Frank Wedekind
Tod und Teufel
Frank Wedekind

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Elfriede nimmt auf dem Hockerl hinter der Efeuwand im rechten Proszenium Platz. Casti Piani geht zur Mitteltür, wirft einen Blick hinaus und setzt sich darauf hinter der Efeuwand im linken Proszenium nieder. – Herr König und Lisiska treten durch die Mitte ein. Herr König, fünfundzwanzig Jahre alt, in hellem Sportanzug mit Kniehosen. Lisiska in einfachem, bis zur Mitte der Wade reichenden, weißen Gewand, schwarzen Strümpfen, schwarzen Lackschuhen, eine weiße Schleife im offenen schwarzen Haar.

Herr König: Ich komme nicht, die Zeit mir zu vertreiben
Als Wollüstling in deiner Reize Bann,
Und will dir dankbar und gewogen bleiben,
Wenn bald ernüchtert ich von hinnen kann.

Lisiska: Reden Sie nicht so freundlich zu mir.
Hier sind Sie Herr und befehlen hier.
Färben Sie nur getrost mir das bleiche
Blutleere Antlitz durch Backenstreiche.
Für eine Dirne, wie ich es bin,
Ist das noch unerhörter Gewinn.
Hilfloses Klagen, Schluchzen und Wimmern
Braucht Sie noch nicht im geringsten zu kümmern.
Solcher Beschimpfung Wonnen sind schal.
Häufen Sie mitleidlos Qual auf Qual!
Wenn Ihre Faust mein Gesicht zerschlüge,
Wär's meiner Sehnsucht noch kein Genüge.

Herr König: Ich bin auf solche Worte nicht gefaßt . . .
Ist das ein heitrer Willkomm für den Gast? –
Du sprichst, als büßtest du im Fegefeuer
Schon hier die Strafen für genoßne Lust.

Lisiska: Im Gegenteil! Die Lust, das Ungeheuer,
Tobt ewig ungezähmt in dieser Brust!
    Meinen Sie, ich Teufelsbraten
    Wäre je in dies Haus geraten,
    Wenn von des Herzens gräßlichem Klopfen
    Freude mich könnte befrein?
    Freude zerstiebt, ein Tropfen
    Auf heißem Stein!
    Und die Wollust, ungestillt,
    Ein hungerndes Jammerbild
    Stürzt sich, daß sie den Tod finde,
    In alle Abgründe! – –
    Sind Sie nicht grausam, verehrter Herr?
    Ich müßt' es beklagen.
    Was kümmert Sie hier mein Geplärr,
    Wenn Sie mich schlagen!

Herr König: Ist wirklich dir der dunkle Trieb zu eigen,
Aus tiefster Tiefe noch hinabzusteigen,
Dann könnt' ich weinen, daß ich aus dem Flor
Verliebter Mädchen, grade dich erkor.
Aus deinen Augen traf in meine Sinne
Ein Strahl unschuldiger Glückseligkeit . . .

Lisiska: Wollen Sie, daß uns die Zeit
Ungenossen verrinne?!
Unten sitzt über unsern Statuten
Mutter Adele, die Uhr in der Hand;
Zählt und berechnet unverwandt
Meines Glückes Minuten.

Herr König: Du bist der höchsten Lust nachgrade satt
Und hoffst auf Müdigkeit aus Schmerz und Tränen,
Bis tiefe Ruh' dich überwältigt hat,
Die Tag und Nacht umsonst dein heißes Sehnen!

Lisiska: Schlaf ich, dann bitt' ich, mit einem kecken
Kräftigen Rippenstoß mich zu wecken.

Herr König: Der Ton war falsch! Das Glas hat einen Sprung,
Wie sollte das ein Mensch begreifen!
Auf Glück, ja auf dein Leben magst du pfeifen!
Doch auf den Schlaf? – Nein, das war Lästerung!

Lisiska: Ich bin nicht Ihr Eigentum,
Sie sind nicht mein Hüter,
Sparen sie nicht ängstlich drum
Meine Lebensgüter!
Suchen Sie durch Menschlichkeit
Nicht mein Herz zu trösten!
Wer mich mitleidlos zerbläut,
Den acht ich am größten.
              Sie fragen,
              Ob ich noch
              Erröten kann?
              So schlagen
              Sie mich doch,
              Dann ist's getan!

Herr König: Mir rieseln Schauer über Brust und Rücken.
Laß mich hinaus! Ich hoffte, halb im Rausch
Der Liebe süße Frucht vom Baum zu pflücken.
Du bietest Dornen mir dafür zum Tausch.
Wie war's nur möglich, daß du junges Wild
Vom Blumenpfad dich im Gestrüpp verfangen?!

Lisiska: Lassen Sie mein Verlangen
Nicht ungestillt!
Wenden Sie sich nicht herzlos ab!
Vor mir hab ich mein Grab
Und hoffe nur noch, aus dieser Welt
Möglichst viel mit hinabzunehmen.
Glauben Sie, solche Begierden kämen,
Weil dies Haus uns gefangen hält?
Nein! Nur der Sinne folternde Gier
Bannt uns hier!
Aber auch diese Berechnung war
Ohne Vernunft gemacht.
Nacht für Nacht
Seh ich es blendend sonnenklar,
Daß selbst in diesem Hause kein Frieden
Den Sinnen beschieden.

Elfriede (in ihrem Versteck, für sich, mit dem Ausdruck des Erstaunens): Allmächtiger Himmel! Das ist genau das entgegengesetzte Gegenteil von dem, was ich mir volle zehn Jahre lang darüber gedacht habe!

Casti Piani (in seinem Versteck, für sich, mit dem Ausdruck des Entsetzens): Teufel! Teufel! Teufel! Das ist genau das entgegengesetzte Gegenteil von dem, was ich mir fünfzig Jahre lang über den Sinnengenuß gedacht habe!

Lisiska: Gehen Sie nicht von mir! Hören Sie mich an!
Ich war ein schuldloses Kind und begann
Mein Leben so ernst, voll Eifer und Pflicht!
Sorglos zu lächeln gelang mir nicht.
Von meinen Lehrern, selbst von den Geschwistern,
Hört' ich oft ehrfurchtsvoll über mich flüstern
Und meine Eltern meinten beide:
Du wirst noch einmal unsers Alters Freude!
Plötzlich beim Hahnenschrei
War das vorbei!
Und die einmal erweckte Lust
Wuchs über alle Schranken,
Über all meine Gedanken,
Über all mein treues Gefühl in der Brust,
Daß ich nur staunte, wie mir geschah,
Was mich so herrisch betörte,
Daß ich den Blitz mir zur Seite nicht sah
Und kein Donnern vom Himmel mehr hörte.
Da glaubt' ich, da hofft' ich, es sei uns das Leben
Zu nimmer versiegender Freude gegeben!

Herr König: Fandst du die stolze Hoffnung nicht erfüllt? –
Zwar red' ich wie ein Blinder dir von Farben . . .

Lisiska: Nein, es war nur der höllische Trieb,
Aus dem an Freude nichts übrig blieb.

Herr König: So viele Mädchen schon durch Liebe starben,
Blieb allen denn die Sehnsucht ungestillt?
Wie käm es dann, daß Weiber sich in Mengen
Von Tausenden auf deinen Pfaden drängen?

Lisiska: Wollen Sie sich der Striemen
An meinem Körper nicht rühmen?
Wozu ward er so weich,
Wozu ward er so zart geschaffen!
Sprachlose Blicke begaffen
Die Spuren dann Streich um Streich. –
Um die Begierden neu zu entflammen,
Erzähl' ich prahlend, von wem sie stammen.

Herr König: Schweig, sag' ich dir! Nur noch ein Wort davon,
Dann bin ich schon zum längsten hier gewesen! –
In deinen blassen Zügen steht zu lesen,
Wie sturmgeschwind die Jugend dir entflohn.
Und als du deine Unschuld nun verloren,
Ließ er im Elend dich, der sie dir nahm?

Lisiska: Nein. – Aber ein andrer kam,
Fand Lust und Gram;
Denn ich hab' all den jungen Toren
Immer ewige Treue geschworen.
Immer hofft ich, meine Qual
Müßte doch bei dem andern entschwinden.
Es war nur Bitternis jedes Mal,
War keine Ruhe für mich zu finden,
Denn es war stets nur der höllische Trieb,
Aus dem an Freude nichts übrig blieb.

Herr König: So kamst du schließlich denn in dieses Haus
Und führst ein Dasein hier in Saus und Braus!
Musik erschallt, der Sekt trieft von den Tischen,
Gelächter dröhnt, so oft der Morgen graut.
Der lange Arbeitstag kennt nur den Laut
Von heißen Zungen, die in Liebe zischen. –
Welch ein gemeiner Bettler ich doch bin
Vor dir, du stolze Freudenkönigin!
Ich kam mit dem, was mein ist, um von dir
Der Freude schlichten Austausch zu erkaufen.
Ich könnte mir vor Zorn die Haare raufen!
Du lebst nur scheußlicher Genußsucht hier!
Der Wüstling ist dein Freund, der keine Grenzen
Der Menschlichkeit für seine Kurzweil kennt.
Beeil' dich, ihm die Glieder zu bekränzen!
Mich trägt und labt ein reinres Element.
Erfrischung sucht ich und hab' kein Verlangen,
Im tiefsten Erdenschmutz mich zu verfangen.

Lisiska (flehentlich):
O bleiben Sie! – Wenn Sie mich jetzt verlassen,
Ist wieder Nacht um mich! Gehn Sie nicht fort!
Von Ihren Lippen trifft schon jedes Wort
Wie Peitschenhieb und stachelt mein Begehren,
Sie möchten mich mit solcher Inbrunst hassen,
Daß statt der Lippen es die Fäuste wären,
Von denen Hieb auf Hieb den Körper schmerzt.
    Hab' ich Sie einmal geherzt,
    Dann gehn Sie, woher Sie kamen,
    Schreiben sich meinen Namen
    Lächelnd in Ihr Notizbuch . . .
    Und mir – mir bleibt der gräßliche Fluch,
    Daß es nur wieder der höllische Trieb,
    Aus dem an Freude nichts übrig blieb!

Herr König (sehr ernst):
Jetzt trau ich meinen Sinnen nicht! Mir scheint,
Du bist in mich verliebt? – O welch ein Grauen! –
Wie manche Schmerzensnacht hab' ich, von Frauen
Grausam zurückgewiesen, laut durchweint!
Nun stammelt Liebe mir in diesem Leben
Zum erstenmal die Dirne? – Pflegst du hier
Nicht wahllos dich dem Fremdling hinzugeben?
Und was dich trösten soll, willst du von mir?
Mir deckst du eifrig deine Seele bloß,
Daß mich ihr düstrer Reiz umsponnen hält! –
Wär' ich so nah zur Seite dir gestellt,
Dann packt Entsetzen mich vor meinem Los!

Lisiska: Trauen Sie bei Gott meiner Liebe nicht!
Liebe zu heucheln ist hier meine Pflicht.
Denken Sie nur einmal, was das heißt,
Wenn jemand plötzlich die Tür aufreißt:
Jetzt gilt es, die Liebe zusammenzuraffen;
Es ist ein Mann da, Gott hat ihn geschaffen. –
Wünschen Sie, daß ich dies heillose Spiel
Mit Ihnen spiele?
Daß ich bei Ihrem höchsten Gefühl
Nur Ekel fühle?!
Aber wenn Sie mit Ihrer tüchtigen
Bauernfaust meine Glieder züchtigen,
Das kann uns, wenn Sie Lust daran finden,
Bis mich der Tod Ihnen raubt, verbinden.

Herr König: Der Unschuld weißes Kleid trägst du. Dir hat
Selbst dieses Haus die Seele nicht geschändet.
Von deiner Reinheit ist mein Aug' geblendet,
An deinem Bild sieht sich mein Herz nicht satt.
Im Selbstmord schwelgend ohne Unterlaß,
Kämpfst du mit nie erforschten Seelenschmerzen,
Den Tod im Antlitz und den heißen Haß
Auf alles eitle Erdenglück im Herzen!
        (Er kniet vor ihr.)
Laß deinen Freund mich, deinen Bruder sein.
Ob deinen Körper du mir gibst, das liegt
Tief unter uns. So hast du mich erhoben!
Darf ich den schlanken Knien hier geloben:
Nur wie die Seele sich zur Seele fügt,
Bist du mein eigen! So nur bin ich dein!
Aus Höllenqualen stiegst du himmelan
Und ahnst nicht mehr, wo die Begierden fluten.
In deinen Himmelshöhn mußt du verbluten.
Durch mich sei das den Menschen kundgetan.
In keuscher Dichtung soll durch mich die Welt
Verkaufter Liebe Leid ermessen lernen.
Ich schwör' es bei des Himmels ew'gen Sternen,
Dem klarsten Licht, das unsere Nacht erhellt!
Gib mir ein Pfand, gesteh mir offen ein:
Bist du aus Liebe jemals froh geworden?

Lisiska (ihn emporhebend):
Wenn Sie jetzt gleich mich ermorden,
Könnt' meine Rede nicht anders sein.
Immer nur war es der höllische Trieb,
Aus dem an Freude nichts übrig blieb . . .
So ist's in diesem Haus nun einmal:
Alle begegnen sich hier,
Denen die Liebe unendliche Qual
Und niegestillte Begier.
Was da noch sonst an Besuchern kommen,
Das wird von uns doch nicht ernst genommen.
Menschen wie Sie sind selten,
Weil sie nichts gelten
Wie wir,
Die man dem unvernünftigen Tier
Vergleicht. –
Aber hab' ich denn nun erreicht,
Daß Sie dem wilden Begehren
Trost gewähren?

Herr König: So wirre Pfade deine Hand mich leitet,
Noch blinkt ein Stern herab, der uns begleitet.

Lisiska (umarmt und küßt ihn):
Dann komm, mein Schatz! Jetzt bist du endlich mürbe.
Mir ist als höchste Wollust längst ein Land
Urew'ger niegestörter Ruh bekannt. –
Ach, daß ich unter deinen Fäusten stürbe!

(Beide nach rechts ab.)


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