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Der nächtliche Wanderer

1

Leutnant Francis Augustus Tibbetts erholte sich allmählich von den Anstrengungen seiner Flucht mit dem kleinen schwarzen Baby, das er vor dem Opfertod errettet hatte. Er ließ das Kind Henry Hamilton Bones taufen, und seit dieser Zeit galt sein ganzes Interesse der Lösung des Erziehungsproblems. Was er von seiner haarsträubenden Flucht und seinen verzweifelten Abenteuern nach England berichtete – wer kann das wissen?

Unglücklicherweise hatte Hamiltons Schwester, die unschuldige Vermittlerin, keine Möglichkeit, etwas von seinen Briefen zu lesen, und die anderen Empfänger der Berichte Bones' stehen leider nicht in Berührung mit dem Verfasser dieser Zeilen. Was er alles erzählte, in welch glühenden Farben er seine Wanderungen durch den Wald schilderte, weiß niemand. Aber sicher hat er darüber geschrieben.

»Was, zum Teufel, sollen denn alle die Pakete, die hier angekommen sind?« fragte Hamilton und schaute böse auf einen ganzen Berg versiegelter und verschnürter Kartons in braunem Papier.

Bones rauchte gemächlich seine Pfeife und betrachtete eins nach dem anderen. »Ich weiß es nicht genau«, sagte er dann vorsichtig. »Aber ich würde nicht überrascht sein, wenn es Kleider wären, mein Lieber!«

»Kleider?«

»Für Henry«, erklärte Bones und schnitt die Schnur des ersten Paketes durch. Nachdem er die braune Hülle entfernt hatte, zog er einen kleinen Berg schneeweißer Kleidchen hervor. Er drehte Stück für Stück um.

»Für Henry!« wiederholte er. »Aber könnten Sie mir vielleicht sagen, wozu man diese Dinger benützt?« Er hielt ein weißes Kleidchen in die Höhe, das mit Spitzen und Plisseefältchen verziert war.

»Nein, Liebster, das kann ich Ihnen nicht sagen!« erwiderte Hamilton steif. »Aber vielleicht haben Sie in Ihrer großen Schlauheit vergessen, Ihren Freunden mitzuteilen, daß Henry männlichen Geschlechts ist!«

Bones schaute zum blauen Himmel empor und rieb sich das Kinn. »Das ist möglich, daß ich von dem Kind als einer ›sie‹ gesprochen habe!« gab er verdutzt zu.

Es waren sechzehn Pakete angekommen, und jedes enthielt mindestens ein solches Kleid und einen warmen, gestrickten Wollschal, der »sehr nützlich für Schneetreiben« sei, wie Hamilton sarkastisch bemerkte.

Mit Hilfe seiner Ordonnanz sortierte Bones den Inhalt der Pakete, legte die Kleider auf einen Haufen zusammen, das Spielzeug auf einen anderen. Es befanden sich auch viele Bücher darunter wie: »Morgen kommt der Weihnachtsmann« und »Das Märchen von der Katze und der Maus« usw. Würdevoll trug er diese Dinge dann zu seinem Quartier.

Am Abend besuchte Hamilton seinen Untergebenen. Der kleine Henry saß in einem wundervollen Mädchenkleid, ein großes Häubchen auf dem Kopf, vergnügt auf dem Boden und kaute an Bones' Taschenuhr. Bones selbst sang mit Banjobegleitung ein unmögliches Lied, dessen Text und Melodie er nicht ganz beherrschte.

Er sprang auf und grüßte Hamilton, als er eintrat.

»Nun sagen Sie mir bitte einmal, was geschehen soll, wenn Sanders zurückkommt?«

Bones machte ein langes Gesicht. »Was geschehen soll? Ich verstehe Sie nicht ganz, Sir. Was könnte sich denn ereignen?«

»Mit Henry!«

Henry schaute in diesem Augenblick mit einem engelgleichen Lächeln auf Bones.

»Ist es nicht ein hübsches Kind?« fragte Bones in höchster Ekstase. »Sie werden mir natürlich nicht glauben, was ich Ihnen jetzt erzähle, Sie netter alter Zweifler. Aber Henry kennt mich, wirklich, er kennt mich wieder, und wenn Sie bedenken, daß er erst sechs Monate alt ist –«

»Ich möchte wissen, was Sie tun, wenn Sanders zurückkommt – wirklich, Bones, ich weiß nicht, ob ich diese Zustände hier dulden darf!«

»Wenn Sie Henry entfernen wollen, Sir«, sagte Bones entschieden, »dann reiche ich sofort meinen Abschied ein. Wenn sich ein Offizier einen Hund halten kann, dann ist es ihm doch sicher auch erlaubt, sich ein Baby zu halten. Zwischen Henry und mir, Sir, existieren Bande, die stärker als Stahl und Eisen sind. Ich mag ein Esel sein – sogar ein Gup –, aber wenn Sie zwischen mich und mein Kind treten wollen, erwachen alle meine mütterlichen Instinkte – verzeihen Sie –, alle meine väterlichen, das ist das richtige Wort! Und ich werde kämpfen wie ein Tiger –«

»Zum Teufel, haben Sie eine gute Lunge!« sagte Hamilton. »Aber immerhin, ich habe Sie gewarnt. Sanders ist in einem Monat hier.«

»Dann wird Henry sieben Monate alt sein«, murmelte Bones.

»Dieser verfluchte Henry!«

Bones erhob sich und zeigte auf die Tür.

»Ich möchte Sie bitten, Sir, nicht derartige Worte vor dem Kind zu gebrauchen. Es tut mir leid, daß ich so zu Ihnen sprechen muß, aber ich trage eine schwere Verantwortung.«

Bones schlüpfte geschickt aus der Tür, und das Brot, mit dem Hamilton nach ihm warf, prallte am Türpfosten ab und rollte in die Mitte der Hütte, wo Henry es gierig in Empfang nahm.

Später gingen die beiden Offiziere auf dem Exerzierplatz auf und ab, während Fa'ma, die Frau des Sergeanten Ahmet, das Kind in ihre Hütte mitnahm, wo es schlief.

»Ich fürchte, ich muß Sie von Ihrem Henry trennen«, sagte Hamilton. »Bei den Lombobo ist eine geheimnisvolle Sache in Gang – es treibt sich dort nachts ein sonderbarer fremder Wanderer umher. Der Späher Ahmet schreibt etwas unklar darüber.«

Bones schaute sich argwöhnisch um.

»Tun Sie mir den Gefallen, alter Herr«, begann er, »und sprechen Sie von solchen Dingen nicht in Gegenwart Henrys – um die Welt möchte ich nicht, daß er erschreckt wird.«

2

Bosambo, der Häuptling der Ochori, war ein leichter Schläfer, und in der letzten Zeit war er besonders hellhörig, denn es hatten ihn Gerüchte erreicht über einen Fremden, der zur Nachtzeit wanderte. Einst um Mitternacht erwachte er plötzlich mit dem Gefühl, daß jemand in seiner Hütte war. Der Wachtposten mußte von dem Eindringen des Fremden nichts bemerkt haben.

Bosambo faßte nach seinem kurzen Speer, aber bevor er ihn erreichen konnte, war sein Handgelenk von einem stahlharten Griff umklammert. Starke Finger griffen nach seiner Kehle, und der Eindringling flüsterte ihm leidenschaftliche Worte ins Ohr. Er gebrauchte dabei Ausdrücke, die den Häuptling so in Verwunderung versetzten, daß er sich nicht zu helfen wußte.

»Ich bin M'gani, der Nachtwanderer«, sagte der Fremde hoheitsvoll. »Du hast von mir gehört, denn ich bin nur den Häuptlingen bekannt. Meine Macht ist so groß, daß die Häuptlinge gehorchen und selbst die Teufel mir schnell aus dem Wege gehen.«

»O M'gani, ich höre dich!« flüsterte Bosambo. »Welchen Dienst kann ich dir erweisen?«

»Gib mir zu essen!« sagte der mächtige Fremde. »Nachher sollst du mir ein Lager in deinem inneren Raum bereiten und vor dem Tor der Hütte Wache halten, daß mich niemand stört. Denn es gehört zu meinem großen Plan, daß kein Wort davon zu Militini kommt, daß ich in deinem Gebiet bin.«

»Ich bin dein Hund, M'gani«, sagte Bosambo und stahl sich wie ein Dieb von seiner Hütte, um ihm zu gehorchen.

Den ganzen Tag saß er vor der Tür und sandte sogar sein Lieblingsweib und sein Kind M'sambo fort, damit der Schlaf M'ganis nicht gestört werde.

In der Nacht, als die Dunkelheit gekommen war und das düstere Rot der Feuer brannte, trat M'gani aus der Hütte.

Bosambo hatte den Wachtposten weggeschickt und begleitete seinen Gast bis zum Ende des Dorfes.

M'gani war nur in einen Mantel von Leopardenfellen gehüllt und wirbelte zwei lange Speere in seiner Hand. Er sprach erst, als sie an die Grenze der Stadt kamen, wo er sich von seinem Gastfreund verabschiedete.

»Sage mir, Bosambo, wo sind Sandis Spione, damit ich ihnen ausweichen kann?«

Bosambo sagte es ihm, ohne zu zögern.

»M'gani«, fragte er beim Abschied, »wo wirst du jetzt hingehen? Sage es mir, damit ich schlaue Männer aussende, um dich zu beschützen. Denn in diesem Lande herrscht ein böser Geist, besonders unter dem Volk der Lombobo. Denn ich habe den Häuptling B'limi Saka beleidigt.«

»Ich brauche keine Krieger, Bosambo. Aber ich sage dir dies: Ich gehe zu stillen Plätzen, um zu erfahren, was das Beste für mein Volk ist.«

Dann wandte sich M'gani zum Gehen.

»M'gani, an dem Tage, an dem du unseren Herrn Sandi sehen wirst, so sprich zu ihm für mich und sage ihm, daß ich ihm treu ergeben bin. Denn es scheint mir, daß du ein so mächtiger Mann bist, daß er auf deine Worte hört, selbst wenn er andere nicht vor sein Angesicht läßt.«

»Ich höre dich!« sagte M'gani ernst und verschwand im Schatten des Waldes.

Bosambo stand lange Zeit und schaute dem fremden Wanderer nach. Dann kehrte er langsam zu seiner Hütte zurück.

Am nächsten Morgen kam der oberste seiner Ratgeber, um ein Palaver mit ihm abzuhalten.

»Bosambo«, sagte er geheimnisvoll, »der nächtliche Wanderer war in unserem Dorf!«

»Wer sagt das?«

»Fibini, der Fischer. Er hatte Zahnschmerzen und saß im Schatten seiner Hütte nahe an dem warmen Feuer. Da sah er, wie der Fremde durch das Dorf ging, und neben ihm, o Herr, erblickte er eine Gestalt, die wie ein Teufel aussah, dick und häßlich.«

»Gehe zu Fibini«, sagte der mit Recht verärgerte Bosambo, »und schlage ihn auf die Füße, bis er schreit, denn er ist ein Lügner, und er hetzt die Leute durch sein Geschwätz auf!«

Aber Fibini hatte schon alles getan, um die Nachricht zu verbreiten, ehe er die Prügel bekam, die ihn natürlich zur Ruhe brachten. Die Mütter in der Ochoristadt achteten mit größter Sorgfalt auf die Kleinen, als die Sonne an diesem Abend unterging, denn sie hatten Angst vor dem neuen Schrecken, der in ihr Land gekommen war, vor diesem schwarzen Geist, dessen Ruf sich wie ein Lauffeuer verbreitete und den sie als den größten und mächtigsten aller Teufel ansahen. Er war in einer Woche berühmt geworden. So schnell wandern die Nachrichten in diesem Gebiet.

Die Leute hatten ihn auf Waldwegen gesehen oder wie er mit unglaublicher Schnelligkeit den Strom entlangfuhr. Einige sagten, daß er überhaupt kein Boot habe, sondern über das Wasser gehe. Noch andere erzählten, daß er fliegen könne wie ein großer Vampyr und daß Millionen fliegender Hunde hinter ihm herzögen. Einer begegnete ihm von Angesicht zu Angesicht und war zu Boden gesunken vor diesen heißen, roten Augen, die kleine Blitze schossen.

Man hatte ihn an vielen Stellen im Ochoriland gesehen, in der N'gombistadt, in den Dörfern der Akasava; aber sein besonderer Aufenthaltsort war das Gebiet der Lombobo. B'limi Saka, der Häuptling des Landes, glaubte selbst an Teufel und war über diese Nachrichten besonders bestürzt, aus Furcht, der geheimnisvolle Wanderer könnte ein Spion der Regierung sein. Denn er hatte Gewohnheiten und Gebräuche, die das Gesetz der weißen Männer verletzten, die so schnell bei der Hand waren, grausam zu strafen.

»Aber niemand außer dir, Lamalana, kennt mein Herz!« sagte er zu seiner Tochter, die zu gleicher Zeit auch sein erster Ratgeber war. Sein Volk war darüber aufgebracht, weil es die Frauen verachtete.

Lamalana hatte breite Schultern wie ein Mann und ein flaches Gesicht. Sie schaute ihren grauhaarigen Vater von der Seite an. »Die Teufel kennen die Gedanken der Herzen«, sagte sie mit rauher Stimme. »Und wenn man über Mord und Opfer spricht, sind dann nicht alle Teufel froh? Nun sage ich dir, mein Vater, daß ich schon lange auf die Opfer warte, die du mir durch einen Schwur beim Tode versprochen hast!«

B'limi Saka schaute sich ängstlich um. Trotz der Grausamkeit dieses Häuptlings, die erst später ans Tageslicht kam, und trotz der fürchterlichen geheimen Opferhäuser im Walde war er ein furchtsamer Mann. Ein Augenleiden machte ihn völlig von seiner Tochter abhängig, einer kinderlosen Witwe, die ihn nun schon seit zwei Jahren leitete.

Die Lombobo waren der grausamste Stamm auf dem Territorium, das Sanders verwaltete, und ihre Häuptlinge waren Verräter. Sie waren auch nicht mit den anderen Stämmen verwandt, den N'gombi, den Isisi, den Akasava oder den Ochori. Und doch vereinigten sie die schlechtesten Eigenschaften aller in sich.

Selten traten sie in offenem Waffenwiderstand gegen die Regierung auf, aber immer gab es Klagen über sie wegen heimlicher Morde. Sie verstümmelten ihre Feinde und ließen sie mit dem Gesicht nach oben den Strom hinuntertreiben. Regierungstreue Männer verschwanden. Man hörte von Menschenfresserei, aber niemals konnte man die Täter überführen oder bestrafen.

Obgleich alle Stämme mit Ausnahme der Ochori früher Kannibalen waren, hatte es die Regierung doch durch Feuer und Schwert und durch kluge Maßnahmen erreicht, daß eine neue Zeit am oberen Strom anbrach.

Aber diese Reformen hatten sich bei den Lombobo noch nicht durchgesetzt. Ein Wort von Sanders hätte genügt, den ganzen Stamm auszurotten. Aber er regierte das Land nicht auf solche Art. Er war geduldig und noch einmal geduldig, obgleich er manchmal in Versuchung geriet, mit äußerster Strenge durchzugreifen.

Die Leute nannten Lamalana »das unfruchtbare Weib« und »die Trinkerin des Lebens«. Aber wenn sie Leben getrunken hatte, so war es im verborgenen geschehen, und wenn sie mit ihren langen, großen Händen ihre Opfer mordete oder Männer und Frauen aus reiner Lust an der Grausamkeit langsam zu Tode quälte, so konnte doch kein lebendiger Zeuge mehr gegen sie aufstehen.

 

Außerhalb der Stadt Lombobo Die einzelnen Gebiete werden nach dem Namen der Hauptstädte genannt, was manchmal etwas irreführend ist. war ein kleiner Flecken Erde, der viel betreten wurde. Es wuchs kein Gras dort, und man nannte diesen Ort »wa boma«, den Ort des Todes.

Hier wurde öffentlich geopfert, bevor die Weißen kamen. Der Platz lag frei da, so daß man vor Horchern sicher sein konnte. Hier saß Lamalana neben ihrem Vater, und er erzählte ihr von früheren schrecklichen Dingen, die aber diesem Weibe noch nicht fürchterlich genug waren. Sie wand sich auf ihrem Sitz hin und her, als sie wie hypnotisiert den Worten ihres Vaters lauschte.

»O Herr«, sagte sie, »der nächtliche Wanderer kommt nicht nur nach Lombobo. Alle Leute stromauf und stromab haben ihn gesehen, und für mich ist es ein Zeichen großen Glückes, wenn wir erkennen, daß die Geister mit uns sind. Wenn du nun sehr tapfer bist, wollen wir jetzt ein größeres Opfer darbringen, als jemals zuvor. Hat Bosambo nicht zu deiner Schande ein Loch durch den Berg graben lassen, und sagen nicht die Ochori, daß sein Kind M'sambo das Licht seines Lebens ist? O ko, Bosambo soll sehr traurig werden!«

Später gingen sie in den Wald und berieten miteinander, denn sie fürchteten sich nicht vor den Geistern, die die letzten schrägen Strahlen der untergehenden Sonne von den Bäumen befreiten. Und sie gingen und sprachen, und die Jäger der Lombobo, die durch den Wald heimkehrten, machten einen weiten Bogen um sie, denn Lamalana besaß den bösen Blick.

»Wir wollen zur Stadt zurückgehen«, sagte Lamalana, »denn ich sehe jetzt, daß du nicht blind und alt, sondern tapfer und mutig bist.«

»Es wird ein großes Palaver geben, und wer weiß, ob nicht Militini mit seinen Soldaten kommt?«

Sie lachte laut und heiser, und der schweigende Wald hallte wider von ihrer häßlichen Stimme.

»O ko!« sagte sie plötzlich und hörte auf zu lachen.

Mitten auf dem Weg stand ein Mann. In dem Dämmerlicht sah sie das Leopardenfell und den merkwürdigen Metallgürtel um seine Hüften.

»O Lamalana«, sagte er milde, »lache leise, denn ich habe schnelle Ohren, und ich rieche Blut!«

Er zeigte den düsteren Waldweg hinab, den sie gekommen waren.

»Viele sind geopfert worden, und niemand hat sie gehört. Dieses weiß ich. Laß jetzt ein Ende des Mordens sein, denn ich bin M'gani, der nächtliche Wanderer, und ich bin sehr schrecklich.«

»Wa!« schrie Lamalana, sprang mit gekrallten Fingern auf ihn zu und zeigte mit wütendem Grinsen ihre weißen Zähne. Plötzlich fühlte sie eine weiche Flüssigkeit in ihrem Gesicht, die wie ein Wasserstrahl in ihren offenen Mund lief. Sie fiel nieder und rang nach Atem. Als sie sich mühsam wieder erhob, war der Fremde verschwunden.

3

Vor Bosambos Hütte saß Bones und war in eine lange, ernste Unterhaltung vertieft. Er sprach mit seinem Gastgeber über Kinder. Hamilton hatte die Verantwortung gescheut und es abgelehnt, für Henrys Wohlergehen während der Abwesenheit seines Adoptivvaters zu sorgen. Aber er hatte dem Ansuchen Bones' zugestimmt, daß Henry ihn auf der Reise nach Norden begleiten sollte.

Und nun hockten zwei kleine Kinder, die sich gegenseitig mit merklichem Mißtrauen betrachteten, auf einer großen, groben Wolldecke vor Bosambo und vor Bones.

»O Herr«, sagte Bosambo, »es ist wahr, daß dein Kind wundervoll ist, aber ich denke, daß M'sambo auch ein schönes Kind ist. Wenn deine Hoheit mit gnädigen Augen M'sambo betrachtet, so wirst du eine gewisse Klugheit bei ihm beobachten, die andere Kinder nicht haben. Auch kann er schon klar sprechen, so daß ich ihn verstehe.«

»Aber auch mein Kind ist sehr klug, denn sieh, wie es mich anschaut, wenn ich spreche, und seinen Daumen hebt.«

Bones machte mit seinem Mund ein merkwürdiges Geräusch. Henry drehte sich stirnrunzelnd und kühl nach seinem Beschützer um, dann wandte er sich wieder ab, um das fremde, braune Wesen zu erforschen, das ihm gegenübersaß.

»Welche Nachrichten hast du von dem nächtlichen Wanderer?« fragte Bones am Abend.

»O Herr, ich weiß von ihm, aber ich darf nicht über ihn sprechen, denn wir sind Blutsbrüder durch gewisse Zauberriten, Zeichen und Worte. Ich kann dir aber sagen, daß er ein guter Mann ist, und das kann ich auch Sandi bezeugen, wenn er zu seinem Volk zurückkehrt.«

»Du sitzt hier für die Regierung«, sagte Bones, »und wenn du nicht mit uns gehst, dann bist du ein netter alter Bösewicht, Bosambo!«

»Ich kennen um, ich nicht sprechen um, Massah«, erwiderte Bosambo in seiner Verlegenheit englisch, »ich sein gutem Kerl, Massah, keinem Yadasi Kerl, Massah – ich sein Peterkerl, dem abschneiden Ohr!«

»Du bist ein verdrehter alter Taugenichts!« sagte Bones. Er ging zur »Zaire« zurück und legte sich schlafen. Henry hatte er in der Obhut von Bosambos Weib zurückgelassen ...

In der Dunkelheit, vor Sonnenaufgang, führte er mit dem Revolver in der Hand seine Haussa-Leute quer über das Ufer. Aber er kam etwas zu spät. Der Überfall war zu gut vorbereitet gewesen. Vor der Hütte Bosambos lag die Wache, von einem Speer durchbohrt, und Bosambos Gesicht war mit Blut bedeckt. Bones überschaute sofort die Lage.

»Feuert auf die Leute, die zum Walde fliehen!« befahl er. Aber Bosambo legte die Hand abwehrend auf seinen Arm.

»O Herr, laß nicht schießen, denn sie haben die Kinder gestohlen. Ich fürchte auch, daß sie meine Frau ermordet haben.«

Er ging in die andere Hütte, und Bones folgte ihm.

Bosambos Weib hatte eine größere Hütte als er selbst; sie war durch einen Gang aus Flechtwerk mit der seinen verbunden. Die Frau war mit einer Keule niedergeschlagen worden und lag bewußtlos auf dem Boden. Aber Bones hatte genügend medizinische Kenntnisse, um sofort zu sehen, daß sie außer Gefahr war.

Zehn Minuten später eilten die Scharen der Ochorikrieger durch den Wald. Leute liefen ihnen voraus, die die Spur der Räuber verfolgten.

»O ihr Götter, hört mich!« stöhnte Bosambo, »und sendet M'gani schnell zu M'sambo, meinem Sohn!«

4

»Das ist herrlich!« sagte Lamalana. »Nun wollen wir kein kleines Opfer im geheimen darbringen, sondern ein großes, das alle Leute sehen sollen!«

Es war eine Stunde nach Sonnenaufgang, wenn die Welt am schönsten ist und die geschwätzigen Webervögel zu ihren hängenden Nestern ein- und ausfliegen und laut zwitschern. Zarte kleine Blumen, die sich des Morgens öffneten, schenkten der Luft wunderbare Süße.

Das ganze Volk von Lombobo, die Krieger, die Jäger, die Weiber, die Mädchen und selbst die Kinder umgaben die Steinstufen des Opferaltars. Lamalana, taub und blind für Verstandesgründe, wußte, daß sie nur wenig Zeit hatte und daß mit der Sonne ein Mann mit seinen Soldaten kommen würde, der schrecklich in seinem Zorn war und jeden Widerstand mit Feuer brechen würde.

»O Volk«, rief sie.

Sie war bis zur Mitte des Körpers nackt und stand hinter dem Stein des Todes, als ob es ein Ladentisch sei und die beiden weinenden Kinder unter ihren Händen verkäufliche Ware.

»Jetzt werden wir alle mit Schrecken schlagen, die uns hassen, denn eins von den Kindern ist das Herz von Bosambo, und das andere ist mehr als das Herz des Mannes, der an der Stelle Sandis steht –«

»O Weib!«

Unbemerkt, fast wie durch Zauber, war ein Fremder durch die Leute geschritten und stand nun in dem freien Raum vor dem Opferaltar. Es war keiner unter der Menge, der noch nicht von dem Leopardenfell und dem Bronzegürtel gehört hatte. Der Mann war so schwarz wie die fremden Äthiopier, die manchmal mit den arabischen Händlern in das Land kamen.

Ein Geflüster des Schreckens verbreitete sich.

»Der nächtliche Wanderer!«

Alles Volk drängte zurück ... eine Frau schrie auf und fiel ohnmächtig um.

»O Weib!« sagte M'gani, »gib mir diese beiden Kinder, die nichts Böses getan haben!«

Mit offenem Mund starrte ihn die halbverrückte Tochter B'limi Sakas an. Er ging auf sie zu, nahm die Kinder in die Arme und schritt dann langsam durch das Volk, das erschreckt vor ihm zurückwich. Er wandte sich zu der höchsten Stelle des Platzes, um zu sprechen.

»Tut nichts Böses«, sagte er. Dann bückte er sich behutsam, um die Kleinen auf die Erde zu setzen, denn Lamalana lief schreiend und sinnlos brüllend hinter ihm her. Ein langes, gebogenes Messer blitzte in ihrer Hand. M'gani steckte seine Hand in das Leopardenfell, um eine Waffe zu ergreifen. Aber bevor er sie ziehen konnte, fiel ein Mann der Lombobo über ihn her und hielt ihn fest.

»Boma!« brüllte das Weib und holte mit ihrem Messer zum tödlichen Schlag aus ...

An der Grenze der Lichtung riß Bones sein Gewehr an die Schulter und feuerte.

 

»Wer ist dieser Mann?« fragte Bones.

Bosambo sah den Fremden an. »Dies ist M'gani«, sagte er, »der nächtliche Wanderer.«

»Zum Teufel auch!« Bones klemmte sein Monokel ins Auge und musterte den Fremden von Kopf bis Fuß. »Woher kommst du?« fragte er.

»O Herr, ich komme von der Küste«, sagte der Mann, »auf vielen sonderbaren Wegen bin ich gegangen. Ich wollte heimlich in diesem Lande ankommen, um die Herzen dieses Volkes kennen und verstehen zu lernen.« Und plötzlich fügte er in tadellosem Englisch hinzu: »Ich glaube, wir sind einander früher noch nicht begegnet, Mr. Tibbetts – mein Name ist Sanders.«


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