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VI. Die Tanzsteine

Helden sollten groß und hübsch sein und blitzende Augen haben. Sanders war nicht groß, hatte eine gelbe Gesichtsfarbe und graues Haar. Helden sollten sich sanfter Rede befleißigen, voll weicher Phrasen für zarte Frauen, die ihren Weg kreuzen. Sanders war ein leidenschaftsloser Mann, aber er fluchte bei dem geringsten Anlaß, und für Frauen hatte er schon gar nichts übrig.

Wenn man einen Mann auf einen Thron setzt, mag dieser Thron auch ein hölzerner Schemel sein, der auf dem Markt für ein Vierpencestück oder weniger zu haben ist, dann übernimmt man eine Verantwortlichkeit, die größer ist als alle Genugtuung und Befriedigung, die in diesem Tun liegen mag. In Toledo befindet sich ein Grabdenkmal, eine bronzene Platte, über einem großen Königsmacher, der lange genug lebte, um seine Bedeutungslosigkeit einzusehen. Die Inschrift auf diesem Bronzegrab spricht beredt von seiner höchsten Lebenskenntnis und seinem menschlichen Streben. »Pulvis et nihil« lautet die Inschrift, und »Staub und nichts« ist das letzte Schicksal aller Königsmacher.

Sanders war in jenen frühen Tagen ein Königsmacher; er zerbrach einige, und so lag es nur im Gesetz des Ausgleichs, daß er sich am Wiederaufbau beteiligte.

Er vernichtete Esindini, Matabini, T'saki, um nur drei zu nennen, und half in sehr viel früherer Zeit Lobengula, den Großen Stier, vernichten.

Königsmacher war er ohne Zweifel, obwohl man Republikanismus deutlich in dem vergnügten Schmunzeln lesen konnte, mit dem er diese Könige »machte«. Aber die Könige, die er machte, waren nur kleine Könige. Das ist die Gewohnheit britisch-afrikanischen Regierungssystems, daß man einen großen Herrscher stürzt, um viele kleine Herrscher an seine Stelle zu setzen. Es ist sicherer so.

Irgendwo um 12° nördlicher Breite und 0° Länge befindet sich ein Land, dessen hervorstechendste Eigentümlichkeit es ist, daß es englisch, französisch oder deutsch ist, je nach der Karte von Afrika, nach der man es betrachtet.

Zu der Zeit, von der ich schreibe, war es keines von allem, sondern es wurde von dem großen Herrscher Mensikilimbili regiert. Er war der mächtigste Herrscher und deshalb der grausamste. Sein Reich erstreckte sich, wie sich die Schwarzen ausdrückten, von Mondaufgang bis Sonnenuntergang, und seine Herrschaft war unbestritten.

Er hatte einen Hofstaat und saß auf einem Elfenbeinthron. Über den Leopardenfellen trug er einen aus Gold und Scharlachfäden gewebten Mantel.

Er übte selbst die Gerichtsbarkeit aus.

Er hatte 300 Weiber und 4000 Krieger, und seine Bekanntschaft mit den Weißen begann und endete mit der Ankunft einer französischen Mission, die ihn mit einem großen Hut, einer Drehorgel und 100 000 Franken in Gold beschenkte.

Das war Limbili, der große König von Yitingi.

Die kleinen Häuptlinge des Landes südlich von seinem Reiche sprachen von ihm nur mit verhaltenem Atem; sein Name wurde nur leise gesprochen wie der eines Gottes; er war ein Symbol der Majestät und Macht. Das Isisivolk, selbst ein Stamm von Bedeutung und in dem gleichen Maße großsprecherisch veranlagt, sprach von sich selbst verächtlich im Vergleich mit dem Königreich Yitingi.

Sanders, der der französischen Mission gefolgt war, ging als Gesandter zu Limbili, brachte ihm allerhand Geschenke und Botschaften des Friedens. Er wurde von einer großen Kriegerschar in das Land geleitet und wohnte in der Stadt selbst. Nach zwei Tagen Wartens erhielt er Nachricht, daß Seine Majestät ihn sehen wolle, und er wurde vor den Mächtigen geführt; der war ein alter Mann, ein tückischer alter Mann (wenn Sanders ihn überhaupt richtig beurteilte), der nicht mißzuverstehende Zeichen von Ärger und Verachtung zeigte, als Sanders seine Geschenke ausbreitete.

»Und was ist das, Weißer«, fragte der König, »Spielzeug für meine Weiber oder Geschenke für meine Unterhäuptlinge?«

»Die? Die sind für Eure Hoheit!« antwortete Sanders ruhig. »Von einem Volke, das Freundschaft nicht nach dem Werte von Geschenken bemißt.«

Der König stieß einen kleinen Schnauber aus.

»Sage mir, Weißer, hast du auf deinen Reisen jemals einen so großen König wie mich gesehen?«

»Herr König«, antwortete Sanders freimütig, auch wenn es zu seinem Schaden war, »ich habe schon größere gesehen.«

Der König runzelte die Stirn, und die Menge um seine geheiligte Person murrte drohend.

»Da lügst du«, sagte der König ruhig, »denn einen größeren König als mich hat es nie gegeben.«

»Der Weiße soll doch sagen, wer größer ist«, krächzte ein betagter Ratgeber. Ein Murmeln des Beifalls begleitete seine Worte.

»Herr!« sagte Sanders, dem Alten auf dem Thron gerade in die Augen sehend, »ich habe Lo Ben Lo Bengula, der König von Matabele. gesehen.«

Der König runzelte wiederum die Stirn, dann nickte er.

»Ich habe von ihm gehört, er war ein großer König und ein Fresser von Völkern. Wen sonst?«

»König«, log Sanders, »ich habe auch Ketcewayo gesehen.«

Etwas wie ein Zauber überflog den Hofstaat. Der Name Ketcewayo war weit nach Norden gedrungen.

»Aber von den weißen Königen«, beharrte der Herrscher. »Gibt es einen weißen König, bei dessen Worten die Menschen zittern?«

Sanders lachte innerlich, denn er kannte einen solchen Herrscher, aber er antwortete, in seinem ganzen Leben habe er keinen solchen König getroffen.

»Und ein Heer?« fragte der König. »Hast du jemals ein solches Heer gesehen, wie meines ist?«

In gleicher Weise erwähnte er die Reihe seiner Besitztümer, und Sanders, der herausfand, daß Lügen ihm einen großen Teil Mühe ersparten, log, was das Zeug hielt, und erkannte Limbili als den größten König der Welt an, als den Kriegsherrn der vollkommensten Armee und als den Herrscher eines erhabenen Königreiches.

Hier mag gesagt sein, daß das Königreich Yitingi seine Unverletztheit den Fehlern seines Königs verdankte, denn, zufrieden mit der Vollkommenheit all seines Besitztums, beschränkte dieser seine Ungerechtigkeiten, seine Grausamkeiten und kleinen Fehden auf dieses Königreich selbst und suchte darin seine Erholung.

Eines Tages – kurz nach der Regenzeit, als es kühl war und die Luft voll von dem Dufte des afrikanischen Frühlings – machte Sanders eine Reise durch die kleinen Provinzen; das sind jene Landstriche, die weitab von den großen Strömen liegen, Ländchen, in irgendeinem neckischen Winkel versteckt, scharf entzweigeschnitten von dieser oder jener internationalen Grenzlinie oder zerstreut am Rande unerforschter Gebiete und aufs Geratewohl vom Kartographen als »unter britischem Einfluß stehend« bezeichnet.

Das war stets eine interessante Reise, denn Sanders machte sie nur einmal im Jahre. Der Weg führte fremde Ströme hinauf und durch unbekannte Landschaften; an Dörfern vorüber, wo Weiße, mit Ausnahme von Sanders, niemals gesehen worden waren.

Nach einem monatelangen Marsch kam der Bezirksamtmann nach Icheli, das an der Grenze von des Großen Königs Reich liegt, und wo Sanders mit größter Höflichkeit von den Häuptlingen und Landesältesten empfangen wurde.

»Herr, du kommst zu guter Stunde«, begrüßte ihn der Häuptling, »heute nacht tanzt Daihili.«

»Und wer ist Daihili?« fragte Sanders.

Man erzählte ihm von ihr. Später brachte man ein selbstbewußtes junges Ding vor ihn. Ein wenig naseweis für eine Eingeborene, dachte Sanders; eine schlanke Dirne, größer als die Durchschnittsschwarze; die Figur vollkommenstes Ebenmaß, das Gesicht hübsch, sogar vom Europäer-Standpunkt aus, grazil in der Haltung und jede Bewegung harmonisch. Sanders, an seiner Zigarre kauend, umfaßte sie mit einem Blick.

»Mein Mädel, man erzählt mir, du tanzest?«

»Das stimmt! Ich bin die größte Tänzerin der Welt.«

»Das kann ich nicht gut glauben«, sagte der vorsichtige Sanders. »Aber ich zweifle nicht, daß dein Tanz wundervoll ist.«

»Herr«, sagte sie mit bezeichnender Geste, »wenn ich tanze, werden die Männer toll; sie verlieren ihren Verstand. Heute nacht, wenn der Mond am höchsten steht, werde ich dir den Tanz der drei Liebhaber tanzen.«

»Heute nacht«, entgegnete Sanders kurz, »werde ich im Bett sein und – wie ich glaube – schlafen.«

Das Mädchen runzelte die Stirn; möglich, daß sie sich verletzt fühlte, da sie ein Weib von fünfzehn Jahren und in keiner Weise verschieden von den Weibern sonstwo in der Welt war. Das wußte Sanders nicht, und ich zweifle, ob ihm die Kenntnis, wenn er es wußte, viel geholfen hätte.

Er hörte den Tam-Tam rollen in der Nacht, als er im Bett lag, hörte das rhythmische Klatschen der Hände und fiel in Schlaf; sein letzter Gedanke war, welches wohl das Ende eines Mädchens wäre, dessen Tanz Männer verrückt macht.

Das Mädel war des Häuptlings Tochter, und vor dem Abmarsch tauschte Sanders mit diesem noch einige Worte über sie.

»Deine Tochter ist fünfzehn, und es wäre besser, sie heiratete.«

»Herr, sie hat viele Liebhaber, aber keiner ist reich genug, um sie zu kaufen«, antwortete der Vater stolz, »weil sie eine so großartige Tänzerin ist. Häuptlinge und Große von weit abliegenden Dörfern kommen her, um sie zu sehen.« Der Häuptling sah sich um und dämpfte seine Stimme. »Man sagt«, flüsterte er, »daß der Einzig-Große selbst von ihr gesprochen habe. – Vielleicht wird er nach ihr schicken und mir dieses und jenes für sie anbieten; in diesem Falle«, bemerkte der Häuptling hoffnungsvoll, »werde ich schachern und handeln und ihn hinhalten, und jeden Tag werde ich den Preis steigern.«

»Wenn der Einzig-Große sie braucht, laß sie gehen«, sagte Sanders. »Sonst kann es dir geschehen, daß er dir anstatt wertvoller Geschenke ein Heer schickt. Ich will aber keinen Krieg oder ein Weiberpalaver, das schlimmer als Krieg ist; beachte dies wohl, Häuptling!«

»Herr, dein Wort ist mein Wunsch«, antwortete der Häuptling verbindlich.

Sanders ging in kurzen Märschen nach seinem Bezirk zurück. In Isisi wurde er über eine Woche lang durch ein Zauberpalaver aufgehalten. In Belembi im Isisiland hielt er sich drei Tage auf, um einen durch den Fetisch begangenen Mord zu erledigen. Er hatte gerade den Urteilsspruch gefällt, und Abiboo, der Sergeant, suchte in diesem Augenblick die stärkste Bambusrute für die Prügelstrafe aus, die vollzogen werden sollte, als der Ichelihäuptling mit drei Kanus in fliegender Fahrt den Fluß herunterkam. Sanders, der von dem Platz, wo er saß, eine gute und weite Aussicht nach dem Fluß hatte, sah, daß etwas vorgefallen sein müsse, und erriet, was es war.

»Gerechtigkeit!«, rief der Häuptling, und seine Stimme zitterte vor Wut und Furcht. »Gerechtigkeit gegen den alten Großen, den Mädchenräuber, den Städtezerstörer! Möge der Tod über ihn kommen! Iwa! –«

Noch an demselben Tage, an dem ihn Sanders verlassen hatte, war der Bote des Großen Königs gekommen und mit ihm 100 Krieger und hatte das Tanzmädchen gefordert. Seinem vorgefaßten Plane getreu, hatte der Häuptling das unvermeidliche Schachern um den Preis begonnen; die angebotenen Geschenke seien zu klein, das Mädchen sei hunderttausend Messingstangen, nein, tausend Säcke Salz wert.

»Du warst wahnsinnig!« bemerkte Sanders kalt. »Kein Weib ist tausend Säcke Salz wert.«

»Ja, das mag schon sein«, gab der wütende Vater zu. »Dennoch wäre es Torheit gewesen, einen zu niedrigen Preis zu fordern.« Das Schachern hatte die ganze Nacht und den folgenden Tag durch gedauert, und am Ende wurde der Gesandte des Großen Königs ungeduldig. »Schick' nach dem Weibe«, hatte er gesagt, und Daihili war gekommen, gehorsam dem Befehl, ehrbar genug aussehend, jedoch mit versteckten Blicken der Ermunterung zu dem unbewegten Gesandten hinüber und mit berechneter Zurschaustellung ihrer Reize. »Weib«, hatte der Bote gesagt, »der Größte der Könige verlangt nach dir, willst du kommen?«

»Herr«, hatte das Mädchen geantwortet, »ich wünsche mir nichts Besseres.« Bei diesen Worten hatten die hundert Krieger einen Kreis um das Mädchen geschlossen.

»Und auf diese Weise«, sagte Sanders, »hast du gar nichts für sie erhalten.«

»Herr, es ist so, wie du sagst«, antwortete der alte Häuptling.

»Es liegt auf der Hand, daß dies ungerecht war, denn kein Mann darf ein Weib nehmen, ohne daß er dafür bezahlt. Ich glaube«, fügte Sanders mit beißendem Humor hinzu, der gelegentlich seine Wahrsprüche begleitete, »daß der Mann eigentlich zweimal bezahlt, einmal an den Vater des Weibes und das ganze Leben lang an sein Weib; aber das mag sein, wie es will.«

Sechs Wochen nach dieser Beratung schickte Sanders einen Boten an den Großen König und verlangte den Preis, der dem Vater für seine Tochter zustand.

Was dem Boten geschah, soll hier lieber nicht beschrieben werden; daß er ermordet wurde, ist das Wenigste; aber in seinen letzten Augenblicken, als schon der starre Glanz des Todes auf seinen Augen geruht haben mußte und sein armer gebrochener Körper sich fertigmachte, in den Frieden ewigen Vergessens hinabzutauchen, wurde er zu des Königs Haus getragen, und Daihili tanzte den »Tanz der Geister«. So viel wurde bekannt.

Sanders unternahm nichts. Ebensowenig das britische Gouvernement. Aber einige Noten wurden zwischen Gesandten und Ministern in Paris gewechselt, und das war das Ende dieses Vorfalls.

Zwei Ichelispäher gingen in das Land des Großen Königs. Einer von den beiden kam zurück und erzählte, daß das Tanzmädchen das Lieblingsweib des alten Königs sei, und daß ihre Launen das Schicksal des Landes bestimmten. Ebenso berichtete er, daß viele Männer, Räte und Kriegshäuptlinge wegen dieser schlanken Tänzerin den Tod erlitten hätten.

Der zweite Späher kehrte niemals zurück. Vielleicht war der Umstand, daß man seiner habhaft wurde, die Veranlassung für das Mädchen, ein Heer gegen die Icheli zu senden. Vielleicht glaubte sie, daß ihr Volk sie beobachten ließ.

Eines Tages wurde die Ichelistadt von Kriegern des Großen Königs umzingelt, und weder Mann noch Weib noch Kind entrann.

Die Nachricht von dieser Schlächterei erreichte Sanders erst lange Zeit darnach. Der Grund dafür war einfach. Es lebte niemand mehr, der diese Nachricht hätte bringen können, denn die Icheli sind ein von der übrigen Welt abgeschlossenes Volk.

Eines Tages jedoch stieß eine jagende Isisistreife auf der Suche nach Elefanten auf einen Ort, wo es nach Brand und Leichen roch, und so erfuhr es Sanders.

»Wir können keine Verantwortung für die Scheußlichkeiten des Königs von Yitingi auf uns nehmen«, schrieb der französische Kolonialminister Monsieur Leon Marchassa, »und meine Regierung wird jeden Versuch der britischen Regierung, dieses Land zu beruhigen, mit Sympathie begrüßen.«

Aber die britische Regierung tat nichts, denn Krieg ist eine kostspielige Sache, und Sanders grinste und verfluchte seine Arbeitgeber aufs lebhafteste.

Er wagte sein Leben, marschierte mit zwanzig Polizeisoldaten an die Grenze von Yitingi und sandte einen Boten – einen Yitingimann – zum König. Mit der Kühnheit, die nicht die unbedeutendste seiner Eigenschaften war, forderte er den König auf, zu einem Palaver vor ihm zu erscheinen.

Dieses Abenteuer schien fast von vornherein mißlungen, denn gerade, als die »Zaire« nach der Grenze des Königsreiches zu dampfte, stieß Sanders unerwartet auf die Spuren eines Raubzuges. Nicht falsch zu deutende Zeichen wiesen auf den Urheber dieses Raubzuges hin.

»Ich habe große Lust, zurückzudampfen und den verdammten Ochorihäuptling Bosambo zu bestrafen«, sagte Sanders zum schwarzen Unteroffizier Abiboo. »Obwohl der Kerl bei einer ganzen Mustersammlung von Göttern und Teufeln geschworen hat, Frieden zu halten, haben wir hier die Bescherung! Raubzug auf fremdem Gebiet!«

»Er läuft uns nicht weg, Herr«, entgegnete Abiboo. »Übrigens ist er noch hier in der Nähe, denn seine Feuerstellen sind noch warm.«

So marschierte Sanders weiter und sandte seinen Boten zum König.

Er ließ sein kleines Fahrzeug unter Dampf halten – er hatte die einzige Stelle gewählt, wo der Fluß die Yitingigrenze berührt – und wartete, stets auf dem Sprunge, wenn es die Klugheit gebieten sollte, schimpflich – – – die Flucht zu ergreifen.

Zu seinem Erstaunen brachten seine Späher die Nachricht, der König sei im Anmarsch.

Sanders schuldete diese Herablassung dem Einfluß der kleinen Tänzerin, denn sie hatte, echt weiblich, ein Gedächtnis für Kränkungen und hatte mit Herrn Bezirksamtmann Sanders ein Hühnchen zu pflücken.

Der Große König kam an, und Sanders beobachtete den sich quer über das wiesenähnliche Gelände zu beiden Seiten des Stromes hinwindenden Zug mit recht gemischten Gefühlen. Ungefähr 100 Yards vom Ufer entfernt machte der König halt, und sein großer scharlachroter Königsschirm war der Mittelpunkt einer schwarzen Linie von Kriegern, die sich rechts und links von ihm ausdehnte.

Dann löste sich ein Trupp los und kam auf den dürren Baum zu, der am Wasser stand, und von dem das Banner von England in der Windstille schlaff herunterhing.

»Hier werde ich auch einmal totgehen«, sagte Sanders laut zu sich selbst.

Es war ein Zeichen des Ernstes der Lage, der sich ihm aufdrängte, daß er sich so weit vergaß, um zum Negerenglisch herabzusteigen.

»Der König, der Große, Einzige, erwartet dich, Weißer, und bietet dir Sicherheit in seinem Schatten«, sagte der Königsbote.

Sanders nickte. Er schlenderte auf die versammelten Kriegerhaufen zu und erschien vor dem alten Mann, der auf einem Haufen von Fellen hockte und wie ein Affe in das Sonnenlicht blinzelte.

»Herr und König, mögest du ewig leben!« begrüßte ihn Sanders aalglatt, und als er seine Hand zum Gruße erhob, sah er, wie das Tanzmädchen ihn mit gerunzelter Stirn betrachtete.

»Was willst du Weißer?« fragte der alte König. »Bringst du so reiche Geschenke, daß du mich viele Tagereisen weit herrufst?«

»Herr, ich bringe keine Geschenke«, erwiderte Sanders kühl. »Aber die Botschaft eines Königs, der größer ist als du, dessen Soldaten zahlreicher sind als der Sand im Fluß, und dessen Länder sich vom Osten zum Westen und vom Norden zum Süden erstrecken.«

»Einen solchen König gibt es nicht,« knurrte der Alte. »Du lügst, Weißer, und ich werde deine Zunge in kleine Streifen schneiden lassen.«

»Laß ihn seine Botschaft sagen, Herr!«, mischte sich das Mädchen ein.

»Das ist seine Botschaft!« Sanders stand nachlässig, die Hände in den Taschen seines Uniformjacketts, und der König war dem Tode näher, als er es ahnte. »Mein Herr sagt, weil der Große König von Yitingi das Ichelivolk aufgegessen, weil er die Grenze überschritten und Leiden über mein Volk gebracht hat, ist mein Herz wund geworden. Dennoch will ich im Frieden mit ihm leben, wenn der Große König eine Strafe von 1000 Stück Vieh bezahlt und meinen Soldaten und meinen Beamten freien Zutritt in sein Land gestattet.«

Der Alte lachte, eine böse, kichernde Lache.

»Oh, ho«, kicherte er, »ein großer König.«

In diesem Augenblick trat das Mädchen vor.

»Sandi«, sagte sie, »einmal hast du mich gedemütigt; denn als ich für dich tanzen wollte, hast du geschlafen.«

»Zu dir, Daihili, sage ich nichts«, antwortete Sanders mit festem Ton. »Mit Weibern verhandle ich nicht. Das ist weder Sitte noch Gesetz. Noch weniger unterhalte ich mich mit Tanzmädchen. Ich habe Geschäfte mit dem König Limbili.«

Der König sprach hinter seiner vorgehaltenen Hand hastig zu einem Mann, der sich zu ihm herabbeugte, und Sanders, der seine Hände noch immer in seinen Jackentaschen hatte, entsicherte seine Brownings.

Während das Mädchen redete, beobachtete er aus seinen Augenwinkeln den Mann, der mit dem König sprach. Sanders sah ihn zwischen den Kriegerhaufen verschwinden, die hinter den herumhockenden Leuten standen, und bereitete sich auf das Schlimmste vor.

»Da ich nicht für dich tanzen darf«, sagte das Mädchen, »wünscht mein Herr und König, daß du mir etwas vortanzest.«

»Das ist ja Unsinn«, entgegnete Sanders. Dann sah er, wie die Reihe der Krieger auf ihn zudrängte, und heraus kamen die Brownings.

Krach! Krach!

Der Schuß, der dem König galt, fehlte diesen und traf einen hinter diesem stehenden Krieger. –

Es war aussichtslos von Beginn an. Sanders machte sich das mit stoischer Ruhe klar, als er äußerst unbequem und wie ein zusammengebündeltes Huhn auf der heißen, ausgedörrten Erde lag. Beim ersten Schuß, dachte er, würde Abiboo getreu den von ihm erhaltenen Anweisungen den Bug des Dampfers stromabwärts lenken. Das war die einzige magere Genugtuung, die er aus der Lage zu ziehen imstande war.

Während dieses endlos langen Tages, während die Sonne erbarmungslos auf ihn niederbrannte, lag er in der Mitte einer bewaffneten Wache und erwartete den Tod, der in irgendeiner schrecklichen Gestalt kommen mußte. Er war nicht bestürzt darüber, denn das war das folgerichtige Ende der Angelegenheit.

Gegen Abend gab man ihm Wasser zu trinken; er empfand das sehr dankbar. Aus dem Geschwätz der Wache schloß er, daß der Abend für seinen Tod gewählt worden war. Aber die Todesart mußte er erraten. Wenn er den Kopf ein wenig wandte, konnte er von dem Fleck, auf dem er lag, des Königs Zelt sehen. Den ganzen Nachmittag über waren die Leute beschäftigt, flache Steine vor dem Königszelt aufzuhäufen. Diese waren von sonderbarer Gleichförmigkeit und schienen für einen bestimmten Zweck behauen und bearbeitet zu sein. Er wandte sich an seine Wache.

»Das sind die Tanzsteine, Weißer«, sagte der Krieger. »Sie kommen vom Berg unweit der Hauptstadt.«

Als die Nacht herniedersank, wurde ein Riesenfeuer angezündet, und während er dieses beobachtete, hörte er von dem Entkommen der »Zaire« und war froh.

Er mußte etwas eingenickt gewesen sein, seelisch und physisch erschöpft, als er emporgerissen wurde, man ihm seine Fesseln abstreifte und ihn vor den König führte.

Jetzt sah er, welcher Art seine Folter sein würde. Die flachen Steine wurden mit hölzernen Zangen vom Feuer genommen und aus ihnen eine Art rohen Pflasters vor dem Zelt gebildet.

»Weißer,« sagte der König, als rauhe Fäuste dem Bezirksamtmann die Schuhe von den Füßen rissen, »das Weib, die Daihili, will dich tanzen sehen.«

»Sei versichert«, knirschte Sanders zwischen seinen Zähnen, »daß du eines Tages in der Hölle in angenehmerer Gesellschaft tanzen wirst; aber vorher wirst du noch am Ende eines Strickes tanzen.«

»Wenn du am Ende deines Tanzes noch lebst,« sagte der König, »wird es dir leid tun.«

Ein Kreis von Kriegern umgab, mit den Speerspitzen nach innen zu, das sonderbare Pflaster. Die an der Seite des Königszelts standen, bückten sich, um dem König die Aussicht nicht zu versperren.

»Tanze!« befahl der König, und Sanders wurde vorwärtsgestoßen.

Der erste Stein, den er betrat, war lauwarm, und auf diesem blieb er stehen, bis ein Speerwurf ihn auf den nächsten Stein jagte. Dieser war glühend heiß. Sanders sprang mit einem unterdrückten Schrei in die Höhe, aber er kam herunter auf einen – noch heißeren, und wieder sprang er hoch – – –

»Begießt ihn mit Wasser!«, schrie der König belustigt, als man den Ohnmächtiggewordenen von den Steinen zog; sein Anzug versengte dort, wo er lag, zu einem erkennungslosen Haufen.

»Nun tanze wieder!« befahl der König von neuem.

Da schoß aus dem Dunkel, das um die Gruppe lag, ein zitternder Strahl.

Ha Ha Ha Ha Ha Ha a-a-a-a-a-a-

Abiboos Revolvergeschütz war in einer Entfernung von 50 Yards in Tätigkeit, und mit ihm stürmten 500 Ochoris heran, geführt vom Häuptling aller Häuptlinge, von Bosambo.

Einen Augenblick hielten die Yitingis stand; aber dann, als die Ochoris mit einem wilden Schrei, der dreiviertel Furcht war, heranstürmten, brachen die Krieger des Königs auseinander und flohen.

Man trug Sanders schnell zum Dampfer, denn die Yitingis, berühmte Nachtkämpfer, hatten die Gewohnheit, sich bald wieder zu sammeln.

Sanders saß an Deck des Dampfers, pflegte seine verbrannten Füße und fluchte leise vor sich hin. Er hörte die Ochoris, wie sie in ihre Kanus kletterten, hörte das Ächzen seiner Polizeisoldaten, die das Revolvergeschütz wieder an Bord brachten, und sank von neuem in Ohnmacht.

»Herr«, sagte am nächsten Morgen Bosambo, »vor vielen Monden hast du den Ochoris den Vorwurf gemacht, daß sie keine Krieger seien. Das war richtig – damals –, aber in jenen längst vergangenen Tagen gab es auch keinen Häuptling Bosambo! Jetzt, da ich's ihnen gelehrt und etwas Mut in ihre Seelen gebracht habe, haben sie die Soldaten des Großen Königs besiegt.«

Bosambo stand in einer prächtigen Pose da, denn seine Schultern deckte ein von Gold und blauen Fäden gewebter Mantel, den er nachts zuvor nicht hatte.

»Bosambo«, antwortete Sanders, »obwohl ich noch eine Rechnung mit dir abzumachen habe, weil du durch deinen Beutezug das Gesetz überschritten hast, bin ich dir doch dankbar, daß deine Begierde nach dem Eigentum anderer dich in diese Nähe geführt hat. – Aber wo hast du den Mantel her?«

»Gestohlen! Vom Zelt des Großen Königs«, bekannte Bosambo offen. »Ich habe auch einen von den Steinen mitgebracht, auf denen mein weißer Herr es ablehnte, zu stehen. Ich habe den Stein mitgebracht, damit er als Beweismittel dient.«

Sanders nickte nur und kaute mit einer kleinen Grimasse an seiner Zigarre.

»Auf denen mein weißer Herr es ablehnte, zu stehen«, war gut gesagt.

»Laß mich den Stein sehen!« befahl er. Bosambo selbst brachte den Stein herbei. Der Stein hatte die Hitze gut genug vertragen, aber durch rohe Behandlung war eine Ecke abgebrochen.

Lange und ernst blickte Sanders auf diese abgebrochene Ecke.

»Hier ist ein Grund, den keine verfassungsmäßig gebildete britische Regierung übersehen kann«, murmelte er endlich. »Ich sehe Limbilis Ende!«

*

Die Regenzeit kam und der Frühling, ehe Sanders wieder vor dem Großen König stand. Um ihn herum war alles Verwüstung und Tod. Die Ebene war mit Menschenleichen übersät und die große Stadt eine rauchende Ruine. Links lagerten drei Regimenter Haußas, rechts saßen zwei Bataillone afrikanischer Schützen beim Essen. Schneidend zerrissen gelle Hornsignale die Luft.

»Ich bin ein alter Mann«, stammelte der König. Das Mädchen an seiner Seite schwieg; nur ihre Blicke hingen an Sanders' ziegelrotem Gesicht und ließen es nicht.

»Alt«, sagte Sanders zum König, »bist du, aber nicht zu alt zum Sterben!«

»Ich bin ein Großer König«, winselte der andere, »und es gehört sich nicht, daß ein Großer König hängen sollte.«

»Aber wenn wir dich leben lassen, werden viele andere große Könige sagen: Wir dürfen Greueltaten begehen, aber um unserer Größe willen werden wir am Leben bleiben«, entgegnete Sanders.

»Und was geschieht mit mir?« fragte das Mädchen mit leiser Stimme.

»Du?« Sanders sah sie an. »Ach so, du –?« als ob er sich ihrer erst in diesem Augenblicke entsänne. »Du bist doch das Tanzmädchen? – Nun, mit dir – geschieht nichts, Daihili, denn du bist – nichts!«

Er sah sie wie unter einem Peitschenhiebe zusammenzucken.

Nach der Hinrichtung sprachen Sanders und der Oberst miteinander.

»Was ich nicht verstehe«, bemerkte der Oberst, »ist, daß wir uns so plötzlich zu dieser Expedition entschlossen haben. Notwendig war sie ja schon seit Jahren. Aber warum nun auf einmal diese plötzliche Hast?«

Sanders grinste wissend.

»Ein wunderbares Volk, diese Briten!« erwiderte er belustigt. »Der alte Kerl Limbili raubt britische Untertanen, und ich berichte das. Sehr traurig! antwortet England. Limbili vernichtet einen ganzen Stamm. Beklagenswert! antwortet England. Der Alte läßt mich auf den achtbaren Todessteinen des Hades tanzen. Nimm es als einen Scherz auf, sagt England. Aber als ich darauf hinweise, daß diese Steine eine Ausbeute von einer Unze zehn Pence Gewicht gereinigten Goldes versprechen, und daß wir hier auf die reichste Goldader Zentralafrikas gestoßen sind, haben wir innerhalb sechs Monaten eine Armee hier.«

Anmerkung des Verfassers: Ich persönlich bin der Meinung, daß hier Sanders ein wenig ungerecht in seinem Urteil war, denn alles in allem: Kriege kosten Geld, und Rachekriege gar sind offenkundig unrentabel.


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