Edgar Wallace
Der Goldene Hades
Edgar Wallace

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14

Den ganzen Tag über hatte Jose Bertram Kraft gesammelt, um sich für den Kampf zu rüsten. Unerträglich langsam war der Nachmittag vergangen, und vergeblich hatte sie versucht, sich die Zeit durch Lesen zu verkürzen. Endlich hörte sie, daß der Wagen ihres Vaters ankam. Gleich darauf vernahm sie seinen leichten Schritt in der Halle. Er ging zu seinem Zimmer hinauf.

Wie sollte sie beginnen? Wieviel sollte sie sagen? Und war er wirklich in diese grauenvolle Geschichte verwickelt? George Bertram war ihr immer ein guter Vater gewesen. In seiner freundlichen, liebenswürdigen, wenn auch etwas unbestimmten Art hatte er alles für sie getan, was ein Vater nur tun konnte, und sie liebte ihn aufrichtig. Er war ein reicher Mann und konnte sich manche Torheit gestatten, nur diese eine nicht. Ob er geisteskrank war? Schon der Gedanke daran ließ sie erzittern. Aber es gab andere Leute, die die merkwürdigsten Ideen hatten und doch vollständig vernünftig waren.

Sie klingelte, und Jenkins, ein Engländer, der schon zwanzig Jahre in den Diensten der Familie stand, kam herein.

»Schließen Sie die Tür, Jenkins«, sagte sie. »Ich möchte Sie etwas über meinen Vater fragen.«

»Ja«, erwiderte der Diener.

»Sie wissen, daß ich niemals Fragen über das Leben meines Vaters gestellt habe, und es wäre auch nicht recht gewesen, wenn ich es getan hätte. Aber jetzt hat sich etwas sehr Ernstes ereignet, Jenkins, und ich bitte Sie, mir zu helfen, so gut Sie nur können. Was ist in dem abgegrenzten Teil des Parks verborgen?«

Der Diener schüttelte den Kopf.

»Es tut mir leid, daß ich Ihnen darüber keine Auskunft geben kann, weil ich es selbst nicht weiß. Es ist auch sonst niemand im Haus, der jemals den Fuß in den inneren Park gesetzt hätte. Als Mr. Bertram dieses Anwesen vor neun Jahren kaufte, gehörte der innere Park zu dem Grundstück. Man konnte dort umhergehen – und ich bin auch tatsächlich oft dort spazierengegangen. Aber als wir vor zwei Jahren von Florida zurückkamen, wo wir den Winter verbracht hatten, war eine hohe Mauer darum gebaut worden. Erst dann wurde der innere Park als ein besonderes Stück abgetrennt. Sie waren damals noch auf der Schule.«

Sie nickte.

»Mr. Bertram ließ das Tor einsetzen, und seit jener Zeit hat meines Wissens niemand den Park betreten. Ich glaube, er hat sich dort ein Sommerhaus oder etwas Ähnliches gebaut. Gesehen habe ich es allerdings nicht, ebensowenig einer der Leute, die ich kenne.«

»Hat Vater verboten, in den inneren Park zu gehen?«

»Ja. Jedem Diener im Haus wurde bei Übertretung des Verbots mit Entlassung gedroht. Und dabei ist Mr. Bertram ein so guter Herr. Es hätte genügt, zu sagen, daß er es nicht wünschte, und alle hätten ihm gehorcht.«

»Kommt auch kein Gärtner hin?«

»Nein. Ungefähr sechzig Hektar liegen dort brach.«

Sie stützte das Kinn in die Hand.

»Und was sagen denn die Diener dazu?«

»Ach, sie sagen allerhand«, entgegnete Jenkins zögernd. »Einige meinen, daß Mr. Bertram noch . . .« Verwirrt hielt er inne, und Jose lachte leise.

»Daß er noch einen anderen Haushalt hat?« fragte sie. »Das wäre nicht ungewöhnlich für einen reichen Mann, aber ich glaube, das ist es nicht . . .«

Sie erfuhr wenig, was sie nicht schon gewußt hatte, und ging schließlich nach oben, um sich zum Abendessen umzukleiden. Nur selten speiste sie allein mit ihrem Vater; meistens waren der Professor oder Geschäftsfreunde eingeladen.

Während des Essens war Bertram einsilbig und nervös. Einmal bemerkte er, daß seine Tochter ihn ernst betrachtete, und senkte den Blick, als ob er bei einer Handlung ertappt worden wäre, deren er sich schämen müßte. Es kam kaum ein Gespräch zustande, und nach Beendigung der Mahlzeit erhob er sich, um wie gewöhnlich den Rest des Abends in seinem Arbeitszimmer zu verbringen.

Aber Jose hielt ihn zurück.

»Vater, ich hätte gern noch ein wenig mit dir gesprochen, bevor du dich zurückziehst.«

»Mit mir, Liebling?« fragte er leicht überrascht. »Brauchst du etwas? Ich dachte, dein Bankkonto . . .«

»Es handelt sich nicht um Geld oder Kleider – es handelt sich um dich.«

»Um mich?«

Er errötete wie ein kleiner Junge. Dieser große, erwachsene Mann hatte überhaupt etwas Kindliches in seinem Wesen. Jose war darüber schon oft verwirrt und erstaunt gewesen.

»Ich möchte mit dir über den goldenen Hades sprechen«, erklärte sie ruhig und selbstsicher.

»Den – goldenen – Hades?« erwiderte er mit stockender Stimme. »Aber Liebling, das ist eine Sache, die etwas außerhalb deines Bereiches liegt.«

»Ich glaube, daß sie ebenso auch etwas außerhalb deines Bereiches liegt«, sagte sie freundlich.

Er wurde im allgemeinen niemals wütend oder zornig, wenn er mit ihr sprach, aber jetzt geriet er doch in Aufregung und wandte sich scharf an sie.

»Du achtest nicht auf meine Wünsche, Jose«, sagte er und machte einen kühnen, aber eindruckslosen Versuch, bestimmt und energisch aufzutreten. »Wirklich, du nimmst keine Rücksicht darauf. Neulich abends dachte ich noch, die Götter hätten zu dir gesprochen wie zu mir.«

Es zeigte sich plötzlich ein Ausdruck in seinem Gesicht, der seine Züge fast verklärte. Jose beobachtete ihn und sah ihn verwirrt an.

»Es ist schwer für dich, zu glauben, daß die Götter einen Gatten für dich erwählt haben und daß du in deinem Glück die Belohnung für meine Gaben an die Armen Plutos finden wirst, aber . . .«

»Warte, warte!« unterbrach sie ihn. »Die Götter haben zu dir gesprochen? Vater, weißt du denn, was du sagst? Du hast mich furchtbar erschreckt, als du mir neulich ganz nebenbei erzähltest, daß die Götter einen Gatten für mich erwählt hätten. Als ich dich dann am nächsten Morgen fragte und du so ernst und sachlich über die ungeheuren Summen sprachst, die du verschleudert hast . . .«

»Durch das Walten des gütigen Pluto kommt dieses Geld in die Hände derjenigen, die die Götter bevorzugen und die es am nötigsten brauchen«, erklärte er mit wachsender Begeisterung. »Manchmal wird es den Ärmsten der Armen zugeteilt; manchmal kommt eine Botschaft, daß ich es dem zehnten Mann übergeben muß, den ich treffe, nachdem die Uhr eine gewisse Stunde geschlagen hat; manchmal wird es mit einem Bogen zum Himmel geschossen und fällt dort nieder, wo es niederfallen soll.«

Sie stand auf, ging um den Tisch und legte den Arm um seinen Hals.

»Ja, ja, Vater, du hast mir etwas Ähnliches erzählt und auch gesagt, daß dir der Gott befohlen hat, eine große Summe am Philadelphia-Bahnhof zu hinterlassen.«

»Nein, nein – nicht so. Der Gott sprach von der siebten Straße –«

Sie hätte zu gleicher Zeit lachen und weinen mögen.

»Es war auf der siebten Straße«, fuhr er feierlich fort, »im Tempel des Merkur, dem Palast des Erfolges, wo die Menschen von feurigen Pferden zum Ende der Erde getragen werden . . .«

»Ja, der Philadelphia-Bahnhof stimmt mehr oder weniger mit dieser Beschreibung überein, und ich weiß, daß dort Geld zurückgelassen werden sollte. Welches Wunder sollte denn dieses Geld vollbringen?«

Er sah sie sonderbar an, als ob er sie nicht mehr für ganz normal hielte.

»Es sollte in die Hände eines Menschen gelangen, der es sehr notwendig brauchte«, erwiderte er kurz. »Bitte, mische dich nicht in diese Dinge ein, Jose.«

»Und doch ist es in meine Hände gekommen«, unterbrach sie ihn gelassen. »Und dabei brauche ich es gar nicht notwendig – wenigstens jetzt nicht.«

»In deine Hände?«

Bestürzt schaute er sie an.

Sie nickte.

»Ich beobachtete deinen Boten, und ich nahm das Päckchen von dem Mann, dem es übergeben wurde.«

»Aber – aber – ich verstehe nicht . . .«

»Es fiel in meine Hände, und bis jetzt bin ich mit dem Leben davongekommen. Sieh her!«

Sie ging zu dem Büfett und öffnete einen kleinen Kasten, den sie mitgebracht hatte, als sie aus ihrem Zimmer herunterkam. Das dicke Bündel Banknoten, das sie daraus hervorzog, legte sie vor ihn auf den Tisch.

»Sicherlich machen die Götter doch keine Fehler?« sagte sie. »Ich hätte die Scheine doch nicht erhalten können, wenn sie nicht für mich bestimmt gewesen wären?«

Er ärgerte sich über ihren ironischen Ton.

»Warum hast du das Geld genommen?« fuhr er sie an.

»Um das Leben des Mannes zu retten, für den es bestimmt war.«

»Um das Leben –«

»Ja, um das Leben des Mannes zu retten, für den es bestimmt war«, wiederholte sie nachdrücklich.

George Bertram sah sie verwirrt an. Seine Bestürzung war so groß, daß er sogar seinen Ärger darüber vergaß.

»Willst du mir das bitte näher erklären, Jose?«

»Vater, ich möchte nicht vorlaut sein, aber man sagt, daß die Menschen, die die Götter lieben, jung sterben. Sicher ist es jedenfalls, daß sie schnell sterben. Hast du einmal von dem Higgins-Mord gehört?«

Er runzelte die Stirn.

»Ja, ich erinnere mich an den Fall. Aber was hat das mit dieser Sache zu tun?«

»Ich will dir den Zusammenhang erklären. Die Frau wurde ermordet, weil sich gewisse Leute das Geld verschaffen wollten, das deiner Meinung nach den Armen zugute kommen sollte.«

»Unmöglich!« rief er atemlos. »Ich . . .«

»Ein Detektiv, der ein anderes Bündel deiner Banknoten erhielt, wurde beraubt und halbtot geschlagen. Das Geld, das du unter dem Einfluß Professor Cavans ausgibst, zieht eine Spur gemeiner Verbrechen nach sich. Männer und Frauen sind ermordet, geschlagen, entführt worden – Diebstähle sind begangen worden –, und das alles im Namen der Götter!«

Er sprang auf.

»Ich glaube kein Wort davon«, sagte er hitzig. »Du kannst meinen Glauben nicht erschüttern, Jose. Diese Dinge gehen über dein Verständnis hinaus.«

»Ich . . .«

»Kein Wort mehr! Ich sagte dir doch, du wirst meinen Glauben nicht erschüttern!«

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.


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