Gustav Weil
Tausend und eine Nacht, Erster Band
Gustav Weil

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Geschichte des Barbiers.

Ich war einmal in Bagdad zur Zeit des Kalifen Mustanßir,Mustanßir war nicht Sohn, sonder Urenkel des Mustadi; er trat 1226 n.Chr. die Regierung an. Sohn des Mustadi; der Kalif residierte damals in Bagdad, er liebte die Armen und die Gelehrten und die Rechtschaffenen. Es traf sich nun, daß er über zehn Leute zu richten hatte und dem Polizeiobersten von Bagdad befahl, sie am Feiertage vor ihn zu bringen.

Diese zehn Männer waren Straßenräuber, welche die Wege unsicher machten; der Befehlshaber schiffte sie zusammen auf einem kleinen Nachen ein; als ich sie sah, dachte ich: »Bei Gott, die sind gewiß zusammen irgendwo eingeladen, oder bringen den Tag beisammen, essend und trinkend, in diesem Nachen zu; es soll niemand außer mir sie unterhalten.« Mit großer Entschlossenheit und Männlichkeit machte ich mich auf und ging zu ihnen ins Schiffchen. Als sie am Ufer bei Bagdad landeten, kamen ihnen sogleich Polizeidiener entgegen und legten sie in Fesseln, auch um meinen Hals warf man eine Kette, alles wegen meiner Festigkeit und weil ich wenig rede. Ich schwieg also immerfort und sagte kein Wort. Man führte uns miteinander in Ketten vor den Emir der Gläubigen, welcher befahl, daß man alle zehn köpfe. Der Scharfrichter fing an, einen nach dem anderen zu köpfen, bis er zehn Köpfe abgeschlagen und nur ich noch übrig war; da sah der Kalif den Scharfrichter an und sagte ihm: »Warum hast du nur neun geköpft?« Er antwortete: »Bewahre mich Gott, o Fürst der Gläubigen! daß ich nur neun Köpfe abschlage, wenn du mir befiehlst, zehn Menschen zu köpfen!« Der Kalif versetzte: »Hier ist ja noch der zehnte vor dir.« Aber der Scharfrichter antwortete: »Bei Gott und deiner Gnade, ich habe zehn geköpft.« Sie zählten dann die Köpfe und fanden deren zehn. Da sah mich der Kalif an und sagte mir: »Wehe dir! warum schweigst du in einem solchen Falle? und wie kommst du zu diesen blutigen Menschen? Du bist doch ein alter Mann, warum hast du so wenig Verstand?« Als ich dies vom Kalifen gehört, richtete ich mich auf und sagte: »O Fürst der Gläubigen! Ich bin der Schweigende, obschon ich so viel Tugend, Weisheit, Gelehrsamkeit, Philosophie, süße Beredsamkeit und Fertigkeit im Antworten, als andere Leute, besitze. Unerreichbar und unbeschreiblich aber ist die Fertigkeit meines Verstandes, die Kürze meiner Worte, die Vortrefflichkeit meiner Fassungskraft und meiner geistigen Fähigkeiten. Als ich gestern diese zehn Leute in den Nachen steigen sah, so dachte ich, sie seien irgendwo eingeladen, und gesellte mich zu ihnen; sie setzten aber bloß über den Strom, stiegen sogleich wieder ans Land, und es widerfuhr ihnen, was du wohl weißt. So geht's mir immer in meinem Leben: Ich erzeige den Menschen Gutes, und sie vergelten es mir mit Schlechtem.« Als der Kalif meine Rede gehört, lachte er so heftig, daß er auf den Rücken fiel; er merkte wohl, daß ich sehr ernst bin, wenig rede und nichts Überflüssiges sage, wie dieser junge Mann es da glaubt, den ich von den Todesschrecken befreit, und der es mir so schlecht belohnt. Der Kalif sagte mir dann: »Sind deine sechs Brüder auch so, wie du?« Ich antwortete: »Ihr ganzes Leben und alle ihre Taten gleichen den meinigen nicht; ebensowenig ihre äußere Gestalt. Du beleidigst mich durch diese Frage. Jeder von ihnen hat einen Leibesfehler: der eine ist halb blind, der andere zahnluckig, der dritte bucklig, der vierte blind, der fünfte hat abgeschnittene Ohren und der sechste abgeschnittene Lippen, Glaube nicht, daß ich gerne viel rede; ich möchte im Gegenteil zeigen, daß ich ernster bin, als sie alle, und wenig rede. Jedem von ihnen ist ein Abenteuer begegnet, wodurch er verstümmelt wurde.«


 << zurück weiter >>