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Captain Hamilton

1

Sanders wandte sich zur Reling und schaute nachdenklich auf die niedrige Küste. Er konnte eine Ecke der weißen Residenz sehen, die durch die dünnen Isisipalmen am Ende des großen Gartens lugte. Von hier aus erschien er ihm wie ein dunkelgrüner Fleck auf gelbem Untergrund.

»Ich gehe sehr ungern fort, wenn es auch nur für sechs Monate ist«, sagte er.

Hamilton hatte lachende blaue Augen und ein Gesicht, das die Farbe dunklen Eichenholzes zeigte. Er war schlank, gesund und lebensfroh. Aber jetzt pfiff er angestrengt, um seinen Schmerz über diesen Abschied zu verbergen.

»Aber ich komme schon wieder«, fuhr Sanders fort. »Ich hoffe, daß während meiner Abwesenheit alles gutgehen wird.«

»Wie kann es gutgehen?« fragte Hamilton höflich. »Wie können die Isisi leben oder die Akasava ihre schauderhaften Kartoffeln pflanzen oder die Sonne scheinen oder der Strom fließen, wenn Sandi Sitani nicht mehr im Lande ist?«

»Ich würde mich nicht beklagen«, sagte Sanders und überhörte die leise Ironie des andern, »wenn sie einen alten, erfahrenen Mann an meine Stelle gesetzt hätten, aber so einen Dickkopf von Soldaten –«

»Wir danken Ihnen«, sagte Hamilton mit einer Verbeugung.

»– mit wenig oder gar keiner Erfahrung –«

»Eine unverschämte Lüge, eine infame Verleumdung«, murmelte Hamilton.

»Einen solchen Mann an meine Stelle zu setzen!« Sanders schob den Tropenhelm in den Nacken, um besser zum Himmel emporschauen zu können.

»Schrecklich! Schrecklich!« sagte Hamilton. »Und ich scheine jetzt das strenge Auge meines Vorgesetzten auf mich gelenkt zu haben, da er wünscht, mich ein wenig in Bewegung zu bringen. Leben Sie wohl, mein Lieber!«

Seine kräftige Hand schüttelte Sanders' Rechte krampfhaft.

»Leben Sie wohl!« sagte Sanders leise. Er legte die Hand auf Hamiltons Schulter, als sie den Seitengang entlanggingen. »Achten Sie mir auf die Isisi und auf Bosambo – vor allem auf Bosambo, er ist ein tüchtiger, aber ein unzuverlässiger Teufel.«

»Ich werde schon mit ihm fertig werden«, sagte Hamilton fest, als er das Fallreep hinunterging, um in das Boot einzusteigen, das unten rollte und stampfte.

»Ich gehe nun wirklich fort!« Sanders lachte gequält.

Er sah, wie alle Haussa noch zu dem vorderen Ende des Bootes kamen, er sah die feierlichen Gesichter der Ruderer, die ihre nackten Rücken beugten, als sie kräftig in die schweren Riemen griffen. Der Gedanke, daß Hamilton nun mit ihnen zu dem vertrauten Leben zurückkehrte, zu diesen ihm so lieben Tagen voller Mühe und Arbeit für seine Eingeborenen, machte ihm das Herz schwer. Er hustete und schwor sich selbst einen heiligen Eid.

»O Sandi«, rief der Anführer der Bootsleute, als sie langsam über die klare, grüne Dünung fuhren, »denke an uns, deine Diener!«

»Mann, das werde ich tun!« Sanders konnte nicht mehr sprechen. Er ging schnell nach unten und schloß sich in seine Kabine ein.

Hamilton saß an der Spitze des Bootes und summte eine Melodie vor sich hin. Es war ihm feierlich zumute, denn in seiner Tasche steckte ein amtliches Schreiben mit großem, rotem Siegel, das so begann: »Unserem verdienstvollen Patrick George Hamilton, Leutnant unseres 133. Königlichen Hertford-Regiments, abkommandiert zum Dienst bei unserem 9. Haussa-Regiment, Gruß zuvor –« Es war sein Captain-Patent.

»Master«, sagte sein Kru-Diener, der ihn an Land erwartete, »du jetzt wohnen dem großen Haus?«

»Ja, ich wohne dort.«

»Dem großen Haus« war die Residenz, wo der Stellvertretende Distriktsgouverneur seinen Wohnsitz nehmen mußte, wenn er die Würde seines Amtes wahren wollte.

Hamilton betrachtete eine kleine Fotografie von Sanders, die auf dem Tisch stand.

»Wir wollen den Himmel bitten, daß diese schmählichen Eingeborenen sich ruhig verhalten, bis du zurückkommst, lieber Sanders«, sagte er ernst zu sich selbst, »denn Gott weiß, was für Mühe ich bis dahin haben werde!«

Der nächste Postdampfer brachte Francis Augustus Tibbetts, Leutnant der Haussa, munter wie der Teufel, lang und gerade aufgeschossen. Die Haare trug er aus der Stirn zurückgebürstet, und sein Gesicht war mit einer sonnverbrannten Nase geziert. Er kam mit einer großen Menge von Gepäckstücken an und hatte alle Untugenden eines jungen Londoners.

»Ich fürchte, Sie finden bald heraus, daß ich ein Esel bin, Sir«, sagte er zu Hamilton und grüßte militärisch. »Ich bin gerade erst hier an der Küste angekommen. Energie habe ich für drei, aber mit dem Verstand ist es noch nicht weit her.«

Hamilton, der seinen neuen Untergebenen durch das Monokel betrachtete, lächelte ihn wohlwollend und vergnügt an. »Seien Sie ruhig, ich bin auch kein Walfisch an Weisheit – wie ist Ihr Name?«

»Francis Augustus Tibbetts, Sir.«

»Ich werde Sie ›Bones‹ nennen«, sagte Hamilton entschieden.

Leutnant Tibbetts salutierte.

»Auf der Kriegsschule in Sandhurst hieß ich nur ›Conk‹«, versuchte er vorzuschlagen.

»Bones«, beharrte Hamilton, und dabei blieb es.

»Also dann, Bones, alter Schiffer«, sagte Leutnant Tibbetts. »Und nun ist diese ganze schreckliche Vorstellung vorüber, und wir wollen eine Flasche Wein trinken, um die Sache zu feiern.«

Und dann tranken sie eine Flasche.

Sie verbrachten einen sehr vergnügten Abend miteinander, aßen gebratenes Huhn und wohlschmeckende Kartoffeln, eine süße Kokosspeise und Reispudding. Hamilton sang mit seinem hohen Bariton: »Wer möchte nicht Soldat sein in dem Heer?«, und auf Aufforderung gab er noch »Mein Herz ist im Hochland« zu. Leutnant Tibbetts zeigte eine lebensechte Imitation des Komikers Frank Tinney, die nicht nur seinen Vorgesetzten, sondern auch zweiundvierzig Haussa zum Lachen brachte, die heimlich durch die verschiedenen Tür- und Fensterspalten schauten.

Bones war der Sohn eines Mannes, der eine bedeutende Stellung an der Küste eingenommen hatte. Obgleich er seine Erziehung in England genossen hatte, besaß er doch den unschätzbaren Vorteil, die Sprache der Eingeborenen gründlich zu kennen, und zwar nicht nur durch seinen Vater, sondern auch durch zwei eingeborene Diener, mit denen er aufgewachsen war.

»Ich hoffe, wir haben eine telegrafische Verbindung mit der Zentralverwaltung«, fragte Bones, bevor sie sich trennten.

»Sicher, mein Lieber«, antwortete Hamilton. »Wir haben sie extra legen lassen, als wir von Ihrer Ankunft hörten.«

»Reden Sie keinen Humbug«, lachte Bones. »Ich habe nämlich ein paar Dutzend Wetten auf Rennen abgeschlossen, und ein guter Kamerad von mir, er heißt Goldfinder, ein seltener und feiner Vogel, hat mir mit Eid versprochen, mir zu telegrafieren, wenn eines von meinen Pferden herauskommt. Glauben Sie, daß ich richtig getippt habe?«

»Ich glaube nicht einmal, daß Sie auf eine Kuh richtig tippen«, sagte Hamilton. »Gehen Sie schlafen!«

»Sehen Sie mal, Ham –«, begann Leutnant Bones.

»Zu Bett, Sie ungehorsamer Teufel!« befahl Hamilton entschieden.

Und währenddessen begannen bei den Akasava Unruhen.

2

Kaum hatte Sanders das Land verlassen, als die Lokoli der unteren Isisi diese Nachricht auch schon weitergaben. Stromauf und stromab, von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, über den Fluß, selbst zu den ruhigen Tiefen des Waldes wurde die Botschaft getragen.

N'gori, der Häuptling der Akasava, hatte eine Klage gegen die Regierung wegen einer Geldstrafe, die ihm auferlegt war, weil er die gesetzmäßige Steuer nicht eingesammelt hatte. Er wartete nur auf die Kunde von Sanders' Abreise. Dann ließ er durch die Signaltrommeln sein Volk zu einem »Tanz von vielen Tagen« zusammenrufen. Aber ein »Tanz von vielen Tagen« bedeutete Speer, und Speer bedeutete Unruhe. Bosambo hörte die Nachricht in der Stille der hereinbrechenden Nacht, sammelte schleunigst fünfhundert seiner Krieger, fegte im Morgengrauen den Strom hinunter zur Akasavastadt und nahm dem schlaftrunkenen N'gori zweitausend Speere weg.

Ernüchtert wachten die Akasava am Morgen auf, rieben sich die Augen und fanden überall fremde Ochoriwachen in den Straßen verstreut. Bosambo, in ein königsblaues Tischtuch eingehüllt, das mit goldenen Fransen besetzt war, stolzierte majestätisch durch die Straßen der Stadt.

»Dieses tue ich«, sagte er zu dem erschrockenen N'gori, »weil mein Herr Sandi mich eingesetzt hat, um des Königs Frieden hier zu halten.«

»O Herr Bosambo«, sagte der traurige Häuptling, »was für einen Frieden breche ich denn, wenn ich meine jungen Leute und Mädchen zum Tanz zusammenrufe?«

»Deine jungen Männer sind Diebe, und es steht geschrieben, daß die Mädchen der Akasava in zehntausend Monaten einmal heiraten«, sagte Bosambo ruhig. »Und bedenke, N'gori, du sprichst zu einem weisen Mann, der genau weiß, daß deine Trommelsignale Krieg bedeuten.«

Ein langes, bedeutsames Schweigen folgte.

»Nun, Bosambo«, sagte N'gori nach einiger Zeit, »du hast meine Lanzen genommen, und deine jungen Leute halten die Straßen und den Fluß bewacht. Was hast du eigentlich vor – willst du so lange hier warten, bis Sandi zurückkehrt und es wieder ein Gesetz im Lande gibt?«

Aber diese Frage zu beantworten ging selbst über das Vermögen Bosambos. Er hatte ein kriegerisches Volk überfallen und in Überraschung und Verwirrung dessen bewaffnete Macht gebrochen. Aber was nun geschehen sollte, hatte er selbst noch nicht bedacht.

»Ich gehe in meine Stadt zurück«, sagte er schließlich.

»Und meine Speere?«

»Die gehen mit mir!«

Sie schauten einander in die Augen. Bosambo hatte eine große, schöne Gestalt, N'gori war zusammengeschrumpft, und viele Altersfalten durchzogen seine Stirn.

»O Herr«, sagte N'gori milde, »wenn du meine Speere nimmst, überantwortest du mich mit gebundenen Händen meinen Feinden. Wie kann ich meine Dörfer vor den Überfällen der bösen Isisi schützen?«

Bosambo sog den Atem durch die Nase ein – ein sicheres Zeichen, daß ihn diese Frage in Verlegenheit brachte. Denn alles, was N'gori sagte, entsprach der Wahrheit. Aber wenn er ihm die Speere zurückgab, bereitete er sich selbst Ungelegenheiten. Plötzlich kam ihm ein guter Gedanke.

»Wenn böse Leute dich angreifen, dann sollst du mich zu Hilfe rufen, und ich werde mit meinen jungen Kriegern kommen. Das Palaver ist aus.«

N'gori mußte sich wohl oder übel mit dieser Entscheidung zufriedengeben. Er stand am Ufer, als Bosambos Krieger abfuhren, und sah, wie die Ruderer auf Bündeln von gestohlenen Speeren saßen. Als Bosambo außer Sicht war, ließ er alle Dinge in seiner Stadt, die er im Tauschhandel verwerten konnte, sammeln und sandte zehn beladene Kanus zur Grenze des N'gombilandes. Denn die N'gombi sind berühmte Waffenschmiede und können besonders gute Speere verfertigen. Auch haben sie immer einen Vorrat zum Verkauf, der aber wohlverborgen ist gegen eventuelle Überfälle.

Einen Monat lang wurde nun eine Komödie aufgeführt, die Hamilton vollständig verborgen blieb. Drei Tage, nachdem Bosambo im Triumph in seine Stadt zurückgekehrt war, kam plötzlich ein dringender Hilferuf – dumpf und schrecklich tönten die Lokoli, und als der Wächter in der Ochoristadt die Nachricht erhielt, weckte er Bosambo mitten in der tiefsten Nacht auf.

»O Herr, eine schnelle Botschaft kam von den Akasava, sie werden von ihren Feinden bedrängt und haben keine Speere.«

Im nächsten Augenblick stand Bosambo auf der dunklen Hauptstraße und ließ seine große Kriegstrommel ertönen. Zwanzig mit Kriegern bemannte Kanus jagten in größter Eile den Strom hinab, den schutzlosen Akasava zu Hilfe zu kommen.

Im Morgengrauen traf N'gori seinen Bundesgenossen an dem Ufer vor seiner Stadt.

»Ich danke all meinen kleinen Göttern, daß du gekommen bist«, sagte er demütig. »Denn in der Nacht, o Herr, hat einer meiner jungen Leute gesehen, wie ein Isisiheer gegen uns auszog.«

»Wo sind denn deine Feinde?« fragte der müde Bosambo.

»O Herr, sie sind nicht gekommen«, erwiderte N'gori gewandt, »denn als sie hörten, daß du, großer Herr, mit deinen schnellen Kanus kamst, sind sie davongelaufen, wie ich glaube.«

Bosambos Streitkräfte ruderten am nächsten Tag wieder den Fluß hinauf zur Ochoristadt. Aber schon nach zwei Nächten wiederholte sich der Alarm, und diesmal wurden mehr Einzelheiten gemeldet. Eine N'gombimacht von zahllosen Speeren habe das Dorf Doozani überfallen und bedrohe die Hauptstadt. Wieder führte Bosambo seine Speerleute zur Schlacht, und wieder wurde er an der Küste von N'gori empfangen, der sich genau wie das erstemal entschuldigte.

»O Herr, es war eine Lüge, die ein verrücktes Mädchen aussprengte. Ich habe großen Kummer in meinem Bauch, daß ich den mächtigen Bosambo mitten in der Nacht von dem Bette seines Weibes aufgescheucht habe.« Denn im Dunkel der Nacht hatte es geregnet und gestürmt, und Bosambo hätte beinahe ein Kanu eingebüßt.

»O du Narr!« sagte Bosambo, »habe ich nichts anderes zu tun – ich, der ich Sandis erhabene und große Geschäfte verrichte –, als durch den Regen zu kommen, weil ein verrücktes Mädchen Gespenster sieht?«

»Bosambo, ich bin ein Narr!« gab N'gori demütig zu. Wieder mußte sein Retter unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren.

»Jetzt«, sagte N'gori, »wollen wir ein heimliches Palaver abhalten, und wir wollen Boten zu allen Dörfern senden, daß sich die Krieger beim nächsten Neumond versammeln. Denn die N'gombi haben mir neue Speere gesandt, und wenn der Hund Bosambo das nächstemal kommt, ermattet vom Rudern, dann wollen wir ihn überfallen, und es wird kein Bosambo mehr sein, denn Sandi ist fortgegangen, und es gibt kein Gesetz mehr im Land!«

3

Merkwürdigerweise erörterten zur selben Zeit zwei junge Haussa-Offiziere eingehend die Fragen des Gesetzes. Sie saßen zu beiden Seiten an Sanders' großem Eßtisch, hatten nasse Handtücher um ihre Köpfe gebunden und suchten in die letzten Geheimnisse und Feinheiten des Militärstrafgesetzbuches einzudringen. Denn Leutnant Tibbetts wollte ein Examen machen, und Hamilton, der gerade vor kurzem durch unerhörte Glücksfälle die Prüfung bestanden hatte, bot ihm übereilt an, ihn einzupauken.

»Ich hoffe, Sie werden das verstehen, Bones!« sagte Hamilton, schaute seinen Untergebenen an und verfolgte dann mit dem Finger die Zeilen in dem aufgeschlagenen Buch. »Jede dem Militärgesetz unterworfene Person«, las er mit Nachdruck vor, »die ihren vorgesetzten Offizier schlägt oder mißhandelt, soll, wenn sie Offiziersrang hat, erschossen werden oder eine geringere Strafe erhalten, die hier in späteren Abschnitten angeführt ist. Das heißt also«, erklärte er, »wenn Sie und ich im Dienst sind und Sie mich einen Lügner nennen und ich Ihnen darauf eine Ohrfeige gebe ...«

»Dann werden Sie erschossen!« sagte Bones mit Bewunderung. »Das ist aber eine famose Idee!«

»Wenn ich aber andererseits Sie einen Lügner nenne«, fuhr Hamilton fort, »und dazu berechtigt wäre, und Sie geben mir eine Ohrfeige, dann würden Sie bereuen, jemals geboren zu sein!«

»Das ist Militärstrafgesetz?« fragte Bones neugierig.

»Ja!«

»Dann wollen wir lieber damit aufhören«, sagte Bones und schlug das Buch geräuschvoll zu. »Ich brauche kein Buch, um zu lernen, was ich zu tun habe, wenn mich jemand einen Lügner nennt. Jetzt wollen wir eine Partie Piquet um Nüsse spielen.«

»Sie sind dran«, sagte Hamilton. –

»Das sind meine Nüsse!«

Bones zählte sorgsam den Haufen, den sein Vorgesetzter ihm zuschob.

»Hallo, zum Teufel, was willst du?« fragte Bones.

Hamilton folgte dem Blick des andern. Ein Mann stand in der Türöffnung, der nur mit einem Lendentuch bekleidet war. Hamilton erhob sich rasch, denn er erkannte den Hauptspäher Sanders'.

»O Kelili«, sagte er in der wohltönenden Bomongosprache, »warum und woher kommst du?«

»Von der Insel, die der Ochoristadt gegenüberliegt, o Herr«, sagte der Mann heiser. »Zwei Tauben habe ich abgeschickt, aber sie sind von Habichten gefangen worden – ein Fischer sah, wie die eine ihr Ende fand, und die andere sah mein eigener Bruder, der als Wärter in dem Dorf der Ketten lebt.«

Hamiltons düsteres Gesicht erstarrte, denn er fühlte, daß es Unruhen geben würde.

»Du sendest gewöhnlich keine angenehmen Nachrichten durch Taubenpost – erzähle!«

»O Herr!« sagte Kelili, »es wird ein Kriegspalaver zwischen den Ochori und den Akasava geben beim nächsten Neumond, denn N'gori spricht schlecht von Bosambo und sagt, daß der Häuptling ihn überfallen hat. Wie es weitergehen wird«, fuhr Kelili fort mit der Beruhigung eines Mannes, der seine Pflicht getan hat, »kann ich nicht sagen, aber ich habe alle Leute der Regierung gewarnt, daß sie wachen sollen.«

Bones konnte der Unterhaltung ohne Schwierigkeiten folgen.

»Was sagen die Leute?« fragte Hamilton.

»O Herr, sie sagen, daß Sandi fortgegangen ist und es kein Gesetz mehr gibt.«

Hamilton lachte böse. »So, glauben sie das?« sagte er in Englisch.

»Also das glauben sie«, wiederholte Bones entrüstet. »Wir wollen diesem alten Kerl den Kopf mal zurechtsetzen!«

Zu Bosambo kam eine Botschaft von dem Häuptling der Akasava, die ihm Geschenke von zweifelhaftem Wert und die Botschaft überbrachte, daß N'gori die meiste Zeit in Bewunderung Bosambos zubringe und darüber nachdenke, wie er seinem Bruder am besten dienen könne. »Er, der der rechte Arm ist, auf den ich und mein Volk sich stützen, und das glänzende Auge, durch das wir die Schönheiten der Welt sehen«, waren seine Worte.

Bosambo schickte die Leute zurück und gab ihnen Geschenke von noch geringerem Wert und versicherte seine Freundschaft mit hochtrabenden Worten.

Als aber die Leute fortgegangen waren, zeigte Bosambo, wie sehr er die Zuneigung und Treue N'goris schätzte, indem er die Wachtposten um die Ochoristadt verdoppelte und eine starke Abteilung Speerleute unter dem ersten Dorfältesten zur Flußbiegung sandte. »Denn das Leben gleicht gewissen Wurzeln«, sagte Bosambo, dieser bewunderungswürdige Philosoph. »Manche von ihnen schmecken süß und sind am Schluß doch bitter, und manche haben einen faden Geschmack, tun aber dem Magen gut.«

In einer stürmischen Nacht im Regenmonat kam der Sturmgott M'shimba-m'shamba durch die großen Wälder, und Zerstörung und Vernichtung bezeichneten seinen Weg. Große Bäume riß er mit den Wurzeln aus und schleuderte sie zur Seite, als ob es dünne Zweige wären. Der Sturm heulte, und die Donner krachten und rollten, das bläulichweiße, blendende Licht der Blitze zuckte auf, beleuchtete die Baumriesen hell und zerriß in Zickzacklinien den schwarzen Wolkenhimmel. Die Leute in der Ochoristadt hörten das Unwetter über dem Flußbett wüten, die ohne Unterlaß aufzuckenden Blitze weckten sie auf – selbst die Webervögel, die ihre Nester in den Palmen an den Seiten der Straße hatten, wurden wach und zwitscherten laut.

M'shimba-m'shamba machte einen solchen Lärm, daß der Wachtposten an der Lokoli die Botschaft N'goris nicht hören konnte. Er wollte Bosambo in einen Hinterhalt locken, den er mit seinen neu erworbenen Speeren gelegt hatte.

Aber Bones hörte sie – Bones, der auf der Kommandobrücke der »Zaire« stand und das kleine Schiff unentwegt stromaufwärts dampfen ließ. Als er an der Akasavastadt vorbeifuhr, ging gerade ein furchtbarer Regen nieder.

»Ich möchte nur wissen, was der nette, alte Lärm bedeuten soll«, sprach er zu sich selbst und rief seinen Sergeanten. »Ali, was ist das für eine Botschaft?« fragte er in fließendem Arabisch.

»O Herr«, antwortete Ali, »ich weiß es nicht. Wahrscheinlich warnen sie uns, nicht zur Nachtzeit zu fahren. Ich bin dein Mann, o Herr«, sagte er ärgerlich, »aber ich bin noch niemals mit so großer Furcht auf dem Strom gefahren. Denn selbst unser Herr Sandi reist nicht zur Nachtzeit, obgleich der Strom ihm wie sein eigenes Kind ist.«

»Es steht geschrieben«, sagte Bones munter, und als der Sergeant salutierte und sich wegwandte, schnitt er eine Fratze im Dunkeln.

»Wenn mir der alte Ham einen oder zwei Monate Zeit ließe hier am Fluß«, sagte er zu sich selbst, »würde ich den ganzen Kram schon in Ordnung bringen!«

Durch den unerforschlichen Ratschluß der Vorsehung erreichte Bones die Ochoristadt in der grauen Morgendämmerung. Bosambo, der schon früh auf dem Posten war, begegnete dem schlanken jungen Offizier mit dem blitzenden Säbel und der langen Revolvertasche an der Seite. Bones hatte den Helm etwas zurückgeschoben und sah wie ein tapferer Krieger aus, der in den Kampf ziehen will.

»O Herr, ich habe von dir gehört«, sagte Bosambo höflich. »Hier in dem Lande der Ochori reden wir von nichts anderem als von dem neuen dünnen Herrn, dessen Nase so schön ist und den roten Blumen im Walde gleicht.«

»Laß meine Nase in Frieden«, sagte Bones unwirsch, »und sage mir, Häuptling, was ist das für ein Kriegspalaver, von dem mir berichtet worden ist? Ich komme von der Regierung, um alles Unrecht zu unterdrücken – dies hier ist wohl Bosambo!« Den letzten Satz sprach er in englisch, und Bosambo verneigte sich.

»Ja, Massah«, antwortete er im Küstenenglisch, »ich sein Bosambo, gutem Kerl, feinem Mensch, du Massah, du sehen ihm, du sehen ihm – Bosambo!« Dabei schlug er sich auf die Brust, und Bones wurde liebenswürdiger.

»Na, sieh mal her, alter Sportsmann«, sagte Bones freundlich, »was, zum Teufel, hat denn all der Spektakel hier herum zu bedeuten?«

»Nicht Spektakel, Massah«, sagte Bosambo selbstbewußt, denn alle Bewohner seiner Stadt standen in respektvoller Entfernung umher und waren vollkommen verblüfft, daß ihr Häuptling sich mit diesem neuen weißen Mann wie mit einem Gleichgestellten unterhielt. »Diesem Schuft, diesem Akasavakerl – Massah – er sein schlechtem Mensch, ich sein gutem Kerl, Massah, Christ, Mathäi, Marki, Luki, Johni – ich kennen dem allen fein.«

Bones führte die Unterhaltung nun in der Landessprache weiter. Dabei erfuhr er von dem Tanz, den Bosambo vereitelt hatte, auch, daß er die Speere und Waffen der Akasava fortgenommen hatte. Er besichtigte die drei Hütten, in denen sie aufgestapelt waren.

Obgleich sich Bones manchmal lächerlich aufführte, war er doch kein Dummkopf, und außerdem wußte er ja, daß die N'gombi den Akasava Tag für Tag neue Speere sandten. Und als nun Bosambo von den mitternächtlichen Hilferufen erzählte, konnte er sich alles andere zusammenreimen.

Er schüttelte den Kopf, als Bosambo seinen Bericht beendet hatte. »Du bist ein netter alter Kerl, Bosambo«, sagte er ernst. »Du weißt gar nicht, wie sehr du in der Patsche sitzt. Aber vertraue nur dem alten Bones, er wird dir schon durchhelfen.«

Als Bosambo dies hörte, ohne es zu verstehen, war er zuerst bestürzt, aber dann antwortete er: »Ich sein feinem Kerl, Massah!«

»Es geht um dein Leben«, sagte Bones und klemmte das Monokel ins Auge, um seinen Schutzbefohlenen besser betrachten zu können.

4

Der Häuptling N'gori bereitete einen Überfall auf Bosambo vor und gab sich große Mühe, alles bis in die letzten Einzelheiten zu planen. Und er hätte eigentlich Erfolg haben müssen. Leute mit Lokoli-Trommeln waren im Gebüsch verborgen und warteten nur darauf, die Ankunft der Ochori zu melden. Als N'gori seinen Hilferuf in die Welt sandte, standen sechshundert Krieger mit ihren Speeren bereit, um sich in fünfzig Kanus einzuschiffen, und weitere fünfhundert Krieger warteten an jedem Ufer, um die überlebenden Ochori, die sich ans Land retteten, niederzumachen.

Aber die Ausführung der besten Pläne ist immer noch der Einschränkung unterworfen, daß das Wetter einem einen Strich durch die Rechnung machen kann. Die Signale, die N'gori aussandte, um Bosambo herbeizurufen und in seinen Untergang zu locken, wurden von dem Heulen des Sturmes verschlungen.

»Aber diese Nacht ist geeignet«, sagte N'gori am nächsten Abend und zeigte seine weißen Zähne. »Bosambo wird sicher kommen.«

Sein Hauptratgeber, der dem früheren königlichen Geschlecht entstammte, warnte plötzlich ganz wider Erwarten vor der Ausführung des Plans. Irgend jemand hatte gesehen, wie die »Zaire« in tiefer Nacht den Strom heraufgefahren war. War es da klug, sich in ein so großes Abenteuer einzulassen, wenn der Teufel Sandi auf der Lauer lag, um vernichtend zu strafen, und so nahe war?

»Alter Mann, für dich steht noch eine Hütte im Walde«, sagte N'gori bedeutungsvoll. Darauf schwieg der Ratgeber. Die Hütten im Walde sind für die Kranken, Alten und Verrückten bestimmt, und man bringt sie dorthin, damit sie sterben. »Alle wissen doch«, fuhr N'gori fort, »daß Sandi zu seinem Volk über die großen, schwarzen Wasser gegangen ist und daß Militini jetzt regiert. Auch gibt es Leute, die in stürmischen Nächten Teufel sehen.«

Mit außerordentlicher Umsicht traf er die letzten Vorkehrungen, um den Räuber Bosambo zu empfangen. Wahrscheinlich wurde er auch noch durch die anderen Häuptlinge des Landes ermutigt, die auf die Ochori eifersüchtig geworden waren und sich über ihren neuen, kriegerischen Charakter ärgerten. Mag dem sein, wie ihm wolle, jedenfalls waren alle Vorbereitungen getroffen, selbst die Opfermesser lagen schon bereit, und die jungen Bäume waren bereits zusammengebunden, die die Akasava seit dem Jahre, in dem so viele Leute aufgehängt wurden, nicht mehr für ihre gräßlichen Opfer angewandt hatten.

Eine Stunde vor Mitternacht meldeten die Lokoli drahtlos in alle Welt:

»Wir von den Akasava« (vier lange Wirbel mit einer Reihe schnell aufeinanderfolgender Schläge)

»Gefahr droht« (ein langer Wirbel, ein kurzer Wirbel und dreimal tap-tap)

»Isisi kämpfen« (Wirbel, durch kurze Schläge unterbrochen)

»Kommt zu mir« (ein langer, stark anschwellender Wirbel mit einigen scharfen Schlägen)

»Ochori« (neun Wirbel, die sonderbare Ähnlichkeit mit Hundekläffen haben).

So wurde die Botschaft ausgesandt. Jedes Dorf hörte und wiederholte sie. Die Isisi sandten sie weiter nach Norden, die N'gombidörfer nach Westen, und gleich darauf hörten die Isisi und dann die N'gombi die schwache Antwort: »Ich komme – der Vernichter der Leben« und gaben die Botschaft an N'gori weiter.

»Jetzt aber werde ich Leben vernichten«, sagte N'gori und opferte eine schwarze Ziege, um sich den Sieg zu sichern.

Sechshundert Krieger warteten auf das Signal der versteckten Lokoli-Trommler an den weitentfernten Uferplätzen. Beim ersten Rasseln ließ N'gori sein Häuptlingskanu ausfahren.

»Tötet sie!« brüllte er. In dem hellen Licht des Morgengrauens stieß er auf zehn Ochorikanus, die in fächerförmiger Anordnung ruderten. In ihrer Mitte dampfte die weiße »Zaire«, deren Deck von Haussa-Soldaten wimmelte. Die Hotchkiß-Kanonen waren geladen, und große Mengen Munition standen neben den Geschützen.

»O ko«, sagte N'gori entsetzt, »dies ist ein böses Palaver!«

In der Mitte seiner Stadt stand der bestürzte N'gori vor einer Abteilung Haussa, die ihn beschimpften.

»Du bist ein ungezogener Kerl!« sagte Bones vorwurfsvoll, »und wenn der nette, gute, alte Sanders hier wäre – auf mein Wort, dann wäre es jetzt mit dir zu Ende!«

N'gori horchte auf die unbekannte Sprache und war durch dieses Wunder sehr beunruhigt.

»O Herr, was geschieht mit mir?« fragte er.

Bones blickte düster drein und kratzte sich den Kopf. Er sah den Häuptling an, dann Bosambo, dann schaute er auf den Strom, der in der Morgensonne aufglühte, auf die »Zaire« mit ihren glitzernden, düsteren Kanonen. Schließlich richtete er den Blick wieder auf N'gori. Er beherrschte den Dialekt der Akasava noch nicht genügend, und Bosambo mußte seine Worte verdolmetschen.

»Ein sehr schweres Verbrechen, alter Freund«, sagte Bones feierlich, »ein furchtbar schweres Verbrechen – mit Speeren herumfuhrwerken und all solchen Unfug –, zum Teufel, ich werde ein Exempel statuieren, ja, das werde ich!«

Bosambo hörte ihn, aber er verstand ihn nicht ganz. Er schaute sich schon nach einem geeigneten Baum um, an dem man den aufsässigen Häuptling zum Wohle der Allgemeinheit aufhängen könnte.

»Er ist ein ganz schlechter Kerl – übersetze ihm das!« sagte Bones und schüttelte den Kopf.

»Ja, Massah!«

»Sage ihm, daß ich ihn mit einer Geldbuße von zehn Dollar bestrafe!«

Aber Bosambo sprach nichts, denn es gibt Augenblicke, die zu groß für Worte sind, und dies war ein solcher.


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