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[III. Abschnitt.
Steingarten]

Ein Versuch. Die Anstalt. Eingewöhnungsspaziergang. Unbeliebt. Weihnachten in Steingarten. Schüler und Zögling. Sonntagnachmiltag in Freudenau. Osterzeugnis und Markenalbum. Aufschwung. Rückfall. Weihnachten in Worningen. Der Kritiker. Firmus Stang. Tante Konstanzes guter Gedanke.

 

Sie stiegen aus dem Postwagen und wanderten durch die Straßen des Städtchens der Anstalt zu. Steingarten war klein, eine viel kleinstädtischere Kleinstadt als Worningen, viel unansehnlicher, vor allem fehlte das Schloß. Durch eines der altersgrauen Stadttore gelangten sie wieder ins Freie. Am stattlichen Dekanatshause vorbei ging der Weg noch ein Weilchen eben fort, dann begann er zu steigen, unter mächtigen alten Linden erreichte man eine ziemliche Höhe. Steinstufen, stark ausgetreten, führten zu einem niederen eisernen Gartenzaun. Durch den Garten, in dem Georginen und Astern und Sonnenblumen in der warmen Spätsommersonne leuchtend die hochgeschossenen Spargelstauden umblühten, gelangten sie zu dem großen Anstaltsgebäude. Langsam stiegen sie die Stufen der steinernen Treppe empor, Reinhart zählte zehn, und gelangten in den Hausflur. Da standen Koffer und Geigenkasten, Knaben und Väter, einige wenige Mütter.

Zu ihnen trat das Worninger Häuflein und wartete, ob sie jemand ansprechen würde. Schließlich kam auch jemand, mit dem man verhandeln konnte. Es war die Frau des Hausvaters. Mit gerötetem Gesicht und freundlichen Augen trat sie aus einem Zimmer des Erdgeschosses und ging geradenwegs auf die Worninger zu. »Sie sind gewiß noch fremd bei uns, – vielleicht Fräulein Konstanze aus Worningen? –, und hier wohl ihre beiden Neffen? – Herzlich willkommen!« Tante Konstanze verneigte sich vor der Dame und sagte halb verlegen, halb vertrauensvoll: »Ja, – hm, allerdings – das sind wir; erlauben Sie, daß ich Ihnen meine Neffen vorstelle, Reinhart und Eduard. Wir sind soeben angekommen. Ich würde gern den Herrn Hausvater sprechen und dann gleich einräumen, ich reise heute wieder ab. Es geht nicht gut anders. Gott der Herr hat mir neun Waisen anvertraut. Sie sind zwar nicht alle in meiner direkten Obhut. Der Älteste …« Da kam der Herr Hausvater die Treppe herab auf die Gruppe zu. »Lieber Mann, unsere neuen Hausgenossen, Reinhart und Eduard, und das ihre Tante, Fräulein Konstanze.« Tante Konstanze verbeugte sich tief. Der Mann war Leiter des großen Hauses, Lehrer und Herr ihrer Kinder, von nun an ihr Stellvertreter und Mitarbeiter. Hausvater Kratt begrüßte sie freundlich, reichte auch den Knaben die Hand und sagte: »Schade, daß heute alles so kurz abgemacht werden muß. Die beiden Buben sehen sich vielleicht gleich ihre neuen Kameraden ein wenig an. Sie aber, Fräulein Konstanze, darf ich wohl indessen in mein Studierzimmer bitten, das Notwendigste zu besprechen.« Konstanze winkte den Kindern freundlich zu und stieg mit dem Manne die Treppe empor. Als sie im Studierzimmer auf dem Rohrsofa saß, ging Hausvater Kratt langsam im Zimmer auf und ab und hörte geduldig ihrem Vortrage zu. Manchmal blieb er am geöffneten Fenster stehen und sah über den Anstaltsgarten in die herbstliche Landschaft hinaus. Dann trat er wieder an das Stehpult und warf eine Zeile aufs Papier. Tante Konstanze berichtete ihm wahr und klar und restlos, was sie von den Knaben wußte, von ihren Eigenschaften, von ihren bisherigen Fortschritten und von ihren wichtigsten Erlebnissen. Als sie von dem frühen Tode des Vaters sprach, sagte Kratt ergriffen: »Daß wir den so früh verlieren mußten!« Mit zwei Bitten schloß Konstanze. Sie bat den Hausvater hoch und teuer auf Reinharts Sprechübel ein Auge haben zu wollen, erklärte ihm die Mosetter'sche Methode in großen Zügen und bat, ihr doch gerade über diesen Punkt zeitweilig zu berichten. Dann fuhr sie fort: »Und noch eins. Eine gute Stunde von hier sind die Gräber der Eltern dieser Kinder. Auch sonst haben sie drüben in Freudenau manchen Freund. Reinhart hat auch seinen Paten drüben. Ich bitte Sie herzlich, erlauben Sie den Kindern manchmal am Sonntag nachmittag hinüberzuwandern. Es wird ihnen gut tun. Am Grabe der Eltern werden sie sich auf allerlei besinnen und bei lieben Menschen werden sie froh werden.«

Als Kratt die letzten Worte vernahm, umwölkte sich seine Stirne und er sagte: »Nun, ich denke unsere Erziehungserfolge haben bewiesen, wenn es der Geist unseres Hauses nicht von vornherein gewährleisten würde, daß unsere Anstalt das Elternhaus zu ersetzen vermag und unseren Knaben eine befriedigende Heimat bietet. Aber wenn Sie es wünschen sollen auch andere Menschen das ihrige tun; mehr ist mehr als viel.« Da errötete Konstanze, wurde etwas unsicher und erwiderte: »Eduard wird sich ja leichter tun; ich hatte mehr Reinhart im Auge.« Es klopfte und andere wünschten den Hausvater zu sprechen.

Indessen waren die beiden Knaben sich selbst überlassen. Lange standen sie auf dem Fleck, auf dem Konstanze sie verlassen hatte, am Treppenabsatz im Erdgeschoß. Schüchtern sahen sie dem Kommen und Gehen der Kinder und Eltern zu. Ab und zu ein fröhliches Lachen, ein kräftiger Anstaltsausdruck, den sie nicht verstanden. Da und dort kniete eine Mutter, ja wohl auch ein Vater vor einem geöffneten Schrank, mit einzuräumen. Als den Brüdern aber der zwischen dem Haupteingang und der Hinterpforte herrschende Luftzug doch allmählich unangenehm wurde, verließen sie ihren Posten und gingen dem großen Arbeitssaale zu, dem Verkehrsmittelpunkt des Hauses. Da sie noch keinen Arbeitsplatz angewiesen bekommen hatten, stellten sie sich neben den großen eisernen Ofen und sahen träumend in das Getriebe. Sie waren »Neue«. Nur »Neue« konnten so abwartend dastehen. Doch hatten sie Schicksalsgenossen. Da stand eine Mutter, sonst im Leben eine angesehene, sichere Frau, heute aber fremd und schüchtern und nichts weiter als eine Pfarrerswitwe, dazu mit mehr Kindern gesegnet, als sie aus eigener Kraft versorgen konnte. Neben ihr ihre beiden ältesten Buben, schlank und rassig, mit feinen, schmalen, kritischen Mündern, – der eine ist als Major im Weltkrieg gefallen, der andere hat dem Vaterlande als Forschungsreisender und Schriftsteller gedient. Da stand manch anderer »Neue«, fremd, noch nicht eingereiht. Die Väter in derben, rindsledernen Stiefeln, die Hosen vom Marsche her noch aufgekrempelt, die Söhne im Sonntagsanzug, blank und untadelig, und im Innern voll von Fragen und aufsteigendem Abschiedsschmerz.

Einer der Lehrer, der »Herren«, wie man sie hier kurzweg nannte, erschien, denen, die einräumen wollten, ihre Studierplätze anzuweisen. Vorn, in den engen, niedrigen Bänken kamen die Elementarschüler, die der vierten Volksschulklasse angehörten, die »Batzenklässer«, zu sitzen, unter ihnen Eduard. Reinhart fand weiter hinten, im Haufen der zweiten Lateinklässer, seinen Platz. Je vier hatten eine Bank inne. Zu jedem Platze gehörte ein Pult zur Aufnahme der Bücher und Hefte und der kleinen persönlichen Sächelchen, an denen das Herz hängt.

Tante Konstanze half ihnen, besonders beim Einräumen der Schränke. Als Bücher und Wäsche, Kleider und Stiefel unter vielfacher Ermahnung, Ordnung zu halten, tadellos ausgerichtet an Ort und Stelle lagen, machte Tante Konstanze mit den Knaben einen Besuch im Dekanatshause am Fuße des Anstaltsberges, beim Dekan des Städtchens, der im Nebenamt eine Art Oberaufsicht über die Anstalt führte. Auch hier wurde des Vaters ehrend gedacht; der Dekan hatte ihm die Grabrede gehalten. Auch gab es Kaffee und dazwischen manches ermunternde Wort. Aber auch Stichfragen aus dem Latein: laudari? laudandus? occasio laudandi? Es waren die Dinge, die Grallath gerade noch vor Schulschluß gepaukt hatte. Sauersüß lächelnd gab Reinhart richtigen Bescheid. Von Eduard wurden wissenschaftliche Leistungen nicht verlangt.

Dann verabschiedete sich Tante Konstanze. Sie wollte noch nach Freudenau hinüber, um dort zu übernachten. Die Gräber zogen sie an, auch waren dort zwei ihrer Pflegebefohlenen, die beiden jüngsten Mädchen, als Schülerinnen untergebracht. Vor dem Dekanatshause begann der Abschied, der erste, schwere, jämmerliche Abschied. Darüber gerieten sie, ohne es zu merken, in den Schatten des Stadttores, das sie wenige Stunden zuvor durchschritten hatten. Als Konstanze nichts Neues mehr zu sagen und zu mahnen hatte, drückte sie, von Fremden ungesehen, die Kinder an das mütterliche Herz. Ein plötzlich hervorbrechender wilder Schmerz erschütterte ihre hohe Gestalt und mit tränenüberströmtem, zuckendem Munde, die Mäntel der beiden streichelnd, stieß sie hervor: »Ihr wißt, es geht nicht anders, – macht euren Eltern Ehre –, vergeßt das Gebet nicht!« Dann küßte sie erst Reinhart, der stier und tränenlos die Hauptstraße hinab sah, und dann Eduard, der bitterlich schluchzte, alsbald aber auf einen Wagen aufmerksam machte, der eilend auf sie zukam. Da riß sich die Tante los und ging durch den Torbogen ins Städtchen hinab. –

Die Knaben schritten zögernd und scheu den Anstaltsberg hinan. Noch standen sie zwischen Freiheit und Zwang. Sie sagten nichts zueinander, gaben sich kein Versprechen brüderlichen Zusammenhaltens, das hatte alles schon Tante Konstanze gesagt.

Als sie das große Haus betreten hatten, nahm die neue Umgebung ihre Sinne gefangen. Die allermeisten Arbeitspulte hatten inzwischen einen Inhaber gefunden, die vom Vorgänger hinterlassenen Brotkrumen wurden mit österlicher Gründlichkeit ausgekehrt, die eigene Habe eingeräumt. Ein Lehrer ging durch die Reihen und übersah den Haufen, sprach aber mit keinem, auch mit den Neuen nicht. Ein Glockenzeichen rief zum Abendessen in den Speisesaal. Es gab Lindenblütentee nach Belieben, dazu ein großes Stück Weißbrot. Tee nach Belieben, – das war den Brüdern etwas Neues und ein viel verheißender Anfang. Übrigens saßen sie auch hier nicht beisammen, der Unterschied der Klassen führte sie verschiedenen Tischgenossenschaften zu. Dann stand man noch ein wenig im Arbeitssaal herum, erprobte den zugewiesenen Platz und betastete die sauber eingeräumten Habseligkeiten. Wohl stieg der Duft der Heimat aus ihnen empor, aber das Geschrei und all das Neue ringsum verscheuchte ihn.

Um neun Uhr fand im Betsaal im ersten Stock Abendandacht statt. Der Elementarlehrer spielte das Harmonium. Wie Reinhart sich später einmal heimlich vergewisserte, war es ein Werk seines Vormundes Bergfried, dessen Stimme er nun täglich des Morgens und des Abends über Berg und Tal aus dem Instrument zu sich herüberklingen hörte. Die achtzig Zöglinge standen die beiden Längswände des Saales entlang in je drei Reihen vor hohen, schmalen Holzpulten, auf denen ihre Bibeln und Gesangbücher lagen; die Lehrer in der Fensternische neben dem schlichten Altar, an dem der Hausvater als Hauspriester waltete. Seine Frau, seine jüngsten Kinder, die weiblichen Hilfskräfte, namentlich die in Flickstube und Haushalt verwendeten Gehilfinnen saßen neben dem Harmonium. Nach Beendigung des kurzen Gottesdienstes bildeten sämtliche Lehrer inmitten des Saales eine Reihe, vom Hausvater dem Range nach hinab bis zum Elementarlehrer. Die gesamte Knabenschar zog an ihnen vorüber und gab jedem der fünf Herren die Hand. Achtzig weiche, zum Teil sehr weiche Kinderhände legten sich in Männerhände, in gütige, besonnene, sichere Hände, aber auch in täppische, zufahrende Fäuste, – ach, sie waren ja fast allesamt Anfänger im Erzieherberuf.

Bald darauf lagen die Brüder, durch Dutzende anderer Betten voneinander getrennt, in dem größeren der beiden Schlafsäle. Eduard, der Menschensucher, lauschte dem, was um ihn her wispernd erzählt wurde, den Reiseabenteuern, Ferienfreuden, den Vermutungen über den Speisezettel der ersten Anstaltswochen, der unter dem Zeichen des Eingewöhnens stehen sollte. Reinhart war in schwerer Arbeit, durch Hilfsgedanken das Weinen zu verhüten. Nun lag er also wirklich im Steingartener Schlafsaal. Ach das Worninger Bubenschlafstübchen und die Steinburg und die Kastanienburg und die Grundeln der Worn und das rote Haus! Dann wandten sich die Gedanken Tante Konstanze zu. Aus dem Nachthemd, das sie ihm ins Bett gebreitet hatte, roch er ihre Hand. Er sah ihr nach, wie sie nach dem Abschied mit gesenktem Haupte das Städtchen hinabschritt. Er wußte, was sie dabei dachte. Sie dachte an die Männer, denen sie ihre Kinder übergeben hatte. Sie dachte an die Kinder selbst, an ihre Kinder. Er sah sie in ihrem grauen Kleide die Straße entlang gehen, die sie am Vormittag gefahren waren, und dann, in den Schwesternauer Weg abbiegend, den Wald betreten, – immer noch das Haupt zu Boden gewendet. Er sah, wie sie am Waldrand plötzlich, ruckweise, innehielt: sie schaute zurück, zur Anstalt herüber, deren stattlicher Bau in der Abenddämmerung riesenhafte Schatten warf, während die Reihen der Fenster in der scheidenden Sonne glühten. Er sah sie in das nämliche plötzliche, bittere Weinen ausbrechen, das er unterm Stadttor zum erstenmal an ihr erlebt hatte. Er hörte sie, die Augen zu Boden gerichtet, die Worte hervorstoßen: »Mein Gott, du weißt es, ich kann ja nicht anders!« Dann wandte sie sich. Ruhig und fest ging sie auf Freudenau zu.

Deutlich sah Reinhart das alles, deutlich sah er ihre eigentümlich festen, forschenden Augen noch einmal aus dem Walde zurückkehren und ihn fragen, ob er auch sein Abendgebet nicht vergessen habe. Dann glitt seine Seele von dem Anstaltsberge, auf dem sie ausschauend geschwebt hatte, ins Unfeste. Er schlief in dem fremden Hause seinen ersten, tiefen Schlaf und mit ihm alle Saalgenossen, die leichtfüßigen und die heimwehkranken. – –


Es war Oktober, es wurde kühler. In Worningen hatte man das weniger bemerkt. Hier aber auf der luftigen Anhöhe spürte man's ganz anders, besonders am Morgen, wenn man sich bei entblößtem Oberkörper den Wasserscheitel zog. Kühl legte sich's auf Haut und Gemüt.

Gut, daß man zum Austoben genügend Platz, einen für Anstaltsverhältnisse sehr weiten Bereich hatte. Das war das Schönste in Steingarten. Man konnte die »Grenze«, wie das den Zöglingen zur Verfügung stehende Gebiet genannt wurde, gar nicht überschauen, denn das eine Ende lag unten am Fuße des Berges beim Eintritt in das Städtchen, das andere droben jenseits der Anstaltsgebäude weit hinten im Felde. Ein weiter Bezirk, der Stolz des Hausvaters, die tägliche Freude der Zöglinge, die ihnen nur vorübergehend, strafweise beschnitten wurde. In dem weiten Raum konnten sich achtzig Knaben bewegen, ohne sich auf die Füße zu treten. Über Kartoffelfelder, knorrige Holzbirnbäume und das Stangenwerk der Hopfengärten sah man weit hinein in lockende Fernen mit sandigen Hügeln und dunkeln Nadelwäldern.

Der Herbst legte seine kühle Hand aufs Land und löschte langsam Lichter und Farben. Hin und wieder aber kam noch ein Spätsommertag. Einen solchen benützte die Anstaltsleitung zum » Eingewöhnungsspaziergang«.

Das war unbedingt eine feine Einrichtung, eine »elend feine«, wie die Buben einstimmig urteilten. Erstens gab es einmal einen ganz freien Nachmittag ohne Schulzeit und ohne »Arbeitsstunde« und zweitens ging es einmal richtig in die Ferne. Man machte wohl auch sonst täglich, meist nach dem Mittagessen, Spaziergänge, mit und ohne Schulbücher, irgendeine Schleife oder »Runde«. Diesmal aber durfte man sich richtig auslaufen und etwas wie Wanderlust empfinden. Ein Marktflecken, der von einem ansehnlichen Schlosse überragt wird, war das Ziel. Selbstverständlich sollte eingekehrt werden.

Reinhart war der Glücklichsten einer, als sich die hundertköpfige Menge in Bewegung setzte. Er beschloß bei sich, den Nachmittag auszukosten in jedem Tropfen, das Neue als ganz neu zu nehmen, sich über alles zu freuen, was irgend der Freude wert war. Dann sollte ein Bericht nach Worningen verfaßt werden, der die Tante aufs höchste interessieren, die Geschwister aber mit stillem Neide erfüllen sollte. Etwas wie Freiheitsgefühl regte sich in ihm, als er merkte, wie sich seine Seele anschickte aufzufliegen in den Herbstsonnenschein hinein, wie es ihm auf einmal so leicht wurde ganz Mensch zu sein. Er spürte, daß er das Leben liebte und im Leben vor allem die Menschen. Der herrliche Tag würde ihm Menschen zuführen! Mit ihnen würde er sich aussprechen, klug und töricht, ja er hoffte im stillen, Menschen in seinen Bann zu ziehen. Er fühlte dunkel, daß er etwas zu geben habe. Mit erhobenem Haupte im lustigen, angeregten Haufen durch die Landschaft ziehend hören und reden und ganz gleichberechtigt sein, arm und fremd und doch ein Kerl, – das war etwas!

Eduard ging glückselig mit seinen Batzen, die allesamt Neue waren, und litt an nichts Mangel. Reinhart mochte ihn nicht stören. War er doch gewiß, bei seinesgleichen ebenso glücklich zu werden. Aber der Anschluß wollte nicht gelingen. Sie wollten ihn nicht. Er pirschte sich heran und sie ließen ihn gewähren, aber sie redeten nicht mit ihm. Wo er es auch versuchte. Er ging eine Weile allein, den Grund der Seele noch immer voll Freude. Er näherte sich schließlich den Batzen, die Arm in Arm einherzogen. Aber die wollten unter sich sein und bedurften des Größeren nicht. Da geriet er vor die Füße des Hausvaters, der mit den Lehrern und einigen Frauen die Nachhut bildete. Kratt sah den Einsamen und befahl ihm zum nächsten Haufen zu stoßen. Er sah ihm die Not an der Nase an, aber er half ihm nicht. Reinhart gehorchte und lief mit der nächsten Reihe, merkte, wie sie plötzlich schneller gingen und die Unterhaltung stocken ließen, aber er ließ nicht von ihnen ab, er gehorchte dem Hausvater.

Und dann kam die Einkehr. Die Krone des rechten Ausflugs ist ja das ländliche Wirtshaus mit seinem Drum und Dran. So hat es Reinhart immer gehalten. Man saß im Garten, auf langen, morschen Bänken, in halbzerfallenen Lauben, im Summen der Bienen, die sich in Sonnenblumen, Astern und Georginen gütlich taten. Eine lustige Gesellschaft. Achtzig Buben, meist aus Pfarrhäusern, feine und unfeine, vom ganz schwachbegabten bis hinauf zum Stärksten am Geist, dem »Cicero«, wie man den Gescheitesten der obersten Klasse, der fünften, den kleinen Blonden mit dem leidenschaftslosen Gesicht und der roten Mütze auf den Locken nannte. Ja, fein und unfein und – gemein. Von allem etwas.

Reinharts Herz überlief ein warmes Gefühl der Behaglichkeit und Gemütlichkeit, als er sich mitten in den frohen Haufen setzte, fest entschlossen, sich von der Woge allgemeiner Lustigkeit tragen zu lassen. Aber es wollte nicht gelingen. Ein Nachzügler schob sich mit einem: »Ja, was willst denn du da?« an seinen Platz. Und ehe er sich's versah, saß er am Ende der Bank, halb in der Luft. Aber er ließ nicht nach. Die Sonne spielte so fröhlich auf den Blumen und blitzte so kühn aus den Augen der Kameraden. Der hemdärmelige Wirt, auf den zahlreichen Zuspruch wohl vorbereitet, lief schmunzelnd durch die Reihen und kommandierte die Bedienung. Vom Herrentisch sogar klang's ausgelassen herüber. Darum warb auch Reinhart mit aller Glut seiner Seele um die Freude. Darum wollte auch er sein Teil Lust an sich reißen. Er ließ die anderen leben, mischte sich mit Gewalt in ihr Gespräch, erzählte Witze. Allein man nahm ihn nicht ernst. Was es nur war? Vielleicht weil er ein Neuer war. Aber da saßen Neue genug und hatten's ganz gut, hörten und wurden angehört. Seine Worte aber verhallten im Leeren. Man wollte ihn nicht. Als das Zusammenwogen von Lust und Pein ihm den Atem benahm und er zu stottern begann, ahmte man ihn nach. »Le-le-le-lern ä-ä-ärst re-re-re-reden!« Da stand er auf, warf einen Blick auf die Bank der Batzen, wo Eduard und seine Freunde sich im Anstoßen und Festredenhalten und allerlei Schabernack nicht genug tun konnten, wo es keine Überflüssigen gab und keine Stotterer, tat, als ob er ins Haus gehen wollte und schlich den Weg zum Schlosse hinauf.

Beim Hinaufsteigen kam ihm der Gedanke, das Schloß zu besichtigen, – er ganz allein. Er zog die Glocke des Pförtners, der ihm nach einigem Bedenken seine kleine Tochter als Führerin mitgab. Durch prächtige, mit dunklem Holze getäfelte Gemächer, von deren Decken Kronleuchter und Lüsterweibchen hingen, durch Säle mit alten und neuen Ölbildern, wappengeschmückten Tischen und großmächtigen Öfen, durch eine Bibliothek, deren Bände in prächtigen, geschnitzten Schränken standen, durch eine Sammlung von Waffen und Harnischen wandelte der Knabe, stumm, nur dann und wann eine altkluge Frage an seine Begleiterin richtend, den biertrinkenden Kameraden dort unten weit entrückt. Er hatte dergleichen nie gesehen.

Als sie alles betrachtet hatten, fiel ihm ein, daß man in solchen Fällen ein Trinkgeld gibt. Als Anstaltszögling verfügte er aber über keinen Pfennig. Heuchlerisch begann er in seinen Taschen zu suchen. Als gar nichts zum Vorschein kam, machte die Führerin gute Miene zum bösen Spiel und ließ mit der Beruhigung: »Ich habe es auch so gerne getan!« den seltsamen Gast aus dem Tor springen.

Als sich die Pforte hinter ihm geschlossen hatte, saß er lange unter dem gewaltigen schwarzen, schmiedeisernen Reichsadler, der am Portale hing, übersah den Marktflecken und das Land bis hinüber zum Hesselberg, den man auch von Worningen aus sehen kann. Da kam es mit leisem Fittich geflogen – das Heimweh. Dort drüben – dort drüben … Aber Reinhart riß sich zusammen. Er sprang auf und laut »ich will nicht, ich will nicht« rufend, stürmte er den Schloßberg hinunter und schlich in den Wirtsgarten, wo eben der Hausvater die gemeinsame Zeche bezahlt und den Befehl zum Aufbruch gegeben hatte. Man hatte Sackhüpfen und Dritten Mann gespielt. Für die geplante gemeinsame Schloßbesichtigung war keine Zeit mehr. Es war aber auch so »elend fein« gewesen. Reinharts Abwesenheit war unbemerkt geblieben.

Gleichfalls hochbefriedigt mischte er sich in den Haufen, um auf dem Heimweg sein Erlebnis in sich zu verarbeiten. Er allein hatte das Schloß gesehen. Er allein hatte die Heimat gegrüßt. Unter der Bürde dieser Erlebnisse ging er gerne allein. Er war nun doch der Reichste. Und aus der tiefen Sättigung wuchs ein gesunder, starker Knabenstolz empor: ihr wollt mich nicht – und ich will euch nicht, ich will nicht, ich will nicht, nein, ich will nicht ein Sklave meiner Umgebung sein, nein, ich will nicht um eure Gnade betteln, ich will gern, gern allein bleiben, wenn ihr es haben wollt. Ich will euch auch nichts mehr vorstottern. Ich will mich mit mir selber unterhalten, über Dinge, die ihr ja doch nicht begreift. Mich von euch auslachen lassen?! Stolz und bitterernst stieg es in ihm auf wie ein furchtloses Haupt aus einem der blanken Ritterharnische: nun so will ich tapfer streiten und sollt' ich …, ich will einer für mich sein, – wenn es sein muß. Ein wilder Frohmut kam über ihn. Die Mütze wurde ihm zu heiß. Er schlug sich mit dem Stock über die Beine, daß es schmerzte, zog sausende Kreise um sich her, als wollte er sagen: Auch ich kann mich in Unnahbarkeit hüllen. Wer hat die Kraft, mich zu gewinnen?, die Liebeskraft, mir zu nahen? Wer mich will, soll zu mir kommen! – –

Es ging in den Herbst, in den Spätherbst. Die Gedanken flogen über Land zu den heimatlichen Obstgärten, wo hier noch ein paar Äpfel und dort noch ein Nest Zwetschgen hingen. Unwillkürlich suchten die Buben die außerhalb der »Grenze« stehenden nachbarlichen Obstbäume mit gierigen Augen ab, ob nicht auch auf ihnen noch etwas zu »herbsten« wäre. Und weil daheim um diese Zeit die Weischrüben ihre rosa Köpfe aus dem Boden streckten, darum scharrten auch hier wie von selbst die Stiefel nach der süßen Ackerfrucht. Jeden Herbst war es so in Steingarten. Darum auch jeden Herbst die Klagen der angrenzenden Bauern über »Beraubung der Bäume und Felder«.

Dreimal hallte die Anstaltsglocke durch Haus und Hof. Das bedeutete: »Alles in den Schulsaal!« – so wurde der große gemeinsame Arbeitssaal meist genannt.

Ein Gerichtsakt stand bevor. Die Verhandlungen zwischen dem Hausvater und dem Bauern einerseits und dem Bösewicht anderseits hatten bereits stattgefunden. Es handelte sich jetzt um den Strafvollzug, der durch die Anwesenheit des Plenums, sämtlicher Lehrer und Zöglinge, eindrucksvoller gestaltet werden sollte. Kratt bestieg das Arbeitspult des Aufsichthabenden, bedauerte die neuerliche Übertretung des siebenten Gebotes, teilte die dem Missetäter oder den Missetätern zudiktierte Strafe mit und warnte kurz und kräftig vor Nachahmung. War der Feldfrevler aber ein rückfälliger Sünder, so wurde ein eigenartiges Verfahren beliebt. Zur Verabreichung der Züchtigung, die gleichfalls öffentlich erfolgte und nicht zu zahm ausfallen sollte, wurde Johann, der Hausknecht, beigezogen.

Reinhart traf dieses Los nie. Er fühlte zwischen dem heimatlichen Garten und den fremden Feldern eine so weite Kluft, daß es ihm nicht von ferne beikam, hier ernten zu wollen. Die Strafexekution erschreckte ihn und war ihm aus allerlei Gründen unverständlich, aber sie erschien ihm nicht gerade ungeheuerlich. Es war das eben hier so Sitte und danach hatte man sich zu richten. Zorn und trotzige Kritik, wie sie später gegenüber diesen und anderen Steingartener Gepflogenheiten in ihm aufstiegen, lagen ihm damals noch weltenfern. Die Notwendigkeiten des Lebens hatten ihn bis dahin rein positiv erzogen, das heißt lediglich zu dem einen, mit dem, was an ihn herantrat, fertig zu werden. Und da der weitaus größte Teil seiner Kameraden aus ähnlicher Lage kam, und selbst die Eltern nichts sagen mochten, beugte man sich willig den Grundsätzen, die nun eben einmal die Herrschaft halten.

Über seine künftige Stellung zu den Kameraden war sich Reinhart seit dem Eingewöhnungsspaziergang ziemlich im klaren. Es mußte etwas an ihm sein, das ihnen nicht paßte. Er beschloß, sich mit Verwundern und Sinnieren nicht lange aufzuhalten, sondern die Tatsache einfach in Rechnung zu stellen. Als er auf einem der täglichen Spaziergänge wiederum Gelegenheit erhielt, sich von der Tatsache seiner Unbeliebtheit zu überzeugen, schlug er, ohne ein Wort zu sagen, angesichts der andern am nächsten Stein seinen Spazierstock in Stücke. Dabei nahm er sich von neuem heilig vor, allein bleiben zu wollen, ja zu wollen, wenn man ihn nicht wünsche. Trieb ihn aber doch einmal ein aufsteigendes Verlangen nach Anschluß zum Aufsuchen der Gemeinschaft, so war es ihm ein leichtes, rasch zurückzutreten, sobald er bemerkte, daß er nicht begehrt war.

Zudem wandte sich Bruder Eduard nun oft dem Vereinsamten zu, namentlich auf Spaziergängen. Sie hatten freilich nicht viel zu besprechen: einen Brief von Tante Konstanze oder eines der mühsamen aber inhaltreichen Schriftstücke der kleineren Brüder. Solche Schreiben trug Reinhart lange verknittert in der Tasche. Sie beredeten dann alles sehr eingehend und umständlich, versetzten sich in Tante Konstanzes Stimmung, in der sie schrieb, und ergänzten die kargen Mitteilungen der Kleinen mit lebhafter Vorstellungskraft. So ward ihnen in der Ferne die Heimat immer lieber und das schlichte, anspruchslose und doch geborgene Leben daheim verklärte sich ihnen.

Die Gegend, durch die sie so liebend und phantasierend zogen, bot nicht viel. Sogar Eduard, dessen Künstleraugen überall Eigenart entdeckten, war nicht mit ihr zufrieden. Reinhart aber begann mit dem Vorrücken des Herbstes unter der Eintönigkeit der fränkischen Landschaft zu leiden, zu frieren. Die Empfindungen, die ihn bei der Wanderung zum Begräbnis der Mutter beschwert hatten, bedrückten ihn nun täglich. Er sah ja jetzt deutlicher. Es war immer wieder dasselbe: Sand – Kartoffeläcker – Hopfengärten – magere Föhrenwälder von begrenzter Ausdehnung. Blieb nur der Ausblick in die Ferne, bei dem sich etwas denken ließ. Nur einige in den weichen Sand gefurchte grüne Tälchen boten freudige Überraschung. Aber in solch einer Sandschlucht alles gemächlich zu genießen, das kristallklare, strömende Wasser, die huschenden Fische, die auf dem Grunde unablässig zitternden grünen Gewebe von Minze und Brunnenkresse, das Blumenleben am Ufer, – dazu bot der Anstaltsspaziergang nicht genügend Zeit.

War man von solch einer Wanderung heimgekehrt, so war das erste, daß man nach einem der Wasserkrüge griff, die zum allgemeinen Gebrauch in einer Ecke des Arbeitssaales standen, einer für die Größeren, einer für die kleineren. Reinhart hatte sich an den Krug der Größeren zu halten. Die Neuen aber hatten sie zu füllen. Natürlich fügte er sich dem Brauche, keiner wehrte sich dagegen. Gesetz ist Gesetz, das erkennt jedermann an. Nur verlangte er, nicht öfter an die Reihe zu kommen als die andern auch. Er sprach das, gewissermaßen als ein Echo geheimer Sorge, mehr für sich selbst, wiederholt aus. Es wäre besser gewesen, er hätte es nur gedacht. An einem Neuen reizte ja alles Eigenartige zum Widerspruch, warum nicht auch eine in lautem Selbstgespräch erwogene Sorge?

War da einer in der Fünften, ein verwöhnter Prinz, braunlockig, mit dem Gebiß einer Hyäne, blitzenden, sinnlichen Augen, ein wenig fett, von zu Hause reichlich mit Lebensmitteln unterstützt, mit vielen noblen Besitztümern im Pult, kein Pfarrerssohn. Dem beliebte es, den Krug umzustoßen, als ihn eben Reinhart pflichtschuldigst gefüllt hereingebracht hatte, und dessen geheimnisvoll sinnierenden Ton nachahmend zu bemerken: »Nicht-öfter-als-die-andern-auch.« Dann aber schrie er mit seiner eigenen rohen Stimme: »He, Neuer, nochmals füllen!« Reinhart tat, als höre er ihn nicht und setzte sich ruhig auf seinen Platz. Die Arbeitsstunde begann. Niemand holte den Größeren Wasser.

Nach dem Abendessen wurde er feierlich vor die Großen gerufen und, ohne daß einer von diesen zu widersprechen wagte, von Karg, so hieß der, Genannte, mit der Strafe belegt, die ganze kommende Woche hindurch früh, mittags und abends das Wasser zu holen. Reinhart erklärte mit der Ruhe und Steifheit seines auf vielen einsamen Spaziergängen in unzähligen Selbstgesprächen gefestigten Knabenstolzes, ohne alles Stammeln, daß er das nicht tun werde. Auch auf die herrische Aufforderung, sofort den ersten Gang zum Brunnen anzutreten, blieb er ohne alle Aufregung bei seiner Weigerung. Da zog Karg, der als künftiger Jurist und Menschenkenner derartiges ahnen mochte, einen Lederriemen aus der Tasche, der, am Ende aufgerollt, eine Geißel mit hartem, starkem Knoten bildete, und hieb dem Kleinen ein paarmal mit aller Kraft über die Beine. Dieser stand, ohne mit der Wimper zu zucken. Der Peiniger wiederholte seine Tat: »Du gehst sofort und holst Wasser, du dreckiger Sauneuer!« Reinhart blieb schwerfällig stehen, rührte sich nicht, starrte nur den Rohling an, als blickte er in eine andere, fremde Welt. Gab's das in Worningen? Im Pensionat? In der Schule?! Die anderen Großen waren zu verblüfft oder zu feige, ihrem Goliath in den Arm zu fallen. Sie wußten nicht recht, was tun und was sagen. Sie verstanden aber des Kleinen Blick und sagten: »Karg, er versteht noch nicht, wie es hier ist. Du brauchst ihn nicht mehr zu hauen. Auch das Wasser braucht er nicht zu holen. Er wird schon noch sehen, daß man hier gehorchen muß.« –

Aus dem Herbst wurde Winter. Ach wie schnell. Weihnachten stand vor der Tür, die erste große Station im Schuljahr, die erste große Freudeninsel im Jahreslauf des Anstaltszöglings. Schon seit Schulbeginn war jeder neudurchlebte Tag als »erledigt« im Schulkalender gestrichen worden, als wäre die Zeit vor allem dazu da, daß man sie hinter sich bringt. Je näher Weihnachten kam, um so dicker wurden die Tilgungsstriche.

Ein allgemeines Plänemachen begann. Es bildeten sich Genossenschaften, die die Heimreise soweit als möglich gemeinsam machen und dabei alles miteinander teilen wollten. Alle Einzelheiten der Reise wurden aufs genaueste besprochen. Auch hier war die Vorfreude das Herrlichste. Abends nach der Arbeitszeit quietschten die Laubsägen der Anfänger und der Künstler, man leimte und schnitzte, schrieb und zeichnete und malte, sammelte, geigte und spielte Klavier, – alles für Weihnachten zu Hause. Man rechnete aber auch die Noten des Vierteljahres zusammen, um die Züge des Zeugnisses zu bestimmen, dessen Angesicht die Ferien erhellen oder verdüstern würde.

Während so ein allgemeines Rüsten auf das Fest und seine Freuden stattfand, erhielt Hausvater Kratt einen Brief von Tante Konstanze, die ihn bat, die Knaben über das Fest in der Anstalt zu behalten. Sie sei leider durch ein Magengeschwür verhindert, ihnen die Ferien so zu gestalten, wie sie gerne möchte; auch sei es vielleicht ganz gut, wenn die Zeit der Eingewöhnung in das Anstaltsleben noch ein wenig länger dauere. Kratt rief die Brüder auf sein Zimmer, eröffnete ihnen den Entschluß der Tante und fügte hinzu, daß von seiten der Anstalt dem nichts im Wege stehe. Er hieß sie als Weihnachtsgenossen herzlich willkommen. Sie sollten sich damit trösten, daß noch einige Kameraden, die sehr weit nach Hause hätten, ihr Los teilen würden. Er hatte noch einige Tröster in Bereitschaft. Doch war es zu seiner nicht geringen Verwunderung nicht nötig sie zu verwerten. Die Kinder waren an Gehorsam gewöhnt. Ihre Gefühle waren der durch ein strenges Leben eingehämmerten Pflicht, sich zu fügen, so völlig untertan, daß Widerspruch oder Verzweiflung nicht aufkam, auch wenn es ans Herz griff. Sie sagten nichts, ließen die Bilder, die sie sich von den kommenden Wochen gemacht, die Freuden, von denen sie vor dem Einschlafen geträumt, fahren und traten bedrückt aus dem Zimmer.

Und dann kam er wirklich, der letzte Schultag vor Weihnachten.

Ein merkwürdiges Erwachen für den Anstaltszögling! Man rannte vom Schlafsaal herunter in die Wichskammer. »Schlußtag, Schlußtag!« war das Geschrei, das Treppen und Säle erfüllte. Heute durfte man sich ein wenig gehen lassen. »Schlußtag!!« hallte es jubelnd, versöhnend. Heute waren alle Herzen weich. Heute wurden Schusser und Laubsägen, Modellierbogen und Briefmarken, alte Taschenmesser und Spazierstöcke, Münzen und Briefpapier, Bücher und Federn und Bleistifte verschenkt. Schlußtag vor Weihnachten! Man brachte die Schulstunden hinter sich, man legte die letzte Hand an das schon längst geordnete Reisegepäck, man empfing das Zeugnis. Ganz zuletzt, unmittelbar vor der Abendandacht, erschien Kratt im Arbeitssaal und händigte jedem das in Papier gewickelte Reisegeld ein, so viel, daß es eben reichte, das Fahrgeld und ein wenig Zehrgeld. Wehe, wenn es herauskam, daß in einer Tasche schon Geld vorhanden war, oder daß ein Päcklein Zigaretten eingeschmuggelt worden war. Dann rief noch in der letzten Stunde der dreimalige Schrei der Glocke »Alles in den Schulsaal!« zu peinlicher Verhandlung und Bestrafung mit Heimbericht und Änderung des Zeugnisses.

Der Händedruck zum Schluß der Abendandacht sollte heute ein Abschiedsgruß sein. Den Schülern war es das Wenden eines Blattes: morgen ein anderes Bild! Man schlief nicht viel. Neben dem Bette lagen Ranzen und Wanderstab. Viel früher als nötig sprang man vom Lager, vom Lärm der Frühesten geweckt. Ein knappes Frühstück, ein Stück Brot in die Tasche und hinaus in die Winternacht, zur Bahnstation, zwei, drei Stunden weit, je weiter um so besser. Wie gesagt in Gruppen, die sich lange zuvor in heimlicher Zwiesprache gebildet, umgebildet und schließlich gefestigt hatten.

Als Reinhart von dem Lärm des allgemeinen Aufbruchs erwacht war, riß es ihn mit. Nur ein Stückchen weit wollte er es mitkosten, wie es ist, heimzuziehen. Niemand fragte nach seinem Recht. Er saß mit am kaffeeüberspritzten Frühstückstisch, er trabte inmitten einer der glücklichen Gruppen hinaus in die kalte Nacht. Und siehe, sie stießen ihn, den Eingedrungenen, nicht von sich. Sie redeten mit ihm, sie liebten ihn …, sie gaben ihm Vollmacht über ihre Laubsägen und Lesebücher im Schulsaal. Sie trösteten ihn. Sie waren von der Weihnacht berührt, der sie entgegen gingen. Da ward Reinhart versöhnt und reich. Er galt etwas. Und einer nahm ihn beiseite, schenkte ihm einen Apfel, den er in der Eisenbahn hatte essen wollen und sagte weich und innig: »Reinhart, Reinhart, sei halt nicht zu hartnäckig; anständig bist du ja, das habe ich gesehen. Wenn ich wieder komme, gehen wir miteinander.« Da kehrte Reinhart um, um nicht aufzufallen, träumend und in sich hineinlachend und mit dem Stock den tiefen Schnee peitschend. »Anständig bist du ja …, wir gehen miteinander« … Die Weihnacht hatte ihn gegrüßt. Froh, unendlich dankbar, ging nun auch er ihr entgegen.

Das kleine Häuflein der Zurückgebliebenen, etwa zehn, durfte aus dem großen Schulsaal in ein anstoßendes kleineres Klaßzimmer umziehen und sich hier ganz nach Belieben einrichten. Das war nun ihr »Wigwam«. O, es war ein feines Leben. Schon weil es eine Unterbrechung der Anstaltsordnung war. Man schlichtete seine Habseligkeiten um sich her auf, man teilte den Tag ein, wie man wollte, die Hausglocke stand still, der Stundenplan hatte kein Anrecht mehr.

Einen Tag vor dem heiligen Abend kam das Weihnachtspaket von Tante Konstanze. Trotz Magengeschwür hatte sie es rechtzeitig befördert. Ja, diese Tantenpakete. Immer war es eine vielgereiste dünne Schachtel, ein wenig zusammengeleimt, mit verschiedenerlei vielgeknoteten Schnüren zusammengebunden. Aus jedem Knoten sprach die feste, starke Hand, aber auch die Sparsamkeit, die nehmen muß, was da ist, und die treue Liebe, die mitteilen muß aus dem Wenigen, das sie besitzt. Zitternd hoben die Kinder den Deckel. Da lag in Fichtenzweigen für jeden eine Stolle, für jeden ein Säcklein mit Äpfeln und Weihnachtsgebäck, Pfeffernüßlen und Marzipan und Zuckerzeug und Zimtsternen, für jeden ein Weihnachtsspruch, für jeden eine silberne Nuß vom Worninger Christbaum. Als sie die Nuß herausnahmen und das Silber an ihren Händen sahen, das die daheim mit spitzen Fingern an die Schale gedrückt hatten, ergriff sie das Heimweh. Sie mußten sich eine Weile abwenden und das tränenüberströmte Gesicht vor einander und vor den Kameraden verbergen, ehe sie das übrige auspackten: die Schlittschuhe, ein Paar selbstgestrickte Strümpfe und Pulswärmer, die Briefe der Tante und der Geschwister. Trotz Magengeschwür hatte sie wieder geschrieben, – wie sie eben schrieb, in ganz gleichmäßigen, deutlichen Zügen, fest, mütterlich, lockend. »Aber dann das nächste Mal!« Zum Schlüsse erbat sie sich die umgehende Zusendung der Zeugnisse.

Von der Anstalt wurde den Zehn im Speisesaal beschert. Daß ihnen ein eigener Baum gewidmet war, merkten sie nach Bubenart erst, als man sie darauf aufmerksam machte. Als ihr Weihnachtslied verklungen war, wurden sie reichlich beschenkt. Eduard mit einem Laubsägekasten und Klaviernoten, da demnächst sein Klavierunterricht beginnen sollte, Reinhart mit einer funkelnagelneuen Dreiviertels-Geige in glänzend schwarzem Kasten. Tante Konstanze hatte darum gebeten, als sie um Wünsche der Kinder befragt worden war. Sie dachte es sich als einen Bestandteil des »lieblich traulichen« Zusammenlebens in ihrem Hause, wenn die Brüder miteinander musizieren würden, und sie hoffte, daß schon in der Fremde die Musik sie Zusammenhalten würde.

Die Kunst des Eislaufes hatte man auf elenden, viel zu kurzen Schraubenschlittschuhen schon in Worningen gelernt. Eine halbe Stunde von Steingarten im Walde lag ein Weiher mit prächtigem Eise, da durfte man nun die neuen, feinen Schlittschuhe einweihen. Einige Lehrer waren gleichfalls dageblieben und beteiligten sich. Am Abend wurde vor dem Einrücken in die Anstalt ein großer Umweg gemacht. Glitzernd stand der Weihnachtshimmel über der kleinen Schar. Daheim dampfte auf dem Tische ein reichlicheres Abendessen als sonst. Im Wigwam spendete der Ofen gemütlichere Wärme, die Petroleumlampe brannte traulicher, über dem Genusse des Geschichtenbuches stand kein »nur solange!«. O, es ging, es war keine schlechte Zeit, und man bedauerte es fast, als eines Tages gegen Abend die andern wieder von allen Seiten durch den knirschenden Schnee angestapft kamen, schwerer beladen als beim Auszug, mit knallroten Wangen, sichtlich erholt, – aber alle ein wenig gedrückt und unlustig, – als die Glocke wieder zu läuten und der Stundenplan wieder zu regieren begann, – als die Wiederaufnahme des Anstaltslebens dem schönen Wigwamleben ein Ende machte. –

Außer dem Hausvater und einem der anderen Herren waren alle Lehrer junge Anfänger. Andere waren nicht zu bekommen, denn die Anstalt hielt zwischen Staats- und Privatunternehmen die Mitte, und auf so schwankenden Boden mochten fast nur junge, unternehmende Leute den Fuß setzen.

Auch Reinharts neuer Lehrer Leser war ein ganz junger Mann. Er war zart und blond, streng wie alle und alles im Hause, aber ein Mensch mit persönlichem Einschlag. Daß er aus guter Familie war, merkte man sofort. Auch galt er als tüchtiger Musikus. Wenn er im Schulsaal die Aufsicht führte, las er in Notenheften, anscheinend mit dem selben Vergnügen, mit dem ein Anderer in einem Buche liest. Oft saß Reinhart abends auf der Treppe vor seiner Zimmertür und lauschte seinem Geigenspiel, das ihm überirdisch schön erschien. In der Klasse war er ganz Schulmann. Auch er, der feine Mensch, verschmähte den Stock, der in Steingarten so viel galt, nicht ganz. Reinhart nahm sich vor, es mit Leser zu halten. Er hoffte auf eine Art stiller Freundschaft wie bei Grallath. Allein es kam nicht so weit, – Leser mußte sein Herz auf achtzig Zöglinge verteilen, er war ja nicht nur Lehrer seiner Klasse, sondern zugleich Anstaltserzieher und daher für alle da.

Beim Eintritt in die zweite Klasse hatte ihm Reinhart mit dem Sicherheitsgefühl des Anerkannten und Wohlgelittenen sein gutes Worninger Zeugnis überreicht. »Laß' es so bleiben!«, klang es ihm süß in die Ohren. Allein die zweite Klasse stellte entschieden höhere Anforderungen als die erste. Anfangs, solange das Worninger Fett vorhielt, ging es ganz gut. Dann aber setzte plötzlich ein Ansturm neuer Dinge ein, dem die wenigsten gewachsen waren. Auch Reinhart verlor das Gefühl der Sicherheit. Die Fülle der Verbalformen, die gegen sein Hirn anmarschierte, die Ausnahmen über Ausnahmen, die sich darum bewarben behalten zu werden, die viel schwierigeren Rechnungen, die Klarheit und Erfindungsgabe zugleich voraussetzten, der wissenschaftlichere Betrieb der Geographie, alle diese Forderungen legten sich schwer auf den kleinen Worninger, dem keine anreizenden Belohnungen, keine ermunternde Tante, aber auch keine fördernden Kameraden mehr zur Seite standen. Er wollte ja allein sein. So hatte er auch keine Helfer, die ihm dies und das ein wenig erleichterten. Er kam noch mit. Doch der Worninger Schwung fehlte. Die Ergebnisse der Skriptionen waren nicht mehr die angenehmen Überraschungen von ehedem, sondern Erfüllungen trüber Ahnungen. Es war nicht immer leicht, Tante Konstanzes Befehl, alle Noten heim zu berichten, nachzukommen. Ihre Briefe enthielten auf der ersten Seite immer mehr Ausdrücke der Enttäuschung, auf der zweiten und dritten Mahnungen und Warnungen, erst auf der letzten Seite kamen dann Mitteilungen über das Kleinleben daheim.

Leser verschmähte, wie gesagt, den Stock nicht ganz. Ein Strafmittel verwarf er aber, so häufig es auch sonst im Hause angewendet wurde, den Fasttag.

Es brauchten keineswegs große Verbrechen zu sein, – die Wiederholung eines oft beredeten Schnitzers, das Vergessen eines Buches oder Präparationsheftchens genügte –, um in Steingarten den Richterspruch: »Fasttag!« zu begründen. Der Betroffene hatte nicht den ganzen Tag zu fasten, nein. Er hatte nur die Hauptmahlzeit des Tages, das Mittagessen, zu überspringen. Doch durfte er, während die anderen aßen, nicht etwa im Schulsaale sitzen oder ein wenig an die Luft gehen, sondern er hatte im Speisesaal hinter dem »Herrentisch« am Klavier zu stehen. Auch er durfte die Hände falten und mit danken, aber er durfte nicht mit essen. In den seltensten Fällen stand er allein am Pranger. Meist hatte er Kameraden. Nicht selten standen die Missetäter groß und klein vom Klavier bis an das Schubfenster, durch das die Speisen aus der Küche in den Saal hereingereicht wurden, still und ergeben vor sich hin blickend.

So lange Reinhart Leser zum Lehrer hatte, stand er nicht am Klavier, erst später und dann häufig. Gedanken über das Recht oder Unrecht dieser Einrichtung hat er sich damals nie gemacht. Auch die Kameraden nicht, auch die Eltern nicht. Vielleicht auch die Herren Strafverhänger nicht. Es war eben so Brauch und was war, war recht. Erst später hat man sich eines Tages im Blitzlicht plötzlicher Erleuchtung gesagt: das ist Unsinn und Unrecht. Ein Mittagessen überspringen ist für Mönche und andere ausgewachsene Willensmenschen eine Kleinigkeit, weniger für einen Buben, der im Wachsen ist. Wohl dem, der auf Grund kleiner Gefälligkeiten Beziehungen zur Küche hatte. War er durchs Schubfenster hindurch von den Mägden auf seinem Strafposten gesehen worden, so bedurfte es nur eines heimlichen Eindringens in die Küche, um eines Stückes Brot teilhaftig zu werden. Oder war gar gerade Backtag, so stellte man sich im Hofe vors Hinterhaus, in dem die Backstube war, und konnte sicher sein, daß ein Brocken glühend heißen, halbgaren Teiges aufs Pflaster flog vor die Füße des gierig danach Haschenden.

Die Nahrungsfrage spielte bei den Steingartener Zöglingen eine über Gebühr wichtige, geradezu beherrschende Rolle. Frühmorgens gab es einen Becher Milch, dazu einen Weck und ein kleines Stückchen Brot. Der Weck hieß »Zwock«, das Brot wahrheitsgemäß »Brötle«. Beide waren zum Lebensunterhalt unentbehrlich. Ehe man sich zum Frühstück niedersetzte, suchte man noch schnell mit dem Nachbarn zu tauschen, wenn sein Zwock oder Brötle um ein Gramm schwerer zu sein schien. Aber eben weil so heiß begehrt, waren beide ein geschätzter Tauschartikel. Briefmarken, Laubsägen, Schusser, all die kleinen Reichtümer des Knabenlebens wurden damit gehandelt. Es konnte vorkommen, daß einer um einer seltenen Marke willen wochenlang sich die Hälfte des ohnehin bescheidenen Frühstücks versagte. Natürlich wurde auch der Kipf gehandelt, der um zehn Uhr während der Schulpause in Empfang genommen wurde. Viele gingen um eines Käfers oder um einer Raupe willen hungrig in die zweite Hälfte des Vormittags. Das Mittagessen war genügend. Freilich so recht von Herzen satt wurde man selten. Der gefürchtete Tag war der Samstag, an dem es aus irgendwelchen Gründen an der Sorgfalt in der Zubereitung gebrach. Höchst beliebt waren die Tage, an denen es »Baunzen« gab, Kartoffelnudeln in Fingerform. Lange vor dem Glockenzeichen staute sich im Flur vor dem Speisesaal die lüsterne Menge, die dann mit dem Ruf »Baunzen!« in das Heiligtum stürmte, wo die Leckerbissen bereits abgezählt auf dem Wachstuch neben dem Teller lagen. Schnellfingerigen gelang es, rasch noch eine fettere gegen eine magere umzutauschen. War die Griessuppe verzehrt und lagen die Baunzen im Teller, so kam Johann, der Hausdiener, und schüttete die Hutzeln darüber.

Nachmittags vier Uhr gab es ein tüchtiges Stück Schwarzbrot, das jede Klasse reihum durch einen Boten holen ließ. Wohl dem Boten! Er konnte sich unter zwanzig und mehr Stücken das größte aussuchen, unter Umständen dem Johann beim Schneiden des letzten Stückes ein wenig aufs Messer drücken. Am Sonntag nachmittag lag im Speisesaal neben jedem Brot ein Häuflein kleiner süßer Äpfel, mit denen man schmunzelnd die Taschen füllte, – wiederum ein hochgeschätzter Handelsartikel. Abends halb acht Uhr nach der Arbeitsstunde gab es das Abendessen, meist warm, am Sonntag im Winter Tee und Weißbrot, im Sommer Griessuppe und helleres Brot mit Butter und Käse.

Ja, es war merkwürdig, fast unheimlich, welche Bedeutung dem Essen beigelegt wurde, wie man von einer Mahlzeit auf die andere wartete, wie man besonders die hohen Feste der seltenen Gerichte: Dampfnudeln, Baunzen, Metzelsuppe, Kartoffelstopfer, Eierhaber sehnsüchtig herbeiwünschte und dann mit inbrünstiger Hingabe beging. Alles in allem war die Kost ausreichend, aber auch nicht mehr. Es war daher nicht verwunderlich, daß viele Eltern ihren kleinen Rekruten ab und zu unter die Arme griffen und ein Paket schickten, einen »Pack«, wie der Anstaltsausdruck lautete. Der ruhte dann im Schrankfach und gestattete beliebige Zulagen, bis der Hausvater diese Nebenmahlzeiten Bevorzugter auf zwei, vormittags eine und nachmittags eine, einschränkte. –

Als der Frühling kam, wurde eifrigst » gestickelt«. Das war ein feines Spiel. Und da Reinhart für alles, was Kraft und Gewandtheit erforderte und im Freien geschehen konnte, von Worningen her Lust und Geschick hatte, war er, der Einspänner, als Stickelgegner nicht unbeliebt. Auch wußte man, daß er kein Rechthaber und kleinlicher Profitmichel war. Er spielte, um zu siegen; aber er spielte auch, um zu spielen. Und Reinhart war glücklich, wenn er mittun durfte. Mit Hochgefühl ließ er, wenn mehrere Stickel tief zur Erde geneigt sterbend in ihren gelockerten Löchern hingen, eine Art Solo spielend, einen nach dem andern fliegen, daß es splitterte.

Auch in Steingarten kamen mit den ersten Frühlingsknospen die Schussersäcke zum Vorschein. Allüberall auf den sandigen Wegen wurde geschustert. Ganze Systeme von runden Löchern zeigten, wie fleißig dem Spiele obgelegen wurde. –

Nach Weihnachten schrieb Tante Konstanze: »Was ist? Bittet doch einmal um Erlaubnis, nach Freudenau gehen zu dürfen!« Gleichzeitig hatte sie dem Hausvater dieselbe Bitte vorgetragen und ihn an sein gegebenes Versprechen erinnert. So kam es, daß an einem der nächsten Sonntagnachmittage die Brüder den eineinviertelstündigen Weg nach Freudenau wanderten. Sie sind ihn dann ziemlich oft gegangen.

Nach dem Mittagessen pflegte Hausvater Kratt noch ein Weilchen am Tische sitzen zu bleiben, um die Sonntagnachmittagsausgehwünsche seiner Zöglinge zu verbescheiden. Das war der Augenblick, da man sich zu seinem Haupte herabbeugte und um Erlaubnis bat: »Herr Hausvater, würden Sie gütigst gestatten, daß ich mit meinem Bruder heute nach Freudenau gehe?« Natürlich brachte anfangs Reinhart die Bitte vor, weil er der Ältere war. Allein sein Stottern ließ ihn regelmäßig so schmählich zuschanden werden, daß sich Eduard erbarmte und an seiner Statt frisch und glatt ihr Anliegen vortrug. Er war redegewandt, ein viel besserer Schüler, auch sahen seine Augen viel offener und treuherziger in das ernste Gesicht des Vorgesetzten, Reinhart war neben ihm die dürftigere Figur. Nickte Kratt, so war alles gut. Der Weg nach Freudenau stand offen.

Was war es eigentlich, auf das man sich dabei so sehr freute? Auf den Wald? Auf den Friedhof mit den zwei Gräbern? Auf die zwei leiblichen Schwestern, die man dort traf? Auf die anderen guten Menschen in Freudenau? Der Wald war mager, der Friedhof ein trüber Ort, das Zusammensein mit den Schwestern kurz und nicht immer ungestört, die anderen Menschen schienen kein rechtes Interesse an den zwei Steingartnern zu haben. Und doch freute man sich so ungeheuer, wenn Kratt mit dem Kopfe nickte. Man hatte einen Nachmittag zu freier Verfügung, man wanderte, Berg und Tal und Wald legten sich zwischen die Brüder und die Anstaltswelt.

Hatte man das wegen seiner angriffslustigen Bauernbuben berüchtigte Hopfgarten und die beiden stillen Weiher und den letzten Föhrenwald hinter sich, so tauchte Freudenau auf, vorn das unansehnliche, etwas unsaubere Dorf, dahinter das anmutige Häusergewimmel der »Anstalt«. Unwillkürlich hemmten die Brüder den Schritt und ganz langsam kamen sie, vorbei am Missionshaus mit der Inschrift: »Gehet hin in alle Welt und prediget aller Kreatur!«, vor der Wohnung des Leiters der Anstalt, des Herrn Antistes, an.

Das schlichte Haus lag ganz im Grünen, von den Bäumen einer weitläufigen Anlage umrauscht, von den Blumen des wohlgepflegten Gartens umduftet, auf der Abendseite von Weinlaub besponnen. Die tiefe sabbatliche Stille eines Freudenauer Sonntagnachmittags umgab es. Unübertreffliche Reinlichkeit blitzte aus den Fenstern, auf den Stufen und Fliesen des Eingangs.

Die Steingartener aber waren besonders im ersten Teil ihres Marsches nicht allen Pfützen ausgewichen und kamen deshalb oft mit ziemlich bespritzten Hosen und Stiefeln an. Sie klopften wohl, schon um die Zeit zu kürzen, ein wenig an sich herum, allein Freudenau versteht unter Sauberkeit etwas anderes. Zaghaft zogen sie die Klingel. Eine ältere Jungfrau in halbschwesterlicher Tracht öffnete und bedeutete sie flüsternd, daß der Herr Antistes jetzt nicht zu sprechen sei, auch seine Familie nicht, daß sie aber in der Küche sich ein wenig säubern könnten. Behutsam gingen sie auf den Fußspitzen über die blanken Solnhofer Platten und setzten in der warmen Küche das Reinigungswerk fort. Dann standen sie im Hofe, wo die große gelbe Ulmer Dogge ihre Hütte hatte mit der kunstvoll gemalten Überschrift »hier wohnt Doktor Faust«, turnten ein wenig an den Geräten, spähten nach den Obstbäumen, bis sie endlich zum Kaffee gerufen wurden.

In einem schmalen Zimmer, dessen Licht durch die vor dem Hause stehenden Bäume stark gedämpft war, saß der Herr Antistes an der Spitze der Tafel, zu seiner Rechten und Linken einige Diakonissen, weiter hinab seine Familie. In tiefem Respekt begrüßten die Knaben den angesehenen, einflußreichen, feinen Mann, der als ein Freund des Vaters Reinhart aus der Taufe gehoben hatte. Er bewillkommnete sie aufs gütigste, bewunderte ihr gutes Aussehen, fragte nach den Fortschritten auf Klavier und Geige, – er war selbst ein tüchtiger Geiger –, erkundigte sich nach Tante Konstanze und forderte sie auf, ihre Plätze inmitten seiner Familie einzunehmen, damit der Kaffee nicht kalt würde. Er fragte sie nicht: Kinder, seid ihr nun auch richtig eingewöhnt in Steingarten? Habt ihr schon geweint aus Heimweh? Wie geht es im Lateinischen und mit den verdammten Rechnungen? Was macht eure Steinburg und die Kastanienburg? Er ließ nach erfolgter Vorstellung und Begrüßung ganz von ihnen ab und widmete sich den Diakonissen, die mit allerlei Anliegen die Kaffeestunde zur Sprechstunde machten. Nur ganz selten, wenn es gerade stille im Zimmer geworden war, rief er irgendein Scherzwort zu den Steingartnern hinunter. »Buben, welches Volk geigt am besten?« und gab, da sie es nicht erraten konnten, die Antwort: »Die Österreicher, auch E-Streicher genannt.« Im übrigen aber waren die Kinder an die Familie gewiesen, vor allem an die Töchter. Die taten denn auch ihr Möglichstes. Sie schenkten ihnen Kaffee ein, bis ihre Backen glühten und ihnen die Stube zu heiß wurde. Sie schlichteten Semmeln, dick mit Butter und Marmelade gestrichen, vor ihnen auf und redeten den Schüchternen, die vor Scheu den Hunger verloren hatten, unermüdlich zu. Sie betrachteten die Kinder immer wieder von allen Seiten, um festzustellen, wem sie ähnlich wären. »Ganz der Vater!« »Ach, keine Spur, ganz die Mutter!« »Nein, ein Gemisch, ein fabelhaftes Gemisch!« »Aber jetzt sieh doch, diese Bewegung der Hand und die Haltung des Kopfes, einfach ganz der Vater!« Damit war Reinhart gemeint. »Das Etui seiner Mutter, ganz der Blick seiner Mutter!« Damit war Eduard gemeint. Die Knaben fühlten sich als Gegenstand eines eindringenden, ihnen aber wenig zusagenden Studiums, wußten nicht, ob sie Augen und Mundwinkel und Schultern heben oder senken sollten, fingen an scheu und unsicher zu werden und Flecken auf die Decke zu machen.

Es kam vor, daß dann die Türe aufging und zur Überraschung, wie von ungefähr, die inzwischen in Kenntnis gesetzten beiden Schwestern Susanne und Charlotte hereintraten. Mit ihnen durfte man nun ein wenig plaudern, erst in dem großen fremden Kreis, dann aber, nachdem man von dem Herrn Antistes und den Seinigen Abschied genommen hatte, allein für sich, und sich schließlich noch ein Stück von ihnen begleiten lassen.

Da es vier Kinder waren, der Bürgersteig des Dorfes aber sehr schmal war und man doch jeden und alles hören wollte, war es ein schwieriges Zusammengehen. Sie gingen mehr in Form eines Knäuels oder eines mißglückten Kreises, der sich beständig verkleinerte, wenn sie sich genauer verstehen wollten, und sich erweiterte, wenn sie zu heftig aufeinander gestoßen waren. Sie sprachen ohne Zusammenhang. Anfangs lauter gleichgültiges Zeug über Anstaltseinrichtungen, Stundenplan, Lehrer, – Dinge, die das Leben füllten, aber nicht das hungernde Herz.

Ganz von selbst nahmen sie den Weg zum Friedhof, am Hospiz des Diakonissenhauses und am Missionshaus vorbei, dann hinter den Dorfhäusern über die Wiesen. Waren sie da angekommen, so waren sie schon ziemlich zusammengewachsen, wenn auch das Bild des schwankenden Kreises das gleiche blieb. Da zogen die Schwestern einen Apfel aus der Tasche und gaben jedem der Brüder einen, einen der unansehnlichen, buckeligen, schrumpfeligen Worninger Äpfel, wie Tante Konstanze sie in die Pakete legte. Den schenkten sie den Brüdern. Kaum hatten diese den Apfel berührt, so waren die Seelen der Kinder vollends eins. Die vier Herzen flogen heim ins Kinderparadies unter die Bäume, auf denen die Äpfel wuchsen, in die Stube, wo Tante Konstanze die geknoteten Schnüre um die Schachtel schlang. Und nun floß der Redestrom und sie waren ganz Zweiglein eines Stammes.

So stiegen sie über die niedrige Mauer des Friedhofs, der auf dieser Seite kein Tor hatte, und traten an die Gräber der Eltern. Die ruhten da nebeneinander unter einem Hügel und unter einem Kreuz, auf dem geschrieben stand: »als die Sterbenden und siehe, wir leben«. Sie standen still und ließen sich gegenseitig nicht merken, daß sie noch immer nicht recht verstanden, was sie verloren hatten. Sie fanden das Grab schön in Ordnung, den Efeu üppig, das Marmorkreuz würdig. Sie sagten dann gar nichts mehr, als sie fühlten, daß sie das, was hier zu sagen wäre, doch nicht trafen. Ganz drunten aber in der Seele wurde langsam die Erkenntnis geboren, die Erkenntnis ihres Verlustes und die Erkenntnis des dunklen Wortes: »als die Sterbenden und siehe, wir leben«.

Still und ein wenig bedrückt von ihrem Unvermögen und von ihrer Scheu sich gegeneinander auszusprechen, aber in Liebe neu und innig verbunden, stiegen sie wieder über die Mauer und gingen noch ein Stück zum Dorfe zurück bis zu der Stelle, da ihre Wege sich trennten. Da griffen Susanne und Charlotte nochmals in die Tasche und zogen eine Semmel hervor, die sie den Brüdern in der Anstaltsbäckerei gekauft hatten, stopften sie ihnen in die Manteltaschen und sagten: »Wir müssen heim und ihr auch! Kommt fein bald wieder!« Damit löste sich der kleine Kreis. Die Mädchen gingen unter viel Umwenden und Winken ihrer Anstalt zu, die Knaben verschwanden, als sie nichts mehr von den Schwestern erkennen konnten, hinter den letzten Häusern des Dorfes. Zwischen den auseinander eilenden Kindern lagen die Elterngräber, friedevoll und unbeweglich, als ein starker Magnet, der sie immer wieder an sich zog. Immer wieder kamen sie, diese und die andern, als Kinder, als Männer und Frauen, mit ihren Frauen und Männern, mit ihren Kindern und Kindeskindern. Immer klarer wurde ihnen die Kreuzinschrift: »als die Sterbenden und siehe, wir leben!«

Es dunkelte meist schon, wenn Reinhart und Eduard den Wald betraten. Dorf und Friedhof waren verschwunden, die Gedanken wendeten sich Steingarten zu, der neuen Woche mit ihren Forderungen, dem Schweren, Ungewissen, das nun von neuem vor ihnen stand. Reinharts Herz wurde schwerer und schwerer, – ach, wenn er doch recht von Herzen fröhlich in das große Haus, in die fremde Knabenschar, in die starre Hausordnung, in den Stundenplan hineingehen könnte! Das lähmende Gefühl des Unvermögens überkam ihn. Aber – hatte er nicht soeben sein eigen Fleisch und Blut gegrüßt, hatten sie nicht soeben am Grabe von Vater und Mutter gestanden … fühlte er nicht in seiner Tasche den Worninger Apfel? War das alles nicht Herzensstärkung gewesen? Schweigend, mit bekümmerter Seele humpelte er in der Dämmerung hinter Eduard her, der über Sandgeleise und Baumwurzeln den Weg wies. Als die hellerleuchteten Fenster ihrer Anstalt vor ihnen lagen, mahnte der Jüngere zur Eile. »Du, ich glaube, wir kommen wieder zu spät.« Schweißtriefend erreichten sie den Anstaltshof, spähten durch die Fenster, warfen die Mützen auf den nächsten Schrank, schlichen in den Schulsaal, wo am Sonntagabend keine Aufsicht gehalten wurde und mischten sich unauffällig unter die andern. Sie kamen regelmäßig zu spät, bis es auffiel. Leser war der erste, der es merkte. Er rief die Knaben auf sein Zimmer und ermahnte sie eindringlich. Der zweite, der sie abfaßte, war der Elementarlehrer Schlosser. Er ließ sie nicht auf sein Zimmer kommen, sondern verabreichte gleich auf dem Hausflur jedem der Brüder eine Ohrfeige, die der Kraft seines Armes alle Ehre machte. Von da an kamen sie rechtzeitig von Freudenau zurück. –


Der Frühling kam ins Land. Mit anderen holden Gaben brachte er die Osterferien. Tante Konstanzes Befinden hatte sich gebessert, sie konnte die Kinder kommen lassen.

So durften Reinhart und Eduard kräftig mit einstimmen in den Ruf: Schlußtag! Schlußtag! Mit einer der ersten Reisegenossenschaften wanderten sie den zweieinhalbstündigen Weg zur Eisenbahn. In Günzlingen wurde der zweistündige Aufenthalt zur Besichtigung der Stadt, aber auch zu reichlichem Genuß der Bratwürste, durch die die Bahnhofswirtschaft berühmt war, verwendet. Die schwierige Frage, ob man dem Kellner ein Trinkgeld zu geben habe, wurde schließlich im bejahenden Sinne entschieden. Der Turm von Worningen tauchte auf, Schloß und Schloßgarten, am Bahnhof standen die beiden Kleinsten mit dem Handwagen, durch die Stadt und den Schloßgarten ging's in die Mühlstraße zum »Palais«.

Tante Konstanze umschlang ihre Kinder und sagte: »Nun seid ihr wieder daheim, seid's nur auch!« Sogleich aber fügte sie hinzu: »Hört, ihr seid aber ziemlich dreckig. Nehmt nur gleich einmal jeder eine Bürste und bürstet euch auf der Gartentreppe erst einmal gründlich aus!« Als das geschehen war und sie wieder in die Stube getreten waren, war ein feiner Empfangskuchen aufgetragen, und unter viel Fragen der Kleinen und Forschen der Tante und gegenseitigem überstürzten Erzählen saßen sie wieder einmal am heimatlichen Tisch.

Auch nach den Zeugnissen fragte die Tante sehr bald. »Sie sind im Koffer.« »Nun, so holt sie nur gleich!« Während Eduard mit gutem Gewissen ein ausgezeichnetes Zeugnis vorlegen konnte, mußte Reinhart die Augen niederschlagen, als er das seinige danebenschob. Noch war von Gefährdung des Aufsteigens nicht die Rede, aber daß er von dem früheren »Sehr gut« auf die Stufe der Mittelmäßigkeit herabgesunken war, war klar. Tante Konstanze war schon im Begriffe, sich ganz dem Schmerze darüber hinzugeben und zu einer scharfen Ansprache auszuholen, da besann sie sich noch rechtzeitig auf das, was Vormund Bergfried ihr in Voraussicht des Kommenden fest auf die Seele gebunden hatte. »Sie werden weder sich selbst aufregen, noch den Buben über Gebühr demütigen! Sonst bekommen Sie wieder ein Magengeschwür und ein Seelengeschwür dazu, das Sie so leicht nicht anbringen, und das Kind verliert die Liebe zu Ihnen und zu seiner Worninger Heimat und hat schließlich gar keinen Menschen und gar keine Heimat. Sie überlassen die Auseinandersetzung mit Reinhart mir als Vormund!« Das Wort Vormund hatte für sie einen bezaubernden Klang, so entschloß sie sich zu gehorchen, gab dem Kinde sein Zeugnis zurück und sagte: »Du gehst morgen damit zu deinem Vormund!«

So geschah es auch. Während Eduard mit den Kleinen schusserte, ging er mit dem Zeugnis zum Vormund. Der saß wie gewöhnlich im Kontor an seinem Fenster, als Reinhart mit unendlicher Bescheidenheit und jeglichem Verzicht auf Selbstrechtfertigung vor ihn trat und zu stammeln begann. Bergfried erhob sich sofort, nahm den Knaben mit ins Wohnhaus hinüber, führte ihn in die gute Stube und bot ihm einen Sofaplatz an, während er sich ihm gegenüber auf einen Stuhl setzte. »Womit kann ich dienen, Reinhart?« Dieser überreichte das Zeugnis. Der Vormund trat ans Fenster und las es langsam und gründlich. Dann kam er zurück und gab dem Knaben das Blatt wieder. »Also dein Betragen wird gelobt, das freut mich sehr, ganz außerordentlich freut mich das. Weniger dein Fleiß und infolgedessen auch deine Fortschritte. In Latein und Rechnen stehst du nun auf einem Dreier.« Reinhart begann zu weinen. Da öffnete Bergfried der Orgelbauer, der schon manches verstimmte und verwahrloste Instrument zu neuem Leben erweckt hatte, sein Herz und brachte Reinharts verstimmte, verstaubte, schwachklingende Seele wieder in Ordnung. Er sprach ihm seine feste Überzeugung aus, daß er im Gedenken an seinen hervorragenden Herrn Vater bald wieder ein tüchtiger Schüler würde. Und als er, der aus den Augen des Kleinen allerlei herauslas, fragte, wie es ihm in Steingarten gefiele, erzählte ihm Reinhart, so gut ein aufgeregter Stotterer eben erzählen kann, ohne zu beschönigen, wie es war. Da zog Bergfried die Brauen hoch und sagte: »Lieber Reinhart, sieh, du mußt ganz praktisch denken. Du mußt dort aushalten, weil ihr halt eine zahlreiche Familie seid. Du mußt dort aber auch gern aushalten, damit es nicht heißt, du seist ein Heimwehkranker und schwächer als die vielen andern, die die Heimat auch entbehren müssen. Strenge dich an, sei ein bißchen liebenswürdiger, erwirb dir Freunde und, denk an mich, du hast dort ein ganz schönes Leben.« Dagegen ließ sich nichts sagen. Erleichtert erhob sich Reinhart, steckte sein Zeugnis ein, dankte dem weisen Manne und sprang die Mühlstraße hinunter. Tante Konstanze fragte nicht, was sie verhandelten, sie war sich aber klar, daß Bergfried Eindruck auf ihn gemacht hatte, und sie war gehorsam genug, dem Gebote des Mannes zu entsprechen.

Reinhart lebte nun sichtlich auf. Es war ihm tiefste Befriedigung, in Garten und Flur die lieben alten Wege zu gehen, in die reinen Wellen der Worn zu starren und die Fische zu zählen, im Hundswinkler Wäldchen den Frühling zu belauschen. –

Diese Ferien brachten ihm aber auch ein Erlebnis, ein richtiges Erlebnis, das ihm zeitlebens vom Zauber des Unerklärlichen umrankt blieb.

Tante Konstanze schickte ihn in die Hofapotheke, Arznei zu holen. Der Provisor Krauß ließ ihn warten, bis sie allein waren, und begann ein Gespräch mit ihm. Wo er auf der Schule wäre und wie es ihm ginge und was er treibe während der Ferien, ob er auch sammle, Käfer oder Briefmarken oder sonst etwas. Reinhart sagte, daß er sich in Steingarten eine Briefmarkensammlung angelegt habe, die schon ziemlich gediehen sei. Da forderte Krauß den Knaben auf, mit seinem Album am Nachmittag des anderen Tages, den er dienstfrei habe, ihn auf seinem Zimmer in der Apotheke zu besuchen.

Mit Wonne folgte er der Einladung, der auch Tante Konstanze nicht hinderlich sein wollte.

Der Provisor saß in seinem Zimmer vor zwei Kaffeetassen, deren eine er alsbald für Reinhart füllte. Beim Konditor Glaser hatte er Kuchen holen lassen. Er gab sich so freundschaftlich und kameradschaftlich, daß Reinhart bald ganz und gar auftaute und tief beglückt war von dem Vertrauen, mit dem ihm ein um so viel Älterer entgegen kam. Schließlich sagte Krauß: »Und nun will ich dir etwas zeigen. Da du auch Markensammler, Philatelist, bist, sind wir ja Kollegen. Ich will dir mein Album zeigen.« Damit holte er ein dickes Briefmarkenalbum aus der Schublade und schlug es auf. Reinhart wollte seinen Augen nicht trauen. Was er bisher in schwarzen Vordrucken oder im Traume geschaut, erblickte er hier in Wirklichkeit: die Türme von Hamburg, den halben Adler von Bergedorf, den erhaben geprägten Adler des deutschen Reiches, die großen Ziffern der Thurn und Taxis, das Roß von Hannover, die vornehmen alten Bayern – darunter der schwarze Einser in schlichter Größe –, aber auch große Sätze von Nordamerikanern mit den Bildern der Präsidenten, Chile, Mexiko, alte Chinesen und Japaner und Ägypter, dazu neue Exoten mit Papageien, Elefanten, Paradiesvögeln, Schwänen, Segelschiffen; … alle fünf Erdteile waren für Reinharts Begriffe unerhört gut vertreten.

Krauß sah mit Vergnügen in die funkelnden Augen des Knaben. »Sieh,« sagte er, »mein bisheriges Album genügt mir nicht mehr. Ich habe mir ein neues großes Schaubeckalbum gekauft, es ist auch bereits angekommen. Ich will nun in diesen Tagen die Marken in das neue Album transferieren, – weißt du von transferre, übertragen. Ich würde mich freuen, wenn du mir dabei helfen wolltest. Frage doch deine Fräulein Tante, ob du abends, solange du noch hier bist, zu mir kommen darfst, das Geschäft mit mir zu besorgen! Übrigens kannst du deine Sammlung einstweilen da lassen, ich möchte doch sehen, was du hast.«

Betäubt von der Größe des Erlebnisses sprang Reinhart nach Hause. Unter Würgen und Stammeln erzählte er, was ihm widerfahren war, und Tante Konstanze gab ihm die Erlaubnis hinzugehen, so oft er Herrn Krauß willkommen wäre. Sie kannte den jungen, schwarzlockigen, bebrillten Mann nur ganz flüchtig von der Straße her, aber sie schenkte ihm seiner Bildung und Stellung wegen ohne weiteres Vertrauen und hielt es für Ehre und Gewinn für Reinhart, mit einem solchen Manne verkehren zu dürfen.

So saß er denn Abend für Abend im Zimmer des Provisors, oder, wenn dieser Dienst hatte, im Laboratorium. Neben ihnen stand ein großes, flaches Gefäß mit lauwarmem Wasser, in das legten sie die zerschnittenen Blätter des alten Albums mit den kostbaren Marken. Hatten diese sich vom Papier gelöst, so wurden sie sorgsam auf dicke, weiße Löschblätter gelegt zum Trocknen. Waren sie vollkommen trocken, so wurden sie mittels kleiner Papierfalze kunstgerecht in das neue Album »transferiert«, jede an den genau vorgeschriebenen Ort. Krauß, der gerne Fremdwörter gebrauchte, lehrte seinen Schüler jede Art von »Lädierung« erkennen und sportsmäßig benennen, von der Verblassung der Farben und kaum merklichen Fadenscheinigkeit bis zu den groben Beschädigungen der Zacken und dem Fehlen ganzer Ecken, – Dinge, auf die Reinhart bisher nicht so viel Gewicht gelegt hatte. Er lehrte ihn aber auch die feinen Farbentöne unterscheiden, z. B. weiß und chamois bis grau, die Wasserzeichen, Seidenfäden, kleine Unterschiede im Aufdruck und in der Zeichnung, die den Wert der Marke unter Umständen ungeheuer beeinflußten, die verschiedenen Arten der Zähnung, den Unterschied von Stahlstich und Kupferstich. Eine neue Welt tat sich vor dem Knaben auf, eine Kleinwelt, die aber in allerlei bedeutsame Gebiete des Lebens einen Einblick tun ließ.

Als sie zum letzten Male beisammensaßen, machte ihm Krauß eine Eröffnung, die an Wichtigkeit schlechthin nicht überboten werden konnte. Er sagte in seiner gemütlichen, lässig sachlichen Art: »Ich sehe, du hast Sinn für die Sache der Philatelie. Da ich mehr Käfersammler bin als Markensammler, so lade ich dich ein, fortan das Markensammeln gemeinsam mit mir zu betreiben. Ich schlage dir vor, wir werfen unsere beiden Sammlungen zusammen. Alle Marken gehören dann uns beiden miteinander.«

Reinhart wußte wohl, daß seine Beisteuer neben der des Freundes nicht in Betracht kam, – er hatte eigentlich nur ein paar bessere Frankreich und Spanien beizusteuern –, aber was hätte er anderes tun können, als beschämt und beglückt in die dargebotene Rechte einzuschlagen und in das ungleiche Kompagniegeschäft einzutreten. –


So stand der erste Sommer in Steingarten stark unter dem Zeichen des Markensammelns. Reinhart hatte sein eignes kleines Album mitgenommen. Dazu hatte ihn Krauß mit Doubletten und sonstigen »gewöhnlicheren Sachen« reichlich versehen. Kam er damit nicht zum Ziele, so fastete er, gab unbedenklich das Frühstücksbrötchen oder den Vormittagskipf dran, soviel und solange es gefordert wurde. Dachte er doch dabei an den Beifall des Freundes in Worningen, der seine Beharrlichkeit loben würde. Dieses Sammeln zwang ihn aber auch, mehr unter die Kameraden zu gehen. Er pirschte sich da und dort an, wo er in einem Markenalbum blättern sah oder von Marken reden hörte, er fing selbst Gespräche darüber an und unterhielt Beziehungen zu den Besitzern von Seltenheiten.

Krauß schrieb alle 14 Tage ein kameradschaftliches Brieflein, worin er berichtete, daß er wieder schöne neue »Sachen« für das Schaubeckalbum »erworben« habe, die sein »Kompagnon« in den Ferien sehen müsse, ebenso über allerlei Wissenswertes aus der Philatelistenzeitung. Er redete mit dem kleinen Schüler wie mit einem guten Kameraden. Doch ermahnte er ihn auch regelmäßig zum Fleiß in der Schule.

Wie gerne nahm Reinhart Ermahnungen aus solchem Munde an! Nach wie vor arbeitete er für sich allein, ohne fremde Hilfe. Aber es war nun auf einmal ein merkwürdiger Schwung darin. Laut lernend – auch das hatte ihm Krauß angeraten – schritt er in den Freistunden unter den Bäumen umher. Im stillen Schulzimmer seiner Klasse zeichnete er freiwillig Karten aus dem schönen lithographierten Schulatlas, dem kleinen Stieler. Auch für den Geigenunterricht, den Leser mit ihm begonnen hatte, hatte er noch Zeit übrig. Sein Sprechen war, seitdem seine ganze Stimmung sich gehoben hatte, entschieden besser. Noch war er nicht glücklich in Steingarten, aber er hielt sich; er merkte, er wuchs und gewann Boden. Er schloß sich ruhig als Gleichberechtigter an, wenn geschussert wurde. Wenn man an den heißen Nachmittagen zum Schwimmen nach dem nahen Flüßchen ging und den »Neuen« durch allerlei Quälereien auch hier den Einstand abverlangte, zeigte er, daß er längst schwimmen konnte, auf dem Rücken, auf dem Bauche und auf der Seite. Da ließen sie von ihm ab und sahen ihn als voll an. Kratt ernannte ihn, um ihn zum Sprechen und zum Verkehr mit den Kameraden zu nötigen, zu seiner »Gehilfin« bei der alle Samstage stattfindenden Ausgabe von Schreibwaren und durfte erleben, daß Reinhart seine Sache nicht übel machte, auch von den Kameraden gut behandelt wurde. Sein Stern war im Aufgehen. Aus seinen Augen sprach wohl noch nicht der Frohsinn des Versorgten, aber doch ein guter, tapferer Wille: wenn schon, denn schon.

Und als, wie alljährlich, im Frühling ein großes Stück Gartenland in 80 kleine Teile verteilt wurde und jeder 4-6 Quadratmeter »Mutterland«, dazu ein entlegenes weiteres Stückchen, das irgendwo angefallen war, als »Kolonie« zu eigener Bebauung empfing, gab sich auch Reinhart mit Eifer gärtnerischen Bestrebungen hin. Ja, er wußte bald zu seiner Kolonie noch eine zweite zu erwerben, – es war die Zeit, da Deutschland Kolonien erwarb und die Namen Herero, Ovampo, Wadschagga durch die Luft schwirrten –, die er einem für Kleinsiedelungen weniger Begeisterten abschwätzte. Sie war freilich ein ganz kleiner Fleck, neben den Wurzeln einer großen Linde, – aber man hatte eine Kolonie mehr, gleichviel, ob sie ertragreich war oder nicht. Wenn nur die eigene Flagge darüber wehte. O diese Gärten und Gärtchen waren eine gute Einrichtung in Steingarten! Sie gaben Gelegenheit, sich als Meister in der Beschränkung zu zeigen und das deutsche Herz zu offenbaren, das liebt, auch wenn kein Geschäft zu machen ist.

So verging der Sommer. Mit der Erlaubnis zum Aufsteigen in die dritte Klasse zog Reinhart mit Eduard, der nun in die Lateinschule eintreten durfte, in die Ferien. Sein Zeugnis war allerdings wieder recht mittelmäßig und stach von den glänzenden Noten Eduards stark ab. Aber er war befriedigt, daß er sein Ziel erreicht hatte.

Vormund und Tante waren weniger erfreut und mahnten zu eifriger Benützung der Ferien zur Arbeit. So saß denn Reinhart täglich unter der Traueresche, die im Garten vor der Halle stand und übersetzte drauf los. Fünfzig Übersetzungsstücke waren als Ferienaufgabe auferlegt worden, für jeden Werktag eines. Er erledigte in den ersten Ferienwochen das ganze Werk, zwei Hefte voll. Und als das vollbracht war, ging er ans gemütliche Repetieren. Als Steingarten seine Pforten von neuem öffnete, machte er die Reise mit ziemlich gutem Gewissen, – er war nicht faul gewesen. Auch sonst war die Stimmung nicht schlecht. Er wäre tausendmal lieber in Worningen geblieben, aber als Tante und Brüder die Ferienbuben in den Zug hoben, sagte er sich: Es geht, weil es muß. –

Der zweite Herbst in Steingarten begann. Reinhart war nun in der dritten Klasse. An Lesers Stelle war Kratt selbst getreten. Einige Zeit hielten die Früchte des Ferienfleißes nach, bald aber wurde es wieder zu schwer. Der Unterricht brachte immer mehr Dinge, die ihm nicht einleuchteten. Da er zu scheu war, den Lehrer um besondere Aufklärung zu bitten, und zu einspännerisch, sich an die Kameraden zu wenden, kam immer mehr Unverstandenes zusammen. Er sah mit Neid, wie andere miteinander berieten und sich gegenseitig halfen, – er blieb für sich. Er beobachtete, wie sein Pultnachbar Teicher alle acht Tage einen wie gestochen geschriebenen Brief von seinem Vater erhielt, worin dieser dem Sohne das neue Lateinpensum erklärte. Es fiel Reinhart nicht ein, um ein Brosamlein vom Tische dieses Reichen zu bitten. Bei den Großen war er wegen seines neu erwachten Trotzes nicht gut angeschrieben. Und Leser war nicht mehr sein Lehrer.

Da beschloß er, durch eisernen Fleiß zum Ziele zu gelangen. In aller und jeglicher Freizeit lief er mit einem Buche, laut lernend, im leeren Schulzimmer, im Garten, im Hofe, die Grenze entlang, auf und ab, ließ Stickeln und Schussern und Wurfkegelbahn – im Gärtchen gab es jetzt ohnedies nichts mehr zu tun – und ochste und repetierte wie keiner. Und doch, und doch kein Segen. Die Probearbeiten wurden schlechter und schlechter, die Briefe an Tante Konstanze im Punkte Schulbericht immer unvollständiger und gewundener, die Briefe der Tante immer ernster und strenger. Die Freudigkeit, die während des Sommers so schön aufgesproßt war, erstickte unter den Schullasten, denen er nicht mehr gewachsen war. Sein Sprechen verschlechterte sich wieder. Er stammelte entsetzlich, so daß man ihn kaum mehr aufrufen konnte. War er besonders gut vorbereitet, so brachte er in der Gier, seine Ware an den Mann zu bringen, nichts heraus. Hatte er ein schlechtes Gewissen, so blieben ihm die Trümmer, die er zu bieten hatte, im Halse stecken.

Kratt wußte nicht recht, wie er ihn anfassen sollte. Da er ihn nach seiner äußeren Erscheinung und seinen Leistungen im Spiel für körperlich kräftig und seelisch widerstandsfähig hielt, versuchte er es mit der Strenge. Er nahm ihn auf seinem Zimmer scharf vor und schüttete eine Flut von Mahnungen und von Erinnerungen an Eltern und Vormund und Tante und Pflicht der Dankbarkeit gegen die Anstalt und an verdorbene Zukunft und Zurückstehen hinter dem kleineren Bruder über den runden braunen Kopf aus. Reinhart sah zu Boden und wurde irre an sich selber. Hatte er nicht seine fünfzig Übersetzungsstücke in vierzehn Tagen gemacht unter der Esche, während die andern auf dem Buschel Trauermäntel und Fuchsen fingen, – hatte er nicht, seitdem es wieder so schwer ging, nichts anderes im Kopfe als die Schule? – Lief er nicht wie ein Wilder umher und ochste und ochste? – Hatte er nicht sogar das Markensammeln eingestellt? Warum half alles nichts? – War er wirklich faul? – oder – – reichte es bei ihm halt nicht? Herrgott, da hatte er's zu denken gewagt! Vielleicht reichte es nicht mehr bei ihm. Noch niemand hatte ihm das gesagt. Alle hatten gesagt, du kannst, wenn du willst! – War es doch möglich, daß er zu dumm war? Dümmer als sein Bruder? Dümmer als die Kameraden? – Hinweg mit dieser Versuchung! Reinhart sah seinen Erzieher scheu an und sagte so treuherzig, als er es vermochte, stammelnd und in willigem Glauben an seine Schuld: »Ich will fleißiger sein.«

Und dann kamen sie auf das Sprechen. »Reinhart, du stotterst ganz schrecklich und du weißt doch, daß das nur Willensschwäche ist; du denkst nicht an dich, wendest deine Methode nicht an. Ich möchte deiner Tante auch darüber bald Besseres schreiben.« Reinhart wußte, wie er mit seinem Sprechübel rang, mit diesem unausrottbaren Pfahl in seinem jungen Fleisch. Er trug weiß Gott schwer an der Unfähigkeit, über seine Zunge zu verfügen, am Spott der Kameraden, an dieser lähmenden Hilflosigkeit, an dem Unvermögen, das ihm oft gerade in Augenblicken tiefster seelischer Erregung, der Freude oder des Leids, verwehrte, auszusprechen, was ihm drängend aus dem vollen Herzen aufstieg, – schwer auch an dem sich immer erneuenden Zweifel: ist's Schwachheit oder ist's Schuld? Sollte er glauben, ich bin und bleibe ein Stotterer, ein Stammler, wie der Gehilfe des Stadtpfeifers auf dem Stadtturm, der gut blasen aber nicht zusammenhängend reden konnte? – Hinweg mit dem versuchlichen Gedanken! Er hob den Kopf und sagte gehorsam: »Ich will mir Mühe geben.« Da entließ ihn Kratt, fest entschlossen, es vorläufig einmal mit dem Draufdrücken zu versuchen.

Und da er wirklich draufdrückte, Reinhart aber sich keinen anderen Verstand und keine andere Zunge einsetzen konnte, so stand dieser bald zum »Fasten« am Klavier. Es war ihm unendlich peinlich. Weniger der Verzicht auf das Essen, – das ließ sich ertragen und allenfalls ersetzen –, als die ganze Lage. Hier stehen und zusehen, während die andern aßen, Kratt und seine Frau und die Lehrer und die Gehilfinnen am Herrentisch und die Kameraden an den langen Tafeln! Er war froh, als er die Hände zum Dankgebet mitfalten und dann als der erste aus dem Saale entschlüpfen konnte.

Die Bitte, nach Freudenau gehen zu dürfen, fand fortan nicht immer Gehör. »Wenn du dich besserst, – Eduard kann gehen, gegen den liegt nichts vor.« Aber Eduard ging nicht ohne den Bruder.

Ach, und der Spätherbst mit seinem Blätterfall und die dürftige Landschaft, die mit Worningen eben nicht zu vergleichen war! Es fröstelte ihn wieder wie im ersten Herbst. Auch kam so gar nichts Erwärmendes, ihn seine kümmerliche Lage vergessen zu lassen. Wenn wenigstens eine einzige Probearbeit einen Sieg gebracht hätte! Aber da war nichts als Mittelmäßigkeit und bald ging's unter diese hinab. Reinhart versank in trübe Stimmung. Weihnachten kam heran. Er bedauerte, daß diesmal kein Hindernis der Heimreise wehrte. Er vermochte nicht mit einzustimmen in den Jubelruf: »Schlußtag!« Sollte er auch pappen und laubsägen wie die andern und daheim Geschenke überreichen? Das hätte fast so ausgesehen, als wolle er gut Wetter erkaufen – und sein Zeugnis würde doch einen Sturm entfesseln. –

In der Tat, – es Tante Konstanze vorzulegen, war keine Kleinigkeit. Sie war einigermaßen vorbereitet, aber so schlecht hatte sie es sich doch nicht gedacht. Wo war der Ruhm, den er in der ersten Klasse geerntet hatte? Auf der ganzen Linie war er jämmerlich zurückgegangen, noch nicht ganz auf dem Grunde, aber er schwamm nur noch mühsam.

Tante Konstanze hatte wieder von Kommerzienrat Bergfried die Weisung erhalten, die im Anschluß an die Zeugniseröffnung zu ergreifenden erzieherischen Maßnahmen mit ihm zu besprechen. So beschränkte sie sich darauf, den Knaben so bekümmert anzusehen, als ihr das möglich war; ihn gewissermaßen mit der ganzen Not ihres enttäuschten Mutterherzens zu überschütten. Reinhart fühlte den langen, lähmenden Blick, sah nicht auf und zog sich dann in eine kalte Stube zurück, um Verba zu wiederholen.

Konstanze ging mit dem Zeugnis zum Vormund. Bergfried setzte den Zwicker auf und besah lange das schlimme Blatt. Betragen sehr gut, Fleiß mittelmäßig und dann die geringen Noten. »Gut ist anders«, meinte er dann. »Im übrigen, Fräulein Konstanze, auch ich kann mit solchen Zeugnissen aufwarten. Auch meine Söhne haben mich damit reichlich bedacht. Auch bei mir sind die dunkelsten Ahnungen übertroffen worden. Soll ich mir nun dadurch mein Weihnachtsfest verpatzen lassen? Ich habe es nicht im Sinn. Ich habe ihnen meine Meinung gesagt und für Nachhilfestunden nach den Feiertagen gesorgt, aber das Fest bleibt, was es ist. Liebes Fräulein Konstanze, machen Sie es auch so! Das mit dem Dreier im Fleiß ist ja gar nicht wahr. Ich kann Sie versichern, Reinhart ist nicht faul. Er ist mindestens fleißig genug. Aber er ist viel zu langsam und umständlich und Melancholiker und Einspänner und Grübler dazu. Es langt halt nimmer recht bei ihm. Ich denke, wir lassen ihn heuer repetieren, gönnen ihm ein Wiederholungsjahr zum Ausruhen und Frohwerden. Der Mensch ist keine Maschine. Verschonen wir ihn darum auch mit Nachhilfeunterricht! Was er selbst für sich arbeiten will, mag er tun. Aber das Fest soll nicht verdorben werden, weder für Sie, liebes Fräulein Konstanze, noch für ihn. Im Gegenteil. Machen Sie es ihm zu Weihnachten einmal besonders nett und heimelig, das vorige Jahr ist er ohnedies darum gekommen. Lassen Sie ihn Weihnachten, Weihnachten in der Heimat spüren!«

Tante Konstanze hatte anfangs mit Unwillen den Worten des Mannes zugehört, die ihr fast oberflächlich, das Leben zu leicht nehmend, mehr für Kommerzienratssöhne als für Pfarrwaisen zutreffend erschienen. Als er aber von der Ausgestaltung des Weihnachtsfestes, von der Erweckung des Heimatsgefühles sprach, war sie gewonnen. Das war so recht etwas für sie: den ihr anvertrauten Kindern eine trauliche Heimat, ein liebliches Fest bereiten, ja das wollte sie.

Reinhart rechnete damit, daß ihm seine Niederlage als selbstverschuldet angerechnet würde und er sie wohl schwer werde büßen müssen. Er rechnete mindestens mit einer derben körperlichen Züchtigung. Da ihm das aber zu wenig erschien, auch mit der stillschweigenden Übergehung des Weihnachtsfestes. Wie erstaunt war er, als er sah, daß Tante Konstanze in gehobener Stimmung vom Vormund zurückkam und als weder von dem einen noch von dem andern die Rede war.

Vielmehr ergoß sich ein Strom von Tantenliebe über sein gequältes Herz.

Konstanze führte den Knaben in die prinzliche Hauskapelle hinauf und zeigte ihm ein Tannenbäumchen, das sie Adventsbaum nannte. Es trug nur ganz wenig Lichter und als einzigen Schmuck eine Fülle von Spruchkarten mit den Verheißungen dessen, der da kommen sollte, von der Ankündigung der Feindschaft zwischen Weibessamen und Schlangensamen bis zum »Naheherbeigekommen« des Täufers. Reinhart war gerührt von der Güte und Weichheit seiner Erzieherin, die ihm, wie er wohl ahnte, mehr zeigen wollte, als das Bäumchen mit den reinlichen Spruchkarten. Er fühlte, sie wollte ihn in das Heiligtum ihres eigenen Herzens einführen und ihm damit einen Beweis ihres Vertrauens geben. Er fühlte, daß sie ihn wie einen kleinen Hirten auf den Gang zur Krippe sinnig vorbereiten wollte. Aber er wußte nicht recht, was sagen. Es war ihm ja nie gegeben, religiöse Eindrücke wortreich zu unterstreichen. So blieb er eben auch diesmal stumm dem religiösen Aufruf gegenüber, dessen Kraft er wohl spürte. Konstanze ehrte seine Veranlagung und sagte: »Sieh', ich hab' dir das nur zeigen wollen, weil du nun allmählich für solche Dinge ein Verständnis gewinnen mußt. Übrigens, daß du es weißt, ich möchte mit dir und deinen Geschwistern diesmal ein besonders schönes Weihnachten feiern. Von deinem Zeugnis wird nicht weiter gesprochen, ich hab' es bereits unterschrieben und in deine lateinische Grammatik gelegt; ich weiß, zu Ostern wird es besser und bis zu den großen Ferien ganz gut. Du wirst natürlich ein wenig wiederholen nach dem Fest. Das Fest selbst aber wollen wir recht vergnügt und schön miteinander feiern. Ich bin dir nicht mehr böse.«

Reinhart war zu unbeholfen, auch zu unfrei, um durch irgendeine Freudenbezeugung seiner tiefen Dankbarkeit und Überraschung Ausdruck zu geben. Da ein Gefühl der Entlastung ihn belebend bis in die Fingerspitzen durchdrang, tappten seine Finger nach einer der Spruchkarten und rollten sie zusammen, bis der prächtige, steife Karton krachte. Konstanze glättete ihn wieder und mahnte: »Und nun haben wir alle Hände voll zu tun für den heiligen Abend.«

Es wurde ein schönes Weihnachten. In allem Wesentlichen genau so wie die anderen Worninger Weihnachten auch und doch wieder anders.

Wieder erschöpfte man sich in Vermutungen über den Inhalt der Pakete, die aus treuen Freundeshänden so zahlreich eintrafen, im Erraten der Geschenke, mit denen man sich gegenseitig erfreuen wollte. Witz und Neckerei wagten sich hervor und bald war Reinhart der lauteste und lustigste. Sein Witz und all seine Schalkhaftigkeit und sein starkes Bedürfnis, sein Licht leuchten zu lassen, brachen hervor und er war glücklich, zu sehen, wie die Geschwister sich an seinem Feuer erwärmten und an seinen Einfällen erhitzten und von seiner Schlagfertigkeit entzückt waren.

Als am heiligen Abend gegen sechs Uhr Tante Konstanze das letzte Licht angezündet hatte, setzte sie die kleine silberne Tischglocke mit dem Ebenholzgriff in Bewegung und ließ ihre Kinder eintreten. Zu sechst, sonntäglich gekleidet, bewegt, zogen sie ein. Vorn die vier kleinen Buben, hinter ihnen die beiden Freudenauer Mädchen, die andern waren anderswo zerstreut. Sie stellten sich vor den in der Ecke stehenden strahlenden Lichterbaum. Hinter ihnen stand Konstanze, die Stange mit dem Löschhorn in der Hand. Sie sangen, Eduard begleitete schlecht und recht am Klavier. Sie sagten ohne Stocken im Chor das Weihnachtsevangelium auf. Dann suchte jedes seinen Platz. Ach, es dünkte sie so viel, wenn auch nicht viel auf den Tischen lag. Es waren Gaben der Liebe und Fürsorge, mühsam selbst gearbeitet von der zweiten Mutter für ihre Kinder. Es waren aber auch Gaben der Treue, wahrer Freundestreue, aus Händen, die einst in den Händen der Eltern geruht hatten, aber auch von Menschen, die die Eltern nicht persönlich kennen und doch lieben gelernt hatten. Und unter einem der Fenster lagen auf einem Brett sechs kleine Christstollen.

Nach den Feiertagen brachte die Abfassung der Dankesbriefe einige unfrohe Stunden. Die Arbeit der Gedankensammlung und dann das Schreibgeschäft selbst wußte man dadurch zu kürzen, daß man in umständlicher Aufzählung aller, auch der kleinsten Geschenke den kostbaren Raum verschwendete.

Der Beginn der Schule winkte, Reinhart griff nach Grammatik und Rechenbuch, die Tante stopfte und wusch und bügelte. Am Tage vor der Abreise ging er, das zweite Mal in diesen Ferien, zu Herrn Krauß, dem Apotheker. Die Heiterkeit des Knaben, sein so viel sichereres, frischeres Auftreten hatten den Freund auf die Meinung gebracht, daß Reinhart in der Schule gut stehe. So fragte er gar nicht nach seinen Fortschritten, sondern gab sich ganz der Freude an dem schmucken, selbstsicheren Burschen hin. Beim Abschiedsbesuch aber überraschte er ihn mit einer wunderbaren Eröffnung: »Ich habe nächstens ein wichtiges Examen zu machen, das mich nicht zum Sammeln kommen läßt. Ja, ich darf jetzt gar nicht viel an Briefmarken denken. Da hab ich gedacht, du kannst das Album, das fertig geklebt ist, mit nach Steingarten nehmen. Ich setze voraus, daß du unsere gemeinsame Sammlung auf jede Weise schonst. Sie hat einen hohen Wert. Zeige sie nur ganz wenigen, gib sie nie weg, auch nicht in die Hand des besten Freundes! Wenn du müde von der Schularbeit bist, dann blättere ein wenig in dem Buche und verschließe es hernach sogleich wieder in dein Pult! An Ostern bringst du es mir wieder mit.« – Damit nahm er den wohlbekannten, starken roten Band aus der verschlossenen Schublade, schlug ein paar Seiten alte Deutsche auf, ließ die Augen zärtlich darüber laufen und murmelte: »Schöne Sachen!« Dann schlug er das Buch in einen großen Bogen ungebrauchten, braunen Einschlagpapiers, verschnürte das Paket kunstgerecht und überreichte es dem erstaunten Knaben. Der dankte, versprach alle Wünsche des Kompagnons zu erfüllen und lief nach Hause. Tante Konstanze erzählte er aber nichts von dem Wunderbaren. Es gelang ihm, den Schatz unbemerkt in den Koffer zu schmuggeln, der tags darauf in aller Frühe von den kleinen Brüdern zur Station gefahren wurde.

Die ganze Schar zog zum Bahnhof, vier Kinder reisten ab, in gleicher Richtung, zwei blieben zurück. Die Größeren hatten in der Ferne Weihnachten gefeiert. Als der Zug heranbrauste, hob Tante Konstanze den Finger. »Also, Reinhart, du weißt, was ich von dir erwarte, denke an deine Tante!« –

In Steingarten freuten sich die »Herren« über seine runden Backen und seinen helleren Blick, schrieben aber beides den Ferien als solchen zu. Von seinem inneren Aufschwung erfuhren sie nichts.


Und er blieb wieder eine Weile frisch. Besonders bei den Dingen, die ihm immer Freude machten, tat er fast fröhlich mit.

Alle Abende zog man, in Abteilungen sich ablösend, in die Wichskammer zur »Wichspartei«. Reinhart brachte es nicht zum Abteilungschef, zum »Wichskommissär«, aber er wichste eifrig mit und präsentierte dem aufsichthabenden Lehrer die blanken Stiefel gern und mit einer kleinen Verbeugung, die etwas wie Ulk sein sollte. Die Hauptsache dabei aber war ihm der gemeinsame Gesang, der das Wichsen begleitete und beflügelte.

Überhaupt sang man in Steingarten gern und gut. Die Singstunde am Samstag von 11-12 Uhr, die die ganze Zöglingsschar samt den Städtlesbuben um das Lehrerpult im Arbeitssaal versammelte, war hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Zucht für den jungen Elementarlehrer nicht leicht. Aber er verstand es, in den Knaben Freude am deutschen Volkslied zu wecken. Wenn der zweistimmige Gesang brausend über ihm zusammenschlug, leuchteten Reinharts Augen und sein Mezzosopran steuerte bei, was er zu geben vermochte, – auch ein Stotterer kann ja singen ohne zu stottern. Am Sonntag nach dem Vormittagsgottesdienst versammelten sich die Herren sowie ein Teil der singbegabten weiblichen Bewohner des Hauses mit den besten Knabensängern im Betsaal um das Harmonium, von dem aus der Elementarlehrer dirigierte. So lernte Reinhart auch vierstimmige gemischte Chöre kennen.

Da das neue Jahr noch viel schönen Schnee brachte, wurde jede Freizeit dazu benützt, den Anstaltsberg hinab zu schlitteln.

Allein Wichspartei, Singen und Schlitteln verbesserten seine Leistungen in der Schule nicht. Es ging abwärts, immer weiter abwärts. Er rannte umher und wiederholte, – umsonst. Immer häufiger stand er fastend am Klavier. Da verlor sein Auge wieder den Glanz und sein Einspännertum wurde schlimmer als zuvor. Dadurch aber ward er von neuem unbeliebt.

Woran es nur lag, daß sie ihn nicht mochten, nun erst recht nicht mochten? Trotz seines guten Willens, ihr guter Kamerad zu sein! –

Das hatte allerlei Gründe. Reinhart war früher zurückgezogen und scheu gewesen und hatte sich nun seit Weihnachten auf einmal herausgemacht, sich richtig verändert. Das paßte manchen nicht. Sie wollten ihn einfach nicht aufkommen lassen, sondern ihn just so haben, wie er früher war: demütig und zahm und unsicher und anspruchslos. Sie wollten den Emporkömmling ducken. Ferner gefiel ihnen nicht sein romantisches Suchen nach einem Spezialfreund. Eigentliche Freundschaften gab es in der Anstalt nur ganz wenige. Es gehörte zum guten Ton, sich an einer allgemeineren Kameradschaftlichkeit genügen zu lassen, die es mit jedem hielt, der nicht gerade in Verschiß getan war. Auch beobachteten sie mit Verdruß, wie er die Briefe seines erwachsenen Freundes Krauß, über den er dann und wann Andeutungen machte, immer wieder las, inbrünstig, Wort für Wort, wie er seine Seele dran sättigte, bis er die Blätter mit verklärten Blicken wieder in sein Pult verschloß.

Bald waren sie auch dahinter gekommen, was es mit dem dicken, roten Buche für eine Bewandtnis hatte, das er zu unterst im Pulte verborgen hielt, mit dem er sich nur heimlich, wenn wenige im Saale waren, bei halbgeöffnetem Pultdeckel beschäftigte, das er niemand zeigte. Man sah, daß es eine Markensammlung war, und es war durchgesickert, daß es eine ungemein kostbare Sammlung war. Fabelhafte Gerüchte gingen darüber um. Der »große Worninger« besaß etwas, das keiner von ihnen besaß und kaum je besitzen würde, etwas, das er für viel zu gut hielt, um es ihnen zu zeigen, etwas, von dem er fürchtete, sie könnten es ihm stehlen.

Und dazu kam noch etwas. Reinhart mochte sich dem, was »Anstaltston« war, nicht fügen. Er wollte innerhalb der Demokratie der Anstaltler Aristokrat sein, seinen eigenen Stil haben. Wenigstens in gewissen Dingen. Es galt als selbstverständlich, daß nach einer gewissen Zeit jeder Zögling sein Eingewöhntsein dadurch offenbarte, daß er sämtliche Anstaltsausdrücke nicht nur kannte, sondern auch gebrauchte. Reinhart haßte diese Gleichmacherei. Immer wieder machte er sich über die in langer, geheiligter Überlieferung festgelegte Sprache lustig, nannte sie blöde und roh und ihre Anhänger Sklaven. Besonderen Anstoß nahm er als Halbschwabe an der aus Nürnberg eingewanderten marklosen, weichlichen Sprechweise. Sein Freund Krauß sprach hochdeutsch, Tante Konstanze desgleichen, auch die besseren Leute in Freudenau, sicherlich hatten auch seine Eltern die Dinge bei ihrem richtigen Namen genannt. Der Einspänner begriff nicht, warum er sich dem schlechten Geschmack der Masse anschließen sollte. Erst in letzter Linie stand ihm der Grund, der ihm eigentlich der wichtigste hätte sein sollen, Mosetters strenges Gebot, um des Stotterns willen stets gut und richtig zu sprechen.

Sodann waren ihm gewisse Anstaltsgebräuche, altüberkommene Gepflogenheiten, die lediglich um ihres Alters willen geheim und öffentlich sorgsam geübt wurden, in der Seele zuwider. Er sah in ihrer Fortpflanzung weiter nichts als Gedankenlosigkeit und stumpfsinniges Getue.

Als er nun eines Abends auf einer der Schulbänke im Arbeitssaal sitzend sich wieder nicht genug tun konnte, über den Anstaltsbrauch zu höhnen, und nach immer neuen giftigen Ausdrücken suchte, seinem vereinsamten, hassenden Herzen Luft zu machen, ergriffen ihn plötzlich ein paar Fäuste und rissen ihn von seinem Sitze herunter. Ohne Kommando – der Geist war auch über sie gekommen – nahm ihn eine Schar in die Mitte und zerrte ihn auf den dunklen, schneebedeckten Hof hinaus. Da trieben sie ihn in einen von hohen Holzstößen gebildeten Gang und hielten grausame Abrechnung. Ein Hagel von Schneeballen und nicht bloß von Schneeballen überschüttete ihn in immer neuen Salven. Und als er schnaufend am Boden lag, rieben ihn die Größten, die eigentlichen Träger der Überlieferung, so lange mit Schnee ein, bis ihrer kochenden Seele Genüge geschehen war. Reinhart wehrte sich, solange es ging, dann heulte er still vor sich hin. Als sie von ihm abgelassen hatten, schlich er, ohne an der Abendandacht teilzunehmen, in den Schlafsaal hinauf. Niemand merkte etwas, weder von seinem Fernbleiben, noch von der Strafvollstreckung, noch von deren Ursachen.

Da er dadurch wieder hart und unzugänglich geworden war, mehrte sich auch der Haß seiner persönlichen Feinde, gegen die sich seine abschließende, »aristokratische« Art gelegentlich in wildem Trotz und bissigem Hohn aufbäumte. Auch ohne besonderen Anlaß wurde er mehrmals von einzelnen ganz gehörig verprügelt. Stumm ertrug er die Gemeinheit. Dabei war aber doch verwunderlich und ward ihm schmerzlich bewußt, daß ihm kein Schützer erstand. Auch blieben sämtliche Mißhandlungen ungesühnt bis auf zwei. Einmal meldete Eduard den Fall, – unter Einsatz seiner eigenen Sicherheit. Und ein andermal sah der Elementarlehrer von seinem Zimmer aus, wie er unter die Räuber fiel. Zu Beginn der nächsten Arbeitszeit warf dieser sich auf den Peiniger und verabreichte ihm eine Tracht Prügel, in der sich sein ganzer Haß gegen den frechen Quäler eines Schwächeren Genüge tat, in der er aber auch die schwere Ohrfeige abwusch, die er Reinhart verabreicht hatte, als dieser zu spät von Freudenau heimgekommen war.

Kratt hatte seine Mittel, Reinhart zu höheren Leistungen in der Schule anzuspornen, erschöpft, die abschreckenden und die ermunternden auch. Da griff er zum letzten. Das war sonst die körperliche Züchtigung. Er fühlte jedoch, daß sie in diesem Falle lähmend und nicht erfrischend wirken würde. Nein, das letzte war in diesem Fall, daß er Reinhart die Markensammlung, von deren Vorhandensein er erfahren hatte, wegnahm und bis zu den nächsten Ferien verschloß. Auch wurde Reinhart beauftragt, Herrn Krauß davon in Kenntnis zu setzen. Kratt konnte sich von der Ausführung dieses Auftrags überzeugen, da bis zur vierten Klasse alle abgehenden Briefe dem Hausvater offen übergeben werden mußten. Es war dem Knaben ein qualvoller Augenblick, als er sein Trösteinsamkeit, das schöne Schaubeckalbum, das einzige Stückchen Romantik, über das er verfügte, an Kratt auslieferte. Dann aber wunderte er sich, wie schnell er darüber hinweg kam. –

Der März kam, der Frühling erwachte. Auch Reinhart drang er durch Leib und Seele. Eine wilde Sehnsucht erfaßte ihn, aus sich herauszutreten, irgend etwas zu unternehmen, dadurch er in die Welt hinausschrie: auch ich bin ein Mensch, so gut wie ihr. Nun, er tat's, freilich ganz ungeschickt und erfolglos.

Er stieg fauchend und brummend, ein wildes Tier nachahmend, auf einen Obstbaum im Hof, unter dem gerade geschussert wurde, und rief, Torheit und Schmach wagend, in verzweifeltem Werben in den Schwarm hinunter: »Hu, ich bin ein Pavian, und wer mich nicht mag, den fresse ich, hu, ich bin ein Pavian!« Seine Selbstbezeichnung wurde sofort angenommen und fortan hieß er der Pavian. Nicht zu seiner Freude. Denn erst nachträglich erkannte er, daß aus fremdem Munde der Name Spott und Hohn bedeutet: »Du Aff' von einem Menschen!«

Der Wunsch, aus sich herauszutreten, den das Frühlingserwachen in ihm wach gerufen hatte, erweckte in ihm aber noch einen anderen Wunsch, die vermehrte Sehnsucht nach einem Freund, nach einem Spezialfreund. Es konnte sich nur um einen handeln, um den, der ein Jahr vorher beim Marsch in die Weihnachtsferien in aufrichtiger Herzenswallung zu ihm gesagt hatte: »Wenn ich wieder komme, gehen wir zusammen.« Der aber war seitdem nie wieder mit ihm gegangen. Ja, er mied ihn, obwohl er auch in der dritten Klasse war. Er peinigte ihn nicht, aber er verteidigte ihn auch nicht. Er bot sich nie zur Hilfe bei Schularbeiten an. Er hielt sich fern. Und doch hatte Reinhart die starke Empfindung, daß zwischen ihnen noch etwas lag, das zur Aussprache kommen müsse. Er liebte den schmächtigen, sommersprossigen Schwarzkopf mit den sprühenden Augen, der so von Herzen fröhlich sein konnte. Er verehrte den gründlichen Arbeiter mit der zähen Sorgfalt, den schlagfertigen Wortkämpfer mit dem überlegenen Witz, sein geordnetes, straffes, männliches Wesen, sein wohlaufgeräumtes Pult, seine schlichte, klare, schnörkellose Handschrift. Ja, er liebte Firmus Stang, und er merkte wohl, daß er mindestens nicht zu seinen Feinden gehörte. Auch er war von anderer Rasse als die Träger der Anstaltsüberlieferung. Warum aber kam er nicht? Es war doch ausgeschlossen, daß Reinhart, der nichts zu bieten hatte und gar kein Ansehen besaß, sich ihm näherte. So blieb es bei der Verehrung aus der Ferne und dem heißen Wunsche, Firmus Stang zum Freunde zu gewinnen.

Da kam der andere. Ganz einfach ging es zu. Es war auf einem der einstündigen Spaziergänge, der »Triebe«, wie man sie nannte, da gerieten sie aneinander. Stang lief Wörter lernend am oberen Rande eines tiefen Hohlweges, Reinhart unten in der schmalen Schlucht. Da fiel es Stang ein, die steile Böschung herunter zu springen. Er stolperte aber und fiel in die Arme Reinharts, die sich ihm höflich auftaten. Da kamen sie in ein Gespräch. Reinhart, der leidenschaftlichere, erzählte begeistert von den Freuden der Heimat im allgemeinen und denen der letzten Ferien im besonderen. Firmus, gleichfalls Sohn eines verstorbenen Pfarrers, erzählte von der Mutter, die mit wenigem einen großen Kinderkreis unterhielt und beglückte. Da fanden sich die Herzen. Zwei Angehörige der gleichen Rasse waren, nachdem sie sich lange insgeheim umkreist halten, zusammengekommen. »Du, Reinhart, wir gehen also jetzt miteinander. Ich habe niemand gescheiten und du außer deinem Bruder gar niemanden.« Beglückt sagte Reinhart zu. »Ich habe mir das schon lange gewünscht, aber du bist immer nicht gekommen.« Und dann fingen sie an miteinander zu reden, was sie miteinander treiben wollten. Sie wollten nun zusammen arbeiten und lesen, ihre Gedanken über das Gelesene austauschen, im Sommer miteinander Käfer sammeln, vor allem, das war des Firmus Lieblingsgedanke, miteinander ein Spiel erfinden, das man für nächste Weihnachten anfertigen und den Geschwistern mitbringen könnte.

So war es denn so weit. Reinhart hatte einen Freund. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchströmte ihn, die Gewißheit, daß nun ein neues, reicheres Leben für ihn beginne, angesichts dessen er bereit war, alle Nöte der bisherigen Steingartener Zeit aus seinem Gedächtnis auszulöschen. Ein Mensch, der besser war als er, hatte sich ihm zugeneigt. Mit dem Vorsatz, das neue Glück ganz auszukosten, die neue Welt mit ihren Wundern in ehrfürchtigem Staunen zu durchwandern, reichte er am Abend des denkwürdigen Tages vor dem Niederlegen Firmus die Hand.

Er konnte nicht ahnen, daß er schon nach drei Tagen den Freund wieder verlieren würde.

Reinhart hatte von einem der älteren Brüder zu Weihachten einen »Mentor« bekommen, einen hübschen, braunen Schülerkalender zum Eintragen der Aufgaben, den er aber mehr als Tagebuch benützte. Da hinein schrieb er unter dem denkwürdigen Datum einen kurzen Bericht des großen Ereignisses, den er mit den Worten schloß: » Et amici eramus« (Und wir waren Freunde). Irgendeiner mußte den Mentor entwendet haben. Denn drei Tage später wurde dem Eigentümer das betreffende Blatt, das aus dem Tagebuch herausgerissen worden war, vor die Nase gehalten, während von allen Seiten höhnisches Geschrei erscholl: » Et amici eramus, et amici eramus!« Es paßte der Masse nicht und reizte sie zu höhnischem Protest, daß sich zu dem Sonderling und Einspänner, zu dem querköpfigen Eigenbrötler und eingebildeten Aristokraten ein Kamerad gesellt hatte, der ihnen nun wohl auch kritisch gegenübertreten würde.

Der Mentor gab aber auch sonst Stoff zur Verspottung. Da stand unter einem der letzten Freitage: »Heute gab es Eierhaber. Ziemlich viel bekommen. Es waren 5-7 große Brocken dabei.« Das war durchaus der Wahrheit entsprechend und bei der gewaltigen Bedeutung, die man in Steingarten aus guten Gründen dem Essen beilegte, durchaus der Erwähnung im Tagebuch wert; – die Anstalt hatte bei bescheidenen Einnahmen viele satt zu machen. Aber die Spottlust war nun einmal erwacht. »Pavian, Pavian …, es waren 5-7 Brocken dabei, 5-7 Brocken!« Reinhart hatte nur zu Papier gebracht, was alle innigst empfanden, als sie die ausnahmsweise recht ansehnliche Portion des seltenen, hochgeschätzten Gerichts andachtsvoll verschlangen. Er aber hatte es niedergeschrieben. Er hatte sich lächerlich gemacht.

Und Firmus? – Firmus Stang zog sich zurück, sofort und ganz. Er mischte sich nicht unter die Schreier, aber er wollte nichts mehr von Reinhart, dem Sonderling, wissen. Wäre dieser ein wenig älter gewesen, es hätte ihn ein gesunder Haß gegen die Menschen befallen. Da er aber noch gar so jung war, auch keinerlei Ansprüche an die Menschen und an das Leben zu stellen gewohnt war, duckte er sich unter die neue Enttäuschung, sagte dem Abtrünnigen kein Wort des Vorwurfes, versuchte nicht seine Freundschaft zurückzugewinnen und ging wieder allein seinen Weg. – –

Ohne Freundschaft, mit einem miserablen Zeugnis ging er in die Osterferien.

Vormund Bergfried befand sich auf einer längeren Geschäftsreise. Tante Konstanze, deren Gesundheit wieder zu wünschen übrig ließ, hatte also ohne seine Besänftigung den Eindruck des Zeugnisses zu verarbeiten. Sie ließ das Schreckliche ungehemmt auf sich wirken, trat aber auch sogleich in die Gegenwirkung ein. Sie holte ihre ehernen Begriffe von Gerechtigkeit und Konsequenz hervor. »Der Knecht, der seines Herrn Willen weiß und tut ihn nicht, der muß doppelte Streiche leiden.« »Ein Vater, der der Rute schont, der hasset seinen Sohn.« »Milde kann auch Schwäche sein.« Sie erinnerte ihn an das »liebliche Weihnachtsfest«, das in erster Linie ihm gegolten habe.

Gleichwohl ließ sie, um der kleineren Geschwister willen, aber auch der geheiligten Sitte wegen, den ersten Osterfeiertag nicht ohne Ostereiersuchen vergehen. Während jedoch die Kinder Eier und Hasen suchten, schritt sie fern von ihnen um die kahlen Felder, die sich außerhalb des Gartens gegen die Worn hinabziehen, aufrecht wie eine Kerze, eine stumme Predigt: »Ich kann heute nicht mit euch fröhlich sein, Reinhart hat mir die Freude verdorben.«

Ach Gott, ja – was waren das für Osterferien! Eine furchtbare Zeit. Wenn sie nun wieder zu Kräften kam und ihm sein Teil verabreichte? Und ob es irgend etwas helfen würde? Reinhart saß im kalten Zimmer neben der Küche und starrte stumpf und verbittert über die lateinische Kasuslehre hinweg. Dann warf er das gefürchtete, unverständliche Buch in die Schublade, glitt durch die Hintertür und sprang von der Steinmauer in den Garten hinab. Brütend und fröstelnd in der Steinburg sitzen, tat ihm noch am wohlsten. Die hatte ihn treu begleitet nach Karlsruhe und in die Anstalt. Trotzig saß er in dem Steinhaufen, den er so oft in unendlicher Lust schäumenden Lebensgefühls gestürmt hatte und haßte sein verpfuschtes, elendes Leben. Fleißig sein half nichts, er kam ja doch nicht mit, und anständig und selbständig und ritterlich und tapfer sein half auch nichts, die ganze blöde Bubengesellschaft in Steingarten verstand ihn ja doch nicht. Hochdeutsch reden und Atemübungen machen nützte ebenfalls nichts, er blieb ein Stotterer. Am liebsten wäre er nimmer aufgestanden, sondern als Stein liegen geblieben. Aber die Kälte trieb ihn fort. Der Mittagsstunde und des mahnenden Magens nicht achtend – wie hatte man sich auf die heimatlichen Mahlzeiten gefreut! – ging er durch den Garten, vorbei an der Kastanienburg ins Feld hinaus. Er wußte, daß sie daheim auf ihn warteten, aber er kümmerte sich nicht darum. Erst gegen abend schlich er sich erschöpft ins Haus.

Tante Konstanze sah die aus Not und Trotz gemischte Pein. Deutlicher sah sie den Trotz. Erst ärgerte sie sich darüber, dann aber begann sie sich im geheimen ein wenig daran zu freuen. Der Knabe war also nicht weich, sondern hart, ihr ein wenig ähnlich. Ihr Herz wandte sich ihm wieder zu. Und nun sah sie auch seine Not klarer. Dazu erfuhr sie von Eduard, was Reinhart seit Weihnachten in Steingarten gearbeitet, gehofft und gelitten hatte.

Da kam eine Erleuchtung über sie, wie ein elektrischer Schlag. Sie beschloß, alle Gedanken an Sühne und Strafe fahren zu lassen und ihm zu helfen und zwar gründlich. Der Gedanke durchfuhr sie: ich will ihn nach Hause nehmen. Es erschien ihr anfangs wie eine Versuchung. Auf die Wohltat der unentgeltlichen Unterbringung in Steingarten verzichten? Die Sorge des Auskommens daheim vermehren? Ohne des Vormundes Zustimmung? Aber sie war zu stark von der Richtigkeit ihrer Idee durchdrungen. So tat sie denn auf eigene Verantwortung, was sie für gut hielt.

Schnell entschlossen rief sie den Knaben, der in dem noch ganz winterlichen Garten lateinische Kasuslehre wiederholte, herein. Da ihr erster Ruf »Reinhart!« wider ihre Absicht ein wenig herrisch und rauh klang, räusperte sie sich und rief sehr weich: »Reinhart, komm' mal zu mir!«

Sie nahm ihn mit hinüber ins Gaststübchen, ließ ihn auf dem Sofa neben sich Platz nehmen und sagte ganz unvermittelt: »Kind, willst du lieber hier in Worningen bleiben? … Wenn du nicht willst, brauchst du nicht nach Steingarten zurück … Ich behalte dich dann bei mir …« Da versagte ihr die Stimme. Sie hatte sich übernommen an Liebe und Güte und Gerechtigkeit. Reinhart glaubte falsch gehört zu haben, sah nur ungläubig und von der Seite zur Tante hinüber. Als diese aber, nachdem sie sich gefaßt hatte, hinzufügte: »Es ist mein Ernst, mein Kind, ich lasse dich hier, wenn es dir lieber ist,« hob er den Blick vom Boden. Mit einem Schlage standen die Worn und der Buschel und das Hundswinkler Wäldchen und die Kirschenstände auf dem Markt und das Zimmer des Herrn Krauß, alle Winkel, die er liebte, und alle Menschen, die ihm gut waren, vor ihm. Eine Freudenwelle überflutete ihn und drohte sein demütiges Herz zu sprengen. Das große Haus mit dem Arbeitssaal, die ganze dritte Klasse, der Speisesaal mit den Reihen der Fasttägler, Firmus Stang der Freund, der Pavian, der Abort auf dem Hofe, in dem er am Sonntag nachmittag geheult hatte, wenn der Wind das Rollen der Eisenbahnräder aus weiter Ferne herüber trug … und vieles, vieles andere …, es löste sich ab unter dem einem warmen Wort: »Ich lasse dich hier.« Wohl versank auch manches mit, was gut war: die Stickelplätze, die Wurfkegelbahn, die Singstunde am Samstag vormittag, das Gärtchen mit den Kolonien, das Kofferpacken am Schlußtag, die bei aller Strenge spürbare Fürsorge und Gerechtigkeit des Hausvaters –, aber er ließ es sinken, ohne zurückzuverlangen. Und noch etwas löste sich von ihm: der Bann auf seiner Zunge. Er glaubte zuversichtlich: nun werde ich sprechen können.

Tante Konstanze scheute sich, dem Überraschten in die Augen zu sehen und die Gemütsbewegung zu stören, die ihn erschütterte. Sie wußte, daß der scheue Knabe mit keinem Dankeserguß antworten würde. Es war ihr genug, als er, innerlich bebend, äußerlich aber ganz unbewegt, sagte: »So bleibe ich also hier.« Damit hob die Tante die denkwürdige Sitzung auf. –

Reinhart aber stürmte hinaus, durchraste den wiedergewonnenen Garten, erkletterte die Steinburg an der schwierigsten Stelle, sprang über den Grenzgraben und wieder zurück und wieder hinüber und wieder zurück, unzählige Male, lief die Kastanienburg hinauf, daß die Treppe krachte, schlüpfte durch die Hecke in den Garten des Knabenpensionats hinüber und herüber und wieder hinüber und herüber, unzählige Male, setzte über die Blumenrabatten, gab dem Wasserbirnbaum liebevolle Schläge und lief schließlich zum Nachbar, zum Gärtner Pfau, stellte sich breit vor ihn hin und sagte lachend vor Freude und knirschend vor Hohn: »Sie, Herr Pfau, ich bin jetzt wieder in Worningen!«



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