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13

Graham Hallowell litt häufig unter Depressionen. Zweifel, Angst: und schlechte Laune quälten ihn. Seine Einsamkeit ließ ihm zuviel Zeit zum Nachdenken. In einer solchen Stimmung rief er Diana an und bat sie dringend, zu ihm herauszukommen. Aber sie hatte gerade eine sehr wichtige Verabredung. Er glaubte, daß sie ihm nicht die Wahrheit sagte, aber er tat ihr unrecht.

Mawsey, der Gärtner, war durch einen anderen jungen Mann ersetzt worden, der seine Pflichten mit derselben Pünktlichkeit versah wie sein Vorgänger.

Graham kannte jetzt den ganzen Plan schon auswendig, und je mehr er sich mit ihm vertraut machte, desto einfacher erschien ihm die ganze Sache. Trotzdem wurde er immer unruhiger. Die ganze Beschreibung Traynes schien ihm direkt verrückt zu sein, denn es war nichts davon gesagt, wie die Juwelen gestohlen werden sollten. Grahams Rolle war einfach genug. Aber er kannte die Gewohnheiten, die im Tower herrschten, und die außerordentlichen Vorsichtsmaßregeln, mit denen die Kroninsignien behütet wurden, nur allzu gut. Als sein Unbehagen wuchs, entschloß er sich, selbst die Schwierigkeiten in Augenschein zu nehmen, um die es ging.

Er wählte dazu einen Sonnabend, da er wußte, daß der Tower an diesem Tag von Menschen überfüllt sein würde. Er stellte sich beim Kartenverkauf an und erhielt eine kleine grüne Karte zum Eintritt zur Schatzkammer. Er folgte den anderen Besuchern durch die ersten Torbogen der Mauer entlang, bis er zu dem Blutturm kam.

Ein Aufseher wollte ihn zurückweisen, da ein bestimmter Weg vorgeschrieben war. Aber als Graham seine grüne Karte vorzeigte, erlaubte er ihm, weiterzugehen. Wieder mußte er warten. Die ganze Zeit über fürchtete er, von jemand beobachtet zu werden, der ihn kannte. Der Offizier der Wache war ihm fremd – er atmete erleichtert auf. Endlich stieg er die Stufen zum Wakefield Tower hinauf, in dem die Kronjuwelen aufbewahrt wurden.

Das äußere Tor war aus festem Eichenholz und auf der Rückseite mit schweren Eisenplatten geschützt. Als er die Tür erreichte, die vom Podest aus zur Schatzkammer führte, bekam er einen großen Schrecken, denn sie bestand aus zwei zehn Zentimeter dicken Stahltüren, wie sie die Banken hatten. In der Mitte des Raumes stand ein starker, von massiven Eisengittern umgebener Glaskasten. Er blickte hinein und sah einen kleinen Luftdruckmesser. Auch die Sicherheitstüren konnte er entdecken. Bei dem ersten Anzeichen einer Gefahr würde ein Aufseher, der besonders dazu angestellt war, den geheimen Hebel berühren, und die Klappen würden krachend herunterfallen. Nachts wurden entweder diese oder andere eiserne Vorhänge heruntergelassen, um den Kasten vollkommen dicht abzuschließen. Er konnte den stählernen Handgriff sehen, der sie in Bewegung setzte. Die Juwelen selbst interessierten ihn kaum. Der feurige Rubin des Schwarzen Prinzen, die flammenden afrikanischen Brillanten ließen ihn kalt.

Seine Blicke suchten überall nach den elektrischen Alarmglocken, die bei dem ersten Versuch, die Stahlläden zu öffnen oder das Glas zu zersplittern, den ganzen Tower in Aufruhr bringen würden. Die Anschlüsse waren unsichtbar, aber sie waren trotzdem vorhanden. Er machte einen langsamen Rundgang mit der Menge und war froh, als er wieder an die frische Luft kam.

Unten am Wakefield Tower befand sich ein großer häßlicher Wachraum aus roten Ziegelsteinen, der in seinem Stil nicht zu den anderen Gebäuden paßte.

Als Graham einen Aufseher sah, der im Augenblick nichts zu tun hatte, gab er ihm ein Trinkgeld, damit er ihm das Innere der kleinen Kirche zeigen sollte – des »traurigsten Heiligtums der ganzen Christenheit«. Aber weder die Wappen in dem quadratischen Fliesenbelag über den Leichnamen der Großen noch die namenlosen Gräber fesselten ihn.

»... Jawohl, Sir, nachts ist ein besonderer Wachtposten für die Schatzkammer vorgesehen, eigentlich sogar zwei.«

»Sie wird sehr gut bewacht«, meinte Graham.

»Bewacht?« Der Aufseher lachte. »Das kann man wohl sagen! Manchmal gibt es nachts Kurzschluß in den verdammten Alarmdrähten – und sofort steht der ganze Tower unter Waffen!«

Eine vielversprechende Aussicht, dachte Graham düster, als er die drohende Festung verließ. Er wollte zuerst nach Cobham zurückkehren, aber er hatte das Bedürfnis, Diana zu sehen. Er ging zu ihrer Wohnung, selbst auf die Gefahr hin, sie nicht anzutreffen. Seine Stimmung wurde nicht besser, als er Colley Warrington dort traf, der es sich im Wohnzimmer bequem gemacht hatte. Colley nahm ihm gegenüber eine merkwürdig nachlässige Haltung ein und grüßte ihn mit einem kühlen Nicken. Vielleicht gehört ihm überhaupt die Wohnung, dachte Graham.

»Hallo, Graham! Sie wohnen jetzt auf dem Land, hat man mir erzählt?«

»Ist Diana hier?« fragte der andere kurz.

»Ja, sie ist hier, wir wollen zusammen ins Carlton gehen!«

»Sie müssen sich eine andere Partnerin suchen – ich habe mit Diana längere Zeit zu sprechen.«

Colleys unverschämter Blick machte ihn rasend.

»Was für ein herrisches Auftreten Sie sich anmaßen«, sagte Warrington ironisch. »Leider hat Diana eine Verabredung und zwar geschäftlicher Natur.«

»Dann versäumt sie sie eben!« In seiner Erbitterung war er nahe daran, seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihr zu verraten. Zum Glück erschien Diana in diesem Augenblick. Als sie sein Gesicht sah, wußte sie gleich, daß etwas nicht in Ordnung war.

»Ich muß privat mit dir sprechen, Diana. Colley erzählte mir eben, daß er mit dir ausgehen will – kannst du vielleicht diese Verabredung aufheben?«

Sie sah zu Colley hinüber.

»Ich glaube, das geht«, sagte sie zu dessen größter Bestürzung.

»Meine liebe Diana –«, begann er.

Sie schüttelte den Kopf.

»Es tut mir leid, Colley. Aber ich glaube, die Sache ist sehr wichtig. Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich um sechs Uhr ins Hotel nachkommen.«

Wenn Diana in diesem Ton sprach, war es nutzlos, zu protestieren. Colley Warrington blieb seiner alten Methode treu, lächelte und machte die größten Anstrengungen, seinen Ärger zu verbergen.

Sie ging mit ihm zur Tür. Als sie draußen im Gang waren, sagte er leise zu ihr:

»Ich glaube nicht, daß es klug ist, unseren Freund Graham wegen des Plans, den wir heute nachmittag besprachen, ins Vertrauen zu ziehen.«

Sie antwortete nicht darauf und schloß die Tür hinter ihm. Dann ging sie schnell zu Graham zurück.

»Was ist geschehen?« fragte sie.

Er sah sie mit zusammengekniffenen Augenlidern an.

»Was hat er dir draußen erzählt, das nicht hier in meiner Gegenwart besprochen werden konnte?« fragte er. Er war nicht eifersüchtig, aber im Augenblick war er mit seinen Nerven fertig.

»Er fragte mich heute nachmittag, ob ich ihn nicht heiraten wollte«, sagte sie ruhig. »Draußen bat er mich, dir nichts von diesem interessanten Vorschlag zu erzählen. Colley ist ekelhaft, aber er ist brauchbar. Nun, was hast du?«

Er ging auf dem Teppich auf und ab.

»Trayne ist verrückt – so verrückt wie ein Märzhase. Ich war im Tower, um mir die Schatzkammer anzusehen. Es ist leichter, die Bank von England auszuplündern!«

In wenigen Worten erzählte er ihr von den außerordentlichen Vorsichtsmaßregeln gegen Diebstahl.

»Der alte Narr denkt zweihundert Jahre zu spät«, sagte er. »Die Schatzkammer ist ein Geldschrank. Der schlaueste Einbrecher der Welt, ob er Engländer oder Amerikaner ist, könnte die Stahltüren nicht öffnen. Und wenn er es doch vollbracht hätte, böte ihm die Schatzkammer noch zweimal soviel Arbeit. Überall sind Alarmglocken angebracht, und alle Leitungen sind wahrscheinlich in den Wänden versteckt angelegt. Der Plan ist menschenunmöglich.«

Sie dachte nach.

»Es ist aber nicht Traynes Art, etwas Unmögliches zu unternehmen. Ich habe heute nachmittag mit Colley auch über ihn gesprochen. Er sagte auch, daß Tiger Trayne sehr schlau sei.«

Sie sah ihn lange und ernst an.

»Hältst du die Rolle, die du dabei spielen sollst, für gefährlich?«

Er schüttelte den Kopf.

»Sie ist wohl gefährlich, aber doch durchführbar. Ich glaube sogar, daß sie der genialste Teil des ganzen Plans ist. Ich habe genügend militärische Praxis – ich war in Sandhurst und zwei Jahre in Westshires. Nein, darüber bin ich nicht beunruhigt. Ich habe gute und starke Nerven. Was mich zur Verzweiflung bringt, ist der Diebstahl selbst. Trayne hat nur fünfzehn Minuten dafür angesetzt. Er brauchte allein solange, um durch das eiserne Tor zu kommen, und kann glücklich sein, wenn er es in der Zeit schafft. Ich habe mich doch in Dartmoor mit allen möglichen berühmten Einbrechern unterhalten – Vrenehy, der die Southern Bank ausplünderte, sagte mir, daß die tüchtigsten Einbrecher mindestens drei Stunden brauchen, bevor sie durch die Wände eines modernen Geldschrankes kommen. Gewöhnlich benutzen sie ein Wochenende, um die Sache auch richtig ausführen zu können. Und selbst dann müssen sie viel Bewegungsfreiheit haben. Dazu gehören elektrische Bohrmaschinen – nein, die Sache mit dem Tower ist einfach unmöglich, absolut unmöglich, Diana. Ich muß Trayne sprechen.«

Sie nickte.

»Er kommt morgen abend nach Cobham«, sagte sie. »Ich habe Nachricht von ihm. Er bat mich, um diese Zeit dort zu sein. Wir müssen diese Sache klären, Graham. Ich bin schon ganz krank davon.«

Sie beobachtete ihn, als er sich eine Zigarette ansteckte und das Streichholz zielsicher quer durch das Zimmer in den Kamin warf. Man konnte noch einen anständigen Mann aus Graham machen. Es hatte einige Hindernisse in seiner geistigen Entwicklung gegeben, die ihn aus der Bahn der Rechtschaffenheit getrieben hatten. Sie hatte ihn einst geliebt, leidenschaftlich, wahnsinnig geliebt – sie hatte ihn niemals ganz verachtet. In diesem schwierigen und wichtigen Augenblick fühlte sie, daß ihre alte Leidenschaft für ihn sich wieder regte. Es war kein unangenehmes Gefühl.

»Wir werden die Sache morgen nacht klären, Graham – und wir werden sie zusammen klären«, sagte sie.

Er bemerkte sofort den Wechsel ihres Tones und blickte schnell zu ihr auf. Vielleicht sah auch er mehr in ihr als eine lästige Fessel, denn sein angespanntes Gesicht überflog ein Lächeln. Es war das erste Lächeln, das sie an ihm sah, seit er aus dem Gefängnis entlassen war.

»Vielleicht ist es gar nicht wert, darüber zu sprechen«, sagte er. »Der alte Trayne ist sicher kein Narr. Er kennt die Schwierigkeiten so gut wie du und ich.«

»Sagt das Buch etwas darüber?« fragte sie. »Ich meine, ob es etwas darüber sagt, wie in den Wakefield Tower eingebrochen werden soll?«

Er schüttelte den Kopf.

»Er geht merkwürdig leicht darüber weg«, meinte er und lächelte wieder. Dann streckte er plötzlich die Hand aus. »Ich freue mich, daß du kommst, Diana. Ich weiß nicht, ob es die Atmosphäre dieses Zimmers oder dein persönlicher Einfluß ist – jedenfalls bin ich wieder viel froher und freier.«

Sie blieb keineswegs fröhlicher zurück; zu ihren anderen Sorgen war eine neue gekommen, die bis zu diesem Nachmittag noch nicht vorhanden gewesen war – die Angst um seine Sicherheit.


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