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Die zehnte Symphonie

Eine Beethovenmythe

Der Märztag trauerte in einem fahlen, verdrosselten Licht, seltsam müd und gespenstisch lagerten die Schatten der Dinge wie bei einer beginnenden Sonnenfinsternis.

Ludwig van Beethoven wälzte sich stöhnend in seinem Schmerzensbett. Noch tobte die Wunde, die ihm das Messer des Arztes beigebracht hatte, um das mächtig angesammelte Wasser aus seinem Leib zu entfernen, und schon wieder waren ihm die Beine geschwollen und der Bauch gedunsen. »Abzapfen muss mich der Doktor wieder, sonst sprengt es mich!« ächzte der Kranke. Er kehrte die verheerte Stirn, darüber verwirrt das greise Haar fiel, und die Augen, darin die einstige Pracht des funkelnden Blickes vernichtet war, seinem Freund und Pfleger Anton Schindler zu. »Und doch hilft nichts mehr«, raunte er. »Ich bin nur mehr Haut und Bein und Wasser. Die Wiener werden mich bald mit einem Dutzend anderen armen Schelmen ins Loch werfen. Wie den Mozart.«

Erschüttert rief der Freund: »So arg darf die Welt nicht danken!«

Es war, der taube Meister habe die Worte verstanden. Er tat eine heftige und verächtliche Gebärde des Verzichtes. »Ach, die Wiener! Sie halten mich doch nur für einen trüben Narren. Aber sterben darf ich jetzt noch nicht!« Sein Auge gewann trotzigen Glanz. »Ich bin ja noch nicht fertig!«

Der Leib strafte den ungebärdigen, ruhlosen Geist Lügen. Matt sank der Kranke in die Kissen zurück und lag nun eine Weile schlaff und dumpf. Nur der kaum vernehmbare Atem meldete, dass die Seele noch nicht fortgegangen war.

Einmal aber regten sich die dünnen Lippen und begehrten: »Wein!«

Der Freund füllte alsbald ein Glas mit grünem rheinischem Trank und wollte das Haupt des Schmachtenden heben, ihn zu tränken.

Doch Beethoven lehnte ab. »Nichts mehr!« murmelte er. »Es ist zu spät.«

Schindler ergriff einen Bleistift und schrieb in das Heft, das neben dem Bett auf einem Stuhl lag: »Seien Sie getrost! Ich setze schon ein Glückwunschmenuett zu Ihrer baldigen Gesundung.« Er hielt dem Kranken das Papier hin. Aber der las es nicht. Es schien ihm alles gleichgültig zu sein.

Doch plötzlich schoss er einen tückischen, stechenden Blick gegen den Freund, und er runzelte die breite Stirn, dass sie sehr hässlich und uralt aussah, und brach in jäher Laune aus: »Du feiger Kerl, gelt, du hast mich mit dem Wein vergiften wollen?« Gedungen bist du worden! Meine Widersacher können es ja nimmer erwarten, dass ich sterbe. Spitzbuben seid ihr alle, ihr Wiener! Vom Kaiser bis zum letzten Stiefelwichser herunter seid ihr alle nichtsnutz! Verlass mich, du verlarvter Schuft! Lass mich ganz allein krepieren wie einen Hund!«

Wohl war Schindler an solch zügellose Ausbrüche des ungeduldigen und misstrauisch gewordenen Kranken gewohnt. Diesmal aber erblasste er vor der allzu schroffen Beleidigung, und um sich zu rechtfertigen, nahm er das Glas und stürzte den Wein hinab.

Schmerzlich rief Beethoven: »Verzeih, du Einziger, Letzter, Treuester! Reich mir die Hände! Versteh mich und vergiss, was ich dir getan! Oh, ich mache es den Menschen schwer!«

Und schon wieder dämmerte der Kranke stumpf in sich hinein, die Augen stier auf den Handrücken gerichtet, darauf ein kreisrunder, roter Fleck brannte. Das Schwarzspanierhaus steckte voller Wanzen, und das Ungeziefer peinigte noch den Sterbenden.

Eben trat der Hofrat von Breuning mit seinem Söhnlein ein. An der Schwelle der Stube blieb er stehen und staunte erschüttert über den hastigen Verfall des Leibes, der wie abgestorben im Bett ruhte. Die Züge des abgehagerten Gesichtes waren zerstört, die Stirn war wüst durchpflügt, das zottige, ungepflegte Haar ganz weiß. Wirr und grau war der Bart aus Lippe und Kinn gebrochen, die Haut war von der Gelbsucht missfarben. Ein schreckenbringender Anblick! Es war, der Kranke trage schon seine Totenmaske vorgebunden.

Der Hofrat flüsterte: »Ach, dass der Geist des Menschen an eine also hinfällige und rasch vergängliche Hülle gebunden ist! Dieser einzig große Geist dort sollte mit einem eisernen, unzerstörbaren Gehäuse gewappnet sein, damit er darin widerstehe und tausend Jahre dauere!«

Der Knabe fragte: »Warum werden die Bäume im Wald und die Raben darauf so hochalt und wir Menschen nicht?«

Doch wartete er die Antwort des Vaters nicht ab, sonder lief, wie er es jeden Tag zu tun pflegte, an das Lager und schmiegte die Wange an die welke, stille Hand.

Beethoven erwachte unter der schmeichelnden Berührung, blickte das Kind an und erkannte es nicht, so sehr verwirrt war sein Inneres. »Wer bist du?« fragte er leise. »Wer schickt dich zu mir?«

Der Knabe erwiderte mit steifer Schülerschrift in das Heft: »Der kleine Gerhard bin ich.«

Ein Schimmer des Erinnerns glitt über das Gesicht des Meisters. »Kind«, begann er stockend und schwach, »Kind, viermal schon haben sie mir den Bauch aufgestochen! Und ist alles umsonst! Ich muss liegen und darf nichts tun.«

»Du wirst wieder arbeiten können«, schrieb Gerhard.

Jäh fletschte der Meister die Zähne, sie waren schön und bleich. »Arbeiten?« fauchte er. »Die Menschen verstehen ja meine Musik nimmer!«

Der Knabe bebte zurück vor dieser koboldisch verzerrten Miene, vor dem aufsprühenden Grimm des Alten.

Der bemerkte die beiden Männer an der Tür. Er fieberte auf: »Holet ihr mich schon? Wo habt ihr die Schaufeln versteckt? Scharrt zu, scharrt zu, ihr Totengräber!«

Die bösen Schmerzen seines Eingeweides drangen wieder an, ihm war, ein räuberischer Geier hacke ihm in die Leber. »Prometheus!« klagte er auf. Das Wasser in sich fühlte er seinen Bauch bis zum Bersten spannen; es drückte aufwärts, als wolle es das Herz zerquetschen. Mit Grausen wurde ihm der Augenblick gegenwärtig, wo unter dem Stick des Arztes ihm der furchtbare Wasserstrahl aus dem Bauch gesprungen. Und vor sich sah er in schneidender Gewissheit die schwarze Schranke des Todes getürmt, indes in ihm die wütende Gier flackerte, alle Jahrtausende zu durchleben, zu atmen, atmen, atmen, um in sich hinein lauschen zu könne, zu schöpfen und schaffen und schaffend zu genießen. Sterben sollte er, vielleicht heute noch, und war ihm doch die Ewigkeit zu eng!

Mit Mühsal richtete er sich auf, Schweiß quoll ihm aus der Stirn, kläglich flehte er empor: »Lass mich noch leben, o Gott! Ich habe noch nicht vollendet. Gib mir sie noch, die zehnte Symphonie!«

Kein Zeichen von oben entgegnete. Nur eine graue Spinne ließ sich langsam von der Decke zu ihm nieder.

Da beugte sich Beethoven über den Rand des Lagers und brütete hinab wie in einen Abgrund, drunten einer lauert, und verzweifelt schrie er: »Steig auf und ergreif mich!«

Hernach fiel er erschöpft zurück. Vor ihm verfinsterte es sich, als umflatterten ihn zahllose Schattenfalter. »Mach mich auch noch blind, Schicksal!« stammelte er.

Und nun lag er lange in furchtbarer Verschlossenheit aller Sinne.

*

Nicht der Schlaf war es, der süße, versöhnliche Schatten, den der Tod vorauswirft, es war steinerne, traumlose Ohnmacht, die Beethoven bedeckt hielt.

Nach unmessbarer Zeit erwachte sein Gehirn wieder und hub sein Spiel an, und wes er sich zuerst besann, das war ein schweres Staunen über dieses unheimliche Gehirn, das von jedem Körperteil weiß und von Schmerz und Wollust jedes Gliedes, und all das vergangene Leben bewahrt wie ein treues Buch; oh, dieses Gehirn, die Werkstatt der Seele, die den Dämmerruf Gottes aus dessen grundloser Finsternis auffing und ihn wandelte in geordneten Klang!

Und dieses Hirn wob jetzt fieberisch eine Flucht sprunghaft einander hetzender oder underklärbar ineinander überfließender, hastig vorüberzuckender oder wiederum lastender und lange gebannter Bilder, die aus einer rätselhaften Ursache zugleich tönten, jene schattenhaft unsinnliche Musik tönten, jenes blutleere, blasse Nachbild des lebendigen, blühenden, erdbeglückenden Klangleibes, das in dem Künstler geisterte, seit sich die hörbare Welt seinem Ohr verschlossen hatte. In wechselnd klaren und dämmernden und verzerrten Gesichten schaute der Fiebernde sich aus sich selber herauszutreten und noch einmal über die Erde wandern.

Ein breites, schimmerndes Band dringt aus der hohlen Nacht und gleitet dahin und klärt sich zum Strom, zum funkelnden Ungeheuer des Rheins. Schiffe und Segel und graue Burgen. Dann jäh die Heimatstadt. Spielende Kinder vor den Türen. Das Vaterhaus! Und wieder huscht er wie eine Fledermaus dahin durch die abenddüstere Gasse, der gefürchtete, der närrische Musikus, die Notenrolle in der linken Hand, in der andern spukhaft den Taktstock schwingend, und jetzt stockt sein taumelnder Gang, jetzt hält er vor dem Haus, schreit wie ein Waldkauz uns trommelt ans Tor und weist dem langen, dürren Arm hinauf zu dem Fenster, wo sich zu Tod erschrocken der kleine Ludwig zeigt. Ja, winke nur und grüße hinauf, du wahnwitziger, du ahnungsvoller Zunft genosse! Du weißt, was dem Kinde dort droben beschieden ist. Du Kind aber, kleiner Ludwig, flieh weit, flieh aus diesem Haus! Lass deine Hände von der höllischen Kunst! Werde ein Schiffer auf dem Rhein, werde ein fröhlicher Winzer an den grüne Gestaden, ein Jäger in den Forsten des Odenwaldes, ein wackerer Soldat gegen den Weltbezwinger Napoleon, und du wirst glücklich sein! -- Der Narr da drunten, mag er winken und warnen! Dir ist deine Straße längst bestimmt, kleiner Ludwig. Zugemessen ist dir das sesshafte Leben des schaffenden Künstlers! An die Tasten des Flügels wirst du gebannt sein dein Lebtag, du wirst dich, von unbändigem Fleiß vorwärts gegeißelt, Jahr um Jahr über den Schreibtisch krümmen, tausend und tausend Notenköpfe auf die Zeilen zu werfen, bis dir vom sitzenden Leben der Unterleib erkrankt und die Leber verhärtet und das Siechtum empor tastet bis zu dem zarten Werkzeug im Haupt und es zerstört.

O dort ruht es auf dem Pfühl, das Kind! den früheren Trost der Lippen im glücklichen Schlummer gelöst, atmet es lieblich. Draußen aber auf nächtlicher Gasse entspinnt sich Lärm und Streit und Raufhandel: der trunkene Vater kehrt mit seinem Zechbruder, dem Oboisten Pfeiffer, vom Gelage heim. Sie balgen sich mit dem Nachtwächter, der die gröhlenden Männer zur Ruhe mahnt. Die Treppen poltern sie herauf, die Berauschten. Ach, ob Beethoven auch im Traume taub ist, so fühlt er doch mit unfehlbarer Gewissheit alles, was die Schatten um ihn denken und reden.

Den Unrat genossenen Branntweins noch im Atem, keucht der Vater das schlaftrunkene Kind an, zerrt es frierend im Hemdlein. Der bezechte Oboist ist sein Lehrer. »Ludwig, du wirst ein König der Musik werden!« brüllt er. »Ich bin nur ein versoffener Bettelmusikus! Aber, Ludwig, ehe du gerkrönt wirst, musst du üben, üben, üben, bis dir das Blut aus den Nägeln spritzt!« Und er peinigt das Kind, nötigt ihm die dürren, seelenlosen Übungen auf. Die unreifen Fingerlein, die die Oktave noch nicht spannten, zwingt er rau auseinander. Öd und elend graut der Morgen an.

Der Knabe ist wieder allein in seiner Kammer. Die Geige, das zitternde Geheimnisgerät, schlank und dunkel, presst er zwischen Kinn und Brust. Der Schlag seines Herzens widerhallt in dem hohlen Holz. Zum ersten Mal ahnt er staunend, wie Gott sich seiner bemächtigt und ihn zu seiner Stimme erwählt. Im unvollkommenen Spiel stammelt er täppisch die himmlischen Weisen nach, die ihn heimsuchen. Ihm ist, jetzt müsse die heilige Taube geistgesandt über seinem Scheitel rütteln, und wie er den scheuen, demütigen Blick erhebt, -- siehe, ein graues Spinnlein lässt sich nieder von der Stubendecke und landet tastend auf dem singenden Bogen. Spinnlein, was kommst du zu mir? Hat dich mein Spiel durchzückt und aus stumpfer Tierheit gerissen in die Höhe der fühlenden Menschenseele? Oder bist du nur der Sendling der grauen Spinnerin Frau Sorge, der mit trüber Verkündigung über meinen Saiten hängt?

Aufleuchten Kerzen und Monstranz, und darüber bäumt sich golden der Altar. Die Orgel erhebt ihren Sang zur Wölbe des Domes, bedrängt die glühenden Fenster. Und der Jüngling im meergrünen Prunkrock des kurfürstlichen Orglers, in der weißen, geblümten, goldgebrämten Seidenweste, das sinnende Haupt lockig und bezopft, wie weiß er ernste Anmut zu verweben mit hingegebener Kindesdemut in wundersam neuem Spiel! Und jäh und schauerlich steil brandet er zu Gott empor, zum ersten Mal vor der Welt die Abgründe seiner Seele entwölkend, dass drunten den erschrockenen Betern das Gebet zwischen den Zähnen erstirbt und der Priester am Altar den Herrgott warten lässt, der in das Brot einfahren will. Und die Bilder der Heiligen entbrennen, die Säulen der Wölbe wanken.

Und blitzhaft weiter, Bild nach Bild: Aufstieg, Gunst der Welt, Meisterschaft!

Im blendenden Saal des fürstlichen Hauses sitzt der junge Meister am Flügel, adeliges Volk umschwärmt ihn, edelste Frauen bewundern ihn, beten ihn an. Er träumt in Tönen. Die Augen fernhin verloren und in kühner Fremdheit glühend, webt er über den Lauschern ein klingendes Baldachinwunder. Mondbeglänzte Weisen ragen aus dem weichgebundenen Spiel. Die Saiten singen unter seinen Händen. Aus dem Urgrund quillt es. Er bannt das Gefühl aus seinem wortlosen Dunkel empor und fasst es in das Geschmeide seiner Kunst. Er dichtet seine Seele, und jede ihrer Regungen ist ihm untertan: süße Wehmut, scherzender Mutwille, toll polternder, wilder Humor, ahndevolle Düsternis, Erhabenheit. Alles sagt er; alles streut er hin, schwelgerisch reich, vergeudend wie das All selber.

Und weiter, weiter -- Traum nach Traum!

Ein Herzog, lenkt er die Massen der Streicher und Bläser. Sein Antlitz folgt dem Wellengang der Gefühle: es lächelt, es schwärmt, es dräut. Die Erde trägt ihn nicht, ihn trägt ein Feuer. Er scheint auffliegen zu wollen. Wie ein rasender Gott schürt er die Wut der Untertanen auf, riesenhaft ringt er mit dem eigenen Werk, das niederbraust wie ein Meer ins andere. Alles Gemeine versinkt, geheiligt beugt sich die lauschende Gemeinde. Das Spiel endet. Der Meister sinkt zur Erde zurück. Linkisch verneigt er sich.

Eine verwahrloste Stube. Sparsam das Gerät darin. Notenbündel überall. In der Stille der tiefen Nacht schafft Beethoven. Über dem Haupt die feurige Zunge, ergriffen von demselben Sturm, der Gottes Boten angebraust hat an jenem Pfingsttag, glüht der Meister an der Esse. Seine Kraft greift gewaltig nach dem Stoff und spielt damit und zwingt ihm seine Träume auf. Aus dem Urdämmer des Gefühles geboren, von reifer Erkenntnis dann geordnet nach dem eigenen Gesetz, vollendet sich das Werk.

In die edle Nacht blickt er hinaus. Aus dem gestirnten Himmel sinkt ihm die Saat, sinkt ihm die Ernte in den Schoß.

O Leben! Leben du voll höchster Gnade! Nie kann der Strom des übervollen Schaffens verfluten, unversieglich stürmt er aus der grenzenlos reichen Brust. Fassungslos überwallt diese Brust von der Fülle tiefster Klanggedanken. Über ihn ist beseligend der Bann verhängt, dass er ohne Aufhör seine brausende Seele in Tönen gestalte. Höher, immer höher greift die Schwinge in das heimatliche Geisterland der Schönheit und der Wahrheit.

Fromm leuchtet der Tag. Ein Wanderer lehnt lächelnd an einem Baum und freut sich des lieblichen, ulmengrünen Wiesentals. Ganz im Fernen poltern fröhlich die Dorfmusikanten. Die unschuldige Natur umgibt den Wanderer, heiteres Gebüsch, ernstere Laubkronen, der neckische Bach, anmutvolles und scheues Wild. Er scheint zu lauschen. Er lauscht wohl dem grünen Laub, dem Drosselsang, der den benachbarten Wald überwuchert, der Wachtel und dem Kuckuck, die ihre Rufe darein flechten, der buhlerischen Amsel. Die Ammer sagt ihre schwermütig süße Frage. Das Gebraus des Wildbaches lagert als ewiger Orgelpunkt, und darüber steigen die frohen, hurtigen Noten der Vögel auf und nieder. Und die wiesenhold gebreitete Landschaft beginnt zu schwingen, löst sich in reine Empfindung auf und wird zur Musik. Die Blumen sind darin die Triller.

Jäh steht der Wanderer in die Gewitterstunde gerissen. In fremdveränderter Wildnis irrt er barhaupt durch Sturm und Regen, Gast den ergrimmten Weltenkräften. Flammenwetter zucken, Donner prasseln und rollen. An Beethovens wilder Braue zerrt die Luft. Er horcht, wie die verdüsterte Gottheit dichtet.

Und Seele und Natur umarmen sich. O Hirtensymphonie!

Uns sieh! Aus den Schleiern solcher Traumgesichte greift seine Hand, Beethovens Hand, bebend empor in den dunkeln Lorbeerbaum, greift hinein in blutigen Dorn.

Ins Gras gestreckt am Rand des Waldes liegt der Hirt, den Frieden seiner Herde betreuend. Eine Flöte hat er sich aus dem Hollerbusch geschnitten, die hohen, zierlichen Pfiffe schallen weich durch die homerische Stille. In dumpfer Angst starrt Beethoven über den Anger hinüber zu dem schalmeienden Mann. Sein Ohr, darin es peinlich saust und klingt seit manchem Jahr, sein Ohr versagt. Das schlagende Herz hält ihm inne. Wie ein Mörder lauscht er. Er murmelt: »Ich höre ihn nicht.«

Das Ungeheuerliche, unglaublich Furchtbare, es ist da. Beethoven berserkert auf die Tasten los, einen einzigen Ton will er hören. Umsonst! Er zerschmettert den Flügel. Umsonst! Aufschreit er: »Gott, spei mit ins Ohr, auf dass ich wieder höre!« Umsonst! Umsonst! Schwere, eisige Stille umdröhnt ihn. Taub! Taub! Beethoven taub! Es kann nicht sein. In den Gängen des Ohres der Sinn erstarrt? Es ist nicht möglich! Und dennoch: taub! Rettungslos taub!

Die Arme schleudert der Ausgestoßene auf, den großen Verantwortlichen droben will er an den Schultern rütteln: »Gott! Gott! Hörst du mich nicht? Siehe, mein ganzes Werk ist nichts als ein Stein zu Baue eines Domes! Du aber, Mann, was hast du mir getan?! Meine Kunst, hast du sie mir zum Hohn gegeben?!« Den breiten Nacken, die zerrissene Stirn senkt er, als wolle er die Sonne niederrennen.

Einsam ist es um ihn worden, seit ihn die Nacht seines verödeten Gehörs umfängt. Wie ein wunder Bär zieht er sich zurück.

Der Wildbach stürzt, Beethoven hört ihn nicht dröhnen. Die Wälder schwanken, Beethoven hört sie nicht rauschen. Die schwarzen Wolken sprühen, Beethoven hört sie nicht donnern. Gletscher bersten, Beethoven hört nicht ihren Klang. Aus dem Maul des brunftenden Hirsches raucht der Schrei, Beethoven vernimmt ihn nicht. Alle Geschöpfe schweigen ihn an. Kein Widerhall aus Menschenmund grüßt ihn. mit dem Stift muss sich der Ungeduldige verständigen.

Das eigene Werk verstummt vor seinem Schöpfer.

In der unwohnlichen Armut seines Heims haust der Einsiedel, gekränkt und gequält von denen, die seinem Blute am nächsten stehen, überlassen der teilnahmslosen Hand mürrischer, beschimpfter Dienstboten.

Ha, rotes Feuer! Brandstoß und Hochgericht! Schwarz hängt der Mond vor der schwarzen Sonne! Düstere Vermählung der beiden Ungeheuer. Rauchende, trübe Fackeln gesellen sich zu dem kahlen Licht dieser Stunde. In den Lüften ist es wie grasser Hornstoß. Schergen trampeln daher, die Spieße schroff gereckt. Dahinter -- von einem einäugigen Klepper gezogen -- der Schinderskarren. Darauf ein Bündel Noten. Der Richter sitzt am Pranger, das nackte Schwert auf den Knien. Der verdorrte Schreiber neben ihm liest plärrend von einem Zettel das Verbrechen ab. Beethoven drängt sich aus den Gaffern hervor, er versteht nichts, vernimmt nichts. Er weiß nur, dass etwas Böses, Abscheuliches geschehen soll. Er liest das blöde Einverständnis aus dem Grinsen der Menge. Der Stab wird gebrochen. Der vermummte Henker packt mit einer Zange das Bündel Noten und schleudert es ins Feuer. Bei dieser gewaltsamen Gebärde fällt ihm die Maske zu Boden. Ha, dieses Satansgesicht! Der Hassendeste aller Hasser finstert de Meister an. Jetzt weiß Beethoven, was da verurteilt worden ist zur Flamme. Wehe, sein unverstandenes, geschmähtes, verkanntes großes Werk! Der Brand verschlingt die neunte Symphonie! In der unsäglichen Angst verschmilzt der Träume mit dem Geträumten zu einem einzigen Wesen. Retten muss er sein Werk. Es darf nicht sterben! Er springt in das Feuer. Rot wird es um ihn. er versinkt ins Nichts.

Wieder fiebert er auf. Seine Gasse ist die Schmach. Durch die Rotte der geifernden Nörgler muss er schreiten. Aber er trägt die Stirne stolz und aufrecht. Ha, wie sie die Köpfe zusammenstecken und tuscheln! Sein Schaffen beschauen sie, wie ein Harngucker das Brunnengräslein beäugelt. Sie quäken misstönig wider den kühneren Schwung seines Werkes, sie schelten es ergrübelt, sie nennen es eine verirrte Folge seiner verstümmelten Sinneskraft. Sie, die den heiligen Fluss des Werdens nicht verstehen und sich bequem im Gewohnten fühlen, was wissen sie von dem einsamen Streiter, der weit vor den Linien seiner Zeit kämpft!

Beethoven knirscht auf. Wohl achtet er des üblen Urteils seiner Zeit nicht. Er ist ein sich selber sicher. Allein er ist Mensch genug, als das er nicht darunter litte und das Hemmnis spürte. Es frisst an ihm, das Leid des Verkanntseins, der Spott der Leichtsinnigen und Törichten, das Gespei der Böswilligen und Neider.

Ein edler Feind gehört zu den vornehmsten Gütern des Lebens. Doch nicht diese Bande! Dieses Gewürm! Diese Ochsen! In den Staub mit ihnen! Grob ballt Beethoven die Fäuste.

Ein Schleifer zerreißt. Zukunftland, weites Zukunftland grünt dahinter. Auf strahlendem Thronwagen kommt Beethoven gefahren. Millionen neigen sich ihm, die Erde jauchzt ihm zu. Und an die Speichen seines Siegeswagens gekettet, wankt er gedemütigt daher, der tintensudelnde Elendshufe der einstigen Kläffer, auf diese schimpfliche Art nur der Vergessenheit entzogen.

Der Schleier sinkt wieder.

In dunkler Loge geduckt, sitzt Beethoven und belauert sich selber. O Vermessenheit! Der taube Mensch dort leitet die neunte Symphonie. Mit verwirrten, überheftigen Gebärden schwingt er den Taktstock. Um Gottes willen, das ist ja der verrückte Musikus, der abends immer durch die Gassen Bonns getaumelt! Nein, Herz! Schlag nicht so hart, Herz! Das bist du selber, Beethoven! Du bist der Mann dort mit den überirdischen Augen, der Tor, der nicht das ärmste Tönlein vernimmt von all den Klangwogen, die er entfachen und bändigen soll! Die Arme kreuzt er wie ein Unterworfener vor der Brust, er reißt sie ungestüm auseinander, duckt sich wie ein geschlagenes Tier, sinkt ins Knie, die leisesten Stellen damit auszumalen, reckt sich mit dem schwellenden Anwuchs der Töne, springt empor, schreit -- Entsetzlich! In seiner Taubheit ist er dem Gang des Tonwerkes um viele Takte vorgeeilt. Nun wird er sich dessen bewusst. Er wankt. Die Schlacht ist verloren. -- Ha, alles Spiegelfechtereien! Gesichert treibt das Werk vorüber. Ein anderer führt heimlich hinter Beethoven den Befehl!

Die kaiserliche Loge drüben ist leer. Das durchlauchtigste Erzhaus Österreichs würde ihn verhungern lassen, den rebellischen Narren, den schroffen Sonderling, den der Umgang mit den Fürsten nicht das Rückgrat hat zu schmeidigen vermocht. Was liegt daran!

Truimph! Die begeisterte Menge tobt. Ein Beifall erhebt sich wie noch nie zwischen diesen erlauchten Mauern. Der taube Mann auf der Bühne weiß nichts davon, er wendet den jubelnden, winkenden, seinen Namen rufenden Menschen den Rücken zu.

Erschüttert sinkt der in der Loge vor dem eigenen Gespenst zurück. Was gilt ihm das Freudengetöse der Welt?! Er weiß, von Stunde an wird er nimmer den Taktstock führen, nimmer wird er die gestaltende Luft des Führers genießen, nimmer das Adlergefühl, im Äther zu rudern und allmächtig zu sein!

Und dann hingebrochen auf das Schmerzensbett, ohnmächtig daran gekettet, der rastlose Künstler. Das nachts von Erstickungsanfällen gewürgt, durchwühlt, verdüstert, verlassen. Seine letzten Schöpfungen von der Mitwelt unbegriffen, den engsten Freunden selber mit sieben Siegeln verschlossen. Die welsche Oper, die grimmigste Feindin, wächst. Und er, ein tatenloser Siechling! Ein bei lebendigem Leib Toter!

Weh, dort schleppen schon sechs Knechte die schwarze Truhe! Der Totengräber folgt ihr mit der Schaufel. Sonst niemand. Niemand! Vergessen! Verworfen! Recht so! Hinab mit Beethoven! Erde über ihn! Nacht über ihn!

Aber vom eigenen Grab wandert er weiter über eine öde Heide. Durch acheronisches Land. Der Wind fiebert im Strauch. Nebel verdüstert die nackten Berge. Nicht Gras noch Grün. Und ohne Ziel der Weg.

Mitten in der Öde wird mildes, frühlinghaftes Licht, ragt ein Haus, erbaut aus lauter Rosen. Auf Blütenlager weiß und hold, die Blöße mit Lilien bedeckt, harrt das edelste Weib. Die Arme weitet sie, den Wanderer zu empfangen. »Therese!« schreit er, der nie das Weib erfahren hat. Oh, dich hat er versäumt auf seinem hohen, herben Pilgerweg, dich, Weib, Trostnachtigall des Lebens! Sein Blut bäumt sich in roter Woge und brandet sie an. Er jauchzt: »Ewig mein! Ewiguns!« Er versinkt in sie. Purpurn umweht es ihn. Einen Herzschlag lang durchbricht die Ewigkeit die Zeit.

Dann erhebt er sich in tiefster Trauer.

Ist das höchste Wonne des Lebens gewesen?

Nein! Nein!

Kahler Jammer rings. Beethoven steht wieder auf öder, nebelverhangener Heide.

Allein! Allein! Allein!

Heulend wie aus Höllenpfuhl der Verdammte, dem die kühle, klare Seligkeit verwehrt ist, die er droben über sich ahnt, heulend neigt Beethoven den Kopf zurück in den Nacken und lechzt empor: »Neun große Feuer habe ich entzündet, dich zu enthüllen, Gott! Gib mir noch das letzte Werk, das ersehnte, das fremde! Nur dies eine gib mir noch! Ich begehre nichts anderes mehr.«

Die Pracht der sich öffnenden Gestirne übermannt ihn. Wie ein Schwert ist die Ewigkeit über ihm ausgehängt. O dies Leben, des gemeinen Irdischen übervoll, es kann nur ertragen werden, wenn man zu den Sternen ausblickt!

Der Mann, dem auch der Gipfel nicht genügt, er schaut mit seiner grenzenlosen Menschenseele hinaus ins Grenzenlose, wo das Leuchten mild und mächtig gestreut ist durch das All, niederschleudernd und erhebend zugleich, und er weiß sich eingekerkert in Raum und Stunde und schmachvoll an den Boden gebunden, in sich die leidvolle Brust, den ungeheuren Flammenauftrieb, ins Unendliche hinausgeschlagen, das Unendliche zu beleben und in sein Werk zu zwingen.

Da -- o herrliches Entsetzen! -- o Gnade aller Gnaden! -- reißt ihn die Unendlichkeit empor an ihre Brust! Oder zwingt die Kraft seiner Sehnsucht die Höhe zu sich herab? Genug! Aufrauscht die Seele von der Erde und hebt den Leib mit sich. Zuerst wie von Feuerstrom erfasst und hingenommen, fühlt er die schwindelnde Tiefe unter sich und ergibt sich mit geschlossenen Augen.

Bald wittert der Flügelwanderer die Höhe. Er schnaubt sie ein. Neben ihm taumelt ein trunkener Geier. Tief drunten das Gerinsel der blanken Ströme, die Rückgrate ungeschlacht ziehender Gebirge. Gletscher glimmen, Meere leuchten. Abgründe klammern sich an Ragendes. Höhe misst sich an Tiefe. Höhe und Tiefe werden eines.

Silbern flimmert der letzte Firn herauf.

Empor! Empor!

Beethoven braust dahin, wo keine Wolke mehr Schatten wirft, wo des äußersten Aares Schwinge verzagt.

Empor!

Gott will er suchen, aus dessen Händen sein Werk nehmen! Oder ihm trotzig den Fehdehandschuh hinwerfen und mit ihm ringen!

Beethovens Flügel machen die Unendlichkeit zugänglich. Sterne mit feurigen Schleppen fegen vorüber. Brennende Sonnen rauchen. Weltleiber, in mächtigem Wirbel gelöst, Sternen stürme verbrausen sich in fernste Fremde.

Der Leib des geflügelten Beethoven wächst und wird so ungeheuer wie seine Sehnsucht.

Der Riese Beethoven watet durch Sternensümpfe. Schaudernd fragt er der Unendlichkeit ins Angesicht.

Bis einmal selige Scheu den rasenden Aufschwung hemm.

Dem Wanderer ist, als sei er nahe dem Kern des Alls. Hier irgendwo mochte der Quell der Quellen sein, hier muss der Strom der Zeit niederrauschen und münden in die Ewigkeit.

Gott aber ist nicht zu schauen. Ein regungsloser, schneeweißer Wolkenring verbirgt ihn. Doch ist sein großer, wilder Atemzug zu spüren, darin die Welten rings wie Stäublein wirbeln.

Beethoven sieht die gebändigten Gestirne im heiteren Tanz kreisen. Aber dahinter, das Äußerste fühlend und jenseits des Zwanges von Ursache und Wirkung zuckt teuflisch durch die brauende Finsternis die Urverwirrung, sie glimmt tückisch in furchtbarem, irrendem Getrümmer und dräut, einzubrechen in die geschaffene Ordnung und alles wieder zu zerschmettern.

Beethoven ahnt den wildmächtigen Kampf der Gottheit gegen die Verwirrung der sinnlos brodelnden Massen, gegen die drohende, regellose Gärung draußen. Die Hände presst er an die Stirn in wehvollem Wunsch, mit dem göttlichen Teil seines Menschentums dem ringenden Gott zu helfen, das Chaos zu bemeistern und mit seiner Kunst zu besänftigen. O Gott du hinter dem schleiernden Gewölk, lass mich dein Streiter sein!

Er lauscht.

Da grüßt ein milder, goldener, wundersamer Ton sein Ohr.

Wunder! Wunder! Wunder!

Unermessliche Wonne schaudert in Beethoven auf. Das umnachtete Ohr, es hört wieder. Es ist kein blasser Klang des Hirns, jener milde, goldene Ton. Noch klingt er fort. Es ist Leben! Bei Gott,hier in der Urweltstille hört Beethoven wieder. Er hört das Licht.

Selig öffnet er sich der Gnade. Was wiegt nun alle Bitternis des Erdenganges?! Danken will er, er will danken mit dem höchsten Werk, das nebelhaft wallt in den Abgründen seiner Seele.

Welcher Art aber soll das Geschenk sein, das er seinem Gotte bieten will? Allein hängt er im All. Wer berät ihn, da das eigne Herz verzagt? Wer entfesselt die Musik, die rätselhaft hinter noch verschlossener Schleuse sich staut?

Siehe, da sinkt aus dem Nichts an kaum sichtbarem Faden ein Spinnlein zu ihm herab!

Spinnlein du der Kindheit, nahest du dem Vollendeten wieder wie einst dem Knaben?

Wie warm berührt den Meister die Nähe des Geschöpfes! Wie traurighold erwacht in ihm die Zeit, da die Dinge der Welt noch seine schöne Heimat gewesen!

Und seine Seele hebt an, in sich selber zu klingen. Es ist, als spiele eine wundersam geübte Künstlerschar darin: Saiten und Flöten und Erz und Felle tönen.

Beethovens Seele beginnt das Lied von dem Menschen.

Brandend steig es auf: Urwirrnis, Krieg aller gegen alle, gesetzlos. Gesetzlos und dennoch kein Ton darin, der nicht aus steinerner Notwendigkeit erstanden ist. Blind kreist die unausschöpfliche Fülle des Stoffes in leidenschaftlichem, tödlichem Überschwang, Wogengebirge türmend und einschlingend, voll wahnwitziger Lust: da zu sein. Sinnbild der ringenden Gier des Künstlers, zu sich selbst zu kommen, aus der Jagd der furchtbaren Gesichte zu dringen zu dem stillen Glutkristall des innersten Wesens.

Mit verlorenem Lächeln lässt Beethoven sein neues Werk gewähren, und es dehnt sich, und das Tonmeer steigt und schleudert immer höher und höher den feurigen Schaum, darin die Höllenwunder brüllen, und will die fromme Sicherheit der Gestirne in seine gähnenden, wirbelnden Schlünde reißen.

Da ermannt sich der Meister.

Die Arme stößt er beschwörend gegen die siedende Wirrnis, und sie steht gebäumt und gehorsam erstarrt in ihrem letzten, grauenhaft scheußlichen Akkord.

Den Mund unerbittlich gepresst, die Faust geballt, zwingt Beethoven seinen strengen Willen dem Stoff in den Nacken. In den eigenen Geist taucht er hinab wie in einen glühenden Abgrund. Er lenkt mit feierlicher Gebärde das gezügelte Werk.

Das Chaos ist besiegt, besänftigt.

In der geschlossenen Wucht der Einstimmigkeit hebt die Durtonleiter an. Erhaben staffelt es sich empor, das große, schlichte, geheimnisvolle Urlied, der singende Garten, daraus alle Kränze gewunden, der Rüstgang, davon alle Waffen geholt werden. Ein wanderndes Gebirge mit Felsriesen, die einander übertürmen, zieht es auf. An seinem Ausgang strahlt die silberne Säule des Dreiklanges.

Eine Weise löst sich aus der Landschaft der Ewigkeit und dennoch aus der Stirn des Künstlers, sie wandelt erst mit schüchternem Kindesschritt und wird dann heldisch funkelnd, stolz und straff, als sollte sie einen Schwerttanz umhüllen. Und sie behauptet sich in ihrer keuschen Kraft, ob sie sich auch mengen muss in den Reigen verschwisterter Weisen, die himmlisch und höllenhaft schön sind und durchtränkt von jeglicher Lust und jeglichem Gram und in Verzicht und trauernder Weisheit klagen und schwellen vor Empörung. Beethoven wirft die wolkenbleichen Hände wie zwei weiße Falken empor und gibt jeder Melodie Ziel und Richtung und steigert sie und lässt sie versinken. Da ist alle Liebe von Mensch zum Menschen drin, alle Gefühle blühen in brennenden und gedämpften Farben, Tod und Leben küssen sich, und Seligkeit und Verdammnis stürzen ineinander.

Und indes da Spinnlein an seinem tauglühenden Faden in holdem Gleichmaß schwingt, als sei all das hohe Tönen nur da, um sein winziges Tierherz zu vergnügen, ruft der Meister die Fuge auf.

Da fiebert die eine Weise dürstend der anderen nach und ist ein heißes Suchen und stete Verfolgung und spröde Flucht, bis sich beide umschlungen halten ähnlich dem Liebesknäuel zweier ungeheurer, schöner Schlangen. Gott und Menschheit, des Ewigen und des Vergänglichen Leid zusammengezwungen! Düsternis bricht an, ein Grollen verstößt die Welt, die tiefsten Bässe vermurren sich, und auf einmal ein grässlich leeres Schweigen, und darein bricht der leidvollste Schrei, der je geschrien wurde, aller Menschen Not und Auflehnung in sich fassend, der heisere Schrei aus Beethovens Mund: »Nein!«

Die heilige Urstille erwidert. Sie gibt keinen Widerhall. Sie waltet ahnungsschwer.

Da senkt in gebrochener Hoffart Beethoven die ernsten Augen. Er winkt hinab in die Tiefe.

Und aus der Tiefe erhebt sich leise und ergreifend der Chor der Menschheit. Trunken von Glück und Gnade des Seins heben sie das Lied der Freude an. Ein feuriges Frohlocken ist darin: »Göttlich ist das wahre Wesen des Lebens! Wir erkennen es. In dieser Erkenntnis überwinden wir lachend die Welt!« Versöhnt grüßt Beethoven in die Qual seines Erdenganges zurück. Er weiß, dass drunten alle großen Seher blind sein müssen und alle großen Horcher taub. Er lacht! Lebend, strebend, schaffend hat er Welt und Tod besiegt!

Erlöst schwillt es aus Menschenmunden zum höchsten Preis der Gottheit.

Mitten in dem Lobgesang unter den schwebenden Händen Beethovens rauschen die Achen des Himmelreiches, das Sternbild der Leier bebt mit himmlischen Saiten, die Kreise des Weltalls klingen sanft. Aus dem schneeweißen Wolkenring wächst domhoch eine silberne Orgel. Und diesem Getön fügen sich im Äußersten draußen die einst widerspenstigen, verworrenen Weltentrümmer und gleiten fromm in die erhabene Ordnung hinein.

Das Lied der Freude aber schreibt sich mit neuen Sternbildern unzerstörlich ein ins All.

Und Gottes leuchtende Riesenhände greifen aus dem Gewölk und harfen auf funkelnd gespanntem Regenbogen übermächtig das große Lied der sieben Töne.

Steil hält Beethoven die Rechte empol

Der Donner der Sphären jauchzt Amen.

*

Draußen stöberte der Schnee und hüllte die Gasse und die Dächer. Das erste, frühe Frühlingsgewitter entrollte sich, Blitze glühten, Donner knatterten und dröhnten. Je und je erhellte sich die dämmerige Stube.

Und einmal mitten im Strahl und Donner regte sich Beethoven, der zwei Tage lang bewusstlos geruht hatte, und er reckte die rechte Hand in die Höhe, ballte die Faust und starrte drohend gen Himmel. Mit dieser Gebärde schien er dem Blitz zu erwidern.

Dann löste sich die Faust, der Arm sank sanft und langsam nieder auf das Bett, die Augen schlossen sich halb. Nun war diese Stirn weise und voll unverdrängbaren Friedens.

Entsetzt rief Anselm Hüttenbrenner: »Was ist das? Er hat den Donner gehört!«

Der Hofrat von Breuning erkannte, dass eine große Stimme den Begnadeten heimgerufen hatte.

Flüsternd beugte er sich zu seinem Sohne nieder, der ungewissen Blickes den stillen Meister betrachtete. »Gerhard, der heilige Freund hat ihn von uns geführt.«

Das Kind begriff es nicht gleich.

Dann aber warf es sich mit einem zerrissenen Schrei über die geliebte Leiche.

*


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