mit einem Blick ansah, welcher ihm das Herz im Leibe zu Eis hätte verwandeln können, fragte Pari Banu sogleich, wer dieser Mensch sei? »Lieber Bruder«, erwiderte sie, »das ist mein Gemahl; er heißt Ahmed und ist der Sohn des Sultans von Indien. Ich würde dich zu meiner Hochzeit eingeladen haben, allein ich wollte dich nicht von dem Kriegszuge abhalten, den du damals vorhattest, und von dem du jetzt, wie ich mit vielem Vergnügen gehört habe, siegreich zurückgekehrt bist. Bloß ihm zuliebe habe ich mir die Freiheit genommen, dich rufen zu lassen.« Bei diesen Worten blickte Schaibar den Prinzen Ahmed mit einem freundlichern Auge an, worin aber immer noch sein ganzer Stolz und seine ganze Wildheit zu lesen war, und sagte: »Liebe Schwester kann ich ihm in irgend etwas dienen? Er darf nur sprechen. Da er dein Gemahl ist, so halte ich es für Pflicht, ihm in allem, was er nur wünschen mag, gefällig zu sein.« – »Der Sultan, sein Vater«, antwortete Pari Banu, »ist neugierig, dich zu sehen: Ich bitte dich also um die Gefälligkeit, dich von ihm hinführen zu lassen.« – »Er soll nur vorangehen«, erwiderte Schaibar, »ich bin bereit, ihm zu folgen.« – »Lieber Bruder«, versetzte Pari Banu, »es ist heute zu spät, um diese Reise noch zu unternehmen: Habe also die Gefälligkeit, sie auf morgen aufzuschieben. Da es indes gut ist, daß du von allem unterrichtet wirst, was seit unserer Verheiratung zwischen dem Sultan von Indien und dem Prinzen Ahmed vorgegangen ist, so will ich es dir heute abend erzählen.«

Am anderen Morgen brach Schaibar, von allem, was ihm zu wissen nötig war, unterrichtet, mit dem Prinzen Ahmed auf, der ihn dem Sultan vorstellten sollte. Als sie vor die Hauptstadt kamen und Schaibar sich am Tore zeigte, so wurden alle, die ihn sahen, beim Anblick dieser scheußlichen Gestalt so von Entsetzen ergriffen, daß sie sich in die Buden oder Häuser versteckten und die Türen hinter sich zuschlossen: Andere aber ergriffen die Flucht und teilten allen, denen sie begegneten, dasselbe Entsetzen mit, so daß sie sogleich umkehrten, ohne nur hinter sich zu sehen. Auf diese Art fanden Schaibar und der Prinz Ahmed, die mit abgemessenen Schritten vorwärts gingen, alle Straßen und öffentlichen Plätze bis zum Palast des Sultans öde und menschenleer. Die Pförtner des Palastes aber ergriffen, statt wenigstens Vorkehrungen zu treffen, daß Schaibar nicht hereinkommen könnte, nach allen Seiten hin die Flucht und ließen das Tor offen stehen. So kamen denn der Prinz und Schaibar unverhindert bis an den Beratungssaal, wo der Sultan auf dem Throne sitzend seine Befehle austeilte, und da die Türsteher auch hier bei Schaibars Erscheinung ihren Posten im Stich ließen, so traten sie ohne Hindernis hinein. Schaibar näherte sich stolz und mit erhobenem Kopfe dem Throne, und ohne zu warten, bis der Prinz Ahmed ihn vorstellte, redete er den Sultan von Indien mit folgenden Worten an: »Du hast nach mir verlangt, hier bin ich, was willst du von mir?« Der Sultan konnte nicht antworten, sondern hielt seine Hände vor die Augen und wandte sein Gesicht ab, um diese entsetzliche Gestalt nicht sehen zu müssen. Da ergrimmte Schaibar über diesen unhöflichen und beleidigenden Empfang, nachdem man ihn doch herbemüht hatte; er hob seine Eisenstange auf und schlug sie mit den Worten: »So sprich doch!« dem Sultan auf den Kopf, so daß er tot niedersank. Dies geschah so schnell, daß der Prinz Ahmed keine Zeit hatte, für ihn um Gnade zu bitten; alles, was er tun konnte, war, daß er ihn verhinderte, auch den Großvezier tot zu schlagen, der nicht weit von der Rechten des Sultans saß, indem er ihm vorstellte, daß er mit den guten Ratschlägen, die derselbe seinem Vater gegeben, nur zufrieden sein könne. »Diese da also«, sagte Schaibar, »haben ihm immer die schlechten Ratschläge gegeben?« So sprechend schlug er die anderen Veziere rechts und links, welche sämtlich Günstlinge und Schmeichler des Sultans und Feinde des Prinzen Ahmed waren. So viele Schläge, so viele Tote, und nur diejenigen entkamen, die der Schrecken nicht regungslos gemacht und gehindert hatte, sich durch die Flucht zu retten. Als das schreckliche Gemetzel zu Ende war, ging Schaibar zum Beratungssaale hinaus, und als er mit seiner Eisenstange auf der Schulter mitten auf den Hof gekommen war, sah er den Großvezier, der den Prinzen Ahmed, seinen Lebensretter, begleitete, an und sagte zu ihm: »Ich weiß, daß eine gewisse Zauberin hier lebt, die dem Prinzen, meinem Schwager, noch weit aufsässiger ist, als die unwürdigen Günstlinge, welche ich soeben gezüchtigt habe; ich will, daß man diese Zauberin vor mich führe.« Der Großvezier schickte nach ihr, und man brachte sie und Schaibar schlug sie mit seiner Eisenstange, indem er ihr zurief: »Ich will dich lehren, verderbliche Ratschläge zu geben und dich krank zu stellen.« Die Zauberin sank auf der Stelle tot nieder. »Das ist immer noch nicht genug«, sagte Schaibar, »ich werde auch noch die ganze Stadt schlagen, wenn sie nicht augenblicklich den Prinzen Ahmed, meinen Schwager, als ihren Sultan und als Sultan von Indien anerkennt.« Alsbald riefen alle, die zugegen waren und diesen Ausspruch hörten, so laut sie konnten: »Es lebe Sultan Ahmed!« und in wenigen Augenblicken widerhallte die ganze Stadt von demselben Rufe. Schaibar ließ ihm das Gewand des Sultans von Indien anlegen, setzte ihn feierlich auf den Thron, und nachdem er ihm hatte huldigen und den Eid der Treue schwören lassen, holte er seine Schwester Pari Banu ab, führte sie mit großer Pracht ein und ließ sie als Sultanin von Indien ausrufen.

Was nun den Prinzen Ali und die Prinzessin Nurunnihar betrifft, die an der soeben bestraften Verschwörung gegen den Prinzen Ahmed keinem Teil genommen, ja nicht einmal darum gewußt hatten, so wies ihnen Ahmed eine bedeutende Provinz an, um darin den Rest ihrer Tage zuzubringen. Auch schickte er einen seiner Beamten an seinen ältesten Bruder, den Prinzen Husein, um ihm die eingetretene Veränderung anzuzeigen und das Anerbieten zu machen, daß er sich irgend eine Provinz im ganzen Reiche, welche er wolle, auswählen könne, um sie als sein Eigentum in Besitz zu nehmen. Der Prinz Husein aber fühlte sich in seiner Einsamkeit so glücklich, daß er dem Abgesandten auftrug, seinem jüngeren Bruder, dem Sultan, in seinem Namen herzlich für dies gefällige Anerbieten zu danken, ihn seiner Unterwürfigkeit zu versichern und ihm anzuzeigen, er bitte sich bloß die einzige Gnade aus, daß ihm erlaubt sein möge, in seiner selbstgewählten Zurückgezogenheit sein Leben zuzubringen.

Dem Sultan von Indien gefielen die Geschichten, welche die Sultanin Schehersad ihm erzählte, dermaßen, daß er immer noch zu keinem Entschluß kommen konnte, ob er sie hinrichten oder am Leben lassen solle. Die neue Geschichte, womit sie ihn jetzt unterhielt, begann sie in der nächsten Nacht mit folgenden Worten:

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