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XII. Der Einsame

Bezirksamtmann Sanders hatte so lange zwischen den Eingeborenen gelebt, daß er nicht wenig von ihrer Naivität in sich aufgenommen hatte. Überdies hatte er die unheimliche Macht, Dinge zu wissen, die er nicht gewußt hätte, nicht hätte wissen können, wenn er nicht mit der Gabe des Vorherwissens begabt gewesen wäre, auf die jeder Eingeborene von Geburt an ein Anrecht hat.

Er hatte drei Kundschafter ins Isisiland geschickt, das weit vom Gouvernement entfernt liegt, und zu dem der Zugang schwierig ist. Nach zwei Monaten Wartens kamen sie alle drei zurück und brachten gute Nachrichten.

Das beunruhigte Sanders in einer ganz ungerechtfertigten Weise.

»Herr, ich sage dir, die Isisi sind ruhig,« protestierte einer der Kundschafter, »und da ist nicht die geringste Rede von Krieg.« »Hm!« grunzte Sanders ungnädig. »Und du?« wandte er sich an den zweiten Kundschafter.

»Herr,« sagte dieser, »ich ging in den Urwald und an die Grenze des Landes, und nirgends ist die Rede von Krieg. Die Häuptlinge und Ältesten sagten mir das.«

»Wirklich, du bist ein großartiger Kundschafter«, höhnte Sanders.

»Und wie kamen dir die Häuptlinge und Ältesten entgegen? Wie haben sie dich begrüßt? ›Heil dir, geheimer Spion Sandis?‹ Hu!«

Er entließ die Leute mit einer Handbewegung, setzte seinen Tropenhelm auf und ging ins Haußalager, wo die blauuniformierten Soldaten im Schatten ihrer sauberen weißen Baracken spielten.

Der Hauptmann der Schutztruppe war im Begriff, mit Hilfe von Zigarettenpapier und einer Sechs-Unzen-Flasche schwefelsauren Chinins eine schmackhafte Medizin zu bereiten.

Sanders bemerkte, wie dem Hauptmann dabei vor Fieber die Hand zitterte, und er sprach in gereiztem Tone:

»Da ist was los in Isisi! Ich wittere das! Ich weiß nicht, was es ist, aber irgendeine Teufelei geht da vor sich!«

»Geheimbündler?«

»Geheime Großmütter«, äffte Sanders nach. »Wieviel Leute haben Sie zur Verfügung?«

»Sechzig, die Lahmen eingeschlossen!« sagte der Schutztruppenoffizier und verschluckte mit einer Grimasse ein Paket Chinin.

Sanders schlug mit der Spitze seines dünnen Spazierstockes aus Ebenholz an seine Gamaschen und war sehr nachdenklich.

»Möglich, daß ich sie brauche. Ich werde herausfinden, was bei den Isisis los ist!«

Am Kleinen Fluß, der plötzlich vom Geisterfluß abbiegt, baute Imgani, der Einsame, sein Haus.

Er baute es, wie sich's gehört, indem er das Holz in einem fünf Meilen entfernten Dorfe stahl. Dank einer Epidemie hatte es viele Tote in diesem Dorfe gegeben, und es ist Sitte am Oberen Fluß, daß, wenn jemand stirbt, das Haus, in dem er starb, auch zerstört wird.

Niemand sucht Schutz unter dem verfluchten Dache, unter dem der Geist der Toten umgeht. Die Waffen des Toten werden zerbrochen und auf sein seichtes Grab zerstreut und die Kochtöpfe seiner Weiber ebenso.

Nach und nach senkt sich das Bambusdach unter dem vereinten Einfluß von Wind und Regen und sinkt. Die Türpfosten faulen, Elefantengras, grob und scharf, schießt zwischen den Rissen in Wand und Dach auf, dann kommt ein starker Regen und Wind, und der Wald hat bald den Fleck voll Unrat ausgetilgt.

Imgani, der behauptete, er sei ein N'Gombimann und fürchte keinen Teufel – auf jeden Fall keinen Isisiteufel –, stahl furchtlos Türpfosten und Stricke aus Lianen. Er stahl sie nachts, wenn der Mond hinter den Bäumen stand, spottete der toten Geister und nannte sie bei schlimmen und herausfordernden Namen. Dennoch ging er behutsam vor; denn während er mit den Geistern der Toten nicht rechnete, hatte er eine gesunde Achtung vor den lebenden Isisis, die ihn getötet hätten, wäre seine Schändung entdeckt worden, obwohl, sonderbar genug, der Tod das letzte war, was er fürchtete.

So stahl er die verhexten Stützen und Dachsparren und hätte auch die Dächer gestohlen, wären diese nicht sehr alt und voll von Spinnen gewesen.

Alles das nahm er und trug es fünf Meilen weit zur Flußbiegung und baute dort mit Muße seine kleine Hütte. Tagsüber schlief er, und nachts fing er Tiere in Fallen und Fische; aber er machte keinen Versuch, die großen Fledermäuse zu fangen, die von der Insel mitten im Fluß kamen, obwohl diese sehr schmackhaft sind und als Delikatesse betrachtet werden.

Eines Tages, gerade als die Sonne unterging, betrat er den Urwald auf der Spur eines Wildes. Er trug zwei große Jagdspeere, wie sie die N'Gombis so meisterhaft zu machen verstehen, einen geflochtenen Bambusschild an einem Hautstreifen an seiner Seite und ein Bündel getrockneter Fische, die er im Fluß gefangen hatte.

Imgani war von mittlerer Größe, leicht gebaut, aber doch breitschultrig; seine Haut leuchtete in gesundem Glanz, und sein Schritt war elastisch. Wenn er ging, sah man die Rückenmuskeln wiegen und wogen, wie die Sehnen eines Rennpferdes in bestem Training.

Nach halbstündigem Marsch im Urwald stieß er auf ein Mädchen; sie trug ein Bündel Maniokwurzeln in ihrer Hand und schritt anmutig dahin.

Als sie Imgani erblickte, blieb sie betroffen stehen. Todesangst und Schlimmeres sah ihr aus den Augen, denn sie wußte, daß er ein Ausgestoßener war. Solche Menschen werden mehr gefürchtet als die Ingali, die große Giftschlange, die vom Gras aufschnellt und ihre Giftzähne in die Beine schlägt.

Sie beobachten einander, der Mann mit beiden Händen auf seine Sperre, die Wange dagegen gelehnt, das Mädchen zitternd.

»Weib, wohin gehst du?«

»Herr, ich gehe zum Dorf nahe am Fluß, und dieses ist der Pfad dorthin«, stammelte sie.

»Was hast du da?«

»Maniok zum Brot«, flüsterte sie.

Imgani nickte. »Du bist ein Wurzelesser!«

»Herr, laß mich gehen!« Sie starrte ihn an.

Imgani warf seinen Kopf zurück.

»Ich sehe, du hast Angst vor mir, obwohl ich nichts von dir haben will. Ich bin Imgani, das heißt der Einsame. Ich habe kein Gelüst nach Weibern! Über solche Narrheiten bin ich erhaben. Vor mir bist du sicher, Wurzelesserin, denn, wenn ich wollte, könnte ich den Wald füllen mit schönen Häuptlingstöchtern, die sich alle nach mir sehnen!«

Die Furcht verschwand bei ihr. Neugierig betrachtete sie ihn, außerdem erkannte sie seine Herbheit. Möglich, daß sie etwas verletzt war, denn sie antwortete patzig genug, indem sie sich eines Isisi-Sprichwortes bediente:

»Nur die Ziegen meckern am Eingang zur Leopardenhöhle – die Isisis werden fett von den Fremden.«

Er sah sie an, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt.

»Im Unterland erzählt man sich, die Isisi verkauften Leute an die Araber,« sagte er sinnend, »aber das ist wohl bloß Geschwätz. Geh!«

Mit einem weiteren Zurückwerfen des Kopfes entließ er sie.

Sie hatte sich bereits ein Stück entfernt, als er sie nochmals zurückrief.

»Wurzelesserin, wenn dich Leute fragen, wer ich sei, dann sagst du, ich sei Imgani, der Einsame, der ein Fürst unter Fürsten ist; auch daß ich viele Männer in meinen Tagen erschlagen habe, so viele, daß ich sie nicht zu zählen vermag. Sag' auch, daß so weit, wie ein Mann von meinem Haus, das ich mir am Fluß gebaut habe, nach jeder Richtung hin sehen kann, sich mein Königreich erstreckt, und daß keiner sich da hereinwagen soll, es sei denn mit Geschenken in der Hand, denn ich bin sehr schrecklich und sehr habgierig.«

»Herr, ich werde das alles ausrichten.«

Sie ging, halb im Lauf, in der Dorfrichtung und verließ Imgani, der seinen Weg fortsetzte.

Nun waren in diesem Dorf manche junge Burschen, die gern der Wurzelträgerin gefallen hätten, denn sie war eine Häuptlingstochter und überdies 14 Jahre alt, also im heiratsfähigen Alter. Als sie nun die Dorfstraße entlang gelaufen kam, fast nervös vor Aufregung und Furcht, schreiend und Unzusammenhängendes stammelnd, fehlte es ihr nicht an Mitgefühl noch an tapferen Rittern, die gewillt waren, die Beleidigung zu rächen.

Sechs junge Männer, mit Speer und Kreuzschwert bewaffnet, tanzten vor dem Häuptling und dessen Tochter (wie wichtig sich diese vorkam, kann man von jedem Weib irgendeiner Rasse erfahren). Einer unter diesen, E'Kebi mit Namen, ein Mann mit Rednertalent, beschrieb von Sonnenuntergang bis Mondaufgang, also oberflächlich geschätzt vier Stunden lang, genau, was Imgani geschehen werde, wenn sie, die Isisileute über ihn kämen; wie seine Augen zusammenschrumpften, wie vor einem großen schrecklichen Feuer, wie seine Glieder dahinwelkten, und noch einige andere körperliche Veränderungen, die es besser ist, nicht näher zu beschreiben.

»Das ist eine gute Rede«, meinte der Häuptling. »Dennoch vergießt kein Blut, da Sandi überall seine Kundschafter hat; denn Blutgeruch dringt weiter, als ein Mann sehen kann, und Sandi ist höllisch schnell mit dem Aufhängen. Überdies, der Einsame ist ein Fremder, und wenn wir ihn lebendig fangen, können wir ihn ja an die Araber verkaufen, die uns Zeug und Schnaps für ihn geben.«

Darauf opferten sie eine junge Ziege und gingen. Sie stießen auf Imganis Hütte, aber der Einsame war nicht da, denn er stellte Fallen im Urwald. Deshalb verbrannten sie seine Hütte und verwüsteten seinen spärlichen Garten. Viele andere Isisileute waren ihnen in achtungsvoller Entfernung gefolgt für den Fall, daß Imganis Schätzung seiner eigenen Tapferkeit durch den Erfolg gerechtfertigt würde. Sie hielten eine Orgie, bis die Sonne plötzlich über der Insel am Fluß erschien und alle die kleinen Sterne am Himmel erloschen.

Imgani sah dies alles im Busch auf seinen Speer gelehnt; aber er begnügte sich, diesmal nur den Zuschauer zu spielen, denn, folgerte er, wenn er gegen sie alle fechte, würden sie versuchen, ihn zu ermorden oder mit Ruten zu peitschen, und den Gedanken daran konnte sein hochfliegender Geist nicht ertragen.

Er sah die Flammen die Hütte zerstören, die er mit so viel Mühe erbaut hatte.

»Dummes Volk,« dachte er, »zerstören ihr Eigentum, und vielleicht zürnen die Geister der Toten und segnen sie mit der Beulenpest.«

Als von seiner Wohnstätte nur noch ein Haufen weißer Asche und dunkelrote Glut übrig war und ein nebliger Rauch darüberlag, wandte Imgani sein Gesicht gegen den Urwald.

Er wanderte den ganzen Tag und rastete nur, um von dem Fisch zu essen, den er bei sich trug. Zur Nacht gelangte er an ein anderes Isisidorf, das O'Fasi hieß.

Er kam durch die Dorfstraße, breitschulterig, den Kopf in die Höhe geworfen und prahlerisch seinen Speer schwingend. Er sah weder rechts noch links, und die Dörfler drängten sich an ihren Hüttentüren, hielten die Knöchel ihrer geballten Fäuste gegen den Mund und riefen: »Oho!« Das hieß, daß er Eindruck machte.

So schlenderte er durch die ganze Länge des Dorfes und ging auf den Waldweg jenseits des Dorfes zu, als ein Bote hinter ihm herjagte.

»Herr, der Häuptling, der der Regierung für alle Fremden, die hier durchkommen, verantwortlich ist, und besonders für die Flüchtlinge aus der Strafniederlassung, wünscht dich zu sehen. Er ist sicher, daß du kein Dieb bist, sondern ein bedeutender Mann, dem er Ehre erweisen will.«

So berichtete er; und da er ein friedlicher Geselle war, der für diese Rolle gewählt wurde, weil er ein Verwandter der Lieblingsfrau des Häuptlings war, warf er einen vorsichtigen Blick auf den Breitblattspeer und sah sich schon im Geiste nach einer Richtung um, nach der er fliehen könnte.

»Geh zu deinem Herrn zurück, Sklave«, antwortete Imgani, »und sage ihm, ich möchte einen Ort finden, dessen Einsamkeit mich befriedigt; einen Ort, wo ich diese Nacht schlafen und mich hohen Gedanken hingeben kann. Sobald ich diesen Platz gefunden habe, komme ich zurück. Sage, auch ich sei ein Fürst meines eigenen Volkes, und daß mein Vater Legionen von Kriegern hat, und wenn jeder Krieger dieser Legionen nur eine Hand voll Sand vom Grunde dieses Flusses nähme, wäre dieser Fluß bodenlos! Sag' dem Häuptling ferner, ich hieße Imgani und liebte mich selber mehr, als sich irgendein Mann jemals selbst geliebt hat, seit der Mond weiß wurde, damit er der Sonne nicht ähnlich sehe.«

Er schritt weiter, den Boten nachdenklich zurücklassend.

Seinem Versprechen getreu kehrte Imgani zurück. Bei seiner Rückkehr bemerkte er, daß ein Palaver stattfand, dessen Gegenstand der unglückliche Verwandte der Häuptlingsfrau war.

»Wer«, fragte der Häuptling, »hat Schande über mich gebracht, weil er ein so großer Narr ist wie seine Base, meine Frau?«

»Herr«, entgegnete der arme Verwandte demütig, »ich habe ihn gebeten zurückzukehren, aber er war ein Mann von großem Stolze und überdies auf dem Sprunge, weiterzugehen.«

»Deine Mutter war eine Närrin!« schimpfte der Häuptling, »die Mutter deiner Mutter war eine Törin, und dein Vater, wer immer er war, und den kein Mensch kennt, war ebenfalls ein großer Narr.«

Dieser interessante Anfang eines rohen Vortrags über erbliche Narrheit wurde durch die Ankunft Imganis unterbrochen. Als er langsam den Hügel heraufgeschritten kam, glitten die Blicke der Versammlung an ihm herunter von dem rasiermesserscharfen Stahl in der knappsitzenden Scheide von Leopardenfell bis zu den dünnen Messingringen an seinen Knöcheln. Der Häuptling, ein stattlicher Mann, aber von wenig Mut, bemerkte die Speere und sah, daß ihre Schäfte wie glattpoliert vom vielen Gebrauch waren.

»Herr«, sagte er unterwürfig, »ich bin der Häuptling des Dorfes und vom Gouvernement eingesetzt. Dieses gab mir als Halsschmuck eine Münze, die auf einer Seite das Bild eines Mannes mit einem großen Bart trägt und auf der anderen Seite gewisse Teufelszeichen und eine Zauberschrift von großer Gewalt. Das wurde mir gegeben, damit das Volk wüßte, daß ich Häuptling sei, aber ich habe die Medaille verloren. Nichtsdestoweniger bin ich der Häuptling, wie ich dir gleich zeigen werde.«

Damit suchte er in seinem Überwurf und holte einen Beutel von Schlangenhaut hervor, dem er ein sehr schmutziges Papier entnahm. Er faltete dies sorgfältig auseinander und enthüllte einen amtlichen Briefbogen mit einigen darauf gekritzelten Sätzen in der Handschrift des Bezirksamtmanns Sanders. Diese lauteten:

»An alle Stationsleiter, Polizeioffiziere und Chefs von Militärposten! Verhaften Sie und halten Sie den Träger dieses Papiers fest, sobald er sich woanders als im Isisibezirk aufhält.«

Mit diesem eigenartigen Dokument war eine kleine Geschichte verknüpft. Es betraf einen willkürlichen Beutezug gegen ein gewisses Ochoridorf und eine darauf folgende Gerichtsverhandlung, in der ein Häuptling zitternd vor banger Erwartung einer kleinen, aber wissenswerten Prophezeiung lauschte, welches Schicksal ihn erwartete, wenn er sich außerhalb der Grenzen seines Bannkreises sehen ließe.

Imgani nahm das Papier, drehte es um, rieb es leicht mit seinen Fingern, um zu sehen, ob die Schrift von Dauer sei, und gab es dem Häuptling zurück.

»Das ist voll Zauberkraft, obwohl ich solchen Zauber nicht fürchte, ausgenommen eine besondere Art, wie er von einem gewissen Zauberdoktor meines Vaters geübt wird. Ich kenne auch keine Regierung, die mich regieren kann.«

Danach erzählte er ihnen von seinem Vater, von dessen Legionen von Kriegern und Weibern und von verschiedenen anderen Dingen von gleichem Interesse.

»Ich zweifle nicht, daß ihr mich verstehen werdet«, sagte er. »Ich bin der Einsame! Ich hasse die Gesellschaft der Menschen, die so veränderlich ist wie der Schnee auf den Bergen! Darum habe ich mein Haus und meine Weiber verlassen, die so treu waren, wie Weiber treu sein können, und habe keine Krieger mitgenommen, da diese meinem Vater gehören.«

Der Häuptling war betroffen.

»Warum du einsam bist, kann ich nicht sagen. Gewiß aber warst du im Recht, deines Vaters Legionen zu verlassen. Das alles ist schwer zu verstehen und erfordert ein Palaver der Ältesten!«

Darauf gab er Befehl, die Lokoli, die Sprechtrommel, zu rühren und die Dorfältesten zu versammeln.

Diese kamen, brachten ihre eigenen geschnitzten Hocker mit sich und saßen unter dem Schutzdach, wo der Häuptling das Präsidium übernahm.

Wieder erzählte Imgani seine Geschichte über die 50 Weiber, die zahllosen Legionen, und die gläubigen Isisis hörten zu – und glaubten ihm.

»Und was ich haben muß, ist das:«, fuhr Imgani in seiner Rede fort. »Ein kleines Haus am Flußufer an einer Stelle, wo kein Weg vorbeiführt und mir kein lebendes Wesen zu Gesicht kommt, denn ich bin ein Einsamer von Natur und ein großer Menschenfeind überdies.«

Imgani wohnte in einer Lichtung, die die Natur dort für ihn geschaffen hatte, und in einer Hütte, die seine neugefundenen Freunde für ihn errichtet hatten. Andere Beweise ihrer Gastfreundlichkeit verschmähte er.

»Ich habe kein Verlangen nach Weibern«, bekannte er. »Ich bin voll von großen Plänen, um mein Königreich aus den Klauen von Bösewichtern zu retten, die meines Vaters Ratgeber sind.«

Einsam war er in der Tat, denn niemand sah ihn, außer an ganz besonderen Gelegenheiten. Nachts ging er jagen, und die heißen Tage verschlief er. Zuweilen, wenn der rote Sonnenball hinter den Bäumen des westlichen Flußufers verschwunden war, sahen die Dörfler die gerade blaue dünne Rauchfahne seines Herdfeuers aufsteigen, wenn er sein Abendmahl bereitete. Manchmal sah ein zurückkehrender Kanufahrer ihn geräuschlos auf dem Wege zur Jagd durch den lichten Rand des Urwalds gleiten.

Sie nannten ihn den »Schweigsamen«, und er genoß diesen bescheidenen Ruhm. Mehr als das, er genoß das Vertrauen seiner Wirte.

Das Isisiland liegt im Bereich des Fremden Flusses, auf dem fremdartig gebaute Fahrzeuge nachts leer hinunterfuhren und nachts gefüllt mit Hals an Hals geketteten Menschen wieder stromaufwärts kamen. Die Beamten von Französisch-Westafrika, das an Isisi anstößt, erhielten Gerüchte von Überfällen und von verbrannten Dörfern, Geschichten, die sie nicht nachprüfen konnten, denn die Isisigrenze ist nahe an 600 Meilen vom Sitz der französischen Regierung entfernt und liegt in einer Wildnis.

Imgani sah auf seinen Jagdzügen Dinge, die ihn mit Bestürzung hätten erfüllen müssen, wenn er nicht ein Mann gewesen wäre, der der Rührung unzugänglich war.

Er sah kleine Karawanen aus der Richtung des französischen Gebietes durchschleichen, Karawanen von wimmernden Weibern und Männern, die unter ihren Ketten stöhnten. Er sah sonderbare Verschiffungen von Menschenseelen um Mitternacht und lernte die weißgekleideten Araber kennen, die die Peitsche gar grausam zu handhaben verstanden.

Eines Nachts, als er alle diese Vorgänge beobachtete, erspähte ihn El Mahmud, der berüchtigte Sklavenhändler, im Mondlicht und sah, daß Imgani kein Isisimann war.

»Von welchem Stamme bist du?« fragte er.

»Herr«, antwortete Imgani, »ich gehöre einem fremden Stamm an. Ich bin ein N-Gombi.«

»Das lügst du«, antwortete der Sklavenhändler, »denn du hast nicht die Gesichtstätowierung wie die N'Gombi! Du bist ein Arabermischling!« redete er ihn auf arabisch an.

Imgani schüttelte den Kopf.

»Er versteht mich nicht«, sagte der Sklavenhändler zu seinem Unterführer. »Finde heraus, wo dieses Mannes Hütte steht. Eines Tages werden wir ihn holen; der Kerl ist Geld wert.«

Er sprach arabisch. Sein Untergebener nickte.

Als der Sklavenhändler wiederkam, besuchten drei Männer Imganis Hütte; aber der war auf der Jagd, und so war es jedesmal, wenn die Langboote nachts nach O'Fasi kamen.

*

Sanders ging während sechs Monaten nicht nach O'Fasi. Es mag betont werden, daß sich während dieser Zeit nichts ereignete, was auch in der kühnsten Phantasie für einen Verlust britischen Ansehens hätte gelten können.

Sein halbjähriger Besuch in Isisi war fällig. Die Ernte war gut gewesen, der Fischfang reichlich, die Regenzeit nicht zu lang, und es hatte keine Epidemien gegeben.

Eines Morgens, als sich Fetzen grauen Nebels von Wipfel zu Wipfel schwangen und es im Osten grau zu dämmern begann, kam Imgani vom Urwald zurück, auf den Schultern einen kleinen Bock, den er in der Nacht im Netz gefangen hatte.

Als er ein kleines Feuer vor seiner Hütte und einen Mann davor hocken sah, drehte er lustig die Speere in der Hand, denn er fürchtete niemand.

»Gab es woanders keinen Platz für dich, daß du hierher kommst, um meine Einsamkeit zu stören?« fragte er. »Ich habe große Lust, dich zu töten und dein Herz zu braten, denn ich mag dich nicht beim Feuer vor meiner Hütte sehen.«

Er sagte das alles mit einem wütenden Gesicht. Der Mann vor ihm wurde unruhig.

»Herr, ich habe das erwartet, denn ich sehe, du bist ein ganz Stolzer, aber gerade um dieses Stolzes willen komme ich, denn ich kenne deine Weisheit.«

Imgani schleuderte den Bock zur Erde und setzte sich mit drohender Miene und hielt den Schaft seiner Speere quer über die bloßen Knie.

Dann beugte der andere seinen Nacken zu ihm und sprach eifrig auf ihn los.

Die Sonne ging auf und warf ihren roten Schein über alles, und noch immer sprach der Fremde mit großer Eindringlichkeit, und Imgani horchte zu.

»Deshalb, Herr«, schloß der andere, »wollen wir Sandi töten, wenn er hier herauf zum Palaver kommt. Isiba, N'Bwka und ein Vetter meiner Mutter werden ihn schnell durchbohren, und wir werden ein großes Volk sein.«

Imgani nickte zustimmend mit dem Kopf.

»Das ist wahr«, sagte er. »Leute, die einen Weißen töten, müssen auch sehr geehrt werden, denn alle andern Stämme werden sagen: ›Seht, das sind die Leute, die weiße Männer töten‹!«

»Und wenn er tot ist«, fuhr der Bote fort, »werden viele junge Männer auf das Boot gehen, das raucht, und alle erschlagen, die mit Sandi gekommen sind.«

»Auch das ist klug«, sagte Imgani, »denn wenn ich weiße Männer erschlage, erschlage ich auch deren Freunde.«

Er erörterte seine Taten des langen und breiten.

Nachdem sich der Mann entfernt hatte, aß Imgani Fisch und Maniok, putzte die Stahlblätter seiner Speere mit nassem Sand, trocknete sie sorgfältig mit Gras und legte sich in den Schatten der Hütte, um zu schlafen.

Am frühen Nachmittag erwachte er, tauchte in den Fluß und schwamm weit bis in die Mitte des Stromes in großen starken Stößen. Dann schwamm er ans Land zurück, ließ sich von der Sonne trocknen und kleidete sich in sein Leopardenfell.

Langsam schleuderte er zum Dorf. Dort fand er alles in Aufregung, am meisten den Häuptling, denn Nachrichten sagten, daß Sandi in der Nacht ankäme und daß eben jetzt sein Dampfer um die Biegung des Flusses führe.

Ein Plan war mißlungen. Sanders kam zwei Tage früher an, als er sollte, und Isiba und M'Bwka, des Häuptlings Getreue, waren fort in besonderer Mission. Die Zeit bis zu Sandis Ankunft war zu kurz, um Zuverlässige als Meuchelmörder zu dingen.

Der Dampfer trieb breitseit an Land. Ein Heckrad drehte sich noch lässig, und dann sahen sie, Imgani zwischen ihnen, daß das Deck voll von Soldaten war, kaltblütig aussehenden braunen Männern in blauer Uniform und Fez.

Die Laufplanke fiel, und ihre Gewehre hochhaltend, kamen die Soldaten ans Land gepatscht, mit ihnen ein weißer Offizier – aber nicht Sandi.

Es war ein barscher, weißer Mann.

»Wer ist hier Häuptling?« fragte er rauh.

»Herr, ich bin's«, sagte der fette Häuptling, alles an ihm war in einer einzigen Aufregung.

»Packt den Kerl!«

Ein Sergeant packte den Häuptling und drehte ihn um. Ein Korporal schnappte die Handeisen um seine Handknöchel. »Herr«, winselte er, »was für eine Schande!«

»Weil du ein großer Dieb bist«, antwortete der Schutztruppenoffizier. »Ein Aufrührer und Sklavenhändler!«

»Wenn jemand das behauptet, dann lügt er!« erwiderte der Häuptling. »Denn kein Gouvernementsbeamter hat mich solche Scheußlichkeiten verüben sehen!«

Da trat Imgani vor.

»Häuptling, ich habe sie gesehen!«

»Du bist ein großer Lügner!« schäumte der stattliche Häuptling, vor Wut zitternd. »Sandi, der mein Freund ist, wird dir nicht glauben!«

» Ich bin Sandi!« antwortete Imgani und lächelte verschmitzt.


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