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8

Ein großes Regiment hat große Traditionen, und eine dieser alten Traditionen der Berwick-Garde bezog sich auf die Auswahl der Offiziersfrauen. Kein Offizier durfte zum Beispiel eine Schauspielerin heiraten, so liebenswürdig, schön und berühmt sie auch sein mochte, wenn er im aktiven Dienst bleiben wollte.

Bobby Longfellow war von John Ruislep, seinem Obersten, und dessen Gattin zum Dinner eingeladen worden. Er kehrte in etwas deprimierter Stimmung zu seiner Wohnung zurück. Denn obgleich der großzügige Kommandeur der Berwick-Garde bei der Auswahl der Offiziersfrauen eine tolerantere Auffassung vertrat, huldigte seine strenge Gattin den alten Traditionen.

Trotz seiner Jugend hatte Bobby in weltlichen Dingen seine eigenen Ansichten. Die hohe Kommandeuse hatte eine Andeutung darüber fallen lassen, daß die jüngeren Offiziere des Regiments immer häufiger außerhalb ihrer Gesellschaftsklasse heirateten. Da sich diese Bemerkung anscheinend auf einen ganz bestimmten Offizier bezog, fühlte sich Bobby Longfellow nicht sehr wohl.

»Man muß auf gute Familie halten, das ist die erste Bedingung für eine glückliche Ehe«, sagte die Obristin und spielte dabei mit dem großen Smaragdring, den sie am kleinen Finger trug. »Wenn eine junge Dame nicht von gutem altem Adel stammt, ist die Heirat von vornherein ein Fehler.«

Die etwas hagere, aber sehr schöne Frau mit den schmalen Lippen war nie so bestimmt, als wenn sie an dem prachtvollen Smaragd drehte, für den ihr Finger fast zu klein war.

Bobby ging einfach in Dicks Zimmer, stutzte aber, trat schnell zurück und klopfte. Dicks fröhliche Stimme bat ihn, einzutreten.

»Du siehst aus wie Salomo in all seiner Herrlichkeit«, sagte Dick und sah seinen Kameraden in der Galauniform bewundernd an. »Du warst wohl eingeladen, Bobby?«

Dick selbst hatte seinen roten Uniformrock ausgezogen und es sich in Pyjama und seidenem Hausrock bequem gemacht. Er saß über seinen Kompanie-Abrechnungen. Bobby wählte erst mit Umständlichkeit eine Zigarette, bevor er antwortete.

»Ich war heute zur Abfütterung beim Alten«, sagte er, »und bei der Alten«, fügte er hinzu. »Weißt du, sie ist wirklich eine schreckliche Kanone. Sie erzählt immer, daß alle Dinge schlechter geworden sind, seitdem sie ein Mädchen war, und ich habe den Eindruck, daß ich auch zu diesen Dingen gehöre.«

Dick mußte lachen. »Armer Bobby!« sagte er mitleidig. »Ich habe meine offizielle Einladung schon einen Monat hinter mir.«

»Der Oberst ist nicht so schlimm.« Bobby ließ sich in einen tiefen Sessel sinken und suchte nach einem zweiten Ruheplatz für seine langen Beine. »Und – weißt du, daß er mit Diana befreundet ist?«

Dick lächelte.

»Diana hat viele Freunde – ich glaube mich zu besinnen, daß sie früher gut miteinander bekannt waren. Hat er sie gestrichen?«

»Er hat mir nichts erzählt, bevor sich die Gnädigste zurückzog«, sagte Bobby leichthin. »Aber er sprach mit mir, als wir allein waren –«

»Seine Führung ist die beste im ganzen Regiment«, widersprach Dick.

»Das ist möglich«, erwiderte Bobby. »Ich kann schweren Rotwein nicht leiden, ich kann nachher nicht so gut denken.«

»Hat der Oberst denn etwas über Diana gesagt?«

»Er äußerte nur, daß sie ein sehr liebenswürdiges und schönes Mädchen sei«, gab Bobby zu. »Er bedauerte sehr, daß seine Frau sie von ihrer Besuchs- und Einladungsliste gestrichen hat. ›Wir alle waren sehr entzückt von ihr‹ – du kennst doch die Art, wie er redet, wenn er gemütlich oder gefühlvoll wird.«

Eine lange Pause entstand. Dick wandte sich wieder seinen Abrechnungen zu und versuchte, sich auf die lange Zahlenreihe zu konzentrieren. »Sie erwähnte auch Miss Joyner«, warf Bobby plötzlich hin.

Dick drehte sich sofort um.

»Wer? Lady Cynthia?«

Bobby nickte nur.

»Was hatte sie denn über Hope zu sagen?«

»Nicht viel.« Der junge Mann fühlte sich ungemütlich. Aber diese Stimmung teilte sich Dick nicht mit, da er selbst wohl wußte, daß Lady Cynthia Ruislip wenig Gutes über andere Frauen zu erzählen wußte.

»Sie wollte gern wissen, wer Miss Joyner sei«, erzählte Bobby, »und es war nicht gut, daß der Alte in die Bresche sprang und erklärte, daß sie eines der schönsten Mädchen sei, die er jemals gesehen habe. Auch ließ er eine Andeutung fallen, daß er ihre Familie kenne.«

Dick lachte leise.

»Nun bin ich aber gespannt, was Lady Cynthia darauf erwiderte.«

»Du kennst doch ihre Art. Was sie nicht sagte und nur ahnen ließ, machte mich furchtbar ärgerlich. Wie sie die Augenbrauen hoch und die Mundwinkel nach unten zog! Ich hätte laut losbrüllen mögen. Natürlich hatte sie den Alten bald schachmatt gesetzt. Sie stellte gleich fest, daß er nichts von Hope Joyner und ihrer Familie wußte, und war wirklich sehr aufgebracht über ihn.«

Dick wandte sich langsam wieder seiner Abrechnung zu, aber obgleich er die Feder in der Hand hielt, schrieb er nicht.

»Ich vermute –«, begann Bobby und hielt wieder inne.

»Was vermutest du?« Dick sah sich nicht um.

»Ich vermute, daß schon alles in Ordnung ist ... Ich meine –«

»Du meinst zwischen mir und Hope Joyner? Es ist noch nichts zwischen uns, aber ich hoffe zuversichtlich, daß ich ihr gut genug bin. Warum fragst du denn? Ein Mann mit soviel Verstand wie du könnte das doch längst wissen!«

Bobby stand langsam auf und reckte seine langen Glieder.

»Ich weiß nicht«, sagte er vorsichtig, »aber ich habe den Eindruck, daß die alte Cynthia auf deiner Dame herumhackt. Warum sie das tut, weiß ich nicht im mindesten. Wahrscheinlich zieht sie alle herunter, die ihre Vorfahren nicht bis zu den blutigen Plantagenets zurückführen können. Nebenbei bemerkt, erzählte mir der Oberst privatim, daß er von dem Fürsten zum Essen geladen ist.«

»Kishlastan?« fragte Dick erstaunt. »Ich wußte nicht, daß er mit ihm befreundet ist.«

»Der Oberst hat seine Bekanntschaft anscheinend in Indien gemacht«, erklärte Bobby. »Auf alle Fälle nimmt er morgen abend an dem großen Diner des Fürsten teil. Er erwähnte auch, daß Diana Martyn dort sein würde – aber er hütete sich wohl, dies in Gegenwart seiner Frau zu erzählen.«

»Er ist ein ganz verrückter Teufel – natürlich meine ich Kishlastan.« Dick Hallowell runzelte die Stirn. »Im Auswärtigen Amt sagen sie, daß er verrückt ist. Der Unterstaatssekretär war sehr darauf aus, daß ich ihn ein wenig beobachte.«

Bobby lächelte. Daß auch noch ein anderer gebeten wurde, Erkundigungen einzuziehen, wenn man doch ihn fragen konnte, amüsierte ihn sehr.

Leutnant Bobby Longfellow von der Berwick-Garde war trotz seiner etwas nichtssagenden Erscheinung ein sehr kluger Kopf; nur wurde seine Schlauheit manchmal von Illusionen beeinträchtigt, die zuweilen grotesken Charakter hatten.

Es war Bobbys Ehrgeiz, in das militärische Nachrichtendepartment des Kriegsministeriums einzutreten. Alle seine freie Zeit widmete er diesem interessanten Studium. Er war außerordentlich stolz auf seine Begabung zum Detektiv und hatte darin eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Sohn der Mrs. Ollorby.

Nach seiner Unterredung mit Dick ging er in seine eigene Wohnung. Er setzte sich nieder und dachte lange Zeit über die ungünstige Meinung nach, die Lady Cynthia von Hope Joyner hatte. Die Arme würde wohl keine Aussicht haben, in die vornehme Gesellschaft der Berwick-Garde aufgenommen zu werden. Er kannte das Mädchen gut genug, um zu wissen, daß sie nichts verheimlichte, was sie selbst anging, und daß ihr das Rätsel, das über ihrer Abstammung und Verwandtschaft lag, genauso unlöslich war wie allen anderen. Dieses Rätsel zu lösen, lohnte die Mühe für einen angehenden Nachrichtenoffizier. Es wäre ja immerhin möglich, daß er selbst ohne Hilfe, durch bloße Schlußfolgerungen und einen glücklichen Zufall, in dem großen Wald menschlicher Stammbäume gerade den einen von Hope Joyner erwischte. Denn die Tatsache war ja über jeden Zweifel erhaben, daß selbst der einfachste Straßenkehrer auf irgendeine Weise seinen Stammbaum auf Adam oder irgendwelche niedere Tiere zurückführen konnte, die die Evolutionslehre zu dessen Vorfahren machte. Er hatte jetzt eine neue Privatbeschäftigung, von der sein Freund nichts wußte. Er hatte schon ausgedehnte Streifzüge unternommen und alle Spezialisten der Genealogie ausgefragt – denn er war ein wohlhabender junger Mann – und hatte sie gebeten, ihre Nachforschungen auf den 10. Juni eines bis jetzt nicht festliegenden Jahres einzustellen. Denn Hope Joyner erhielt an jedem 10. Juni von einem Unbekannten Blumen.


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