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Zweiter Theil.
1842-1850

Die Reise von Paris nach Dresden dauerte damals noch fünf Tage mit den dazwischen liegenden Nächten. An der deutschen Grenze bei Forbach geriethen wir in Schnee und rauhes Wetter, was uns nach dem bereits genossenen Pariser Frühlinge sehr unfreundlich anwehte. Wirklich wollte uns beim Weiterfahren durch die wiedergewonnene deutsche Heimath vieles gar nicht recht anmuthen, und mir fiel ein, dass die französischen Reisenden, welche, wenn sie aus Deutschland zurückkehrten, beim Betreten des französischen Bodens leichter athmend sich die Röcke aufknöpften, als ob sie nun aus dem Winter in den Sommer kämen, doch nicht so ganz unrecht gehabt hätten, da wir im Gegentheil jetzt genöthigt waren, uns mit künstlichster Benützung unsrer Kleidungsmittel gegen einen empfindlich auffallenden Temperaturwechsel zu schützen. Zur vollständigen Marter ward diese Ungunst der Witterung, als wir auf der Reise von Frankfurt nach Leipzig in den Strom der Messreisenden geriethen, welche die Post um jene Zeit der Leipziger Ostermesse so stark in Anspruch nahmen, dass wir zwei Tage und eine Nacht über, bei unausgesetztem Sturm, Schnee und Regen, unaufhörlich die schlimmsten Beiwagen wechseln mussten, was diese Reise uns zu einem Abenteuer von fast ähnlicher Gattung, wie unsre frühere Seereise, gestaltete. Einen wirklichen Lichtblick gewährte mir die Begegnung der Wartburg, an welcher wir in der einzigen sonnenhellen Stunde dieser Reise vorbeifuhren. Der Anblick des Bergschlosses, welches sich, wenn man von Fulda herkommt, längere Zeit bereits sehr vortheilhaft darstellt, regte mich ungemein warm an. Einen seitab von ihr gelegenen ferneren Bergrücken stempelte ich sogleich zum »Hörselberg«, und construirte mir so, in dem Thal dahin fahrend, die Scene zum dritten Akte meines »Tannhäusers«, wie ich sie seitdem als Bild in mir festhielt, und später dem Pariser Decorationsmaler Dépléchin, mit genauer Angabe meines Planes, zur Ausführung anwies. Hatte es mich bereits sehr bedeutungsvoll gemahnt, dass ich jetzt erst, auf der Heimreise von Paris, den sagenhaften deutschen Rhein überschritt, so dünkte es mich eine weissagungsvolle Beziehung, dass ich die so geschicht- und mythenreiche Wartburg eben jetzt zum ersten Mal leibhaftig vor mir sah, und war von diesem Eindrucke gegen Wind und Wetter, Juden und Leipziger Messe so innig erwärmt, dass ich endlich, mit meiner armen zerschlagenen und erfrorenen Frau, glücklich und wohlbehalten wieder in demselben Dresden ankam (12. April 1842), von welchem ich zuletzt in so trauriger Trennung von Minna in mein nordisches Exil ausgezogen war.

Wir stiegen im Gasthof zur »Stadt Gotha« ab. – Die Stadt, in welcher ich so bedeutungsvolle Kinder- und Knabenjahre verlebt, machte unter dem Eindrucke trüber, rauher Witterung einen kalten, todten Eindruck auf mich; wirklich schien mir Alles, was an meine Jugend mich erinnern konnte, dort erstorben; kein gastliches Haus empfing uns; die Eltern meiner Frau trafen wir in ärmlicher, enger Wohnung und kümmerlichen Verhältnissen, und wir mussten uns sofort nach einer kleinen Wohnung für uns selbst umsehen, welche wir in der Töpfergasse, für sieben Thaler monatlich, fanden. – Nachdem ich wegen des » Rienzi« die nöthigen Höflichkeitsbesuche gemacht, und Minna für meine kurze Abwesenheit versorgt hatte, reiste ich am 15. April sofort nach Leipzig, wo ich seit sechs Jahren zum ersten Mal meine Mutter und Geschwister wiedersah. In dieser für mich so verhängnissvollen Zeit hatte die Mutter durch Rosalien's Tod eine grosse Veränderung ihrer häuslichen Lage erfahren; sie lebte in einer freundlichen und geräumigen Wohnung, nahe der Familie Brockhaus, in behaglicher Sorglosigkeit, ohne eigentlichen Hausstand, welchem sie früher bei starker Familie so rüstige Sorge jahrelang gewidmet hatte. Die Rührigkeit, ja Heftigkeit ihres Wesens war gänzlich der ihr eigenen Heiterkeit, mit welcher sie sich der Theilnahme an dem Gedeihen der Familien ihrer verheiratheten Töchter hingab, gewichen. Das Glück eines so ruhigen und freundlichen Alters verdankte sie grösstenteils der herzlich gewogenen Fürsorge ihres Schwiegersohnes Friedrich Brockhaus, welchem auch ich hierdurch zu gerührtem Dank mich verpflichtet erkannte. Sie hatte einen grossen freudigen Schreck, als sie mich unvermuthet in's Zimmer treten sah; jede Bitterkeit war vollkommen zwischen uns gewichen, und sie beklagte sich nur, dass sie mich nicht bei sich haben könnte, statt des verunglückten Goldschmieds, meines Bruders Julius, von dem sie gar nichts rechtes für den Umgang habe. Sie hatte guten Glauben an den Erfolg meiner Unternehmung, und fühlte sich in ihren Hoffnungen durch die letzten Voraussagungen der guten Rosalie gestärkt, mit welchen diese, leider so kurz vor ihrem Tode, sich für mich ausgesprochen hatte.

Für jetzt weilte ich jedoch nur wenige Tage in Leipzig, um zunächst nach Berlin zu reisen, wo ich mit dem Grafen von Redern wegen der Aufführung des » fliegenden Holländers« mich in ein bestimmtes Vernehmen zu setzen hatte. Wie schon angedeutet, hatte ich hier sogleich zu erfahren, dass der Graf von der Intendanz abzutreten im Begriffe stehe, und wurde ich daher von diesem für alle weiteren Bestimmungen an den neuen Intendanten, Herrn von Küstner, welcher aber noch nicht in Berlin eingetroffen war, gewiesen. Ich verstand nun plötzlich, was dieser seltsame Umstand zu bedeuten habe, und fand, dass ich der Berliner Angelegenheit wegen getrost hätte in Paris bleiben können. Dieser Eindruck bestätigte sich im Wesentlichen auch durch meinen Besuch bei Meyerbeer; ich fand, dass ich diesem mit meiner Reise nach Berlin mich offenbar zu feurig erwiesen hatte. Immerhin zeigte er sich mir freundlich und geneigt, nur bedauerte er, so eben »auf der Abreise« begriffen zu sein – ein Zustand, in welchem ich ihn später stets antraf, so oft ich ihn in Berlin wieder besuchte. – Auch Mendelssohn hielt sich um diese Zeit in Berlin, wohin er durch den König von Preussen als einer der Generalmusikdirektoren berufen war, auf. Ich suchte ihn, dem ich mich bereits früher in Leipzig vorgestellt hatte, ebenfalls auf; von ihm erfuhr ich, dass er an ein Gedeihen seiner Wirksamkeit in Berlin nicht glaube, und sich lieber wieder nach Leipzig zurückwenden möchte. Nach dem Schicksal der Partitur meiner grossen, in früher Zeit schon in Leipzig aufgeführten Symphonie, welche ich ihm vor so viel Jahren einigermassen aufdringlich, zugestellt hatte, frug ich ihn nicht; wogegen auch er in keiner Weise mir verrieth, dass er sich dieses sonderbaren Geschenkes erinnere. In seiner reichlichen häuslichen Umgebung machte er einen kalten Eindruck auf mich, jedoch stiess er mich weniger ab, als ich vielmehr von ihm abglitt. – Nun besuchte ich auch Rellstab, an welchen ich einen Brief von seinem treuen Verleger, meinem Schwager Brockhaus, mit mir führte. Hier traf ich weniger auf Glätte, fühlte mich aber abgestossen, worauf es ihm gewiss auch ankam, da er keinerlei Miene machte, als könne es ihm beikommen, sich für mich zu interessiren. – Mir wurde in Berlin sehr wehe zu Muthe; fast hätte ich mir den Commissionsrath Cerf wieder herbeigewünscht. Eine so widerwärtige Zeit ich auch vor Jahren hier verlebt hatte, so war ich damals doch auf einen Menschen gestossen, der, bei aller Schroffheit seines Aeusseren, mit wahrer freundschaftlicher Sorge sich mir zugewandt hatte; ich suchte vergebens mir das Berlin zurückzurufen, durch welches ich damals mit Laube, jugendlich erregt, spazieren ging. Nachdem ich London und namentlich Paris kennen gelernt, machte die Stadt mit ihrer dürftigen Länge, die sie für Grösse ausgiebt, einen wahrhaft herabstimmenden Eindruck, und ich sagte mir, wenn ich es in meinem Leben durchaus zu nichts bringen sollte, so möchte ich diess doch lieber in Paris, als in Berlin erfahren.

Von diesem gänzlich vergeblichen Ausfluge zurückkehrend, wendete ich mich zunächst noch auf einige Tage nach Leipzig, wo ich diessmal bei meinem Schwager Hermann Brockhaus, welcher jetzt als Professor der orientalischen Sprachen der Leipziger Universität angehörte, einkehrte. Seine Familie hatte sich noch um zwei Mädchen vermehrt, und der Inbegriff des ungetrübten Behagens, verklärt durch geistige Regsamkeit und gemächlich belebte Theilnahme an Allem, was auch den höheren Lebensrichtungen angehört, wirkte auf mich Heimathlosen, unruhig Umhergejagten, ergreifend. Als meine Schwester eines Abends die artigen Kinder versorgt und mit freundlicher Ermahnung zur Ruhe gebracht hatte, und nun in dem geräumigen, reichlich versehenen Bibliothekzimmer das Nachtmahl uns zu langem traulichen Gespräch vereinigen sollte, brach ich in heftiges Weinen aus, und schien von meiner guten Schwester, welche vor fünf Jahren in Dresden mich in der höchsten Bedrängniss meiner jugendlichen Ehe kennen gelernt hatte, verstanden zu werden. Andrerseits kam, namentlich auf Anregung meines Schwagers Hermann, meine Familie mir mit dem Anerbieten eines Darlehens entgegen, welches mir die Zeit des Abwartens der Aufführung meines » Rienzi« in Dresden zu überstehen helfen sollte. Es geschah diess mit dem Betheuern, dass man diess einfach für Pflicht halte, und ich gegen die Annahme keinerlei Bedenken zu hegen hätte. Es waren 200 Thaler, welche mir in monatlichen Raten während eines halben Jahres ausgezahlt werden sollten. Da ich auf irgend welche andre Einnahme in keiner Weise zu rechnen hatte, lag es zwar nah, dass für unser Auskommen an das Wirthschaftlichkeits-Talent Minna's stark berufen werden musste; dennoch war es möglich zu machen, und ich durfte mit dem Gefühle grosser Genugtuung nach Dresden zurückkehren. – Bei meinen Verwandten hatte ich auch zum ersten Mal den » fliegenden Holländer« zusammenhängend vorgespielt und gesungen; mir schien, als ob ich damit ziemliches Interesse erregt hätte, und als meine Schwester Luise späterhin der Aufführung dieser Oper in Dresden beiwohnte, beklagte sie sich, dabei von vielem die Wirkung nicht wieder gewonnen zu haben, wie sie ihr zuvor durch meinen Vortrag beigekommen war. – Auch meinen alten Freund Apel suchte ich wieder auf; der Arme war gänzlich erblindet, überraschte mich aber durch seine Heiterkeit und Zufriedenheit mit seinem Zustande, wodurch er mir alle Veranlassung, ihn zu beklagen, für allemal abschnitt; da er behauptete, er kenne den blauen Rock recht gut, den ich anhabe, trotzdem ich einen braunen trug, fand ich sogar für gut, auch hierüber mich mit ihm in keinen Streit einzulassen, und schied aus Leipzig mit der Verwunderung darüber, hier Alles so glücklich und zufrieden anzutreffen.

Veranlassung zu thätigerem Eingreifen in mein Schicksal erhielt ich nun aber in Dresden, wohin ich am 26. April wieder zurückkehrte. Hier belebte mich nun der angelegentlichere Verkehr mit den Personen, welche ich für die Aufführung des » Rienzi« in Anspruch zu nehmen hatte, in hoffnungerweckender Weise. Kalt und ungläubig liessen mich zwar noch die Ergebnisse meines Vernehmens mit dem Generaldirektor von Lüttichau, dem Kapellmeister Reissiger, welche beide über meine Ankunft in Dresden aufrichtig verwundert waren, und selbst mit meinem so häufig be-correspondirten Gönner, Hofrath Winkler, welcher mich ebenfalls lieber noch in Paris gewusst hätte. Wie ich aber bis dahin und seitdem stets erfuhr, kam die warm fördernde Theilnahme mir immer aus den unteren Schichten, nie aus den höheren Regionen zu; und so erwärmte mich auch hier zuerst der überwältigend herzliche Empfang des alten Chordirektors Wilhelm Fischer, den ich nie zuvor gekannt hatte, der aber der einzige gewesen, welcher genau mit meiner Partitur sich bekannt gemacht, für den Erfolg meiner Oper ernstliche Hoffnung geschöpft, und für die Aufnahme des Studiums derselben sich energisch verwandt hatte. Als ich zuerst zu ihm in das Zimmer trat und meinen Namen nannte, stürzte er mir mit einem lauten Rufe zur Umarmung entgegen, und mit einem Schlage war ich nun mitten in eine hoffnungsvolle Atmosphäre versetzt. Ausser ihm traf ich in dem Schauspieler Ferdinand Heine und dessen Familie den nächsten Anhalt herzlich gewogener, ja innigst bewegter Freundschaft. Dieser war mir allerdings aus meinen Kinderjahren her bereits bekannt; er hatte damals zu den einigen jungen Leuten gehört, welche mein Stiefvater Geyer gern zu sich heranzog. Neben einem wohl unbedeutenden Zeichentalent, war es hauptsächlich seine angenehme gesellschaftliche Begabung, welche ihm den Zutritt zu unserem engeren Familienkreise verschafft hatte. Sehr klein und schmächtig hatte er sich von meinem Vater den Spitznamen Davidchen erworben, und gehörte als solcher zu den weiteren Vereinigungen, an welchen, wie ich seiner Zeit erwähnte, selbst Karl Maria von Weber, namentlich bei geselligen Ausflügen in der Umgegend, gemüthlich heiter Theil nahm. Der älteren »guten« Schule angehörend, war er zwar ein nützliches, nicht aber hervorragendes Mitglied des Dresdner Schauspiels geworden; er besass alle Kenntnisse und Fähigkeiten zu einem tüchtigen Regisseur, wusste jedoch nie die Gunst der Direktion für seine Belehnung mit dieser Charge zu gewinnen. Nur als Costümzeichner hatten seine Fähigkeiten noch ausserdem Verwendung gefunden; als solcher war er auch zu den Berathungen wegen der Ausführung des » Rienzi« mit hinzugezogen, und hatte somit Veranlassung erhalten, mit diesem Werke eines nun herangewachsenen Gliedes der Familie, in welcher er in jungen Jahren angenehme Tage verlebt hatte, sich zu befassen. Von ihm wurde ich sofort als Kind vom Hause aufgenommen, und wir Heimathlosen fanden in der uns gänzlich entfremdeten Heimath dort wieder den ersten heimischen Boden. Mit Papa Fischer bei Heine's verbrachten wir meist unsre Abende, und erfreuten unter hoffnungsvollen Gesprächen uns der Kartoffeln und des Härings, aus welchem meistens die Mahlzeit bestand. – Die Schröder-Devrient war auf Urlaub abwesend; Tichatschek, welcher ebenfalls im Begriff war, auf Urlaub zu gehen, konnte ich eben nur begrüssen, um mit ihm flüchtig einiges aus seiner Partie des » Rienzi« durchzugehen. Sein frisches, lebhaftes Wesen, seine herrliche Stimme, seine grosse musikalische Befähigung, gaben seiner Versicherung, dass er sich auf die Rolle des » Rienzi« freue, einen für mich besonders erfreulichen Nachdruck. Heine versicherte mir ausserdem, dass schon die Aussicht zu vielen neuen Costümen, und namentlich einer neuen silbernen Rüstung, Tichatschek auf das lebhafteste für meine Rolle einnehme, und ich seiner unter allen Umständen sicher sein könnte. So durfte ich mich denn nun bereits näher mit den Vorbereitungen des Studiums, dessen Beginn für den Spätsommer, nach der Rückkehr der Hauptsänger aus ihrem Urlaube, angesetzt war, beschäftigen. – Namentlich musste ich Freund Fischer durch meine Bereitwilligkeit zu Kürzungen der übermässig starken Partitur zu beruhigen suchen. Er meinte es hierin so ehrlich, dass ich gern mit ihm über die beschwerliche Arbeit gemeinsam mich hermachte. Auf einem alten Flügel im Probezimmer des Hoftheaters spielte und sang ich nun dem erstaunten Manne meine Partitur mit so tobender Energie vor, dass er, der das Klavier gern verloren gab, nur noch um meine Brust besorgt blieb, und unter herzlichem Lachen jeden Streit über zu kürzende Stellen bald gänzlich aufgab, da gerade dort, wo er eine Auslassung für möglich hielt, ich ihm mit hinreissender Beredtsamkeit bewiess, dass es sich eben dabei um die Hauptsache handle. Kopfüber tauchte er mit mir unter in den ungeheuren tönenden Wust, gegen dessen Berechtigung er nichts andres aufbringen konnte, als das Zeugniss seiner Taschenuhr, dessen Richtigkeit ich ihm endlich auch bestritt. Leichten Herzens warf ich ihm als Beute die grosse Pantomime und das meiste Ballet des zweiten Aktes hin, wobei ich anzunehmen glaubte, dass wir eine ganze halbe Stunde ersparten. So wurde denn in Gottes Namen das ganze Ungeheuer den Copisten zum Ausschreiben übergeben; das Uebrige sollte sich alles finden. –

Wir sahen uns nun darnach um, was wir mit diesem Sommer anfangen sollten; und ich beschloss einen mehrmonatlichen Aufenthalt in Töplitz, dem Orte meiner berauschenden ersten Jugendausflüge, dessen gute Luft und Bäder zugleich der angegriffenen Gesundheit Minna's, meiner Meinung nach, von Vortheil sein sollten. Ehe wir unsren Vorsatz ausführten, kostete mich die Sicherstellung des Schicksals meines » fliegenden Holländers« noch einen mehrmaligen Besuch Leipzigs. Am 5. Mai wandte ich mich dorthin, um Herrn von Küstner, den neuen Berliner Intendanten, dessen kürzlich erfolgte Ankunft in Leipzig man mir gemeldet hatte, zu sprechen. Dieser befand sich in der eigenthümlichen Lage, dieselbe Oper, welche er zuvor von München aus abgewiesen hatte, nun in Berlin aufführen zu sollen, weil sie dort von seinem abtretenden Vorgänger angenommen war. Er versprach mir, zu überlegen, wozu er sich in diesem merkwürdigen Falle zu entscheiden habe. Um das Resultat dieser Ueberlegung kennen zu lernen, beschloss ich, am 2. Juni Küstner diessmal in Berlin selbst aufzusuchen, fand jedoch bereits in Leipzig einen Brief von demselben vor, worin ich gebeten wurde, im Betreff einer genaueren Entschliessung mich noch einige Zeit zu gedulden. Ich benutzte nun die Nähe zu einem Ausflug nach Halle, um dort meinen ältesten Bruder Albert zu besuchen. Es war für mich bedauerlich und sehr herabdrückend, den Aermsten, dem ich das Zeugniss höheren Strebens und selbst bedeutender Begabung für den dramatischen Gesang geben musste, in so höchst unwürdigen, kleinlichen Verhältnissen, wie das Halle'sche Theater sie boten, mit seiner Familie anzutreffen. Die Kenntnissnahme solcher Zustände, denen ich einst selbst so nahe gewesen war, wirkte jetzt unbeschreiblich abschreckend auf mich. Noch bekümmernder war es mir aber, von diesen Zuständen meinen Bruder in einer Weise sprechen zu hören, die mir leider nur zu sehr verrieth, mit welch' trostloser Ergebung er sich bereits darein gefügt hatte. Nur Eines berührte mich ermuthigend, nämlich die Erscheinung, das kindliche Wesen, und die bereits überraschend schöne Stimme der damals fünfzehnjährigen Stieftochter meines Bruders, Johanna, welche mir das Lied Spohr's: »Rose, wie bist du so schön« in rührender Weise vorsang.

Von hier kehrte ich nun nach Dresden zurück, um endlich mit Minna und einer ihrer Schwestern, bei wundervollem Wetter, die angenehme Reise nach Töplitz auszuführen, wo wir am 9. Juni eintrafen, und in dem Hause »zur Eiche« in Schönau nothdürftiges Quartier nahmen. Hier trafen wir bald mit meiner Mutter zusammen, welche ihren altgewohnten jährlichen Besuch der Töplitzer warmen Bäder diessmal um so lieber ausführte, als sie mich dort anzutreffen wusste. Hatte sie von früher her gegen Minna, meiner gar zu jugendlichen Verheirathung mit ihr wegen, ein widerwilliges Vorurtheil gehabt, so erhielt sie nun, durch Bekanntwerden mit ihren häuslichen Eigenschaften, vollen Grund, die Genossin meiner trübseligen Pariser Leiden zu achten und lieb zu gewinnen. Mich erfreute im Umgang mit der Mutter, welche andrerseits bei ihrer Launenhaftigkeit manche Rücksichten in Anspruch nahm, besonders die grosse Regsamkeit der fast kindlichen Phantasie, welche ihr jetzt in so starkem Grade verblieben war, dass sie sich eines Morgens beklagte, ich hätte sie durch Erzählung der Tannhäuser-Sage am vergangenen Abend die ganze Nacht über in zwar angenehme, aber doch sehr aufregende Schlaflosigkeit versetzt.

Kaum hatte ich nun durch briefliche Vermittelung bei dem reichen Kunstmäcen Schletter in Leipzig für den im Misère in Paris zurückgebliebenen Kietz Einiges ausgewirkt, für ärztliche Behandlung Minna's, und für die Ordnung meiner eigenen kümmerlichen finanziellen Lage zur Noth gesorgt, als ich mich in früh gewohnter Weise zu einer mehrtägigen Fusswanderung in das böhmische Gebirg aufmachte, um meinen Plan zum »Venusberg« unter den angenehmen Eindrücken eines solchen Ausfluges in mir auszuarbeiten. Hierzu reizte es mich, auf dem so romantisch gelegenen Schreckenstein bei Aussig für mehrere Tage in dem kleinen Gastzimmer, in welchem des Nachts mir eine Streu aufgemacht wurde, mein Quartier zu nehmen. Tägliche Besteigung der » Wostrai«, der höchsten Bergspitze der Umgegend, erfrischten mich, und die phantastische Einsamkeit regte meinen Jugendmuth in der Art wieder auf, dass ich eine volle Mondnacht, in das blosse Bett-Tuch gewickelt, auf den Ruinen des Schreckensteins herumkletterte, um mir so selbst zur fehlenden Gespenstererscheinung zu werden, wobei mich der Gedanke ergötzte, von irgend Jemand mit Grausen wahrgenommen zu werden. Hier setzte ich denn nun in mein Taschenbuch den ausführlichen Plan zu einer dreiaktigen Oper der » Venusberg« auf, welchem vollkommen getreu ich später die Dichtung ausführte. Bei einer Ersteigung der »Wostrai« überraschte mich, beim Umbiegen um eine Thalecke, die lustige Tanzweise, welche ein Hirte, auf eine Anhöhe gelagert, pfiff. Ich befand mich sogleich im Chor der Pilger, welche an dem Hirten vorbei durch das Thal ziehen, vermochte es aber in keiner Art, später die Weise des Hirten mir zurückzurufen, wesshalb ich mir dafür auf die bekannte Art selbst zu helfen hatte. – Mit dieser Ausbeute bereichert, kehrte ich, in wundervoller Stimmung und schöner Gesundheit, nach Töplitz zurück, von wo mich nun bald interessante Nachrichten über die bevorstehende Zurückkunft Tichatschek's und der Schröder-Devrient nach Dresden zurückzugehen bestimmten, weniger, um beim beginnenden Studium des » Rienzi« nichts zu versäumen, als vielmehr zu verhüten, dass die Direktion nicht etwa statt dessen etwas andres beginnen lassen möchte. Minna liess ich für einige Zeit noch in der Gesellschaft der Mutter zurück, und traf am 18. Juli in Dresden ein.

Nachdem ich mir in einem sonderbaren, jetzt niedergerissenen Hause eine auf die Maximiliansallee blickende kleine Wohnung gemiethet, setzte ich mich nun eifriger mit den zurückgekehrten Hauptsängern der Oper in Beziehung. – Mein alter Enthusiasmus für die Schröder-Devrient lebte neu auf, als ich sie häufiger wieder in der Oper auftreten sah. Es machte auf mich einen eigenthümlichen Eindruck, sie zuerst in Gretry's » Blaubart« wiederzuhören, da ich mich entsinnen musste, dass diese Oper das erste Stück war, welches ich – eben in Dresden – als fünfjähriger Knabe sah, und wovon ich noch die wunderlichen ersten Eindrücke bewahrte. Meine frühesten Kindererinnerungen lebten dadurch auf, und ich gedachte dessen, dass es die Arie des Ritters Blaubart: » Ha, die Falsche! Die Thüre offen!« gewesen war, welche ich, einen selbst verfertigten Papierhelm auf dem Kopfe, zur Belustigung des ganzen Hauses oft mit grosser Emphase vorgetragen hatte. Freund Heine wusste noch davon. – Im Uebrigen wollten die Opern-Vorstellungen keinen besonders günstigen Eindruck auf mich machen; namentlich vermisste ich den sonoren Klang des vollbesetzten Pariser Streichinstrument-Orchesters sehr. Ich bemerkte, dass man bei der Eröffnung des schönen neuen Theatergebäudes gänzlich ausser Acht gelassen hatte, die Vermehrung der Saiteninstrumente im Verhältniss zu dem grösseren Raume vorzunehmen. Hieran, wie in der in vielen wesentlichen Punkten stets dürftigen Ausstattung der Scene, prägte sich mir der Eindruck einer gewissen Armseligkeit des deutschen Theaterwesens ein, welcher da am auffallendsten war, wo das Repertoire der Pariser Oper, noch dazu in elenden Uebersetzungen des Textes, reproduziert wurde. Hatte ich nun in Paris bereits eine tiefe Unbefriedigung von diesem Opernwesen empfunden, so kehrte mir jetzt das Gefühl, welches mich einst von den deutschen Theatern nach Paris getrieben hatte, neu und verstärkt zurück, so dass ich mir von Neuem wie degradirt vorkam, und im tiefsten Innern eine Verachtung nährte, welche für jetzt bereits so stark war, dass ich an ein dauerndes Befassen, selbst mit einem der besten deutschen Operntheater, gar nicht mehr denken mochte, sondern mich sehnsüchtig frug, was ich denn nur eigentlich ergreifen sollte, um mich zwischen Ekel und Wunsch in dieser sonderbaren Welt zu behaupten.

Da waren es denn die begabten ausserordentlichen Naturen einzelner Persönlichkeiten, welche mir so viel Theilnahme einflössten, dass ich durch sie über meine Skrupel hinweggeleitet werden konnte. Vor allem gilt diess eben von meiner grossen Meisterin Schröder-Devrient, mit welcher gemeinsam wirken zu können ja einst mein brennendster Ehrgeiz gewesen war. Allerdings war seit meinen ersten Jugendeindrücken von ihr eine ziemliche Reihe von Jahren vergangen. Im Betreff ihrer äusseren Erscheinung durfte sich im folgenden Winter Berlioz, welcher damals nach Dresden kam, in einem Pariser Berichte bereits ungünstig dahin äussern, dass ihr etwas »materneller« Embonpoint ihr für jugendliche Rollen, namentlich aber im Männercostüm, wie es im » Rienzi« der Fall war, störend auf die Imagination wirkte. Ihre Stimme, welche an und für sich nie von der materiellen Bedeutung ausserordentlicher Gesangsorgane gewesen war, fühlte sich oft gehindert, und namentlich war die Sängerin genöthigt, das Tempo durchweg etwas zu trainiren. Mehr als von diesen materiellen Nachtheilen wurden ihre Leistungen jetzt jedoch durch den Umstand beeinträchtigt, dass ihr Repertoir aus einer beschränkten Anzahl von Glanzrollen bestand, welche sie nun bereits so ausserordentlich oft durchgeführt hatte, dass eine gewisse Stabilität in der bewussten Berechnung der Effekte oft im Sinne einer Manier erschien, welche, durch Neigung zur Uebertreibung, zu Zeiten bis an das Peinliche zu streifen vermochte. Konnte mir diess nicht entgehen, so war doch aber auch ich gerade ganz besonders befähigt, über diese entstehenden Schwächen hinweg das Grosse und Unvergleichliche ihrer Leistungen immer noch mit entzückendster Deutlichkeit zu erfassen; wirklich bedurfte es auch nur besonders erregter Zustände der Künstlerin, wie ihr sonderbar bewegtes Leben solche ihr immer noch zuführte, um ihr die vollste schöpferische Kraft ihrer Blüthezeit wiedererstehen zu lassen; und hiervon sollte ich noch die erhebendsten Erfahrungen machen. Eigentlich bedenklich und erkältend wirkte nur meine Wahrnehmung des zersetzenden Einflusses des Theaterwesens auf den ursprünglich gewiss gross und edel angelegten Charakter der Künstlerin. Ich musste aus demselben Munde, aus welchem ich die begeistertste Tonsprache der grossen Dramatikerin vernahm, andrerseits ziemlich die gleiche Sprache vernehmen, welche mit wenigem Unterschied von allen Theaterheldinnen gesprochen wird. Dass die blosse Naturgabe einer schönen Stimme, ja wohl selbst nur rein körperliche Vorzüge im Stande waren, Rivalinnen neben ihr in die Gunst des Publikums zu setzen, vermochte sie nicht zu ertragen; und hierüber gelangte sie so wenig zu der einer grossen Künstlerin würdigen Resignation, dass ihr Eifer vielmehr mit den Jahren in peinlicher Weise zunahm. Für jetzt bemerkte ich diess mehr, als dass ich darunter zu leiden hatte. Grössere Beschwerde verursachte es mir, dass sie nicht eigentlich leicht Musik erfasste, und das Studium einer neuen Partie für sie von Schwierigkeiten begleitet war, welche namentlich dem Componisten, der ihr sein Werk einzustudiren hatte, ziemlich peinvolle Stunden bereiteten. Dass sie sich nur langsam mit neuen Aufgaben bekannt machte, führte namentlich in Betreff der Partie des Adriano im » Rienzi« späterhin zu Enttäuschungen ihrerseits, welche mir grosse Noth bereiteten.

War hier eine schwierige grosse Natur sorgfältig zu behandeln, so hatte ich dagegen mit dem kindlich beschränkten und oberflächlichen, aber ausserordentlich glänzend begabten Tichatschek es ungemein leicht. Er lernte seine Partien nicht gut auswendig, weil er so musikalisch war, dass er die schwierigsten Noten vom Blatte sang, und somit jedes Studium von vorne herein für erledigt hielt, während bei den meisten andren Sängern eben das Treffen der Noten das Studium ausmachte. Hatte er nun die Partie in genügenden Proben oft genug durchgesungen, um sie seinem Gedächtniss nach Bedürfniss einzuprägen, so musste es sich des weiteren von selbst finden, in welcher Weise er den Anforderungen der Gesangskunst und des dramatischen Vortrages zu entsprechen habe. Schreibe-Fehler des Textes in seiner Stimme lernte er unverbesserlich auf diese Weise mit auswendig, und sprach das falsche Wort mit derselben deutlichen Energie wie das richtige aus. Bemerkungen hierüber, überhaupt Vorschläge in Betreff der Auffassung, wies er mit liebenswürdigem Eifer von sich, indem er behauptete, »das würde sich schon finden«. Und in der That ergab auch ich mich sehr bald einer vollkommenen Enthaltung von jedem Versuch, die Geisteskräfte des Sängers für die Erfassung der Aufgabe meiner Heldenrolle in Anspruch zu nehmen, wofür ich durch den liebenswürdigsten Enthusiasmus, mit dem er sich auf seine dankbare Partie warf, und die hinreissende Wirkung seines glänzenden Stimmorgans sehr erwünscht entschädigt wurde.

Ausser diesen beiden Darstellern der Hauptrollen hatte ich nur über sehr mittelmässige Kräfte zu verfügen. Guter Wille war aber überall vorhanden, und um selbst den Kapellmeister Reissiger zum fleissigen Abhalten der Klavierproben zu veranlassen, griff ich zu einem ingeniösen Mittel. Er klagte mir seine Noth, einen guten Operntext zu bekommen, und hielt es für sehr vernünftig von mir, dass ich mich daran zu gewöhnen scheine, mir meine Texte selbst zu schreiben. Ein gleiches für sich zu thun, habe er leider in der Jugend vernachlässigt, und doch fehle ihm nichts weiter zu glücklichen Erfolgen als dramatischer Componist, da ich doch gewiss selbst gestehen müsste, dass er »sehr viel Melodie« habe; aber es scheine, dass diess nicht genügend sei, die Sänger in den rechten Enthusiasmus zu bringen, wesshalb er denn zu erleben hätte, dass, zum Beispiel, die Schröder-Devrient dieselbe Final-Stelle, mit welcher sie in Bellini's »Romeo und Julie« das Publikum stets in Extase versetze, in seiner » Adèle de Foix« ganz gleichgültig hersänge. Es liege demnach doch wohl an den Sujets. Und nun versprach ich ihm sofort, ihm einen Operntext zu liefern, in welchem er diese und ähnliche Melodien mit höchstem Effekt solle anbringen können. Hierauf ging er mit grösster Freude ein; und ich bestimmte nun meinen älteren Entwurf der » hohen Braut«, nach dem König'schen Romane, welchen ich einst Scribe übersandt hatte, zur Versification als gültigen Operntext für Reissiger. In jede Klavierprobe, versprach ich ihm, eine Seite Verse mitzubringen; und diess führte ich redlich aus, bis das ganze Buch fertig war. Sehr erstaunt war ich, nach einiger Zeit zu erfahren, dass Reissiger sich von einem Schauspieler Kriethe wiederum einen neuen Operntext anfertigen liess, welcher »der Schiffbruch der Medusa« getauft wurde. Ich erfuhr nun, dass die argwöhnische Frau Kapellmeisterin meine Bereitwilligkeit, ihrem Gatten einen Operntext abzutreten, mit höchstem Bedenken erfüllt hatte. Beide fanden zwar, dass das Buch gut und wirkungsreich sei; nur vermutheten sie irgend eine bedenkliche Falle dahinter, welcher zu entgehen jedenfalls die nöthigste Vorsicht erheische. So kam es, dass ich wieder die Verfügung über meinen Operntext erhielt, und hiermit späterhin meinem alten Freund Kittl in Prag aushelfen konnte, welcher ihn unter dem Titel: »die Franzosen vor Nizza« in seiner Weise komponirte und, wie mir versichert wurde (da ich sein Werk nie hörte), in Prag häufig mit Beifall zur Aufführung brachte; bei welcher Gelegenheit ich sogar von einem Prager Kritiker belehrt wurde, dass dieser Text Zeugniss für meine eigentliche Befähigung zum Librettisten ablege, und es nur eine Verirrung sei, wenn ich auch mit dem Komponiren mich abgäbe; wogegen Laube nach meinem » Tannhäuser« behauptete, es sei mein Unglück, dass ich mir nicht von einem geschickten Theaterstückschreiber einen ordentlichen Operntext für meine Musik machen liesse.

Für jetzt brachte mir diese Arbeit den erwünschten Erfolg ein; Reissiger hielt beim Studium des » Rienzi« gebührend aus. Mehr als meine Opernverse ihn im Zuge erhielten, wirkte hierauf jedoch die wachsende Theilnahme der Sänger, vor allem Tichatschek's wahre Begeisterung dafür. Für ihn, der so gern um einer Jagdpartie willen den Unterhaltungen am Klavier des Theaterfoyers entsagte, waren die Proben des » Rienzi« bald wahre Feste, zu welchen er immer mit strahlenden Augen und ausgelassener guter Laune erschien. Ich befand mich hierbei bald wie in einem fortgesetzten Rausche; besondre Lieblingsstellen wurden von den Sängern bei jeder Probe mit Akklamation begrüsst, und ein Ensemblestück des dritten Finales, welches später leider gänzlich aus allen Aufführungen (der Länge wegen) ausgelassen werden musste, wurde bei dieser Gelegenheit sogar für mich zu einer Erwerbsquelle. Tichatschek behauptete nämlich, dieses H-moll sei so schön, dass man nur jedesmal etwas dafür zahlen müsse, und legte einen blanken Silbergroschen auf, die übrigen Sänger zur Nachahmung auffordernd; in bester Laune ward von allen redlich beigesteuert; wenn wir so weit kamen, hiess es in jeder Probe: »jetzt kommt die Neugroschenstelle«, und Frau Schröder-Devrient, als sie auch ihre Börse ziehen musste, erklärte, dieses Studium würde sie noch völlig arm machen. Ich erhielt jedesmal gewissenhaft diese sonderbare Tantième überliefert, und Keiner ahnte, dass dieses scherzhafte Honorar mir und meiner Frau oft höchst erwünscht zur Bestreitung der Tagesmahlzeit kam.

Anfang August war nämlich auch Minna, für einige Zeit von meiner Mutter begleitet, aus Töplitz nach Dresden zurückgekommen. Wir lebten in einer kalten Wohnung kümmerlich, aber hoffnungsvoll, der leider sich sehr verzögernden Erlösung entgegen. Unter häufigen Störungen durch das schwankende und so bedürfnissvolle Repertoir eines deutschen Operntheaters vergingen über den Vorbereitungen meines Werkes die Monate August und September, und erst im Oktober nahmen die combinirten Proben den Charakter an, welcher die Sicherheit einer baldigen Aufführung ankündigt. Mit dem Beginn der Ensemble- und Orchesterproben trat der unfehlbare Glaube an einen grossen Erfolg bei jedem Betheiligten ein. Die grossen Theaterproben wirkten endlich vollends berauschend. Als wir die erste Scene des zweiten Aktes, mit dem Auftritt der Friedensboten, zuerst in scenirter Vollständigkeit uns vorführten, brach eine allgemeine Rührung aus, und selbst die Schröder-Devrient, welche bereits gegen ihre Rolle, da sie darin nicht zur Heldin des Dramas sich machen konnte, ärgerlich befangen war, konnte nur mit von Thränen erstickter Stimme auf meine an sie gerichteten Fragen antworten. Ich glaube, dass das gesammte Theaterpersonal, bis auf die untergeordnetsten Angestellten, mich wie ein wahres Wunder liebten, und irre wohl nicht, wenn hierzu die Theilnahme und das gerührte Mitgefühl für einen jungen Mann, von dessen ungemeinen Lebensnöthen wohl alle eine Vorstellung haben mochten, und der nun aus völliger Unbekanntheit plötzlich in Glanz heraustrat, viel beitrug. Als in der Erholungspause der Generalprobe die Mitglieder sich nach verschiedenen Seiten zerstreuten, um durch ein Frühstück die ermüdeten Nerven zu erfrischen, blieb ich still auf einem Brettergerüst der Bühne sitzen, um Niemand die Verlegenheit merken zu lassen, in welcher ich mich befand, gleich ihnen mich bedienen zu lassen. Ein invalider italienischer Sänger, welcher eine kleine Rolle im » Rienzi« sang, schien diess zu bemerken, und brachte mir gutmüthig ein Glas Wein und ein Stück Brod herbei. Es that mir leid, im Verlauf der Jahre ihm diese kleine Rolle wieder abnehmen zu müssen, was ihm die üble Behandlung seiner Frau in dem Grade zuzog, dass er von da ab, ehelich gezwungener Weise, sich zu meinen Feinden zählen musste. Als ich nach meiner Flucht von Dresden, im Jahre 1849, erfuhr, dass ich von demselben Sänger wegen vermeintlicher Theilnahme am Dresdener Aufstand polizeilich denunzirt worden war, fiel mir das Frühstück in der Generalprobe des » Rienzi« ein, und ich glaubte eine Strafe für meinen Undank hiergegen erkennen zu müssen, da ich mich schuldig fühlte, ihn später in eheliche Noth gebracht zu haben.

Die Stimmung, in welcher ich so der ersten Aufführung meines Werkes entgegensah, kann ich mit nichts vergleichen, was je vorher und nachher von mir in dieser Weise erfahren worden ist. Sie wurde von meiner guten Schwester Klara getheilt, welche um diese Zeit aus Chemnitz, wo sie ein kümmerliches bürgerliches Leben führte, zu mir nach Dresden kam, um an meinem Schicksal Theil zu nehmen. Die Arme, deren unläugbar grosse künstlerische Anlagen so früh verkümmert waren, und die dagegen nun in trivialen bürgerlichen Verhältnissen mühsam als Gattin und Mutter sich dahin schleppte, athmete unter dem Einflusse meines wachsenden Erfolges mit inniger Rührung auf. Mit ihr und dem trefflichen Chordirektor Fischer brachten wir unsre Abende in der Heine'schen Familie, immer bei Kartoffeln und Häring, in oft wunderbar schöner Stimmung zu. Am Abende vor der ersten Aufführung half denn endlich selbst noch ein Punsch, unser Glück vollständig zu machen. Unter Weinen und Lachen taumelten wir wie glückliche Kinder aus einander, um dem Tage entgegenzuschlafen, der eine sicher vorausgesehene grosse Entscheidung bringen sollte. – Am Morgen des 20. Oktober 1842, an welchem ich mir vorgenommen hatte, keinen meiner Sänger mehr durch einen Besuch zu stören, begegnete ich dennoch dem etwas langweiligen, aber ehrenwerthen Sänger einer der kleineren Basspartien meiner Oper, dem steifen und philisterhaften Herrn Risse. Es war ein etwas kühler, wunderheller Sonnentag, welcher nach vorausgegangener trüber Witterung auf uns herabblickte, als der sonderbare Mensch wie festgebannt zur Begrüssung vor mir stehen blieb, kein Wort hervorbrachte, und mir nur staunend und verklärt in das Gesicht sah, um, wie er mir endlich in sonderbarer Ergriffenheit hervorbrachte, sich zu vergewissern, wie ein Mensch aussähe, der eben mit diesem Tage einem so ungewöhnlichen Schicksale entgegenginge. Ich lächelte und dachte, nun müsse es doch wohl seine Bewandtniss mit mir haben, und versprach Risse, nächster Tage in der » Stadt Hamburg« mit ihm ein Glas von dem vorzüglichen Wein zu trinken, den er mir stammelnd angepriesen hatte.

Mit ähnlichen Empfindungen, als ich der ersten Aufführung des » Rienzi« an diesem Tag beiwohnte, habe ich seitdem nie auch nur vergleichsweise wieder ein ähnliches Ereigniss erleben dürfen. Die nur zu begründete Sorge für das Gelingen hat bei allen späteren ersten Aufführungen meiner Arbeiten von mir mich stets so vorherrschend erfüllt, dass ich zu irgend einem Genuss, oder auch nur zu einer eigentlichen Beachtung der Aufnahme von Seiten des Publikums, nie wieder gelangen konnte. Was ich in späteren Jahren bei der Generalprobe von » Tristan und Isolde« unter ausserordentlichen Umständen empfand, stand dagegen von dem Eindrucke der ersten Rienzi-Aufführung auf mich so grundverschieden ab, dass es, in einem andren Sinne, durchaus ausser allem Vergleich damit steht. – Im Betreff ihres ersten Erfolges stand fest, dass dieser im Voraus unzweifelhaft gesichert war. Dass sich das Publikum mit so grosser Bestimmtheit, als es der Fall war, für mich erklärte, war insofern ausserordentlich, als sich das Publikum ähnlicher Städte, wie Dresden, nie in der Lage befindet, über ein Werk von irgend welcher Bedeutung nach seiner ersten Aufführung gültig zu entscheiden, und daher auch gegen die Arbeiten unbekannter Autoren sich in einer erkältenden Befangenheit befindet. In diesem Falle war es nun aber zu einer Ausnahme gedrängt worden, da sich durch das zahlreiche Theater- und Musikerpersonal lange vorher so überaus günstige Berichte über meine Oper in der Stadt verbreitet hatten, dass die ganze Bevölkerung mit fieberhafter Spannung dem verkündeten Wunder entgegensah. Ich befand mich mit Minna, meiner Schwester Klara und der Familie Heine in einer Parterreloge, und wenn ich mir meinen Zustand während dieses Abends zurückrufen will, kann ich mir ihn nicht anders als mit allen Eigenschaften eines Traumes behaftet vergegenwärtigen. Eigentliche Freude oder Ergriffenheit empfand ich gar nicht; meinem Werke fühlte ich mich ganz fremd gegenüber; wogegen die dicht gefüllten Zuschauer-Räume mich wahrhaft ängstigten, so dass ich nicht einen Blick auf die Masse des Publikums zu werfen vermochte, und die Nähe desselben nur wie ein elementarisches Ereigniss – ungefähr wie einen anhaltenden Gewitterregen – empfand, gegen welches ich mich im verborgensten Winkel meiner Loge, wie unter einem Wetterdach, schützte. Den Applaus bemerkte ich nie; und als nach den Aktschlüssen auch ich stürmisch hervorgerufen wurde, musste ich jedesmal von Freund Heine erst gewaltsam darauf aufmerksam gemacht und auf die Bühne gedrängt werden. Dagegen beschäftigte mich eine Hauptsorge mit wachsender Angst; ich bemerkte nämlich, dass bereits nach dem zweiten Akte es so spät geworden war, wie wenn z. B. der ganze » Freischütz« aufgeführt wird; da nun der dritte Akt wegen der vorkommenden kriegerischen Tumulte sich besonders betäubend anliess, und am Schlusse dieses Aktes es unleugbar 10 Uhr geworden war, somit die Aufführung bereits vier volle Stunden gedauert hatte, verfiel ich in eine vollständige Verzweiflung; dass ich auch nach diesem Akte nochmals lebhaft hervorgerufen worden war, hielt ich für eine letzte Artigkeit des Publikums, welches hiermit ganz sicher für diesen Abend genug zu haben erklären und nun massenweise das Theater verlassen würde. Da wir nun noch zwei Akte vor uns hatten, nahm ich für bestimmt an, wir würden nicht zu Ende spielen können, und erklärte meine Zerknirschung darüber, im Betreff gewünschter Kürzungen zur rechten Zeit nicht mehr Einsicht gezeigt zu haben, wofür ich mich nun dem unerhörten Fall ausgesetzt sähe, eine Oper, die an und für sich ausserordentlich gefalle, nicht zu Ende bringen zu können, bloss aus dem Grund, weil sie von lächerlicher Länge wäre. Dass die Sänger gutes Muthes blieben, und namentlich Tichatschek, je länger es dauerte, desto rüstiger und wohlgemuther sich fühlte, erklärte ich für gutmüthiges Gaukelspiel, mit welchem man mich über den unabwendbaren Skandal täuschen wollte. Mein Staunen, selbst im letzten Akte – gegen Mitternacht – immer noch das Publikum vollzählig anzutreffen, führte zu meiner vollständigen Perplexität; ich glaubte meinen Ohren und Augen nicht mehr, und hielt den ganzen Vorgang dieses Abends für einen Spuk. Mitternacht war vorüber, als ich endlich zum letzten Mal dem donnernden Rufe des Publikums an der Seite meiner getreuen Sänger zu folgen hatte.

Was meine verzweiflungsvolle Stimmung im Betreff der Wirkung der unerhörten Länge meiner Oper bestärkte, war die Stimmung meiner eigenen Verwandten, mit denen ich noch für kurze Zeit nach der Vorstellung zusammentraf. Die Familie des Friedrich Brockhaus war mit einigen Bekannten von Leipzig herübergekommen, und hatte uns zu sich in den Gasthof eingeladen, in der Meinung, einen angenehmen Erfolg beim gemüthlichen Nachtmahle feiern, und etwa auf mein Wohl anstossen zu können. Dort trafen wir aber bereits Küche und Keller geschlossen, und Alles befand sich so in höchstem Grade abgespannt, dass ich nur Ausrüfe über das Unerhörte des Erlebnisses einer Opernvorstellung, welche von 6 Uhr bis nach Mitternacht dauerte, vernahm. Etwas andres äusserte sich nicht, und in völliger Betäubung schlichen wir aus einander. – Früh um acht Uhr des andren Tages fand ich mich bereits auf der Notisten-Expedition ein, um, falls es noch zu einer zweiten Aufführung kommen sollte, die nun mir nöthig dünkenden Kürzungen in den Stimmen anzuordnen. Hatte ich im Sommer zuvor dem treuen Chordirektor Fischer jeden Takt bestritten und seine Unerlässlichkeit zu beweisen gewusst, so verzehrte mich nun eine blinde Streich-Wuth. Nichts schien mir in meiner Partitur mehr nöthig zu sein; was das Publikum am vorangehenden Abend zu verschlingen gehabt hatte, erschien mir nur als ein Wust von lauter Unmöglichkeiten, von denen alles und jedes ausgelassen werden konnte, ohne im Mindesten etwas zu stören oder etwa unverständlich zu machen, da es mir auf nichts mehr anzukommen däuchte, als mein Convolut von Monstruositäten eben nur in irgend einem anständigen Rahmen unterzubringen. Durch die grösste Rücksichtslosigkeit in den von mir den Kopisten aufgegebenen Kürzungen hoffte ich zugleich auch einer Katastrophe entgegen zu treten, da ich nicht anders vermuthete, als dass der Generaldirektor, in Uebereinkunft mit Stadt und Theater, mich noch an diesem Tage bedeuten würde, dass man so etwas, wie die Aufführung meines »letzten Tribunen«, der Sonderbarkeit wegen wohl ein Mal, aber nicht mehrere Male geschehen lassen könnte. Ich wich desshalb auch den Tag über sorgfältig jeder Berührung mit dem Theater aus, um erst der wohlthätigen Wirkung meiner heroischen Kürzungen, davon die Nachrichten während dem sich verbreiten sollten, Zeit zu lassen. Nur sah ich am Nachmittag bei den Kopisten wieder nach, um mich zu überzeugen, ob alles gehörig nach meinen Anordnungen ausgeführt würde; hier erfuhr ich denn, dass Tichatschek ebenfalls dagewesen sei, die von mir angeordneten Kürzungen sich habe zeigen lassen, und dagegen verboten habe, sie auszuführen. Auch Chordirektor Fischer wollte mich wegen der Kürzungen sprechen; die Arbeiten waren suspendirt; mir schien eine grosse Confusion im Anzuge; ich begriff nicht, was das alles zu sagen haben sollte, und befürchtete Unheil, wenn die mühsamen Arbeiten verzögert würden. Endlich suchte ich am Abend Tichatschek im Theater auf; ich liess ihn nicht zu Worte kommen, sondern befrug ihn nur ärgerlich, warum er die Arbeiten der Kopisten unterbrochen habe. Mit halb erstickter Stimme entgegnete er kurz und trotzig: »ich lasse mir nichts streichen, – es ist zu himmlisch.« Nun starrte ich ihn an, und befand mich plötzlich wie verzaubert; ein so unerhörtes Zeugniss für meinen Erfolg musste mich aus meiner sonderbaren Besorgniss reissen. Andere kamen hinzu; Fischer strahlte vor Freude und lachte mich aus; Alles sprach mir nur von der enthusiastischen Bewegung, in welcher sich die ganze Stadt befinde; vom Intendanten kam mir ein Brief des Dankes für mein schönes Werk zu. Mir blieb nichts übrig, als Tichatschek und Fischer zu umarmen, und meiner Wege zu gehen, um Minna und Klara zu berichten, wie es stünde.

Nach einigen Ruhetagen für die Sänger fand am 26. Oktober die zweite Aufführung, mit verschiedenen Kürzungen, die ich mit Mühe bei Tichatschek durchgesetzt, statt. Ich hörte keine besondren Klagen über die immer noch sehr bedeutende Länge, und endlich ward ich der Ansicht Tichatschek's, dass, wenn er es aushalte, das Publikum es wohl auch aushalten könne. Somit liess ich nun für sechs Vorstellungen, welche sich stets auf der vollsten Höhe des Beifalls erhielten, der Sache freien Lauf. – Meine Oper hatte aber auch die Theilnahme der älteren Prinzessinnen des königlichen Hofes erhalten, welche sich über die angreifende Länge des Werkes, von dem sie auf der andren Seite doch auch nichts verlieren wollten, nicht so leicht hinwegsetzen konnten. Herr von Lüttichau sah sich daher bestimmt, mir den Vorschlag zu machen, die Oper ganz vollständig, aber in zwei Hälften an zwei Abenden zu geben. Mir war diess recht, und nach einer mehrwöchentlichen Pause kündigten wir für den ersten Aufführungstag » Rienzi's Grösse«, für den zweiten » Rienzi's Fall« an. Der erste Abend gab die zwei ersten, der zweite die drei letzten Akte, zu welchen ich ein besonders einleitendes Vorspiel komponirt hatte. Diess entsprach nun vollkommen den Wünschen der allerhöchsten Herrschaften, und namentlich der zwei ältesten Damen der königlichen Familie, den Prinzessinnen Amalie und Augusta. Das Publikum rechnete aber einfach heraus, dass es für dieselbe Oper, um sie ganz zu hören, jetzt zweimal Entrée zahlen sollte, und erklärte die neue Einrichtung ganz bestimmt für eine Prellerei; der Missmuth hierüber drohte wirklich dem Besuch des » Rienzi« verderblich zu werden, und nach drei Aufführungen des getheilten Werkes fand sich die Direktion veranlasst, wieder zur früheren Einheit zurückzukehren, was ich durch die Wiederaufnahme der Kürzungen willig ermöglichte.

Von nun an füllte » Rienzi«, so oft man ihn nur geben konnte, zum Erdrücken das Haus, und die Nachhaltigkeit seines Erfolges wurde mir bald vollständig einleuchtend, als ich bereits den Neid gewahren musste, den er mir von mancher Seite her zuzog. – Eine erste recht peinliche Erfahrung in diesem Betreff hatte ich schon am Tage nach der ersten Aufführung an dem Dichter Julius Mosen gemacht. Ich hatte diesen bereits nach meiner ersten Ankunft in Dresden, im Sommer, aufgesucht; da ich sein Talent wirklich hochschätzte, gelangte ich bald mit ihm zu einem näheren Umgang, welcher manches Angenehme und Belehrende für mich hatte. Er theilte mir einen Band seiner Dramen mit, welche mich durchgängig ausserordentlich ansprachen; unter ihnen befand sich auch eine Tragödie » Cola Rienzi«, welche den Stoff in theils mir neuer und, wie es mich dünkte, ergreifender Weise behandelte. Diesem Gedichte gegenüber bat ich ihn, von meinem Opernbuche gar keine Notiz zu nehmen, da es als Dichtung ganz ausser aller Möglichkeit eines Vergleiches mit der seinigen stehe; es kostete ihn wenige Ueberwindung, diese Bitte mir zu gewähren. Nun liess er aber kurz vor meinem » Rienzi« eines seiner unglücklichsten Stücke, » Bernhard von Weimar«, in Dresden aufführen, und erlebte an dem Erfolge wenig Freude, da die dramatisch leblose, nur auf politische Harangue gerichtete Tendenz desselben das nothwendige Schicksal solcher Verirrungen theilte. Mit einiger Verdriesslichkeit sah er nun der Aufführung meines » Rienzi« entgegen, und bekannte mir das bittre Gefühl, sein Trauerspiel gleichen Namens in Dresden nicht zur Annahme bringen zu können – vermuthlich um der etwas starken politischen Tendenz wegen, welche allerdings bei gleichem Stoffe im recitirten Schauspiel bemerklicher würde, als in der Oper, wo man eben von vorn herein nichts auf die Worte gäbe. Ich hatte ihn gutmüthig in dieser Geringschätzung des Operngenres bestärkt; desto befremdlicher betraf es mich nun, als ich ihn am Tage nach der ersten Aufführung meines Werkes bei meiner Schwester Luise antraf, und von ihm geradesweges mit einem Ausbruch von Aerger und höhnischer Verachtung meines Erfolges überschüttet wurde. Er traf jedoch dabei in mir auf ein seltsames Gefühl von der wirklichen Nichtigkeit des von mir im » Rienzi« im Uebrigen mit so gutem Erfolge vertretenen Operngenres, so dass ich seinen unverhohlenen giftigen Auslassungen, mit geheimer Beschämung, nichts ernstliches entgegenstellte. Das, was ich ihm ungefähr zu meinen Gunsten hätte erwidern können, war in mir noch nicht zu so klarer Fassung gelangt, stützte sich auch noch nicht auf ein so deutlich nachweisbares Produkt meiner besondren Richtung, dass ich es auszusprechen vermocht hätte, und ich empfand zunächst hierbei eigentlich nur ein Bedauern mit dem unglücklichen Dichter, welches zu bezeigen ich mich um so eher gedrängt fühlte, als gerade sein Wuthausbruch mir die innere Genugthuung gewährte, von ihm mir einen grossen Erfolg, über welchen ich selbst noch nicht genau aufgeklärt war, zuerkannt zu wissen.

Des Weiteren legte ich auch bereits beim Anlass der ersten Aufführung des » Rienzi« den Grund zu einem, später immer sich erweiternden, Zerwürfnisse mit den Zeitungsrecensenten. Herr Karl Bank, seither angesessener Hauptrecensent für Musik in Dresden, war mir bereits von Magdeburg her bekannt, wo er mich einmal besucht, und grössere Stücke aus meinem » Liebesverbot« zu seinem wirklichen Gefallen von mir sich hatte vorspielen lassen. Dieser Mann konnte mir, da wir in Dresden wieder zusammengetroffen waren, nicht vergeben, dass es mir unmöglich gewesen war, ihm Eintrittskarten zur ersten Aufführung des » Rienzi« zu besorgen. Aehnlich erging es mir mit einem Herrn Julius Schladebach, welcher sich um jene Zeit ebenfalls in Dresden als Recensent niederliess. So zuvorkommend ich gern mich gegen Jedermann benahm, empfand ich doch zu jeder Zeit eine unüberwindliche Abneigung dagegen, irgend einem Menschen aus dem Grunde besondre Rücksicht schenken zu sollen, weil er Recensent sei, und ich ging hierin mit der Zeit bis zur fast grundsätzlich sich gestaltenden Schroffheit, welche mir mein ganzes Leben über die unerhörtesten Verfolgungen der Journalistik zum grossen Theil mit zuzog. Noch trat diese Widerwärtigkeit für jetzt jedoch nicht besonders stark hervor, da sich in Dresden damals die Journalistik durchaus noch nicht breit machte, und von Dresden aus in fremde Blätter so wenig geschrieben wurde, dass andrerseits die dortigen Kunstvorgänge überhaupt nur sehr wenig Beachtung fanden, was allerdings nicht ohne Nachtheil für mich blieb. Somit berührten mich die unangenehmen Seiten meines Erfolges für jetzt so viel wie gar nicht, und eine kurze Zeit lang fühlte ich mich, zum ersten und einzigsten Mal in meinem Leben, vom allgemeinen Wohlwollen so angenehm getragen, dass ich alle ausgestandenen Lebensnöthen mir reich vergolten wähnte.

Denn auch die weiteren, und bisher gänzlich unberechneten Ergebnisse meines Erfolges stellten sich nun überraschend schnell heraus; allerdings weniger im Betreff des materiellen Gewinnes, denn dieser führte sich für diessmal auf dreihundert Thaler zurück, welche mir die Generaldirektion statt der sonst nur üblichen zwanzig Louisd'or ausnahmsweise als Honorar zahlte. Auch meine Oper an einen Verleger gut verkaufen zu können, durfte ich, ehe sie nicht noch an einigen andren bedeutenden Orten gegeben war, nicht verhoffen. Doch fügte es das Schicksal, dass durch den gänzlich unerwarteten Tod des königlichen Musikdirektors Rastrelli, kurz nach der ersten Aufführung des » Rienzi«, plötzlich eine Anstellung erledigt wurde, für welche sich sogleich Aller Augen auf mich richteten.

Während die Unterhandlungen hierüber sich einige Zeit hinzogen, gab die Generaldirektion andrerseits mir Zeugniss von einer fast leidenschaftlichen Theilnahme für mein Talent. Die erste Aufführung des » fliegenden Holländers« sollte durchaus dem Berliner Theater nicht gegönnt werden, sondern diese Ehre Dresden zugesichert sein. Da ich von Seiten der Berliner Intendanz keineswegs hierin gehindert wurde, übergab ich sehr gern meine letzte Arbeit ebenfalls dem Dresdener Theater, und hatte ich, da sich keine Heldentenorpartie darin befand, auch auf Tichatschek's Mithülfe dabei zu verzichten, so konnte ich doch desto mehr auf die fördernde Mitwirkung der Schröder-Devrient rechnen, weil dieser mit der weiblichen Hauptrolle eine entsprechendere Aufgabe, als mit ihrer Rolle im » Rienzi«, zugewiesen war. Es war mir lieb, hierbei mich so ganz nur auf sie, welche in der That wegen des ihr ungenügenden Antheils am Erfolg des » Rienzi« in eine eigenthümliche Verstimmung gegen mich gerathen war, verlassen zu können, und wie sehr ich diess that, bewiess ich ihr mit einer meinem Werk andrerseits sehr nachtheiligen Uebertreibung, indem ich die männliche Hauptrolle dem ehemals tüchtigen, nun aber bereits etwas invaliden, und für meine Aufgabe in jeder Hinsicht ungeeigneten Barytonisten Wächter, gegen seine eignen aufrichtigen Bedenken dagegen, geradeswegs aufzwang. In der That sprach die von mir so hoch verehrte Künstlerin, zu meiner grossen Befriedigung, schon die Dichtung, als ich sie ihr mittheilte, ganz besonders an; und die Zeit des Studiums der Rolle der » Senta«, für welches ich nun sehr häufig mit ihr verkehrte, wurde durch die ernstliche persönliche Theilnahme, in welche ich für den Charakter und das Schicksal dieser ungewöhnlichen Frau, unter ganz besondren Umständen, gerieth, zu einer der aufregendsten, und, in wichtiger Beziehung, belehrendsten meines Lebens.

Trotzdem die grosse Künstlerin, namentlich durch ihre damals zum Besuch bei ihr weilende berühmte Mutter, Sophie Schröder, darin bestärkt und aufgeregt, sich mir völlig ungehalten zeigte, dass ich für Dresden ein so glänzendes Werk wie den » Rienzi« geschrieben hätte, ohne gerade darin die eigentliche Hauptrolle für sie zu bestimmen, so siegte doch ihre grossherzige Natur über diese partikularistische Tendenz; sie erkannte mich laut als »Genie« an, und erwies mir das besondre Vertrauen, welches, wie sie meinte, nur einem Genie zu schenken sei. Sollte diess Vertrauen gar bald seine bedenklichen Seiten für mich äussern, da sie mich zum Mitwisser und Berather bei wirklich fatalen Vorgängen in ihrem Herzen machte, so fanden sich doch zunächst auch die Gelegenheiten, bei welchen sie sich offen vor aller Welt mit schmeichelhaftester Auszeichnung als meine Freundin zu erkennen gab.

Zunächst hatte ich sie auf einem Ausflug nach Leipzig zu begleiten, wo sie für ihre Mutter ein grosses Concert gab, welches sie auch dadurch besonders anziehend zu machen glaubte, dass sie zwei Stücke aus dem » Rienzi«, die Arie des » Adriano« und das Gebet des » Rienzi« (letzteres von Tichatschek vorgetragen), unter meiner persönlichen Leitung ausgeführt, dem Programm einreihte. Auch Mendelssohn, der ihr sehr befreundet war, war von ihr zu diesem Concert herbeigezogen worden; er führte seine damals neue Ouverture zu » Ruy-Blas« darin auf. Mit Diesem kam ich während der zwei umgangsvollen Tage, welche ich bei diesem Anlass in Leipzig verbrachte, zum ersten Mal in nähere Berührung, da zuvor mein Verkehr mit ihm sich nur auf einige seltene und gänzlich unergiebige Besuche beschränkt hatte. Im Hause meines Schwagers Fritz Brockhaus wurde von Mendelssohn und der Schröder-Devrient, welcher dieser eine reiche Auswahl Schubert'scher Lieder accompagnirte, lebhaft musicirt. Ich beobachtete hierbei eine eigenthümliche Unruhe und Aufgeregtheit, mit welcher dieser damals auf der Sonnenhöhe seines Ruhmes und Wirkens stehende, noch immer junge Meister mich betrachtete oder vielmehr ausspähte. Mir war ersichtlich, dass er auf einen Opernerfolg überhaupt, und somit gewiss auch in Dresden, nicht sonderlich viel gab, und zweifellos zählte ich bei ihm hierdurch unter einer Gattung von Musikern, von denen er nichts hielt, und mit denen er nichts zu thun zu haben glaubte. Dennoch hatte gerade dieser Erfolg charakteristische Merkmale, welche ihm etwas Erschreckendes gaben. Mendelssohn selbst verlangte seit lange nach nichts sehnlicher, als nach einer glücklichen Oper; es konnte ihn vielleicht verdriessen, dass, ehe er so weit kam, in plumper Weise, durch eine Art von Musik, welche nicht gut zu finden er sich vollkommen berechtigt halten durfte, gerade ein solcher Erfolg ganz unerwartet ihm in den Weg kam. Nicht minder mochte es ihn verstimmen, dass die von ihm für genial erkannte, und so lebhaft ihm zugethane Schröder-Devrient so offen und laut nun auch für mich eintrat. Alles dieses dämmerte in meinem Bewusstsein auf, als Mendelssohn durch eine sehr merkwürdige Aeusserung mich geradeswegs gewaltsam auf eine solche Deutung hinwies. Als ich ihn nämlich nach der gemeinschaftlichen Concertprobe nach Hause begleitete, und mit grosser Wärme soeben über Musik gesprochen hatte, unterbrach der durchaus nicht Redselige in eigenthümlich erregter Hast mich mit der Aeusserung, die Musik habe nur das Schlimme, dass sie nicht nur die guten, sondern auch die üblen Eigenschaften, wie gerade auch die Eifersucht, stärker als alle andren Künste anrege. Mich überflog es nur mit Schamröthe, diese Aeusserung auf seine Empfindung gegen mich beziehen zu sollen, da ich mir in tiefster Unschuld bewusst war, dass ich nie auch nur im Entferntesten an einen Vergleich meiner Fähigkeiten und Leistungen als Musiker mit denen Mendelssohn's, zu denken mir beikommen lassen könnte. Seltsamer Weise producirte er sich aber gerade bei diesem Concerte nicht in dem Lichte, in welchem er sich ausser allem nur denklichen Vergleich mit mir gezeigt haben würde; eine Aufführung seiner »Hebriden-Ouverture« würde ihn zu meinen beiden Opern-Arien so gestellt haben, dass jede Beschämung, an seiner Seite zu stehen, mir erspart gewesen wäre, da der Abstand unsrer Leistungen zu unvergleichlich fern war; es schien aber, dass ihn zur Wahl der » Ruy-Blas«-Ouverture die Absicht bestimmt hatte, dem Genre der Opernmusik bei dieser Gelegenheit sich so nahe zu stellen, dass er das Effektvolle desselben auch auf sein Werk mit hinüberspielen liesse. Die Ouvertüre schien offenbar für das Pariser Publikum berechnet zu sein; und wie überraschend darin Mendelssohn erschien, bezeugte mit seiner Unbeholfenheit Robert Schumann, welcher nach dem Stück auf das Orchester zu Mendelssohn kam, und ihm gutmüthig lächelnd seine Verwunderung über das »flotte Orchesterstück« ausdrückte. Zur Ehre der Wahrheit sei aber hiermit erwähnt, dass weder er noch ich an diesem Abend den eigentlichen Erfolg erstritten; wir verschwanden gänzlich vor dem ungeheuren Eindruck, welchen die greise Sophie Schröder mit der Recitation der Bürger'schen » Lenore« hervorbrachte. Hatte man zuvor in den Journalen ihrer Tochter vorgeworfen, dass sie durch allerhand Musik-Ausstellungen ihrer Mutter, welche nie etwas mit Musik zu thun gehabt habe, auf ungeeignete Weise dem musikalischen Publikum Leipzig's ein Benefiz habe entlocken wollen, so standen wir musikalische Helfershelfer um dieses, von der fast zahnlosen hochbetagten Frau mit wahrhaft erschreckender Schönheit und Erhabenheit gesprochene Bürger'sche Gedicht, wie wahre müssige Gaukler da. Und mir gab diess, wie so Manches, was ich in diesen wenigen Tagen erlebt, viel zu denken und zu sinnen. –

Ein zweiter mit der Schröder-Devrient gemeinschaftlich unternommener Ausflug führte mich noch im Dezember desselben Jahres nach Berlin, wohin die Künstlerin zur Mitwirkung bei einem grossen Hofconcert eingeladen war, und wo ich für mein Theil mit dem Intendanten Küstner wegen des » fliegenden Holländer's« Rücksprache halten wollte. Während ich für meine persönliche Angelegenheit zu keinem bestimmten Ergebniss gelangte, erhielt der diessmalige kurze Besuch in Berlin für mich ein besondres Interesse durch mein für die Folge so unvergleichlich bedeutungsvolles Zusammentreffen mit Franz Liszt. Es geschah diess unter besondren Umständen, welche ihn, wie mich, in eine eigenthümliche Verlegenheit setzten, und welche in übermüthigster Weise durch die herausfordernde Laune der Schröder-Devrient in das Spiel gebracht wurden.

Ich hatte meiner Gönnerin bereits vorher gelegentlich von einem früheren Zusammentreffen von mir mit Liszt erzählt. In jenem verhängnissvollen zweiten Winter meines Pariser Aufenthaltes, in welchem ich schliesslich durch die Schlesinger'sche Lohnarbeit mein Leben fristen zu können mich glücklich zu schätzen hatte, wurde ich eines Tages durch eine Mittheilung des stets für mich besorgten Laube davon benachrichtigt, dass F. Liszt, welchem er in Deutschland von mir gesprochen und mich empfohlen habe, nach Paris kommen werde, ich möge daher nicht versäumen, ihn aufzusuchen; denn Liszt sei »generös«, und würde mir gewiss zu helfen wissen. Da ich nun von dieser Ankunft wirklich erfuhr, meldete ich mich bei ihm in seinem Hôtel zum Empfang. Es war am frühen Vormittag; ich wurde angenommen, und traf zunächst einige fremde Herren im Salon, zu welchen nach einiger Zeit auch Liszt, freundlich und gesprächig, im Hauskleid herzutrat. Unfähig, an der französischen Conversation, welche sich um die Erlebnisse Liszt's während seiner letzten Kunstreise in Ungarn bewegte, Theil zu nehmen, hörte ich eine Zeitlang aufrichtig gelangweilt zu, bis ich endlich von Liszt freundlich gefragt wurde: »womit er mir dienen könne?« Auf die Empfehlung Laube's schien er sich nicht besinnen zu können; alles, was ich auf seine Frage ihm antworten konnte, war, dass ich den Wunsch hege, seine Bekanntschaft zu machen, wogegen er nichts zu haben schien, und mir anzeigte, dass er nicht vergessen werde, zunächst mir ein Billet für seine bevorstehende grosse Matinée zustellen zu lassen. Mein ganzer Versuch, ein künstlerisches Gespräch einzuleiten, bestand in der Frage, ob Liszt neben dem Schubert'schen Erlkönig nicht auch den von Löwe kenne: mit der Verneinung dieser Frage war dieser ziemlich befangene Versuch beseitigt, und mein Besuch endigte mit der Abgabe meiner Adresse, an welche alsbald auch von seinem Sekretair Belloni, von artigen Zeilen begleitet, eine Eintrittskarte zu einem in der Salle Erard vom Meister persönlich allein gegebenen Concert gelangte. Ich fand mich in dem überfüllten Salon ein, sah die Tribüne, auf welcher der Flügel stand, von der Crême der Pariser Damenwelt im engsten Cirkel belagert, wohnte den enthusiastischen Ovationen bei, welche dem von aller Welt angestaunten Virtuosen gespendet wurden, hörte mehrere seiner glänzendsten Stücke, wie die »Fantaisie sur Robert le Diable« an, und trug eigentlich keinen andren Eindruck als den der Betäubung davon. Es war die Zeit meiner völligen Umkehr von einem Wege, der mich gegen meine innere Natur irre geleitet hatte, und von welchem ich mich nun in schweigsamer Bitterkeit still emphatisch abwandte. Zu nichts war ich somit weniger aufgelegt, als zu einer gerechten Würdigung derjenigen Erscheinung, welche gerade in dieser Zeit im vollsten Sonnenscheine des Tages glänzte, von dem ab ich mich der Nacht zugekehrt hatte. Ich suchte Liszt nicht wieder auf. –

Wie gesagt, hatte ich gelegentlich der Schröder-Devrient hiervon einfach erzählt; diese hatte aber mit besondrer Lebhaftigkeit Kenntniss davon genommen, denn ich traf bei ihr auf den schwachen Punkt der Künstler-Eifersucht. Da nun Liszt gleichfalls vom König von Preussen zu dem grossen Hofconzert nach Berlin geladen war, hatte es sich ereignet, dass bei einem ersten Zusammentreffen mit ihm sie von Liszt mit grosser Theilnahme nach dem Erfolg des »Rienzi« befragt worden war. Da sie hierbei bemerkt hatte, dass der Componist dieses »Rienzi« Liszt eine gänzlich unbekannte Person sei, hatte sie ihm sogleich mit sonderbarer Schadenfreude seinen vermeintlichen Mangel an Scharfblick vorgeworfen, da dieser Componist, welchem er jetzt mit so lebhaftem Interesse nachfrage, derselbe arme Musiker sei, welchen er kürzlich in Paris so »hochmüthig abgewiesen habe«. Sie erzählte mir diess jubelnd, zu meiner grössten Beklemmung, da ich sofort ihren von meiner früheren Erzählung gewonnenen Eindruck gebührend berichtigen musste. Als wir in ihrem Zimmer eben diesen Punkt verhandelten, wurden wir plötzlich im Nebengemach durch die berühmte Passage des Basses in der Rache-Arie der »Donna Anna«, in Oktaven rapid auf dem Klavier ausgeführt, unterbrochen. – »Da ist er ja selbst«, rief sie. Liszt trat herein, um die Sängerin zur Conzertprobe abzuholen. Zu meiner grossen Pein stellte sie mich ihm mit boshafter Freude als den Componisten des »Rienzi« vor, den er ja nun kennen zu lernen wünsche, nachdem er ihm zuvor in seinem herrlichen Paris die Thür gewiesen habe. Meine ernstlichsten Betheuerungen, dass meine Gönnerin – jedenfalls nur zum Scherz – eine ihr von mir gemachte Mittheilung über meinen früheren Besuch bei Liszt absichtlich entstelle, beruhigten Liszt augenscheinlich über mich, da er andrerseits über die leidenschaftliche Künstlerin wohl bereits mit sich im Reinen war. Er bekannte allerdings, dass er sich meines Besuches in Paris nicht erinnere, dass es ihn demungeachtet schmerzlich berührt und erschreckt habe, zu erfahren, dass irgend Jemand über eine so üble Behandlung seinerseits in Wahrheit sich zu beklagen haben sollte. Der überaus herzliche Ton der einfachen Sprache, in welcher Liszt über dieses Missverständniss sich gegen mich äusserte, machten den sonderbar aufgeregten Neckereien der ausgelassenen Frau gegenüber einen ungemein wohlthuenden und gewinnenden Eindruck auf mich. Seine ganze Haltung, durch welche er ihre schonungslosesten spöttischen Angriffe zu entwaffnen suchte, war mir neu, und gab mir einen innigen Begriff von der Eigentümlichkeit des seiner Liebenswürdigkeit und unvergleichlichen Humanität sicheren Menschen. Sie zog ihn endlich mit seinem kürzlich von der Königsberger Universität erhaltenen Doctortitel auf, indem sie ihn mit einem »Apotheker« zu verwechseln vorgab: Liszt streckte sich endlich platt auf dem Boden aus, gleichsam um, vollständig hülflos gegen das Unwetter ihrer Spöttereien sich erklärend, um Gnade zu flehen. Nachdem er sich an mich noch mit der herzlichen Versicherung gewandt, dass er es sich angelegen sein lassen werde, den »Rienzi« zu hören, und jedenfalls mir eine bessere Meinung über sich zu verschaffen, als sein Unstern bis jetzt ihm es ermöglicht habe, schieden wir für diessmal. – Der Eindruck, namentlich der grossen, fast naiven Einfachheit und Schlichtheit jeder Aeusserung und jedes Wortes, besonders auch des Ausdruckes, welchen er ihr gab, hinterliessen auf mich mit grosser Bestimmtheit den Eindruck, welchen gewiss Jeder von den hier bezeichneten Eigenschaften Liszt's gewonnen, und durch welchen ich mir zum ersten Mal den Zustand von Bezauberung erklären konnte, in welchen Liszt Alle, die ihm näher gekommen, versetzt hatte, und über deren Ursachen ich bisher eine falsche Meinung gehegt zu haben mir nun wohl innigst klar wurde. –

Diese beiden Ausflüge nach Leipzig und nach Berlin waren nur kurze Unterbrechungen der Studienzeit, welche wir daheim auf den » fliegenden Holländer« verwandten. In diesem Betreff lag mir Alles daran, die Schröder-Devrient bei warmem Interesse für ihre Aufgabe zu erhalten, da ich wohl fühlte, dass ich, bei der Schwäche der übrigen Besetzung der Partien, nur von ihrer Seite eine dem Geiste meines Werkes entsprechende Wiedergabe erwarten konnte. – Ausserdem dass sie die Rolle der »Senta« wirklich ansprach, wirkten zu derselben Zeit besondre Umstände auf eine ungemeine Erregung der leidenschaftlichen Frau. Sie stand nämlich, wie ich als betroffener Vertrauter erfuhr, im Begriff, ein bis dahin gepflegtes mehrjähriges Liebesverhältniss zu einem ernsten, ihr herzlich geneigten, sehr jugendlichen Manne, dem Sohn des ehemaligen Kultusministers Müller, damals Lieutenant in der königlichen Garde, zu brechen, um dafür ein andres, bei weitem weniger sich empfehlendes, mit leidenschaftlicher Hast anzuknüpfen. Der neu Erwählte war ein, wie es schien, zuletzt in Berlin ihr bekannt gewordener Herr v. Münchhausen, ebenfalls jung, gross und schlank, wie sich diess, nach dem im Verlauf mir klar werdenden Charakter der Neigungen meiner Freundin, von selbst verstand. Das leidenschaftliche Vertrauen, welches sie bei dieser Gelegenheit mir schenkte, schien mir aus der Angst ihres sehr gequälten Gewissens herzurühren: sie wusste, dass Müller, der seiner guten Eigenschaften wegen auch mir befreundet worden war, sie mit dem Ernste der ersten Neigung geliebt hatte, und dass sie jetzt ihn unter nichtigen Vorwänden auf das Treuloseste verrieth. Sie schien sich auch auf das bestimmteste sagen zu müssen, dass der neu Erwählte ihrer völlig unwerth war, und nur durch frivole und eigennützige Absichten sich zu ihr gezogen fühlte. Somit wusste sie auch, dass Niemand, und namentlich nicht ihre älteren, durch häufige Erfahrung um sie besorgten, Freunde ihr Benehmen billigen würden, und erklärte mir nun aufrichtig, dass sie mit ihrem Vertrauen zu mir sich gedrängt fühle, weil sie mich für ein Genie halte, und ich die Nöthigung ihrer Natur begreifen würde. Gewiss war mir hierbei sehr sonderbar zu Muthe. Von ihrer Neigung, wie von dem Gegenstande derselben, fühlte ich mich heftig abgestossen; durfte aber doch zu meinem Erstaunen nicht verkennen, dass diese mich höchst anwidernde Leidenschaft die seltsame Frau mit einer solch heftigen Gewalt erfasste, dass ich ihr ein gewisses Mitleiden, und selbst eine ernste Theilnahme nicht versagen konnte. Sie war bleich und verstört, lebte fast ohne jede Nahrung, und befand sich in einer so übermässigen Spannung aller Lebenskräfte, dass ich nicht anders glaubte, als sie einer schweren, ja tödtlichen Krankheit entgegengehen zu sehen. Seit lange floh sie jeder Schlaf, und so oft ich mit meinem unglücklichen »fliegenden Holländer« zu ihr kam, erschrak ich über sie dermassen, dass ich an alles weniger als an die Vornahme des beabsichtigten Studiums dachte. Gerade aber hielt sie mich da fest, nöthigte mich zum Klavier, und stürzte sich nun wie zu Tod und Verderben auf ihre Rolle. Da ihr an und für sich die Erlernung der Musik schwer fiel, konnte sie nur durch sehr häufiges und anhaltendes Probiren sich ihre musikalische Aufgabe aneignen. Nun sang sie stundenlang mit solcher Leidenschaftlichkeit, dass ich oft bang aufsprang und sie um Selbstschonung bat; da wies sie denn lächelnd wieder auf ihre Brust und dehnte die Muskeln ihres wohl immer noch schönen Körpers, um mir zu versichern, dass sie nichts umbringen könne. Wirklich erhielt auch ihre Stimme um diese Zeit eine jugendliche Frische und ausdauernde Kraft, die mich oft in Erstaunen setzten, und sonderbarer Weise musste ich mir bekennen, dass diese absurde Leidenschaft zu einem faden, nichtswürdigen Menschen meiner »Senta« merkwürdig zu gute kam. Die ausdauernde Kraft der übermässig angespannten Frau war so gross, dass sie, weil andrerseits die Zeit hierzu drängte, und eine mir nachtheilige Verzögerung dadurch vermieden wurde, sogar ohne sich zu schaden darein willigte, die Generalprobe am gleichen Tage der ersten Aufführung abzuhalten.

Diese Aufführung fand nun am 2. Januar des neuen Jahres (1843) statt. Der Erfolg derselben war für mich äusserst lehrreich, und leitete die entscheidende Wendung meiner späteren Schicksale ein. Zunächst hatte ich an der im ganzen missglückten Aufführung mir die Lehre zu entnehmen, welcher besonnenen Sorgfalt es bedürfe, um sich des entsprechenden Ausfalles der dramatischen Darstellung meiner neueren Arbeiten zu versichern. Ich erkannte, dass ich mehr oder weniger der Meinung gewesen war, meine Partitur müsse sich ganz von selbst verständlich machen, und meine Sänger mussten ganz von selbst dazu kommen, es mir recht zu machen. Mein braver alter Freund Wächter, zur Zeit der ersten Blüthe der Henriette Sonntag ein beliebter »Barbier von Sevilla«, war, wie ich bereits erwähnte, allerdings von vorneherein bescheidener Weise einer andern Ansicht gewesen. Seine gänzliche Unfähigkeit zu der schwierigen Rolle meines energisch leidenden grauenhaften Seefahrers ging leider selbst der Schröder-Devrient zu spät erst in den Theaterproben auf. Das bedenkliche Embonpoint Wächter's, namentlich sein rundes breites Gesicht und die sonderbaren Bewegungen seiner Arme und Beine, welche unter seiner Handhabung nur körperliche Stumpfe zu sein schienen, brachten meine leidenschaftliche »Senta« zur Verzweiflung. In einer Probe brach sie an der Stelle der grossen Scene im 2. Akt, wo sie zu dem erhabenen Trost der Heilsverkündigung in der Stellung eines Schutzengels zu ihm trat, plötzlich ab, und raunte mir leidenschaftlich in das Ohr: »Wie kann ich's herausbringen, wenn ich in diese kleinen Rosinenaugen blicke? Gott, Wagner, was haben Sie da wieder gemacht?« Ich tröstete sie, so gut ich konnte, und verliess mich heimlich auf den Herrn von Münchhausen, der mir denn auch wirklich versprach, des Abends sich im Parket so aufzustellen, dass die Devrient ihn erblicken müsse. Wirklich gelang es auch der durchaus genialen Leistung meiner grossen Künstlerin, trotz der grauenhaften Oede, in der sie sich auf der Bühne befand, mit dem zweiten Akte Alles zu enthusiastischer Wärme hinzureissen. Der erste Akt, welcher dem Publikum nichts als eine langweilige Unterhaltung des Herrn Wächter mit jenem Herrn Risse, der mich am Tage der ersten Aufführung des »Rienzi« zu einem guten Glas Wein eingeladen hatte, bot, und dann der dritte Akt, in welchem das höchste Toben des Orchesters das Meer nicht aus seinem zahmsten Behagen, und das Gespensterschiff nicht aus seiner vorsichtigsten Aufstellung bringen konnte, versetzten das Publikum in Staunen darüber, wie ich nach dem »Rienzi«, wo doch in jedem Akte so sehr viel vorging, und Tichatschek in immer neuen Anzügen glänzte, nun dieses so gänzlich schmucklose, dürftige und düstre Werk hätte bieten können.

Da die Schröder-Devrient bald für längere Zeit gänzlich von Dresden fortging, erlebte der »fliegende Holländer« nur vier Vorstellungen, bei denen der sich vermindernde Andrang des Publikums genügend zu erkennen gab, dass ich es hiermit den Dresdnern nicht recht gemacht hatte. Die Direktion sah sich genöthigt, um meinen Glanz aufrecht zu erhalten, alsbald wieder zum »Rienzi« zurückzugreifen; und über den Erfolg dieser Oper, wie den Misserfolg des »Holländers« hatte ich nun nachzudenken. Mit einem seltsamen Grauen musste ich mir sagen, dass, waren auch die grossen Mängel in der Darstellung des »fliegenden Holländers« mir offenbar geworden, ich den Erfolg des »Rienzi« in Wirklichkeit doch nicht der durchweg richtigen und entsprechenden Darstellung derselben zu verdanken hatte. War Wächter keinesfalls meiner Aufgabe für den »fliegenden Holländer« nachgekommen, so konnte ich mir doch auch nicht verbergen, dass in fast nicht mindrem Grade Tichatschek hinter der charakteristischen Aufgabe seiner Rolle als »Rienzi« zurückgeblieben war. Die unerhörtesten Fehler und Mängel in der Darstellung dieser Rolle waren mir nie entgangen; von dem finstren, dämonischen Grunde in der Natur des Rienzi, welchen ich an den entscheidenden Punkten des Sujets unverkennbar stark hervorgehoben, hatte sich Tichatschek nicht einen Augenblick für die Behauptung des jubelnd strahlenden Heldentenor-Charakters seiner Leistung irre machen lassen, um desto wehmüthiger im vierten Akte nach dem Bannspruche auf die Kniee zusammen zu knicken, und in lyrischer Bedauernswürdigkeit sein Schicksal über sich ergehen zu lassen; darwider er meiner Vorstellung, dass Rienzi zwar geistig in sich versenkt, aber fest wie eine Statue zu erblicken sein müsse, den grossen Erfolg grade dieses Aktschlusses »nach seiner Auffassung« entgegen hielt, mit der Ermahnung, doch ja hieran nichts ändern zu wollen. Ueberlegte ich mir somit, was eigentlich den Erfolg meines »Rienzi« herbeigeführt habe, so beruhte diess einerseits auf dem glänzenden, ungemein erquicklichen Organe des stets freudig aufschmetternden Sängers, in der erfrischenden Wirkung des Chorensembles und der bunten Bewegtheit der scenischen Vorgänge. Einen ganz besondren Fingerzeig erhielt ich aber noch, als wir die Oper in zwei Theilen gaben, und der dramatisch wie musikalisch offenbar bedeutendere zweite Theil stets auffallend weniger besucht war als der erste, und zwar aus dem allerseits mir offen bekannten Grunde, weil das Ballet in den ersten Theil falle. Einen noch naiveren Nachweis für das eigentlich hinreissende Moment dieser Oper gewann ich durch meinen guten Bruder Julius, welcher zu einer der Vorstellungen des »Rienzi« aus Leipzig gekommen war. Da ich mit ihm mich in einer offenen Loge, dem ganzen Publikum ersichtlich befand, verbat ich mir von ihm jede Beifallsbezeugung, selbst wenn sie auch nur den Sängern gelte: er vermochte sich während des ganzen Abends vom Applaudiren zu enthalten; nur bei einer gewissen Evolution des Ballets übermannte ihn der Enthusiasmus dermassen, dass er zu dem Jubel des Publikums wüthend in die Hände schlug, und mir bedeutete, jetzt könne er sich nicht mehr halten. Merkwürdiger Weise verdankte später in Berlin mein, im Uebrigen dort gleichgültig aufgenommener »Rienzi« ebenfalls diesem Ballete die anhaltende Vorliebe des jetzigen Königs von Preussen, welcher noch nach langen Jahren die Wiederaufführung dieser Oper wünschte, trotzdem sie in keiner Weise durch ihren dramatischen Gehalt das Publikum zu erwärmen vermocht hatte. Als ich in späterer Zeit in Darmstadt einer Aufführung derselben Oper wieder beiwohnen musste, fand ich, dass, während die besten Theile derselben auf das unerhörteste zusammengestrichen waren, im Ballet sogar Wiederholungen und Ausdehnungen hatten vorgenommen werden müssen. Nun war aber gerade diese Balletmusik, welche ich einst in Riga, ohne alle Anregung für dergleichen, mit absichtlicher Flüchtigkeit verächtlich in wenigen Tagen zusammen geschrieben hatte, von so auffallender Schwäche, dass ich mich, zumal da ich den besten Theil derselben, die tragische Pantomime, von vorneherein zu unterdrücken genöthigt gewesen war, bereits zu jener Zeit in Dresden ihrer aufrichtig schämte. Da nun ausserdem in Dresden gar keine choregraphischen Mittel vorhanden waren, um selbst für das übrig Gebliebene meinen Anordnungen antiker Kampfspiele und bedeutungsvoller ernster Reigentänze, wie sie später in Berlin sehr gut ausgeführt wurden, nachzukommen, hatte ich mich schmählicher Weise damit zu begnügen, dass zwei kleine Tänzerinnen eine Zeit lang alberne »Pas« ausführten, endlich aber eine Compagnie Soldaten aufmarschirte, die Schilde über ihren Köpfen zu einem Dache zusammenfügte, um an die altrömische »Testudo« zu erinnern, und der Balletmeister mit seinem Gehülfen, in blossen fleischfarbenen Tricots, auf dieses Schilddach sprangen, um sich hier einige Male gegenseitig auf den Kopf zu stellen, was ihrer Meinung nach das altrömische Gladiatorenspiel versinnlichen musste. Dieses war der Moment, welcher das Haus stets zu erdröhnendem Beifall hinriss, und ich hatte mir zu sagen, dass, wenn dieser Augenblick eintrat, ich die Krone meines Erfolgs erreicht hatte. –

Während ich auf diese Weise mir die eigenthümliche Divergenz zwischen meinem inneren Streben und meinem äusseren Erfolge immer ahnungsvoller bewusst wurde, sah ich auf der andren Seite durch die sonderbare Begünstigung der Umstände mich gedrängt, meinem Schicksale in fast ähnlich beängstigender Weise, als es bei meiner Verheirathung geschehen war, durch Annahme der Dresdener Kapellmeisterstelle, eine verhängnissvolle Richtung zu geben. Den hierauf bezüglichen Unterhandlungen hatte ich von Anfang herein eine zögernde Lauheit entgegengesetzt, welche in keiner Weise affektirt war. Meine Verachtung des Theaterwesens war bereits vollkommen; sie konnte durch die nun mir gewordene genauere Bekanntschaft mit dem scheinbar so vornehmen Hoftheater-Intendanz-Wesen, welches mit dünkelhafter Ignoranz das Schmachvolle der modernen Theatertendenz prunkend zu verdecken berufen scheint, nicht eben vermindert werden. Wie nun unter solcher Pflege alle höhere Regung bei jedem am Theater Betheiligten in der Weise ertödtet wurde, dass schliesslich nur ein Complex der eitelsten und frivolsten Interessen durch einen lächerlich steifen bureaukratischen Apparat zusammengehalten wurde, so erkannte ich jetzt mit grösster Sicherheit in einer Nöthigung zum Befassen mit dem Theater das Widerwärtigste, was ich mir vorstellen konnte; und als mir durch den erwähnten Todesfall Rastrelli's gerade jetzt, und hier in Dresden, die Versuchung meiner inneren Stimme untreu zu werden herantrat, erklärte ich sofort meinen vertrauten älteren Freunden, dass ich nicht daran dächte die frei gewordene Stelle annehmen zu wollen.

Gegen diesen Entschluss vereinigte sich nun aber Alles, was irgend menschliche Entschliessungen erschüttern kann. Die Aussicht auf Sicherung meiner Lebenslage durch eine dauernde Versorgung bei festem Gehalte machte sich zunächst mit tyrannischer Anziehungskraft geltend. Ich bekämpfte die Versuchung durch Hinweis auf meine Erfolge als Opernkomponist, die mir, so hoffte ich, wenigstens genug einbringen würden, um in zwei Stuben, bei geringen Lebensansprüchen, ungestört neue Arbeiten fördern zu können. Gerade im Betreff meiner Arbeitsmusse, wendete man mir aber ein, würde ich bei einer festen Anstellung mit nicht übermässiger Beschäftigung mich besser gefördert sehen, als bisher, wo ich seit der Vollendung des »fliegenden Holländers« über ein volles Jahr ohne Ruhe zur Arbeit mich befunden hatte. Ich blieb dabei, dass ich die dem Kapellmeister untergeordnete Musikdirektorstelle des verstorbenen Rastrelli in jeder Hinsicht für meiner unwürdig hielte, erklärte mit Bestimmtheit auf dieselbe nicht zu reflektiren, und veranlasste dadurch auch die Generaldirektion, sich anderweitig wegen Besetzung derselben umzusehen. Während somit von dieser Stelle nun nicht mehr die Rede war, wurde mir aber eröffnet, dass durch den vor einiger Zeit bereits erfolgten Tod des Kapellmeisters Morlachi eigentlich ja noch eine königliche Kapellmeisterstelle unbesetzt geblieben sei, und es stünde zu erwarten, dass der König sich geneigt fühlen dürfte, diese Stelle von Neuem durch mich zu besetzen. Die grosse Wichtigkeit, welche in Deutschland, namentlich in königlichen Residenzen, solchen Angelegenheiten beigelegt wird, und die glänzende »Solidität«, welche solch eine lebenslängliche königliche Anstellung namentlich deutschen Musikern als das höchste erreichbare irdische Glück vorschweben lässt, fing nun an meine gute Frau in grosse Aufregung zu versetzen. Von manchen Seiten eröffneten sich mir freundlich behagliche Anknüpfungen für einen bürgerlichen Verkehr, wie wir ihn bisher noch nicht gekannt hatten; das Gefühl des Wohlgelitten- ja Angesehenseins breitete sich mit wohlthätiger Wärme über die Heimathlosen aus, denen mit einer dauernden Niederlassung unter ehrenvollstem königlichen Schutze das in trostlosen Zeiten oft schmerzlich ersehnte Behagen einer wohlanständigen Sicherheit sich gewonnen zeigte. Einen wichtigen Einfluss auf die Erweichung meiner Stimmung übte endlich die Wittwe Karl Maria von Weber's, die lebhafte und liebenswürdige Caroline, in deren Haus ich mich jetzt öfter befand, und deren Umgang durch unmittelbar auflebende Erinnerungen an den von mir noch immer so innig geliebten Meister für mich besonders anziehend war. Diese beschwor mich nun mit wahrhaft rührender Innigkeit, doch ja dem bedeutungsvollen Zuge des Schicksales nicht widerstreben zu wollen. Sie habe ein Recht mich zur Einkehr in Dresden aufzufordern, um dort die Stelle einzunehmen, die seit dem Tode ihres Mannes so traurig leer geblieben sei: »denken Sie sich«, sagte sie mir, »wie ich einst Weber wiedersehen soll, wenn ich ihm davon zu berichten habe, wie bisher das von ihm so aufopferungsvoll gepflegte Werk, da wo er es wirkte, verwahrlost worden; denken Sie sich, wie mir zu Muthe ist, wenn ich dort, wo einst der seelenvolle Weber stand, jetzt nur noch den faulen Reissiger sehen soll, – wie mir zu Muthe ist, wenn ich seine Opern mit jedem Jahre geistloser herunter gespielt höre: lieben Sie Weber, so sind Sie es seinem Andenken schuldig, in seine Stelle zu treten, um sein Werk fortzusetzen.« Aber auch die praktische Seite der Angelegenheit wies die lebenserfahrene Frau mit energischer Fürsorge nach, indem sie mir es an's Herz legte, namentlich auch an die Sicherheit meiner Frau zu denken, welcher, wenn ich plötzlich stürbe, durch Annahme der mir gebotenen Stelle genügende Versorgung geboten sei. –

Mehr als alles diess Herzliche, Bedeutende und Vernünftige wirkte in mir selbst der zu keiner Zeit meines Lebens gänzlich vertilgte enthusiastische Glaube an die Möglichkeit, da, wohin mich das Schicksal geführt, also auch jetzt hier in Dresden, doch wohl den Punkt gefunden zu haben, von welchem aus einmal eine Umkehr des Gewohnten in Bewegung zu setzen, und das Unerhörte in das Leben zu rufen wäre: am Ende bedurfte es ja doch nur einmal des Aufkommens eines feurig strebenden Menschen, um, wenn das Glück ihn wirklich begünstigte, das Verwahrloste zu regeneriren, wahrhaft veredelnden Einfluss zu gewinnen, und die Erlösung der in schmachvollen Banden liegenden Kunst herbei zu führen. Die wunderbar schnelle Wendung, welche mein Schicksal genommen, musste einen solchen Glauben nur nähren, und wirklich verführerisch wirkte auf mich mein Innewerden der merkwürdigen Veränderung, welche in der ganzen Haltung des Generaldirektors Herrn von Lüttichau gegen mich eingetreten war. Der sonderbare Mensch zeigte mir eine Wärme, deren ihn Niemand zuvor für fähig gehalten hatte, und von seinem persönlichen wahrhaften Wohlwollen habe ich mich, selbst während meiner späteren unaufhörlichen Zerwürfnisse mit ihm, unverkennbar überzeugt halten müssen. – Nichts desto weniger wurde die Entscheidung doch aber nur durch eine Art von Ueberrumpelung herbeigeführt: ich wurde am 2. Februar 1843 auf das Freundlichste in das Bureau des Intendanten eingeladen und traf dort den Generalstab der königlichen Kapelle an, in dessen Mitte Herr von Lüttichau durch den Theatersekretair, meinen unvergesslichen Freund Winkler, mir feierlichst ein königliches Reskript vorlesen liess, durch welches ich sofort zum Kapellmeister Seiner Majestät mit 1500 Thalern lebenslänglichem Gehalt ernannt wurde. Herr von Lüttichau liess dieser Lektüre eine ziemlich feierliche Rede folgen, in welcher er seine Annahme ausdrückte, dass ich mit Dank die Gnade des Monarchen erkennen würde. Es entging mir bei dieser freundlichen Solemnität nicht, dass hiermit zugleich allen weiteren Verhandlungen über die Höhe des Gehaltes die Möglichkeit abgeschnitten war, wogegen allerdings der Hinwegfall der selbst Weber seiner Zeit auferlegten Bedingung, zuerst unter dem blossen Titel eines königlichen Musikdirektors ein Probejahr zu bestehen, als sehr beschwichtigende Ausnahme mich zum Schweigen zu bringen berechnet war. Meine neuen Kollegen beglückwünschten mich sofort, und Herr von Lüttichau begleitete mich unter den angenehmsten Gesprächen bis an die Thür meines Hauses, wo ich denn wiederum meiner vor Freude taumelnden armen Frau in die Arme fiel, so dass ich nun wohl merkte, dass ich gute Miene zu machen hatte und, ohne unerhörtes Aergerniss zu geben, mich jetzt wohl selbst als königlichen Kapellmeister zu becomplimentiren hatte.

Als ich in feierlicher Sitzung als königlicher Diener beeidigt und der versammelten musikalischen Kapelle mit einigen feurigen Worten des königlichen Generaldirektors vorgestellt war, wurde ich nach einigen Tagen auch von Seiner Majestät zur Audienz empfangen. Als ich in die Züge des gutherzigen, freundlichen und schlichten Monarchen blickte, fiel mir unwillkürlich mein jugendlicher Entwurf zu jener politischen Ouverture, mit dem Thema »Friedrich und Freiheit«, ein. Das etwas verlegene Gespräch belebte sich, als der König mir seine Zufriedenheit mit meinen beiden nun in Dresden gegebenen Opern bezeigte. Wenn ihm etwas zu wünschen übrig blieb, so wäre dieses, wie er sich mit freundlichem Zögern ausdrückte, ein etwas deutlicheres Heraustreten der einzelnen Personen meiner musikalischen Dramen; es komme ihm vor, als ob das Elementare darin das Interesse an diesen beeinträchtige: so im »Rienzi« das Volk, im »fliegenden Holländer« das Meer. Mir schien als ob ich ihn sehr gut verstünde, und ich freute mich aufrichtig über diesen Beweis sowohl seiner ernsten Theilnahme, als seines originellen Urtheils. Ausserdem entschuldigte er sich im Voraus bei mir, wenn er auch meine Opern nicht sehr häufig besuchen sollte, was lediglich damit zusammenhinge, dass er überhaupt einen eignen Widerwillen gegen den Theaterbesuch habe, der ihm leider durch eine Maxime seiner Erziehung beigebracht sei, nach welcher er mit seinem Bruder Johann, dem es nun ebenso ergehe, lange Zeit mit Zwang angehalten worden sei, regelmässig den Vorstellungen des Theaters beizuwohnen, wogegen er, aufrichtig gesagt, oft vorgezogen haben würde, fern der Etiquette einer freiwilligen Beschäftigung überlassen sein zu können. – Als ein charakteristisches Merkmal des Höflingsgeistes erfuhr ich bald nachher, dass Herr von Lüttichau, welcher während dieser Audienz mich im Vorzimmer erwarten musste, sich sehr ungehalten über die lange Dauer derselben ausgelassen hatte. – In nähere Berührung und zu einer Unterredung mit dem guten König gelangte ich im Laufe der Jahre nur noch zwei Mal: das eine Mal, als ich ihm das Dedicationsexemplar des Klavierauszuges meines »Rienzi« überreichte; das zweite Mal, als ich in Folge der von mir mit vielem Glück bewerkstelligten Bearbeitung und Aufführung der »Iphigenia in Aulis« von Gluck, dessen Opern er vorzüglich liebte, auf öffentlicher Promenade höchst freundlich und zutraulich von ihm angehalten und wegen meiner Arbeit beglückwünscht wurde.

Mit jener ersten Audienz beim König war jedenfalls der Höhepunkt meiner so schnell betretenen Dresdner Glückslaufbahn erreicht: von nun an meldete sich in mannichfaltiger Gestalt wieder die Sorge. – Sehr bald eröffnete sich mir der Blick in die Schwierigkeit meiner materiellen Lage, da sich herausstellte, dass die bisher von mir gewonnenen und durch meine Anstellung sich darbietenden Vortheile in keinem Verhältniss zu den bisher, seit angetretener bürgerlicher Selbstständigkeit, mein Leben belastenden Opfern und Verpflichtungen stehe. Der seit seinem Fortgang von Riga gänzlich verschollene junge Musikdirektor tauchte plötzlich in der staunenerregenden Wiedergeburt als königlich sächsischer Kapellmeister von Neuem auf. Die nächsten Folgen dieser allgemeinen Beachtung meines Glückes waren dringende Mahnungen und drohende Verfolgungen, zunächst von Seiten derjenigen Königsberger Gläubiger, denen ich in Riga mich durch jene unverhältnissmässig beschwerliche und leidenvolle Flucht entzogen hatte. Ausserdem meldete sich, was nur irgend wo und aus den undenklichsten Zeiten her zu irgend welcher Forderung an mich sich berechtigt wähnte, selbst auch aus meiner Studenten- ja Gymnasiasten-Zeit, so dass ich gelegentlich verwunderungsvoll ausrief, ich vermuthete nun noch eine Rechnung von meiner Amme für meine Säugung zu erhalten. Alles diess belief sich allerdings auf keine grosse Summe, und ich erwähne ausdrücklich den boshaften Gerüchten gegenüber, welche, wie ich erst in späten Jahren erfahren habe, über meine damalige Verschuldung gelegentlich ausgestreut worden sind, dass ich mit 1000 Thalern, welche ich von Frau Schröder-Devrient gegen Zinsen entlieh, nicht nur alle diese Schulden bezahlte, sondern auch die von Kietz während meiner Pariser Nöthen, ohne alle Annahme der Zurückerstattung, mir gebrachten Opfer auf das Genaueste vergütete, und ausserdem diesem Freunde selbst mich behülflich erweisen konnte. Allein, woher selbst dieses Geld nehmen, da ich bis dahin in so äusserst kümmerlicher Lage mich befand, dass ich die Schröder-Devrient zur Beschleunigung der Aufführung des »fliegenden Holländers« durch den Hinweis auf die grenzenlose Wichtigkeit, von welcher für mich das dafür zu erhaltende Honorar sei, hatte antreiben müssen? Von irgend einer Vergütung für meine Ansiedlung, die doch jedenfalls dem Range eines königlichen Kapellmeisters entsprechen musste, ja selbst für die Anschaffung einer albernen und kostbaren Hofuniform, war in keiner Weise an eine Entschädigung gedacht, so dass ohne Aufnahme von Geld gegen Zinsen, da ich nun einmal gänzlich ohne Vermögen war, an keinen Anfang gedacht werden konnte. Wer nun aber den unerhörten Erfolg des »Rienzi« in Dresden wahrgenommen hatte, konnte nicht umhin an eine baldige und lohnende Verbreitung meiner Opern über die deutschen Theater zu glauben; und meine eigenen Verwandten, namentlich auch die besonnene Ottilie, waren hierfür mit solcher Zuversicht erfüllt, dass sie mir mindestens die Verdoppelung meines Gehaltes durch die Einnahmen von meinen Opern in sichere Aussicht stellen zu dürfen meinten. In der That schien es im allerersten Anfang hiermit ein gutes Bewenden nehmen zu wollen; sehr bald bestellte das Kasseler Hoftheater, sowie auch das mir altbekannte Theater zu Riga, die Partitur meines »fliegenden Holländers«, weil man dort schnell etwas von mir geben wollte, und dem Gerüchte nach diese Oper weniger umfangreich und für die Ausstattung weniger anspruchsvoll als der »Rienzi« war. Von beiden Orten erhielt ich im Mai 1843 auch günstige Nachrichten über den Erfolg der stattgehabten Aufführungen. Hiermit hatte es denn aber für jetzt sein Ende, und das ganze Jahr verging, ohne dass auch nur die mindeste Nachfrage nach einer meiner Partituren an mich gelangt wäre. Ein Versuch, durch die Herausgabe des Klavierauszuges des »fliegenden Holländers« (da ich den »Rienzi« jedenfalls für günstigere Chancen, nach erreichten weiteren Erfolgen, als nützliches Kapital mir vorbehalten wollte), mir zu einer Einnahme zu verhelfen, scheiterte an dem Widerwillen der Herren Härtel in Leipzig, welche sich zwar sehr bereitwillig erklärten meine Oper herauszugeben, jedoch nur in der Voraussetzung, dass ich von jeder Honorarforderung dafür abstünde.

So hatte ich mich denn vorläufig an der phantastischen Eigenschaft meiner Erfolge zu sättigen; meine unverkennbare Beliebtheit beim Dresdener Publikum, manche Ehre und mir erwiesene Aufmerksamkeit gehörten hierzu. Doch auch in diesem Bezug sollte mein arkadischer Traum bald gestört werden. Ich glaube, dass erst mit meinem Auftreten in Dresden dort eine neue Aera für das Journalisten- und Recensententhum begann, welches gleichsam aus seinem Aerger über meine Erfolge Stoff zu einer bis dahin nur noch schwächlich geübten Lebenskraft erhielt. Die beiden von mir bereits genannten Herren, C. Bank und J. Schladebach, haben nachweislich erst um jene Zeit ihr festes Domicil in Dresden genommen; ich weiss, dass, als in Betreff seiner dauernden Ansiedelung gegen Bank Schwierigkeiten erhoben wurden, diese erst durch die Verwendung und Gutsage meines nunmehrigen Collegen Reissiger beseitigt werden konnten. War diesen Herren, die nun dauernde Engagements für die musikalische Kritik in Dresdener Blättern annahmen, der Erfolg meines »Rienzi« bereits sehr unangenehm gewesen, namentlich da ich auch gar keine Miene machte mir ihre Gunst zu gewinnen, so war es ihnen doch noch schwer gefallen, den so allgemein beliebten jungen Musiker, welcher die Theilnahme des hierin gutmüthigen Publikums auch durch seine dürftigen und vom Glück bisher so wenig begünstigten Lebensumstände gewonnen hatte, mit der eigentlichen beizenden Lauge ihres Hasses zu übergiessen. Durch meine »unerhörte« Ernennung zum königlichen Kapellmeister war aber plötzlich jede Nöthigung zu irgend welcher humaner Rücksicht geschwunden: jetzt »ging mir's gut«, ja »unmässig gut«; der Neid fand seine höchst rechtmässige Nahrung; es war etwas ganz Bestimmtes, allgemein Fassliches, was von ihm anzunagen war; und bald verbreitete sich durch alle Blätter Deutschlands in Berichten aus Dresden eine Stimmung über mich, welche als Grundton bis auf den heutigen Tag sich nie geändert hat, mit einziger Ausnahme einer gewissen Modification, welche vorübergehend, und natürlich nur in Blättern von hierfür geeigneter Farbe, während meiner ersten Niederlassung als politischer Flüchtling in der Schweiz eintrat, jedoch von da ab, wo durch Liszt's Bemühungen meine Opern, trotz meiner Verbannung, über Deutschland verbreitet wurden, sich alsbald in den Blättern jeder Farbe wieder gänzlich verlor. Dass sogleich anfänglich nach den Dresdener Aufführungen zwei Theater eine meiner Partituren bestellt hatten, verdankte ich jedenfalls nur dem Umstande, dass bis dahin die schädliche Thätigkeit meiner journalistischen Beobachter sich noch gehemmt gefühlt hatte; wogegen ich mir das nun eintretende Schweigen jeder Nachfrage, gewiss nicht mit Unrecht, sehr wesentlich aus dem Grunde der Wirkung der falschen und verläumderischen Berichte in den Zeitungen erkläre. Mein alter Freund Laube war zwar sofort bemüht gewesen, auch als Journalist der Welt mich vortheilhaft vorzuführen: er übernahm mit Neujahr 1843 von Neuem die Redaktion der »Zeitung für die elegante Welt«, und forderte mich auf, für eine seiner ersten Nummern ihm eine biographische Notiz über mich aufzusetzen. Es machte ihm ersichtlich grosse Freude, mich auf diese Weise triumphirend auch der litterarischen Welt vorzustellen, und um diess recht ersichtlich zu thun, gab er der betreffenden Nummer seines Journales noch eine Lithographie meines von Kietz gezeichneten Portraits bei. Doch selbst er wurde nach einiger Zeit besorgt und befangen in seinem Urtheil über meine Leistungen, da er wahrnahm, mit welcher Ausdauer und mit welch' zunehmender Sicherheit diese immer mehr verkleinert, herabgesetzt und geschmäht wurden. Er gestand mir später, dass ihm allerdings eine so verwahrloste Stellung, wie diejenige, in welche ich gegen die gesammte Journalistik gerathen war, noch nicht als erdenklich vorgekommen sei, und da er meine Gesinnung in diesem Punkt kennen lernte, segnete er mich lächelnd als einen rein verlornen Mann. –

Aber auch in meinen nächsten Beziehungen zu meinem unmittelbaren neuen Wirkungskreise traf ich bald auf sehr veränderte Stimmungen, welche ihrerseits wiederum jenen journalistischen Tendenzen eine höchst willkommene Nahrung gaben. – Ich hatte mich durch keine Art von Ehrgeiz verleitet gefühlt, darum anzuhalten, mein Werk selbst im Orchester dirigiren zu dürfen. Da ich jedoch gefunden hatte, dass Kapellmeister Reissiger bei jeder Aufführung des Rienzi nachlässiger in der Leitung wurde, und das musikalische Ensemble in den wohlbekannten, ausdruckslosen Schlendrian verfiel, hatte ich, da bereits meine Anstellung andrer Seits in das Auge gefasst wurde, mir die persönliche Leitung der sechsten Aufführung meines Werkes ausgebeten. Ich dirigirte, ohne zuvor eine Probe gehalten, noch je mich an der Spitze der Dresdener Kapelle befunden zu haben; es ging vortrefflich, Sänger und Orchester waren neu belebt und rissen Alles zu dem Zeugniss hin, dass diess die gelungenste Aufführung des Rienzi gewesen sei. Das Studium und die Direktion des »fliegenden Holländers« waren mir schon aus dem Grunde gern überwiesen worden, weil Reissiger in Folge des Todes des Musikdirektors Rastrelli sich mit dienstlicher Arbeit überhäuft fand. Ausserdem wurde ich ersucht, um für meine Fähigkeit, auch eine fremde Partitur dirigiren zu können, ein unmittelbares Zeugniss abzulegen, die Aufführung von Weber's »Euryanthe« zu leiten. Es schien, dass ich alle Welt befriedigte, und eben auf den Geist dieser Aufführung begründete die Wittwe Weber's ihr so eifriges Anliegen an mich, die Dresdener Kapellmeisterstelle anzunehmen, da sie erklärte, zum ersten Male seit dem Tod ihres Gemahls sein Werk wieder im richtigen Geiste und namentlich auch im richtigen Zeitmaasse gehört zu haben. Durch meine hierauf erfolgte Anstellung hatte sich nun zunächst Reissiger, welcher lieber nur einen ihm untergeordneten Musikdirektor gewünscht hätte, statt dessen aber einen gleichberechtigten Collegen erhielt, gekränkt gefühlt. Wenn auch sein natürlicher Hang zur Trägheit ihn meist zu Ruhe und gutem Einvernehmen mit mir geneigt machte, so sorgte doch seine ehrgeizige Frau dafür, ihn in Angst vor mir zu erhalten. Nie führte dies jedoch zu einem offen feindseligen Benehmen seinerseits; nur bemerkte ich von nun an, dass sich, namentlich in der Presse, gewisse Indiskretionen einstellten, welche mir zeigten, dass die Freundlichkeit meines Collegen, welcher nie mit mir sprach ohne mich zuvor geküsst zu haben, nicht vom allerbiedersten Schlage war. – Ganz unerwartet zeigte sich mir aber plötzlich, dass ich die Eifersucht eines Mannes, von dem ich mir diess in keiner Weise vermuthete, im leidenschaftlichsten Grade zugezogen hatte. Diess war der als erster königlicher Concertmeister seit einer Reihe von Jahren der Dresdener Kapelle angehörige, seiner Zeit berühmte Violinvirtuos Karl Lipinsky, ein Mensch von vielem Feuer und origineller Begabung, aber von der unglaublichsten Eitelkeit, welche durch den beweglichen, misstrauischen polnischen Charakter zur bedenklichsten Ausartung verleitet wurde. Ich hatte stets viel Pein mit ihm zu überstehen, da er, so sehr belebend und belehrend er namentlich auf die technischen Leistungen der Violinisten wirkte, dennoch als Concertmeister eines wohlgegliederten Orchesters offenbar übel am Platze war. Der sonderbare Mann bestrebte sich das Lob des Generaldirektors von Lüttichau, dass man Lipinski's Ton stets aus dem Orchester hervorhöre, in Wahrheit zu begründen; er fiel nämlich immer etwas früher ein als die andren Violinisten, und führte somit das Amt eines Vorspielers im rhythmischen Sinne aus, indem er stets etwas vorweg spielte, auch in den Nüancen insofern willkürlich verfuhr, als er leichte Inflexionen im Piano-Vortrag meist mit fanatischer Schärfe ausführte. Hierüber war es nun ganz unmöglich dem Manne etwas zu sagen, da man nur durch stärkste Schmeichelei etwas über ihn vermochte; diess hatte ich nun zu ertragen, und dagegen darauf bedacht zu sein, den Schaden, welchen er den Leistungen des Orchesters zufügte, auf den gewundensten Umwegen enthusiastischer Freundlichkeit einigermassen zu mildern. Nichtsdestoweniger konnte er es nicht ertragen, dass die Leistungen des Orchesters, so oft ich dirigirte, vorzüglicher beachtet wurden, weil er annahm, ein Orchester, in welchem er vorspiele, leiste immer gleich Vorzügliches, es möge am Dirigentenpulte stehen wer da wolle. Nun fand sich aber, wie es immer der Fall ist, wenn neue Häupter mit frischem Einfluss angestellt werden, dass die Mitglieder der Kapelle mit den mannigfaltigsten, bisher unerledigten Anliegen sich an mich wandten; einen besondren Fall dieser Art benutzte Lipinsky, der auch hierüber ergrimmt war, sofort zu einer eigenthümlichen Verrätherei. Einer der ältesten Contrabassisten war gestorben. Lipinsky hatte in mich gedrungen, doch ja mit dafür zu sorgen, dass diese Stelle nicht durch das gewöhnliche Hinaufrücken der unteren Musiker, sondern durch einen von ihm mir genannten bedeutenden Virtuosen auf dem Contrabass, den Kammermusiker Müller in Darmstadt, besetzt werde. Als der durch eine solche Massregel zunächst bedrohte Musiker sich bei mir einfand, um mich für die Wahrung seiner Anciennetätsrechte zu gewinnen, blieb ich meinem Lipinsky gegebenen Versprechen treu, äusserte meine Bedenken über die Schädlichkeit dieses Anciennetätswesens, und bestätigte, dass ich, in Gemässheit meines dem Könige geleisteten Eides, mich vor allen Dingen für verpflichtet hielte, vorzüglich auf die Wahrung der künstlerischen Interessen des Institutes zu achten. Nun hatte ich zu meinem grossen, allerdings aber sehr thörigtem, Erstaunen bald zu erfahren, dass die ganze Kapelle sich wie ein Mann gegen mich kehrte, und als es zwischen Lipinsky und mir zu einer Auseinandersetzung über mehrere von ihm gegen mich erhobene Beschwerden kam, bezichtigte wirklich auch er mich, durch meine in der Contrabassisten-Angelegenheit gethanen Aeusserungen die wohlbegründeten Rechte der Orchestermitglieder, für deren Wohl wir doch väterlich zu sorgen hätten, bedroht zu haben. Herr von Lüttichau, welcher soeben auf einige Zeit von Dresden sich entfernen wollte, fand sich, da auch Reissiger beurlaubt war, im höchsten Grade beunruhigt, die musikalischen Angelegenheiten in so bedrohlichem Zerwürfniss zu hinterlassen. Die unerhörte Erfahrung von Falschheit und Schamlosigkeit, welche ich soeben gemacht hatte, erleuchtete mich plötzlich wie ein neues Licht, und gab mir sofort die nöthige Ruhe, um den bedrängten Generaldirektor durch meine bündigsten Versicherungen, dass ich nun wüsste mit wem ich zu thun hätte und danach handeln würde, ausser Sorge zu setzen. Ich habe treulich mein Wort gehalten; nie gerieth ich mehr, weder mit Lipinsky, noch sonst einem Kapellmitgliede in irgend einen Conflikt; im Gegentheil wurden bald und für die Dauer sämmtliche Musiker mir so sehr geneigt, dass ich mich jeder Zeit ihrer Ergebenheit rühmen durfte.

Das Eine jedoch ward mir seit diesem Tage ebenfalls klar: dass ich nicht als Dresdener Kapellmeister sterben würde. Von nun an ward mir mein Amt und meine ganze Dresdener Wirksamkeit zur Last, die mir durch die einzelnen, zu Zeiten erlangten, wirklich schönen Erfolge meiner Thätigkeit nur immer deutlicher fühlbar wurde.

Einen einzigen Freund, dessen inniges Verhältniss zu mir auch die gemeinsame musikalische Wirksamkeit in Dresden weit überdauerte, führte mir jedoch das Schicksal durch eben diese Anstellung zu. Zu den beiden Kapellmeistern musste noch ein Musikdirektor angestellt werden; es bedurfte hierzu weniger eines Musikers von bedeutendem Rufe, als eines tüchtigen Arbeiters, gefügigen Menschen, und vor Allem Katholiken, da beide Kapellmeister zum Aergerniss der geistlichen Behörden der katholischen Hofkirche, in welcher die königliche Kapelle zahllose Dienste zu versehen hatte, Protestanten waren. Der Nachweis der hierfür erforderlichen Eigenschaften verschaffte August Röckel, einem Neffen Hummel's, welcher von Weimar aus um unsre Stelle sich bewarb, den ledigen Posten. Er gehörte einer altbayerischen Familie an; sein Vater war Sänger, hatte zur Zeit der ersten Aufführung des »Fidelio« von Beethoven selbst häufig den » Florestan« gesungen, und war mit dem Meister selbst in andauerndem freundschaftlichen Verkehr gewesen, so dass durch ihn mancher sonst unbekannte Zug aus dessen Leben sich erhalten hat. Seine spätere Stellung als Gesangslehrer hatte ihn auch in das Theaterdirektionswesen hineingeleitet; er war es, welcher den Parisern zuerst eine deutsche Oper zuführte, und zwar in so ausserordentlich glücklicher Gestalt, dass die grossen Wirkungen des » Fidelio« und des » Freischütz« auf das, mit diesen Werken noch gänzlich unbekannte französische Publikum, seiner trefflichen Unternehmung, durch welche auch die Schröder-Devrient den Parisern bekannt wurde, zu verdanken war. Bereits diesmal und bei ähnlichen Unternehmungen hatte der damals noch sehr junge August behülflich mitgewirkt, und so frühzeitig zum praktischen Musiker sich ausgebildet. Da die Unternehmungen des Vaters sich auch längere Zeit auf England erstreckten, hatte August durch mannigfaltigste Berührung mit Menschen und Verhältnissen sich viele praktische Kenntnisse, zu denen auch die der französischen und englischen Sprache gehörten, verschafft: doch blieb seine Neigung zur Musik bestimmend für die von ihm gewählte Lebensrichtung, und eine grosse und leichte musikalische Befähigung berechtigte ihn auch zu den besten Hoffnungen auf Erfolg hierbei. Er spielte vortrefflich Klavier, überblickte mit grosser Schnelligkeit eine Partitur, hatte ein äusserst feines Gehör, und war somit zum praktischen Musiker vollständig befähigt. Im Betreff der Compositionen leitete ihn weniger ein starker Trieb zur Produktion, als die Nöthigung, eben zu zeigen was er auch könne, und zu versuchen ob er durch glückliche Arbeiten es zu einem Erfolg brächte, bei welchem er es weniger auf Anerkennung als bedeutender Musiker, als vielmehr eben nur als geschickter Operncomponist absah. Mit dieser bescheidenen Tendenz hatte er eine Oper, Farinelli, verfertigt, zu welcher er sich auch den Text mit nicht höheren Ansprüchen als denen, seinem Schwager Lortzing es gleich zu thun, selbst geschrieben hatte. Mit dieser Partitur kam er denn auch zu mir, erbat sich jedoch – es war diess bei seinem ersten Besuche, als er noch keine meiner Opern in Dresden gehört hatte – ihm etwas aus meinem Rienzi und fliegenden Holländer vorzuspielen. Sein offenes freundliches Wesen bestimmte mich, so gut ich diess eben vermochte, seinem Wunsche zu willfahren, und ich überzeugte mich, dass ich schnell auf ihn einen so bedeutenden und unerwartet überwältigenden Eindruck gemacht hatte, dass er von da ab beschloss, mit der Partitur seiner Oper mich nicht weiter zu belästigen. Erst nachdem wir befreundeter geworden waren und unsere persönlichen Interessen sich auch gegenseitig berührten, erlaubte er sich, von der Nöthigung, seine Arbeit zu verwerthen, getrieben, mich eben nur in dem Sinne eines praktischen Freundschaftsdienstes um eine Beschäftigung mit seiner Partitur anzugehen. Ich gab ihm mancherlei Ratschläge für die Umarbeitung derselben; bald aber ekelte ihn sein eigenes Werk so hoffnungslos an, dass er nicht nur dieses gänzlich bei Seite legte, sondern überhaupt nicht mehr zu bewegen war, sich ernstlich mit einer ähnlichen Aufgabe zu befassen. Nachdem er meine eigenen fertigen Opern und Entwürfe zu neuen Arbeiten genauer kennen gelernt hatte, erklärte er mir gerade heraus, dass er sich berufen fühle, mir zuzusehen, treulich zu helfen, das Verständniss meiner neuen Conceptionen zu vermitteln, alles Widerwärtige in meinem amtlichen Beruf und sonstigen Verkehr mit der Welt nach Kräften mir abzunehmen oder gänzlich von mir abzuhalten, sich selbst aber die Lächerlichkeit zu ersparen, als mein Freund und an meiner Seite selbst auch Opern komponiren zu wollen. Ich suchte ihn zwar zu nöthigen, dem unerachtet auch seine eignen Fähigkeiten produktiv zu verwerthen, und brachte ihn hierfür selbst auf mehrere Sujets, die ich von ihm ausgeführt wissen wollte, – so den Stoff eines kleineren französischen Drama's: die Tochter Cromwell's, später das Sujet einer gefühlvollen Dorfgeschichte, welche ich in einem Taschenbuche gefunden hatte, und für deren Bearbeitung ich ihm den ausführlichen Plan angab. Alle meine Bemühungen blieben schliesslich fruchtlos, und es stellte sich wohl heraus, dass der produktive Trieb in ihm schwach war, wozu dann anderseits eine bald äusserst kümmerlich und sorgenvoll sich gestaltende Familienlage kam, so dass der arme Mensch, der für die Erhaltung einer Frau und stets zahlreich sich mehrenden Familie mühsam sich abquälte, bald in ganz andrer Weise meine Theilnahme und mein Mitgefühl in Anspruch zu nehmen hatte, als es durch mein Interesse an seiner künstlerischen Entwickelung der Fall sein konnte. Mit einem ungemein offenen Kopfe und einer sehr glücklichen Anlage zu auto-didaktischer Selbstentwickelung nach jeder Seite des Wissens und der Erfahrung hin, war er bei unerschütterlicher Treue und Güte des Herzens mir bald ein unentbehrlicher Freund und Genosse. Er war und blieb auch der Einzige, der das Eigenthümliche meiner Stellung zu der mich umgebenden Welt innig erkannte, mit dem ich somit einzig auch über alle hieraus für mich sich ergebenden Sorgen und Leiden mich ganz und aufrichtig mittheilen und verständigen konnte. Welchen schrecklichen Prüfungen und Erfahrungen, welchen peinvollen Sorgen nun unser gegenseitiges Schicksal uns auf diese Weise entgegen führen sollte, wird sich bald zeigen. –

Noch einen ergebenen und für alle Lebenszeit getreuen, wenn auch seiner Natur nach weniger entscheidend auf meine fernere Lebensentwickelung einwirkenden Freund, führte mir die erste Zeit meiner Dresdener Niederlassung zu. Ein junger Arzt, Anton Pusinelli, wohnte mir zur Seite; er wusste sich durch die Berührung, in welche sich die Dresdener Liedertafel mit mir setzte, bei Gelegenheit eines von dieser zu meinem 30. Geburtstage mir gebrachten Ständchens, mir persönlich bekannt zu machen, und seine ernste, ungewöhnlich innige Ergebenheit zu erkennen zu geben. Er trat mit mir bald in einen ruhig wohlthätigen Freundes-Verkehr, wurde mein sorgsamer Hausarzt, und hatte im Verlauf meiner von zunehmenden Schwierigkeiten bedrängten Dresdener Lebenszeit genügende Veranlassung, durch grosse Opferwilligkeit, welche ihm bei seinem glücklichen Vermögensstande mir besonders nützlich zu machen erlaubt war, mir auf das kräftigste behülflich zu sein und mich zur Anerkennung seiner werthvollsten Freundesdienste zu verpflichten. –

Einen weiteren Ansatz zur Ausdehnung meiner persönlichen Beziehungen zu Dresdener Gesellschaftskreisen eröffnete mir das Entgegenkommen der Familie des Kammerherren von Könneritz, dessen Frau, Maria von Könneritz, geborne Fink, eine Freundin der Gräfin Ida Hahn-Hahn, mit besonders lebhafter Anerkennung, ja mit fast schwärmerischer Ergebenheit sich für meine Erfolge als Componist erklärte. Durch diese Familie, welche mich oft in ihr Haus zog, schien ich auch in weitere Berührung mit den höheren Kreisen der Dresdener Aristokratie treten zu sollen; doch blieb es hier nur bei einem ganz äusserlichen Betasten; wirkliche gegenseitige Anziehungspunkte stellten sich in keiner Weise ein. Zwar lernte ich hier auch die Gräfin Rossi, die berühmte Sonntag, kennen, von welcher ich zu meiner wahrhaften Verwunderung mit sehr einnehmender Wärme begrüsst wurde, und hierdurch Gelegenheit erhielt, späterhin dieser Dame in Berlin mit einiger Auszeichnung mich nähern zu können. Die sonderbare Enttäuschung, welche ich über sie bei dieser späteren Gelegenheit erhielt, werde ich seiner Zeit noch näher bezeichnen, und es sei hier eben nur noch erwähnt, dass, wie in diesen Kreisen ich bereits durch meine früheren Lebenserfahrungen der Täuschung ziemlich unzugänglich geworden war, sehr bald auch meine Neigung, ihnen mich zu nähern, einer vollständigen Hoffnungslosigkeit und gänzlichen Verzichtleistung auf Erquickung aus diesen Sphären wich. Blieb mir auch das Könneritz'sche Ehepaar noch für den längeren Verlauf meiner in Dresden verlebten Jahre immer freundschaftlich zugethan, so gewann doch dieses Verhältniss nicht den mindesten Einfluss weder auf meine Entwickelung, noch auf meine Stellung. Nur Herr von Lüttichau behauptete, zur Zeit einer zwischen uns Beiden eintretenden Krisis, Frau von Könneritz habe mir durch ihre übertriebenen Lobeserhebungen den Kopf verdreht, und mich namentlich zur Ueberhebung in meiner Stellung zu ihm verleitet. Er übersah hierbei, dass, wenn Jemand aus der höheren Dresdener Frauenwelt einen wirklichen, meinen inneren Stolz kräftigenden Einfluss geübt hatte, dies seine eigene Frau, Ida von Lüttichau (geb. von Knobelsdorf) war. – Der Eindruck dieser feingebildeten, zarten, edlen Frau, der erste dieser Art, der mich in meinem Leben berührte, hätte für mich eine grosse Bedeutung gewinnen können, wenn ein häufigerer und innigerer Umgang mit ihr möglich gewesen wäre. Es war weniger die Stellung der Gemahlin des Herrn Generaldirektors zu mir, als vor allem die stete Kränklichkeit der Dame und mein sonderbarer Widerwille, mir gerade in solchen Verhältnissen den Anschein von Aufdringlichkeit zuzuziehen, was mich nur in selten wiederkehrenden Perioden zu eingehender Berührung mit ihr gelangen liess. In meiner Erinnerung fliesst das Andenken an sie einigermassen mit dem an meine Schwester Rosalie zusammen; denn ich entsinne mich des Anspornes eines zarten Ehrgeizes, dieser feinfühlenden, unter der rohesten Umgebung leidenvoll dahin siechenden Frau eine erfreuende Theilnahme für mich zu erwecken. Meine erste Hoffnung für die Befriedigung dieses Ehrgeizes gewann ich an der Aufmerksamkeit, welche sie meinem »fliegenden Holländer«, trotzdem er das Dresdener Publikum nach dem »Rienzi« so sehr befremdet hatte, zuwandte. Sie war somit die Erste, welche, gegen den Strom schwimmend, auf meinem neuen Wege mir begegnete. Mich erfreute dieser Gewinn so tief, dass ich diese Oper, als ich sie später veröffentlichte, ihr widmete. Welche warme Theilnehmerin an meiner neuen Entwickelung und meinen innigsten künstlerischen Anliegen ich mir durch sie gewann, werde ich bei einigen besondren Vorgängen der späteren Jahre meiner Dresdener Periode besonders zu berichten haben. Ein eigentlicher Umgang mit ihr gestaltete sich jedoch, wie ich bereits erwähnte, nicht, und die Form meines Dresdener Lebens ward somit auch durch diese, an sich so bedeutungsvolle, Bekanntschaft nicht berührt.

Hiergegen drängten sich die Theaterbekanntschaften mit unwiderstehlicher Zudringlichkeit in den breiten Vordergrund meines Lebens, und genau genommen blieb ich auch seit meinen grossen Erfolgen auf dieselbe gemüthlich familiäre Sphäre angewiesen, in welcher ich auf diese Erfolge mich vorbereitet hatte. Zu meinen alten Freunden Heine und Papa Fischer war eigentlich nur noch Tichatschek mit seinem sonderbaren hausfreundlichen Anhange hinzugetreten. Wer in jener Zeit in Dresden lebte und zufällig den Hoflithographen Fürstenau kennen gelernt hat, wird staunen wenn er erfährt, dass ich mit diesem intimen Freunde Tichatschek's, ohne dessen mich recht zu versehen, in einen dauernden Familienverkehr trat, und welche Bedeutung dieser sonderbare Umgang hatte, kann man daraus entnehmen, dass mein späteres gänzliches Zurückziehen von ihm genau mit dem Verfall meiner bürgerlichen Lage in Dresden zusammentraf. – Eine Erweiterung oberflächlicher persönlicher Bekanntschaften führte meine gutmüthige Annahme der Wahl zum musikalischen Vorstand der Dresdener Liedertafel herbei. Diese bestand aus einer mässigen Anzahl junger Kaufleute und Beamter, welche zu jeder Art geselliger Unterhaltung mehr Lust hatten als zur Musik, jedoch von einem wunderlichen ehrgeizigen Manne, dem Professor Löwe, zu besonderen Zwecken angelegentlich zusammen gehalten wurden, zu deren Erreichung diesem eine Autorität, wie die meinige es damals in Dresden war, nöthig schien. Unter diesen Zwecken beschäftigte ihn am hauptsächlichsten die Uebersiedelung der Asche Karl Maria von Weber's von London nach Dresden; da auch mich diess Vorhaben innig anregte, bot ich dem hierin wohl nur der Stimme des Ehrgeizes folgenden Professor gern meine Hand. Zunächst galt es aber, an der Spitze der musikalisch gänzlich nichtigen Liedertafel, sämmtliche sächsische Männergesangvereine zu grossen Festaufführungen nach Dresden zu berufen. Zur Durchführung dieses Planes ward ein Comité niedergesetzt, welches Löwe, da es bald scharf herging, zu einem vollständigen Revolutionstribunal ausbildete, darin er, als die grosse Zeit der Erfüllung herannahte, Tag und Nacht in Permanenz präsidirte, und durch seinen rasenden Eifer meinerseits sich die Benennung » Robespierre« erwarb. Ich konnte mich glücklicherweise, trotzdem auch ich an die Spitze dieser Unternehmung gestellt war, seinem Terrorismus entziehen, da ich genügend durch Anfertigung einer grossen Composition, welche ich für die Festaufführung zugesagt hatte, in Anspruch genommen war. Mir war nämlich die Aufgabe zugetheilt worden, ein grösseres Stück für reinen Männergesang, welches möglichst die Zeit einer halben Stunde ausfüllen sollte, zu schreiben. Ich erwog, dass die ermüdende Monotonie des Männergesangs, welche selbst das Orchester nur wenig erfrischen sollte, einzig durch Anwendung dramatischer Motive erträglich zu machen war, und entwarf daher eine grössere Chorscene, zu welcher ich das Pfingstmahl der Apostel, mit der Ausgiessung des heiligen Geistes, in der Weise ausführte, dass das Ganze, mit völliger Umgehung wirklicher Solopartien, einzig nur von verschieden gegliederten Chormassen, wie der Zweck es erforderte, auszuführen war. Es entstand hieraus mein in neuerer Zeit hie und da zur Verbreitung gelangtes » Liebesmahl der Apostel«, welches ich, da ich es in einer gegebenen Zeit unter allen Umständen zu liefern hatte, gern unter die Rubrik der Gelegenheitscompositionen zu reihen erlaube. Nicht unerfreut blieb ich jedoch durch den Erfolg dieser Arbeit namentlich in den Proben, welche die Dresdener Sängerchöre allein unter meiner Leitung davon hielten. Als sich dann in der Frauenkirche, wo die Aufführung stattfand, aus ganz Sachsen 1200 nominelle Sänger zum Zweck des Vortrages meiner Composition um mich schaarten, überraschte mich dagegen die unverhältnissmässig geringe Wirkung, welche aus diesem unermesslichen menschlichen Körpergewirr an mein Ohr schlug, und die hierbei gemachten Wahrnehmungen von dem Thörigen solcher massenhaften Gesangsunternehmungen erweckten in mir für alle Zukunft einen entschiedenen Widerwillen gegen ein Befassen mit Aehnlichem. –

Die Dresdener Liedertafel gelang es mir nur mit grosser Mühe mir wieder vom Hals zu schaffen, was mir erst glückte, als ich dem Professor Löwe einen neuen Ehrgeizigen in der Person des Herrn Ferdinand Hiller zuführen konnte. Die glorreichste That, die ich im Verein mit dieser Gesellschaft vollbrachte, die endlich bewerkstelligte Uebersiedelung der Asche Weber's, welche allerdings noch zuvor erfolgte, werde ich später berühren. Jetzt sei nur noch einer andren Gelegenheitscomposition gedacht, zu welcher ich offiziell als königlicher Kapellmeister veranlasst wurde. Am 7. Juni dieses Jahres (1843) wurde nämlich, mit entsprechender Festlichkeit, das von Rietschl ausgeführte Monument für den König Friedrich August im Dresdener Zwinger enthüllt, und mir war, neben Mendelssohn, die Auszeichnung des Auftrags der Composition eines Festgesanges, sowie die Leitung der musikalischen Festaufführung zu Theil geworden. Ich hatte einen einfachen Männergesang mit bescheidener Tendenz zu Stande gebracht, während Mendelssohn die complicirtere Aufgabe zugefallen war, in dem von ihm zu komponirenden Männerchor noch das God save the King, auf sächsisch: » Heil Dir im Rautenkranz«, einzuweben. Er hatte dies durch ein contrapunktisches Kunststück in der Weise bewerkstelligt, dass von den ersten acht Takten seiner Original-Melodie ab eine Blech-Musik gleichzeitig das angelsächsische Volkslied blies. Mein einfacher Gesang scheint sich aus der Ferne ganz artig ausgenommen zu haben, wogegen ich erfuhr, dass der Effekt der gewagten Mendelssohn'schen Combination gänzlich verfehlt war, da Niemand verstanden, warum die Sänger nicht dasselbe gesungen hätten, was die Blech-Musik blies. Mendelssohn, der selbst zugegen gewesen war, hinterliess mir jedoch schriftlich die Bezeigung seines Dankes für die sorgfältig von mir angeordnete Ausführung seiner Composition; auch erhielt ich Seitens des hohen Comités der Festlichkeit eine, dem Werthe meines Männergesangsstückes vermuthlich entsprechende, goldene Tabatière, auf welcher sich zu meiner Ueberraschung ein Jagdstück so unvorsichtig gravirt fand, dass an mehreren Stellen das Metall davon durchbrochen war.

Unter allen diesen Zerstreuungen einer neuen und stark veränderten Lebenslage beschäftigte es mich, gegen diese Eindrücke, meiner innersten Erfahrung vom Wesen meiner Erfolge gemäss, mich zu sammeln und festzustellen. Schon im Mai, an meinem 30. Geburtstage, hatte ich die Dichtung des » Venusberges«, wie ich damals den »Tannhäuser« noch betitelte, vollendet. Zu wirklichen Studien über mittelalterliche Poesie war ich um jene Zeit allerdings noch nicht gelangt: die klassische Seite der mittelalterlichen Dichtungsart war mir nur noch aus meinen Jugenderinnerungen, sowie aus der flüchtig anregenden Bekanntschaft damit, welche ich zuletzt durch Lehrs' Mittheilungen in Paris gewonnen hatte, unklar aufgegangen. Die Gründung eines dauernden häuslichen Herdes, welche unter dem Schutze der lebenslänglichen königlichen Anstellung nun vor sich gehen sollte, gewann für mich namentlich grosse Bedeutung durch die Hoffnung, dass es mir nun möglich werden würde, die bisher durch das Theaterleben und das Elend meiner Pariser Jahre fast gänzlich unterbrochenen ernsteren Studien, nach einem sicheren und fruchtbringenden Plane aufnehmen zu können. In dieser Annahme wurde ich auch durch den Charakter meiner offiziellen Beschäftigungen bestärkt, da wirkliche Ueberhäufung von dieser Seite her nie eintrat, und ich von der Generaldirektion in diesem Betreff ausnahmsweise rücksichtsvoll behandelt wurde. Nur seit wenigen Monaten erst angestellt, ward mir bereits in diesem ersten Sommer ein Erholungsurlaub zugestanden, welchen ich zu einem abermaligen Aufenthalte in dem liebgewonnenen Töplitz, wohin ich meine Frau bereits vorausgeschickt hatte, verwendete.

Mit vollem Behagen empfand ich die seit dem vergangenen Jahre stattgefundene günstige Veränderung meiner Lage, indem ich in demselben Hause, in welchem ich damals bereits mich eng beholfen hatte, in der » Eiche« zu Schönau, diesmal vier geräumige Zimmer mit möglichster Bequemlichkeit bezog. Meine Schwester Klara stellte sich, von uns eingeladen, dort zum Besuche ein; auch meine gute Mutter, die ihrer gichtischen Affektionen wegen alljährlich die Bäder von Töplitz anwendete, fand sich wiederum mit uns zusammen. Ich selbst benutzte diese Zeit zum Genuss eines Mineralwassers, durch welches ich auf meine, seit dem Pariser Leben oft mich störenden Unterleibsbeschwerden, günstig zu wirken hoffte. Leider verspürte ich von dieser Kur das Gegentheil; und als ich über die entstandene, peinigende Aufgeregtheit mich beklagte, erfuhr ich allerdings, dass ich nicht zum Gebrauch einer Brunnenkur gemacht war: man hatte mich nämlich auf meinen Morgenpromenaden, während ich mein Wasser trank, im ungestümsten Gang durch die Laubwege des nahe gelegenen Thurnischen Gartens dahinjagend beobachtet, und gab mir zu verstehen, dass solch eine Kur nur bei gemächlichster Ruhe und behaglichstem Schlendern gedeihlich wirken könnte. Ausserdem bemerkte man, dass ich immer ein ziemlich starkes Buch mit mir herumtrug, mit welchem ich an einsamen Orten neben der Mineralwasserflasche ausruhte. Diess war J. Grimm's »deutsche Mythologie«. Wer dieses Werk kennt, kann begreifen wie sein ungemein reicher, von jeder Seite her angehäufter, und fast nur für den Forscher berechneter Inhalt auf mich, der ich überall nach bestimmten, deutlich sich ausdrückenden Gestalten verlangte, zunächst aufregend wirkte. Aus den dürftigsten Bruchstücken einer untergegangenen Welt, von welcher fast gar keine plastisch erkennbaren Denkmale übrig blieben, fand ich hier einen wirren Bau ausgeführt, der auf den ersten Anblick durchaus nur einem rauhen, von ärmlichem Gestrüpp durchflochtenen Geklüfte glich. Nach keiner Seite hin etwas fertiges, nur irgendwie einer architektonischen Linie gleichendes antreffend, fühlte ich mich oft versucht, die trostlose Mühe, hieraus mir etwas aufzubauen, aufzugeben. Und doch war ich durch wunderbaren Zauber festgebannt: die dürftigste Ueberlieferung sprach urheimathlich zu mir, und bald war mein ganzes Empfindungswesen von Vorstellungen eingenommen, welche sich immer deutlicher in mir zur Ahnung des Wiedergewinnes eines längst verlorenen, und stets wieder gesuchten Bewusstseins, gestalteten. Vor meiner Seele baute sich bald eine Welt von Gestalten auf, welche sich wiederum so unerwartet plastisch und urverwandt kenntlich zeigten, dass ich, als ich sie deutlich vor mir sah und ihre Sprache in mir hörte, endlich nicht begreifen konnte, woher gerade diese fast greifbare Vertrautheit und Sicherheit ihres Gebahrens kam. Ich kann den Erfolg hiervon auf meine innere Seelenstimmung nicht anders als mit einer vollständigen Neugeburt bezeichnen, und wie wir an den Kindern die berauschende Freude am jugendlich ersten, neuen, blitzschnellen Erkennen mit Rührung bewundern, so strahlte mein eigener Blick vom Entzücken über ein ähnliches, wie durch Wunder mir ankommendes Erkennen einer Welt, in welcher ich bisher nur ahnungsvoll blind, wie das Kind im Mutterschoosse mich gefühlt hatte.

Die Wirkung hiervon kam zunächst meiner Absicht, schon etwas von der Musik des »Tannhäuser's« zu entwerfen, nicht sonderlich zu statten; ich hatte mir ein Klavier in die »Eiche« stellen lassen, zerschlug alle Saiten darauf, dennoch wollte nichts rechtes heraus kommen. Mit Mühe und Noth entwarf ich die erste Musik des Venusberges, da ich glücklicherweise schon früher die Hauptmotive davon im Kopfe herumgetragen. Dagegen beklagte ich mich viel über Aufgeregtheit und Blutandrang nach dem Gehirn, bildete mir mitunter ein ich sei krank, und blieb Tage lang im Bett, las die deutschen Sagen von Grimm, nahm immer wieder die unbequeme Mythologie vor, und war froh als ich endlich auf den Gedanken kam, durch einen Ausflug nach Prag von allen Plagen meines Zustandes mich frei zu machen. Im offenen Wagen legte ich mit meiner Frau, mit welcher ich schon einmal den Milischauer Berg bestiegen hatte, diese angenehme Reise zurück, war wieder im beliebten »schwarzen Ross«, traf meinen Freund Kittl gehörig dick geworden an, machte Ausflüge, freute mich der alten phantastischen Stadt, erfuhr auch zu meiner Freude, dass meine schönen Jugendgenossinnen, Jenny und Auguste Pachta, wirklich glückliche Heirathen in die allerhöchste Aristokratie gemacht hatten, fand dass alles vortrefflich war, und wandte mich nun zum Wiederantritt meiner königlich sächsischen Kapellmeisterfunktionen nach Dresden zurück.

Hier ging es nun an die Niederlassung, an die Herrichtung und Einrichtung einer geräumigen, hübsch gelegenen Wohnung an der Ostra-Allee mit der Aussicht auf den Zwinger. Alles wurde gründlich und gut angeschafft, wie es sich gehörte, wenn ein dreissigjähriger Mensch sich für sein ganzes Leben endlich dauernd ansiedelt. Da ich von keiner Seite her irgend welche Entschädigung hierfür erhielt, hatte ich natürlich die nöthigen Fonds nur gegen Zinsen aufzunehmen; noch stand ja eigentlich die wahre Ausbeute meines Dresdener Opernerfolges in Aussicht: was war natürlicher, als dass ich alles bald reichlich einbringen würde? Drei Hauptstücke machten mir meine schmucke Kapellmeisterwohnung vor allem werth: ein Breitkopf- und Härtel'scher Concertflügel, den ich mit Stolz mir als Eigenthum zu gewinnen verstand; dann über einem stattlichen Schreibpult, welcher jetzt im Besitz des Kammermusiker Otto Kummer ist, das Cornelius'sche Titelblatt zu den Nibelungen, in einem schönen gothischen Rahmen, – das einzige Stück, welches sich bis auf den heutigen Tag treu mir erhalten hat; vor allem aber ward mein Haus mir innig heimisch durch eine Bibliothek, welche ich sofort, nach dem Plane der mir vorgesetzten Studien durchaus systematisch verfahrend, auf einmal mir anschaffte. Diese Bibliothek ging bei dem Zusammensturz meiner Dresdener Existenz auf sonderbare Weise in den Besitz des Herrn Heinrich Brockhaus, welchem ich um jene Zeit 500 Thaler schuldete, und der sie für diese Forderung, von welcher meine Frau keine Ahnung hatte, ohne ihr Wissen pfändete, über, und nie wurde es mir möglich diese charakteristische Sammlung von ihm zurückzugewinnen. Am Vorzüglichsten war hierin die altdeutsche Litteratur vertreten, und das ihr zunächst verwandte Mittelalterliche überhaupt, wobei es zur Anschaffung manch kostbaren Werkes, z. B. der seltenen alten Romans des douze pairs, kam. Hieran reihten sich die guten Geschichtswerke des Mittelalters, sowie des deutschen Volkes überhaupt; zugleich aber sorgte ich für die poetische und klassische Litteratur aller Zeiten und Sprachen, worunter ich italienische Dichter, wie auch den Shakespeare, neben den Franzosen, deren Sprache ich zur Noth mächtig war, im Original mir zulegte, in der Hoffnung, ich würde Zeit genug finden, die vernachlässigten Sprachen auch noch gründlich zu erlernen. Das griechische und römische Alterthum musste ich mir durch unsere klassisch gewordenen Uebersetzungen leicht zu machen suchen, da ich schon am Homer, den ich mir im Griechischen beilegte, gewahr wurde, dass ich neben meiner Kapellmeisterei doch auf etwas zu viel Musse rechnen würde, wenn ich auch für den Wiedergewinn meiner früheren Kenntniss der griechischen Sprache Zeit haben wollte; denn ausserdem sorgte ich auf das Gründlichste für allgemeines Geschichtsstudium überhaupt, und unterliess hierfür nicht mit den bändereichsten Werken mich vorzusehen. So ausgerüstet glaubte ich nun den Widerwärtigkeiten, welchen ich für meinen Beruf und meine Stellung unverhohlen entgegensah, genügend Trotz bieten zu können, und zog in der Hoffnung auf einen langen und ruhigen Genuss eines endlich gewonnenen Heimwesens, mit bester Laune im Oktober dieses Jahres (1843) in meine, wenn auch durchaus nicht prunkende, aber doch stattliche und solide Kapellmeisterwohnung ein.

Die erste Musse, welche ich neben meinen Berufsgeschäften und meinen von nun an mit grosser Liebe betriebenen Studien, im Genusse meines neuen Hauswesens gewann, verwendete ich jetzt auf die Composition des » Tannhäuser«, von welchem der erste Akt im Januar des neuen Jahres 1844 beendigt wurde. Dieser Winter, von dem mir in Betreff meiner Dresdener Wirksamkeit wenig prägnante Erinnerung geblieben ist, zeichnete sich hauptsächlich durch zwei auswärtige Unternehmungen aus, von welchen die erste sogleich im Beginn des neuen Jahres mich zu der Aufführung meines »fliegenden Holländer's« nach Berlin, die zweite später, im März, zu der des »Rienzi« nach Hamburg führte.

Am kenntlichsten sind mir die Eindrücke der ersten Unternehmung geblieben. Ich war ganz unversehens durch die Nachricht des Berliner Theaterintendanten, Herrn von Küstner, von einer bevorstehenden ersten Aufführung des »fliegenden Holländer« überrascht worden: da das vor ungefähr einem Jahre abgebrannte Opernhaus noch nicht wieder zu Vorstellungen benutzt werden konnte, hatte ich, die Zeit der Wiedereröffnung desselben ruhig abwartend, keinerlei Mahnung wegen meiner Oper nach Berlin abgehen lassen. In Folge der üblen scenischen Darstellung meines Werkes in Dresden, und da ich wohl erkannte, von welcher Wichtigkeit meinem dramatischen Seegemälde eine sorgsame und schöne Ausführung der schwierigen scenischen Darstellung sei, hatte ich gerade auf die vorzüglichen Uebungen und Bereitschaften der Mise en Scène des Berliner Operntheaters gerechnet, und war somit höchst ärgerlich über diese von der Berliner Intendanz beliebte Verwendung meiner Oper als Lückenbüsser für die Vorstellungen in dem auch interimistisch für die Oper benutzten Schauspielhause. Eine Remonstration hiergegen half aber nichts, da man mir nicht etwa anzeigte, dass die Oper einstudiert werden sollte, sondern dass sie einstudiert sei, und nächster Tage in Scene gehen werde. In dieser Verfügung lag allerdings die Verurtheilung meiner Oper zu einer bloss vorübergehenden Erscheinung im Berliner Repertoire ausgedrückt, da nicht vorauszusetzen war, dass man sie für das später zu eröffnende Opernhaus neu in Scene setzen würde. Dagegen machte man mir die Sache dadurch plausibel, dass diese Aufführung des »fliegenden Holländer's« mit einem grösseren Gastspiele der Schröder-Devrient, welches um diese Zeit in Berlin begann, in Zusammenhang gebracht wurde, indem man annahm, es müsse mir lieb sein, die grosse Künstlerin darin auftreten zu sehen. Ich konnte mir somit auch sagen, meine Oper sei als vorübergehende Hilfserscheinung für das Gastspiel der Schröder-Devrient hervorgesucht worden, weil man im Betreff ihres Repertoires in Verlegenheit war, welches meist nur aus sogenannten grossen, für das Opernhaus reservirten Opern – namentlich auch den Meyerbeer'schen – sich zusammenstellte, und man diese eben für eine besonders glänzende Zukunft im neuen Hause sich aufbewahrte. Somit erkannte ich von vornherein, dass mein »fliegender Holländer« von der Intendanz des Berliner Hoftheaters in die Rubrik der Kapellmeister-Opern, mit der Vorausbestimmung des gewohnten Schicksals derselben, gestellt worden war. Alle mir und meinem Werke zu Theil werdende Behandlung entsprach dieser entmuthigenden Annahme. Im Hinblick auf die zu verhoffende Mitwirkung der Schröder-Devrient bekämpfte ich aber dieses widrige Vorgefühl, und reiste nach Berlin, um nach Kräften für das Gelingen der Aufführung zu wirken. Ich erkannte sofort, dass meine Gegenwart sehr nöthig war; am Dirigentenpulte traf ich einen Mann, der sich Kapellmeister Henning (oder Henniger) nannte, einen durch redliche Beobachtung des Anciennetätsgesetzes aus den Reihen der gewöhnlichen Musiker aufgerückten Funktionär, welcher an und für sich vom Orchesterdirigieren wenig, von meiner Oper aber auch nicht die mindeste Vorstellung hatte. Ich stellte mich selbst an den Pult, dirigirte die Generalprobe und zwei Aufführungen, in welchen jedoch die Schröder-Devrient noch nicht mitwirkte, hatte mich zwar über die schwach besetzten Saiten-Instrumente und den daraus erfolgenden gemeinen Klang des Orchesters viel zu kränken, konnte aber nicht umhin mit den Darstellern, sowohl was ihre Befähigung als was ihren Eifer betraf, wohl zufrieden, von der vortrefflichen Mise en Scène, unter der Leitung des wirklich geistvollen Regisseurs Blum und der Mitwirkung sehr geübter und erfindungsreicher Maschinisten, auf das Freudigste überrascht zu sein.

Ich war nun sehr begierig zu erfahren, wie diese mich so angenehm ermuthigenden Dispositionen durch die endliche Aufführung auf das Berliner Publikum wirken würden. Was ich in diesem Betreff erlebte, war sehr sonderbar. Offenbar galt ich dem zahlreich versammelten Auditorium nur als ein Problem für die Art und Weise, in welcher man mich schlecht finden würde: im Verlaufe des ersten Aktes schien sich die Ansicht dahin zu bestimmen, dass ich unter die Rubrik der Langweiligen gehörte; es rührte sich keine Hand, und später versicherte man mir, das sei ein grosses Glück gewesen, weil der mindeste Versuch von Beifall sogleich als bezahlte Parteinahme aufgefasst und auf das energischste bekämpft worden sein würde. Nur Herr von Küstner versicherte mir späterhin, dass er, trotz dieses immerhin glücklichen Ausbleibens alles Beifalls, die Haltung bewundert hätte, mit welcher ich nach diesem ersten Akte das Orchester verliess und auf der Bühne mich zeigte. Allerdings nicht geneigt, durch mangelnden Beifall, sobald ich mit der Aufführung selbst zufrieden war, mich entmuthigen zu lassen, wusste ich aber auch, dass die entscheidende Wirkung meiner Oper erst im zweiten Akte lag, und für dessen guten Ausfall eifrig zu sorgen, lag mir mehr am Herzen, als über die Gründe der Haltung des Berliner Publikums nachzudenken. Hier brach denn nun wirklich das Eis; auch das Publikum schien sein Erwägen der mir gebührenden Rubrik aufzugeben, und liess sich zu steigendem Beifall, ja zu lautestem Enthusiasmus am Schlusse des zweiten Aktes hinreissen. Ich führte unter stürmischem Hervorruf auf dem Proscenium den üblichen Dankesreigen mit meinen Sängern aus, und da der dritte Akt zu kurz war, um Langeweile aufkommen zu lassen, auch die scenische Wirkung neu und ergreifend sich herausstellte, konnten wir bei dem wiederholten Beifallsausbruche auch am Schlusse des Werkes nicht anders glauben, als dass wir einen wahrhaften Sieg erfochten hätten. Mendelssohn, welcher um jene Zeit in Berlin mit Meyerbeer zugleich Generalmusikdirektions halber sich aufhielt, hatte der Vorstellung in einer Prosceniumsloge beigewohnt, mit bleichem Gesicht den Vorgang verfolgt, und nahte sich mir jetzt, um mit accentloser Bonhomie mir zuzulispeln: » Nun, Sie können ja zufrieden sein!«. Ich sah ihn während der Zeit meines kurzen Aufenthaltes in Berlin mehrere Male, brachte auch einen Abend im Genusse verschiedener Kammermusiken bei ihm zu; nie kam ein weiteres Wort über den »fliegenden Holländer« über seine Lippen, ausser Erkundigungen nach der zweiten Vorstellung, ob die Devrient singen würde oder sonst wer; wogegen ich allerdings auch erfuhr, dass er meine mit aufrichtiger Wärme ihm gemachten Erwähnungen seiner Musik zum Sommernachtstraum, welche damals gleichzeitig häufig gegeben und von mir zum ersten Mal gehört wurde, ebenso beachtungslos erwiederte, und nur über den Schauspieler Gern, welcher den »Zettel« gab und nach seiner Meinung zu stark auftrug, sich etwas eingehend äusserte. –

Nach wenigen Tagen kam mit derselben Besetzung eine zweite, noch von mir dirigirte Aufführung zu Stande. Was ich an diesem Abende erlebte, war nun aber ungleich sonderbarer als das Frühere. Offenbar hatte ich durch die erste Aufführung einige Freunde gewonnen, welche wiederum zugegen waren, denn nach der Ouvertüre begann man zu applaudiren; dagegen aber wurde stark gezischt, und den ganzen Abend wagte sich kein Applaus mehr hervor. Mein alter Freund Heine war aus Dresden angekommen, um im Auftrage der Direktion die scenische Einrichtung des Sommernachtstraumes für unser Theater zu studiren, und hatte dieser zweiten Aufführung beigewohnt. Er hatte mich geworben, die Einladung eines seiner Berliner Verwandten zum gemeinschaftlichen Abendessen nach dieser Aufführung in einer Weinstube unter den Linden anzunehmen. Sehr erschöpft folgte ich dorthin in ein garstiges, schlecht erleuchtetes Lokal, trank den eingeschenkten Wein, um mich zu erwärmen, mit hastigem Unmuth hinunter, hörte die verlegenen Gespräche meines gutmüthigen Freundes und seines Begleiters an, und stierte vor mir hin auf die Tageszeitungen, in welchen ich die Recensionen der ersten Aufführung meines fliegenden Holländer's, wie sie an eben diesem Tage erschienen waren, zu lesen volle Musse hatte. Ein hässliches Wehe durchschnitt mein Herz, als ich diesen nichtswürdigen Ton und diese beispiellose Unverschämtheit der wüthendsten Ignoranz zum ersten Mal mit meinem Namen und meinem Werke sich befassend, kennen lernte. Unser Berliner Gastfreund, ein breiter Philister, sagte: das habe er gewusst, wie es heute im Theater stehen würde, nachdem er am Morgen diese Recensionen bereits gelesen; erst warte der Berliner ab, was Rellstab und Genossen sagten, und dann wüsste er, wie er sich zu benehmen hätte. Der sonderbare Mann wollte mich nun durchaus aufheitern, und schaffte eine Weinsorte nach der andern herbei; Freund Heine suchte Erinnerungen an die Freuden unsrer Dresdener Rienzizeit hervor; schwankend, mit wüstem Kopfe, ward ich endlich von Beiden nach meinem Gasthofe heimbegleitet. Es war Mitternacht geworden. Als mir vom Kellner in dunklen Gängen nach meinem Zimmer hin geleuchtet wurde, stellte sich mir ein Herr in schwarzer Kleidung, mit blassem feinem Gesichte entgegen, welcher erklärte mich zu sprechen zu wünschen. Er versicherte bereits seit dem Ende der heutigen Vorstellung auf mich gewartet, und in dem Entschlusse, jedenfalls mich noch zu sprechen, bis jetzt ausgeharrt zu haben. Ich entschuldigte mich, zu jeder Art von Geschäft untauglich zu sein, da, wie er bemerken könnte, ich, ohne gerade der Heiterkeit mich hinzugeben, unvorsichtiger Weise etwas zu viel Wein getrunken hätte. Ich brachte diess mit stammelnder Stimme hervor; um so weniger liess mein sonderbarer Besuch sich von mir zurückweisen; er begleitete mich auf mein Zimmer, und erklärte gerade jetzt nöthiger als je mit mir zu sprechen zu haben. Wir setzten uns in der kalten Stube beim dürftigen Scheine einer Kerze nieder, und er eröffnete mir nun in sehr fliessender, eindringlicher Rede, dass auch er der heutigen Aufführung des »fliegenden Holländers« beigewohnt habe, und wohl begreifen könne, in welche Stimmung das heute Erlebte mich versetzt haben müsse; eben deshalb habe er sich durch nichts abhalten lassen, mich heute noch zu sprechen, um mir zu sagen, dass ich mit dem »fliegenden Holländer« ein unerhörtes Meisterwerk geschrieben hätte, und dass es übel wäre, wenn ich von diesem Abende an, wo er durch die Bekanntschaft mit diesem Werke eine neue und ungeahnte Hoffnung für die Zukunft der deutschen Kunst gefasst habe, dem mindesten Gefühle der Entmuthigung durch die nichtswürdige Aufnahme, welche ich vor dem Berliner Publikum gefunden, nachgeben würde. Mir standen die Haare zu Berge: ein Hoffmann'sches Phantasiestück war leibhaftig in mein Leben getreten; ich konnte nichts hervorbringen, als noch nach dem Namen meines Besuchs zu fragen, worüber er verwundert schien, da ich mich Tags zuvor doch schon bei Mendelssohn mit ihm unterhalten habe: eben dort sei ihm meine Unterhaltung und mein Benehmen sehr aufgefallen; er habe plötzlich bereut, seinem Widerwillen gegen Opern durch Nichtbesuch der ersten Aufführung des fliegenden Holländers nachgegeben zu haben, und habe sich gelobt die zweite nicht zu versäumen; er sei Professor Werder. Das galt mir für nichts; er musste mir seinen Namen aufschreiben. Er suchte Papier und Tinte, erfüllte meinen Wunsch, und schied von mir, der ich nun besinnungslos zu einem tiefen kräftigen Schlaf mich in's Bett warf. Am andren Morgen war ich frisch und gesund, empfahl mich noch der Schröder-Devrient, welche mit Nächstem dem fliegenden Holländer noch beizukommen versprach, erhielt meine 100 Dukaten Honorar, und reiste über Leipzig, wo ich mit meinen Dukaten die während meiner erwartungsvollen ersten Dresdener Periode zum notdürftigsten Unterhalt von meinen Verwandten mir gemachten Vorschüsse zurückerstattete, nach Dresden zurück, um mich bei meinen Büchern wieder wohl zu fühlen, und dem grossen Eindrucke des Werder'schen Nachtbesuches nachzusinnen.

Eine wirkliche Einladung erhielt ich noch vor Ende des gleichen Winters nach Hamburg, zur Aufführung des Rienzi, durch den unternehmenden Direktor Cornet, welcher, wie er mir gestand, gegen eine missliche Wendung seiner Theaterführung anzukämpfen hatte, und eines grossen Erfolges bedurfte, den er sich vom »Rienzi«, nachdem er ihn in Dresden gehört, erwarten zu dürfen glaubte. So begab ich mich im März dahin auf die Reise, welche um diese Zeit noch ziemlich beschwerlich war, da sie von Hannover aus noch mit Post und vermöge eines nicht gefahrlosen Ueberganges über die eistreibende Elbe zurückgelegt werden musste. Die Stadt Hamburg war in Folge des grossen Brandes in ihrem Wiederaufbau begriffen, und zeigte noch grosse mit Trümmern bedeckte Flächen in ihrer Mitte. Kälte und ein stets bedeckter Himmel machten mir die spätere Erinnerung an meinen etwas längeren Aufenthalt daselbst zu einer fast nur widerwärtigen. Ich quälte mich in den Proben mit schlecht bestellten, nur auf den gemeinsten Theaterflitter berechneten Mitteln in der Weise ab, dass ich, erschöpft und steten Erkältungen ausgesetzt, meine Ruhezeit fast nur im einsamen Gasthofzimmer zubrachte. Meine frühesten Erfahrungen von übel begründetem, seichtem Theaterwesen traten von Neuem an mich heran. Besonders niederdrückend war es mir, gewahr zu werden, dass ich in das Interesse der niedrigsten Tendenzen des Direktors Cornet als unbewusster Mitschuldiger gezogen war. Er hatte es durchaus nur auf ein gemeines Verblüffen abgesehen, und mir sollte der Erfolg davon seiner Meinung nach gut bekommen, indem er mich, neben einem geringeren Honorar, auf zukünftige Tantièmen verwies. Die Würde der scenischen Ausstattung, wie er sie seinerseits auch gar nicht begriff, wurde vollständig dem lächerlichsten Flitterschein aufgeopfert, und durch vielerlei Aufzüge, zu welchen er die Costüme von allen vorräthigen Feenballets verwendete, glaubte er, wenn sie nur recht bunt aussähen, und recht viel Menschen dabei über die Scene zögen, das Hauptsächlichste zu meinem Erfolge zu liefern. Das Traurigste war der Sänger der Titelrolle, ein älterer, schwammiger, stimmloser Tenorist, Herr Wurda, welcher den Rienzi mit dem Ausdruck seiner Lieblingsparthie, des »Elvino« in der »Somnambula«, sang. Er war so unausstehlich, dass ich auf den Einfall gerieth, bereits im zweiten Akte das Capitol zusammenbrechen zu lassen, um ihn in dessen Trümmern zu begraben, womit allerdings auch verschiedene, dem Direktor an das Herz gewachsene, Aufzüge verloren gegangen wären. Eine einzige Sängerin machte mir Hoffnung, und erfreute mich durch vieles Feuer in der Rolle des »Adriano«; es war dies eine Mme Fehringer, welche später, als sie bereits untergegangen war, von Liszt noch als »Ortrud« für den »Lohengrin« in Weimar verwendet wurde. Nichts Jammervolleres als dieses mein Befassen gerade mit dieser meiner Oper, und unter diesen Umständen. Ein äusserer Misserfolg ward jedoch eigentlich nicht bemerklich; der Direktor hoffte jedenfalls den Rienzi so lange auf dem Repertoir zu halten, bis Tichatschek kommen und den Hamburgern den richtigen Begriff davon beibringen würde, was auch wirklich im folgenden Sommer vor sich ging.

Herr Cornet bemerkte meine Niedergeschlagenheit und üble Laune, und da er herausbrachte, dass ich meiner Frau einen Papagei zu schenken wünschte, wusste er es zu veranstalten, dass ein sehr liebenswürdiges Exemplar dieser Vogelgattung für mich als Benefice abfiel. Ich führte ihn in seinem engen Käfig auf der traurigen Rückreise mit mir, und war sehr gerührt als ich bemerkte, dass er meine Sorgfalt für ihn mit schnell erklärter grosser Anhänglichkeit an mich erwiederte. Minna empfing mich in Folge dessen mit grosser Freude, denn an diesem schönen grauen Papagei ward es doch ersichtlich, dass ich es in der Welt zu etwas bringen sollte. Zu einem sehr hübschen Hündchen, welches am Tage der ersten Probe des Rienzi in Dresden bei unsrer Hauswirthin zur Welt gekommen war, und welches wegen seiner leidenschaftlichen Anhänglichkeit an mich, und um sonstiger auffallender Eigenschaften willen von Allen, welche in jenen Jahren mich und mein Haus kannten, vorzüglich beachtet worden ist, kam nun noch dieser gemüthliche Vogel, welcher keinerlei Unarten besass und sehr gelehrig war, um unsre Wohnung, statt der fehlenden Kinder, zu beleben. Meine Frau lehrte ihn bald ein Hauptstückchen aus Rienzi, mit welchem der freundliche Vogel mich stets schon aus der Ferne begrüsste, wenn er mich auf der Treppe kommen hörte.

So schien denn mein häuslicher Herd ganz nach Möglichkeit zum gemüthlichen Auskommen hergerichtet.

Weitere Ausflüge zu Aufführungen meiner Opern fanden nun aber nicht mehr statt, vor allem aus dem Grunde, weil es von jetzt an nicht mehr zu einer solchen Aufführung kam. Da ich wohl merkte, dass es mit der Verbreitung meiner Werke über die Theater ganz besonders langsam vorwärts gehe, glaubte ich die Schuld hiervon auch dem beimessen zu müssen, dass noch keine Klavierauszüge von meinen Opern zu ihrer Verbreitung beigetragen hatten. Ich vermeinte daher gut zu thun, wenn ich um jeden Preis die Veröffentlichung derselben jetzt energisch betriebe. Um mir zu gleicher Zeit den nothwendig noch verhofften Gewinn hieraus zu versichern, kam ich auf den Gedanken, sie auf meine eignen Kosten herauszugeben. Ich nahm deshalb mit dem Dresdener Hofmusikalienhändler F. Meser, welcher es bis dahin noch nie über die Herausgabe eines Tanzes gebracht hatte, die nöthige Verabredung, und bedang mit ihm contraktlich, dass er mit seiner Firma als Scheinverleger meiner Opern eintreten sollte, wogegen er in Wahrheit nur die Verlagscommission davon, gegen einen Gewinn von zehn Procent, zu übernehmen, und ich die Capitalien zur Bestreitung der Kosten zu beschaffen hätte. Da es sich um die Herausgabe zweier Opern, unter denen ein so ausnahmsweise umfangreiches Werk als der Rienzi sich befand, handelte, und der Vertrieb nur dann rentabel zu werden versprechen konnte, wenn ausser der gewöhnlichen Klavierauszüge auch andre Arrangements, wie solche ohne Worte, zu zwei und vier Händen, veröffentlicht würden, so stellte sich heraus, dass es hierzu ziemlich bedeutender Capitalien bedürfe. Um also zu den Einnahmen zu gelangen, welcher ich für die Wiedererstattung der bereits erwähnten, zur Erledigung älterer Verpflichtungen und zur Bestreitung meiner Niederlassung aufgenommenen Summen bedurfte, musste ich nun erst nach viel grösseren Geldmitteln mich noch umsehen. Der Schröder-Devrient, welche um jene Zeit (zu Ostern 1844) zum Antritt eines neuen Engagements wieder nach Dresden zurückkehrte, theilte ich mein Vorhaben und dessen Motive mit. Sie glaubte an die Zukunft meiner Werke, erkannte das Besondre meiner Lage, sowie die Richtigkeit meiner Berechnungen, und erklärte, ohne darin irgend ein Opfer ersehen zu wollen, ihre Bereitwilligkeit, zur Herausgabe meiner Opern die nöthigen Capitalien von ihrem eignen, in polnischen Staatspapieren angelegten Vermögen, gegen die entsprechende Verzinsung zur Verfügung zu stellen. Diess ging so einfach vor sich, und schien sich so ganz von selbst zu verstehen, dass ich nun sofort mit einem Leipziger Graveur die nöthigen Uebereinkünfte treffen, und die Herausgabe meiner Opern in Angriff nehmen liess.

Als die in unsrem Auftrage gelieferten Arbeiten bereits zu bedeutenden Ansprüchen auf Zahlungen geführt hatten, meldete ich mich nun bei meiner Freundin um einen ersten Capital-Vorschuss. Hier traf ich aber jetzt auf eine neue Lebensphase der berühmten Frau, welche zu einer durchaus unerwarteten, und für mich höchst verderblichen Situation führte. Nachdem sie mit jenem unglücklichen Herrn von Münchhausen bereits seit länger gänzlich gebrochen hatte, und, wie es schien, mit reumüthiger Wärme in ihr früheres Verhältniss zu meinem Freunde Hermann Müller zurückgekehrt war, ergab es sich nun, dass sie für ihr Bedürfniss durch diese neue Anknüpfung keine eigentliche Befriedigung fand. Dagegen ging ihr in einem neuen Gardelieutenant der eigentlich ersehnte Stern ihres Lebens auf; denn mit einem Ungestüm, in welchem ihr das verrätherischeste Benehmen gegen ihren älteren Freund grauenhaft leicht fiel, erwählte sie sich diesen schlanken jungen Mann, dessen moralische und intellektuelle Missbeschaffenheit aller Welt offen lag, zum beabsichtigten Liebesschlussstein ihres Lebens. Dieser betrachtete das ihm gewordene Glück auch mit solchem Ernst, dass er keinerlei Scherz dabei verstand und vor allen Dingen sich des Vermögens seiner zukünftigen Gattin bemächtigte, da er fand, dass es sehr unvortheilhaft und unsicher angelegt sei und er bei weitem ergiebigere Wege hierfür kenne. Meine Freundin eröffnete mir unter grossen Peinen und verlegenen Erklärungen, dass sie über ihre Kapitalien sich der Verfügung begeben habe und ausser Stande sei, ihr mir gegebenes Versprechen zu erfüllen. – Mit dieser Wendung trat ich in einen Kreis von Verwirrungen und Nöthen, welche von da ab unablässig mein Leben beherrschten und mich in Sorgen stürzten, die allen meinen Unternehmungen ein trauriges Merkmal aufdrückten. Es war zunächst ersichtlich, dass ich das Unternehmen nicht mehr rückgängig machen konnte; eine befriedigende Lösung der bereits entstandenen Verwirrung war immer nur noch in der Durchführung des Unternehmens und der Versicherung seines Erfolges zu verhoffen. So musste ich denn darauf bedacht sein zunächst von Bekannten, endlich in drängenden Fällen aber auf jede Weise selbst für kurze Termine und gegen Wucherzinsen, die nöthigen Gelder zur Fortsetzung der Herausgabe meiner Opern, zu welchen consequenter Weise bald auch noch der »Tannhäuser« kam, aufzutreiben. Diese Andeutungen für jetzt, um auf die Katastrophen vorzubereiten, denen ich so unaufhaltsam entgegen ging.

Anfänglich verdeckte sich immerhin noch das Hoffnungslose meiner Lage, da an der endlichen Verbreitung meiner Opern über die deutschen Theater, mit der es ja, allen Erfahrungen von dem Zustande des deutschen Theaterwesens nach, nur langsam vor sich gehen konnte, doch keineswegs zu verzweifeln war. Neben den widrigen Erfahrungen an Berlin und Hamburg kam auch manches ermuthigende Anzeichen auf. Vor Allem erhielt sich in Dresden der »Rienzi« stets in vollster Gunst des Publikums, welches namentlich in den Sommermonaten durch die zahlreichen, von aller Welt her Dresden durchreisenden Besucher eine unläugbar grössere Bedeutung annahm. Meine Oper, die sonst noch nirgends zu hören war, wurde von den Fremden aller deutschen und ausserdeutschen Länder angelegentlich verlangt und stets mit merklich überraschender Befriedigung von ihnen aufgenommen, so dass eine Aufführung des »Rienzi«, namentlich auch eben im Sommer, stets einer berauschenden Festlichkeit glich, deren Wirkung nur ermuthigend auf mich sein konnte.

Unter solchen Durchreisenden hatte sich dereinst auch Liszt befunden. Da der »Rienzi« zur Zeit seiner Ankunft nicht auf dem Repertoir stand, hatte er durch seine eindringliche Bitte die Generaldirektion zur Anordnung einer besonderen Aufführung derselben vermocht. Ich traf ihn während der Vorstellung in der Garderobe Tichatschek's und ward durch seine in bestimmtester Fassung kundgegebene, fast verwunderungsvolle Anerkennung auf das herzlichste erwärmt und gerührt. Brachte es auch der eigenthümliche Lebenszug, in welchem sich Liszt damals befand und der ihn in steter Umgebung zerstreuender und aufregender Elemente erhielt, mit sich, dass es bei dieser Gelegenheit noch zu keiner ergiebigeren Annäherung zwischen uns kam, so erhielt ich doch von nun an stets sich mehrende Zeugnisse für den nachhaltigen Ernst des Eindruckes, welchen ich auf ihn gemacht hatte, sowie der energischen Theilnahme, mit welcher er diesen festhielt, da bald aus dieser, bald aus jener Weltgegend, wohin seine fortdauernden Triumphzüge ihn führten, meist den höheren Kreisen angehörige Menschen mir zukamen, welche den »Rienzi« in Dresden zu hören verlangten, da sie durch die Mittheilungen Liszt's hierüber, auch wohl durch sein Vorspiel einzelner Stücke daraus, in dem Sinne auf mein Werk hingewiesen worden waren, dass sie etwas unerhört Bedeutendes sich davon erwarteten. – Zu diesen Kundgebungen der enthusiastischen Freundestheilnahme Liszt's kamen andere innig berührende Annäherungen. Der überraschenden Eröffnung durch den nächtlichen Besuch Werder's nach jener zweiten Berliner Aufführung des »fliegenden Holländers« folgte, in einem schönen Zusammenhange hiermit, nach kurzer Zeit der briefliche Erguss einer ebenfalls vollständig Unbekannten, der seitdem mir zur treuen Freundin gewonnenen Alwine Frommann. Sie hatte nach meinem Fortgang von Berlin noch die Schröder-Devrient zweimal im »fliegenden Holländer« gehört, und der Brief, in welchem sie sich über den Eindruck meines Werkes auf sie aussprach, theilte mir zum ersten Mal die energischen und innigen Empfindungen einer gläubigen und grossen Anerkennung mit, wie sie auch dem grössten Meister stets nur selten, und dann nicht ohne bedeutenden Einfluss auf sein Gemüth und seine des Glaubens an sich selbst bedürftige Seele, vorkommen werden.

Von meinen Leistungen in dem mir allmälich gewohnter werdenden Wirkungskreise während dieses verflossenen ersten Jahres meiner Kapellmeisteranstellung ist mir keine besonders anregende Erinnerung verblieben. Zur Feier des Antrittes meiner Funktionen war mir, gewissermassen als Auszeichnung, die Gluck'sche Armida übergeben worden, welche noch im März 1843, vor dem zeitweiligen Fortgang der Schröder-Devrient, mit ihr zur Darstellung kam. Auf diese Aufführung wurde ein besonderes Gewicht aus dem Grunde gelegt, dass ganz gleichzeitig Meyerbeer seine Funktionen als Generalmusikdirektor in Berlin mit der Aufführung desselben Werkes antrat. Namentlich von Berlin her stammte der ganz besondere Respekt vor einer solchen auf Gluck bezüglichen Unternehmung; man erzählte mir, dass Meyerbeer mit der Partitur der »Armide« zu Rellstab gegangen sei, um von diesem sich die Anleitung zur rechten Auffassung derselben ertheilen zu lassen. Da ich bald darauf auch eine sonderbare Geschichte von zwei silbernen Armleuchtern erfuhr, mit welchen der berühmte Componist seinerseits die Partitur zum »Feldlager in Schlesien« dem nicht minder berühmten Recensenten beleuchtet haben sollte, gerieth ich dahin, auf die für die »Armide« von ihm erhaltene Belehrung keinen auch für mich gültigen Werth zu legen, und half mir ganz für mich selbst durch sorgsames Befühlen der steifen Partitur, welcher ich durch möglichst bewegliche Vortragsnüancirungen einige Weichheit beizubringen suchte. Meiner Auffassung gewann ich später die Genugthuung der auffallend warmen Anerkennung von Seiten eines vorzüglichen Gluckkenners, des Herrn Eduard Devrient, welcher, als er die Oper bei uns hörte und sie mit der Aufführung in Berlin verglich, auf das Lebhafteste die zarte Beweglichkeit unseres Vortrags von Stücken rühmte, welche dort in rohester Plumpheit zu Tage gefördert worden waren. Namentlich fiel ihm ein kleiner Chor der männlichen und weiblichen Nymphen des dritten Aktes (in C-dur) auf, welchem ich durch ein gemässigtes Tempo und ein vorzüglich zartes Piano die antike Grobheit benommen hatte, in welcher Devrient (vermuthlich in historischer Treue) ihn in Berlin gehört hatte. Mein unschuldigstes Mittel, welches ich häufig anwandte, um die peinigende Steifheit der Orchesterbewegung des Originals zu brechen, war eine sorgsame Modifikation des in unaufhörlicher Viertelbewegung sich ergehenden »Bassocontinuo«, wo dann theils legato-, theils pizzicato-Spiel am meisten aushelfen musste. Die Direktion hatte viel auf das Aeussere, namentlich die Dekorationen verwandt, und das Werk machte als Spektakeloper ziemlich gute Häuser, was mir, da die ungleich edlere »Iphigenia in Tauris«, trotz der bewundernswürdigen Leistung der Schröder-Devrient in dieser Rolle, nur leere Häuser erzielt hatte, den Ruf eines besonders für Gluck organisirten und gar ihm nahe stehenden Dirigenten einbrachte.

Von diesem Ruhme hatte ich längere Zeit zu zehren, da nun sehr häufig gemeine Repertoir-Aufführungen auch Mozart'scher Opern unter meiner nothgedrungenen Direktion zum Vorschein kamen, deren gewöhnlichere Tendenz denjenigen besonders unangenehm auffiel, welche, eben nach meiner Leistung in der »Armide«, auch zu diesen Aufführungen unter meiner Leitung sich jetzt mit besonderer Hoffnung wandten, und daher übel davon betroffen wurden. Selbst mir befreundete Zuhörer brachte dies auf die Vermuthung, ich mache mir nichts aus Mozart und verstünde ihn nicht, da sie nicht beachteten, wie es mir ganz unmöglich war auf solche gelegentlich eingestreute Aufführungen, zu welchen ich als Dirigent eben nur aushülfsweise, oft ohne Probe eintrat, einen Einfluss zu üben. Allerdings fand auch ich hierbei mich oft in einer schiefen Stellung, welche, da ich ihrer Berichtigung eben in keiner Weise beikommen konnte, nicht wenig dazu beitrug, mein neues Amt und meine Abhängigkeit von den gemeinsten Rücksichten einer trivialen Theaterroutine bei überhäufter Geschäftsführung, mir unerträglicher zu machen, als ich es, trotz der bereits im Voraus mir eignen klaren Einsicht in das Missliche meines Wirkungskreises, erwartet hatte. Mein College Reissiger, dem ich mitunter meine Klagen darüber mittheilte, dass von Seiten der Generaldirektion so wenig Berücksichtigung unserer Forderungen für die Aufrechterhaltung korrekter Leistungen im Gebiete der Oper zu erhalten sei, tröstete mich damit, dass ich mit der Zeit, gleich ihm, diese Grillen fahren lassen und in das unvermeidliche Kapellmeisterschicksal mich ergeben würde. Dabei schlug er stolz auf seinen Bauch und wünschte mir, an Fülle es ihm bald gleich thun zu können. –

Veranlassung gegen den hiermit bezeichneten Schlendrian immer empfindlicher zu werden, erhielt ich auch an sonstigen Wahrnehmungen von dem Geiste, mit welchem selbst namhafteste Dirigenten in der Reproduktion unsrer Meisterwerke verfuhren. Noch im ersten Jahre führte eine Einladung hierzu Mendelssohn, zur Direktion seines Paulus in einem der damals berühmten Palmsonntags-Concerte der Dresdener Kapelle, zu uns. Die Bekanntschaft mit diesem Werke, welche ich bei dieser Gelegenheit in recht empfehlender Weise machte, wirkte so angenehm auf mich, dass ich bei dieser Gelegenheit von Neuem Mendelssohn mich warm und hingebend zu nähern suchte. Eine eigenthümliche Unterhaltung, welche ich noch am gleichen Abend dieser Aufführung mit ihm hatte, drängte diesen Zug in sonderbarer Weise schnell in mir wieder zurück. Nach dem Oratorium führte Reissiger nämlich noch die achte Symphonie von Beethoven auf. In der vorangehenden Probe hatte ich bemerkt, dass Reissiger in den Fehler aller gewöhnlichen Dirigenten dieses Werkes verfiel und das »Tempo di minuetto« des dritten Satzes in einem gedankenlosen Walzer-Zeitmass spielen liess, wodurch nicht nur das ganze Stück seinen imposanten Charakter durchaus verliert, sondern auch das Trio, durch die Unmöglichkeit, die Violoncellfigur in solcher Schnelligkeit zu bewältigen, einen vollständig lächerlichen Charakter erhält. Ich hatte mich Reissiger hierüber mitgetheilt; er billigte meine Ansicht und versprach mir, in der Aufführung das von mir ihm bezeichnete, wirkliche Menuett-Tempo zu nehmen. Diesen Vorgang erzählte ich Mendelssohn, welcher, von der Direktion seines »Paulus« ausruhend, in der Loge neben mir Platz genommen hatte, um die Symphonie mit anzuhören; er gab mir recht und fand, dass es so sein müsste, wie ich sagte. Nun begann der dritte Satz und Reissiger, der allerdings nicht die Fähigkeit besass, eine so einflussreiche Tempoveränderung dem Orchester sofort erfolgreich zu imprimiren, folgte seiner Gewohnheit und nahm das »Tempo di minuetto« vollkommen wieder in der gewohnten Walzer-Bewegung. Eben wollte ich meinen Unmuth hierüber bezeigen, als Mendelssohn mir freundlich zunickte in der Meinung, so sei es mir recht und das habe ich verstanden. Ich war über diese vollkommene Gefühllosigkeit von Seiten des berühmten Musikers so tief erstaunt, dass ich sprachlos blieb und von nun an meine besondere Meinung über ihn mir ausbildete, eine Meinung, die auch R. Schumann später bestätigte, indem er mir seine wahre Befriedigung über mein Tempo des ersten Satzes der neunten Symphonie bezeugte, welches er zuvor unter Mendelssohn in Leipzig alljährlich, mit entstellender Uebereilung vorgetragen, habe anhören müssen.

Während ich so nach den so selten nur sich darbietenden Gelegenheiten, Einfluss auf den Geist der Aufführungen unsrer edlen Meisterwerke zu gewinnen, mich sehnte, hatte ich, wie gesagt, meistens in der tiefen Unbefriedigung mich dahinzuschleppen, welche das Befassen mit dem gewöhnlichen Theaterrepertoire mir verursachte. Erst am Palmsonntag der Ostern 1844, soeben von meiner widerwärtigen Hamburger Expedition zurückgekehrt, gelangte ich dazu, meinem Verlangen durch die Aufführung der Pastoral-Symphonie, welche bei diesem Concert mir zugetheilt war, zu entsprechen. Noch blieben zwar grosse Uebelstände unerledigt, deren Beseitigung ich mir nun auf schwierigen Umwegen vornehmen musste. Namentlich war die Aufstellung des Orchesters bei diesen berühmten Concert-Aufführungen, wo das Orchester in langer dünner Reihe halbkreisförmig den Sängerchor umschloss, so unbegreiflich fehlerhaft, dass es allerdings der von Reissiger hiefür mir angegebenen Gründe bedurfte, um einen solchen Unsinn mir zu erklären. Dieser sagte mir nämlich, dass alle diese Einrichtungen von dem verstorbenen Kapellmeister Morlacchi herrührten, welcher als italienischer Opernkomponist, wie von der Bedeutung, so auch von den Bedürfnissen des Orchesters eben nichts verstanden hätte. Wenn ich nun frug, warum man Diesem demnach Verfügungen zu treffen gestattet hätte in Dingen, von denen er nichts verstand, so erfuhr ich, dass von jeher, und namentlich auch Karl Maria v. Weber gegenüber, die Bevorzugung dieses Italieners von Seiten des Hofes und der Generaldirektion unbedingt, und gegen sie kein Widerspruch gestattet gewesen sei, und dass wir noch jetzt grosse Schwierigkeiten haben würden gegen die hieraus vererbten Fehler uns zu erheben, da höhern Orts fortwährend die Annahme herrsche, Jener müsste es am Besten verstanden haben. Mir spukte meine Kindererinnerung an den Castraten Sassaroli wieder durch die Seele, und ich gedachte der Ermahnung der Wittwe Weber's in Betreff der Bedeutung meiner Nachfolge Weber's im Dresdener Kapellmeisteramt. Trotzdem gelang die Aufführung der Pastoralsymphonie bereits über alles Erwarten, und der unvergleichliche, wunderbar nährende Genuss, der aus solcher Beschäftigung gerade mit Beethoven'schen Werken im Verlaufe mir zu Theil werden sollte, liess mich hier zuerst seine neugebärende Kraft empfinden. Mit mir machte Röckel tief sympathisch dieses Genusses sich theilhaftig; er unterstützte mich bei allen Proben mit Aug' und Ohr, immer mir zur Seite, mit mir hörend, mit mir wollend. –

War hier es bereits zu einem erquicklichen Gelingen gekommen, so sollte noch in diesem Sommer mich ein anderes Unternehmen vorzüglich befriedigen, welches zwar keine sehr grosse musikalische, wohl aber soziale Bedeutung hatte. Der König von Sachsen, für welchen ich schon als »Prinz Friedrich«, wie ich seiner Zeit berichtete, eine besondere Zuneigung empfand, wurde von einer grössern Reise, die er nach England unternommen, zurückerwartet. Die Berichte über seinen dortigen Aufenthalt hatten mein patriotisches Gefühl besonderlich erfreut. Dem, allem Prunk und jeder prahlenden Demonstration gänzlich abholden, schlichten Fürsten war es begegnet, dass während der Zeit seines englischen Besuches ganz unerwartet auch der Kaiser Nicolaus in England eintraf, dem zu Ehren grosse Festlichkeiten und militärische Revuen abgehalten wurden, an welchen unser König sich, gegen seine Neigung, genöthigt fand Theil zu nehmen, und nun es dahinnehmen musste, mit ersichtlich demonstrativer Tendenz vom Volke durch besonders enthusiastische Akklamationen vor dem den Engländern unsympathischen russischen Czaren ausgezeichnet zu werden. Auch die öffentlichen Blätter hielten diese Tendenz fest, und so wehte dem kleinen Sachsen aus England eine schmeichelnd erwärmende Luft herüber, welche uns mit besonders innig stolzer Freude an unserm König erfüllte. In dieser Stimmung, die auch mich ganz und gar einnahm, erfuhr ich, dass man dem zurückkehrenden Fürsten in Leipzig einen besondern, durch Mendelssohn's musikalische Mitwirkung zu verherrlichenden Empfang bereite. Ich frug nach, was man in Dresden zu thun gedenke und erfuhr, dass der König bei seiner Heimkehr Dresden gar nicht berühren und sogleich auf seinen Sommersitz nach Pillnitz sich wenden werde. Nach schneller Ueberlegung musste mir dieser Umstand für meinen Wunsch, dem König eine herzliche Empfangsfreude zu bereiten, günstig erscheinen, da ich, als königlicher Diener, einer in Dresden vorgebrachten Huldigung den Anschein einer offiziellen Parade zugezogen hätte, welche wohl unstatthaft dünken musste. Ich fasste den Gedanken, Alles, was blasen und singen konnte, schnell zusammen zu werben, um mit Allem am Morgen nach der Ankunft ein eiligst von mir zu verfertigendes Empfangslied vorzutragen. Nun traf ich auf die besondern Schwierigkeiten, dass mein Generaldirektor Lüttichau auf einem seiner Landgüter abwesend war; mit meinem Collegen Reissiger mich zu verständigen, hätte ausserdem Verzögerung herbeigeführt und das Unternehmen in das eben zu vermeidende Geleis einer offiziellen Ovation geführt. Da keine Zeit zu verlieren war, wenn irgend etwas zu Stande kommen sollte – denn die Ankunft stand an einem der nächsten Tage bevor – so nahm ich meine Qualität als Dirigent der Liedertafel zu Hülfe, forderte an ihrer Spitze Sänger und Musiker auf, und lud auch die Mitglieder des Theaters sowie der Kapelle vertraulich ein, sich anzuschliessen. Schnell fuhr ich nach Pillnitz, um mit dem fungirenden Hofmarschall, der mein Unternehmen sehr freundlich begünstigte, die nöthige Verabredung zu treffen. Während dieser kurzen Hin- und Herfahrt fand ich allein die Zeit, meine Verse zu dichten und in Musik zu setzen, denn nach Haus gekommen musste ich sogleich schon Alles dem Copisten und Lithographen übergeben können. Die angenehme Hast in der sommerlichen Luft, in der lieblichen Gegend, mit der herzlichen Liebe zu einem deutschen Fürsten, die mir dieses dringende Vorhaben eingab, brachte mich in die erregte Stimmung, in welcher ich die melismischen Formen des Tannhäuser-Marsches fand, welche in diesem Königsgrusse sich kenntlich machten, um dann bald die breitere Ausbildung zu gewinnen, durch welche sie mir in jenem Marsche zu meinem bisher populärsten Stücke verhalfen. Bereits andern Tags musste Alles mit 120 Musikern und 300 Sängern probirt werden: ich hatte mir erlaubt, diese ganze Masse auf die Bühne des Hoftheaters zu bestellen; dort ging Alles sogleich vortrefflich; Alle hatten ihre Freude daran, und ich nicht minder, als ein Bote des Generaldirektors erschien, der plötzlich in die Stadt gekommen war und mich zu einer Besprechung verlangte. Herr v. Lüttichau war über mein eigenmächtiges Verfahren in dieser Angelegenheit, von welcher er noch rechtzeitig durch Freund Reissiger benachrichtigt worden war, über alle Massen aufgebracht; hätte er seine Freiherrnkrone auf dem Haupte getragen, sie würde ihm bei dieser Gelegenheit heruntergefallen sein. Namentlich dass ich direkt mit einer Hofbehörde unterhandelt hatte, und ihm auch berichten musste, dass meine Unterhandlungen ausserordentlich schnell zu einem günstigen Ziel geführt hätten, versetzte ihn in grössten Zorn, da seine Wichtigkeit ja darin bestand, alles auf solchen Wegen zu Erreichende als grenzenlos schwierig und umständlich darzustellen. Ich war erbötig, sofort Alles abzubestellen: das erschreckte ihn nun wieder; ich fragte, was denn sein Wille sei, wenn es denn doch vor sich gehen sollte: darüber schien er sich nicht klar zu sein, nur fand er es sehr unkollegialisch von mir, dass ich nicht nur ihn, sondern auch Reissiger bei diesem Vorhaben übergangen habe. Ich erklärte mich sogleich bereit, meine Komposition, wie die Direktion des Stückes, an Reissiger abzutreten: das war ihm nun auch wieder zu viel, denn im Ganzen, das wusste ich wohl, machte er sich aus Reissiger nichts. Das Unangenehmste war ihm, dass ich die Angelegenheit gerade durch den Hofmarschall von Reitzenstein zu Stande gebracht hatte, welcher sein persönlicher Feind war: ich wisse gar nicht, was er von diesem oft für Chikanen auszustehen habe. Diese gemüthlichen Ergüsse erleichterten es mir, dem bedrängten Hofmann eine fast ungeheuchelte Rührung zu bezeigen, welche denn seinerseits mit einem achselzuckenden Gehenlassen der unangenehmen Geschichte erwiedert wurde.

Schlimmer als durch dieses Hofintendanten-Ungewitter sah ich für meine Unternehmung mich aber durch die eingetretene üble Witterung des Himmels selbst bedroht; es regnete den ganzen Tag in Strömen; dauerte diess so fort, zu welcher Befürchtung Grund vorhanden war, so war es fast unmöglich, des andern Morgens um fünf Uhr, wie beabsichtigt war, auf dem besonders von mir gemietheten Dampfschiffe mit meinen Hunderten von Gehülfen zu einer Morgenmusik in dem zwei Stunden entlegenen Pillnitz mich aufzumachen. Mit wahrer Verzweiflung sah ich diesem Unstern entgegen; nur Röckel tröstete mich: »ich könne mich darauf verlassen, wir würden morgen den schönsten Tag haben, denn – ich hätte Glück.« Diese Versicherung ist mir noch in fernen Zeiten in Erinnerung geblieben, als ich bei dem grossen Missgeschick, welches sich häufig allen meinen Unternehmungen entgegensetzte, jener Behauptung als eines üblen Frevels gedenken musste. Für diesmal hatte der Freund aber Recht; der 12. August 1844 war vom Sonnenaufgang an bis in die späte Nacht der schönste Sommertag, dessen ich mich in meinem Leben erinnern kann. Das Gefühl von wonnigem Behagen, mit welchem ich durch die glückverheissenden Morgennebel meine wohlgemuthe Legion lustig gestimmter Musiker und Sänger auf dem Dampfschiff sich versammelnd fand, schwellte mir die Brust zu einem innigen Glauben an meinen guten Stern. Meinem freundlichen Ungestüme war es gelungen, Reissiger's Schmollen zu überwältigen und ihn zu bestimmen, die Ehre des Unternehmens dadurch mit mir zu theilen, dass er die Aufführung meiner Komposition dirigire. An Ort und Stelle gelang nun alles vortrefflich; der König und die königliche Familie waren sichtlich sehr gerührt, und in schlimmen späteren Zeiten hat die Königin von Sachsen, wie mir berichtet wurde, dieses Tages und dieses Morgens noch mit besonderer Rührung als der schönsten Zeit ihres Lebens gedacht. Nachdem Reissiger mit grosser Würde Takt geschlagen, und ich als Tenorist im Chor mitfungirt hatte, wurden wir beide Kapellmeister in die Nähe der k. Familie beschieden, wo der König uns seinen herzlichsten Dank ausdrückte, während die Königin uns die besondere Anerkennung zollte, dass ich sehr gut komponirt, und Reissiger sehr gut dirigirt hätte. Der König bat um die Wiederholung der letzten drei Verse, da er andrerseits durch eine schmerzhafte Zahngeschwulst genöthigt sei, sich nicht lange mehr im Freien aufzuhalten. Schnell wurde von mir eine kombinirte Evolution entworfen, deren ungemein glückliche Ausführung ich mir noch zum besondern Ruhme anrechne. Ich liess nämlich das ganze Lied wiederholen, dem Wunsche des Königs gemäss liess ich aber nur einen Vers in der beibehaltenen halbkreisförmigen Aufstellung ausführen; mit dem zweiten Verse liess ich meine 400 Mann undisciplinirter Musiker und Sänger abschwenken, so dass sie die zwei letzten Verse, im Marsch durch den Garten immer weiter sich entfernend, in der Weise ausführten, dass die letzten Töne nur noch wie ein verhallender Klangestraum an das königliche Ohr treffen konnten. Dieser Abzug ging, Dank meiner unerhörten, thätigen, überall gegenwärtigen Hilfsleistung, mit solcher Sicherheit vor sich, dass nicht das mindeste Schwanken im Takt und Vortrag aufkam, und das Ganze für ein kunstvoll eingeübtes Theatermanöver gelten konnte. Im Schlosshofe angelangt fanden wir nun durch die freundliche Sorgfalt der Königin auf dem grünen Rasen für alle Gäste zu einem reichlichen Frühstück die Tafeln gedeckt. Die herzlich erregte königliche Hausfrau sahen wir selbst öfter geschäftig zur Ueberwachung der Bewirthung, an den Fenstern und auf den Gängen des umgebenden Schlosses sich bemühend. Aller Augen strahlten mir wie einem glücklich Beglückenden zu, wenig hätte gefehlt und in der Wonne des Tages wäre das Paradies proklamirt worden. Nachdem die liebliche Umgegend, namentlich der aus meiner frühesten Jugendzeit her mir lieb und traut gewordene Keppgrund, massenweis durchschwärmt worden war, kehrten wir in später Nacht in herrlichster Stimmung nach Dresden zurück. Des andern Tags ward ich abermals auf die Generaldirektion beschieden. Da war denn nun aber etwas mit Herrn v. Lüttichau vorgegangen. Als ich mich nochmals bei ihm herzlich wegen der ihm bereiteten Beunruhigung entschuldigen wollte, nahm der lange Mann mit dem trocknen, harten Gesicht mich bei der Hand, und sagte mir mit einer Verklärung seiner Mienen, wie sie wohl nie je ein Anderer an ihm gewahrt haben mag: von dieser Beunruhigung könne jetzt nicht mehr die Rede sein; ich sei ein grosser Mensch; von ihm werde lange keine Seele mehr etwas wissen, während ich noch bewundert und geliebt sein würde. In höchstem Grade erschüttert, wollte ich nur meine Beschämung über diesen so unerwarteten Erguss kundgeben, als er mich nun freundlich unterbrach, und in wohlwollender Zutraulichkeit eine Ableitung der eigenen Aufregung zu finden suchte. Er erging sich namentlich lächelnd über meine Selbstverläugnung, mit der ich bei einer so ausserordentlichen Gelegenheit den mir gebührenden Ehrenplatz an den hiebei so ganz verdienstlosen Reissiger abgetreten habe; als ich ihm versicherte, dass mir erst dieses wahre Genugthuung gegeben hätte, dass ich meinen Kollegen zur Uebernahme der Direktion vermocht, bekannte er, dass er mich nun allerdings wohl begriffe, desto weniger aber von Reissiger verstehe, wie sich dieser von mir habe dorthin stellen lassen können, wohin er so wenig gehört habe. – Längere Zeit blieb die hiermit begründete Stimmung Lüttichau's gegen mich in der Weise vorherrschend, dass wir in Geschäftsangelegenheiten einen fast zutraulichen Ton unter uns gewannen; so schlimm sich mit der Zeit hierin auch Manches ändern musste, so dass unsre Beziehungen wohl bis zu offenbarer Feindseligkeit ausarteten, so blieb bei dem seltsamen Manne eine eigentümliche Zärtlichkeit für mich doch immer unverkennbar zurück, und manche seiner spätern harten Ergüsse klangen eigentlich wie die etwas sonderbar ausartenden Klagen verschmähter Liebe. –

Den Genuss meines diesjährigen Erholungsurlaubes trat ich Anfangs September mit dem Bezug einer etwas verspäteten Sommerwohnung auf dem Fischer'schen Weinberg, unweit Loschwitz, in der Nähe des berühmten Findlater'schen Weinbergs, an. Hier, freundlich angeregt und gestärkt durch einen sechswöchentlichen Aufenthalt im Freien, verfasste ich bis zum 15. Oktober die Musik des zweiten Aktes von »Tannhäuser«. In die gleiche Zeit fiel eine Aufführung des »Rienzi«, zu deren Leitung ich in die Stadt kam, vor einem Publikum von nicht gemeiner Bedeutung. Es traf sich nämlich, dass auf der Tribüne des Amphitheaters Spontini und Meyerbeer, zu ihnen auch der Verfasser der russischen Nationalhymne, der General Lwoff, sich zusammenfanden. Ich suchte keine Gelegenheit auf, von der Wirkung meiner Oper auf diese zu einem Urtheil so berechtigten musikalischen Grössen Kenntniss zu erlangen; mir genügte das eigenthümliche Behagen, ihnen eine bereits sehr häufig wiederholte Aufführung meines Werkes vor überfülltem Hause und mit überreichem Beifall vorgeführt zu haben, ich freute mich am Schlusse, mein Hündchen Peps, welches den weiten Weg vom Lande mir nachgelaufen war, im Theater theilnahmvoll mir zugeführt zu erhalten, und fuhr mit ihm sofort, ohne die europäischen Celebritäten begrüsst zu haben, nach meinem stillen Weinberg hinaus, wo Minna mich, besonders über die Wiederkehr des verloren geglaubten Peps hocherfreut, empfing. Hier erhielt ich auch einen Besuch meines auf so ergreifende Weise in Berlin zuerst mir gewonnenen Freundes Werder, diesmal ganz menschlich am hellen Tage, unter freundlichem Himmel, wo ich mit ihm angenehm über den Werth des »fliegenden Holländers« disputiren konnte, gegen den ich, mit dem »Tannhäuser« im Kopfe, mich etwas eingenommen bezeigte. Es nahm sich artig aus, von meinem Freunde mich in diesem Punkte bekämpfen und über die Bedeutung meines Werkes belehren zu lassen.

Als wieder die Winterquartiere bezogen waren, suchte ich zwischen der Komposition des zweiten und dritten Aktes keine so lange Unterbrechung, als ich sie zwischen den beiden ersten zu überstehen gehabt hatte, aufkommen zu lassen, und es gelang mir, trotz aufregender Beschäftigung, namentlich unter Begünstigung des guten Einflusses sorgsam gepflegter einsamer Spaziergänge, die Musik auch des dritten Aktes am 29. Dezember, noch vor Jahresschluss zu beendigen.

Was mich in der Zwischenzeit namentlich lebhaft nach aussen in Anspruch genommen hatte, war ein längerer Aufenthalt Spontini's bei uns, welcher sich an eine neu in's Werk gesetzte Aufführung seiner »Vestalin« knüpfte. Die Erinnerungen an die sonderbaren Vorgänge und charakteristischen Züge des hierbei entsponnenen Verkehrs mit dem berühmten greisen Meister sind mir so lebhaft verblieben, dass sie mich jetzt noch der Aufzeichnung werth dünken.

Da wir unter der Mitwirkung der Schröder-Devrient einer zum grossen Theil vorzüglichen Aufführung dieser Oper uns versichert halten durften, hatte ich Herrn v. Lüttichau auf den Gedanken gebracht, Spontini, welcher soeben in Berlin grosse Demüthigungen erlitten hatte und sich für immer von dort fortwandte, die unter solchen Umständen wohlgesinnt demonstrative Aufmerksamkeit zu erweisen, ihn zur persönlichen Direktion seines mit Recht so berühmten Werkes einzuladen. Diess geschah, und ich, der ich mit der Leitung der Oper betraut war, erhielt den besondern Auftrag, mich hierüber mit dem Meister in das Vernehmen zu setzen. Es schien, dass mein Brief, trotzdem er von mir selbst im Französischen geschrieben war, ihn mit einer vorzüglich guten Meinung über meinen Eifer für das Unternehmen erfüllt hatte, denn in einem sehr majestätischen Antwortschreiben drückte er mir seine besondern Wünsche für die Veranstaltungen zur Feier seiner Mitwirkung aus. Im Betreff der Sänger, da er eine Schröder-Devrient unter ihnen zählte, erklärte er sich unumwunden beruhigt; von Chören und Balleten setzte er voraus, dass man nichts an einer würdigen Ausstattung fehlen lassen würde; auch nahm er an, dass das Orchester ihn vollkommen befriedigen würde, in welchem er die nöthige Anzahl vorzüglicher Instrumente voraussetzte, um, wie er sich ausdrückte, das Ganze von »12 guten Contrabässen garnirt« zu sehen (»le tout garni de douze bonnes contre-basses«). Diese Phrase brach mir das Herz, denn dieses eine in Zahlen ausgeführte Verhältniss gab mir folgerichtig einen Begriff von der Gediegenheit seiner übrigen Annahmen, und ich eilte nun zum Intendanten, um ihn darauf vorzubereiten, dass die eingeleitete Sache nicht so leicht abgehen würde. Sein Schreck war gross und aufrichtig; sofort musste ein Mittel ausfindig gemacht werden, die Einladung rückgängig zu machen. Frau Schröder-Devrient erfuhr von unsrer Noth: sie, die Spontini gut kannte, lachte wie ein Kobold über unsre naive Unvorsichtigkeit, die wir mit dieser Einladung begangen, und fand in einem leichtern Unwohlsein, von dem sie befallen war, das Hülfsmittel, welches sie uns als Vorwand einer scheinbar bedeutenden Verzögerung zur Verfügung stellte. Spontini hatte nämlich auf energische Beschleunigung der Ausführung unsres Vorhabens gedrungen, da ihm, auf das Ungeduldigste in Paris erwartet, nur wenig Zeit für die Befriedigung unsrer Wünsche frei stände. Hieran anknüpfend musste ich nun das unschuldige Truggewebe spinnen, mit welchem ich den Meister von der definitiven Annahme der an ihn gerichteten Einladung abbringen sollte. Wir athmeten auf, hielten unsre Proben und befanden uns am Vorabende der gemüthlich beabsichtigten Generalprobe, als gegen Mittag ein Wagen vor meinem Hause hielt, und in einem langen blauen Flausrocke der stolze, sonst nur mit spanischer Grandenwürde sich bewegende Meister, leidenschaftlich bewegt, ohne alle Begleitung zu mir in das Zimmer trat, mir meine Briefe vorzeigte, und aus unsrer Correspondenz mir nachwies, dass er keineswegs unsre Einladung abgelehnt habe, sondern, richtig verstanden, sehr deutlich auf alle unsre Wünsche eingegangen sei. Ich vergass alle möglichen vorauszusehenden Verlegenheiten über der wirklich herzlichen Freude, den wunderbaren Herrn bei mir zu sehen, unter seiner Leitung sein Werk zu hören, und nahm mir sofort vor, alles nur Erdenkliche zu Stand zu bringen, um ihn zu befriedigen. Diess erklärte ich ihm mit dem aufrichtigsten Eifer: er lächelte fast kindlich freundlich, als er diesen wahrnahm; nur als ich, um ihn kurz über alle Bedenken gegen meine Aufrichtigkeit hinwegzuführen, einfach bat, die morgen stattfindende Probe sogleich selbst zu dirigiren, ward er plötzlich sehr bedenklich, und schien mancherlei, dem entgegenstehende Schwierigkeiten zu erwägen. In grosser Aufregung drückte er sich aber über nichts klar aus, so dass es mir schwer hielt, ihm zu entfragen, durch welche Disposition es mir möglich sein würde, ihn zur Uebernahme der Direktion dieser Probe zu bewegen. Nach einigem Nachsinnen frug er mich, mit was für einer Art von Taktstock wir dirigirten: ich bezeichnete ihm mit der Hand ungefähr die Grösse und Stärke eines mässigen Stäbchens von gewöhnlichem Holz, welches, mit weissem Papier überzogen, uns immer frisch vom Kapelldiener servirt wurde. Er seufzte, und frug mich, ob ich es wohl für möglich hielte, ihm bis morgen einen Taktstock von schwarzem Ebenholz, von höchst ansehnlicher Länge und Stärke, die er mir an seinem Arm und mit der hohlen Hand bezeichnete, und an dessen beiden Enden ein ziemlich bedeutender weisser Knopf von Elfenbein angebracht werden sollte, verfertigen zu lassen. Ich versprach ihm jedenfalls ein ganz ähnlich aussehendes Instrument schon für die nächste Probe, ein vollständig auch dem verlangten Material entsprechendes aber für die Aufführung zu besorgen. Auffallend beruhigt strich er sich jetzt über die Stirn, erlaubte mir seine Uebernahme der Direktion für morgen anzukündigen, und fuhr nun in sein Hôtel, nachdem er mir noch einmal genau seine Anforderungen in Betreff des Taktstockes eingeschärft hatte.

Ich glaubte halb zu träumen, und verbreitete im Sturm die Kunde des Vorgefallenen und Bevorstehenden; wir waren ertappt. Die Schröder-Devrient erbot sich zum Sündenbock, und ich setzte mich mit dem Theatertischler wegen des Taktstockes in das genaueste Einvernehmen. Dieser gerieth so weit gut, dass er die gehörige Länge und Stärke hatte, schwarz aussah und grosse weisse Knöpfe trug. So kam es denn wirklich zur Probe. Spontini befand sich an seinem Platz im Orchester augenfällig genirt, und wünschte vor allen Dingen die Oboen in seinem Rücken placirt; da diese vereinzelte Umstellung für jetzt in der Gliederung des Orchesters grosse Verwirrung hervorgerufen haben würde, versprach ich ihm diess nach der Probe zu veranstalten. Er schwieg, und ergriff nun den Taktstock. Augenblicklich verstand ich, warum er auf die Form desselben eine so grosse Bedeutung legte: er fasste diesen nämlich nicht, wie wir andern Dirigenten, bei dem Ende an, sondern ergriff ihn ziemlich in der Mitte mit der vollen Faust, und bewegte ihn der Art, dass man deutlich sah, er fasse den Taktstock als Marschallsstab auf, und gebrauche ihn nicht zum Taktiren, sondern zum Kommandiren. Nun entspann sich bald im Verlaufe der ersten Scenen eine Verwirrung, die um so unheilvoller sich gestaltete, als für des Meisters Mittheilungen an das Orchester, wie an die Sänger, sein konfuser Gebrauch der deutschen Sprache von grösster Behinderung für die Verständigung war. So viel merkten wir aber bald, dass es ihm vor Allem daran gelegen war, uns von dem Gedanken abzubringen, dass diess die Generalprobe sein sollte, wogegen er ein ganz neu zu beginnendes Studium der Oper in's Auge gefasst hatte. Die Verzweiflung namentlich meines guten alten Chordirektors und Regisseurs Fischer, welcher mit grossem Enthusiasmus zuvor die Berufung Spontini's mit betrieben hatte, war gross, als er dieser nun unvermeidlichen Störung des Repertoirs inne ward; sie ging endlich in offene Wuth über, in deren Blindheit er in Allem, was Spontini vorbrachte, nur neue Chikanen zu verstehen glaubte, und dagegen im gröbsten Deutsch unverhohlen replizirte. Einmal winkte mich Spontini nahe zu sich, um in Betreff eines so eben beendeten Chors mir zuzuflüstern: »mais savez-vous, vos chœurs ne chantent pas mal.« Misstrauisch hatte Fischer dem zugesehen, und frug mich wüthend: »was hat der alte Schweinehund wieder?« Es gelang mir kaum, den so schnell umgeschlagenen Enthusiasten nur einigermassen zu beruhigen. – Den grössten Aufenthalt verursachte im ersten Akt die Evolution des Triumphmarsches; vor Allem äusserte der Meister mit lautestem Eifer seine höchste Unzufriedenheit über das gleichgiltige Benehmen des Volkes beim Aufzuge der Vestalinnen; er hatte nämlich nicht bemerkt, dass auch nach den Anordnungen unsrer Regie sich beim Erscheinen der Priesterinnen Alles auf das Knie senkte, denn nichts dem Auge nur Erkennbares war für den äusserst kurzsichtigen Meister vorhanden; was er verlangte, war, dass der heilige Respekt der römischen Armee durch ein mit einem Schlage vor sich gehendes Niederstürzen, namentlich aber krachendes Aufschlagen der Speere auf den Boden, mit äusserster Drastik sich kund geben solle. Das musste nun unzählige Male probirt werden; immer aber klapperten einige Spiesse zu früh oder zu spät; er selbst machte das Manöver einige Male mit dem Taktstock auf dem Pult; es half nichts, der Krach war nicht decidirt und energisch genug. Nun entsann ich mich allerdings der merkwürdigen Präcision und fast erschreckenden Wirkung, mit welcher ähnliche Evolutionen in der Aufführung des »Ferdinand Cortez«, welche in früheren Jahren in Berlin so vielen Eindruck auf mich gemacht hatte, ausgeführt wurden, und begriff, dass die bei uns übliche Weichheit in solchen Manövern einer sehr angelegentlichen und zeitraubenden Schärfung bedürfen würde, um den für seine Forderungen hiefür sehr verwöhnten Meister zufrieden zu stellen. Nach dem ersten Akte beschritt nun wirklich Spontini die Bühne, um den von ihm in seiner Nähe vermutheten Künstlern des Dresdener Hoftheaters in einer ausführlichen Darlegung die Gründe dafür klar zu machen, dass er auf eine bedeutende Aufschiebung der Oper bestehen müsse, um Zeit zu gewinnen, durch die verschiedenartigsten Proben die Aufführung seinem Sinne entsprechend vorbereiten zu können. Alles war aber bereits in vollster Auflösung begriffen; die Sänger, der Regisseur, waren wie im Sturm nach allen Seiten hin zerstreut, um über das Elend der Situation sich in ihrer Weise Luft zu machen: nur die Theaterarbeiter, Lampenputzer und einige Choristen, hielten in einem Halbkreise um Spontini Stand, um dem merkwürdigen Manne zuzusehen, wie er mit wunderlichem Affekt von den Erfordernissen der wahren theatralischen Kunst perorirte. Ich wandte mich der grauenhaften Scene zu, bedeutete Spontini freundlich und unterwürfig das Unnöthige seiner Ereiferung, versicherte, dass Alles geschehen würde was er wünsche, namentlich auch, dass man Herrn Eduard Devrient, welcher die Vorstellung der Vestalin in seinem Geiste von Berlin her genau inne habe, zur Abrichtung des Chores und der Statisten zu der gebührenden Empfangsfeierlichkeit der Vestalinnen herbeiziehen würde, und entführte ihn so der unwürdigen Situation, in welcher ich ihn zu meinem Entsetzen betroffen fand. Diess beruhigte ihn; wir entwarfen einen Plan für die Ausführung der Proben nach seinem Wunsche, und in Wahrheit war ich der Einzige, der diese Wendung der Dinge, trotz allem, nicht unwillkommen hiess, da die meist fast burlesken Züge im Gebahren Spontini's mich doch die ungemeine Energie durchblicken liessen, mit welcher hier, wenn auch in seltsamer, mir aber allmählich erklärlicher Entstellung, ein unsrer Zeit fast unkenntlich gewordenes Ziel der theatralischen Kunst verfolgt und festgehalten wurde.

Wir begannen nun zunächst noch mit einer Klavierprobe, in welcher der Meister seine Wünsche besonders an die Sänger mittheilen sollte. Wir erfuhren durch ihn hierbei im Grunde wenig Neues; er gab uns weniger Bemerkungen über Einzelnheiten des Vortrages, als Auslassungen über das Allgemeine der Auffassung, wobei ich bemerkte, dass er sich bereits zu einer entschiedenen Rücksichtsnahme gegen die renommirten Sänger, wie die Schröder-Devrient und Tichatschek es waren, gewöhnt hatte. Letzterem verbot er nur das Wort »Braut«, mit welchem Licinius in der deutschen Uebersetzung »Julia« anzureden hatte; diess klang seinem Ohr entsetzlich, und er begriff nicht, wie man etwas so Gemeines, wie die Laute dieses Wortes, für die Musik verwenden könnte. Dem weniger begabten und ziemlich rohen Sänger des Oberpriesters gab er jedoch eine umständlichere Lektion über die Auffassung seines Charakters, welchen er aus dem recitativischen Dialoge mit dem Haruspex zu entnehmen habe; hier sehe er nämlich, dass das Ganze nur auf Priesterbetrug beruhe und auf Benutzung des Aberglaubens berechnet sei. Der Pontifex gebe zu verstehen, dass er seinen Gegner selbst an der Spitze der römischen Kriegsmacht nicht fürchte, weil er für den schlimmsten Fall seine Maschinen bereit halte, welche, sobald es nicht anders ginge, durch ein Wunder das verloschene Feuer der Vesta wieder entzünden sollten, wodurch, selbst wenn Julia somit dem Opfertode entgehen sollte, die Macht des Priesterthums dennoch unangetastet erhalten bleiben würde. – Gelegentlich einer Besprechung des Orchesters hatte ich Spontini um Belehrung darüber gebeten, warum er, der sonst durchgehends die Posaunen sehr energisch angewandt, gerade bei dem prachtvollen Triumphmarsche des ersten Aktes sie schweigen liess; ganz verwundert frug er dagegen: »est-ce que je n'y ai pas de trombonnes?« Ich zeigte ihm die gestochene Partitur, und nun bat er mich, zu diesem Marsche Posaunen zu setzen, damit sie möglichst in der nächsten Probe schon ausgeführt werden könnten. Auch sagte er mir: »j'ai entendu dans votre Rienzi un instrument, que vous appelez Bass-tuba; je ne veux pas bannir cet instrument de l'orchestre: faites m'en une partie pour la Vestale.« Es machte mir Freude, mit Auswahl und Diskretion seinem Wunsche nachzukommen. Als er in der Probe zum ersten Male die Wirkung hiervon gewahr wurde, warf er mir einen wirklich zärtlichen Blick des Dankes zu, und der Eindruck dieser unschwierigen Bereicherung seiner Partitur war auf ihn so andauernd, dass er später aus Paris in einem sehr freundschaftlichen Briefe mich um die Zusendung eines Particelles dieser von mir hinzugefügten Instrumente bat, nur erlaubte es sein Stolz nicht, in dem Ausdruck, mit dem er das Gewünschte bezeichnete, zuzugestehen, dass er etwas von mir Verfasstes verlangte, sondern er schrieb: »envoyez-moi une partition des trombonnes pour la marche triomphale et de la Basse-tuba, telle qu'elle a été exécutée sous ma direction à Dresde.« – Meine besondere Ergebenheit bezeugte ich ihm ausserdem durch den Eifer, mit welchem ich eine vollkommene Umstellung der Instrumente des Orchesters nach seinem Wunsche herrichtete. Dieser Wunsch bezog sich weniger auf ein System, als auf seine Gewöhnung, und von welcher Wichtigkeit es für ihn war, in dem Gewohnten nicht die mindeste Aenderung eingetreten zu wissen, erhellte mir, als er mir den Charakter seiner Direktionsweise erläuterte; er dirigire – so sagte er – nämlich das Orchester nur durch den Blick seines Auges: »mein linkes Auge ist erste Violin, mein rechtes zweite Violin; um mit dem Blick zu wirken muss man daher keine Brille tragen, wie schlechte Dirigenten es thun, selbst wenn man kurzsichtig ist. Ich« – so gestand er zutraulich – »sehe nicht einen Schritt weit, und doch bewirke ich durch meine Augen, dass alles nach meinem Willen geht.« Einzelnheiten in der von ihm zufällig gewöhnten Orchesteraufstellung waren allerdings sehr irrational; jedenfalls von einem frühesten Pariser Orchester her, wo sich diess durch irgend eine Noth gerade so ergeben hatte, rührte die Gewohnheit, die beiden Oboe-Bläser unmittelbar hinter sich zu haben: diese mussten daher die Mündung ihrer Instrumente dem Ohre des Publikums abwenden, und unser vorzüglicher Oboist war so empört über diese Zumuthung, dass es mir nur durch besonders scherzhafte Behandlung dieser Angelegenheit gelang, ihn für diesmal zu beschwichtigen. Ausserdem beruhte die Gewöhnung Spontini's in diesem Betreff allerdings auf einem sehr richtigen, und leider bei den meisten deutschen Orchestern noch gänzlich verkannten Systeme, wonach das Quartett der Saiteninstrumente gleichmässig über das ganze Orchester sich ausbreitet, die durch Culmination auf einem Punkt erdrückenden Blech- und Schlaginstrumente getrennt, auf beide Flanken vertheilt, und die zarteren Blasinstrumente in geeigneter Annäherung als Kette zwischen den Violinen sich dahinziehen; wogegen die selbst jetzt noch bei den grössten und berühmtesten Orchestern übliche Zertheilung des Instrumentalkomplexes in zwei Hälften, die der Saiten- und die der Blasinstrumente, eine wirkliche Rohheit und Gefühllosigkeit für die Schönheit eines sich innig verschmelzenden, überall gleichhin wirkenden Orchesterklanges bekundet. Ich war sehr froh, bei dieser Veranlassung die glückliche Neuerung in Dresden durchsetzen zu können, da es, durch die Forderung Spontini's angeregt, nun leicht war, den Befehl zur Beibehaltung der Aenderung beim König zu erlangen. Es blieb mir nach Spontini's Fortgang nur übrig, einige Zufälligkeiten und Sonderbarkeiten in seinen Anordnungen auszugleichen und zu korrigiren, um von nun an zu einer befriedigenden und sehr wirksamen Aufstellung des Orchesters zu gelangen.

Bei allen Sonderbarkeiten, welche Spontini's Direktion der Proben begleiteten, fascinirte der seltene Mann doch Musiker und Sänger in der Art, dass der Aufführung eine ganz ungewöhnliche Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Charakteristisch war durchgehends die Energie, mit welcher er auf eine oft ausschweifend scharfe Hervorhebung der rhythmischen Accente drang; er hatte hierfür im Verkehr mit dem Berliner Orchester es sich angewöhnt, die hervorzuhebende Note mit dem, Anfangs mir unverständlichen, Ausdruck » diese« zu bezeichnen, was zumal Tichatschek, ein wirkliches rythmisches Gesangsgenie, besonders erfreute, da er ebenfalls die Gewohnheit hatte, bei wichtigen Eintritten die Choristen dadurch zu besondrer Präcision anzufeuern, dass er behauptete, es gelte nur die erste Note ordentlich hervorzuheben, das Uebrige fände sich ganz von selbst. Im Ganzen stellte sich somit allmählich ein guter und dem Meister gewogener Geist ein; nur die Bratschisten trugen ihm einen Schreck, den er ihnen gemacht, noch lange nach; in der Begleitung der lugubren Cantilene der Julia im Finale des zweiten Aktes entsprach die Ausführung der schaurig weichen Begleitungsfigur in den Bratschen seinem Wunsche nicht; er wendete sich daher plötzlich zu diesen, und rief ihnen mit einer hohlen Grabesstimme zu: »ist der Tod in den Bratschen!« Die zwei bleichen, an unheilbarer Hypochondrie leidenden Greise, welche am ersten Pulte dieses Instrumentes zu meinem Leidwesen, trotz ihrer Anwartschaft auf Pensionirung, sich immer noch fest geklammert hielten, starrten mit wahrem Entsetzen zu Spontini hinauf, und glaubten eine Drohung zu hören: ich musste ihnen nun den Wunsch Spontini's ohne theatralische Drastik zu erläutern suchen, um sie allmälich wieder in's Leben zu rufen. – Auf der Scene wirkte Herr Eduard Devrient sehr förderlich zur Herstellung eines scharf sich ausdrückenden Ensembles, auch wusste er Rath zu schaffen, um einer Forderung Spontini's gerecht zu werden, die uns Alle in grosse Verlegenheit setzte. Nach der auf allen deutschen Theatern angenommenen Kürzung beschlossen auch wir nämlich die Oper mit dem feurigen, vom Chor accompagnirten Duettsatze des Licinius und der Julia nach deren Rettung; allein der Meister bestand darauf, die der französischen Opera seria ureigenthümliche Schluss-Scene mit heiterem Chor und Ballet noch angefügt zu wissen. Es widerstand ihm durchaus, auf dem traurigen Begräbnissplatze sein glänzendes Werk elend ausgehen zu sehen; die Decoration musste verwandelt werden, im heitersten Lichte der Rosenhain der Venus sich zeigen, und an deren Altar unter heiteren Tänzen und Gesängen das geprüfte Liebespaar von mit Rosen geschmückten Priestern und Priesterinnen der Venus anmuthig getraut werden. So geschah es denn auch, – leider aber nicht zu Gunsten des von Allen so sehr gewünschten Erfolges.

In der Aufführung, welche mit grosser Präcision und schönem Feuer vor sich ging, stellte sich in Betreff der Besetzung der Hauptpartie ein Uebelstand heraus, der von keinem von uns zuvor beachtet worden war. Offenbar war unsere grosse Schröder-Devrient nicht mehr in dem Alter, und namentlich war ihr etwas mütterlich gewordenes Aeussere nicht glücklich geeignet, um als jüngste der Vestalinnen, wie sie angesprochen wird, namentlich neben einer Oberpriesterin günstig zu wirken, welche, wie es hier der Fall war, durch ganz ausnehmend mädchenhafte Jugendlichkeit, die durch nichts zu verbergen war, sich hervorhob. Diess war meine damals siebenzehnjährige Nichte, Johanna Wagner, welche ausserdem mit ihrer, gerade um jene Zeit hinreissend schönen Stimme und glücklichen Begabung für theatralischen Accent, ganz unwillkürlich in jedem Zuhörer den Wunsch anregte, die Rollen zwischen ihr und der grossen Meisterin vertauscht zu sehen. Der scharfblickenden Devrient entging dieser für sie ungünstige Umstand nicht, und sie schien sich hierdurch veranlasst zu fühlen, durch besondere Aufbietung jedes ihr zu Gebote stehenden Effektmittels in ihrer schwierigen Stellung sich siegreich zu behaupten zu suchen, was sie nicht selten zu einiger Uebertreibung, in einem Hauptmomente aber zu einem wahrhaft unschönen Excess hinriss. Als ihr, nach dem grossen Terzett des zweiten Actes, von dem durch die Flucht geretteten Geliebten nach dem Vordergrund zurückschreitend, in furchtbarer Erschöpfung das »er ist frei« aus dem gepressten Herzen hervorbricht, liess sie sich verleiten, diese Worte völlig zu sprechen, statt zu singen. Welche Wirkung ein im übermässigen Affekt mit Annäherung an den reinen Sprach-Accent ausgestossenes entscheidendes Wort hervorzubringen vermag, hatte sie bereits im »Fidelio« zur höchsten Hingerissenheit des Publikums oft bewährt, wenn sie bei der Stelle: »Noch einen Schritt und du bist todt!« das todt fast mehr sprach als sang. Diese ungeheuere Wirkung, die gerade auch ich empfunden, beruhte auf dem wunderbaren Schreck, der sich meiner bemächtigte, aus der idealen Sphäre, in welche die Musik selbst die grauenhaftesten Situationen erhebt, plötzlich auf den nackten Boden der schrecklichsten Realität, wie durch einen Beilschlag des Henkers, mich geschleudert zu sehen. Hierin gab sich die unmittelbare Erkenntniss der äussersten Spitze des Erhabenen kund, welche ich, mit der Erinnerung an diesen Eindruck, als den blitzartigen Moment bezeichne, welcher zwei ganz verschiedene Welten, da wo sie sich berühren und doch vollständig trennen, in der Weise erleuchtet, dass wir eben für diesen Moment den Blick wirklich in beide Welten zugleich werfen. Welch' ungeheuere Bewandtniss es aber mit diesem Momente hat, und dass mit ihm, dem furchtbaren, kein eigennütziges Spiel zu treiben ist, erfuhr ich heute an dem vollständigen Verunglücken der Absicht der grossen Künstlerin. Das tonlose, mit heiserem Klange herausgepresste Wort übergoss mich und das ganze Publikum wie mit kaltem Wasser, so dass wir alle in ihm nichts ersahen, als einen manquirten Theatereffekt. – Waren nun die Erwartungen des Publikums, welches ausserdem mit doppelten Preisen das Curiosum, Spontini dirigiren zu sehen, zu bezahlen hatte, zu hoch gespannt gewesen; mochte der ganze Styl des Werkes mit seinem französisirten antiken Sujet, trotz der Pracht und Schönheit der Musik, unwillkürlich etwas veraltet vorkommen, oder mochte endlich auch der unglücklich matte Schluss, fast ähnlich wie der verfehlte dramatische Effekt der Devrient, ernüchternd wirken, kurz, es wollte zu keinem rechten Enthusiasmus kommen, und der Erfolg des Abends erklärte sich als eine etwas matte Ehrenbezeigung für den weltberühmten Meister, welcher mit seiner ungeheuren Rüstung von Orden eine mich peinlich berührende Erscheinung abgab, als er dem kurzathmigen Hervorrufe des Publikums durch dankenden Hervortritt auf der Bühne entsprach.

Niemandem war dieser nicht sonderlich erquickliche Erfolg weniger entgangen, als Spontini selbst. Er beschloss einen bessern Anschein zu ertrotzen, und bestand hierzu auf der Ergreifung des Mittels, welches er in Berlin fortgesetzt anzuwenden gewohnt war, um seine Opern stets vor vollem Hause und belebtem Publikum zu geben. Er wählte nämlich immer die Sonntage hiefür, weil ihm die Erfahrung gezeigt hatte, dass Sonntags stets das Haus voll und das Publikum belebt war. Da nun der nächste Dresdener Sonntag, an welchem er seine Vestalin nochmals zu dirigiren sich erbot, noch etwas fern lag, verschaffte uns diese neue Verlängerung seines Aufenthaltes den wiederholten Genuss des besonderen Interesses, mit Spontini öfter in geselligem Verkehr zusammen zu sein. An die theils bei Frau Devrient, theils auch bei mir, in der Unterhaltung mit Spontini verlebten Stunden habe ich eine so genaue Erinnerung bewahrt, dass ich davon gern Einiges mittheile.

Unvergesslich bleibt mir ein Gastmahl bei der Schröder-Devrient, in Folge dessen wir mit Spontini und seiner Frau (einer Schwester des berühmten Pianofortefabrikanten Erard) lange unter sehr anregenden Gesprächen zusammen waren. Seine gewöhnliche Theilnahme an der Unterhaltung war ein vornehm ruhiges Anhören der Gespräche Anderer, welches die Erwartung, um seine Meinung ersucht zu werden, auszudrücken schien. Sobald er dann sprach, geschah es mit rhetorischer Feierlichkeit, in scharf präcisirten Sätzen von kategorischer Tendenz und mit dem Accent, der jeden Widerspruch als eine Beleidigung erklärte. Herr Ferdinand Hiller befand sich unter den miteingeladenen Gästen; er brachte das Gespräch auf Liszt; nachdem dieses länger hin und her geführt war, gab Spontini in der bezeichnenden Weise sein Urtheil ab, welches mir bewies, dass er von seinem Berliner Throne aus die Erscheinungen der Welt gerade nicht mit Unbefangenheit und Milde beurtheilt habe. Wenn er dann in solchen Orakelsprüchen begriffen war, litt er keine Störung durch irgend welches Geräusch; als beim Dessert der Ton erregter geworden war, traf es sich, dass Frau Devrient, während einer ziemlich anhaltenden Rede Spontini's, zur Seite über etwas ein wenig lachte. Spontini schoss einen wüthenden Blick auf seine Frau; Madame Devrient entschuldigte diese sofort, sie selbst sei es gewesen, welche über die Verse einer Bonbondevise unwillkürlich gelacht habe, worauf Spontini erwiderte: »pourtant je suis sûr que c'est ma femme qui a suscité ce rire; je ne veux pas qu'on rie devant moi, je ne rie jamais moi, j'aime le sérieux.« Dennoch gelangte auch er bis zu einer gewissen Gemüthlichkeit. So freute es ihn zum Beispiel, uns durch die Vortrefflichkeit seiner Zähne, mit welchen er laut grosse Stücke Zucker knackte, in Staunen zu versetzen. In steigende Aufregung gerieth er jedoch, als wir nach dem Dîner näher zusammenrückten. So weit ihm diess möglich war, schien er mir wirklich seine besondere Zuneigung geschenkt zu haben; er erklärte offen, dass er mich lieb habe und diess mir nun dadurch bezeugen wolle, dass er mich vor dem Unglück bewahre, in meiner Carrière als dramatischer Componist fortzufahren. Er glaube wohl, dass es ihm schwer fallen würde, mich von dem Werthe eines solchen Freundschaftsdienstes zu überzeugen; da er es aber für wichtig halte, auf diese Weise für mein Glück zu sorgen, werde es ihn nicht verdriessen, zu diesem Zweck ein halbes Jahr in Dresden zu verweilen, welche Gelegenheit wir ja zugleich dazu benützen könnten, seine übrigen Opern, namentlich auch »Agnes von Hohenstaufen«, unter seiner Leitung zur Aufführung zu bringen.

Um seine Ansicht des Verderblichen der Carrière eines dramatischen Componisten als Nachfolger Spontini's zu bezeichnen, begann er mit einem seltsamen Lobe für mich; er sagte: » quand j'ai entendu votre Rienzi, j'ai dit, c'est un homme de génie, mais déjà il a plus fait qu'il ne peut faire«. Um nun zu zeigen, was er unter diesem Paradoxon verstehe, holte er folgendermassen aus: » après Gluck c'est moi qui ai fait la grande révolution avec la Vestale; j'ai introduit le »Vorhalt de la sexte« dans l'harmonie et la grosse caisse dans l'orchestre; avec Cortez j'ai fait un pas plus avant; puis j'ai fait trois pas avec Olympie. Nurmahal, Alcidor et tout ce que j'ai fait dans les premiers temps de Berlin, je vous les livre, c'était des œuvres occasionnelles; mais puis j'ai fait cent pas en avant avec Agnès de Hohenstaufen, où j'ai imaginé un emploi de l'orchestre remplaçant parfaitement l'orgue.« Seit dieser Zeit habe er sich abermals mit einem Sujet » les Athéniennes« zu beschäftigen gesucht; er sei sogar dringend vom Kronprinzen, dem jetzigen König von Preussen, zur Vollendung dieser Arbeit aufgefordert worden, – und zugleich zog er aus seinem Portefeuille zum Zeugniss der Wahrheit einige Briefe dieses Monarchen hervor, welche er uns zu lesen gab. Erst nachdem dieses sorgfältig unsererseits geschehen war, fuhr er fort, dass er trotz dieser schmeichelhaften Aufforderung die musikalische Bearbeitung des übrigens sehr guten Sujets aufgegeben habe, weil es ihm zu Sinnen gekommen sei, dass er unmöglicher Weise seine »Agnes von Hohenstaufen« übertreffen, und etwas Neues erfinden können würde. Die Conclusion lautete nun: » Or, comment voulez-vous que quiconque puisse inventer quelque chose de nouveau, moi Spontini déclarant ne pouvoir en aucune façon surpasser mes œuvres précédentes, d'autre part étant avisé que depuis la Vestale il n'a point été écrit une note qui ne fut volée de mes partitions.« Dass diese Behauptung nicht etwa nur eine Phrase sei, sondern auf der genauesten wissenschaftlichen Untersuchung beruhe, dafür führte er das Zeugniss seiner Frau an, welche mit ihm eine voluminöse Abhandlung eines berühmten Mitgliedes der französischen Academie, dessen Schrift aber aus gewissen Gründen durch den Druck nicht veröffentlicht worden sei, gelesen habe. In dieser sehr eingänglichen Abhandlung von dem grössten wissenschaftlichen Werthe sei nachgewiesen, dass ohne den von Spontini in der Vestalin erfundenen Vorhalt der Sexte die ganze moderne Melodie nicht existiren würde, und dass jede melodische Form, deren man sich seitdem bedient hätte, lediglich seinen Stücken entnommen sei. Ich war starr, hoffte aber doch den unerbittlichen Meister mindestens über die ihm selbst vorbehaltenen Möglichkeiten zu einer besseren Meinung zu bringen. Ich gab zu, dass dem allen gewiss ganz so sei, wie jener Academiker es bewiesen; dennoch frug ich ihn, ob er nicht glaube, dass, wenn ihm ein dramatisches Gedicht von neuer, ihm noch unbekannt gebliebener poetischer Tendenz vorgelegt würde, er aus dieser auch Anregung zu neuer musikalischer Erfindung gewinnen würde. Mitleidig lächelnd erklärte er, dass meine Frage eben einen Irrthum enthalte: worin sollte dieses Neue bestehen? » Dans la Vestale j'ai composé un sujet romain, dans Fernand Cortez un sujet espagnol-mexicain, dans Olympie un sujet grec-macédonien, enfin dans Agnès de Hohenstaufen un sujet allemand: tout le reste ne vaut rien.« Er hoffe doch nicht, dass ich etwa den sogenannten romantischen Genre à la Freischütz im Sinne habe? Mit solchen Kindereien gebe sich kein ernster Mann ab; denn die Kunst sei etwas Ernstes und allen Ernst habe er erschöpft. Aus welcher Nation endlich sollte auch der Componist kommen, der ihn überbieten könnte? Doch nicht etwa von den Italienern, welche er einfach als cochons traktirte, von den Franzosen, welche es nur diesen nachgemacht hätten, oder von den Deutschen, welche nie aus ihren Kindereien herauskommen würden, und bei denen, wenn jemals gute Anlagen unter ihnen gewesen seien, jetzt durch die Juden bereits Alles verdorben sei? » Oh croyez-moi, il y avait de l'espoir pour l'Allemagne lorsque j'étais empereur de la musique à Berlin; mais depuis que le roi de Prusse a livré sa musique au désordre occasionné par les deux juifs errants qu'il a attirés, tout espoir est perdu.«

Unsere liebenswürdige Wirthin glaubte nun zu bemerken, dass es gut sei, den sehr aufgeregten Meister etwas zu zerstreuen. Das Theater lag nur wenige Schritte von ihrer Wohnung entfernt; sie lud ihn ein, sich von unserm Freund Heine, der sich unter den Gästen befand, hinüber geleiten zu lassen, um von einer Aufführung der »Antigone«, welche soeben dort vor sich ging, und die ihn gewiss wegen der antiken Einrichtung der Bühne, nach Semper's vorzüglichem Arrangement, interessiren würde, sich etwas anzusehen. Er wollte diess abschlagen, da er behauptete, diess Alles schon besser von seiner »Olympia« her zu kennen. Dennoch gelang es, ihn dazu zu bewegen; nur kehrte er nach kürzester Zeit wieder zurück, und erklärte verächtlich lächelnd, genug gesehen und gehört zu haben, um in seiner Meinung bestärkt zu sein. Heine erzählte uns, dass kurz nachdem er mit Spontini auf die fast ganz leere Tribüne des Amphitheaters getreten, dieser beim Beginn des Bachus-Chores sich zu ihm umgewendet habe: » C'est de la Berliner Sing-Academie, allons nous en.« Durch die geöffnete Thüre sei ein Streiflicht auf eine zuvor unbemerkte einsame Gestalt hinter einer Säule gefallen; Heine habe Mendelssohn erkannt, und sofort geschlossen, dass dieser Spontini's Aeusserung vernommen habe.

Aus den sehr erregten Aeusserungen des Meisters ging uns in der Folge noch deutlich hervor, dass er es darauf abgesehen habe, von uns veranlasst zu werden, längere Zeit in Dresden zu verweilen, und seine sämmtlichen Opern zur Aufführung zu bringen. Bereits glaubte aber Frau Schröder-Devrient weise daran zu thun, in Spontini's eigenem Interesse, da sie ihm einen ärgerlichen Misserfolg seiner leidenschaftlich genährten Erwartungen betreffs der Aufnahme einer zweiten Aufführung der Vestalin ersparen wollte, eben diese Aufführung während seiner Anwesenheit zu verhindern. Sie schützte wiederum ein Unwohlsein vor, und ich erhielt von der Direction den Auftrag, Spontini von der voraussichtlich längeren Verzögerung in Kenntniss zu setzen. Dieser Besuch war mir so peinlich, dass es mir lieb war, mich von Röckel, welchen Spontini ebenfalls liebgewonnen hatte, und welchem das Französische weit geläufiger war als mir, begleiten zu lassen. Mit wahrer Bangigkeit traten wir ein und vermutheten, einen bösen Auftritt erleben zu müssen: wie erstaunt waren wir dagegen, als wir den Meister, welcher durch ein Billet der Devrient bereits freundlich unterrichtet war, in heiter verklärter Miene antrafen. Er eröffnete uns, dass er auf das Schnellste nach Paris reisen müsse, um von dort so bald wie möglich nach Rom zu gelangen, wohin er vom heiligen Vater berufen sei, von dem ihm soeben die Ernennung zum »Grafen von San Andrea« zugekommen sei. Zugleich zeigte er uns noch ein zweites Document, durch welches ihm der König von Dänemark »den dänischen Adel verliehen habe«; es war diess nämlich die Ernennung zum Ritter vom Elephanten-Orden, welcher allerdings Adelswürde verleiht; er erwähnte aber nur dieses Adels, nicht des Ordens, weil ihm diess schon zu gemein war. Seine stolze Genugthuung hierüber äusserte sich mit fast kindischer Freude; aus dem engen Kreise der Dresdener Vestalinoperation war er wie durch Zauber befreit und in ein Reich der Glorie versetzt, aus welchem er auf die Opernnöthen dieser Welt mit engelhaftem Behagen herabblickte. Von mir und Röckel wurden der heilige Vater und der König von Dänemark innig gepriesen. Wir schieden mit Rührung von dem seltsamen Meister, und, um ihn ganz glücklich zu machen, gab ich ihm das Versprechen, seinen Freundesrath in Betreff des Operncomponirens recht angelegentlich zu überdenken.

Ich erfuhr später, dass Spontini sich noch einmal über mich geäussert habe, nämlich als er erfuhr, dass ich Dresden als politischer Flüchtling verlassen und in der Schweiz Asyl gesucht hatte; er war der Meinung, dass diess in Folge meiner Betheiligung an einem hochverrätherischen Unternehmen gegen den König von Sachsen, welchen er, da er mich als Kapellmeister bei sich anstellte, als meinen Wohlthäter betrachtete, geschehen sei, und rief schmerzlich verwundert aus: »Quelle ingratitude!« – Ueber seinen endlich erfolgten Tod theilte mir Berlioz, der sein Sterbelager nie verliess, mit, dass der Meister sich auf das Aeusserste gegen sein Sterben gesträubt habe; wiederholt rief er: »je ne veux pas mourir, je ne veux pas mourir!« Als ihn Berlioz tröstete: »comment pouvez-vous penser mourir, vous, mon maître, qui êtes immortel!« verwies ihm diess Spontini ärgerlich: »ne faites pas de mauvaises plaisanteries!« – Die Nachricht von seinem Tode, welche ich in Zürich erhielt, berührte mich, trotz aller wunderlichen Erfahrungen und Erinnerungen, doch sehr bedeutsam: ich gab meiner Stimmung und meinem Urtheil über ihn einen gedrängten Ausdruck in der »Eidgenössischen Zeitung«, wobei ich besonders das an ihm hervorhob, dass er, im Gegensatz zu dem jetzt herrschenden Meyerbeer und selbst zu dem noch lebenden greisen Rossini, sich durch einen wahrhaften Glauben an sich und seine Kunst ausgezeichnet habe. Dass dieser Glaube, wie ich es fast zu meinem Entsetzen erleben musste, in einen gespenstigen Aberglauben ausgeartet war, verschwieg ich.

Ich entsinne mich nicht, in meiner damaligen Stimmung in Dresden Veranlassung gefunden zu haben über die höchst sonderbaren Eindrücke, welche ich von der merkwürdigen Begegnung mit Spontini erhielt, gründlicher nachzudenken, um sie mit meiner, eben hierbei nichtsdestoweniger gesteigerten, Hochachtung für den grossen Meister in Uebereinstimmung zu bringen. Offenbar hatte ich nur seine Carricatur kennen gelernt; die Anlagen zu einer so auffallenden Uebertreibung des Selbstbewusstseins mögen allerdings schon aus dem in seinen rüstigen Jahren von ihm bewährten Charakter nachweislich sein. Nicht minder nachweisbar dünkte mich jedoch auch der Einfluss des ganz wesenhaften Verfalls der musikalisch dramatischen Kunsttendenz der Periode, welche Spontini in einem so unklaren und nichtigen Verhältnisse, wie seine Berliner Stellung es enthielt, altern sah. Dass er sein Hauptverdienst ganz überraschender Weise in Nebendinge setzte, zeigte an, dass sein Urtheil kindisch geworden war; diess konnte jedoch in meinen Augen den ungemeinen Werth seiner Werke, mochte er selbst ihn auch in monstruöser Uebertreibung begreifen, deshalb nicht herabsetzen. Was ihn dagegen zu so maassloser Selbstschätzung getrieben hatte, sein Vergleich mit denjenigen Kunstgrössen, welche jetzt ihn verdrängten, konnte, wenn ich ihn meinerseits ebenfalls anstellte, nicht minder zu seiner Rechtfertigung dienen; denn in seiner Verachtung dieser Grössen fühlte ich in meinem tiefsten Innern mich ihm verwandter, als ich damals noch laut gestehen mochte. So kam es, dass sonderbarer Weise diese Begegnung in Dresden, so durchweg lächerliche Züge sie fast einzig auch darbot, mich im Grunde mit einer fast grauenvollen Sympathie für diesen Mann erfüllte, dessen Gleichen ich nie wieder begegnen sollte. –

Dagegen brachte die nächste Zeit andere Erfahrungen von bedeutenden künstlerischen Persönlichkeiten unserer Epoche in mein Leben. Diese nahmen sich auffallend anders aus, und von einer der vorzüglichsten derselben, Heinrich Marschner, habe ich jetzt zu berichten.

Marschner war sehr jung als Musikdirektor der Dresdener Kapelle von Weber berufen worden. Nach Weber's Tode scheint er sich geschmeichelt zu haben, in dessen leer gewordene Stelle nachzurücken; weniger seinem bis dahin minder bekundeten Verdienste, als seinem persönlichen, etwas abstossenden Benehmen scheint er es zuzuschreiben gehabt zu haben, dass er in seinen Erwartungen getäuscht wurde. Dagegen überraschte ihn eines Tages seine Frau durch eine unvermuthete Erbschaft, welche es ihm ermöglichte, ohne Anstellung seine Laufbahn als Operncomponist mit Energie anzutreten. In meiner wilden Jugendzeit, als sich die Musik meiner bemächtigt hatte, lebte Marschner in Leipzig, und wurden dort seine namhaften Opern, der Vampyr und Templer und Jüdin, zuerst aufgeführt. Meine Schwester Rosalie hatte mich einmal zu ihm gebracht, um von ihm ein Urtheil über mich zu erhalten. Er benahm sich nicht unfreundlich; das Ergebniss blieb aber ohne bestimmten Einfluss. Noch erlebte ich eine erste Aufführung seiner Oper: des Falkner's Braut, deren Erfolg jedoch nicht günstig ausfiel. Dann kam er nach Hannover; seine Oper Hans Heiling, welche er in Berlin zuerst aufführte, lernte ich seiner Zeit in Würzburg zuerst kennen; sie zeigte mir Schwanken in der Tendenz und Abnahme der Gestaltungskraft. Seitdem erschienen mehrere Opern wie: das Schloss am Aetna und der Bäbu, welche sich nie verbreiteten. Von der Dresdener Direktion war er immer wie aus alter Rancune vernachlässigt worden; nur sein » Templer« wurde öfter gegeben. Die Direktion dieser Oper blieb meinem Collegen Reissiger zugetheilt; in dessen Abwesenheit hatte doch auch ich einmal sie zu dirigiren; es war die Zeit, in welcher ich am Tannhäuser arbeitete. Ich entsinne mich, dass, obwohl ich die gleiche Oper früher schon in Magdeburg häufig aufgeführt hatte, diessmal die wüste, unmeisterliche Instrumentation mich so peinlich affizirte, dass ich wirklich darunter litt, und Reissiger nach dessen Rückkehr auf das ernstlichste bat, die Direktion dieser Oper unter allen Umständen zu behalten. Dagegen hatte ich sogleich nach dem Antritt meiner Stelle die Aufführung des Hans Heiling betrieben, lediglich von dem hierbei betroffenen künstlerischen Ehrenpunkte ausgehend. Die ungenügende Besetzung der Parthien, wie sie zur Zeit nicht anders möglich war, liess zuerst einen durchgreifenden Erfolg nicht aufkommen; unter allen Umständen schien aber die Tendenz des Werkes merklich veraltet. Nun erfuhr ich aber, dass Marschner eine neue Oper, Adolph von Nassau, fertig habe; in einer mir zukommenden Reclame, deren Wahrhaftigkeit ich nicht zu beurtheilen vermochte, war die »patriotische, edle deutsche Tendenz« dieser neuesten Schöpfung Marschner's mit besondrem Nachdruck hervorgehoben; es lag mir daran, das Dresdener Theater an die Initiative zu gewöhnen, und ich bestimmte Hn v. Lüttichau, die Oper, noch ehe sie sonst wo aufgeführt sei, sofort für Dresden zu verlangen. Marschner, welcher von den hannoverschen Theaterbehörden nicht mit besonderer Vorliebe behandelt zu werden schien, nahm die Einladung mit grosser Wärme auf, sandte seine Partitur, und erklärte sich bereit, zur Aufführung selbst nach Dresden zu kommen. Herrn v. Lüttichau war es nicht recht, ihn selbst an der Spitze der Kapelle wiederzusehen; auch ich fand, dass eine zu häufige Berufung fremder Dirigenten zur persönlichen Leitung ihrer Werke unter Umständen zu Verwirrungen führen könnte, die nicht immer so unterhaltend und lehrreich wie beim Spontini'schen Besuch ausfallen könnten. Es blieb dabei, dass die Oper meiner persönlichen Leitung übergeben war. – Wie bereuete ich das! Die Partitur kam an: ein elendes Buch von Karl Golmick war vom Componisten des Templer in so seichter Weise componirt worden, dass schliesslich der Haupteffekt in ein vierstimmiges Trinklied verlegt war, worin der deutsche Rhein und deutsche Wein in der bekannten Männerquartett-Weise gefeiert wurde. Mir entsank sofort der Muth; doch war die Sache nicht mehr rückgängig zu machen, und ich musste nun suchen, durch eine ernste Miene die Sänger an der Ausdauer zu erhalten: diess war schwer. Tichatschek und Mitterwurzer hatten die männlichen Hauptrollen; Beide, eminent musikalisch, sangen sofort Alles vom Blatte, und blickten nach jeder Nummer auf mich, was ich dazu meinte? Ich behauptete, es wäre gute deutsche Musik: sie sollten sich nur nicht irre machen lassen; sie sahen sich verwundert an, und wussten nicht, was sie von mir halten sollten. Endlich wurde es ihnen zu arg, und als ich noch bei meiner ernsten Miene verblieb, brachen sie in lautes Lachen aus, in welches ich denn nun unwillkürlich mit einstimmen musste. Ich hatte sie zu Mitwissern meiner Noth zu machen, und sie zu beschwören, da es nun nicht mehr zu ändern sei, meine nothgedrungene ernste Miene gleichfalls anzunehmen. Eine Wiener Coloratur-Sängerin vom neuesten Styl, Frau Spatzer-Gentiluomo, welche uns von Hannover zugekommen war, und auf deren Mitwirkung Marschner grossen Werth legte, blieb nicht ungünstig für ihre Parthie gestimmt, da sie fand, dass darin mancherlei Rücksicht auf die Erfordernisse der »Brillanz« genommen sei. Wirklich fand sich ein Finale vor, in welchem mein »deutscher Meister« Donizetti den Rang abzulaufen versucht hatte: die Prinzessin war durch eine goldene Rose – das Geschenk des bösen Bischofs von Mainz – vergiftet worden, und gerieth darüber in Delirium; Adolph von Nassau, mit den Rittern des deutschen Reiches, schwört Rache, und ergiesst sich in eine vom Chor accompagnirte Stretta von unglaublicher Gemeinheit und Unbeholfenheit, so dass Donizetti sie jedenfalls seinem geringsten Schüler vor die Füsse geworfen haben würde. – Zu den Hauptproben kam nun Marschner an, ward durchaus befriedigt, und bot mir genügende Veranlassung, mich in der Kunst, ohne zu lügen, doch meine Meinung zurückzuhalten, solcher Weise zu üben, dass unser Gast sich rücksichtsvoll und eifrig von mir behandelt annehmen durfte. Bei der Aufführung aber ging es dem Publikum nicht viel anders, als es meinen Sängern in der Probe ergangen war: wir brachten ein todtgebornes Kind zur Welt; doch tröstete es Marschner vollständig, dass sein Trinkquartett, welches noch etwas in das Becker'sche Lied: » Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein« hinüberspielte, da capo gerufen wurde. Nach der Aufführung bewirthete ich den Componisten mit einigen Freunden bei mir mit einem Nachtessen, von welchem leider meine Sänger, welche genug hatten, ausblieben. Herr Ferdinand Hiller hatte die Geistesgegenwart, bei einem auf Marschner ausgebrachten Toast sich dahin auszusprechen, dass, man möge ungefähr sagen was man wolle, hier der Accent auf den deutschen Meister und das deutsche Werk zu legen sei. Er wurde drolliger Weise hierin von Marschner desavouirt, welcher uns im Gegentheil belehrte, dass es mit der deutschen Operncomponirerei einen Haken habe, und man denn doch auch auf die Bedürfnisse der Sänger und ihre Fähigkeiten zum brillanten Gesang mehr Rücksicht nehmen müsse, als diess leider von ihm selber bisher geschehen sei.

Der ungeheure Verfall des wahrhaft hochbegabten deutschen Musikers beruhte demnach zum grossen Theil auf einer wirklichen Tendenz, welche in dem alternden Meister eine wichtige und, wie er glaubte, sehr erfolgreiche Aenderung hervorgerufen hatte. In späteren Jahren traf ich auf ihn nochmals in Paris, in der Zeit meiner dortigen abenteuerlichen Tannhäuser-Aufführung. Ich fand keine Neigung, mich ihm diessmal zu nähern, da ich es mir, aufrichtig gemeint, ersparen wollte, Zeuge der letzten Consequenz seiner damals in Dresden uns dokumentirten Sinnes-Aenderung zu werden. Ich erfuhr, dass er, in ziemlich unbehülflichem kindischem Zustand angelangt, von einer ehrgeizigen jüngeren Frau gegängelt werde, welche die Absicht hatte, für ihn eine letzte Pariser Glorie zu erwerben. Bei dieser Gelegenheit las ich mitunter in Reklamen für den Marschner'schen Ruhm, das Pariser Publikum solle doch nicht etwa glauben, dass ich den deutschen Geist in der Musik gegenwärtig repräsentire; denn dieser Geist sei, wie man sich überzeugen werde, wenn man nur Marschner zu Worte kommen lassen wolle, bei weitem gefügiger und für die Franzosen geniessbarer, als man es an meinen Werken erfahren würde. Marschner starb ehe seine Frau mit dem Beweis hierfür zu Ende kam. –

Sehr hübsch und zutraulich nahm sich dagegen, namentlich um jene Zeit, in Dresden Ferdinand Hiller aus. Zwar hatte sich auch Meyerbeer zuweilen in Dresden eingefunden, man wusste nicht recht, weshalb: einmal hatte er am »Pirnaischen Schlage« eine kleine Sommerwohnung gemiethet, unter einem hübschen Baum im Garten ein kleines Klavier aufstellen lassen, und arbeitete dort in idyllischer Zurückgezogenheit an einem »Feldlager in Schlesien«. Doch hielt er sich auffallend wenig bemerklich, und ich machte so gut wie keine Erfahrung von ihm. Ungleich breiter und gediegener nahm jedoch Ferdinand Hiller das musikalische Terrain Dresden's, soweit es nicht officiell durch die k. Kapelle und ihre Meister besetzt war, in Beschlag, um es eine Reihe von Jahren hindurch nach Kräften thätig zu bearbeiten. Mit einigem Vermögen ausgestattet, richtete er sich eine behagliche Niederlassung bei uns ein, und machte, wie man bald allgemein rühmte, ein »angenehmes Haus«, welches namentlich von der zahlreichen polnischen Colonie durch Vermittelung der Frau Hiller, einer ausserordentlich polnischen Jüdin, die sich mit ihrem Mann zugleich, und noch dazu in Italien, protestantisch hatte taufen lassen, zu einem beliebten Vereinigungspunkte erwählt wurde. Sein Auftreten begann in Dresden ebenfalls mit einer von uns gegebenen Oper seiner Composition: »der Traum in der Christnacht«. Seit dem unerhörten Vorgange, dass mit meinem »Rienzi« zum ersten Male das Dresdener Publikum sich durch Creirung eines, wenigstens dort andauernden, Erfolges emancipirte, lenkte sich der Blick manches Opernkomponisten für einige Zeit nach unserem gemüthlichen »Elb-Florenz«, von welchem Laube einmal behauptete, es geschähe einem, als ob man ihm, sobald man es beträte, immer etwas abzubitten habe, da man so manches Gute dort fände, welches man vollständig vergässe, wenn man wieder fort sei. Auch »der Traum in der Christnacht« wurde von dessen Schöpfer für ein besonders »deutsches Werk« gehalten: ein grauenhaftes Raupach'sches Stück, »der Müller und sein Kind«, in welchem Vater und Tochter kurze Zeit aufeinander an der Schwindsucht sterben, war für Hiller in, wie er meinte, recht populärer Weise zu einem Opernsujet mit Dialog und Musik hergerichtet worden. Er hatte damit dasselbe Schicksal, von dem mir Liszt einmal mittheilte, dass es merkwürdigerweise Hiller immer verfolgte. Bei seinen anerkannten, und namentlich auch von Rossini gewürdigten musikalischen Verdiensten, habe er doch immer erleben müssen, dass, so wie er eine Oper von sich aufführte, sei es französisch in Paris, oder italienisch in Italien, sie immer durchfiel. Auf deutschem Boden hatte er es nun auf » Mendelssohnisch« versucht, und wirklich ein Oratorium, »die Zerstörung Jerusalems«, zu Stande gebracht, welches sich des Vortheils, von dem launenhaften Theaterpublikum nicht beachtet zu werden, erfreuen, und seinem Schöpfer den unverwüstlichen Ruf eines gediegenen deutschen Componisten eintragen durfte. Auch war er für Mendelssohn, als dieser zur Generaldirektion nach Berlin berufen war, zu der Leitung der Leipziger »Gewandhausconcerte« eingetreten. Dort war ihm aber sein altes Unglück wieder gekommen: er konnte sich nicht halten, wie es hiess, seiner Frau wegen, welche man nicht als Concert-Primadonna gelten lassen wollte. Mendelssohn kehrte zurück und verjagte ihn; Hiller rühmte sich, mit ihm sich überworfen zu haben. Dresden und der Erfolg meines »Rienzi« lagen ihm nun so nahe, dass der Versuch einer Wiederaufnahme der Chancen als Opernkomponist sich ganz von selbst darbot. Er wusste es durch seine imponirende Geschäftigkeit und den eigenthümlichen Reiz, welchen der Sohn einer reichen Banquier-Familie selbst in den Augen eines Hoftheaterintendanten ausübt, dahin zu bringen, dass mein armer Freund Röckel, dem jetzt eigentlich die Aufführung seines »Farinelli« zugesagt war, seines »Christnachts-Traumes« wegen bei Seite geschoben wurde. Er fand überhaupt, dass neben Reissiger und mir doch ein Mensch von grösserem musikalischen Rufe, als gerade Röckel es sei, placirt sein sollte. Herr v. Lüttichau fand jedoch, dass er an unsren beiden Berühmtheiten gerade genug hatte, da wir uns namentlich so friedlich vertrügen, und behielt für Hiller's Verlockungen ein taubes Ohr. Mir persönlich machte der »Traum in der Christnacht« einige Noth; ich hatte davon eine Wiederholung zu dirigiren, welche vor sehr leerem Hause vor sich ging. Hiller fand nun, dass er Unrecht gethan, meinem früher ertheilten Rathe, die Oper um einen Akt zu kürzen und den Schluss zu ändern, nicht nachgekommen zu sein, und glaubte mich jetzt mit der Nachricht erfreuen zu müssen, dass er meinen Wünschen vollständig nachkommen werde, sobald er sich einer abermaligen Wiederholung seiner Oper dadurch versichert halten dürfte. Ich brachte es wirklich dahin, dass diese zu Stande kam. Das Werk konnte sich aber nicht wieder erholen, und Hiller, der mein Gedicht zum »Tannhäuser« kennen lernte, fand, dass ich allerdings einen grossen Vortheil hätte, indem ich mir meine Operntexte selbst machte und diese so gut ausfielen. Ich musste ihm versprechen, bei der Wahl und Ausarbeitung eines nächstens von ihm zu componirenden neuen Sujets als Freund an die Hand zu gehen. Nicht lange hierauf wohnte Hiller einer Aufführung meines »Rienzi« bei, welche wiederum vor überfülltem Hause und sehr erregtem Publikum stattfand. Den Augenblick, in welchem ich nach dem zweiten Akte, um dem ungestümen Herausrufe des Publikums nachzukommen, mit der entsprechenden aufgeregten Eile mich aus dem Orchester entfernte, benutzte der auf dem Corridor harrende Hiller, um seinem flüchtigen Glückwunsche zu meinem Erfolge die hastig dringende Bitte beizufügen: »geben Sie doch auch meinen »Traum« noch einmal«, was ich ihm, so weit an mir es läge, lachend versprach. Ob es jedoch dazu kam, ist mir nicht erinnerlich. In der Erwartung der glücklichen Geburt des rechten neuen Opernsujets, ergab sich Hiller zunächst der eifrigen Pflege der Kammermusik, wofür ihm ein schön eingerichteter Salon von besonderem Vortheil war.

Ein schönes und ernstes Ereignis wirkte auf die Stimmung, in welcher ich schon am Ende des abgelaufenen Jahres die Composition des »Tannhäuser« beendigte, in der Art ein, dass es die aus dem soeben geschilderten äusseren Verkehr mir erwachsenden Zerstreuungen vortheilhaft neutralisirte. Es war die im December 1844 glücklich ausgeführte Uebersiedelung der sterblichen Ueberreste Karl Maria v. Webers aus London nach Dresden. Wie ich bereits erwähnte, hatte sich seit Jahren ein Comité gebildet, welches für diese Uebersiedelung agitirte. Durch einen Reisenden war es bekannt geworden, dass der unscheinbare Sarg, welcher Weber's Asche verwahrte, in einem entlegenen Raum der Londoner Paul's-Kirche so rücksichtslos untergebracht sei, dass zu fürchten stünde, in nicht langer Zeit werde er gar nicht mehr zu finden sein. Mein genannter energischer Freund, Professor Löwe, hatte diese Kunde benutzt, um die Liedertafel, sein Steckenpferd, zum Angriff der Unternehmung der Uebersiedelung der Weber'schen Ueberreste zu treiben. Das Männergesangsconcert, zum Zweck der Aufbringung der Kosten veranstaltet, hatte einen verhältnissmässig bedeutenden Erfolg gehabt; man wollte nun die Theaterintendanz auffordern, in gleichem Sinne sich zu bewähren, als man hiergegen an Ort und Stelle auf einen ersten zähen Wiederstand stiess. Von Seiten der Dresdener Generaldirektion war dem Comité bedeutet worden, der König fände religiöse Bedenken gegen die beabsichtigte Störung der Ruhe eines Todten. Man mochte diesem angegebenen Motive nicht recht trauen, konnte aber doch nichts ausrichten, und nun ward meine neue hoffnungsreiche Stellung benutzt, um mich für das Vorhaben eintreten zu lassen. Mit grosser Wärme ging ich hierauf ein; ich liess mich zum Vorstand wählen; man zog eine künstlerische Autorität, den Direktor des Antiken-Cabinets, Herrn Hofrath Schulz, ausserdem noch einen christlichen Banquier hinzu; die Agitation ward von Neuem lebhaft betrieben; Aufforderungen ergingen nach allen Seiten; ausführliche Pläne wurden entworfen, und vor Allem fanden zahllose Sitzungen statt. Hier trat ich denn abermals in einen Antagonismus mit meinem Chef, Herrn v. Lüttichau: er hätte mir, mit Bezug auf den vorgegebenen königlichen Willen, gewiss gern Alles einfach verboten, wenn es gegangen wäre, und wenn er nicht, nach der Erfahrung von der im Sommer vorausgegangenen Empfangs-Musik für den König, wie man (auch nach der Gewohnheit des Herrn v. Lüttichau) sich populär ausdrückte, »ein Haar darin gefunden hätte«, mit mir in solchen Dingen anzubinden. Da es mit dem königlichen Widerwillen gegen die Unternehmung jedenfalls nicht so bestimmt gemeint war, er auch schliesslich einsehen musste, dass dieser königliche Wille die Ausführung des Unternehmens auf dem Privatwege nicht hätte verhindern können, dagegen es dem Hofe Gehässigkeit zuziehen musste, wenn das k. Hoftheater, dem einst Weber angehört hatte, sich feindselig davon ausschloss, so suchte mich Herr v. Lüttichau mehr durch gemüthliche Vorstellungen von meiner Theilnahme, ohne welche, wie er meinte, die Sache doch nicht zu Stande kommen würde, abzubringen. Er stellte mir nämlich vor, wie er doch unmöglich zugeben könnte, dass gerade dem Andenken Weber's eine solche übertriebene Ehre erwiesen würde, während doch der verstorbene Morlacchi viel längere Zeit um die k. Kapelle sich verdient gemacht habe, und Niemand daran denke, dessen Asche aus Italien herzuholen. Zu welchen Consequenzen sollte das führen? Er setze den Fall, Reissiger stürbe nächstens auf einer Badereise; seine Frau könne mit Recht dann eben so gut, wie jetzt Frau v. Weber (welche ihm ausserdem Aerger genug gemacht habe) verlangen, dass man die Leiche ihres Mannes mit Sang und Klang kommen liesse. Ich suchte ihn hierüber zu beruhigen; gelang es mir nicht, ihm die Unterschiede klar zu machen, über welche er in Verwirrung gerieth, so vermochte ich ihn doch davon zu überzeugen, dass jetzt die Sache ihren Lauf nehmen müsse, namentlich da schon das Berliner Hoftheater zur Unterstützung unseres Zweckes eine Benefiz-Vorstellung angekündigt habe. Diese, durch Meyerbeer, an welchen mein Comité sich gewandt hatte, veranlasst, fand mit einer Vorstellung der »Euryanthe« wirklich statt, und lieferte das schöne Ergebniss eines Beitrags von vollen 2000 Thalern. Einige geringere Theater folgten; so konnte nun auch das Dresdener Hoftheater nicht länger zurückstehen, und es fand sich, dass wir unserem Banquier für jetzt ein genügendes Capital aufweisen konnten, um dadurch die Uebersiedelungskosten, sowie die Bestellung einer geeigneten Gruft mit entsprechendem Grabmal, zu bestreiten, und auch noch einen Grundstock übrig behielten für die dereinst zu erschwingende Statue Webers. Der ältere der beiden hinterlassenen Söhne des verewigten Meisters reiste selbst nach London, um die Asche seines Vaters zurückzuführen. Diess geschah zu Schiff auf der Elbe, wo sie schliesslich am Dresdener Landungsplatz anlangte, um hier zuerst auf deutsche Erde übergeführt zu werden. Diese Ueberführung sollte am Abend bei Fackelschein in feierlichem Zuge vor sich gehen; ich hatte es übernommen, für die dabei auszuführende Trauermusik zu sorgen. Ich stellte diese aus zwei Motiven der »Euryanthe« zusammen; durch die Musik, welche die Geistervision in der Ouvertüre bezeichnet, leitete ich die ebenfalls ganz unveränderte, nur nach B-dur transponirte Cavatine der »Euryanthe« » hier dicht am Quell« ein, um hieran die verklärte Wiederaufnahme des ersten Motives, wie sie sich am Ende der Oper wieder vorfindet, als Schluss anzureihen. Dieses somit sehr gut sich fügende symphonische Stück hatte ich für 80 ausgewählte Blasinstrumente besonders orchestrirt, und bei aller Fülle hierbei namentlich auf die Benützung der weichsten Lagen derselben studirt; das schaurige Tremolo der Bratschen in dem der Ouvertüre entlehnten Theile liess ich durch zwanzig gedämpfte Trommeln im leisesten Piano ersetzen, und erreichte durch das Ganze, schon als wir es im Theater probirten, eine so überaus ergreifende, und namentlich gerade unser Andenken an Weber innig berührende Wirkung, dass, wie die hierbei gegenwärtige Frau Schr.-Devrient, welche allerdings noch Weber persönlich befreundet gewesen war, zu der erhabensten Rührung hingerissen wurde, auch ich mir sagen konnte, noch nie etwas seinem Zwecke so vollkommen entsprechendes ausgeführt zu haben. Nicht minder glückte die Ausführung der Musik auf offener Strasse beim feierlichen Zuge selbst: da das sehr langsame Tempo, welches sich durch keinerlei rhythmische Merkmale deutlich zeichnete, hierfür besondere Schwierigkeiten machen musste, hatte ich bei der Probe die Bühne gänzlich entleeren lassen, um so den geeigneten Raum zu gewinnen, auf welchem ich die Musiker, nachdem sie das Stück gehörig eingeübt hatten, nun auch während des Vortrags im Kreise um mich her gehen liess. Mir wurde von Zeugen, welche an den Fenstern den Zug kommen und vorübergehen sahen, versichert, dass der Eindruck der Feierlichkeit unbeschreiblich erhaben gewesen sei.

Nachdem wir den Sarg in der kleinen Todtenkapelle des katholischen Friedhofs in Friedrichstadt, in welcher er still und bescheiden von Frau Devrient mit einem Kranz bewillkommt worden war, beigesetzt hatten, ward nun am andern Vormittag die feierliche Versenkung desselben in die von uns bereit gehaltene Gruft ausgeführt. Mir, nebst dem andern Vorsitzenden des Comité's, Herrn Hofrath Schulz, war die Ehre zugetheilt worden, eine Grabrede zu halten. Was mir zu ihrer Abfassung einen besonders rührenden Stoff ganz frisch zugeführt hatte, war der kurz vor dieser Uebersiedelung erfolgte Tod des zweiten Sohnes des seligen Meisters, Alexander von Weber. Seine Mutter war durch diesen unerwarteten Todesfall des blühenden Jünglings so furchtbar erschüttert, dass wir, wäre unser Unternehmen nicht bereits zu weit gediehen gewesen, uns beinahe veranlasst gesehen hätten, es aufzugeben, da die Wittwe in diesem so schrecklichen neuen Verluste ein Urtheil des Himmels zu erkennen geneigt schien, welches hiermit den Wunsch der Uebersiedelung der Asche des längst dahin Geschiedenen als einen Frevel der Eitelkeit bezeichne. Da das Publikum, in seiner besondern Gemüthlichkeit, ähnliche Vorstellungen ebenfalls unter sich aufkommen liess, hielt ich mir die Aufgabe zuertheilt, auch hiergegen unser Unternehmen in das rechte Licht zu stellen; und es gelang mir so, dass von allen Seiten mir bezeugt wurde, dass gegen meine gelungene Rechtfertigung nicht das Mindeste mehr aufkäme. Eine besondere Erfahrung machte ich hierbei an mir selbst, da ich zum ersten Mal in meinem Leben in feierlicher Rede mich öffentlich vorzustellen hatte. Ich habe seitdem bei vorkommender Veranlassung, Reden zu halten, stets nur ex tempore gesprochen; dieses erste Mal hatte ich mir jedoch meine Rede, schon um ihr die nöthige Gedrängtheit zu geben, zuvor schriftlich ausgearbeitet und sie genau memorirt. Da der Gegenstand und meine Fassung desselben mich vollständig erfüllten, war ich meines Gedächtnisses so gewiss, dass ich an keinerlei Vorkehrung zur Nachhülfe dachte; hierdurch setzte ich meinen Bruder Albert, welcher bei der Feierlichkeit in meiner Nähe stand, für einen Moment in grosse Verlegenheit, so dass er gestand, bei aller Ergriffenheit, mich verwünscht zu haben, dass ich ihm das Manuscript nicht zum souffliren zugestellt hätte. Es begegnete mir nämlich, dass, als ich meine Rede deutlich und volltönend begonnen, ich von der fast erschreckenden Wirkung, welche meine eigene Sprache, ihr Klang und ihr Accent auf mich selbst machten, für einen Augenblick so stark affizirt wurde, dass ich in völliger Entrücktheit, wie ich mich hörte, so auch der athemlos lauschenden Menge gegenüber mich zu sehen glaubte, und, indem ich mich mir so objektivirte, völlig in eine gespannte Erwartung des fesselnden Vorganges gerieth, welcher sich vor mir zutragen sollte, als ob ich gar nicht derselbe wäre, der anderseits hier stehe und zu sprechen habe. Nicht die mindeste Bangigkeit oder auch nur Zerstreutheit kam mir hierbei an; nur entstand nach einem geeigneten Absatz eine so unverhältnissmässig lange Pause, dass, wer mich mit sinnend entrücktem Blicke dastehen sah, nicht wusste, was er von mir denken sollte. Erst mein eigenes längeres Schweigen und die lautlose Stille um mich herum erinnerten mich daran, dass ich hier nicht zu hören, sondern zu sprechen hätte; sofort trat ich wieder ein, und sprach meine Rede mit so fliessendem Ausdruck bis an das Ende, dass mir hierauf der berühmte Schauspieler Emil Devrient versicherte, wie er nicht nur als Theilnehmer der ergreifendsten Leichenfeier, sondern namentlich auch als dramatischer Redner von dem Vorgange auf das Erstaunlichste imprimirt worden sei. Die Feier fand ihren Abschluss durch den Vortrag eines von mir verfassten und komponirten Gedichtes, welches, sehr schwierig für Männergesang, unter der Anführung unserer besten Theater-Sänger sehr gut aufgeführt wurde. Herr von Lüttichau, welcher dieser Feier beigewohnt hatte, erklärte sich mir gleichfalls nun für überzeugt, und für die Gerechtigkeit des Unternehmens eingenommen.

Es war ein schöner, meinem tiefsten Innern wohlthuender Erfolg, dessen ich mich zu erfreuen hatte; und hätte ihm noch etwas gefehlt, so trug nun Weber's Wittwe, welcher ich vom Kirchhof aus meinen Besuch machte, durch die innigsten Ergiessungen dazu bei, mir jede Wolke zu verscheuchen. Für mich hatte es eine tiefe Bedeutung, dass ich, durch Weber's lebenvolle Erscheinung in meinen frühesten Knabenjahren so schwärmerisch für die Musik gewonnen, dereinst so schmerzlich von der Kunde seines Todes betroffen, nun im Mannesalter durch dieses letzte zweite Begräbniss noch einmal mit ihm wie in persönlich unmittelbare Berührung getreten war. Nach meinen voranstehenden Berichten über meinen Verkehr mit lebenden Meistern der Tonkunst, und den Erfahrungen, die ich von ihnen machte, kann man ermessen, aus welchem Quell meine Sehnsucht nach innigem Meisterumgang sich zu stärken hatte. Es war nicht tröstlich, vom Grabe Weber's nach seinen lebenden Nachfolgern auszusehen; doch sollte mir das Hoffnungslose dieses Ausblickes mit der Zeit erst noch zum recht klaren Bewusstsein kommen. –

Unter diesen theils nach aussen lenkenden Zerstreuungen, theils nach innen wirkenden Erlebnissen verbrachte ich den Winter 1844-45; es gelang mir, durch äussersten Fleiss, und durch Benutzung der frühesten Morgenstunden selbst im Winter, die bereits am Ende des vergangenen Jahres beendigte Composition des »Tannhäuser« bis im April auch schon in der Partitur auszuführen. Für die Niederschrift der Instrumentation hatte ich mir eine besondere Schwierigkeit dadurch bereitet, dass ich diese zum Zweck der Autographirung sogleich auf das hierzu nöthige besonders präparirte Papier, mit all der hierzu erforderlichen Umständlichkeit ausführte. Ich liess jede Seite sofort auf Stein abdrucken und in 100 Exemplaren abziehen, in der Hoffnung, von diesen Exemplaren einen zweckmässigen Gebrauch für die schnelle Verbreitung meines Werkes machen zu können. Mochte diese Hoffnung nun in Erfüllung gehen oder nicht, jedenfalls war ich jetzt um 500 Thaler, welche die Herstellung dieser Exemplare kostete, ärmer. Welches das Schicksal dieser mühseligen, mit solchen Opfern hergestellten Arbeit war, wird in meiner Biographie wohl auch noch vorkommen; genug, ich begrüsste den Mai mit 100 wohlgefalzten, sauberen Exemplaren meines endlich seit dem »fliegenden Holländer« nun wieder fertig gewordenen ersten neuen Werkes, von welchem selbst Hiller, als ich ihm einiges daraus zeigte, eine ganz erträgliche Meinung zu fassen sich freundlich bereit erwies.

Diese Vorkehrungen für eine schnelle Verbreitung des »Tannhäuser« zielten auf einen Erfolg, der durch die Nöthigungen meiner Lage mir immer erstrebenswerther erscheinen musste. Im Verlaufe eines Jahres, seit dem Beginn des Unternehmens der Selbstherausgabe meiner Opern, war hierfür bereits viel geschehen; den vollständigen Klavierauszug des »Rienzi« hatte ich schon im September des verflossenen Jahres 1844 in einem kostbar ausgestatteten Widmungs-Exemplar dem Könige von Sachsen überreicht; auch der »fliegende Holländer« war fertig geworden; zweihändige und vierhändige Klavierauszüge aus »Rienzi«, sowie die einzelnen Gesangsnummern aus beiden Opern waren ebenfalls erschienen oder in der Veröffentlichung begriffen; hierzu hatte ich nun noch die Partituren dieser beiden Opern durch sogenannten autographischen Umdruck (jedoch nach der Handschrift eines Copisten) in je 25 Exemplaren vervielfältigen lassen. Vermehrte diese neue starke Ausgabe meine Kosten auch in sehr bedeutendem Maasse, so schien mir doch der Versuch, durch Zusendung meiner Partituren die Theater zur Aufführung meiner Opern anzuregen, jetzt unerlässlich, da die kostbare Herausgabe der Klavierauszüge sich nur rentiren konnte, wenn endlich die gewünschte Verbreitung auf den Theatern durchgesetzt würde. Ich versandte nun an die bedeutendsten Theater zunächst die Partitur des »Rienzi«: von einem jeden erhielt ich sie zurückgeschickt, von dem Münchener Hoftheater sogar unausgepackt. Ich wusste genug, und ersparte mir nun die Kosten des Versuchs mit einer Versendung des »Holländers«. Geschäftlich spekulativ betrachtet, stand die Sache demnach so, dass der verhoffte Erfolg des »Tannhäuser« auch jene früheren Opern mit nach sich ziehen sollte; auch der würdige Hofmusikalienhändler Meser, mein wunderlicher, bereits ziemlich bedenklich gewordener Commissionnair, musste nothgedrungen auf diese Ansicht verfallen. Die Herausgabe des Klavierauszuges des »Tannhäuser«, den ich diesmal selbst verfertigte, während mir Röckel den des »fliegenden Holländer«, ein gewisser Klink den des »Rienzi« verfasst hatte, ward demnach sofort in Angriff genommen. Nur gegen den Titel, welcher damals noch » der Venusberg« lautete, war Meser so vollständig eingenommen, dass er mir ihn auch wirklich ausredete: er behauptete, ich käme nicht unter das Publikum, und hörte nicht, wie man über diesen Titel die abscheulichsten Witze machte, welche namentlich von den Lehrern und Schülern der medizinischen Klinik in Dresden, wie er meinte, ausgehen müssten, da sie sich auf eine nur in diesem Bereich geläufigere Obscönität bezögen. Es genügte, eine so widrige Trivialität mir bezeichnet zu hören, um mich zu der gewünschten Aenderung zu bewegen: ich fügte dem Namen meines Helden »Tannhäuser« die Benennung desjenigen Sagenstoffes hinzu, welchen ich, ursprünglich der Tannhäuser-Mythe fremd, mit dieser in Verbindung gebracht hatte, woran leider später der so sehr von mir geschätzte Sagen-Forscher und Erneuerer Simrock Aerger nahm.

» Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg« sollte aber dem Publikum bereits in einer seiner mittelalterlichen Tendenz entsprechenden Gestalt auch durch die Ausstattung des Klavierauszuges vorgeführt werden, und ich liess desshalb durch unsre Leipziger Officin besondre Typen für gothische Alphabete zur Wiedergabe des Textes anfertigen, eine nicht geringe Vermehrung der Kosten, mit welcher ich Meser meine grosse Zuversicht auf den Erfolg dieses Werkes recht eindringlich bekundete. Wir stacken bereits so tief darin, und die Herbeischaffung der nöthigen Kapitalien für mein Unternehmen war bereits mit so grossen Opfern verbunden, dass uns auch gar nichts übrig blieb, als auf eine höchst bedeutende, günstige Wendung meiner Angelegenheiten zu rechnen. Andrerseits war meine Hoffnung auf den »Tannhäuser« von der Generaldirektion des Theaters vollständig getheilt. Mehrere vorzügliche Dekorationen, welche die besten Maler der grossen Oper in Paris für Dresden geliefert hatten, und welche, zu dem damals noch üblichen Styl der deutschen Dekorationsmalerei gehalten, den Eindruck wirklicher Kunstwerke edelster Gattung machten, hatten mich veranlasst, Herrn V. Lüttichau zu bestimmen, den »Tannhäuser« von denselben Künstlern ausstatten zu lassen. Die Bestellungen hierfür, sowie die Besprechungen mit dem Pariser Maler Despléchin hatten schon im vergangenen Herbst stattgefunden. Alle meine Wünsche wurden genehmigt, namentlich auch die Anfertigung schöner und charakteristischer mittelalterlicher Kostüme, nach den Zeichnungen meines Freundes Heine in Auftrag gegeben; nur die Bestellung der Sängerhalle auf der Wartburg verzögerte Herr v. Lüttichau immer von Neuem, weil er behauptete, der vor Kurzem von den französischen Malern für »Oberon« gelieferte Saal Kaiser Karl's des Grossen könne mir recht gut auch für meinen Zweck genügen. Es kostete mich übermenschliche Anstrengung, meinem Chef zu beweisen, dass es hier nicht um einen glänzenden Kaisersaal zu thun sei, sondern um ein scenisches Bild von genau von mir in's Auge gefasster Eigenthümlichkeit, welches nur nach meinen Angaben in's Leben zu rufen sei. Da ich endlich sehr gereizt und unmuthig mich erwies, beruhigte er mich und sagte, er habe gewiss nichts gegen die Anfertigung auch dieser Halle und wolle sie sofort bestellen, nur hätte er geglaubt, meine Freude auch hierüber zu vergrössern, wenn er es mir etwas schwerer mache, weil, was man sogleich gewährt erhielt, für nichts geachtet würde. Diese Sängerhalle sollte mir noch grosse Nöthen machen. Immerhin war nun Alles vortrefflich im Gange; alle Gunst der vorhandenen Umstände vereinigte sich in einem Brennpunkte, welcher auf die für die Eröffnung der Herbstsaison vorbereitete Aufführung meines neuen Werkes ein hoffnungerweckendes Licht warf. Auch war die Spannung darauf nicht gering; zum ersten Mal las ich in einer Correspondenz der »Allgemeinen Zeitung« mit bedeutungsvoller Geneigtheit mich erwähnt, als von der Erwartung gesprochen wurde, mit welcher man meinem neuen Werke entgegensah, dessen Dichtung »mit unverkennbarem poetischem Verstand« verfasst sei. So den besten Hoffnungen mich hingebend, trat ich im Juli meinen diesjährigen Sommerurlaub mit einer Reise nach Marienbad in Böhmen an, um dort wegen einer mir und meiner Frau gleichmässig angerathenen Brunnenkur unseren Erholungsaufenthalt zu nehmen.

Wieder war ich auf dem vulkanischen Boden dieses merkwürdigen und für mich immer anregenden Böhmens; ein wundervoller, fast nur zu heisser Sommer diente zur Nahrung meiner inneren Heiterkeit. Ich hatte mir vorgenommen, mich der gemächlichsten Lebensweise, wie sie andrerseits für die sehr aufregende Kur unerlässlich ist, hinzugeben. Sorgsam hatte ich mir die Lektüre hierzu mitgenommen, die Gedichte Wolfram's von Eschenbach in den Bearbeitungen von Simrock und San Marte, damit im Zusammenhange das anonyme Epos vom » Lohengrin« mit der grossen Einleitung von Görres. Mit dem Buche unter dem Arme, vergrub ich mich in die nahen Waldungen, um am Bache gelagert mit Titurel und Parcival in dem fremdartigen, und doch so innig traulichen Gedichte Wolfram's, mich zu unterhalten. Bald regte aber die Sehnsucht nach eigener Gestaltung des von mir Erschauten sich so stark, dass ich, vor jeder aufregenden Arbeit während des Genusses des Marienbader Brunnens gewarnt, Mühe hatte meinen Drang zu bekämpfen. Hieraus erwuchs mir eine bald beängstigend sich steigernde Aufregung: der » Lohengrin«, dessen allererste Conception noch in meine letzte Pariser Zeit fällt, stand plötzlich vollkommen gerüstet, mit grösster Ausführlichkeit der dramatischen Gestaltung des ganzen Stoffes, vor mir. Namentlich gewann die an ihm so bedeutungsvoll haftende Schwanensage durch alle um jene Zeit, vermöge meiner Studien mir bekannt gewordenen Züge dieses Mythencomplexes, einen übermässigen Reiz für meine Phantasie. Eingedenk der ärztlichen Warnung, wehrte ich gewaltsam die Versuchung zum Niederschreiben des entstandenen Planes von mir, und ich wendete dagegen ein energisches Mittel der sonderbarsten Art an. Aus wenigen Notizen in Gervinus' Geschichte der deutschen Litteratur hatten die Meistersinger von Nürnberg, mit Hans Sachs, für mich ein besondres Leben gewonnen. Namentlich ergötzte mich schon der Name des »Merkers'«, sowie seine Funktion beim Meistersingen, ungemein. Ohne irgend Näheres von Sachs und den ihm zeitgenössischen Poeten noch zu kennen, kam mir auf einem Spaziergange die Erfindung einer drolligen Scene an, in welcher der Schuster, mit dem Hammer auf den Leisten, dem zum Singen genöthigten Merker, zur Revanche für von diesem verübte pedantische Unthaten, als populär handwerkerlicher Dichter eine Lektion giebt. Alles concentrirte sich vor mir in die zwei Pointen des Vorzeigens der mit Kreidestrichen bedeckten Tafel von Seiten des Merker's, und des die mit Merkerzeichen gefertigten Schuhe in die Luft haltenden Hans Sachs, womit beide sich anzeigten, dass » versungen« worden sei. Hierzu construirte ich mir schnell eine enge, krumm abbiegende Nüremberger Gasse, mit Nachbarn, Allarm und Strassenprügelei als Schluss eines zweiten Aktes, – und plötzlich stand meine ganze Meistersingerkomödie mit so grosser Lebhaftigkeit vor mir, dass ich, weil dies ein besonders heitres Sujet war, es für erlaubt hielt, diesen weniger aufregenden Gegenstand, trotz des ärztlichen Verbotes, zu Papier zu bringen. Das geschah, und namentlich hoffte ich damit mich vom Befassen mit dem »Lohengrin« befreit zu haben. Doch hatte ich mich getäuscht: kaum war ich um die Mittagszeit in mein Bad gestiegen, als ich von solcher Sehnsucht, den »Lohengrin« aufzuschreiben ergriffen ward, dass ich, unfähig die für das Bad nöthige Stunde abzuwarten, nach wenigen Minuten bereits ungeduldig heraussprang, kaum die Zeit zum ordentlichen Wiederankleiden mir gönnte, und wie ein Rasender in meine Wohnung lief, um das mich Bedrängende zu Papier zu bringen. Diess wiederholte sich mehrere Tage, bis der ausführliche scenische Plan des » Lohengrin« ebenfalls niedergeschrieben war.

Nun fand der Badearzt aber, dass es besser sei, ich gäbe Brunnen und Wanne auf, und liesse mir ein für allemal gesagt sein, dass ich zu solchen Kuren nicht tauge. Meine Aufregung hatte so zugenommen, dass der Versuch des nächtlichen Schlafes in der Regel zu einer Folge von Abenteuern führte. Wir machten einige zerstreuende Ausflüge, unter andrem nach Eger, welches mich durch seine Erinnerungen an Wallenstein, sowie durch die originelle Tracht seiner Bewohner höchlich ansprach. Mitte August reisten wir zurück nach Dresden; meine Freunde freuten sich meiner übermüthig heitern Laune: mir war als ob ich Flügel hätte.

So begann denn nun, als mit September unsere Sänger alle wieder eingetroffen waren, das Studium des » Tannhäuser«, welches mich bald wieder ernst und immer ernster stimmte. Die Proben gediehen bald bis dahin, dass die Aufführung, so weit sie durch musikalische Studien vorzubereiten war, in nahe Aussicht gerückt wurde. Von den besonderen Schwierigkeiten, welche der Darstellung gerade dieses Werkes entgegenstanden, gewann zuerst Fr. Schröder-Devrient einen Begriff, und zwar wurden sie ihrem Gefühle und ihrer Einsicht so deutlich, dass sie hierüber sich zu meinem Unbehagen und meiner Beschämung mir mitzutheilen wusste. Vor Allem schon das Gedicht gab ihr hierzu die Anleitung: sie las mir, bei einem Besuche, sehr schön und ergreifend die Hauptstellen des letzten Aktes vor, und frug mich, wo ich denn den Kopf hätte, zu glauben, dass ein so kindischer Mensch wie Tichatschek die Accente für diesen Tannhäuser finden könnte. Ich suchte sie und mich auf die Eigenschaft meiner Musik hinzulenken, welche so genau und bestimmt den nöthigen Accent zum Ausdruck bringe, dass ich vermeinen müsste, die Musik spräche für den Darsteller, selbst wenn dieser eben nur ein musikalischer Sänger sei. Sie schüttelte den Kopf und meinte, das möchte sich hören lassen, wenn ich von einem Oratorium spräche. Nun aber sang sie mir nach dem Klavierauszug das Gebet der Elisabeth vor, und frug mich, ob ich wohl glaubte, dass diese Noten durch eine junge hübsche Stimme, ohne eigentliche Seele und alle die Schärfe der unerlässlichen Herzenserfahrungen, sich so von selbst singen würden, dass es meiner Absicht entspräche. Ich seufzte, und meinte, es müsste eben durch die Kindlichkeit und Jugendlichkeit dieser Stimme und Darstellerin sich diessmal ersetzen. Doch bat ich sie sehr, mit meiner Nichte Johanna, welcher die Rolle der Elisabeth zugetheilt war, sich hierüber in ein belehrendes Einvernehmen zu setzen. Leider war aber in dieser, wie in keiner Weise für die Lösung der Aufgabe des Tannhäusers zu sorgen, da mein rüstiger Freund Tichatschek durch jeden Versuch einer Belehrung nur irre gemacht werden konnte. So musste ich mich denn ganz allein auf die Energie der Stimme und des diesem Sänger besonders eigenen, scharfen Sprachtones verlassen.

Die Sorge der grossen Künstlerin hatte, indem sie sich auf die Leistungen der eigentlichen Hauptrollen bezog, aber auch noch einen besonderen persönlichen Grund; sie wusste nämlich selbst nicht, was mit der Partie der Venus anzufangen, welche sie, trotz ihres sehr geringen Umfanges, dennoch gerade der Schwierigkeit und Bedeutung der idealen Aufgabe wegen, und um zum Gelingen des Ganzen beizutragen, übernommen hatte. Von dem nur allzu skizzenhaften Ausfall dieser Partie überzeugte ich mich später so bestimmt, dass ich, als durch die Pariser Aufführung die Bearbeitung meines Werkes mir nochmals nahe gerückt wurde, in sehr ausführlicher Weise das Versäumte, und von mir innig Vermisste, durch eine vollständige Neugestaltung der Partie nachholte. Für jetzt blieb es dabei, dass diese Skizze durch keine Kunst der Darstellerin zu einer der Idee entsprechenden Ausführung gelangen konnte. Höchstens wäre durch eine Berufung an die rein sinnliche Theilnahme des Publikums, durch eine besonders jugendlich schöne Erscheinung, durch das persönliche Vertrauen der Darstellerin auf die Wirkung dieses physischen Hülfsmittels, zu irgend welchem Eindruck zu gelangen gewesen. Das Gefühl davon, dass dieses Wirkungsmittel ihr jetzt nicht mehr zu Gebot stand, lähmte die bereits in das Matronenhafte sich zeichnende grosse Künstlerin und erhielt sie in der Befangenheit, welche ihr die Anwendung der gewöhnlichen Mittel des Gefallens verwehrte. Mit einem verzweiflungsvollen Lächeln äusserte sie sich einmal über die Unmöglichkeit die Venus darzustellen, welche einfach nur aus der einen Unmöglichkeit entspringe, sie im richtigen Costüm zu geben: »um Gotteswillen, was soll ich denn als Venus anziehen? Mit einem blossen Gürtel geht es doch nicht. Nun wird eine Redouten-Puppe daraus; Sie werden Ihre Freude haben!« –

Im Ganzen vertraute ich für Alles jedoch immer noch auf die Wirkung des reinen musikalischen Ensembles, welches sich auch in den Orchesterproben sehr ermuthigend herausstellte. Schon Hiller hatte beim Durchblick der Partitur mit völliger Verwunderung mir den Lobspruch ertheilt, dass massiger zu instrumentiren gewiss nicht möglich sei. Die charakteristische und zarte Sonorität des Orchesters erfreute mich selbst sehr, und bestärkte mich in dem Vorsatz, von der äussersten Sparsamkeit in der Anwendung der Orchestermittel auszugehen, und so die Möglichkeit der Fülle von Combinationen zu gewinnen, deren ich zu meinen späteren Werken bedurfte. Nur meine Frau vermisste in den Orchesterproben bereits die Trompeten und Posaunen, die im » Rienzi« immer eine so glänzende Frische unterhalten hätten. Konnte ich hierzu lächeln, so musste ich doch ihrem ängstlichen Schreckgefühle, welches sie bei einer der Theaterproben durch die Wahrnehmung der matten Wirkung des »Sängerkrieges« erhalten hatte, eine ernstere Beachtung geben. Sie hatte, vom Standpunkte des Publikums ausgehend, welches in irgend welcher Weise immer unterhalten oder angeregt sein will, sehr richtig eine höchst bedenkliche Seite der sich vorbereitenden Darstellung berührt. Nur musste ich sogleich deutlich erkennen woran es lag, und dass mir weniger der Fehler einer irrigen Conception, als der einer leichtsinnigen Ueberwachung der Ausführung vorzuwerfen war. Ich befand mich bei der Conception dieser Scene unbewusst nämlich vor dem wesentlichen Dilemma, in welchem ich mich für alle Zukunft zu entscheiden hatte. Sollte dieser Sängerkrieg ein Arienconcert sein, oder ein poetisch dramatischer Wettstreit? Der Charakter des eigentlichen Operngenre's erforderte (und dieser Meinung ist noch heut zu Tage ein Jeder, der durch eine vollkommen glückliche Ausführung meiner Scene nicht den richtigen Eindruck von der Sache gewonnen hat) dass hier eine Nebeneinander- und Gegenüberstellung von Gesangsevolutionen stattgefunden hätte, und zwar dass die verschiedenen Gesangsstücke, rein musikalisch, durch Anwendung merklich abwechselnder Rhythmen und Taktarten, in dem Sinne sich unterhaltend ausnähmen, wie z. B. in der Zusammenstellung eines Concertprogramm's darauf gesehen werden muss, dass durch mannigfaltigsten Wechsel, ganz von sich, eine gewissermassen schon durch stete Ueberraschung herbeigeführte Unterhaltung entsteht. Diess war nun ganz und gar nicht meine Absicht; und meine wirkliche Absicht war nur zu erreichen, wenn es mir möglich wurde diessmal, zum allerersten Male in der Oper, den Zuhörer zur Theilnahme an einem dichterischen Gedanken durch Verfolgung aller seiner nöthigen Entwickelungsphasen zu zwingen; denn nur aus dieser Theilnahme sollte die Ermöglichung des Verständnisses der Katastrophe herbeigeführt werden, welche diessmal durch keinerlei äusseren Anlass, sondern lediglich aus der Entwickelung von Seelenvorgängen herbeigeführt werden musste. Desshalb die musikalisch äusserst massige, breite, dem Verständniss der poetischen Rede nicht nur nicht hinderliche, sondern, nach meinem Dafürhalten, besonders förderliche Anlage, und der erst mit der Erhitzung der Leidenschaft sich steigernde rhythmische Aufbau der Melodie in keiner Weise willkürlich unterbrochen durch unnöthige modulatorische und rhythmische Wendungen; desshalb die sparsamste Benutzung der Orchesterinstrumente für die Begleitung, und die absichtliche Versagung aller der rein musikalischen Wirkungsmittel, welche erst allmählich, da wo die Situation sich so steigert, dass nur noch das Gefühl, fast kaum mehr aber der Gedanke zum Erfassen des Vorganges nöthig ist, in das Spiel gesetzt wurden. Niemand konnte mir leugnen, dass ich die richtige Wirkung hiervon erzielte, sobald ich selbst am Klavier den ganzen Sängerkrieg vortrug. Hier aber lag nun gerade die für alle meine zukünftigen Erfolge so entscheidende Schwierigkeit, nämlich auch von unsern Opernsängern diess ganz in der von mir gewollten Weise ausgeführt zu haben. Die auf Mangel an Erfahrung hiervon beruhende Vernachlässigung, die ich mir schon beim »fliegenden Holländer« hatte zu Schulden kommen lassen, kam mir nun diessmal in ihrer ganzen Schädlichkeit zum Bewusstsein; und mit grösstem Eifer sann ich jetzt darauf, wie es anzufangen sei, die richtige Vortragsweise meinen Sängern beizubringen. Leider war es unmöglich, auf Tichatschek zu wirken, weil, wie ich schon sagte, vollends Alles zu fürchten war, wenn er durch Einreden von Dingen, die ihm durchaus unfassbar waren, befangen und verwirrt gemacht wurde. Er war sich der grossen Vorzüge bewusst, mit metallischer Stimme musikalisch und rhythmisch gut und richtig zu singen, und zugleich mit vernehmbarster Deutlichkeit auszusprechen. Dass diess eben Alles jedoch nicht genügte, hatte ich nun aber zu meinem eigenen Erstaunen erst zu erfahren, und als ich gar in der ersten Aufführung mit Schrecken gewahrte, dass, was mir unbegreiflicher Weise in den Proben entgangen war, Tannhäuser am Schlusse des Sängerkrieges seinen, mit wahnsinniger Extase und Vergessen aller Gegenwart an die Venus gerichteten Lobgesang, zärtlich schwelgend unmittelbar an Elisabeth, vor welche er damit hintrat, richtete, gedachte ich allerdings der Mahnung der Schröder-Devrient ungefähr in der Weise wie Crösus, als er auf dem Scheiterhaufen: »o Solon! Solon!« rief.

Während mir nun von dem, an sich durch grössere Lebhaftigkeit und melodischen Reiz sich auszeichnenden, Elemente des Tannhäuser in diesem Sängerkrieg, trotz der musikalischen Vorzüglichkeit meines Sängers, Alles verunglückte, gelang es mir dagegen von der andern Seite her ein neues, ich glaube fast sagen zu können, bisher in der Oper noch nie so deutlich hervorgetretenes, Element in das Leben zu rufen. Ich hatte den noch jungen Barytonisten Mitterwurzer – einen sonderbar verschlossenen, unumgänglichen Menschen – in einigen seiner Rollen mit Aufmerksamkeit beobachtet, und bei seiner weichen, anmuthigen Stimme die schöne Fähigkeit, den innern Ton der Seele erbeben zu machen, wahr genommen. Ihm hatte ich den »Wolfram« anvertraut, und hatte allen Grund, bisher mit seinem Eifer und dem guten Erfolge seines Studiums zufrieden zu sein. An ihn musste ich mich daher halten, um meine bisher unausgesprochenen Anforderungen bis in ihre letzten Consequenzen zur Geltung zu bringen, wenn ich, namentlich für diesen so problematischen Sängerkrieg, die Richtigkeit meiner Absicht und meines Verfahrens zur Erkenntniss bringen wollte. Ich nahm mit ihm nun vor Allem den Eröffnungsgesang dieser Scene vor, und war, nachdem ich ihm diesen in meiner Weise auf das Eindringlichste vorgetragen hatte, zunächst allerdings erstaunt darüber, wie neu und schwierig dieser Vortrag ihm erschien. Er fühlte sich ganz ausser Stand, es mir nachzumachen, verfiel bei jedem Versuche sogleich wieder in das banale Heruntersingen, welches mir deutlich zeigte, dass er bisher auch an diesem Stücke noch nichts weiter erkannt hatte, als die anscheinend recitativische Phrase mit gewissen beliebigen Inflexionen, welche je nach dem Bedarf der Stimmgebung, nach reinem Operngesangsbelieben, so oder auch anders gegeben werden konnten. Auch er war über seine Unfähigkeit, es mir nachzumachen, erstaunt, zugleich aber von der Neuheit und Richtigkeit meines Verfahrens und der hierauf begründeten Anforderungen so ergriffen, dass er mich bat, für jetzt mit ihm keine weitern Versuche mehr anstellen zu wollen, dagegen es ihm zu überlassen, sich in der ihm erschlossenen neuen Welt auf seine Weise zurecht zu finden. In mehreren Proben deutete er jetzt seinen Gesang mit halber Stimme, wie um darüber hinweg zu kommen, nur an: dagegen erlebte ich nun in der letzten Hauptprobe an seiner, jetzt mit voller Hingebung gelösten Aufgabe, einen so bedeutsamen Erfolg, dass dieser mir bis auf den heutigen Tag als ein Anker der Hoffnung für die Möglichkeit des Gewinnes und der richtigen Ausbildung der mir nöthigen Darsteller, trotz aller Verderbtheit unseres Opernwesens, für alle Zukunft wirkungsvoll geblieben ist. Der Eindruck dieses Gesanges, für dessen richtige Wiedergabe der ganze Mensch in Haltung, Blick und Miene sich vollkommen umgewandelt und neu geschaffen hatte, wurde sehr merkwürdiger Weise auch zum Ausgangspunkt des endlich erzielten Verständnisses meines ganzen Werkes von Seiten des Publikums; wie überhaupt die ganze Rolle des Wolfram, welche Mitterwurzer, durch die Lösung dieser einen Aufgabe zum vollen Künstler umgeschaffen, durchweg gleichmässig schön und ergreifend durchführte, zum eigentlichen Rettungsanker für mein, durch den ungenügenden Erfolg der ersten Aufführung höchst bedrohtes Werk wurde.

Neben ihm trat die Gestalt der » Elisabeth« einzig als wirklich sympathisch hervor. Die jugendliche Erscheinung meiner Nichte, die schlanke hohe Gestalt, der entschieden deutsche Stempel ihrer Physiognomie, die damals noch unvergleichlich schöne Stimme, der oft kindlich rührende Ausdruck, halfen ihr, bei gut geleiteter Verwerthung ihres unverkennbaren theatralischen, wenn auch nicht dramatischen, Talentes, die Herzen des Publikums entscheidend zu gewinnen. Sie wurde durch diese Leistung schnell berühmt; und noch in späteren Jahren wurde mir, sobald von einer Aufführung des »Tannhäusers« mir gemeldet wurde, in welcher sie mitgewirkt, stets berichtet, dass der Erfolg desselben fast einzig nur ihr zu verdanken gewesen wäre. Wunderlicher Weise hörte ich bei solchen Gelegenheiten fast immer nur ihr mannichfaltiges und höchst einnehmendes Spiel beim Empfang der Gäste auf der Wartburg rühmen; ich erkannte darin den andauernden Erfolg unglaublicher Bemühungen, welche ich und mein hierin sehr erfahrener Bruder uns im Betreff dieses Spieles gegeben hatten. Leider ist aber für alle Zeiten es unmöglich geblieben, ihr den richtigen Vortrag des Gebetes im 3. Akte beizubringen; ich kam hierfür ganz in den Fall wie mit Tichatschek, und hatte wieder: »O Solon, Solon!« zu rufen, als ich nach der ersten Aufführung diesem Tonstücke eine grosse Kürzung beibringen musste, wodurch es seiner Bedeutung, nach meinem Sinne, für immer verlustig ging. Wie ich höre, hat die, eine Zeit lang für eine wahrhaft grosse Künstlerin geltende, Johanna es wirklich auch nie so weit gebracht, sich dieses Gebetes vollständig zu bemächtigen, was andrerseits einer französischen Sängerin, Frl. Marie Sax in Paris, zu meiner grössten Befriedigung vollständig gelang.

Wir waren im Anfang des Oktobers bereits so weit in unserm Studium vorgerückt, dass einer baldigen Aufführung nichts mehr entgegenstand, als die Beschaffung des theatralisch dekorativen Theiles derselben. Sehr spät trafen erst einige der in Paris bestellten Dekorationen ein. Von vorzüglicher Wirkung und vollständig gelungen war das Wartburg-Thal. Das Innere des Venusberges machte mir dagegen viel zu schaffen: der Maler hatte mich nicht verstanden, Bosquets mit Statuen, wie sie selbst an Versailles erinnerten, in einer wilden Berghöhle angebracht, und jedenfalls nicht gewusst, wie er den Charakter des Grauenhaften mit dem Verlockenden in Einklang bringen sollte. Ich musste auf grosse Aenderungen dringen, namentlich auf das Uebermalen der Bosquets und Statuen, was Zeit kostete. Die Verhüllung dieser Grotte in den rosigen Nebel, aus welchem schliesslich das Wartburg-Thal hervorbricht, musste ganz neu nach einer besondren Erfindung, welche ich hierfür angegeben hatte, zur Ausführung gebracht werden. Die Hauptcalamität ergab sich aber aus der Verzögerung in der Ankunft der Dekoration der Sängerhalle; auf das Leichtfertigste von Paris aus hingehalten, verging Tag auf Tag, während im Uebrigen Alles bis zur Generalprobe in fast ermüdender Weise durchprobirt war. Täglich wanderte ich nach dem Eisenbahnhof, durchstöberte alle Ballen und Kisten: keine Sängerhalle kam. Endlich liess ich mich bestimmen, um die längst angekündigte erste Aufführung nicht weiter zu verzögern, den von Lüttichau anfänglich mir bestimmten Saal Karls des Grossen aus »Oberon« für die Sängerhalle zu substituiren, was mich, der ich in Allem auf bestimmte poetische Wirkung ausging, ein empfindliches Opfer kostete. Wirklich trug die Wiedererscheinung dieses bereits in vielen Aufführungen des »Oberon« zur Genüge producirten Kaisersaales, beim Aufrollen des Vorhanges im zweiten Akt, nicht wenig zu den Enttäuschungen des Publikums, welches von dieser Oper in jedem Betreff die erstaunlichsten Ueberraschungen erwartete, bei.

Am 19. Oktober ging die erste Aufführung vor sich. Am Morgen dieses Tages liess sich eine vornehme, schöne junge Dame durch den Concertmeister Lipinsky bei mir einführen; es war diess Frau Kalergis, eine Nichte des russischen Staatskanzlers Grafen v. Nesselrode, welche durch Liszt in enthusiastisch anregender Weise für mich gewonnen worden, und jetzt in Dresden angekommen war, um dem Wunder der Creirung meines neuesten Werkes beizuwohnen. Diese schmeichelhafte Erscheinung durfte ich mit Recht für ein gutes Anzeichen halten. Wenn sie für diessmal mit dem Eindruck, den sie durch eine sehr unklare Aufführung und Aufnahme erhielt, gewiss mit einiger Betroffenheit, wie enttäuscht, sich wieder von mir wandte, so hatte ich doch im Verlaufe meines Lebens genügend mich dessen zu erfreuen, was dieser erste Eindruck in der energischen, bedeutenden Frau gepflanzt und genährt hatte. – Ein wunderliches Gegenstück zu diesem Besuch bildete die, mit einigen Opfern seinerseits erkaufte Ankunft eines sonderbaren Menschen, C. Gaillard, des Herausgebers einer vor Kurzem begonnenen Berliner musikalischen Zeitung, in welcher ich mit Erstaunen die erste und einzige durchaus günstige, und bedeutend eingehende Besprechung meines »fliegenden Holländers« gelesen hatte. Zu so grossem Gleichmuthe gegen das Verhalten der Recensentenwelt ich mich nothgedrungen bereits auch gewöhnt hatte, wirkte doch jener Aufsatz sehr eindrucksvoll auf mich, und ich forderte den mir persönlich ganz unbekannten Menschen auf, nach Dresden zu kommen, und der ersten Aufführung des »Tannhäuser« beizuwohnen. Wirklich kam er, und zu meiner Rührung lernte ich in ihm einen in dürftigen Verhältnissen mühsam sich abquälenden, von verzehrender Kränklichkeit bedrohten, jungen Mann kennen, welcher ohne Anspruch auf jede Entschädigung, ja nur gastliche Bewirthung zu machen, rein seiner Ehrenpflicht gefolgt zu haben glaubte, als er meinem Rufe nachkam. Seinen Kenntnissen und Fähigkeiten merkte ich wohl an, dass er zu keinem grossen Einfluss berufen sein würde, wogegen sein redliches Gemüth und sein empfänglicher Verstand mich mit wahrer Achtung für den armen Menschen erfüllten, der, ohne es eben weit gebracht zu haben, nach einigen Jahren zu meinem Bedauern seiner Kränklichkeit erlag, nachdem er von seiner Treue und Sorgsamkeit für mich auch unter den schwierigsten Umständen nie gewichen war. – Ausserdem hatte sich bereits aber seit etwas länger meine bis dahin mir ebenfalls unbekannt gebliebene, durch die Aufführung des »fliegenden Holländer« in Berlin mir gewonnene Freundin, Alwine Frommann, eingefunden. Ich machte ihre persönliche Bekanntschaft bei Fr. Schröder-Devrient, mit der sie bereits befreundet war, und welche sie mir lächelnd als eine von mir gemachte feurige Eroberung ankündigte. Bereits in nicht mehr jugendlichem Alter, und ohne allen Anspruch auf physiognomische Bevorzugung, stand ihr nichts als ein vorzüglich scharf blickendes, beredtes Auge zur Verfügung, um ihre bedeutende Seelenbegabung schon durch ihr Aeusseres mitzutheilen. Sie war Schwester des Buchhändlers Frommann in Jena, und wusste viel Intimes von Goethe zu erzählen, welcher im Hause dieses Bruders wohnte, wenn er sich in Jena aufhielt. Unter dem Titel einer Vorleserin war sie aber besonders der damaligen Prinzessin Augusta von Preussen nahe getreten, und durfte von Denjenigen, die ihr Verhältnis zu der hohen Frau näher kennen lernten, fast wohl als ihre Freundin und Vertraute angesehen werden. Nichtsdestoweniger lebte sie in äusserst dürftiger Lage, und schien stolz darauf, durch ihr bescheidenes Talent als Arabesken-Malerin sich eine Art von Unabhängigkeit zu sichern. Mit grosser Treue ist sie mir stets zugethan geblieben, wie sie jetzt bereits zu den wenigen gehörte, welche unbeirrt durch den misslichen Eindruck der ersten Aufführung des »Tannhäuser«, sich schnell, bestimmt und mit grosser Innigkeit für diese meine neueste Arbeit erklärten.

Was diese Aufführung nun selbst betraf, so stelle ich die von mir dabei gemachten sehr lehrreichen Erfahrungen in folgenden Zusammenhang: der wirkliche Fehler meiner Arbeit, dessen ich bereits gelegentlich Erwähnung that, lag in der nur skizzenhaften und unbeholfenen Ausführung der Rolle der »Venus«, somit der ganzen grossen Einleitungsscene des ersten Aktes. Auf die theatralische Darstellung hatte dieser Fehler den Einfluss, dass es in ihr zu keiner eigentlichen Wärme, zumal nicht zu der hocherregten Spannung der Leidenschaft kam, welche, der dichterischen Conception nach, von hier aus die Empfindung des Zuschauers so stark imprimiren muss, dass das Gedenken der Katastrophe, auf welche diese Scene ausgeht, mit tragischer Beklemmung auf den Erfolg der weiteren Entwickelung des Drama's vorbereiten soll. Diese grosse Scene misslang vollständig, trotzdem eine so wahrhaft grosse Künstlerin, wie Frau Schröder-Devrient, und ein so ungemein begabter Sänger, wie Tichatschek, einzig sie auszuführen hatten. Vielleicht hätte das Genie der Devrient ganz aus sich noch den richtigen Accent für die Leidenschaftlichkeit dieser Scene gewonnen, wenn sie nicht gerade mit einem Sänger zu thun gehabt hätte, welcher, an sich für jeden dramatischen Ernst unbefähigt, auch in seiner natürlichen Begabung nur für freudige oder deklamatorisch energische Accente organisirt, für den Ausdruck des Schmerzes und des Leidens aber ganz und gar ohne Anlagen war. Das Publikum erwärmte sich erst einigermaassen bei dem rührenden Gesange des »Wolfram« und der Schlussscene dieses Aktes. Auch Tichatschek wirkte dann durch den Jubel seiner Stimme in dem Finalsatze so hinreissend, dass man mir nachher versicherte, nach diesem ersten Akte habe eine vortrefflich erregte Stimmung im Publikum geherrscht. Diese unterhielt und steigerte sich im Verlaufe des zweiten Aktes, in welchem »Elisabeth« und »Wolfram« höchst sympathisch wirkten; nur verschwand der Held des Drama's, »Tannhäuser«, immer mehr, und verlor sich so gänzlich aus der Sphäre dieser Sympathie, dass er in der Schlussscene, gleich als ob dieser Verfall auf ihn selbst drücke, in wehmüthig gebeugter Haltung spurlos sich verlor. Das entscheidende Gebrechen seiner Darstellung lag darin, dass es ihm unmöglich war, den richtigen Ausdruck für die Stelle des grossen Adagio-Satzes des Finales, welche mit den Worten beginnt: »zum Heil den Sündigen zu führen, die Gottgesandte nahte mir«, zu finden. Ueber die Wichtigkeit dieser Stelle habe ich mich in meiner später geschriebenen Anleitung zu einer Aufführung des »Tannhäuser« ausführlich mitgetheilt; ich musste sie, da sie bei der ausdruckslosen Wiedergabe durch Tichatschek nur als lähmende Länge wirkte, von der zweiten Aufführung an gänzlich auslassen. Weil ich den mir so ergebenen, und in seiner Art wirklich so verdienstvollen Tichatschek nicht kränken wollte, gab ich an, mich überzeugt zu haben, dass diese Stelle verfehlt sei; da nun ausserdem Tichatschek als der selbst von mir bevorzugte Repräsentant der Helden meiner Opern galt, ging von hier die Auslassung dieser mir so grenzenlos wichtigen Stelle, als von mir gutgeheissen und verlangt, in alle späteren Aufführungen des »Tannhäuser« über, und ich habe schon aus diesem Grunde mir über die Bedeutung des späteren allgemeinen Erfolges dieser Oper auf den deutschen Theatern keine Illusion gemacht. Mein Held, der in der Wonne wie im Weh stets mit äusserster Energie sich kund geben sollte, schlich am Schlusse des zweiten Aktes, in sanft ergebener Haltung, als armer Sünder sich davon, um im dritten Akte mit weicher Resignation, und in einer auf die Erregung eines freundlichen Bedauerns berechneten Haltung, wieder zu erscheinen. Nur der von ihm wiedergegebene Bannspruch des Papstes ward von dem Sänger mit seiner gewohnten rhetorischen Tonfülle so energisch zum Anhören gebracht, dass man sich freute die begleitenden Posaunen von ihm vollkommen beherrscht zu hören. War nun durch den hier angedeuteten Grundfehler in der Darstellung der Hauptfigur das Publikum durchaus in unklarer und unbefriedigter Spannung über die Bedeutung des Ganzen erhalten worden, so trug mein eigener, aus Unerfahrenheit auf diesem neuen Felde der dramatischen Conception entsprungener Fehler in der Ausführung der Schlussscene vollends dazu bei, auch über die reale Bedeutung der scenischen Vorgänge in höchst schädliche Ungewissheit zu versetzen. In der hier noch ausgeführten ersten Bearbeitung hatte ich die neue Versuchung der Venus, den treulosen Geliebten wieder an sich zu ziehen, nur als einen visionären Vorgang des in Wahnsinn ausbrechenden »Tannhäuser« dargestellt; nur ein röthliches Dämmern des in der Ferne sichtbaren Hörselberges sollte äusserlich die grauenhafte Situation verdeutlichen. Auch die entscheidende Verkündigung des Todes der Elisabeth ging nur als ein Akt der divinatorischen Begeisterung des Wolfram vor sich; einzig durch das ebenfalls von sehr ferne her vernehmbare Läuten des Todtenglöckchens, und durch den kaum bemerkbaren Schein von Fackeln, welche den Blick auf die entlegene Wartburg ziehen sollten, ward die Veranlassung hierzu auch dem zuschauenden Publikum anzudeuten versucht. Der ganz schliesslich auftretende Chor der jüngeren Pilger, welchen ich damals den ergrünenden Stab selbst noch nicht zu tragen gab, und welche das Wunder somit nur durch Worte, nicht aber durch ein äusseres Zeichen verkündeten, wirkte, da ich ihnen auch rein musikalisch durch eine zu lang andauernde, ungebrochene Monotonie in der Begleitung schadete, unentscheidend und unklar.

Als endlich der Vorhang fiel, hatte ich weniger aus der Haltung des immerhin sich freundlich und beifällig bezeigenden Publikums, als aus meiner eigenen inneren Erfahrung die Ueberzeugung des, durch Unreife und Ungeeignetheit der Darstellungsmittel herbeigeführten, Missglückens dieser Aufführung meines Werkes gewonnen. Mir lag es wie Blei in den Gliedern, und einigen Freunden, welche nach der Vorstellung sich einfanden, und zu denen wiederum meine gute Schwester Klara mit ihrem Manne gehörte, theilte sich die gleiche drückende Stimmung unabweislich mit. Ich fasste noch über Nacht die nöthigen Entschlüsse zur Abhülfe der irgendwie zu verbessernden Gebrechen unserer Aufführung für die am zweiten Tag angesetzte Wiederholung. Wo der Hauptfehler stack, fühlte ich, durfte es aber kaum aussprechen; bei dem mindesten Versuche, Tichatschek einen anregenden Aufschluss über das Charakteristische seiner Aufgabe zu verschaffen, musste ich sogleich vor der Erkenntniss der Unmöglichkeit hiervon zurückscheuen: leicht hätte ich ihn so befangen und verstimmt machen können, dass er unter irgend welchem Vorwande den »Tannhäuser« gar nicht wieder gesungen hätte. Ich gerieth daher auf den einzig mir offen stehenden Ausweg zur Versicherung nöthiger Wiederholungen meiner Oper, die Schuld der Unwirksamkeit seiner Parthie auf mich zu nehmen, um so dazu zu gelangen, wenigstens entscheidende Kürzungen darin vornehmen zu können, durch welche ich zwar die Hauptrolle in ihrer dramatischen Bedeutung tief herabsetzte, dennoch es aber möglich machte, dass die unvollkommene Ausführung derselben nicht noch behindernd auf das Gefallen der andern, ansprechenderen Partien der Oper einwirkte. Ich hoffte somit, wenn auch tief innerlichst gedemüthigt, meinem Werke durch die zweite Aufführung von entscheidendem Nutzen zu sein, und an nichts lag mir mehr, als dass diese Aufführung so bald als möglich vor sich ginge. Allein Tichatschek war heiser geworden, und ich musste volle acht Tage mich gedulden.

Ich kann kaum beschreiben, was ich in diesen acht Tagen gelitten habe. Es schien fast, als sollte diese Verzögerung gänzlich verderblich für mein Werk werden. Jeder Tag, welcher zwischen der ersten und zweiten Aufführung verstrich, liess den Erfolg jener ersten immer problematischer erscheinen, bis er endlich geradeswegs als ein anerkannter Misserfolg dargestellt wurde. Während das grosse Publikum seiner ärgerlichen Verwunderung darüber Luft machte, dass ich dem deutlich mir kund gegebenen Gefallen desselben an der Richtung meines Rienzi, mit der Conception dieses neuen Werkes keine Beachtung geschenkt hatte, waren selbst gewogene und sinnige Freunde meiner Kunst in wahrer Perplexität über das Unwirksame meiner Arbeit, die ihnen, in den Haupttheilen unverständlich geblieben, an und für sich fehlerhaft entworfen und ausgeführt dünkte. Die Recensenten stürzten sich mit unverholener Freude, wie Raben auf ein bereits ihnen hingeworfenes Aas. Selbst die Leidenschaften und Befangenheiten des Tages wurden von ihnen hereingezogen, um nach Möglichkeit über mich zu verwirren und mir zu schaden. Es war die Zeit, wo die Czersky- und Ronge'sche deutsch-katholische Agitation, als höchst verdienstlich und liberal, Alles in Bewegung setzte. Man fand nun heraus, dass ich eine reaktionäre Tendenz mit dem »Tannhäuser« herausfordernd eingeschlagen habe, da es ersichtlich sei, dass, wie Meyerbeer's »Hugenotten« den Protestantismus, so mein »Tannhäuser« den Katholicismus verherrlichen solle. Das Gerücht, von der katholischen Partei für den »Tannhäuser« bestochen worden zu sein, blieb mir alles Ernstes längere Zeit anhaften: während man mich dadurch um meine Popularität zu bringen suchte, hatte ich die sonderbare Ehre, von einem Herrn Rousseau, bis dahin Redakteur der preussischen Staatszeitung, und mir bekannt durch eine herunterreissende Kritik meines »fliegenden Holländers«, brieflich und endlich persönlich um meine Freundschaft und Alliance angegangen zu werden. Er meldete mir nämlich, dass er von Berlin, wohin er von Oesterreich aus beordert gewesen um die katholischen Tendenzen zu befördern, nachdem er über die Fruchtlosigkeit dieser Bemühungen betrübende Erfahrungen gesammelt hatte, sich nun wieder nach Wien zurückwende, um ungestört in demjenigen Elemente fortan sich bewegen zu können, dem auch ich mit meinem »Tannhäuser« so innig angehörend mich bekundet hätte. – Der in seiner Art merkwürdige Dresdener Anzeiger, das Lokal-Abhülfsorgan für Verleumdungs- und Klatschbedürfniss, lieferte täglich Neues in dem bezeichneten auf meinen Schaden tentirenden Sinne. Endlich bemerkte ich, dass auch kurze witzige und sehr energische Abfertigungen solcher Angriffe, und Aufmunterungen für mich erschienen, worüber ich längere Zeit sehr verwundert war, da ich wohl wusste, dass nur Feinde, nie aber Freunde in solchen Fällen sich bemühen, bis ich unter Lachen von Röckel herausbekam, dass er und Freund Heine diesen ganzen Ermunterungs-Feldzug für mich allein durchgeführt hatten.

Das Ueble, was ich von dieser Seite her erfuhr, war mir nur lästig, weil ich eben in diesen Unglückstagen verhindert war, mich durch mein Werk selbst wiederum vernehmen zu lassen. Tichatschek blieb heiser: es hiess, er wolle gar nicht wieder in meiner Oper singen. Von Herrn v. Lüttichau hörte ich, dass er, über den geringen Erfolg des »Tannhäuser« erschrocken, sogleich zu dem Befehl bereit gewesen sei, die immer noch erwartete Dekoration der Sängerhalle abzubestellen, oder zurückzuweisen. Ueber die hiermit bekundete Muthlosigkeit erschrack ich so sehr, dass ich nun wirklich selbst den »Tannhäuser« fast schon für todt hielt. Welcher Einblick von dieser Stimmung aus in meine ganze Lage sich mir eröffnete, lässt sich nach meinen Mittheilungen, namentlich über meine Verlagsunternehmungen, leicht ermessen.

Diese furchtbaren acht Tage dehnten sich mir zu einer endlosen Ewigkeit aus. Ich scheute mich Jemanden zu sehen, und doch musste ich mich eines Tages in die Meser'sche Musikhandlung begeben; dort traf ich Gottfried Semper an, welcher sich eben ein Textbuch des »Tannhäuser« kaufte. Mit ihm hatte ich mich kurz zuvor bei der Besprechung dieses Stoffes auf das heftigste ereifert; er wollte nämlich von dem minnesängerlichen und pilgerfahrtbereiten Mittelalter für die Kunst durchaus nichts wissen, und gab mir zu verstehen, dass er mich um der Wahl eines solchen Stoffes willen geradeswegs verachte. Während mir nun Meser bezeugte, dass nicht die mindeste Nachfrage nach den erschienenen Nummern meines Tannhäuser's stattgefunden habe, war sonderbarer Weise mein leidenschaftlicher Antagonist der einzige, der wirklich davon etwas kaufte und bezahlte. Mit einem eigenthümlich befangenen Ernste sagte er mir, man müsse doch die Sache ordentlich und genau kennen lernen, wenn man sich einen richtigen Begriff davon machen wolle, und ihm stehe dazu leider nichts anderes als das Textbuch offen. Diese Begegnung gerade mit Semper, so wenig sie dem Anschein nach sagen mochte, ist mir als ein erstes, ernstlich ermuthigendes Anzeichen in der Erinnerung geblieben.

Von grösstem Trost war mir aber Röckel, welcher in diesen für mich so aufregungsvollen Leidenstagen in eine für das ganze Leben entscheidende innige Beziehung zu mir kam. Er hatte, ohne dass ich etwas davon wusste, unermüdlich für mich disputirt, erklärt, gestritten und geworben, und hatte sich dadurch zu einer wahren Begeisterung für den »Tannhäuser« erhitzt. Am Vorabende der endlich bevorstehenden zweiten Aufführung trafen wir uns bei einem Glase Bier zusammen; seine wahrhaft verklärte Miene wirkte auch erheiternd auf mich; der Humor stellte sich ein: nachdem er lange meinen Kopf betrachtet, schwor er, ich sei nicht umzubringen, ich habe etwas an mir, was in meinem Blute liegen müsse, weil es sich selbst an meinem, im übrigen so sehr mir unähnlichen, Bruder Albert wiederzeige. Um sich verständlich zu machen, nannte er es die eigenthümliche Hitze meiner Natur; er glaubte, dass diese Hitze verzehrend für Andere sein könne, ich aber bei ihrem heissesten Erglühen mich jedenfalls erst recht wohl fühlen müsste, denn er habe mich mehrmals vollständig leuchten gesehen. Ich lachte, und wusste nicht, was der Unsinn sollte. Nun, meinte er, für diesmal würde ich es ja an dem »Tannhäuser« sehen; denn dass ich mir einbilde, dieser werde nicht bestehen, sei eine reine Absurdität; er wäre des Erfolges über Alles gewiss. Ich überlegte mir beim Nachhausegehen sehr wohl, dass, wenn der »Tannhäuser« sich wirklich noch feststellen und zu wahrhafter Popularität gelangen sollte, damit allerdings etwas unermesslich Folgenreiches erreicht sein müsste.

So kam es denn endlich zu dieser zweiten Aufführung, welche ich durch Fallenlassen der Bedeutung der Hauptrolle, und Herabstimmung meiner ursprünglichen idealeren Anforderungen an wichtige Theile der Darstellung, in der Weise vorbereitet zu haben glaubte, dass durch Hervortreten der unbedingt gefälligen Partien ein wirkliches Gefallen am Ganzen sich einstellen müsste. Sehr erfreute mich die endlich angekommene und bereits für diese Aufführung verwandte Dekoration der Sängerhalle im zweiten Akte. Die schöne und edle Wirkung derselben belebte uns Alle, wie ein gutes Anzeichen. Leider hatte ich die Demüthigung zu ertragen, das Theater sehr schwach besetzt zu sehen: dieser Anblick genügte, um mehr als alles Andere mit überzeugender Bestimmtheit mir zu sagen, wie es mit dem Urtheil des Publikums über mein Werk stand. Hatten wir wenig Besucher, so bestand die grösste Anzahl derselben jedenfalls aber aus den ernsteren Freunden meiner Kunst. Die Aufnahme war sehr warm, namentlich riss Mitterwurzer Alles zu wahrem Enthusiasmus hin. In Betreff Tichatschek's hatten meine besorgten Freunde, Röckel und Heine, es für nöthig erachtet, zu künstlichen Mitteln zu greifen, um ihn in guter Laune für seine Rolle zu erhalten. Um namentlich auch dem Verständnisse der, allerdings unklar ausgeführten und doch so äusserst wichtigen Entscheidung der letzten Scene eine drastische Beihülfe zu geben, hatten Jene mehreren jungen Leuten, namentlich Malern, einige Applaus-Explosionen an Stellen anempfohlen, welche gewöhnlich von einem Opernpublikum als nicht applausprovocirend angesehen werden. Es fand sich nun merkwürdiger Weise, dass ein auf diese Weise eingegebener starker Beifallserguss nach den Worten Wolfram's: »ein Engel fleht für Dich an Gottes Thron; er wird erhört: Heinrich, Du bist erlöst« – mit einem Male dem gesammten Publikum die bedeutsame Situation klar zu machen schien. Für alle Aufführungen blieb dieser, in der ersten Vorstellung gänzlich unbeachtete Moment, eine Hauptstelle für die Kundgebung der Sympathie des Publikums. – Nach wenigen Tagen fand eine dritte Aufführung, und diesmal vor vollem Hause statt. Die Schröder-Devrient, niedergeschlagen über den geringen Antheil, den sie am Gelingen meines Werkes nehmen konnte, wohnte in der kleinen Theaterloge dem Verlaufe der Vorstellung bei; sie erzählte mir, dass Lüttichau mit strahlender Miene zu ihr getreten sei und geäussert habe, er glaube nun doch, dass wir den »Tannhäuser« glücklich durchgebracht hätten.

So bewährte es sich allerdings; wir wiederholten ihn im Laufe des Winters noch öfter: doch machten wir die Wahrnehmung, dass bei zwei schnell auf einander folgenden Aufführungen zu der zweiten jedesmal ein minderer Zudrang des Publikums stattfand, was wir uns daraus zu erklären hatten, dass ich noch nicht das eigentliche grosse Opernpublikum, sondern nur den gebildeteren Theil des allgemeinen Publikums für mein Werk gewonnen hatte. Unter diesen wahrhaften Freunden meines »Tannhäuser« befanden sich, wie ich diess allmählich immer mehr erfuhr, Leute, welche für gewöhnlich das Theater gar nicht, am allerwenigsten aber die Oper besuchten. Der Antheil des auf diese Weise ganz neu sich bildenden Publikums gewann fortwährend an Intensität, und äusserte sich in bisher ungekannter Weise vorzüglich in einer energischen Theilnahme für den Autor. Es war mir namentlich um Tichatschek's willen peinlich, dem bei jeder Aufführung fast nach allen Akten stets nur nach mir verlangenden Rufe des Publikums zu entsprechen; ich musste mich aber endlich fügen, da meine Weigerung meinem Sänger zu neuer Demüthigung Veranlassung gab, indem, wenn er mit seinen Kollegen allein auf der Bühne erschien, ihm stets der energische Ruf meines Namens fast verletzend entgegentönte. Mit welch' aufrichtigem Eifer wünschte ich, es möchte umgekehrt der Fall sein, und über der Vortrefflichkeit der Darstellung der Autor vergessen werden! Dass ich dies in Dresden mit dem »Tannhäuser« nie erreichen konnte, begründete in mir eine charakteristische Erfahrung, welche mich in Zukunft für alle meine Unternehmungen geleitet hat. Jedenfalls war ich mit der Dresdener Aufführung des »Tannhäuser« nur erst soweit gelangt, dem gebildeten Theil des Publikums, durch Reflexion und Abstraktion von der Realität der Darstellung, mit meinen über das Gewöhnliche hinausgehenden Tendenzen mich bekannt zu machen. Nicht aber war es mir gelungen, diese Tendenzen in so unwillkürlich ergreifender und überzeugender Weise in einer theatralischen Darstellung deutlich zu machen, dass auch das ungebildetere Gefühl des eigentlichen Publikums, durch direkte Erfahrung der Wirkung, damit vertraut geworden wäre.

Ueber das hiemit Berührte mich belehrend und anregend aufzuklären, gewann ich jetzt in diesem Winter durch erweiterte Beziehungen und interessante Bekanntschaften ermuthigende Veranlassung.

Sehr bildend und ernst anregend wurde um diese Zeit für mich die Bekanntschaft und der nähere Umgang mit Dr. Hermann Franck aus Breslau, welcher seit einiger Zeit privatisirend in Dresden sich niedergelassen hatte. Mit genügendem Vermögen ausgestattet, gehörte er zu Denjenigen, welche durch grosse Kenntnisse und feines Urtheil, so wie mit entsprechender schriftstellerischer Begabung, wohl in ausgewählten, weit verzweigten persönlichen Bekanntschaftskreisen zu grossem Rufe gelangten, ohne deshalb vor der Oeffentlichkeit einen bedeutenden Namen zu gewinnen. Er hatte es versucht, seine Kenntnisse und Fähigkeiten auch dem Publikum nutzbar zu machen, und von Brockhaus sich überreden lassen, die vor einigen Jahren von diesem begründete »deutsche Allgemeine Zeitung« bei ihrem Beginn zu redigiren. Nach einem Jahre kündigte er dem Verleger mit grösster Entschiedenheit, und war seitdem nur in äusserst seltenen Fällen zu bewegen, mit einer Zeitung irgend wie sich zu berühren. Seine kurzen geistvollen Andeutungen über seine bei jenem Versuche mit der »deutschen allgemeinen Zeitung« gemachten Erfahrungen rechtfertigten mir seinen Ekel vor dem Befassen mit unsern öffentlichen Press-Angelegenheiten. Desto höher hatte ich es ihm anzurechnen, dass er ohne jede Aufforderung hiezu meinerseits, über den »Tannhäuser« einen eingehenden Bericht für die »Augsb. allgemeine Zeitung« verfasste, welcher im Oktober oder November 1845 in einer Beilage dieses Blattes erschien, und den ich, obwohl er das erste über ein seitdem so häufig besprochenes Werk verkündete Wort enthielt, für das, bei aller maassvollen Besonnenheit, weitreichendste und erschöpfendste halte, was je hierüber gesagt wurde. So wurde ich in jenes grosse europäisch-politische Blatt eingeführt, welches, in Folge einer sonderbaren Wendung der Redaktionsinteressen, seitdem zur Unterkunft für Jeden bereit gehalten wird, welcher über mich und mein Werk sich lustig machen will.

Vor allem fesselte mich an Franck das Feine und Taktvolle in seiner Art des Beurtheilens, und überhaupt des Besprechens der Dinge. Es lag etwas Vornehmes darin, welches weniger als aus den Eigenthümlichkeiten eines Standes gebildet, sondern als das Ergebniss einer wirklichen Weltbildung selbst sich kenntlich machte. Die hierbei sich zeigende feine Kälte und Zurückhaltung reizte mich mehr als sie mich abstiess, denn sie war ein neues Element, dem ich bisher noch fern geblieben war. Wo ich auf eine gewisse Bequemlichkeit im Urtheil über grosse Renommées, die mir jedoch nicht vollständig ächt galten, stiess, freute es mich im Verlauf des Umgangs mit Franck gewahr zu werden, dass auch ich in mancher Beziehung anregend und entscheidend auf ihn wirkte. So hatte ich bereits damals die Neigung, es nicht gelten zu lassen, wenn man mit dem vornehmen Lob der »Liebenswürdigkeit« dieses oder jenes berühmten Mannes die nähere Untersuchung von dessen Werken abgeschnitten zu haben glaubte. Ich trieb hiermit selbst meinen welterfahrenen Freund in die Enge, und sehr erheiterte es mich, nach einigen Jahren von ihm selbst einen sehr drastischen Aufschluss über die von ihm früher proklamirte »Liebenswürdigkeit« Meyerbeer's zu erhalten, wo er sich dann lächelnd der sonderbaren Fragen erinnerte, mit welchen ich früher seine Assertion durchkreuzt hatte. Sehr erschrak er aber schon damals, als ich ihm einen wohl belehrenden Aufschluss über Mendelssohn's so eben von ihm gerühmte Uneigennützigkeit und vornehme Opferbereitwilligkeit im Dienste der Kunstinteressen gab. Er hatte nämlich in einem Gespräch über Mendelssohn schliesslich das Eine als erquicklich festgestellt, dass es doch wohlthue, jetzt in Diesem wenigstens noch einen Mann zu gewahren, welcher wahrhafte Opfer zu bringen vermöge, um sich aus einer falschen und der Kunst unförderlichen Stellung zu befreien; denn dass er seinen doch immerhin schönen Gehalt von 3000 Thalern als Generalmusikdirektor in Berlin aufgegeben, um als einfacher Gewandthaus-Musikdirektor sich nach Leipzig zurückzuziehen, sei doch schön und fordere respektvolle Anerkennung. Ich war nun gerade in den Stand gesetzt, genauesten Aufschluss darüber zu geben, wie es sich mit diesem scheinbaren Opfer Mendelssohn's verhalte; denn als ich bei unserer Generaldirektion auf eine Verbesserung der Gehalte verschiedener armer Mitglieder der k. Kapelle ernstlich angetragen hatte, war vor Kurzem Herr von Lüttichau genöthigt gewesen mir mitzutheilen, dass der Kapell-Etat durch die neuesten Entschliessungen des Königs so stark in Beschlag genommen sei, dass für's Erste an die ärmeren Kammermusiker nicht gedacht werden könnte. Der Direktor der Leipziger Kreis-Regierung, Herr von Falkenstein, ein leidenschaftlicher Verehrer Mendelssohn's, hatte es nämlich dahin gebracht, den König zu bewegen, Mendelssohn zum geheimen Kapellmeister mit dem geheimen Gehalt von 2000 Thalern zu bestellen, wodurch dieser mit dem von der Leipziger Gewandthausdirektion öffentlich ihm ausgesetzten Gehalte von 1000 Thalern, zu dem vollen Ersatz seines in Berlin aufgegebenen Gehaltes gelangte, und dadurch zur Uebersiedelung nach Leipzig bewogen worden war. Da nun innerhalb der Verwaltung des Kapellfonds diese starke Dotation, weil sie den Interessen des Institutes grossen Abbruch that, aus wirklicher Scham geheim gehalten werden musste, auch ausserdem durch offenkundige Ernennung eines Kapellmeisters ohne Funktion die wirklich fungirenden und geringer bezahlten Kapellmeister nicht beleidigt werden sollten, so schöpfte Mendelssohn aus diesem Verhältnisse den recht beruhigenden Grund, diese Dotation nicht nur ebenfalls gänzlich zu verschweigen, sondern er musste es sich auch nothgedrungen gefallen lassen, von seinen Freunden bei Gelegenheit seiner Uebersiedelung nach Leipzig noch als ein Muster von Aufopferung persönlicher Interessen gepriesen zu werden, was diesen, selbst in Anbetracht der sonstigen reichen Vermögensverhältnisse Mendelssohn's, nicht schwer fiel. Franck, welchem ich diesen Aufschluss gab, war hiervon aber sehr betroffen, und er gestand, dass diese eine der seltsamsten Erfahrungen im Betreff falschen Ruhmes sei, die ihm noch vorgekommen.

Bald geriethen wir zu ähnlichen gegenseitigen Berichtigungen unserer Ansicht über manche andere wohl berufene künstlerische Persönlichkeiten, mit denen wir uns damals in Dresden berührten. Ueber Ferdinand Hiller, einen der Haupt-»Liebenswürdigen«, fiel uns diess nicht schwer. Ueber die namhafteren Maler der sogenannten Düsseldorfer Schule, mit denen ich nun auch durch den »Tannhäuser« in häufigeren Verkehr trat, lag es fern mir selbst ein Urtheil zu bilden, während ich mich vorzüglich nur von dem Ruf ihrer bedeutenden Namen bestimmen liess. Hier erschreckte mich nun wiederum Franck mit gelegentlich sehr bestimmt veranlassten Enttäuschungen. Wenn von Bendemann und Hübner die Rede war, schien es, als ob man Hübner leicht Bendemann aufopfern könnte, und dieser Letztere, welcher so eben die Fresken eines Saales im königlichen Schlosse beendigt und dafür von seinen Freunden mit einem feierlichen Festessen belohnt worden war, dünkte mich mit Recht als grosser Meister verehrungswürdig. Wie sehr erschrack ich, als Franck mit grösster Ruhe den König von Sachsen beklagte, dass man ihm seinen Saal von Bendemann habe »beschmieren« lassen! – Immerhin konnte man nicht läugnen, dass diese Leute »liebenswürdig« seien; der Umgang mit ihnen, zu dem ich nun immer mehr hinzugezogen wurde, bot, im Gegensatz zu den sonst von mir gepflegten theatralischen, jedenfalls die Tendenz nach feinerer allgemeinerer, künstlerischer Unterhaltung. Nur konnte es ebenso wenig zu wirklicher Wärme und befruchtender Anregung kommen. Auf die Letztere namentlich schien es aber Hiller ganz besonders abgesehen zu haben, und in diesem Winter brachte er es zur Vereinigung zu einem sogenannten »Kränzchen«, welches allwöchentlich abwechselnd in der Wohnung des einen oder andern Theilnehmers abgehalten wurde. Zu Hübner und Bendemann gesellte sich als Maler der zugleich auch dichtende Reinecke, welcher das Unglück hatte, für Hiller in jener Zeit einen neuen Operntext zu dichten, über dessen Schicksal ich noch später berichten werde.

Zu Hiller und mir trat als Musiker aber Rob. Schumann, welcher damals sich auch ganz nach Dresden gewandt hatte, und ebenfalls mit Opernentwürfen umging, welche schliesslich zu seiner »Genovefa« führten. Schumann kannte ich bereits von Leipzig her: wir hatten ungefähr gleichzeitig unsere musikalische Laufbahn begonnen; für die früher von ihm redigirte »Neue Zeitschrift für Musik« hatte ich zu verschiedenen Zeiten kleine Aufsätze, zuletzt einen grösseren über das »Stabat-mater« von Rossini aus Paris geliefert. Zu einer Concertaufführung im Theater war er mit seinem »Paradies und Peri« berufen worden: sein ganz eigenthümliches Ungeschick im Dirigiren hatte bei dieser Gelegenheit meine Theilnahme für den tiefsinnigen, energischen Musiker, dessen Werk mich sehr ansprach, in besonderer Weise thätig gemacht. Entschiedenes Wohlwollen, freundschaftliche Zutraulichkeit herrschten zwischen uns. Nach einer Aufführung des »Tannhäuser«, welcher er beigewohnt, machte er mir seinen Morgenbesuch, und erklärte sich voll und bestimmt für mein Werk, an welchem er nur eine Ueberstürzung der Stretta des zweiten Finals auszusetzen hatte, was mir von seinem Feingefühl zeugte, da ich ihm aus der Partitur nachweisen konnte, wie ich durch eine mir selbst höchst peinvolle Kürzung zu dem von ihm bemerkten Uebelstand genöthigt worden war. Wir trafen uns zuweilen auf Spaziergängen, und so gut es mit dem sonderbar wortkargen Menschen möglich war, tauschten wir über mancherlei musikalische Interessen unsere Ansichten aus. Er freute sich, nächstens unter meiner Leitung die 9. Symphonie von Beethoven zu hören, nachdem er bisher bei den Leipziger Aufführungen derselben, namentlich durch das von Mendelssohn gänzlich vergriffene Tempo des ersten Satzes, sehr zu leiden gehabt hatte. Im Uebrigen bot mir sein Umgang keine eigentliche Anregung, und dass auch er zu verschlossen war, um ernsten Anregungen meinerseits Erfolg zu geben, zeigte sich bald, und namentlich bei seiner Conception des Gedichtes der »Genovefa«. Hierbei stellte es sich heraus, dass mein Beispiel nur sehr äusserlich auf ihn gewirkt hatte, und diese Wirkung im Grunde sich nur darauf bezog, dass er es gut fand, sich nun auch selbst einen Operntext zu schreiben. Zwar lud er mich in der Folge einmal ein, um mir seinen nach Hebbel und Tieck combinirten Text vorzulesen; als ich jedoch mit wahrer Besorgtheit, und von dem innigen Wunsche des Gelingens seiner Arbeit beseelt, ihn auf die grossen Fehler derselben aufmerksam machte, und die nöthigen Aenderungen ihm vorschlug, erfuhr ich wie es mit dem sonderbaren Menschen stand. Er gönnte mir durchaus nur, mich von ihm hinreissen zu lassen; einen Eingriff in das Werk seiner Begeisterung wies er aber mit empfindlichem Trotze zurück. So liessen wir es denn dabei bewenden.

Im darauf folgenden Winter erweiterte sich der von Hiller mit grosser Emsigkeit in geselligem Verkehr erhaltene Kreis: jetzt wurde aus dem »Kränzchen« eine Art von geschlossener Gesellschaft, welche sich allwöchentlich in einem besonderen Gastzimmer des Restaurateurs Engel am Postplatz zwanglos vereinigen sollte. Jetzt war der berühmte J. Schnorr aus München als Galeriedirektor nach Dresden berufen und ebenfalls durch Festessen von uns gefeiert worden. Von diesem hatte ich zuvor gewaltig sich ausnehmende Cartons gesehen, die mir sowohl durch ihre Dimensionen, als durch die damals mir sehr naheliegenden Gegenstände der altdeutschen Geschichte, welche sie darstellten, sehr imponirten; jetzt hörte ich von der »Münchner Schule«, von Schnorr als deren Meister: mir ging das Herz ganz über, wenn ich daran dachte, zu was es alles in Dresden kommen sollte, wenn solche Riesen der deutschen Kunst sich dort die Hand reichten. Auffallend war mir nun Schnorr's Erscheinen und Rede, deren weinerlichen Schulmeisterton ich mit den furchtbaren Cartons in gar keinen Einklang bringen konnte; dennoch hielt ich es für ein grosses Glück, dass auch er Sonnabends mit in die Engel'sche Restauration kam. Er war in altdeutschen Sagen gut bewandert, und mir war es schon lieb, wenn nur die Namen derselben öfters auf's Tapet gebracht werden konnten. – Hier fand sich nun auch der berühmte Bildhauer Hänel ein, vor dessen grossem Talent mir gewaltige Achtung beigebracht worden war, wiewohl ich in der Beurtheilung seiner Arbeiten mich mehr an die Autorität als an mein eigenes Gefühl noch halten konnte. Seine Haltung und sein Benehmen musste ich bald als affektirt erkennen; er sprach gern Kunstansichten und Urtheile aus, von denen ich mir nicht recht sagen konnte, ob eigentlich etwas dahinter sei. Mich dünkte es oft, einen philiströsen Bramarbas zu hören: nur als mein »langjähriger« Freund Pecht, der sich endlich auch für einige Zeit in Dresden niederliess, mir Hänel's Bedeutung als Künstler mit grosser Schärfe und Bestimmtheit vordemonstrirte, überwand ich alle heimlichen Bedenken und suchte mir Freude an seinen Werken zu gewinnen. – Als sein Gegensatz erschien Rietschel unter uns: der krankhafte bleiche Mann, mit seiner oft weinerlich ängstlichen Ausdrucksweise, konnte von mir eigentlich nur schwer als Bildhauer begriffen werden; doch da nicht unähnliche Eigenschaften mich schon bei Schnorr nicht abgehalten hatten, diesen als gewaltigen Maler aufzufassen, so gelang mir die Befreundung mit Rietschel um so mehr, als ich an diesem keinerlei Affektation wahr nahm, und eine seelenvolle, zärtliche Wärme mich immer geneigter zu ihm hinzog. Von ihm entsinne ich mich auch zuerst sehr warme, ja begeisternde Anerkennung meines Wesens, namentlich auch als Dirigent gehört zu haben. Trotz aller Collegialität unseres reichen Künstlerkreises kam es sonst nämlich niemals zu dem, was ich hier meine, und es war im Grunde genommen eigentlich immer, als ob Keiner etwas von dem Andern hielte. So hatte zum Beispiel F. Hiller Orchesterconcerte arrangirt, und für diese von seinen Freunden das gebührende Festessen empfangen, bei welchem seinen Verdiensten mit vollstem rhetorischem Pathos ganz ausserordentliche Anerkennung gezollt worden war. Nichtsdestoweniger gewahrte ich sonst im Privatverkehr mit Hiller's Freunden doch nie die mindeste Wärme für dessen Leistungen, und im Gegentheil stiess ich nur auf Aeusserungen des Bedenkens, der achselzuckenden Besorgtheit. Auch gingen die gefeierten Concerte bald ein. Ueber die verschiedenen Werke der versammelten Meister hörte ich an unsern geselligen Abenden auch nie die mindeste Besprechung, ja nur Erwähnung, und bald zeigte es sich überhaupt, dass sämmtliche Theilnehmer nicht wussten, was sie mit einander sprechen sollten.

Da war es denn nun Semper, welcher in seiner sonderbaren Weise oft solches Leben in unsere Unterhaltung brachte, dass Rietschel, innig teilnehmend, aber auch auf das peinlichste erschreckt, oft in wirklich herzliche Klagen über eine Unbändigkeit ausbrach, bei welchen es nicht selten zu leidenschaftlichen Erörterungen zwischen Semper und mir kam. Sonderbarer Weise schienen wir Beide immer noch von der Annahme auszugehen, dass wir Antagonisten wären: er hielt mich beständig für den Repräsentanten einer mittelalterlich katholicisirenden Richtung, die er oft mit wahrer Wuth bekämpfte. Sehr mühselig gelang es mir, ihn endlich dahin zu belehren, dass meine Studien und Neigungen eigentlich auf das deutsche Alterthum, und die Auffindung des Ideales des urgermanischen Mythus ausgingen. So wie wir nun in das Heidenthum geriethen, und ich ihm meinen Enthusiasmus für die eigentliche Heldensage kund gab, ward er ein ganz anderer Mensch, und ein offenbares grosses und ernstes Interesse begann uns jetzt in der Weise zu vereinigen, dass es uns zugleich von der übrigen Gesellschaft gänzlich isolirte. Unmöglich ging es jedoch je ohne lebhaften Streit ab, und hieran mochte nicht nur Semper's wunderliche und krampfhafte Neigung zum absoluten Widerspruch, sondern auch diess der Grund sein, dass er sich von der ganzen Gesellschaft gänzlich verschieden erkannte. Seine paradoxesten Behauptungen, die offenbar nur auf Streiterregung abgesehen waren, liessen mich jedoch bald mit Bestimmtheit erkennen, dass er mit mir unter allen Anwesenden der Einzige war, der es mit dem, was er sagte, bis zur Leidenschaftlichkeit ernst nahm, während allen Andern es gern recht war, zur gelegenen Zeit die Sache auf sich beruhen zu lassen.

Zu dieser letzten Tendenz stimmte auch der öfter zu uns sich gesellende Gutzkow. Dieser war von der Generaldirektion unseres Hoftheaters in der Eigenschaft eines Dramaturgen nach Dresden berufen worden. Mehrere seiner Theaterstücke hatten in letzter Zeit grosses Glück gemacht; »Zopf und Schwert«, »das Vorbild des Tartuffe«, und »Uriel Acosta« verbreiteten über das neuere Repertoire des Schauspiels einen unerwarteten Glanz, und durch die Berufung Gutzkow's schien dem Dresdener Theater, von welchem andrerseits meine Opern ausgingen, eine bedeutungsvolle Aera eröffnet werden zu sollen. Der gute Wille der Intendanz war hierbei gewiss nicht zu verkennen. Es that mir nur leid bei dieser Gelegenheit die Hoffnung, meinen alten Freund Laube für die gleiche Stellung nach Dresden gezogen zu sehen, getäuscht zu erkennen. Auch Laube hatte sich mit Energie auf die theatralische Litteratur geworfen; schon in Paris bemerkte ich, wie eifrig er namentlich Scribe studirte, um dessen theatralisches Geschick sich anzueignen, ohne welches, wie er fand, alle deutsche dramatische Dichtkunst vergeblich sei. Mit seinem Lustspiel »Rococo« behauptete er, sich vollkommen zum Herrn dieser Geschicklichkeit gemacht zu haben, und vermass sich nun jeden irgend erdenklichen Stoff zu einem effektvollen Theaterstück bearbeiten zu können. Dennoch war er sehr sorgfältig zugleich darauf bedacht, in der Wahl seiner Stoffe eine gleiche Geschicklichkeit zu zeigen, und zu einer von mir empfundenen Beschämung seiner vorgeblichen Theorie machten nur diejenigen seiner Stücke Glück, in welchen das Zeitinteresse für die Besonderheit des Stoffes durch die nöthigen Schlagwörter angeregt wurde. Dieses Interesse stand mehr oder weniger immer mit der Tagespolitik in Bezug; es musste dabei immer etwas wie die »deutsche Einheit« und der »deutsche Liberalismus«, in irgend welcher handgreiflichen Weise, einmal haranguirt werden; da diese wichtigen Anregungen für das deutsche Publikum, zunächst aber auf die Abonnenten unserer Residenz-Theater ausgeübt wurden, so musste, wie gesagt, diess alles auch mit dem sorglichen Geschick ausgeführt werden, wie man diess nur von den neueren französischen Vaudevillisten erlernen zu können glaubte. Was auf diese Weise zu Stande kam, wie die Laubeschen Stücke, wurde von mir recht gern gesehen, namentlich weil Laube, der uns bei Gelegenheit der Aufführung derselben öfter in Dresden besuchte, mit fast bescheidener Aufrichtigkeit seine Tendenzen offen bekannte, und fern davon war, sich für einen wahren Dichter ausgeben zu wollen. Ausserdem zeigte er nicht nur für die Anfertigung seiner Stücke, sondern auch bei der Anleitung zu der Aufführung derselben grosses Geschick und einen fast feurigen Eifer, so dass seine Berufung nach Dresden, auf welche man ihm Hoffnung gemacht hatte, im praktischen Sinn für das Theater jedenfalls recht erspriesslich geworden wäre. Schliesslich entschied man sich jedoch für den mit ihm rivalisirenden Gutzkow, trotz seiner leicht zu erkennenden Unfähigkeit zu der praktischen Ausübung der Funktion eines Dramaturgen. Hieran zeigte es sich, dass er auch zu seinen glücklichen Theaterstücken nur als geschickter Litterat gekommen war, denn unmittelbar neben jenen effektvollen Stücken kamen wiederum die grössten theatralischen Langweiligkeiten zum Vorschein, so dass wir verwunderungsvoll finden mussten, er habe selbst von seinem bewiesenen Geschick kein Bewusstsein. Gerade diese abstrakteren Eigenschaften des blossen Litteraten gaben ihm aber in Mancher Augen den Nimbus einer bedeutenderen schriftstellerischen Grösse, und indem Herr von Lüttichau bestimmt wurde, Gutzkow den Vorzug vor Laube zu geben, glaubte er, mehr für die Aeusserlichkeit des Rufes als für den praktischen Nutzen seines Theaters besorgt, den höheren Culturinteressen einen besondern Vorschub zu leisten. Mir war namentlich aus dem Grunde der bald gewonnenen Ueberzeugung von seiner Unfähigkeit zu der Führung der dramaturgischen Leitung des Theaters, Gutzkow's Berufung aufrichtig unangenehm, und ich theilte mich hierüber Herrn von Lüttichau so unumwunden mit, dass daraus sehr wahrscheinlich der erste Anstoss zu unserem späteren Zerwürfniss entstand. Ich hatte mich hier nämlich über die Urtheilslosigkeit und den Leichtsinn Derjenigen, welche in absoluter Weise über die Leitung und Verwendung so kostbarer Kunstanstalten, wie die deutschen Hoftheater es sind, verfügen, bitter zu beklagen. Um der voraussichtlichen Verwirrung, die aus dieser verfehlten Anstellung erfolgen musste, vorzubeugen, verbat ich mir wenigstens sehr bestimmt Gutzkow's Einmischung in die Führung der Oper, worin mir gern nachgegeben und Gutzkow selbst jedenfalls reiche Beschämung erspart wurde. Immerhin resultirte hieraus ein misstrauenvolles Verhältniss zwischen ihm und mir; dieses nach Möglichkeit zu beseitigen war ich wiederum gern bereit, als durch die persönliche Berührung mit Gutzkow an den Abenden der geschilderten Künstler-Zusammenkünfte hiezu sich Gelegenheit zu bieten schien. Gern hätte ich den sonderbaren Mann, dessen Kopf so ängstlich tief auf seinem Brustbein sass, in der Unterhaltung etwas locker und ergiebig zu machen gesucht; doch wollte diess bei seiner stets gleich scheuen Vorsichtigkeit nicht gelingen: er blieb immer in sich stecken. Eine Veranlassung zu einer Discussion mit ihm bot mir sein durchgesetztes Verlangen, in einer gewissen Scene seines »Uriel Acosta«, wo dieser sein Held die Abschwörungsformel seiner vorgeblichen Ketzereien auszusprechen hatte, das Orchester in melodramatischer Weise sich betheiligen zu lassen. Dieses musste nämlich eine Zeit lang auf gewissen geeignet dünkenden Akkorden das bewusste leise Tremolando ausführen, was mir bei der Anhörung der Aufführung absurd, und für die Musik wie das Drama gleich entwürdigend erschien. Hierüber, so wie überhaupt über die Verwendung der Musik zur melodramatischen Beihülfe im Schauspiel, suchte ich mich an einem jener Abende mit Gutzkow in das Vernehmen zu setzen, und erörterte meine Ansicht in diesem Betreff nach den höheren mir begreiflichen Grundsätzen. Allen meinen principiellen Erörterungen setzte er nichts, als ein verlegenes, misstrauisches Schweigen entgegen, erklärte endlich aber, dass ich doch wohl in meinen Forderungen für die Bedeutsamkeit der Musik zu weit ginge, und er nicht begriffe, wie die Musik entwürdigt werden sollte, wenn sie in geringer Dosis beim Schauspiel verwendet würde, während die Poesie doch mit viel grösserer Vernachlässigung ihrer Interessen zur Beihülfe der Musik in der Oper herbeigezogen würde. Praktisch gefasst, sei es für den Theaterdichter doch von grossem Nutzen, hierin nicht zu wählerisch zu sein: man könne doch dem Schauspieler nicht immer brillante Abgänge geben; nichts sei andrerseits aber wiederum peinlicher, als wenn ein Haupt-Darsteller ohne Applaus sich von der Scene entferne: in solchen Fällen träte dann ein zerstreuendes Geräusch im Orchester als eine sehr glückliche Diversion ein. Diess hörte ich wirklich von Gutzkow aussprechen, und sah, dass er das ganz ernst meinte. Ich hatte nun nichts mehr mit ihm zu thun.

Bald hatte ich mit all den Malern, Musikern und sonstigen Kunstbeflissenen unseres Vereins ebensowenig mehr zu thun. Doch gerieth ich um die gleiche Zeit noch in etwas nähere Beziehung zu Berthold Auerbach. – Schon Alwine Frommann hatte mich mit vieler Erregung auf Auerbach's Dorfgeschichten aufmerksam gemacht; es hatte mir ganz artig geklungen, als sie darüber äusserte, dass diese bescheidenen Arbeiten, für welche sie sie hielt, auf die ihr bekannten Berliner Kreise die erfrischende Wirkung hervorgebracht hätten, wie wenn in ein parfümirtes Boudoir, mit welchem die bis dahin gepflegte Litteratur verglichen wurde, durch das geöffnete Fenster frische Waldluft hereingelassen würde. Ich las nun diese so schnell berühmt gewordenen »Schwarzwälder Dorfgeschichten«, und fühlte auch mich durch den bis dahin mir neuen Gehalt und Ton dieser drastischen Anekdoten aus dem Volksleben eines sehr kenntlich bezeichneten Lokals lebhaft angesprochen. Wie Dresden um diese Zeit immer mehr zum Sammelpunkt unserer litterarischen und künstlerischen Berühmtheiten gewählt zu werden schien, fand auch Auerbach sich ein, um längere Zeit bei seinem Freunde Hiller, der nun wieder eine ihm affiliirte Notabilität neben sich zu stellen hatte, Quartier zu nehmen. Der kurze stämmige jüdische Bauernbursch, als den er sich selbst mit grosser Vorliebe zu erkennen gab, machte einen durchaus zutraulichen Eindruck; seine grüne Joppe, und besonders seine grüne Jagdmütze, welche ihm das ganz richtige Ansehen des Verfassers der schwäbischen Dorfgeschichten gaben, lernte ich späterhin in ihrer nichts weniger als naiven Bedeutung verstehen. Der schweizerische Dichter Gottfried Keller erzählte mir nämlich seiner Zeit in Zürich, dass Auerbach, als er sich seiner anzunehmen beschlossen, und ihn auf die Wege aufmerksam gemacht, auf welchen man seine litterarischen Elaborate am besten an's Publikum bringe und zu Geld mache, vor allem auch ihm angerathen habe, sich eine ähnliche Joppe und Kappe anzuschaffen, denn da er einmal, gleich ihm, nicht schön und hoch gewachsen sei, so sei es am besten, sich gleich ein derbes und drolliges Ansehen zu geben; er rückte ihm dabei auch die Kappe auf dem Kopfe zurecht, damit sie ihm etwas verwogen stehe. Für jetzt gewahrte ich nichts von eigentlicher Affektirtheit an Auerbach: er hatte vom Volkston und Volkswesen so viel und glücklich sich angeeignet, dass man sich allerdings nur frug, warum er mit diesen glücklichen Eigenschaften sich doch wiederum in ganz entgegengesetzten Sphären mit grossem Behagen bewegte. Jedenfalls befand er sich im Verkehr mit den, seinem stets geltend gemachten Naturell eigentlich widerwärtigen Kreisen, wie in seinem rechten Element: derb und gefühlvoll, naturwüchsig, stand er mit seiner Joppe in der ihm schmeichelnden vornehmen Gesellschaft, liebte es, Briefe des Grossherzogs von Weimar und seine Antworten an Denselben vorzuzeigen, und dabei alles immer doch aus dem Gesichtspunkt des schwäbischen Bauernnaturells zu betrachten, was ihm immerhin recht gut stand.

Was mich besonders anzog, war, dass ich in ihm den ersten Juden antraf, mit welchem ich eben über dieses Judenthum in herzlicher Unbefangenheit sprechen konnte. Es schien ihm sogar daran gelegen, gegen diese Eigenschaft alles Vorurtheil auf gemüthliche Weise zu brechen, und rührend war es, wenn er von seiner Knabenzeit erzählte, in welcher er sich als der vielleicht einzige Deutsche bewährte, der den Klopstock'schen »Messias« vollkommen gelesen. Ueber dieser Lektüre, welche er heimlich in seiner Dorfhütte betrieb, hatte er sich eines Tages für die Schule versäumt, und als er nun zu spät in dieselbe eintrat, ward er vom Lehrer mit den Worten angelassen: »du verdammter Judenbub, wo hast Du wieder herumgeschachert?« Solche Erfahrungen hatten ihn nur wehmüthig und nachdenklich gestimmt, nicht aber verbittert, und er hatte es vermocht, das rechte Mitleiden auch für die Rohheit seiner Peiniger zu gewinnen. Diess waren nun Züge, die mich sehr herzlich für ihn einnahmen; nur wurde es mir mit der Zeit bedenklich, dass er aus dem Kreise ähnlicher Vorstellungen und Beziehungen auch gar nicht mehr herauskam, so dass es mir schien, die ganze Welt und ihre Geschichte enthalte für ihn blos das Problem der Verklärung des Judenthums. Hiergegen lehnte ich mich denn eines Tages mit gutherziger Zutraulichkeit auf, und rieth ihm, doch die ganze Judenfrage einfach fahren zu lassen; es wären denn doch noch andere Gesichtspunkte für die Beurtheilung der Welt zu gewinnen. Sonderbarer Weise verlor er da alle Naivetät, und gerieth in einen, wie mich dünkte, nicht ganz wahrhaftigen, weinerlich extatischen Ton, indem er versicherte, das könne er nicht, in dem Judenthum läge noch zu Vieles, was seiner ganzen Theilnahme bedürfe. – Ich konnte später doch nicht umhin, mich dieser überraschenden Beklemmung, wie ich sie hierbei an Auerbach wahrnahm, zu entsinnen, als ich erfuhr, dass er im Laufe der Zeit wiederholt jüdische Heirathen geschlossen hatte, von deren glücklichem Ausfall ich nicht Besonderes weiter hörte, als dass er dabei zu Vermögen gekommen sei. Als ich ihn nach längeren Jahren in Zürich einmal wiedersah, traf ich leider auch sein physiognomisches Aussehen in bedenklicher Weise verändert an: er sah wirklich ausserordentlich gemein und schmutzig aus; die frühere frische Lebhaftigkeit war zur gewöhnlichen jüdischen Unruhe geworden, Alles was er sprach, kam so heraus, dass man sah, es verdriesse ihn, das Gesagte nicht lieber für die Zeitung verwendet zu haben.

In jener Dresdener Zeit that mir jedoch noch Auerbach's warmes Eingehen auf meine künstlerischen Intentionen, wenn diess auch vom jüdisch-schwäbischen Standpunkte aus geschah, aufrichtig wohl, und hierbei mochte jedenfalls auch das eben um jene Zeit erst mir begegnende Neue der Erfahrung mitwirken, dass ich als Künstler eben bei Leuten von Ruf, zugestandener Bedeutung und auffallender Bildung, eingehendere Beachtung und Anerkennung fand. Wenn ich mit dem Erfolge des »Rienzi« immer nur im eigentlichen Kreise der Theaterwelt verblieben war, brachte der schwierigere Erfolg des »Tannhäuser« mich nun auch mit den eben bezeichneten Elementen in eine Berührung, welche meinen Gesichtskreis allerdings bedeutend erweiterte, zugleich aber auch über das Missliche und Nichtige gerade auch dieser, anscheinend höchsten geistigen Sphäre der litterarischen und künstlerischen Gegenwart, bedenkliche Eindrücke hervorrief. Jedenfalls fühlte ich mich von solchen Berührungen, wie sie mir zunächst dieser Winter der ersten Aufführung meines »Tannhäuser's« brachte, weder eigentlich belohnt, noch glücklicherweise auch zerstreut, sondern mitten aus diesem etwas bunten Treiben, welches sich sonderbarer Weise auf Anregung des von mir bald als durchaus nichtig erkannten Hiller's aufthat, trieb es mich mit Macht auf mich selbst zurück, um schnell etwas zu schaffen, worüber ich einzig die beunruhigenden und peinigenden Aufregungen, die mir der »Tannhäuser« verursachte, loswerden konnte.

Schon wenige Wochen nach den ersten Aufführungen desselben führte ich das vollständige Gedicht des Lohengrin aus. Bereits im November las ich dieses Gedicht meinen Hausfreunden, bald auch dem Hiller'schen Kränzchen vor. Es wurde gelobt und »effektvoll« gefunden, auch Schumann war ganz damit einverstanden; nur begriff er die musikalische Form nicht, in welcher ich es ausführen wollte, da er keinerlei Anhalt zu eigentlichen Musiknummern ersah. Ich machte mir den Spass, ihm verschiedenes aus meinem Gedicht in der Form von Arien und Cavatinen vorzulesen, worüber er sich lächelnd befriedigt erklärte.

Ernsteres Nachsinnen erweckten die tiefergehenden Bedenken gegen die Tragik des Stoffes selbst, welche auf sinnige und zarte Weise von Franck mir angeregt wurden. Er fand die Bestrafung »Elsa's« durch »Lohengrin's« Scheiden verletzend: er begriff zwar sehr wohl, dass eben das Charakteristische der Sage in diesem hochpoetischen Zuge ausgedrückt sei, blieb aber in dem Zweifel, ob dieser Zug den Anforderungen des tragischen Gefühles, mit Berücksichtigung der dramatischen Wirklichkeit, entsprechen könne. Er hätte lieber den Lohengrin durch Elsa's liebevollen Verrath vor unseren Augen umkommen sehen. Jedenfalls, da diess nicht statthaft erschien, wünschte er ihn durch irgend ein gewaltiges Motiv festgebannt und am Fortgehen verhindert zu sehen. Da ich natürlich von all' dem nichts wissen wollte, kam ich doch darauf, mir zu überlegen, ob die grausame Trennung nicht erspart, das unerlässliche Fortziehen in die Ferne aber doch erhalten werden könnte. Ich suchte ein Mittel auf, Elsa mit Lohengrin fortziehen zu lassen, zu irgend welcher Busse, welche sie ebenfalls der Welt entrückte; das schien meinem geistvollen Freunde schon hoffnungsreich. – Während ich hierüber in Unsicherheit versetzt war, gab ich mein Gedicht auch Frau v. Lüttichau, zur Durchsicht und Prüfung des von Franck angeregten Dilemma's. In einem kleinen Briefchen, worin sie mir ihre Freude an meinem Gedichte ausdrückte, äusserte sie sich über den schwierigen Punkt mit grösster Bestimmtheit kurz dahin, dass Franck ja aller Poesie baar sein müsse, wenn er nicht begriffe, dass der Lohengrin gerade so und auf gar keine andere Weise ausgehen könne. Mir war ein Stein vom Herzen; ich zeigte Franck triumphirend den Brief; dieser, mit äusserster Beschämung, setzte zu seiner Entschuldigung sich sofort mit Frau v. Lüttichau in einen gewiss nicht uninteressanten Briefwechsel, den ich selber nicht zur Einsicht bekam, dessen Ergebniss es jedoch war, dass es im Betreff des Lohengrin beim Alten verblieb. – Sonderbarer Weise vermochte später eine ähnliche Erfahrung im Betreff desselben Gegenstandes mich noch einmal in eine vorübergehende Unsicherheit zu bringen. Als nämlich Adolph Stahr mit grosser Prägnanz den gleichen Einwurf gegen die Lösung des »Lohengrin« erhob, war ich wirklich betroffen über diese Gleichmässigkeit des Urtheils, und da ich ausserdem, eben in jener spätern Zeit, von der Stimmung, in welcher ich den »Lohengrin« schrieb, ziemlich aufregend mich entfernt hatte, kam mir der Leichtsinn an, in einem schnell concipirten Brief an Stahr diesem fast unverholen Recht zu geben. Ich wusste nicht, dass ich hierdurch Liszt, welcher Stahr gegenüber die frühere Stellung der Frau v. Lüttichau gegen Franck eingenommen hatte, einen wahrhaften Kummer bereitete. Glücklicherweise durfte aber diese Verstimmung meines grossen Freundes gegen mich über meinen vermeintlichen Verrath an mir selbst nicht lange andauern; denn ohne noch Kenntniss von dieser ihm verursachten Beunruhigung erhalten zu haben, kam ich in wenigen Tagen durch die hierüber selbst empfundene Peinigung zur rechten Bestimmung, und sonnenklar ging mir meine Thorheit auf, so dass ich Liszt mit dem aus meinem Schweizer Asyl ihm zugesandten lakonischen Protest erfreuen konnte: »Stahr hat Unrecht, Lohengrin hat Recht.«

Für jetzt verblieb es bei dieser poetisch-kritischen Beschäftigung mit meinem Gedicht; an die Entwerfung der Musik zu demselben konnte ich zunächst noch nicht denken. Die Gunst der harmonischen Gemüthsruhe, wie ich sie zum Komponiren stets bedurfte, und stets unter grossen Drangsalen mir zu gewinnen suchen musste, hatte ich auch jetzt erst noch meinem Schicksale unter höchsten Beschwerden abzuringen. Hatten alle mit der Aufführung des »Tannhäuser's« zusammenhängenden Erfahrungen mich wahrhaftig mit grosser Trostlosigkeit für alle Zukunft meines Kunstwirkens erfüllt, so war durch die ersichtliche Gewissheit, dass ich mein Werk für lange Zeit eben höchstens nur auf dem Dresdener Repertoir würde behaupten können, an eine Verbreitung desselben auf anderen deutschen Bühnen, die mir selbst mit dem so unbedingt erfolgreichen »Rienzi« nicht geglückt war, gar nicht zu denken sein durfte, meine bereits genauer bezeichnete bürgerliche Lage in das höchst bedenkliche Stadium getreten, welches eine Katastrophe unvermeidlich herbeiführen musste. Indem ich mich darauf vorbereitete, wie ich diese bestehen würde, suchte ich mich einerseits durch Versenken in die mir immer theurer gewordenen Studien der Geschichte, Sage und Litteratur, andererseits durch rastlose Bethätigung für künstlerische Unternehmungen zu betäuben. Was die ersteren betrifft, so war es jetzt vorzüglich das deutsche Mittelalter, in welchem ich mich nach jeder Seite hin heimisch machte. Ich verfuhr hierin, so wenig ich auch mit philologischer Genauigkeit zu Werke gehen konnte, doch so ernstlich, dass ich z. B. die von Grimm herausgegebenen deutschen Weisthümer mit höchstem Interesse studirte. Da ich die Ergebnisse solcher Studien allerdings nicht unmittelbar in Scene setzen konnte, begriff wohl mancher nicht, warum ich als »Opernkomponist« mich in solche Cruditäten verlor; mancher merkte wohl später dem »Lohengrin« an, dass es mit der Physiognomie desselben eine besondere Bewandtniss habe; doch wurde diess immer nur auf die »glückliche Wahl des Stoffes« bezogen, und man sprach mir besonderes Geschick für diese Wahl zu. Mittelalterliche deutsche Stoffe, auch späterhin wohl Sujets des skandinavischen Alterthums, wurden daher von Manchem gern hervorgesucht, und am Ende war man nur verwundert, dass es dabei doch wiederum zu nichts Rechtem kam. Vielleicht hilft es jetzt, wenn ich ihnen sage, sie sollen auch die Weisthümer und ähnliche Sachen mit zu Hülfe nehmen. Ferdinand Hiller, der nun auch mit Stolz zu einem Hohenstaufen'schen Stoffe griff, vergass ich damals auf meine Hülfsquellen aufmerksam zu machen; da es ihm mit seinem Werke nicht glückte, hält er mich vielleicht für tückisch, wenn er jetzt erfährt, dass ich ihm die Weisthümer verschwieg.

Nach der andern Seite hin bestand für diesen Winter mein Hauptunternehmen in einer äusserst sorgfältig vorbereiteten, im Frühjahr am Palm-Sonntag zu Stand gebrachten Aufführung der 9ten Symphonie von Beethoven. Diese Aufführung brachte mir sonderbare Kämpfe, und für meine ganze weitere Entwicklung sehr einflussreiche Erfahrungen ein. Der äussere Hergang war dieser. Die königliche Kapelle hatte jedes Jahr nur eine Gelegenheit, ausser der Oper und Kirche sich selbständig in einer grossen Musikaufführung zu zeigen; zum Besten des Pensionsfonds für ihre Wittwen und Waisen war das alte sogenannte Opernhaus am Palmsonntag zu einer grossen, ursprünglich nur für Oratorien berechneten Aufführung eingeräumt. Um sie anziehender zu machen, wurde dem Oratorium schliesslich immer eine Symphonie beigegeben; wie schon erwähnt, hatte ich bei solcher Gelegenheit einmal die Pastoralsymphonie, später die »Schöpfung« von Haydn, und zwar auch diese letztere mit grosser Freude an dem Werke, welches ich eben bei dieser Gelegenheit erst eigentlich kennen lernte, aufgeführt. Da wir beide Kapellmeister uns die Abwechselung vorbehalten hatten, fiel für den Palm-Sonntag des Jahres 1846 mir die »Symphonie« zu. Eine grosse Sehnsucht erfasste mich zur neunten Symphonie; für die Wahl derselben unterstützte mich der äusserliche Umstand, dass diess Werk in Dresden so gut wie unbekannt war. Als die Orchestervorsteher, welche die Conservirung und Mehrung des Pensionsfonds zu überwachen hatten, hiervon erfuhren, ergriff sie ein solcher Schreck, dass sie in einer Audienz an unseren Generaldirektor v. Lüttichau sich wandten, um diesen zu ersuchen, dass er mich kraft seiner höchsten Autorität von meinem Vorhaben abbringen möge. Als Gründe zu diesem Gesuch führten sie an, dass unter der Wahl dieser Symphonie der Pensionsfond Schaden leiden würde, da dieses Werk hierorts in Verruf stehe, und jedenfalls das Publikum vom Besuch des Concertes abhalten würde. Vor längeren Jahren war nämlich auch die 9te Symphonie in einem Armen-Concerte von Reissiger aufgeführt worden, und mit aufrichtiger Zustimmung des Dirigenten vollkommen durchgefallen. In der That bedurfte es nun meines ganzen Feuers und aller erdenklichen Beredsamkeit, um zunächst die Bedenken unseres Chefs zu überwinden. Mit den Orchestervorstehern konnte ich aber nicht anders als mich vorläufig vollständig zu überwerfen, da ich hörte, dass sie die Stadt mit ihren Wehklagen über meinen Leichtsinn erfüllten. Um sie auch zugleich in ihrer Sorge zu beschämen, nahm ich mir vor, das Publikum auf die von mir durchgesetzte Aufführung und das Werk selbst in einer Weise vorzubereiten, dass wenigstens das erregte Aufsehen einen besonders starken Besuch herbeiführen, und somit den bedroht geglaubten Kassenerfolg in günstiger Weise sichern sollte. Die 9te Symphonie ward somit in jeder erdenklichen Hinsicht zu einer Ehrensache, deren Gelingen alle meine Kräfte anspannte. Das Comité trug Bedenken gegen die Geldauslage für die Anschaffung der Orchesterstimmen: ich lieh sie somit von der Leipziger Concert-Gesellschaft aus. – Wie ward mir nun aber, als ich, seit meinen frühesten Jünglings-Jahren, wo ich meine Nächte über der Abschrift dieser Partitur durchwachte, jetzt zum ersten Mal die geheimnissvollen Seiten derselben, deren Anblick mich einst in so mystische Schwärmerei versetzt hatte, mir wieder zu Gesicht brachte, und nun sorgfältig durchstudirte! Wie in jener unklaren Pariser Zeit die Anhörung einer Probe der drei ersten Sätze, durch das unvergleichliche Orchester des Conservatoire's ausgeführt, mich plötzlich, über Jahre der entfremdenden Verirrungen hinweg, mit jenen ersten Jugendzeiten in eine wunderbare Berührung gesetzt, und befruchtend für die neue Wendung meines inneren Strebens wie mit magischer Kraft auf mich gewirkt hatte, so ward nun diese letzte Klangerinnerung geheimnissvoll mächtig in mir wieder lebendig, als ich zum ersten Mal wieder mit den Augen vor mir sah, was in jener allerersten Zeit ebenfalls nur mystisches Augenwerk für mich geblieben war. Nun hatte ich manches erlebt, was in meinem tiefsten Innern unausgesprochen zu einer ernsten Sammlung, zu einer fast verzweiflungsvollen Frage an mein Schicksal und meine Bestimmung mich trieb. Was ich mir nicht auszusprechen wagte, war die Erkenntniss der vollständigen Bodenlosigkeit meiner künstlerischen und bürgerlichen Existenz in einer Lebens- und Berufs-Richtung, in welcher ich mich als Fremdling und durchaus aussichtslos ersehen musste. Diese Verzweiflung, über die ich meine Freunde zu täuschen suchte, schlug nun dieser 9ten Symphonie gegenüber in helle Begeisterung aus. Es ist nicht möglich, dass je das Werk eines Meisters mit solch verzückender Gewalt das Herz des Schülers einnahm, als das meinige vom ersten Satze dieser Symphonie erfasst wurde. Wer mich vor der aufgeschlagenen Partitur, als ich sie durchging, um die Mittel der Ausführung derselben zu überlegen, überrascht, mein tobendes Schluchzen und Weinen wahrgenommen hätte, würde allerdings verwunderungsvoll haben fragen können, ob diess das Benehmen eines k. sächsischen Kapellmeisters sei. Glücklicherweise blieb ich bei solcher Gelegenheit von Besuchern unserer Orchestervorsteher und ihres würdevollen Kapellmeisters Reissiger, sowie selbst des in klassischer Musik so bewanderten Ferdinand Hiller, verschont.

Zuerst entwarf ich nun in Form eines Programms, wozu mir das nach Gewohnheit zu bestellende Textbuch zum Gesang der Chöre einen schicklichen Anlass gab, eine Anleitung zum gemüthlichen Verständniss des Werkes, um damit – nicht auf die kritische Beurtheilung – sondern rein auf das Gefühl der Zuhörer zu wirken. Dieses Programm, für welches mir Hauptstellen des Göthischen »Faust« eine über Alles wirksame Hülfe leisteten, fand nicht nur zu jener Zeit in Dresden, sondern auch späterhin an andern Orten erfreuliche Beachtung. Ausserdem benutzte ich in anonymer Weise den Dresdener Anzeiger, um durch allerhand kurzbündige und enthusiastische Ergüsse das Publikum auf das, wie man mir ja versichert hatte, bis dahin in Dresden »verrufene« Werk anregend hinzuweisen. Meine Bemühungen, schon nach dieser äusserlichen Seite hin, gelangen so vollständig, dass die Einnahme nicht nur in diesem Jahre alle je zuvor gewonnenen übertraf, sondern auch die Orchestervorsteher die darauf folgenden Jahre meines Verbleibens in Dresden regelmässig dazu benutzten, durch Wieder-Vorführung dieser Symphonie sich der gleichen hohen Einkünfte zu versichern. Was nun den künstlerischen Theil der Aufführung betraf, so arbeitete ich einer ausdrucksvollen Wiedergabe von Seiten des Orchesters dadurch vor, dass ich alles, was zur drastischen Deutlichkeit der Vortragsnuancen mir nöthig dünkte, in die Orchesterstimmen selbst aufzeichnete. Namentlich veranlasste mich die hier übliche doppelte Besetzung der Blasinstrumente zu einem sorgfältig überlegten Gebrauch dieses Vortheils, dessen man sich bei grossen Musikaufführungen gewöhnlich nur in dem rohen Sinne bedient, dass die mit piano bezeichneten Stellen einfach, die Forte-Stellen dagegen doppelt besetzt vorgetragen werden. In welcher Weise ich auf diese Art für Deutlichkeit der Aufführung sorgte, sei z. B. durch eine Stelle des zweiten Satzes der Symphonie bezeichnet, in welcher, zum ersten Mal in C-Dur, die sämmtlichen Streichinstrumente in verdreifachter Oktave die rhythmische Hauptfigur, unausgesetzt im Unisono, gewissermaassen als Begleitung zu dem zweiten Thema, welches nur die schwachen Holzblasinstrumente vortragen, spielen: da im ganzen Orchester gleichmässig »Fortissimo« vorgezeichnet ist, so ergiebt sich hieraus bei jeder erdenklichen Aufführung, dass die Melodie der Holzblasinstrumente vollständig gegen die immerhin nur begleitenden Streichinstrumente verschwindet und so gut wie gar nicht gehört wird. Da mich nun keinerlei Buchstaben-Pietät vermögen konnte, die vom Meister in Wahrheit beabsichtigte Wirkung der gegebenen irrigen Bezeichnung aufzuopfern, so liess ich hier die Streichinstrumente bis dahin, wo sie wieder abwechselnd mit den Blasinstrumenten die Fortführung des neuen Thema's aufnehmen, statt im wirklichen Fortissimo, mit nur angedeuteter Stärke spielen: das von den verdoppelten Blasinstrumenten dagegen mit möglichster Kraft vorgetragene Motiv war nun, wie ich glaube – zum ersten Mal seit dem Vorhandensein dieser Symphonie, mit bestimmender Deutlichkeit zu hören. In ähnlicher Weise verfuhr ich durchgehends, um mich der grössten Bestimmtheit der dynamischen Wirkung des Orchesters zu versichern. Nichts anscheinend schwer Verständliche durfte so zum Vortrag kommen, dass es nicht in bestimmender Weise das Gefühl erfasste. Viel Kopfzerbrechen gab von je z. B. das Fugato in ???6/8 Takt nach dem Chorverse: »Froh wie seine Sonnen fliegen«, in dem »alla Marcia« bezeichneten Satze des Finales: indem ich mich auf die vorangehenden ermuthigenden, wie auf Kampf und Sieg vorbereitenden Strophen bezog, fasste ich dieses Fugato wirklich als ein ernst-freudiges Kampfspiel auf, und liess es anhaltend in äusserst feurigem Tempo und mit angespanntester Kraft spielen. Ich hatte am Tag nach der ersten Aufführung die Genugthuung, den Musikdirektor Anacker aus Freiberg bei mir zu empfangen, welcher kam, um mir reuig zu melden, dass er bisher einer meiner Antagonisten gewesen sei, seit dieser Aufführung aber zu meinen unbedingten Freunden sich zähle: was ihn – wie er sagte – gänzlich überwältigt habe, sei eben diese Auffassung und Wiedergabe jenes Fugato gewesen. – Eine grosse Aufmerksamkeit widmete ich ferner der so ungewöhnlichen Recitativ-artigen Stelle der Violoncelle und Contrabässe im Beginn des letzten Satzes, welche einst in Leipzig meinem alten Freunde Polenz so grosse Demüthigungen eintrug. Bei der Vorzüglichkeit namentlich unserer Contrabassisten, konnte ich mich dazu bestimmt fühlen, auf die äusserste Vollendung hierbei auszugehen. Es gelang mir in zwölf Spezialproben, welche ich nur mit den betreffenden Instrumenten hielt, zu einem fast ganz wie frei sich ausnehmenden Vortrag desselben zu gelangen, und sowohl die gefühlvollste Zartheit, als die grösste Energie zum ergreifendsten Ausdruck zu bringen. – Vom Beginn meines Unternehmens an hatte ich sogleich erkannt, dass die Möglichkeit einer hinreissend populären Wirkung dieser Symphonie darauf beruhe, dass die Ueberwindung der ausserordentlichen Schwierigkeiten des Vortrages der Chöre in idealem Sinne gelingen müsse. Ich erkannte, dass hier Anforderungen gestellt waren, welche nur durch eine grosse und enthusiasmirte Masse von Sängern erfüllt werden konnten. Zunächst galt es daher, mich eines vorzüglich starken Chores zu versichern; ausser der gewöhnlichen Verstärkung unseres Theaterchors durch die etwas weichliche Dreissig'sche Singakademie, zog ich, mit Ueberwindung umständlicher Schwierigkeiten, den Sängerchor der Kreuzschule mit seinen tüchtigen Knabenstimmen, sowie den ebenfalls für kirchlichen Gesang gutgeübten Chor des Dresdener Seminariums herbei. Diese, zu zahlreichen Uebungen oft vereinigten dreihundert Sänger, suchte ich nun auf die mir besonders eigenthümliche Weise in wahre Extase zu versetzen; es gelang mir z. B. den Bassisten zu beweisen, dass die berühmte Stelle: »Seid umschlungen Millionen«, und namentlich das: »Brüder, über'm Sternenzelt muss ein guter Vater wohnen« auf gewöhnliche Weise gar nicht zu singen sei, sondern nur in höchster Entzückung gleichsam ausgerufen werden könne. Ich ging hierfür mit solcher Extase voran, dass ich wirklich alles in einen durchaus ungewohnten Zustand versetzt zu haben glaube, und liess nicht eher ab, als bis ich selbst, den man zuvor durch alle Stimmen hindurch gehört hatte, mich nun nicht mehr vernahm, sondern wie in dem warmen Tonmeer mich ertränkt fühlte. – Grosse Freude machte es mir, das Recitativ des Barytonisten: »Freunde, nicht diese Töne«, welches seiner seltsamen Schwierigkeiten wegen wohl fast unmöglich vorzutragen zu nennen ist, durch Mitterwurzer, auf dem uns bereits innig bekannt gewordenen Wege der gegenseitigen Mittheilung, zu hinreissendem Ausdruck zu bringen. – Ich trug aber auch Sorge, durch einen gänzlichen Umbau des Lokales mir eine gute Klangwirkung des jetzt nach einem ganz neuen System von mir aufgestellten Orchesters zu versichern. Die Kosten hierzu waren, wie man sich denken kann, unter besondern Schwierigkeiten zu erwirken; doch liess ich nicht ab, und erreichte durch eine vollständig neue Construktion des Podiums, dass wir das Orchester ganz nach der Mitte zu concentriren konnten, und es dagegen amphitheatralisch auf stark erhöhten Sitzen von dem zahlreichen Sängerchor umschliessen liessen, was der mächtigen Wirkung der Chöre von ausserordentlichem Vortheil war, während es in den rein symphonischen Sätzen dem fein gegliederten Orchester grosse Präcision und Energie verlieh.

Schon zur Generalprobe war der Saal überfüllt. Reissiger beging hierbei die unglaubliche Thorheit, beim Publikum völlig gegen die Symphonie zu intriguiren, und auf das Bedauerliche der Verirrung Beethoven's aufmerksam zu machen; wogegen Gade, welcher aus Leipzig, wo er damals die Gewandthausconcerte dirigirte, uns besuchte, mir nach der Generalprobe unter anderem versicherte, er hätte gern den doppelten Eintrittspreis bezahlt, um das Recitativ der Bässe noch einmal zu hören. Hiller fand, dass ich in den Modificationen des Tempo zu weit gegangen sei; wie er diess verstand, erfuhr ich später durch seine eigene Leitung geistvoller Orchesterwerke, über welche ich noch Gelegenheit haben werde zu berichten. Ganz unbestreitbar war aber der allgemeine Erfolg über jede Erwartung gross, und dieses namentlich auch bei Nichtmusikern: unter solchen entsinne ich mich des Philologen Dr. Köchly, welcher bei dieser Gelegenheit sich mir näherte, um mir zu bekennen, dass er jetzt zum ersten Mal einem symphonischen Werke vom Anfang bis zum Ende mit verständnissvoller Theilnahme habe folgen können. In mir bestärkte sich bei dieser Gelegenheit das wohlthuende Gefühl der Fähigkeit und Kraft, das, was ich ernstlich wollte, mit unwiderstehlich glücklichem Gelingen durchzuführen. Nur hatte ich darüber nachzudenken, welche Schwierigkeiten es seien, die mir bisher noch die gleich glückliche Ausführung meiner eigenen neuen Conceptionen verwehrten. Die so Vielen noch problematische, jedenfalls noch nie zur populären Wirkung gebrachte 9. Symphonie Beethoven's, war mir vollständig gelungen: mein »Tannhäuser«, so oft er über die Dresdener Bühne ging, belehrte mich, dass die Möglichkeit seines Gelingens erst noch zu entdecken sei. Wie dahin gelangen? Das war und blieb die geheime Frage, an welcher sich mein ferneres Leben entwickelte. –

Ueber die ideale Bedeutung dieser Frage durfte ich jetzt jedoch noch zu keinem ergiebigen Nachdenken gelangen; denn ganz nackt stand nun die reale Bedeutung meines innerlich gefühlten Misserfolges mit erschreckender Mahnung vor mir. Ich konnte es länger nicht aufhalten, die widerwärtigsten Schritte zur Bekämpfung der mich bedrohenden Katastrophe meiner bürgerlichen Lage zu thun.

Unter dem Einfluss eines lächerlichen Omen's war ich hierzu getrieben. Mein Commissionär, der Schein-Verleger meiner nun veröffentlichten drei Opern: »Rienzi«, »fliegender Holländer« und »Tannhäuser«, der sehr sonderbare Hofmusikalienhändler C. F. Meser lud mich eines Tages zur Besprechung unserer Comptoir-Angelegenheiten in die Weinstube von »Verderber«;« mit grosser Bangigkeit besprachen wir die Möglichkeiten eines erträglichen oder auch ganz schlechten Ausfalls der bevorstehenden Ostermesse. Ich machte ihm Muth, und verlangte eine Flasche des besten Haut-Sauterne; ein ehrwürdiger Flacon erschien, ich schenkte die Gläser voll, wir stiessen auf den guten Ausfall der Messe an, tranken und – schrieen plötzlich wie wahnsinnig auf, indem wir den stärksten Estragon-Essig, den man uns aus Versehen servirt, mit Entsetzen von uns zu sprudeln suchten. »Herr Gott!« rief Meser, »das konnte nicht schlimmer kommen.« »Allerdings«, sagte ich, »ich glaube, es wird uns Manches zu Essig werden.« Mein guter Humor zeigte mir nun mit Blitzesschnelle an, dass ich auf anderm Wege, als dem der Messgeschäfte mich zu retten versuchen müsste.

Nicht nur die mit stets sich anhäufenden Opfern herbeigeschafften Kapitalien für die kostbare Herausgabe meiner Opern mussten endlich wiedererstattet werden, sondern das Gerücht von meiner Verschuldung hatte sich, weil ich genöthigt war, endlich zur Hülfe von Wucherern zu greifen, so stark verbreitet, dass selbst Befreundete, die mir schon bei meiner Dresdener Niederlassung behülflich gewesen waren, von grosser Aengstlichkeit in meinem Bezug ergriffen wurden. – Eine wirklich traurige Erfahrung machte ich jetzt an Frau Schröder-Devrient, welche durch ihr unbegreiflich rücksichtsloses Benehmen die Katastrophe über mich herbeiführte. Wie ich erwähnt, hatte sie im ersten Beginn meiner Dresdener Ansiedelung zur Erledigung meiner früheren Schulden, namentlich auch zur Versorgung meines alten Freundes Kietz in Paris, mir 1000 Thaler geliehen. Die Eifersucht auf meine Nichte Johanna, der Argwohn, ich hätte diese nach Dresden gezogen, um der Generaldirektion die Entlassung der grossen Künstlerin zu erleichtern, hatte diese sonst so grossherzige Frau in die ganz gewöhnliche feindselige Stimmung gegen mich versetzt, welche man beim Theater so oft erfährt. Sie hatte jetzt ihr Engagement verlassen, erklärte offen, ich hätte sie daraus mit vertreiben helfen, und alle freundschaftlichen Rücksichten gegen mich, dem sie in jeder Hinsicht das vollständigste Unrecht that, bei Seite setzend, hinterliess sie den von mir ihr zugestellten Schuldschein einem energischen Advokaten, welcher ohne weiteres die Forderung gegen mich einklagte. Somit war ich nun genöthigt, mich Herrn von Lüttichau zu entdecken, und seine Vermittelung eines königlichen Vorschusses zur Bereinigung meiner kompromittirten Lage anzugehen.

Mein Chef erklärte sich bereit, eine von mir in dieser Angelegenheit an den König gerichtete Eingabe zu unterstützen. Ich hatte deshalb den Betrag meiner Verpflichtungen aufzuzeichnen; da mir sogleich eröffnet wurde, dass die mir nöthige Summe nur als ein Darlehen aus dem Theaterpensionsfond gegen Verzinsung mit fünf pro cent mir zugewiesen werden könne, und ich ausserdem den Pensionsfond für sein Kapital durch eine Lebensversicherungs-Police, welche ebenfalls jährlich drei pro cent des aufgenommenen Kapital's mich zu kosten hatte, sicher zu stellen haben würde, ward ich durch sehr natürliche Rücksichten verführt, diejenigen meiner Schulden, welche keinen feindseligen Charakter hatten, und für deren Tilgung ich demnach auf die endlich doch zu erwartenden Einnahmen von meinem Verlagsunternehmen rechnen zu dürfen glaubte, in meiner Eingabe unerwähnt zu lassen. Dennoch stiegen die Opfer, mit welchen ich die mir dargebotene Hülfeleistung zu bezahlen hatte, so hoch, dass dadurch mein an und für sich geringer Kapellmeistergehalt dauernd in sehr empfindlicher Weise geschmälert wurde. Die widerwärtigsten Bemühungen entstanden mir noch aus der Nöthigung zur Herbeischaffung der verlangten Lebensversicherungs-Police; ich musste mich deshalb wiederholt nach Leipzig wenden, und hatte, auf mich fast erschreckende Weise, gegen besondere Zweifel in Betreff meiner Gesundheit und Lebensdauer anzukämpfen, über welche sich bei denjenigen, die mich in meinem damals leidenvollen Zustande flüchtig beobachteten, wie ich verschiedentlich zu bemerken glaubte, sogar schadenfrohe Besorgnisse ausgesprochen hatten. Es gelang endlich meinem Freunde Pusinelli, als mit mir wohl vertrautem Arzte, soweit genügende Auskunft über meinen Gesundheitszustand zu geben, dass ich endlich gegen drei pro cent mein Leben versichert erhielt.

Der letzte dieser peinlichen Ausflüge nach Leipzig wurde jedoch in angenehmer Weise auch andrerseits durch eine freundliche Einladung des alten Meistens Louis Spohr veranlasst, welche mich namentlich mit aus dem Grunde erfreute, weil durch sie zugleich ein Akt der Versöhnung sich kund gab. Spohr hatte nämlich, wie er mir seiner Zeit geschrieben, durch den Erfolg meines »fliegenden Holländers« in Cassel, und sein eigenes Gefallen daran angeregt, sich noch einmal entschlossen, die zuletzt wiederholt gänzlich erfolglos von ihm beschrittene Laufbahn als dramatischer Componist zu betreten. Sein neuestes Werk war eine Oper »die Kreuzfahrer«, welche er im Laufe des vergangenen Jahres dem Dresdener Theater zugesandt hatte, und zwar, wie er mir selbst bedeutete, in der Meinung, dass ich mit grossem Eifer deren Aufführung betreiben würde. Er machte mich bei dieser Anempfehlung darauf aufmerksam, dass er mit dieser Arbeit einen von seinen früheren Opern gänzlich abgehenden Weg eingeschlagen, und sich nur an die genaueste dramatische Deklamation gehalten habe, wobei ihm allerdings »das vortreffliche Sujet« ganz besonders zu Statten gekommen sei. Dagegen war nun mein nicht eigentlich verwunderungsvoller Schreck gross, als ich sowohl dieses Sujet als die Partitur mir bekannt machte; denn offenbar war der alte Meister bei seinen mir in ihrem Bezug gegebenen Versicherungen vollständig im Irrthum gewesen. Meiner grossen Verzagtheit, mit Energie für die Aufführung dieses Werkes mich zu erklären, half allerdings das bestehende Herkommen, dass die Entscheidung über aufzuführende Werke ordnungsmässig nicht einem der Kapellmeister allein zukam, und dass ausserdem an Reissiger, einem, wie er sich selbst früher gerühmt hatte, älteren Freunde Spohr's, die Reihe war, ein neues Werk zu begutachten und zur Aufführung zu bringen. Unglücklicherweise hatte ich nach einiger Zeit zu erfahren, dass die Generaldirektion mit verletzend kurzer Fassung an Spohr seine Oper zurückgeschickt habe, worüber dieser sich bitter bei mir beklagte. Dass es mir im aufrichtigen Schreck hierüber gelungen war, ihn zu beruhigen und zu versöhnen, bewies er mir nun eben durch die erwähnte Einladung; es war ihm, wie er mir hierbei schrieb, auf einer angetretenen Badereise peinlich Dresden zu berühren; da er aber ein herzliches Verlangen trüge, mich persönlich kennen zu lernen, ersuchte er mich in Leipzig, wo er sich einige Tage aufhalten würde, mit ihm zusammen zu treffen.

Diese Begegnung mit ihm blieb auf mich nicht eindruckslos. Ein grosser, stattlicher Mann mit vornehmem Ausdruck, von ernstem gemässigtem Temperament, welcher den Kern seiner Bildung sowohl wie seiner Entfremdung gegen die neuere Tendenz der Musik mir in rührender, fast entschuldigender Weise darin zu erkennen gab, dass er seinen ersten, für sein ganzes Leben entscheidenden Eindruck im zartesten Jünglingsalter durch die damals eben neue »Zauberflöte« Mozart's bekommen habe. Ueber mein Gedicht des »Lohengrin«, welches ich ihm zur Durchlesung zurückliess, sowie überhaupt den Eindruck, welchen meine persönliche Bekanntschaft auf ihn gemacht habe, hat er sich gegen meinen Schwager Hermann Brockhaus, in dessen Hause wir bei lebhaftester Unterhaltung zu einem Mittagsmahl vereinigt gewesen, mit fast überraschender Wärme ausgesprochen. Wir waren ausserdem beim Musikdirektor Hauptmann, sowie bei Mendelssohn, zu wirklichen Musikabenden zusammen gekommen, bei welchen Gelegenheiten ich auch den Meister in einem seiner Quartette auf der Violine zu hören bekam. Seine ganze ruhige Erscheinung machte gerade in diesen Kreisen auf mich den Eindruck einer fast rührenden Ehrwürdigkeit. – Ich habe später durch allerdings nicht genau von mir zu beurtheilende Zeugen vernommen, dass ihn der »Tannhäuser«, als er auch in Cassel zur Aufführung kam, in Verlegenheit und Pein versetzt haben solle, so dass er erklärt habe: weiter könne er mir denn doch nicht folgen, und fürchten müsse mich auf Abwegen zu sehen.

Zu meiner Erholung von allen überstandenen Mühseligkeiten und Bekümmerungen hatte ich mir nun als höchste Gunstbezeugung von meiner Direktion einen dreimonatlichen Urlaub ausgewirkt, um in ländlicher Zurückgezogenheit sowohl mich erholen, als reinen Athem zum Beginn einer neuen Arbeit schöpfen zu können. Ich hatte hierzu ein Bauernhaus in dem auf halbem Wege zwischen Pillnitz und dem Eintritt in die sächsische Schweiz gelegenen Dorfe Gross-Graupen ausgesucht. Häufige Ausflüge auf den Porsberg, nach dem nahen Liebethaler-Grunde, auch nach der entfernteren Bastei, trugen bald zur Stärkung meiner angegriffenen Nerven bei. Als ich an den ersten Entwurf der Musik zu »Lohengrin« gehen wollte, störte mich zu meiner höchsten Pein unaufhörlich das Nachklingen Rossini'scher Melodien aus »Wilhelm Tell«, der letzten Oper, welche ich zu dirigiren gehabt hatte: in wahrer Verzweiflung verfiel ich endlich auf ein wirksames Gegenmittel gegen diese lästige Zudringlichkeit, indem ich mir auf einem einsamen Spaziergange mit energischster Betonung das erste Thema der neunten Symphonie aus der ebenfalls ziemlich neu angefrischten Erinnerung vorführte. – Diess half. In dem Flussbade bei Pirna, wohin ich fast täglich gegen Abend zu meiner Erfrischung mich aufmachte, überraschte es mich eines Mals, von einem mir unsichtbaren Badenden die Melodie des Pilgerchor's aus »Tannhäuser« gepfiffen zu hören: diess erste Anzeichen einer möglichen Popularisirung des zunächst nur mit so grosser Mühe in Dresden durchgesetzten Werkes machte auf mich einen Eindruck, den keine ähnliche spätere Erfahrung je hat überbieten können. Zuweilen erhielt ich Freundesbesuche aus Dresden, unter denen sich eines Tages der damals sechszehnjährige Hans von Bülow in der Begleitung Lipinsky's zu meiner Freude, da ich schon früher auf seine grosse Theilnahme für mich aufmerksam geworden war, meldete. Im Ganzen verblieb ich aber meistens nur auf den Umgang mit meiner Frau, auf meinen weiten Spaziergängen sogar nur auf den mit meinem Hündchen Peps angewiesen. Während dieses Sommerurlaubes, von welchem eine bedeutende Zeit anfänglich noch der Besorgung meiner widerlichen Geschäfte und der Stärkung meiner Gesundheit allein gewidmet werden musste, gelang es mir doch die Musik sämmtlicher drei Akte des »Lohengrin«, wenn auch nur in sehr flüchtigen Umrissen, zu skizziren.

Mit dieser Ausbeute kehrte ich im August nach Dresden, zu meinen bereits immer lästiger mir werdenden Kapellmeisterfunktionen, zurück. Ausserdem aber gerieth ich sogleich auch wieder in das Geleise der kaum einigermaassen beschwichtigten Sorgen. Der Betrieb des Verlages meiner Opern, in dessen endlichem Erfolge ich doch immer nur noch die einzige Möglichkeit einer gründlichen Befreiung von jenem Drucke zu ersehen hatte, erforderte, um eben hierzu tauglich zu werden, stets wieder neue Opfer. Da nun selbst die geringsten Anstrengungen hierfür bei meinem nun sehr geschmälerten Einkommen mich nothwendig neuen und immer peinlicheren Verwirrungen zuführen mussten, so sank mir bald von Neuem aller Lebensmuth.

Dagegen suchte ich mich einzig durch energische Aufnahme der Arbeit am »Lohengrin« zu erkräftigen. Hierbei gerieth ich auf ein sonst nie wieder von mir befolgtes Verfahren; ich führte nämlich den dritten Akt zuerst aus, wozu mich die zuvor besprochene Kritik des dramatischen Charakters dieses Aktes und seines Schlusses in der Weise bestimmte, dass ich ihn, selbst wohl auch der in der Erzählung vom Gral erscheinenden musikalischen Motive wegen, von vorne herein als den Kern des Ganzen mir vollkommen befriedigend fest zu setzen suchen wollte. Es gelang mir jedoch nicht ohne eine grosse und bedeutungsvolle Unterbrechung, diesen Akt zu beendigen.

Auf eine frühere Anregung von mir sollte in diesem Winter nämlich Gluck's »Iphigenia in Aulis« zur Aufführung gelangen. Ich fühlte mich verpflichtet, diesem Werke, welches namentlich seines Sujets wegen mich sehr ansprach, eine grössere Aufmerksamkeit und Fürsorge zuzuwenden, als diess früher beim Einstudieren der »Armide« der Fall gewesen war. Zunächst erschrack ich über die Uebersetzung, in welcher uns die Oper mit der Berliner Partitur vorgelegt wurde. Um mich überhaupt durch einige Instrumentationsbereicherungen, wie ich sie in dieser Partitur sehr roh angebracht vorfand, nicht beirren zu lassen, liess ich die alte Pariser Original-Ausgabe verschreiben, und ward, nachdem ich mich an eine gründliche, nur eben auf die Richtigkeit der Deklamation bedachte Umarbeitung der Uebersetzung gemacht hatte, von wachsender Theilnahme angetrieben, endlich auch zu einer weiteren Bearbeitung der Partitur selbst bestimmt. Das Gedicht selbst suchte ich durch Fernhaltung alles dessen, was dem französischen Geschmacke gemäss das Verhältniss des Achilles zu Iphigenia zu einer süsslichen Liebschaft stempelte, namentlich aber durch die vollständige Umänderung des Schlusses mit der unerlässlichen »Mariage« soweit als möglich, mit dem gleichnamigen Stück des Euripides in Uebereinstimmung zu setzen. Die meist ganz unvermittelt neben einander stehenden Arien und Chöre suchte ich, der dramatischen Lebendigkeit zu lieb, durch Uebergänge, Nach- und Vorspiele zu verbinden, wobei ich es mir hauptsächlich angelegen sein liess, durch Benutzung der Gluck'schen Motive selbst die Einmischung des fremden Musiker's so unmerklich wie möglich zu machen. Nur im dritten Akte musste ich der Iphigenia, sowie der von mir eingeführten Artemis, ariose Recitative von meiner eigenen Composition geben. Ausserdem aber bearbeitete ich die ganze Instrumentation, jedoch immer nur in der Absicht, das Vorhandene zur rechten Wirkung zu bringen, mehr oder weniger ausführlich von Neuem. Erst am Schlusse des Jahres konnte ich diese zeitraubende Arbeit beendigen, und musste dagegen die Ausführung des begonnenen dritten Aktes von »Lohengrin« auf das neue Jahr verschieben.

Zunächst nahm, im neuen Jahre (1847), mich nach aussen die Aufführung der Iphigenia in Anspruch, wobei ich mich nun namentlich auch als Regisseur zu bewähren hatte; ja sogar dem Decorateur und Maschinisten hatte ich auf das Angelegentlichste zu Hülfe zu kommen. Die Belebung der scenischen Darstellung zu einer wirklich lebenvoll dramatischen Handlung war bei dem meist spröde und unvermittelt neben einander gestellten Complex der Scenen oft ganz neu zu erfinden, da mir das Meiste in dieser Beziehung nur durch eine zu Gluck's Zeiten in der Pariser Oper noch herrschende bloss conventionelle Behandlung der Scene erklärlich schien. Von allen Darstellenden erfreute mich durch vollkommenes Erfassen und richtige Wiedergebung meiner Vorschriften und Andeutungen einzig Mitterwurzer als Agamemnon, welcher auch wirklich in jeder Hinsicht etwas Vorzügliches und Ergreifendes leistete. Die Wirkung des Ganzen war über alle Erwartung günstig, und selbst die Direktion war von diesem ausnahmsweise populären Erfolg einer Gluck'schen Oper so verwundert, dass sie sich von selbst veranlasst fand, von der zweiten Aufführung an auf dem Theaterzettel mich als Bearbeiter derselben zu nennen. Diess machte denn nun auch sofort die Kritik auf diese Arbeit aufmerksam, und wirklich liess sie mir diesmal fast durchaus Gerechtigkeit widerfahren: nur meine Behandlung der Ouverture, des einzigen Stückes, welches in der gewöhnlichen trivialen Aufführungsweise zuvor diesen Herren von diesem Werke Gluck's bekannt geworden war, erregte grossen Anstoss. Ich habe das hierauf Bezügliche in einer besondern Abhandlung »über Gluck's Ouverture zur Iphigenia in Aulis« genau mitgetheilt und erörtert, und füge jener Besprechung hier nur die Notiz hinzu, dass der Musiker, von welchem ich bei dieser Gelegenheit so sonderbare Dinge vernahm, Ferdinand Hiller war. –

Auch diesen Winter, wie früher, setzten sich die namentlich durch Hiller betriebenen Zusammenkünfte der disparaten künstlerischen Elemente Dresden's fort; nur nahmen sie jetzt mehr den Charakter von eigentlichen Salon-Abenden im Hiller'schen Hause selbst an: mir schien es sollte da durchaus zur Herrichtung eines Bodens für die Anerkennung der Hiller'schen Kunstgrösse kommen. Wirklich hatte er bereits aus vermögenderen Kunstfreunden, an deren Spitze der Banquier Kaskel stand, eine Gesellschaft zur Pflege von Abonnements-Konzerten gegründet. Da ihm die königl. Kapelle hierzu unmöglich zur Verfügung gestellt werden konnte, hatte er sich mit sonstigen Stadt- und Militair-Musikern für das Orchester zu begnügen gehabt, und wirklich war unleugbar, dass er durch vielen Fleiss hier Anerkennenswerthes erreichte. Er wusste durch die Vorführung mancher in Dresden noch unbekannten Kompositionen, namentlich aus dem Gebiete der neueren Musik, mich selbst öfter zum Besuche seiner Konzerte zu veranlassen. Das eigentliche Publikum schien er jedoch mehr durch Herbeiziehung fremder Sängerinnen (von denen ihm aber leider Jenny Lind ausblieb), sowie Virtuosen (unter denen mir namentlich der damals noch sehr jugendliche Joachim bekannt wurde), anlockend zu machen. Ueber seine wahre musikalische Bedeutung gab mir jedoch sein Befassen mit damals bereits meinem Urtheile sehr vertrauten Musikwerken Aufschluss. Ein Triple-Konzert von Sebastian Bach setzte mich durch das unter seiner Mitwirkung geleitete gleichgültige Herunterspielen desselben in wahrhaftes Erstaunen. Mit dem »Tempo di Minuetto« der achten Symphonie Beethoven's begegnete mir bei Hiller etwas noch sonderbareres, als früher bei Reissiger und Mendelssohn. Ich versprach ihm nämlich zur Aufführung dieser Symphonie mich einzufinden, wenn ich mich darauf verlassen könnte, dass er das gewöhnlich so schmachvoll entstellte Tempo des dritten Satzes richtig geben würde; er versicherte mich auf das genaueste, hierin mit mir übereinzustimmen: desto mehr erschrack ich nun, bei der Aufführung richtig wieder das bekannte Walzer-Zeitmaass angewandt zu finden. Als ich ihn hierüber zur Rede stellte, entschuldigte er sich lächelnd durch eine augenblickliche Zerstreutheit, die ihn gerade beim Beginn des betreffenden Satzes erfasst und seines Versprechens vergessen gemacht hätte. – Für die Errichtung dieser Konzerte, welche allerdings mit dem zweiten Jahre eingingen, erhielt Hiller ein Festessen, welchem auch ich mit vielem Vergnügen beiwohnte.

In diesen Kreisen war man um jene Zeit verwundert, mich oft zwar sehr lebhaft, aber nie über Musik, sondern namentlich über die griechische Litteratur und Geschichte sprechen zu hören. Bei den von mir immer eifriger gepflogenen, und von meiner Berufstätigkeit mich in immer stillere Einsamkeit zurückleitenden Studien, war ich damals, um die empfindliche Kluft zwischen meinem ersten jugendlichen Erfassen der ewigen humanistischen Bildungselemente und der durch mein ableitendes Leben entstandenen Verwahrlosung auf diesem Gebiete auszufüllen, zu einem, meinem geistigen Bedürfnisse entsprechenden, systematischen Neubefassen mit dieser allerwichtigsten Bildungsquelle hingetrieben worden. Um mich mit dem rechten Sinne den mir zum Ziel gesetzten alt- und mittelhochdeutschen Studien zu nähern, begann ich von Neuem mit dem griechischen Alterthum, und war nun von diesem allerdings mit solch überwältigender Begeisterung erfüllt, dass ich, wenn ich überhaupt zum Reden gebracht wurde, mit Wärme nur sprechen konnte, sobald ich gewaltsam nach jener Sphäre hinlenkte. Zuweilen traf ich einen Menschen, der mich gern zu hören schien; im Ganzen aber verkehrte man mit mir doch am liebsten nur über das Theater, weil man, namentlich nach meiner Aufführung der Gluck'schen »Iphigenie«, mich hierin wirklich für sach- und fachverständig halten zu dürfen glaubte. Besondere Anerkennung fand ich hierfür von einem Manne, dem ich selbst, gewiss mit Recht, zum Mindesten gleiche Sachkenntniss zuzutrauen hatte. Diess war Eduard Devrient, welcher um jene Zeit durch eine von seinem eigenen Bruder Emil angezettelte Schauspieler-Intrigue aus seiner Stellung als Oberregisseur des recitirenden Drama's sich zurückzuziehen veranlasst sah. Er wurde mir sowohl durch die sich hieran knüpfenden gemeinschaftlichen Erörterungen über das Nichtige und in tiefstem Grunde Hoffnungslose unseres ganzen Theaterwesens, namentlich unter dem schliesslich doch nie zu bewältigenden verderblichen Einflusse der Leitung durch kenntnisslose Hofintendanten, als auch durch seine vollständige Anerkennung meiner Leistung in der Aufführung der »Iphigenie«, welche er mit der von ihm gänzlich verworfenen Berliner zusammenhielt, näher vertraut. Er war lange Zeit der Einzige, mit welchem ich ernsthaft und eingehend über die wahren Bedürfnisse des Theaters, und über die Mittel, seiner Verwahrlosung abzuhelfen, mich besprechen konnte. Vieles gab es, worüber er nach längerer und speziellerer Erfahrung mir Aufschluss und Belehrung geben konnte; namentlich half er mir sehr erfolgreich die Ansicht zu bekämpfen, dass dem Theater durch Einmischung der blossen litterarischen Intelligenzen zu nützen sei, und befestigte mich dagegen in der Ueberzeugung davon, dass dem Theater nur durch seine eigensten Kräfte, durch die dramatischen Darsteller selbst der Weg zu wahrhaftem Gedeihen gewonnen werden könne. Ich blieb mit Eduard Devrient, dessen trockenes Naturell und offenbar sehr beschränktes Talent als Schauspieler selbst mich bis dahin wenig angezogen hatten, von nun an bis zu meinem Fortgange von Dresden in ununterbrochen zunehmendem freundschaftlichem Verkehr. Sein höchst verdienstliches Werk, »die Geschichte der deutschen Schauspielkunst«, welches er damals ausarbeitete und nach und nach veröffentlichte, gab mir manchen neuen und lehrreichen Aufschluss über Dinge, die mich selbst lebhaft angingen, und in welche er mir nun eine gründliche Einsicht verschaffte. –

Endlich war ich doch dazu gelangt, die mitten in der Braut-Scene unterbrochene Ausführung der Komposition des dritten Aktes von »Lohengrin« wieder aufzunehmen, und mit dem Schlusse des Winters zu vollenden. Nachdem im Konzert am Palmsonntag mich die allgemein verlangte Wiederholung der 9ten Symphonie erquickt hatte, suchte ich für die weitere Ausführung meiner neuen Arbeit, diesmal ohne Urlaub zu nehmen, durch die Veränderung meiner Wohnung mir Erleichterung und Erfrischung zu verschaffen. In einem ziemlich entfernten und wenig bewohnten Stadttheile Dresdens war das ehemalige Marcolini'sche Palais, mit sehr grossem, zum Theil in altfranzösischem Styl angelegtem Garten, durch Verkauf an eine städtische Behörde zur theilweisen Vermiethung frei geworden. Der Bildhauer Hänel, den ich bereits seit längerer Zeit zu meinen guten Bekannten zählte, und von dem ich sogar als Zeichen seiner anerkennungsvollen Theilnahme einen vollständigen Gypsabdruck eines zum Beethoven-Monument gehörigen Bas-Reliefs, die Symphonie darstellend, als Zimmerschmuck erhalten, hatte die unteren, weitgedehnten Räume eines Seiten-Flügels dieses Palais für Wohnung und Atelier in Beschlag genommen. Gegen sehr billigen Miethzins bezog ich nun zu Ostern die darüber gelegene geräumige Wohnung, und verbesserte somit, bei der mir freistehenden Benutzung des von herrlichen Bäumen bepflanzten grossen Gartens, und der angenehmen Stille des ganzen Aufenthaltes, nicht nur die hierauf bezüglichen geistig-diätetischen Lebensfördernisse des erholungsbedürftigen Künstlers, sondern half zu gleicher Zeit auch durch Verminderung meiner Ausgaben meiner finanziell so äusserst gedrückten Lage etwas auf. Bald hatten wir, da Minna sehr zweckmässig die neue Einrichtung besorgte, uns ohne empfindliche Kosten in der ziemlich ausgedehnten Reihe freundlicher Zimmer ganz behaglich angesiedelt, und nur eine Unbequemlichkeit hatte ich im Laufe der Zeit schmerzlich zu empfinden, nämlich die sehr weite Entfernung vom Theater, welche mir nach anstrengenden Proben und ermüdenden Aufführungen, da mich oft die Ausgabe für einen Fiaker genirte, sehr lästig fiel. Jede Unbequemlichkeit half aber die glückliche Stimmung, welche unter der Begünstigung eines ausnahmsweise schönen Sommers mich einnahm, bald zu überwinden.

Von aller näheren Betheiligung an der Direktion des Theaters zog ich mich um diese Zeit mit unumwunden erklärter Bestimmtheit zurück, und hierzu hatte ich die triftigsten Gründe anzuführen. – Jeder meiner Versuche, dem willkürlichen Chaos in der Verwendung so kostbarer künstlerischer Kräfte, wie sie diese königliche Anstalt vereinigte, eine förderliche Richtung zu geben, war, gerade weil ich sie principiell zu begründen mich bemühte, wiederholt vereitelt worden. In einer sorgsamen Arbeit, welche ich ebenfalls im Verlaufe des vergangenen Winters neben meinen übrigen Beschäftigungen verfasst, hatte ich zunächst einen Plan zur Reorganisation der musikalischen Kapelle ausgearbeitet und nachgewiesen, wie durch eine zweckmässigem Verwendung der zur Erhaltung derselben bestimmten königlichen Fonds, zugleich mit grösserer Gerechtigkeit in Betreff der Besoldungen, auch eine bedeutendere Produktivität der künstlerischen Kräfte bezweckt werden könnte. Dieser Ueberschuss von Produktivität sollte wiederum in gleichem Maasse zur Hebung des künstlerischen Geistes, wie zur Verbesserung der ökonomischen Verhältnisse der Kapellmitglieder dienen, indem ich sie zugleich zu einer freien Konzertgesellschaft konstituirt wissen wollte. Wie, als solche, es ihre Aufgabe sein sollte, das Dresdener Publikum in vorzüglichster Weise mit einer Musikgattung bekannt zu machen, welche bis jetzt dort so gut wie noch gar nicht gepflegt worden war, sollte es diesem Vereine unter Begünstigung vieler von mir nachgewiesenen äusseren Umstände zugleich ermöglicht werden, Dresden mit dem, wie ich erfahre, heute ihm noch fehlenden, angemessenen Konzertgebäude zu versehen. Ich hatte mich hierzu mit Architekten und Bauunternehmern in das ausführlichste Vernehmen gesetzt; die Pläne waren vollständig ausgearbeitet, nach welchen das skandalöse vis-à-vis des der Ostra-Allée zugekehrten Theiles des berühmten Zwingergebäudes, bestehend aus dem Theaterdekorationsmaler-Schuppen und dem k. Hofwaschhause, verschwinden, und dafür ein schönes Gebäude, welches ausser einem unseren Zwecken dienlichen grossen Concertsaale zugleich andere, für einträgliche Vermiethung geeignete Gesellschaftslokale enthalten hätte, errichtet werden sollte. Diese Entwürfe, deren praktische Ausführbarkeit von keiner Seite her bestritten wurde, da selbst die Verwalter des Kapellwittwenfonds hierin eine Gelegenheit zu sicherer und vortheilhafter Kapitalanlage ersahen, gelangten nach längerer Erwägung seitens der Generaldirektion, unter Verdankung und Anerkennung meiner sorgfältigen Arbeit, mit dem summarischen Bescheide an mich zurück, dass man es für besser fände, wenn Alles beim Alten verbliebe. – Aehnlich erging es mir mit jedem Vorschlage, der nutzlos ermüdenden Verwendung unserer künstlerischen Kräfte durch zweckmässigere Anordnung in jedem von mir nachgewiesenem Betreff entgegen zu treten. Da ich ausserdem durch jahrelange Erfahrung zu der Einsicht gekommen war, dass alles in den ermüdendsten Direktionskonferenzen, z. B. im Betreff des aufzustellenden Repertoires Besprochene und zum Beschluss Gebrachte, jeden Augenblick durch die Laune eines Sängers, oder den Einwurf eines untergeordneten Oekonomie-Inspektors umgestossen und nachtheilig verändert wurde, so begab ich mich endlich, nach zahllosen Erörterungen und Ereiferungen hierüber, der hierbei vergeudeten Mühe, und entzog mich mit bestimmt ausgesprochener Tendenz selbst meiner Pflicht der Betheiligung an jedem Zweige der Direktionsführung, indem ich mich lediglich auf die Abhaltung der Proben und Leitung der Aufführungen der mir zugewiesenen Opern beschränkte. Gerieth ich hierdurch nun auch in eine zunehmende Spannung mit Herrn v. Lüttichau, so musste er für jetzt sich doch meine Renitenz wohl oder übel gefallen lassen, da ich namentlich andrerseits durch den stets andauernden Erfolg der Aufführungen des »Tannhäuser's« und des »Rienzi«, welche namentlich vor dem bedeutenden Fremdenpublikum im Laufe des Sommers als stets bevorzugte Festvorstellungen vor überfüllten Häusern gegeben wurden, in Rücksicht gebietender Stellung erhalten wurde.

Unter solchen Entsagungen und Förderungen gelangte ich dazu, diesen Sommer unter dem Genuss einer fast vollständigen Zurückgezogenheit und der grossen Annehmlichkeit, die mir meine neue Niederlassung gewährte, in einer der Vollendung meines »Lohengrin« höchst günstigen Stimmung mich zu erhalten. Was dieser Stimmung eine bisher von mir noch nie mit so grosser Intensivität genossene Heiterkeit gab, waren meine, neben der Arbeit an meinem Werke, eifrigst betriebenen, zuvor bereits angedeuteten Studien. Ich hatte nun zum ersten Male bei gereiftem Gefühle und Verstände mich des Aeschylos bemächtigt. Namentlich die beredten Didaskalien Droysen's halfen mir, das berauschende Bild der athenischen Tragödienaufführungen so deutlich meiner Einbildungskraft vorzuführen, dass ich die »Oresteia« vorzüglich unter der Form einer solchen Aufführung mit einer bisher unerhört eindringlichen Gewalt auf mich wirken fühlen konnte. Nichts glich der erhabenen Erschütterung, welche der »Agamemnon« auf mich hervorbrachte: bis zum Schluss der »Eumeniden« verweilte ich in einem Zustande der Entrücktheit, aus welchem ich eigentlich nie wieder gänzlich zur Versöhnung mit der modernen Litteratur zurückgekehrt bin. Meine Ideen über die Bedeutung des Drama's und namentlich auch des Theaters haben sich entscheidend aus diesen Eindrücken gestaltet. Durch die übrigen Tragiker drang ich bis zu Aristophanes vor. Wenn ich des Vormittags eifrig an der Ausführung der Musik des »Lohengrin« gearbeitet hatte, verkroch ich mich gegen die immer üppiger hereindringende Sommerhitze tief in ein dichtes Gebüsch des mir zugewiesenen Garten-Antheiles: unbeschreiblich war der launige Uebermuth, mit welchem dort die Lektüre der Aristophanischen Stücke mich erfüllte, nachdem die »Vögel« des Dichters mich in die ganze Tiefe und Fülle dieses ausgelassenen Lieblings der Charitinnen, wie er sich selbst mit sicher bewusster Kühnheit nannte, versenkt hatten. An seiner Seite las ich die vorzüglichsten Platonischen Gespräche, und gewann namentlich aus dem Eindrucke des »Symposions« einen so innig vertrauten Einblick in die wunderbare Schönheit des griechischen Lebens, dass ich wie mit fühlbarer Wirklichkeit in Athen mich heimischer empfand, als in irgend einem Lebensverhältnisse der modernen Welt.

Da ich meinem ganz bestimmten Bildungszwecke nachging, fiel es mir nicht ein, am Leitfaden irgend einer Litteraturgeschichte meinen weiteren Weg zu verfolgen, sondern ich lenkte durch die mir geeignet dünkenden historischen Studien, in welchen mich namentlich Droysen's Geschichte Alexander's und des Hellenismus, sowie Niebuhr und Gibbon förderten, zu den deutschen Alterthümern über, in welchen mir nun Jakob Grimm als ein immer vertrauter gewordener Führer wiederkehrte. Indem ich mich nun namentlich der deutschen Heldensage gründlicher zu bemächtigen suchte, als diess früher nur durch die Lektüre der Nibelungen und des Heldenbuches möglich gewesen war, fesselten mich endlich ganz vorzüglich die ungemein reichen, obwohl ihrer Kühnheit wegen von strengeren Fachgelehrten mit Bedenken angesehenen »Untersuchungen« Mone's über diese Heldensage. Unwiderstehlich hierdurch auf die nordischen Zeugnisse für dieselbe hingewiesen, suchte ich nun auch, soweit mir diess ohne fliessende Kenntniss der nordischen Sprachen möglich war, die »Edda« sowie die prosaischen Aufzeichnungen der grossen Bestandtheile der Heldensage mir vertraut zu machen. Von entscheidendem Einfluss auf die bald in mir sich gestaltende Behandlung dieses Stoffes war, an der Hand der Mone'schen »Untersuchungen«, die Lektüre der Wälsungasaga. Das bereits seit längerer Zeit in mir sich bildende Bewusstsein von der urheimischen Innigkeit dieser alten Sagenwelt gewann so allmählich die Kraft zu der plastischen Gestaltung, welche meine späteren Arbeiten leitete.

Dies Alles drängte und reifte in mir, während ich mit wahrhaft verklärter Freude die Komposition der beiden ersten, nun zuletzt ausgeführten Akte des »Lohengrin's« vollendete. Indem ich so nach rückwärts abschloss und nach vorwärts eine neue Welt mir aufbaute, welche meinem hierüber immer klarer sich werdenden Bewusstsein mit wachsender Deutlichkeit als diejenige Zuflucht sich erschloss, in welche ich mich von allen Elendigkeiten des modernen Oper- und Theaterwesens zu retten hatte, befestigten sich meine Gesundheit und meine Laune zu einer fast untrübbar heitern Stimmung, in der ich für längere Zeit alle Nöthen meiner Lage vergessen konnte. Tägliche Ausflüge in die nächste Umgegend der vom Elbufer nach dem Plauen'schen Grund sich hinziehenden Höhen, welche ich meistens einsam, nur von Peps begleitet, antrat, führten stets zu angenehm produktiver Sammlung. Zugleich aber gewann ich, wie fast nie sonst, die Befähigung zu gut gelauntem Umgang mit Freunden und Bekannten, welche zu Zeiten gern im Marcolinischen Garten sich einfanden, mein einfaches Abendmahl mit mir zu theilen. Oft fanden mich die Besuche dann auf den höchsten Zweigen eines Baumes oder auf dem Nacken des Neptun, welcher als Mittelpunkt einer kolossalen Statuengruppe in einem leider stets trocknen Bassin aus der alten Glorienzeit dieses Marcolinischen Grundstückes figurirte. Es machte mir dann Vergnügen, mit meinen Bekannten auf dem breiten Trottoir des nach dem eigentlichen Palais zuführenden Hauptganges auf- und abzuschreiten, welches im verhängnissvollen Jahre 1813 besonders für Napoleon, als er dort sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte, gelegt worden war.

Mit dem letzten Sommermonat August, in welchem ich die vollständige Komposition des »Lohengrin« vollendete, musste ich aber auch empfinden, dass es damit eben Zeit war, da andrerseits die Bedürfnisse meiner Lebenslage mich jetzt gebieterisch nöthigten, auf ernstliche Schritte zu ihrer Verbesserung bedacht zu sein. Es war mir nahe gelegt, von Neuem an die Verbreitung meiner Opern auf deutschen Theatern zu denken.

Auch der nun immer bestimmter sich herausstellende Erfolg des »Tannhäuser« in Dresden setzte auswärts nicht das Mindeste in Bewegung. Als einziger Ort, von welchem aus entscheidender auf die deutschen Theater gewirkt werden könnte, hatte ich unerlässlich bereits Berlin in das Auge fassen müssen. Was ich von dem besonderen Geschmacke des Königs Friedrich Wilhelm's IV. vernommen hatte, schien mich durchaus zu der Annahme berechtigen zu dürfen, dass er, wenn es nur gelänge, ihm diese im rechten Lichte zu zeigen, er Neigung und Interesse für meine neueren Arbeiten und Tendenzen fassen müsste. In dieser Annahme hatte ich bereits daran gedacht, den »Tannhäuser« ihm zu dediciren; um die Erlaubniss hierfür einzuholen, hatte ich mich an den Intendanten der k. Hofmusik, Grafen Redern, zu wenden gehabt. Von diesem erhielt ich den Bescheid, dass der König nur die Dedikation solcher Werke annehmen könne, welche ihm zuvor durch eine Aufführung zur Kenntniss gebracht seien: da nun mein »Tannhäuser«, weil er von dieser für »zu episch« gefunden worden, von der Intendanz des Hoftheaters zurückgewiesen war, so schiene dem Grafen, wenn ich auf meinem Wunsche beharre, nur der Ausweg übrig zu bleiben, meine Oper, so weit als möglich für Militärmusik arrangirt, dem König etwa bei einer Parade zu Gehör zu bringen. Diess genügte nun, mich zu einem andern Angriffsplan auf Berlin zu bestimmen. Ich musste, namentlich nach der so eben erwähnten Erfahrung, für geeignet halten, es dort zunächst mit derjenigen meiner Opern, welche mir auch in Dresden den entscheidendsten Erfolg gewonnen, zu beginnen. Ich wandte mich deshalb in einer mir gewährten Audienz an die Königin von Sachsen, die Schwester der Königin von Preussen, um von dieser durch ihre Empfehlung einen königlichen Befehl an die Berliner Intendanz zur Aufführung meines auch vom sächsischen Hof bevorzugten »Rienzi« zu erwirken. Diess gelang; bald erhielt ich die Anzeige meines alten Freundes Küstner, dass meine Oper »Rienzi« zur baldigsten Aufführung auf dem Berliner Hoftheater bestimmt sei, und zugleich den Ausdruck des Wunsches, dass ich persönlich die Aufführung meines Werkes leiten möge. Da nun in Berlin von Herrn Küstner zu Gunsten seines alten Münchner Freundes Lachner und dessen Oper »Katharina von Cornaro« die sehr einträgliche Tantième eingeführt worden war, glaubte ich in dem Erfolg des »Rienzi« in Berlin, wenn er nur einigermassen dem in Dresden ähnlich zu ermöglichen war, allein schon eine ergiebige Hülfe für meine üble Lage ersehen zu dürfen. Vor Allem aber leitete mich der Wunsch, dem Könige von Preussen mich selbst bekannt machen zu können, um ihn namentlich durch eine Vorlesung der Dichtung meines »Lohengrin«, wie ich mir nach mancherlei Anzeichen schmeicheln zu dürfen glaubte, für meine Richtung günstig zu stimmen, für welchen Fall ich im Sinne hatte, mir von ihm den Auftrag zu einer ersten Aufführung des »Lohengrin« an seinem Hoftheater zu erbitten. Es schien mir nach den seltsamen Erfahrungen, welche ich über die Geheimhaltung meiner in Dresden erkämpften Erfolge vor dem übrigen Deutschland gemacht hatte, unerlässlich, den zukünftigen Ausgangspunkt meiner künstlerischen Unternehmungen nach dem einzigen, einigermassen Einfluss übenden Centrum, für welches ich Berlin ansehen musste, zu verlegen. Durch meine bereits so erfolgreiche Empfehlung an die Königin von Preussen glaubte ich bis zu dieser, von mir so wichtig angesehenen Vorstellung an den König selbst ebenfalls durchdringen zu können, und in dieser Hoffnung machte ich mich im September, gutes Muthes einer günstigen Wendung meines Schicksales vertrauend, für's erste zu den Proben meines »Rienzi«, an welchen selbst mir bereits nicht mehr sonderlich gelegen war, nach Berlin auf.

In Berlin befiel mich zunächst ein ähnlicher Eindruck wie damals, als ich auf meiner Wiederkehr von Paris, es nach längerer Entfernung davon, abermals betrat. Professor Werder, mein Freund vom »fliegenden Holländer« her, hatte mir zuvor an dem berühmten Gensdarmeplatz eine Wohnung besorgt, doch konnte ich selbst bei meinem täglichen Ausblick auf denselben mich nicht überreden, in einem Theil des Centrum's Deutschlands mich zu befinden. Bald nahmen mich jedoch die Sorgen meines nächsten Anliegens in Beschlag. An officiellen Vorkehrungen zur Befriedigung meiner Wünsche hatte es zwar nicht gefehlt, doch merkte ich bald, dass mein »Rienzi« eben nur auch als Kapellmeisteroper angesehen und bedacht wurde, d. h. dass die disponiblen Kräfte mir eben nur pflichtgemäss zu Gebot gestellt wurden, ohne dass man in irgend etwas über das Vermögen derselben hinaus zu gehen gesonnen war. Alle Anordnungen für die Proben wurden aber sofort umgeworfen, als Jenny Lind zu einem Gastspiel sich bereit meldete, und dafür auf längere Zeit die königliche Oper ausschliesslich in Anspruch behielt.

Während der hieraus entstehenden Verzögerung bemühte ich mich nun, der Erreichung meines Hauptzweckes, einem persönlichen Bekanntwerden mit dem Könige, näher zu kommen. Ich bediente mich hierzu meiner älteren Verbindungen mit dem Intendanten der Hofmusik, dem Grafen Redern. Dieser Herr nahm mich sogleich mit grösster Herablassung auf, lud mich zu Diner und Abendgesellschaft, und unterhielt sich mit mir auf das Herzlichste über die nöthigen Schritte zur Erreichung meines Vorhabens, in welchem er mich auf das Eifrigste zu unterstützen versprach. Ausserdem wandte ich mich selbst wiederholt nach Sanssouci, um mich zunächst der Königin, schon um ihr meinen Dank auszudrücken, vorzustellen. Ueber einen Verkehr mit Kammerfrauen kam ich jedoch nie hinaus. Man rieth mir, mich mit dem Chef des k. geheimen Kabinets, Herrn Illaire, in Verbindung zu setzen. Dieser Herr schien mein Anliegen sehr ernstlich aufzunehmen, und versprach mir, zu thun was er könne, um meinem Wunsche einer persönlichen Vorstellung an den König Vorschub zu leisten. Er erkundigte sich nach meinem eigentlichen Zwecke; ich sagte ihm, dieser sei, vom Könige die Erlaubniss zu erhalten, ihm das Gedicht meines »Lohengrin« vorzulesen. Bei einem der häufig von Berlin aus bei ihm wiederholten Besuche frug er mich endlich, ob ich es nicht für rathsam halte, von Tieck eine Empfehlung für meine Arbeit herbeizubringen. Ich konnte ihm melden, dass ich bereits mit dem alten Dichter, welcher als königlicher Pensionnair sich ebenfalls in der Nähe von Potsdam aufhielt, hierüber in erfreuliche Annäherung getreten sei.

Ich hatte mich nämlich sehr wohl entsonnen, dass Frau v. Lüttichau ihrem berühmten Freunde vor einigen Jahren, als das Lohengrin-Thema zwischen uns angeregt war, sowohl dieses Gedicht, wie das meines »Tannhäuser's« zugeschickt hatte. Als ich darauf hin bei Tieck mich anmeldete, ward ich wirklich wie ein nicht eigentlich fern stehender älterer Bekannter von diesem aufgenommen. Meine längeren Unterhaltungen mit ihm blieben für mich sehr werthvoll. Mag Tieck sich auch immerhin durch eine gewisse Bequemlichkeit in der Ertheilung von Empfehlungen, um welche man bei ihm für dramatische Arbeiten nachsuchte, in einigermassen zweifelhaftes Ansehen gesetzt haben, so erfreute mich doch in meinem Falle die besondere Wärme, mit welcher er sich mir gegen unsere neueste, unter Nachahmung der modernen französischen Theatergeschicklichkeit sich bildende dramatische Litteratur äusserte: seine Klage über den Verlust jeder wahrhaften poetischen Tendenz derselben sprach sich in wirklich stark tönenden elegischen Accenten aus. Dem Gedicht meines »Lohengrin« erklärte er sich durchaus und vollständig geneigt; nur begriff er nicht, wie diess alles ohne eine gänzliche Umwandlung der bisherigen Basis der Oper in Musik zu setzen sein sollte, und äusserte in diesem Bezuge namentlich seine Bedenken gegen Scenen wie die zwischen Ortrud und Friedrich zu Anfang des zweiten Aktes. Mich dünkte, dass ich ihn zu wirklicher Lebhaftigkeit erregte, als ich über die Lösung dieser scheinbaren Schwierigkeiten, sowie überhaupt im Betreff meiner Ideen über das Ideal des musikalischen Drama's, mich in meiner Weise ihm mittheilte. Je weiter ich mich hierbei verstieg, desto trauriger ward er jedoch, wenn ich ihm meine Hoffnung zu erkennen gab, für die gleichen Gedanken und die Verwirklichung meiner idealen Pläne die Theilnahme des Königs von Preussen zu gewinnen. Er bezweifelte zwar nicht, dass der König mich mit vieler Aufmerksamkeit anhören, und sogar mit Wärme meine Idee erfassen werde, nur müsste ich, wenn ich mich nicht den übelsten Enttäuschungen aussetzen wollte, nicht im mindesten auf einen praktischen Erfolg hiervon rechnen. »Was wollen Sie von einem Herrn sich erwarten, der heute für Gluck's »Iphigenia in Tauris«, und morgen ganz ebenso für Donizetti's »Lucretia Borgia« sich erwärmt?« Zunächst unterhielt mich mit Diesem und Aehnlichem Tieck viel zu einnehmend, als dass ich dem Bitteren seiner Ansichten ernstlicher nachgedacht hätte. Seine eindringlichste Empfehlung meines Gedichtes an Kabinetsrath Illaire versprach er mir gern und freudig, und entliess mich mit grossem Wohlwollen unter herzlichen, doch bangen Segenswünschen.

Der Erfolg aller meiner Bemühungen war, dass die verhoffte Einladung zum König immer und immer ausblieb. Da nun die Proben zum »Rienzi«, nach überstandener Jenny Lind, wieder ihren ernstlichen Verlauf nahmen, fasste ich den Entschluss, mit jenen anderweitigen Bemühungen bis zur Aufführung meiner Oper einzuhalten, weil ich doch jedenfalls auf die Gegenwart des Monarchen bei der ersten Vorstellung, welche ja auf seinen Befehl angeordnet war, und somit auf eine der Erfüllung meines hauptsächlichsten Wunsches günstige Anregung rechnen zu dürfen glaubte. Je mehr wir uns dieser Aufführung näherten, desto tiefer sank allerdings auch meine Erwartung von der Beschaffenheit derselben. Für die Hauptrolle des »Rienzi« hatte ich mich mit einem tief unter aller Mittelmässigkeit stehenden Tenorsänger von unbedingter Talentlosigkeit begnügen müssen. Es war ein guter, williger Mensch, der mir ausserdem durch meinen besonders freundlichen Mittagsgastwirth, den nicht unberühmten Meinhard, auf das Angelegentlichste empfohlen war. Nachdem ich mich viel mit ihm geplagt, und in Folge dessen, wie es mir öfter ging, zu einiger Illusion über seine zu erwartende Leistung mich angeregt hatte, musste endlich, als in den Hauptproben die Entscheidung herauskam, die wahre Einsicht bei mir sich ergeben. Ich ersah, dass Scenerie, Chor, Ballet und Nebenpartien zum grössten Theil sogar vortrefflich ausfielen, dass aber die Hauptfigur, um die sich gerade in dieser Oper alles dieses eben nur gruppirt, zu einem wesenlosen Schatten sich verflüchtigte. Dem entsprach, als es Ende Oktober zur Aufführung kam, in ziemlich richtigem Verhältnisse auch der Erfolg beim Publikum. In Folge der ziemlich guten Wirkung mancher glänzenden Ensemblestücke, namentlich auch der sehr glänzenden Aufnahme der Leistung einer Frau Köster als »Adriano«, konnte zwar dieser Erfolg allen äusseren Anzeichen nach als ein nicht ungünstiger angesehen werden; dennoch fühlte ich selbst am Besten, dass er keinen wirklichen Kern haben könne, weil nur das Unwesentliche meiner Arbeit in die Augen und Ohren, nicht aber das Wesentliche in die Empfindung hatte fallen können. Auch eröffneten sofort die Berliner Rezensenten in der mir bereits bekannten Weise ihre auf Vernichtung jeden Erfolges meiner Oper ausgehenden Angriffe, so dass ich nach der zweiten Aufführung, welche ich ebenfalls noch persönlich dirigirte, mich nun nach dem Ergebniss meiner verzweiflungsvollen Bemühungen zu fragen hatte.

Diese Frage, wenn ich sie an meine wenigen vertrauten Freunde richtete, führte zu mancherlei Belehrung. Unter diesen Freunden erwähne ich zunächst den zu meiner wahrhaften Erquickung in Berlin, als dort neu Angesiedelten, wieder gefundenen Hermann Franck. Meine besten Stunden während der traurigen zwei Monate, hatte ich in seinem, im Ganzen doch nur spärlich zu geniessenden Umgange verlebt. Gewöhnlich berührte unsere Unterhaltung bereits seit früherer Zeit schon vom Theater weit abliegende Gegenstände, so dass ich mich fast zu schämen hatte, mit meinen Klagen aus diesem Gebiete her ihn zu behelligen, namentlich, da sie meine Bemühungen für ein Werk betrafen, für welches ich eben nur noch ein wirklich recht praktisches theatralisches Interesse hegen konnte. Er seinerseits gelangte bald so weit, mich wiederum darüber zu beklagen, dass ich eben diesen »Rienzi«, mit welchem ich doch nur an das eigentliche und gewöhnliche Theaterpublikum mich wendete, und nicht vielmehr den »Tannhäuser« zu einem Versuch, in Berlin eine meinen höheren Zwecken förderliche Partei zu bilden, gewählt hätte. Er behauptete nämlich, dass ich durch den Charakter gerade dieser Arbeit Leute zu erneuertem Interesse für das Theater bestimmt haben würde, welche gleich ihm nicht mehr zum eigentlichen Theaterpublikum zu zählen seien, eben weil sie alle Hoffnung auf das Erfassen einer edleren Tendenz von Seiten desselben aufgegeben hätten.

Ganz entmuthigend lauteten andererseits die, sonderbaren Mittheilungen über den Charakter des Berliner Kunstwesen's, welche Werder mir gelegentlich machte. In Betreff des Publikums sagte er mir einmal, ich solle nur nichts anderes erwarten, als dass vom ersten bis zum letzten Range bei der Aufführung eines unbekannten Werkes irgend ein Mensch in einer andern Stimmung seinen Platz einnehme, als indem er sich früge, in welcher Weise er das Erwartete nun eigentlich schlecht zu finden habe. Trotzdem Werder von keiner meiner Bestrebungen mich abzubringen wünschte, glaubte er doch unausgesetzt mich davor warnen zu müssen, irgend etwas, namentlich aus den höheren Sphären Berlin's, zu erwarten. Als ich ihn, der den bedeutenden Eigenschaften des König's durchaus Anerkennung gezollt wissen wollte, frug, wie er wohl meine, dass dieser es aufnehmen würde, wenn ich ihm meine Ideen über die Veredelung der Oper vortrüge, antwortete er mir, nachdem er länger meiner feurigen Rede zugehört: »Darauf würde Ihnen der König sagen: sprechen Sie mit Stawinsky!« Dieser war nämlich der Opernregisseur, dick, bequem und in der gemeinsten Routine verfault.

In ähnlicher Weise war Alles, was ich sonst erfuhr, geeignet, mich zu entmuthigen. Ich hatte Bernhard Marx, welcher bereits vor Jahren in Folge des »fliegenden Holländer's« eine günstige Stellung zu mir genommen hatte, besucht, und war von ihm in auszeichnender Weise aufgenommen worden. Die auffallende Erschlaffung, in welcher ich diesen Mann, der durch seine früheren Schriften und musikalischen Kritiken mir als von energischem Feuereifer beseelt erschienen war, antraf, fiel mir, namentlich als ich ihn jetzt an der Seite einer in wahrhaft hinreissender Schönheit strahlenden, sehr jungen Gattin kennen lernte, besonders auf. Aus seinen Unterhaltungen ging mir bald hervor, dass er auch die entfernteste Hoffnung auf jeden Erfolg irgend welcher ernstlichen Bemühung auf dem uns Beiden vertrauten Gebiete, durch langjährige Erfahrung von der unglaublichen Hohlheit aller der Machtsphäre verwandten Autoritäten, aufgegeben hatte. So erzählte er mir die allerdings sehr sonderbaren Schicksale einer Eingabe, welche er an den König zur Gründung einer Musikschule gemacht hatte. Auf diese war in einer besondern Audienz der König mit allergrössestem, bis auf das kleinste Detail beachtendem Interesse eingegangen, so dass Marx im vollsten Glauben des glücklichen Erfolgs sich bestärkt fühlte. Seitdem blieben jedoch alle seine Bemühungen und weiteren Verhandlungen über die Angelegenheit, in welcher er von Einem zum Andern gewiesen wurde, vollständig fruchtlos, bis er endlich zu einem General zur Audienz befohlen ward, welcher diesmal, ganz wie zuerst der König selbst, Marxen's Vorschläge bis in das geringste Detail sich erörtern liess, und dem Unternehmen mit grosser Wärme beistimmte. »Und nun,« so schloss Marx seine sehr reichhaltige Erzählung, »war es zu Ende; ich erfuhr nie wieder etwas.«

Eines Tages erfuhr ich, dass Gräfin Rossi, die berühmte Henriette Sonntag, welche damals bereits in die misslichen Verhältnisse gelangt war, die sie abermals in die Künstlerlaufbahn zurückwarfen, sich in Berlin sehr zurückgezogen aufhielt, meiner von Dresden her freundlich eingedenk war, und meinen Besuch wünschte. Auch sie hatte mir vorzüglich über das allgemeine Unvermögen, in den Berliner machtgebenden Kreisen für irgend welche künstlerischen Zwecke zur Einwirkung zu gelangen, Klage zu führen. Namentlich, so meinte sie, schiene der König eine Art Befriedigung darin zu finden, das Theater schlecht verwaltet zu wissen, denn nie bekämpfe er die in diesem Betreff an ihn gelangenden Ausstellungen, nie aber auch stimme er irgend einem Vorschlage zur Verbesserung bei. Sie begehrte etwas von meiner neuesten Arbeit kennen zu lernen; ich übergab ihr zunächst das Gedicht des »Lohengrin« zur Durchlesung. Bei meinem nächsten Morgenbesuche, an welchem sie die Einladung zu einer musikalischen Abendunterhaltung, die sie dem Grossherzog von Mecklenburg-Strelitz, ihrem väterlichen Beschützer, zu Liebe bei sich veranstaltete, mir vorläufig kund gab, stellte sie mir auch mein Manuscript des Lohengrin-Gedichtes zurück, mit der Versicherung, es habe sie sehr angesprochen, und oft habe sie bei der Lektüre »die kleinen Feen und Elfen vor sich tanzen sehen«. Da ich sonst an dem warmen, freundlichen Ausdruck der recht natürlich gebildeten Frau mich herzlich erwärmt hatte, fühlte ich mich nun plötzlich wie mit kaltem Wasser übergossen, entfernte mich bald, und sah die Gräfin Rossi nie wieder, wozu ich auch ausserdem bei dem Ausbleiben der angekündigten Einladung keine besondere Veranlassung mehr erhielt.

Herr E. Kossak suchte meine Bekanntschaft; ohne in weitere, namentlich ergiebige Beziehungen zu ihm zu gerathen, erhielt ich doch von ihm einen hinreichend freundlichen Eindruck, um auch ihm das Gedicht meines »Lohengrin« zur Lektüre zu überlassen. Ich traf ihn eines Tages in seinem soeben mit heissem Wasser gescheuerten Zimmer bei einer unerträglichen Ausdünstung, welche ihm bereits Kopfschmerzen zugezogen hatte, und mir nicht minder lästig fiel, an. Mit einem fast weichlichen Blicke mass er mich, als er mir das Manuskript meines Gedichtes zurückgab, und mir mit einem recht wahrhaftigen Accent versicherte, er habe es »so gemüthlich« gefunden. – Etwas mehr Unterhaltung gewann ich aus einem gelegentlichen Umgang mit H. Truhn, welcher sich bei einem guten Glase Wein, das ich ihm bei Lutter und Wegener, wo ich mich der Hoffmann'schen Reminiscenzen wegen dann und wann einfand, mit scheinbar wachsendem Antheil meine Ideen über die mögliche Bestimmung und zu erstrebende Erweiterung des Operngenre's erörtern liess. Mancherlei Witziges und gut Beobachtetes vernahm ich von ihm; namentlich machte sein lebhaftes, bewegliches Wesen oft günstigen Eindruck auf mich. Als Rezensent trat er jedoch nach der Rienzi-Aufführung ebenfalls auf die allgemein betretene Seite der Bespötter und Herunterreisser. – Nur mein armer älterer Freund Gaillard stand mir bei mancher Widerwärtigkeit rüstig, aber durchaus machtlos zur Seite. Mit seinem kleinen Musikgeschäft wollte es nicht gehen, seine musikalische Zeitschrift war bereits eingegangen: so konnte er mir nur in sehr kleinen Angelegenheiten behülflich sein. Leider entdeckte ich, dass er nicht nur Verfasser vieler höchst bedenklicher dramatischer Arbeiten, für welche er mich zu gewinnen suchte, sondern auch durch ausgesprochene hektische Anlage einem vermuthlich sehr baldigen Tode verfallen war, so dass selbst der wenige Umgang, den ich mit ihm pflog, bei all seiner Treue und Ergebenheit nur einen wehmüthigen und meine Stimmung bedrückenden Einfluss auf mich ausübte.

Da ich nun doch aber andrerseits von dem einzigen Verlangen, es zu einem meiner Lage so höchst nöthigen Erfolg zu bringen, die ganze Berliner Unternehmung gegen jede innere Neigung angetreten hatte, so überwand ich mich, auch selbst bei Rellstab mich einzufinden. Da er beim »fliegenden Holländer« sich besonders an »Nebelhaftigkeit« und »Gestaltungslosigkeit« gestossen hatte, glaubte ich ihn nun mit einigem Vortheil auf den helleren und deutlicheren Zuschnitt meines »Rienzi« hinweisen zu dürfen. Er schien es wohlgefällig hinzunehmen, dass ich etwas auf ihn zu geben den Anschein nahm; doch kündigte er mir im Voraus die ihm in seiner Art wiederum anhaftende Ueberzeugung von der Hoffnungslosigkeit des neueren Kunstproduzirens seit Gluck an, und meinte, im glücklichsten Falle würde man beim besten Streben doch nur »Bombast« zu Tage bringen. – Ich sah, Alles gab sich in Berlin der Verzweiflung hin, eine Stimmung, welche, wie ich erfahren, nur Meyerbeer theilweise zu verklären verstanden hatte.

Auch diesen ehemaligen, und eigentlich immer fort noch sich als solchen ausgebenden Gönner, traf ich diesmal in Berlin an. Sogleich nach meiner Ankunft hatte ich ihn aufgesucht: ich traf im Vorzimmer seinen Diener mit Herrichtung der Reisekoffer beschäftigt und erfuhr, dass Meyerbeer in baldiger Abreise begriffen sei, was dieser mir selbst, mit dem Bedauern, in nichts mir dienlich sein zu können, bestätigte. Ich hatte somit sogleich beim Empfang Abschied von ihm zu nehmen. Längst glaubte ich ihn bereits weit entfernt, als ich nach einigen Wochen zu meiner Verwunderung erfuhr, Herr Meyerbeer, ohne sich weiter sehen zu lassen, verweile immer noch in Berlin; sogar in einer der Theaterproben des »Rienzi« wurde er endlich noch gesehen. Was diess zu bedeuten habe, ist mir erst später, und namentlich durch eine unter Eingeweihten ziemlich verbreitete Ansicht hierüber, welche mir seiner Zeit Eduard von Bülow, der Vater meines jungen Freundes, berichtete, klar geworden. Ohne dass ich eine Ahnung davon hatte, woher diess komme, erfuhr ich ungefähr gegen die Mitte meines Aufenthaltes in Berlin durch Kapellmeister Taubert, dass es ihm von vielen sehr unterrichteten Seiten zu Ohren gekommen sei, ich bewürbe mich um eine Dirigentenstelle am dortigen Hoftheater, und solle sogar grosse Aussichten haben, diese mit besonderen Befugnissen ausgestattet zu erhalten. Es bedurfte meinerseits, um namentlich mit Taubert in einem mir nöthigen guten Vernehmen mich zu erhalten, der allerbestimmtesten Versicherungen, dass ich in gar keiner Weise weder an eine solche Bewerbung, noch an die Annahme einer Anstellung, wenn sie mir selbst angeboten würde, denke. Andererseits wurden alle meine Bemühungen, an den König zu gelangen, unabänderlich vereitelt. Der Hauptvermittler hierfür, an den ich mich immer wieder wandte, blieb Graf Redern, auf dessen bedenkliche Solidarität mit Meyerbeer ich zwar aufmerksam gemacht wurde, dessen unglaublich freimüthiges und gewogenes Benehmen mich aber immer wieder in der Annahme seiner Redlichkeit bestärkte. Ich hatte endlich alle meine Hoffnung nur noch darauf gesetzt, dass der König doch unmöglich der Aufführung des auf seinen Befehl gegebenen »Rienzi« fern bleiben könnte; an diese Annahme knüpfte ich meine weitere Hoffnung auf eine Annäherung an ihn. Nun meldete mir aber Graf Redern mit wahrem Ausdruck der Verzweifelung, dass der König gerade am Tage der ersten Aufführung auf einer Jagd begriffen sein werde. Von Neuem bat ich ihn, alles aufzubieten, um mich der Anwesenheit des Königs wenigstens bei der zweiten Aufführung zu versichern. Da meldete mir endlich mein unermüdlicher Gönner, es sei unbegreiflich, aber es scheine, dass S. M. eine völlige Abneigung dagegen, meinem Wunsche nachzukommen gefasst habe; er habe aus höchst eigenem Munde die harten Worte hören müssen: »Ach, kommen Sie mir wieder mit Ihrem Rienzi!«

In dieser zweiten Aufführung nun begegnete mir ein freundliches Abenteuer. Nach dem effektvollen zweiten Akte schien das Publikum auch mich mit einem Hervorrufe bedenken zu wollen; als ich, um nöthigen Falls dem zu entsprechen, aus dem Orchester in das Vestibüle trat, glitt mein Fuss auf dem glatten Parquet aus, und ich war im Begriff, einen vielleicht nicht unempfindlichen Fall zu thun, als ich mich mit kräftiger Hand am Arm festgehalten fühlte: ich erkannte den Prinzen von Preussen, welcher aus seiner Loge getreten war, und sofort die Gelegenheit meiner Habhaftwerdung ergriff, um mich einzuladen, ihm zu seiner Gemahlin zu folgen, welche meine Bekanntschaft zu machen wünsche. Diese, soeben erst in Berlin angekommen, erklärte mir, meine Oper, über welche sie sich sehr freudig äusserte, zwar an diesem Abend zum ersten Male zu hören, jedoch von mir und meinem künstlerischen Charakter bereits seit längerer Zeit auf das Empfehlendste unterrichtet zu sein, und zwar durch die Mittheilungen einer gegenseitigen Freundin, Alwine Frommann. Der ganze Eindruck dieser Begegnung, bei welcher der Prinz theilnahmsvoll anwesend blieb, hatte einen ungewöhnlich freundlichen und wohlthätigen Charakter.

In der That war es auch meine alte Freundin Alwine, welche in Berlin gewiss nicht nur mit den theilnehmendsten Sorgen allen meinen dortigen Schicksalen folgte, sondern auch, was nur in ihren Kräften stand, aufwendete, um mir Trost und Muth zur Ausdauer zu geben. Fast regelmässig besuchte ich sie des Abends, um in edlerem Gespräche, als der Tagesverkehr es mir ermöglicht hatte, während einer Erholungsstunde zum Kampfe gegen die Widerwärtigkeiten des folgenden Tages mich zu stärken. Besonders erfreute mich die warme und verständnissvolle Theilnahme, welche von ihr und unserem beiderseitigen Freunde Werder, dem eigentlich mich beherrschenden Gegenstande aller jetzigen Bemühungen, meinem »Lohengrin«, gewidmet wurde. Seit der bisher verzögerten Ankunft ihrer vertrauten Gönnerin, der Prinzessin von Preussen, glaubte sie auch etwas Näheres über den Stand meiner Angelegenheit beim König erfahren zu können, wiewohl sie mich zu bedeuten hatte, dass eben diese hohe Frau dort in höchster Ungunst stehe, und ihr Einfluss auf den Monarchen sich nur unter der Beobachtung einer eisigen Convention kund geben könne. Auch blieb von dieser Seite her bis zu meiner endlich nicht mehr zu verschiebenden Abreise jede Mittheilung aus.

Da ich andrerseits veranlasst wurde, noch eine dritte Aufführung des »Rienzi« zu dirigiren, und während doch immer noch die Möglichkeit verblieb, eine plötzliche Bescheidung nach Sans-Souci zu empfangen, setzte ich nun einen bestimmten Tag fest, bis zu welchem ich dem Schicksal in Betreff meiner wichtigsten Pläne die Thüre offen lassen wollte. Auch dieser Termin verstrich, und es blieb nun dabei, dass ich meine Berliner Hoffnungen für durchaus gescheitert anzuerkennen hatte.

Es war eine üble Stimmung, in welcher ich zu diesem Schlusse mich entschied. Ich entsinne mich, selten von dem Einfluss kalter und nasser Witterung, und eines ewig grauen Himmels so armselig bedrückt gewesen zu sein, als in diesen letzten schlimmen Berliner Wochen, wo Alles, was ich ausserhalb meiner unmittelbaren Leidenssphäre erfuhr, mit bleierner Entmuthigung auf mich drückte. So meine Unterhaltungen mit Hermann Franck über die sozialen und politischen Zustände, welche damals durch den verunglückten Versuch des vom König von Preussen berufenen vereinigten Landtages eine besonders düstre Färbung erhalten hatten. Ich hatte zu Denjenigen gehört, welche anfänglich dieser Unternehmung eine hoffnungsvolle Bedeutung beizumessen gestimmt waren; von einem so kenntnissvollen Mann, wie Franck, alles hierauf bezügliche Persönliche und Thatsächliche näher beleuchtet zu erhalten, war mir nun wahrhaft erschreckend. Aus allen seinen ohne jede Leidenschaftlichkeit mitgetheilten Ansichten hierüber, sowie über den preussischen Staat selbst, die von ihm vermeintlich vertretene deutsche Intelligenz, sowie die ihm allgemein zugesprochene grosse Sicherheit und Geordnetheit der Verwaltung des öffentlichen Wesen's, mussten so vollständig jede bisher in diesem Bezug gefasste günstige und hoffnungsvolle Meinung zerstören, dass ich mich wie im Chaos angelangt sah, wenn ich von hieraus auf eine gedeihliche Gestaltung Deutschland's noch zu blicken versuchte. Hatte ich von meiner Dresdener Misère aus auf die Möglichkeit, welche mir der Gewinn der Theilnahme des Königs von Preussen für meine Ideen zu bieten schien, mit Hoffnung ausgesehen, so konnte ich nun der furchtbaren Hohlheit, welche nach jeder Seite hin mir das Wesen der Dinge aufdeckte, in keiner Weise mehr meine Erkenntniss verschliessen.

In dieser tief verzweifelten Stimmung machte es auf mich einen fast nur sonderbaren Eindruck, als bei meinem Abschiedsbesuch Graf Redern mit höchst niedergeschlagener Miene die soeben erhaltene Nachricht von Mendelssohn's Tode mir meldete. Ich blieb entschieden ohne Verständniss dieses Schicksalszuges, von welchem mich zunächst nur die augenfällig kummervolle Wirkung auf Redern betroffen machte. Jedenfalls blieb ihm bei diesem immerhin peinlichen Abschiede von mir hierdurch die Unannehmlichkeit einer ausführlicheren und herzlichen Explication über meine eigene, seinem Mitgefühl so nahe gebrachte Lage erspart.

So blieb mir denn für Berlin nur noch die Nöthigung der Berichtigung des Verhältnisses meiner materiellen Erfolge zu meinen materiellen Opfern übrig. Für einen Aufenthalt von zwei Monaten, an welchem schliesslich meine Frau und selbst meine Schwester Klara, beide durch den verhofften ungemeinen Succès der Berliner Aufführung des »Rienzi« angezogen, Theil genommen hatten, fand es sich, dass mein alter Freund, der Intendant Küstner, durchaus zu keiner Entschädigung sich veranlasst fühlte. Aus seiner mit mir gepflogenen Korrespondenz konnte er mir mit unwiderleglicher juristischer Präcision nachweisen, dass seinerseits nur der »Wunsch« meiner Mitwirkung bei dem Einstudiren des Rienzi, keineswegs aber eine »Einladung« hierzu ausgesprochen worden war. Da mir nun durch des Grafen Redern heftige Trauer über Mendelssohn's Tod es abgeschnitten war, diesen um Vermittlung für so gemeine persönliche Interessen anzugehen, blieb mir nichts übrig, als die Wohlthat Küstner's dankbar anzunehmen, welcher mir die Tantième für die drei stattgehabten Aufführungen vorschussweise auszahlen liess. In Dresden war man verwundert, dass ich mir von dorther einigen Gehaltvorschuss zu meiner Auslösung aus dieser glänzenden Berliner Unternehmung erbitten musste. – Als ich mit meiner Frau in abscheulichster Witterung durch die öden Marken auf meinem Heimwege dahinfuhr, glaubte ich diejenige tief verzweiflungsvolle Lebensstimmung zu empfinden, in welche ich wohl nur einmal und nie wieder versinken können würde. Doch ergötzte es mich, schweigend in den grauen Nebel aus dem Waggon hinausblickend, meine Frau in einen Disput mit einem reisenden Handlungsbeflissenen gerathen zu hören, welcher zu gefälliger Unterhaltung sich sehr wegwerfend über die »neue Oper Rienzi« ausgelassen hatte. Mit grosser Wärme, ja Leidenschaftlichkeit, berichtigte meine Frau verschiedene Irrthümer des feindseligen Mannes, und brachte zu ihrer grossen Befriedigung von ihm das Bekenntniss heraus, dass er selbst die Oper gar nicht gehört habe, sondern nur nach dem Hörensagen und den Rezensionen zu seiner Ansicht gelangt sei, was ihm denn meine Frau auf das Ernstlichste verwies, »weil man nicht wissen könne, wen man mit so etwas in Zukunft verletze«.

Mit diesem einzigen erheiternd tröstlichen Eindrucke gelangte ich nach Dresden zurück, wo nun die besonderen Folgen der ausgestandenen Berliner Widerwärtigkeiten sogleich in den bedauernden Bezeigungen meiner Bekannten mir entgegentraten. Die Zeitungen hatten von einem entschiedenen Durchfalle meiner Oper berichtet. Zu meiner besonderen Pein hatte ich diesen Widerwärtigkeiten durch heitere Miene und die Versicherungen, dass es keineswegs so schlimm stehe, im Gegentheil mir vieles Erfreuliche widerfahren sei, zu begegnen.

Diese mir ungewohnte Bemühung setzte mich in ein sonderbares Parallelverhältniss zu der bei meiner Rückkunft in Dresden vorgefundenen Situation, in welcher ich Ferdinand Hiller antraf. Dieser hatte ungefähr gleichzeitig hier seine neue Oper »Conradin von Hohenstaufen« zur Aufführung gebracht. Mit diesem während seiner Ausarbeitung vor mir verheimlichten Werke, in welchem Dichter und Komponist die Tendenzen und Effecte meines »Rienzi« mit denen meines »Tannhäusers« auf eine für Dresden besonders glückliche Weise combinirt zu haben vermeinten, glaubte Hiller nach den in meiner Abwesenheit stattgefundenen drei Aufführungen eines durchgreifenden Erfolges sich versichert zu haben. Da er sich auf der Abreise nach Düsseldorf, wohin er als Konzertdirektor berufen worden war, befand, empfahl er mir sein Werk mit ungemeiner Zuversicht zur weiteren Pflege, wobei er bedauerte, mir nicht die Direktion desselben zuweisen gekonnt zu haben. Er gab zu, dass er den grossen Erfolg zum Theil wohl der wunderbar glücklichen Darstellung, namentlich der Männerrolle des »Conradin« durch meine Nichte Johanna, zu verdanken habe; diese liess sich mir mit gleicher Zuversicht wiederum dahin vernehmen, dass Hiller's Oper ohne sie allerdings wohl nicht so ausserordentlich durchgeschlagen haben würde. Ich war nun wirklich gespannt, diess glückliche Werk und seine so erfolgreiche Darstellung selbst kennen zu lernen, was, nachdem Hiller nebst Familie Dresden gänzlich verlassen hatte, durch eine angekündigte vierte Vorstellung mir ermöglicht werden sollte. Als ich beim Beginn der Ouvertüre den Saal betrat, um meinen Sitz im Parquet einzunehmen, befiel mich ein seltsames Erstaunen, bis auf einige kaum bemerkbare Ausnahmen sämmtliche Zuschauerplätze vollkommen leer zu finden. Auf dem entgegengesetzten Ende der von mir eingenommenen Bank bemerkte ich den Dichter des Sujets, den sanften Maler Reinike. Wir rückten ungenirt gegen die Mitte des Raumes zusammen, und unterhielten uns über den wunderlichen Zustand, in welchem wir uns befanden. Ich vernahm von ihm wehmüthige Klagen über Hiller's musikalische Ausführung seiner Dichtung; das Geheimniss des Irrthums, in welchen Hiller über den Erfolg seines Werkes gerathen, liess er, offenbar in grosser Bestürzung über den unwiderleglichen Fall der Oper, mir selbst unaufgeklärt. Ich erfuhr nun von anderwärts her, wie es Hiller möglich geworden war, sich in so grosse Selbsttäuschung zu versetzen. Frau Hiller, selbst aus Polen stammend, hatte es verstanden, ihre zahlreichen in Dresden sich aufhaltenden Landsleute, gemeiniglich eifrige Theaterbesucher, in ihren sehr häufigen Réunions für die Oper ihres Mannes zu werben. Diese Freunde hatten in der ersten Vorstellung mit gewohntem Feuer das Publikum zu Beifallkundgebungen angeführt, selbst aber so wenig Gefallen an dem Werke gefunden, dass sie in der zweiten, an und für sich schwach besetzten Aufführung ausgeblieben waren, wodurch der Erfolg der Oper so gut als ungünstig entschieden galt. Jetzt wurde alles aufgeboten, um an einem Sonntage, an welchem das Theater von selbst sich zu füllen pflegte, mit dem Aufruf an alle nur erdenklichen polnischen Hülfskräfte für den Beifall, eine dritte Aufführung zu Stande zu bringen. Diess geschah: die polnische Theateraristocratie erfüllte mit gewohnter Ritterlichkeit ihre Pflicht gegen das hülfsbedürftige Paar, in dessen Salon man so oft angenehmen Soireen beigewohnt hatte. Wiederum ward der Komponist gerufen, alles ging glücklich, und nun hielt sich Hiller an die Erfahrung von dem Charakter der dritten Aufführung eines neuen Werkes, nach welchem feststand, dass der Erfolg dieser der Ausschlag gebende sei, gerade wie es sich beim »Tannhäuser« ebenfalls erwiesen hatte. Das Künstliche dieses Vorganges stellte sich nun aber eben mit dieser vierten von mir erlebten Vorstellung, zu deren Besuch niemand mehr dem abgereisten Komponisten verpflichtet war, heraus. Auch meine Nichte war beschämt, und fand, dass doch selbst die vortrefflichste Leistung einer Sängerin eine solche langweilige Oper nicht zu halten vermöchte. Während wir so dem Elend zusahen, gelang es mir, einige schon im Sujet begründete auffallende Schwächen und Fehler dem Dichter nachzuweisen; dieser berichtete darüber an Hiller, worauf ich aus Düsseldorf ein warmes Freundschaftsschreiben erhielt, mit der Anerkennung des begangenen Unrechtes, seiner Zeit meinen Rath für das Sujet von sich gewiesen zu haben. Nicht undeutlich ward mir zugleich zu verstehen gegeben, dass es wohl noch Zeit sei, nach meinen Angaben die Oper zu verändern, bei welcher Gelegenheit ich mir das grosse Verdienst erwerben könnte, ein doch offenbar gut intentionirtes und in seiner Art bedeutendes Werk dem Repertoire zu erhalten, – wozu es jedoch nicht kam.

Hiergegen erfuhr ich die kleine Genugthuung, dass mir noch von zwei Aufführungen meines »Rienzi« in Berlin berichtet wurde, um deren guten Erfolg, wie er selbst mir meldete, Kapellmeister Taubert durch äusserst effektvolle Zusammenstreichungen sich verdient gemacht zu haben glaubte. Immerhin musste meiner eigenen Ueberzeugung nach auf einen dauernden und gewinnbringenden Erfolg meiner Berliner Unternehmung durchaus verzichtet werden, und so konnte ich Herrn v. Lüttichau länger nicht verbergen, dass, wenn ich mit nöthigem gutem Muthe ferner aushalten sollte, ich auf einer Verbesserung meines Gehaltes bestehen müsste, da ich auf auswärtige, bedeutende und meinem unglücklichen Opernverlagsgeschäfte günstige Erfolge nicht rechnen, bei der Beschränkung meines an und für sich so dürftigen Gehaltes aber unmöglich bestehen könnte. Ich verlangte nichts weiter, als Gleichstellung mit meinem Kollegen Reissiger, was mir auch von Anfang an in nächste Aussicht gestellt worden war.

Bei dieser Lage der Dinge schien nun Herrn v. Lüttichau die Zeit gekommen, wo er mir meine Abhängigkeit von seinem, nur durch gehörige Fügsamkeit mir zuzusichernden, guten Willen fühlen zu lassen habe. Nachdem ich mich um die Gunst der gewünschten mässigen Gehaltserhöhung in persönlicher Audienz der Gnade des Königs empfohlen hatte, versprach mir zwar Herr v. Lüttichau, den seinerseits unerlässlichen Bericht über meine Angelegenheit im empfehlendsten Sinne auszufertigen. Wie gross war aber meine Bestürzung und Beschämung, als er mir eines Tages diesen seinen vom König wieder zurückgelangten Bericht zur Eröffnung des Bescheides mittheilte. In ihm war ausgeführt, dass ich durch Ueberschätzung meines Talentes, leider auch durch thörichte Verwöhnung Seitens verschiedener exaltirter Freunde (unter welche er Frau v. Könneritz zählte), zu der Meinung veranlasst worden wäre, mindestens gleiche Berechtigung zu Erfolgen, wie sie Meyerbeer gewonnen, mir erworben zu haben; hierdurch wäre ich in eine so bedeutende Verschuldung gerathen, dass es allerdings in Betracht zu ziehen sein dürfte, ob meine Entlassung nicht räthlich erschiene, wenn nicht andrerseits mein Fleiss und meine anerkennenswerthen Leistungen, wie sie namentlich in meiner Bearbeitung der Gluck'schen »Iphigenie« zur Kenntniss der Direktion gelangt seien, den ferneren Versuch mit meiner Beibehaltung anempfehlen möchten, für welchen Fall dann allerdings an eine Begünstigung meiner materiellen Verhältnisse gedacht werden müsste. Hier konnte ich nicht weiter lesen, und gab starr vor Erstaunen meinem Gönner sein Papier zurück; dem von ihm wahrgenommenen üblen Eindruck auf mich suchte er augenblicklich dadurch vorzubeugen, dass er mir sagte, mein Wunsch sei ja erreicht, die sofort mir zufallenden 300 Thaler könnte ich zur Stunde an der Kasse erheben. Ich entfernte mich schweigend und überlegte mir, was ich der mir angethanen Schmach gegenüber zu thun habe. Es war mir unmöglich, die 300 Thaler zu erheben.

Während nun aber die allerwiderwärtigsten Verlegenheiten mich bedrängten, ward eines Tages im November der Besuch des Königs von Preussen in Dresden gemeldet, und zugleich auf dessen besondern Wunsch eine Aufführung des »Tannhäuser« angesetzt. Wirklich erschien er zu dieser Aufführung mit der sächsischen Königsfamilie im Theater, und wohnte ihr mit augenscheinlichem Interesse von Anfang bis zu Ende bei. Eine sonderbare Erklärung für sein Ausbleiben von den Berliner Aufführungen des »Rienzi«, welche der König von Preussen bei dieser Gelegenheit gab, ward mir berichtet: er habe es sich nämlich versagt, eine meiner Opern in Berlin zu hören, weil ihm an einem guten Eindruck davon gelegen sei, und er wisse, dass sie an seinem Theater nur schlecht gegeben werden könnten. – Immerhin gab mir dieses seltsame Ereigniss wenigstens so viel heiteres Selbstvertrauen zurück, als ich bedurfte, um die bewussten 300 Thaler, welche ich so peinlich nöthig hatte, in Empfang zu nehmen.

Auch Herr v. Lüttichau schien es sich angelegen sein zu lassen, einigermassen wieder mein Zutrauen zu gewinnen; ich glaubte mir aus seiner ungestörten Freundlichkeit entnehmen zu müssen, dass der gänzlich ungebildete Mensch gar kein Bewusstsein seiner mir angethanen Schmach hätte. Er kam auf die in meinem zurückgewiesenen Orchestermemoire vorgeschlagenen Orchester-Konzerte zurück, um mich zu bestimmen, solche Musikaufführungen als von der Direction, nicht aber vom Orchester selbst ausgehend, im Theater einzurichten. Nachdem ich zunächst ausgewirkt, dass die Einnahmen davon dem Orchester zufallen sollten, ging ich gern an die Ausführung des Projektes. Nach meinem besondern Plane ward die Bühne des Theaters, vermöge eines das ganze Orchester einschliessenden, äusserst vortheilhaft sich bewährenden Schall-Gehäuses, zu einem seither als ausgezeichnet geltenden Konzertsaale hergerichtet. Von den Aufführungen sollten in Zukunft im Winterhalbjahre sechs stattfinden; da wir diesmal am Schlusse des Jahres nur die zweite Hälfte des Winters noch in Aussicht hatten, wurde für drei Konzerte ein Abonnement eröffnet, durch welches sofort die ganzen Räume des Theaters vom Publikum in Beschlag genommen wurden. Die Vorbereitungen hierfür beschäftigten mich einigermassen günstig zerstreuend, so dass ich mit einer etwas versöhnten, freundlicheren Stimmung mich dem verhängnissvollen Jahre 1848 zuwandte.

Im folgenden Januar ging das erste dieser Kapellkonzerte vor sich, welches schon durch sein sehr ungewöhnliches Programm mir grosse Anerkennung verschaffte. Ich hatte nämlich gefunden, dass, wenn solchen Aufführungen eine wirkliche Bedeutung, gegenüber dem von allem ernsten Kunstgenuss abwendenden bunten Nebeneinander der den verschiedenartigsten Genres angehörenden Musikproduktionen, verliehen werden sollte, nur zweien wohlthätig mit sich abwechselnden Gattungen der eigentlichen Musik hier Raum gegeben werden durfte. Zwischen zwei Symphonien stellte ich ein oder zwei grössere, sonst nicht zu hörende Vokalstücke auf, und liess hierin das ganze Konzert bestehen. Nach einer Mozart'schen Symphonie (in D-dur) liess ich sämmtliche Musiker von ihren Plätzen sich zurückziehen, um dafür ein imposantes Gesangpersonal aufzustellen, welches Palestrina's »Stabat mater«, nach einer von mir sorgsam bearbeiteten Angabe des Vortrag's, und Bach's achtstimmige Motette: »Singet dem Herrn ein neues Lied« auszuführen hatte; hierauf liess ich das Orchester wieder seine Plätze einnehmen, um die »Sinfonia Eroica« Beethoven's vorzutragen, und damit zu schliessen.

Der Erfolg war ein sehr erhebender, und namentlich eröffnete sich mir, bei meinem immer grösseren Ekel vor dem Befassen mit unserem Opernrepertoir, auf welches ich, gegenüber den selbst von Tichatscheck unterstützten Gelüsten meiner Primadonna-süchtigen Nichte, immer mehr an Einfluss verlor, eine etwas tröstliche Aussicht auf eine fernere Wirksamkeit als musikalischer Dirigent. Da ich zugleich nach meiner Wiederkehr von Berlin die Instrumentation des »Lohengrin« begonnen, und im Uebrigen nach jeder Seite hin einer immer grösseren Resignation in meiner Stimmung Raum gegeben hatte, glaubte ich ruhig den Bestimmungen meines Schicksals entgegensehen zu können, als mich plötzlich eine tief erschütternde Nachricht traf.

Anfang Februar ward mir der Tod meiner Mutter gemeldet. Ich eilte sofort zu ihrem Begräbniss nach Leipzig, und erfreute mich noch mit tiefer Rührung des wunderbar ruhigen und lieblichen Gesichtsausdruckes der Verstorbenen. Sie hatte die langen letzten Jahre ihres früher so thätigen und unruhevollen Lebens in heiterer Behaglichkeit, und endlich fast kindlich gelaunter friedlicher Zerstreutheit zugebracht. Beim Sterben hatte sie mit lächelnd verklärtem Gesicht, wie mit demüthiger Bescheidenheit ausgerufen: »Ach! wie schön, wie lieblich, wie göttlich! Wie verdiene ich denn solche Gnade?« Es war ein schneidend kalter Morgen, als wir den Sarg auf dem Kirchhof in die Gruft senkten; die festgefrornen Erdschollen, welche wir statt der Handvoll leichter Erde dem Gebrauch nach auf dessen Deckel hinabzustreuen hatten, erschreckten mich durch ihr wildes Gepolter. Auf dem Heimweg zum Hause meines Schwager's Hermann Brockhaus, wo die Familie auf eine Stunde sich vereinigte, begleitete mich allein Heinrich Laube, welcher meine Mutter sehr lieb gehabt hatte. Er äusserte seine Besorgniss über mein ganz ungewöhnlich angegriffenes Aussehen. Dann begleitete er mich noch zum Bahnhof, und hier fanden wir Worte für den ungemeinen Druck, der uns auf jeder edlen Bestrebung gegenüber einer gänzlich in das Nichtswürdige versinkenden Zeittendenz zu liegen schien. Auf meiner kurzen Zurückreise nach Dresden kam zum ersten Male mit deutlichem Bewusstsein das Gefühl meiner vollkommenen Vereinsamung über mich, da ich nicht umhin konnte, mit dem Verluste der Mutter auch jedes natürliche Band des Zusammenhanges mit meinen, in eigenen und besonderen Familieninteressen befangenen Geschwistern als gelöst zu erkennen. So machte ich mich dumpf und kalt an das Einzige, was mich erleuchten und wärmen konnte, die Ausarbeitung meines »Lohengrin«, und meine altdeutschen Studien.

So kamen die letzten Tage des Februar heran, welche Europa eine neue Revolution bringen sollten. Unter meinen Bekannten gehörte ich zu denjenigen, welche am Wenigsten an einen bevorstehenden, oder überhaupt nur möglichen Umsturz der politischen Welt geglaubt hatten. Meine erste Empfindung von diesen Dingen war mir im Jünglingsalter aus der Julirevolution und der ihr folgenden lang andauernden systematischen Reaction gekommen. Seitdem hatte ich auch Paris kennen gelernt, und hatte aus allen dort mir offen liegenden Symptomen des öffentlichen Lebens Alles mehr als eine Anlage zu einer grossen revolutionären Bewegung entnommen. Ich hatte die Errichtung der von Louis Philipp durchgesetzten, Paris umgebenden Forts détachés erlebt, dazu mich über die strategische Anlegung zahlreich durch ganz Paris vertheilter, befestigter Wachtposten unterrichten lassen, und stimmte denjenigen bei, welche fortan Alles für vorbereitet hielten, um selbst nur den Versuch einer Erhebung der Pariser Bevölkerung unmöglich zu machen. Als daher am Schlusse des vorangehenden Jahres der schweizerische Sonderbundskrieg, sowie die im Anfange dieses Jahres geglückte sizilianische Revolution aller Augen voll Spannung auf die Wirkung dieser Anregung auf Paris richteten, blieb ich ohne Theilnahme an allen Erwartungen oder Befürchtungen, welche man hieran knüpfte. Zwar drangen die Nachrichten von wachsend unruhigen Auftritten in der französischen Hauptstadt zu uns; doch bestritt ich namentlich gegen Röckel, dass hierin etwas Bedeutendes vorliege. Ich sass in einer Probe von »Martha« am Dirigentenpult, als mir Röckel in einer Pause, mit der sonderbaren Freude des Rechthabens gegen mich, die neueste Nachricht von der Flucht Louis Philipp's und der Proklamation der Republik in Paris meldete: diess machte allerdings einen mehr als sonderbaren, ja erstaunlichen Eindruck auf mich, wenngleich der Zweifel an der Bedeutung von dem Allem mir noch ein leises Lächeln ermöglichte. Endlich aber wuchs die Aufregung, wie aussen auf allen Seiten, so auch in mir. Die deutschen Märztage kamen heran, von überall langten immer erstaunlichere Nachrichten an; auch im engeren Vaterlande regte es sich von Deputationen und Sturmpetitionen, welchen der König, in von ihm selbst bald anzuerkennender Weise über die Bedeutung dieser Bewegung und der im Lande herrschenden Stimmung getäuscht, längere Tage widerstand. Am Abend eines dieser wirklich bangen und wie von schwüler Gewitterluft erfüllten Tage gaben wir unser drittes grosses Kapellkonzert, welchem, wie den beiden früheren, auch der König mit dem Hofe beiwohnte. Ich hatte zum Beginn desselben diesmal eine Symphonie von Mendelssohn in A-moll, gleichsam zu dessen Todesfeier, gewählt; seltsam entsprach die, selbst in gewollten freudigen Ausdrücken immer weichlich gedrückt bleibende Stimmung dieses Tonstückes, der namentlich im Anblick der königlichen Familie herrschenden bangen Beklemmung des gesammten Publikums. Ich verbarg dem Konzertmeister Lipinsky nicht meine Reue über den Missgriff der Bestellung des heutigen Programms, da dieser Symphonie in Moll nun wieder die fünfte Symphonie Beethoven's, ebenfalls in Molltonart, folgen sollte; mit wunderlich frivolem Augenstrahlen tröstete mich aber der zuweilen geistvoll excentrische Pole durch den Zuruf: »O, lassen Sie uns nur die zwei ersten Takte der C-moll-Symphonie gespielt haben, dann weiss Niemand mehr etwas davon, ob wir Mendelssohn in Dur oder Moll gespielt haben.« Dem Eintritte dieser zwei Takte ging glücklicherweise ausserdem noch der, zu unserer Ueberraschung mit energischer Stimme erhobene, Aufruf eines Patrioten aus der Mitte des Publikums zu einem Lebehoch auf den König voraus, welchem mit ungemeiner Wärme von allen Seiten kräftigst entsprochen wurde. Nun behielt Lipinsky vollends Recht: die Symphonie, mit aller leidenschaftlich stürmischen Erregtheit des ersten Satzes, brauste wie ein Jubel-Orkan dahin, und hat wohl selten auf ein Auditorium so gewirkt, wie an diesem Abende. – Es war das letzte dieser von mir vor Kurzem erst eingerichteten Konzerte, welches ich in Dresden zu dirigiren hatte.

Kurz hierauf trat auch die unerlässliche politische Wendung ein. Der König entliess sein Ministerium und erwählte dafür ein neues, aus lauter zum Theil als liberal, zum Theil sogar als wirklich energische Volksfreunde berufenen Männern, welche sofort bei ihrem Antritt alle die bekannten, überall sich gleichen Massregeln zur Begründung einer durchaus volksthümlichen Staatsverfassung proklamirten. Ich war von diesem Ausgang, und namentlich von der herzlichen Freude, welche sich in der ganzen Bevölkerung darüber kund zu geben schien, wahrhaft gerührt: ich hätte viel darum gegeben, dem König auf irgend eine Weise mich nähern, und von seinem mir so wünschenswerth erscheinenden herzlichen Vertrauen in die aufrichtige Liebe des Volkes zu ihm, mich persönlich überzeugen zu können. Abends war die Stadt festlich erleuchtet; der König durchfuhr die Strassen im offenen Wagen: in grösster Aufregung folgte ich seinen Begegnungen mit grösseren Volksmassen, oft sogar im hastigsten Laufe, um zur rechten Zeit da einzutreffen, wo es mich nöthig dünkte, dass ein besonders lebhafter Zuruf das Herz des Fürsten erfreuen und versöhnen sollte. Meine Frau war ganz erschrocken, als sie mich furchtbar ermüdet, und mit völlig heisergeschrieener Stimme spät wiederkehren sah.

Die Wiener und Berliner Ereignisse, mit ihren anscheinend ungeheuren Resultaten, berührten mich eben nur wie interessante Zeitungsberichte; die Ausschreibung eines Frankfurter Parlamentes an der Stelle des aufgelösten Bundestages, klang mir befremdlich angenehm. Doch vermochten alle diese noch so bedeutenden Eindrücke mich keinen Tag in meiner genau eingehaltenen Arbeitszeit zu unterbrechen; mit grosser, ja fast stolzer Genugthuung beendigte ich, gerade in den letzten Tagen dieses so ungeheuerlich sich gebärdenden Monates März, die Partitur des »Lohengrin« durch die Instrumentation der Musik zu dem Verschwinden des Grals-Ritters in weite mystische Fernen.

Um diese Zeit meldete sich eines Tages eine junge, in Bordeaux verheirathete Engländerin, Mme Jessie Laussot, in Begleitung des kaum achtzehnjährigen Karl Ritter, zu einem Besuche bei mir an. Der junge Mann, von deutschen Eltern in Russland geboren, gehörte mit seiner Familie den nordischen Ansiedlerkreisen an, welche in Dresden, der dort so angenehm sich bietenden künstlerischen Genüsse wegen, sich dauernd niederliessen. Ich entsann mich, ihn schon nicht lange nach den ersten Aufführungen des »Tannhäuser« einmal empfangen zu haben, als er mich um meine Namensschrift in ein dem Musikhändler entnommenes Exemplar der Partitur jener Oper gebeten hatte. Von diesem Exemplar erfuhr ich jetzt, dass es eben dieser Frau Laussot, welche sich neuerdings bei mir einführen liess, und welche damals bei den Aufführungen zugegen gewesen war, angehört hatte. Mit grosser Schüchternheit drückte die junge Dame, in von mir bis dahin noch nicht erfahrener Weise, ihre Verehrung aus und zugleich ihr grosses Bedauern, durch Familienrücksichten von ihrem Lieblingsaufenthalte in Dresden im Schoosse der Familie Ritter, deren grosse, gleich warme Ergebenheit an mich sie mir zu erkennen gab, abgerufen zu sein. Es war ein seltsames und in seiner Art ganz neues Gefühl, mit welchem ich diese jungen Freunde entliess; nach Alwine Frommann und Werder, aus der Zeit des »fliegenden Holländer's«, traf ich hier zum ersten Male wieder auf diesen wie aus längst vertrauter Ferne zu mir dringenden sympathischen Ton, welcher sonst nie aus der Nähe selbst sich mir vernehmen liess. Den jungen Ritter lud ich ein, mich nach Belieben zu besuchen, und zu Zeiten mich auf meinen Spaziergängen zu begleiten. Seine ausserordentliche Schüchternheit schien ihn jedoch soweit hiervon abzuhalten, dass ich nur höchst selten ihn bei mir gesehen zu haben mich erinnere. Mehrmals erschien er jedoch sodann mit Hans von Bülow, mit dem er genauer befreundet worden war, und welcher bereits die Leipziger Universität als Studiosus juris bezogen hatte. Bei diesem, weit gesprächiger und fliessender sich mittheilenden, jungen Manne gab eine gleich warme und innige Ergebenheit an mich sich deutlicher und zur Erwiederung veranlassender zu erkennen. An dem letzteren gewahrte ich zuerst die lautsprechenden Abzeichen des nun eingetretenen politischen Enthusiasmus. An seinem, wie an seines Vaters Hute, prangte mir die schwarz-roth-goldene Cocarde entgegen.

Hatte ich überhaupt nach der letzten Vollendung des »Lohengrin« nun Musse, mich etwas nach der Strömung der Ereignisse umzusehen, so konnte ich die lebhafte Gährung, in welche die deutsche Idee und die an ihre Verwirklichung geknüpften Hoffnungen Alles versetzt hatte, nicht länger mehr meiner eigenen, theilnehmenden Empfindung fern halten. Wohl war ich, namentlich durch meinen älteren Freund Franck für politisches Urtheil bereits genügend geschult, um mit so Manchem eine erspriessliche Wirksamkeit des nun sich versammelnden deutschen Parlamentes zu bezweifeln; dennoch übte die, wenn auch unklare, doch zuversichtliche allgemeine Stimmung, der überall sich kundgebende Glaube an die Unmöglichkeit einer Rückkehr in die alten Zustände, auf mich ihren unvermeidlichen Einfluss aus. Nur wollte ich statt Reden Thaten, und zwar solche Thaten, durch welche unsere Fürsten unwiderruflich mit ihren alten, dem deutschen Gemeinwesen so hinderlichen Tendenzen brechen sollten. In diesem Sinne begeisterte ich mich sogar zu einem populär-poetischen Aufruf an die deutschen Fürsten und Völker zu einem grossen kriegerischen Unternehmen gegen Russland, da von dorther zuletzt der Druck auf die deutsche Politik ausgeübt schien, welcher namentlich die Fürsten ihren Völkern so verhängnissvoll entfremdet hatte. Eine Strophe lautete:

»Der alte Kampf ist's gegen Osten,
Der heute wiederkehrt:
Dem Volke soll das Schwert nicht rosten,
Das Freiheit sich begehrt.«

Da ich gar keine Verbindung mit politischen Zeitschriften hatte, und ich zufällig erfuhr, dass Berthold Auerbach in Mannheim, wo damals die Wogen ziemlich hoch gingen, auf einer derselben sich hatte blicken lassen, so schickte ich an diesen mein Gedicht, mit der Bitte, damit zu thun, was er für gut hielt. Ich habe nie etwas davon gehört, noch gesehen.

Während nun das Frankfurter Parlamentiren losging, und man nicht wohl ersah, wozu dieses gewaltige Reden der allermachtlosesten Menschen führen sollte, machte es einen grossen Eindruck auf mich, von der Haltung der Wiener Bevölkerung, unter der Anführung der dort so unerwartet mächtig sich gebahrenden akademischen Legion, zu vernehmen, als eben da, im Monat Mai dieses Jahres, ein erster Reaktionsversuch, wie er bereits in Neapel geglückt war, und in Paris unentschieden blieb, mit siegreicher Energie zurückgewiesen wurde. Da ich so weit war, in Volkssachen wenig auf Vernunft und Weisheit, dagegen einzig etwas auf die wirkliche Aktionskraft, wie sie nur die Begeisterung oder das unabweisbarste Bedürfniss gebühren kann, zu geben, so erfasste ich diese Wiener Auftritte, welche, da ich namentlich die gebildetere Jugend mit dem eigentlichen Arbeiterstande gleichmässig dabei betheiligt sah, mit besonderer Wärme, und verwehrte es mir nicht, dieser in einem ebenfalls populär-poetischen Anruf einen Ausdruck zu geben. Diesen sandte ich an die Redaktion der »Oesterreichischen Zeitung«, welche auch wirklich, mit meiner vollen Namensunterschrift, es in deren Spalten abdrucken liess.

Nun hatten sich denn auch in Dresden, in Folge des grossen Umschwunges der Dinge, zwei politische Vereine gebildet: der erste nannte sich »deutscher Verein«; in seinem Programm vertrat er die »constitutionnelle Monarchie auf breitester demokratischer Grundlage.« Von der Ungefährlichkeit seiner Tendenz zeugten alsbald die Namen seiner hauptsächlichsten Begründer, unter welchen sich, bei aller breiten demokratischen Grundlage, Freund Eduard Devrient und Professor Rietschel laut und mannhaft befanden. Dieser Verein, in welchen sich Alles unterzubringen versuchte, was von der Furcht vor der wirklichen Revolution sich getrieben fühlte, rief als seinen Gegensatz einen zweiten, sich »Vaterlands-Verein« nennenden, hervor. In diesem schien nun die »demokratische Grundlage« die Hauptrolle, und die »constitutionnelle Monarchie« nur den nöthigen Deckmantel abgeben zu sollen.

Röckel warb leidenschaftlich für diesen letzteren, da er alles Vertrauen in die »Monarchie« verloren zu haben schien. Es ging dem armen Menschen schlecht genug. Schon längst hatte er jede Hoffnung aufgegeben, in seiner musikalischen Laufbahn sich zu einigem Wohlergehen aufzuschwingen; seine Musikdirektorei war für ihn zum reinen Frohndienst geworden, welcher leider sich so gering lohnte, dass er mit seiner alljährlich anwachsenden Familie unmöglich sich vom Ertrag seiner Stelle erhalten konnte: gegen das Unterrichtgeben, welches in Dresden bei den vielen vermögenden Fremden sich ziemlich lohnte, behielt er in alle Zeiten eine unüberwindliche Abneigung. So schleppte er sich elendiglich im Schuldenmachen dahin, und ersah seit längerer Zeit keine Hülfe für seine Lage als Familienvater, als durch eine Auswanderung nach Amerika, wo er, als Farmer selbst vom Naturzustande beginnend, durch seiner Hände Arbeit und seinen erfindungsreichen Kopf, wenn auch mühsam, doch sicher sich und den Seinigen eine bürgerliche Zukunft gründen zu können vermeinte. Auf unseren Spaziergängen unterhielt er mich seit den letzten Jahren bereits fast einzig mit der Ausbeute seiner Lektüre von volkswirthschaftlichen Büchern, deren Lehren er mit Eifer auf die Verbesserung seiner verschuldeten Lage anwendete. So traf ihn die Bewegung des Jahres 1848, in welcher er sich sogleich zu der äussersten, von Paris aus sich drohend bemerklich machenden sozialistischen Seite wendete. Jeder, der ihn kannte, war nun im höchsten Grade über die scheinbar grosse Veränderung verwundert, welche so plötzlich mit ihm vorgegangen, da er erklärte, er habe nun seinen eigentlichen Beruf erkennen gelernt, nämlich den des »Wühlers«. Seine Suada, mit der er sich allerdings nie auf die Rednerbühne getraute, entwickelte sich im Privatumgang zu einer betäubenden Energie. Ihm war mit keiner Einwendung beizukommen, und wen er nicht hinzureissen vermochte, den stiess er auf das Unwiederbringlichste ab. Unter der grossen Aufregung durch die Probleme, welche ihn Tag und Nacht beschäftigten, schärfte sich sein Verstand zu der schneidendsten Fähigkeit zur Widerlegung für jeden banalen Einwand, so dass er plötzlich wie der Prediger in der Wüste dastand. Auf jedem Gebiete war er sogleich zu Hause. Der Vaterlandsverein hatte einen Ausschuss zur Ausarbeitung eines Entwurfes einer Vorlage über Volksbewaffnung erwählt; zu diesem wurden ausser Röckel und einigen Vollblutdemokraten, auch militärische Sachverständige hinzugezogen, unter welchen sich mein älterer Freund, der ehemalige Bräutigam der Schröder-Devrient und Gardelieutenant Hermann Müller, befand. Er und ein zweiter Offizier, Namens Zichlinsky, waren die einzigen der sächsischen Armee Angehörigen, welche sich der politischen Bewegung anschlossen. An den Sitzungen dieses Ausschusses betheiligte ich mich selbst, wie bei allen diesen Dingen, als Kunstfreund. So viel ich mich entsinne, enthielt die Ausarbeitung dieses endlich zum Druck beförderten Entwurfes wirklich eine sehr gesunde, wenn auch unter den stets fortbestehenden politischen Verhältnissen gewiss unausführbare Grundlage einer wahrhaften Volkswehrverfassung.

Ich selbst fand immer mehr Anregung, über die alle Welt beschäftigenden politischen und endlich sozialen Fragen mich ebenfalls, und allmählich mit wachsendem Eifer vernehmen zu lassen, als ich der schrecklichen Seichtigkeit und aus den abgedroschensten Phrasen zusammengesetzten Beredsamkeit der Wortführer dieser Zeit bei Versammlungen, und überhaupt im persönlichen Umgange, inne ward. Durfte ich annehmen, dass sehr unterrichtete Kenner dieser Dinge, so lange eben dieses sinnlose Durcheinander an der Tagesordnung war, sich von jeder Kundgebung zurückhielten (wie ich diess zu meinem offen ihm ausgesprochenen Leidwesen an Hermann Franck wahrnahm), so fühlte ich mich, sobald eben die Gelegenheit dazu lebhaft an mich herantrat, im Gegentheil nun getrieben, nach meinem Ermessen davon, den wesentlichen Inhalt jener Fragen und Probleme zu discutiren. Natürlich spielten hierbei die Tagesblätter eine schrecklich aufregende Hauptrolle. Der Vaterlandsverein, den ich nur gelegentlich, wie um ein Schauspiel zu beobachten, als er in einem öffentlichen Garten tagte, besuchte, hatte als Thema der Vorträge seiner Redner die Untersuchung der Frage: ob Republik oder Monarchie? auf die Tagesordnung gebracht. Mich erstaunte es nun, zu hören und zu lesen, mit welcher unglaublichen Trivialität es dabei herging, und bei Allen es nur darauf hinauslief, zu erklären, dass allerdings die Republik das Beste sei, man sich indessen aber die Monarchie, wenn sie sich gut aufführe, zur Noth noch gefallen lassen könne. Diess veranlasste mich, in Folge mancherlei hitziger Besprechungen hierüber, meine eigene Ansicht über diesen Punkt in einem Aufsatze niederzulegen, welchen ich im »Dresdener Anzeiger«, jedoch ohne meine Namensunterschrift, veröffentlichte. Es lag mir hierbei daran, die Aufmerksamkeit der Wenigen, welche es hiemit ernst meinen konnten, von der äusserlichen Form der Staatseinrichtungen auf den Gehalt derselben hinzulenken. Nachdem ich alle, meinem Bedünken sich darstellenden Bedürfnisse und Nöthigungen zur Vervollkommnung der staatlichen und socialen Verhältnisse bis in die idealsten Consequenzen verfolgt und bezeichnet hatte, frug ich, ob diess nicht alles mit einem Könige an der Spitze des Staates auszuführen sei, und verlor mich nun so weit, diesen gedachten König selbst in dem Sinne vorzuführen, dass eben ihm am allermeisten, für die Erreichung seiner eigenen höchsten Zwecke, daran gelegen sein müsse, ein wirklich republikanisch geordnetes Staatswesen zu verwalten zu haben. Allerdings glaubte ich diesem Könige anempfehlen zu müssen, zu seinem Volke in eine vertraulichere Stellung zu treten, als diess ihm durch den Dunst seiner Hofathmosphäre, und die einzig ihm nahe adelige Umgebung möglich sei. Den König von Sachsen bezeichnete ich schliesslich als vom Schicksal auserkoren, in dem von mir gedachten Sinne den übrigen Fürsten Deutschlands mit dem richtigen Beispiele voranzugehen. – Röckel hielt diesen Artikel für eine wahre Inspiration des Engels der Versöhnung, und da er befürchtete, er werde an seinem Orte viel zu wenig beachtet und beherzigt werden, drang er in mich, in der nächsten Versammlung des Vaterlands-Vereins, da er namentlich auf meinen mündlichen Vortrag grosse Stücke hielt, denselben öffentlich vorzulesen. Durchaus ungewiss, ob ich mich hierzu entscheiden können würde, besuchte ich doch jene Versammlung, und nun war es allerdings das unausstehliche Gesalbader der Reden eines Advokaten Blöde und eines Kürschnermeisters Klette, welche damals Dresden als einen Demosthenes und Kleon zugleich verehrte, was mir den leidenschaftlichen Entschluss eingab, mich auf der wunderlichen Tribüne mit meinem Blatte einzufinden, und es ungefähr 3000 Menschen mit energischer Betonung vorzulesen.

Der Erfolg hiervon war ganz erschrecklich. Von der Rede des k. Kapellmeisters schien in dem Gedächtniss der erstaunten Zuhörerschaft nichts zu haften, als meine gelegentliche Auslassung gegen die Schranzen des k. Hofes. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde von diesem unglaublichen Vorfall. Andern Tages hielt ich eine Probe von »Rienzi«, welcher am folgenden Abend gegeben werden sollte; ich wurde von manchen Seiten beglückwünscht über meine aufopferungsvolle Kühnheit: der Orchesterdiener Eisolt meldete mir jedoch am Tage der projektirten Aufführung, dass diese abgeändert sei, und gab mir zu verstehen, es habe eine Bewandniss. Wirklich war das schreckliche Aufsehen, welches ich erregt, so gross geworden, dass von Seiten der Direktion bei einer Aufführung des »Rienzi« die unerhörtesten Demonstrationen befürchtet wurden. Jetzt brach denn auch in den Tageblättern ein wahrer Hagel von Verwünschung und Verspottung los, mit welchem man von allen Seiten über mich herfiel, so dass an eine Abwehr gar nicht zu denken war. Sogar die sächsische Communal-Garde hatte ich beleidigt, und ward von dem Commandanten derselben zu einer Ehren-Erklärung aufgefordert. Die unerbittlichsten Feinde, deren Verfolgungen ich bis heutigen Tages ausgesetzt geblieben bin, hatte ich mir aber an den Beamten des Hofes, und namentlich der niederen Regionen derselben, zugezogen. Ich erfuhr, dass sie unausgesetzt, soweit sie dahin gelangen konnten, den König und schliesslich den Intendanten bestürmten, mich sofort aus dem Dienste zu jagen. Ich hielt es desshalb für nöthig, an den Monarchen selbst mit einem Schreiben mich zu wenden, um ihm meine Handlungsweise zwar in dem Licht der begangenen Unbesonnenheit, nicht aber in dem einer sträflichen Handlung zu zeigen. Diesen Brief übersandte ich an Herrn v. Lüttichau, mit der Bitte, ihn an den König gelangen zu lassen, zugleich auch mir einen kurzen Urlaub zu erwirken, um durch einige Entfernung von Dresden der ärgerlichen Aufregung Zeit zur Beruhigung zu lassen. Das auffallende, wahrhaft freundlich besorgte Wohlwollen, welches Herr v. Lüttichau mir bei dieser Gelegenheit zeigte, machte auf mich einen nicht unbedeutenden Eindruck, den ich vor ihm keineswegs zu verbergen mich bemühte. Da nun aber im späteren Verlaufe doch einmal die jetzt eben nur verhaltene Wuth über Manches, noch dazu in meinem Aufsatze gänzlich von ihm Missverstandene, aus ihm losbrach, erkannte ich hieran wohl, dass es nicht die Humanität dieses Mannes gewesen war, welche damals so versöhnlich zu mir sprach, sondern vielmehr der Wille des Königs selbst, über welchen ich genau dahin berichtet wurde, dass er, als jene Bestürmungen, und selbst von Herrn v. Lüttichau befürworteten Zumuthungen, mich zu bestrafen, an ihn gelangten, mit grösster Bestimmtheit geboten hatte, kein Wort mehr in dieser Angelegenheit an ihn zu richten. Ich glaubte mir nach dieser sehr erhebenden Erfahrung damit schmeicheln zu dürfen, dass der König sowohl meinen Brief, als selbst auch jenen Aufsatz besser, als so sehr viele Andere, verstanden hatte.

Für jetzt (es war im Beginn des Monats Juli) beschloss ich, den mir gewährten kleinen Urlaub, um mich zu zerstreuen, zu einem Ausflug nach Wien zu benützen. Ich reiste dazu über Breslau, wo ich den Musikdirektor Mosewius, einen alten Freund meiner Familie, aufsuchte, um in seinem Hause einen Abend in lebhafter Unterhaltung, die leider von der politischen Aufregung des Tages nicht frei blieb, zu verbringen. Am Meisten interessirte mich seine ungemein reiche, wenn ich nicht irre, sogar vollständige Sammlung der Sebastian Bach'schen Cantaten in vorzüglichen Abschriften. Auch viele drollige und kräftige Musiker-Anekdoten, welche er mit einem ihm besonders eigenthümlichen Humor mittheilte, blieben mir lange Zeit erheiternd in der Erinnerung. Als Mosewius im Verlaufe des Sommers mir in Dresden einen Gegenbesuch machte, und ich ihm einen Theil des ersten Aktes von »Lohengrin« am Klavier vorführte, äusserte er ein mir wohlthätiges, wahrhaftes Erstaunen über diese Conception. In späteren Jahren vernahm ich wieder, er habe sich auch nachtheilig und spöttisch über mich ausgelassen, ohne dadurch zu weiterem Nachsinnen weder über die Wahrheit dieser Berichte, noch über den wahren Charakter dieses Mannes veranlasst zu werden, da ich überhaupt an manches Unbegreifliche mich immer mehr zu gewöhnen hatte. – In Wien suchte ich zunächst den Professor Fischhof auf, von welchem ich wusste, dass er ebenfalls bedeutende Handschriften, namentlich auch von Beethoven, verwahre: von diesen letztern fesselte mich besonders das Original der Sonate in C-moll, opus 111. Von meinem etwas trocken gefundenen neuen Freunde gelangte ich noch zur Bekanntschaft mit Herrn Vesque von Püttlingen, welcher sich, als Componist einer von uns auch in Dresden aufgeführten Oper (»Jeanne d'Arc«) von grosser Trivialität, mit vorsichtigem Geschmack von Beethoven's Namen nur den »Hoven« zugelegt hatte. Wir waren eines Tags bei ihm zum Dîner, und ich lernte in ihm einen ehemaligen vertrauten Beamten des Fürsten Metternich kennen, welcher jetzt mit dem schwarz-roth-goldenen Bande, vollkommen überzeugt wie es schien, der Strömung der Zeit folgte. – Eine interessante Bekanntschaft knüpfte ich mit dem russischen Staatsrath und Attaché der russischen Gesandtschaft in Wien, Herrn v. Fonton, an. In Fischhof's Gesellschaft traf ich wiederholt, auch zu Ausflügen in die Umgegend, mit diesem Manne zusammen: es war mir interessant, hier zum ersten Male auf einen hart geschulten Bekenner derjenigen pessimistischen Weltansicht zu stossen, welche schliesslich im consequenten Despotismus die Gewährleistung für eine einzig erträgliche Ordnung der Dinge findet. Nicht ohne Interesse, und gewiss auch nicht ohne Geist (er rühmte sich, in den aufgeklärtesten Schulen der Schweiz seine Bildung genossen zu haben) hörte er meinen enthusiastischen Darstellungen des mir vorschwebenden, zu grossem und entscheidendem Einfluss auf die menschliche Gesellschaft bestimmten Kunstideales an. Da er zugeben musste, dass die Verwirklichung desselben der Kraft des Despotismus nicht beschieden sein könnte, und er somit für meine Bestrebungen keinen Lohn vorauszusehen vermochte, thauete er doch schliesslich beim Champagner zu der humanen Gemüthlichkeit auf, mir die besten Erfolge zu wünschen. – Ich erfuhr späterhin, dass dieser Mann, von dessen Talent und energischem Charakter ich mir damals eine nicht unbedeutende Vorstellung machte, in ziemlich misslicher Lage verschollen ist.

Wie ich nun aber nie ganz ohne ein ernstlicheres Vorhaben irgend etwas unternahm, so hatte ich auch mit meinem Ausfluge nach Wien sogleich den Versuch in das Auge gefasst, meinen Ideen für Reform des Theaters wirksamen Eingang zu verschaffen. Wien, welches damals fünf Theater von genau unterschiedenem Charakter besass, die um jene Zeit sich elend dahinschleppten, schien mir einen besonders günstigen Boden zu bieten. Ich hatte schnell einen Entwurf ausgearbeitet, nach welchem diese verschiedenen Theater eine Art von Föderativ-Verfassung erhalten, und unter eine sowohl von den aktiven Mitgliedern derselben, als den für sie thätigen litterarischen Kräften gebildete Verwaltung gestellt werden sollten. Ich erkundigte mich nun nach denjenigen, diesem Falle einigermassen nahestehenden, Capacitäten, welchen ich diesen Plan vorlegen könnte. Ausser Herrn Friedrich Uhl, mit welchem ich von Anfang herein durch Fischhof bekannt geworden war, und welcher mir recht thätig zur Seite ging, nannte man mir noch einen Herrn Franck (ich vermuthe, es war derselbe, welcher später ein grösseres episches Gedicht »Tannhäuser« veröffentlichte) und einen Herrn Dr. Pacher, einen mir mit der Zeit nicht eben sehr rühmlich bekannt gewordenen Rabulisten und Agenten Meyerbeer's. Der Anziehendste und jedenfalls Bedeutendste der von mir Auserwählten, welche ich eines Tages zu einer Conferenz in Fischhof's Wohnung versammelte, war jedenfalls Dr. Becher, ein leidenschaftlicher, vielseitig gebildeter Mann, welcher auf meinen vorgelesenen Entwurf einzig auch mit wahrem Ernste, wenn auch nicht mit glaubenvoller Zustimmung, einging. Ich nahm an ihm eine gewisse Zerrissenheit und Heftigkeit wahr, davon der Eindruck mir nach wenigen Monaten bedeutungsvoll zurückkehrte, als ich von seinem Tode durch Erschiessung als rebellischer Theilnehmer des Wiener Oktober-Aufstandes erfuhr. Jedenfalls hatte ich für jetzt eben nur die Genugthuung, meinen Theaterreform-Plan einigen aufmerksamen Zuhörern vorgelesen zu haben. Es schien Allen im Bewusstsein zu liegen, dass zur Erfassung so friedlicher Reform-Tendenzen jetzt nicht die Zeit sei. – Dagegen glaubte mir Uhl einen Begriff von dem, was gegenwärtig die Köpfe der Wiener errege, geben zu müssen, als er mich eines Abends in einen politischen Klubb von vorgerücktester Tendenz führte. Ich hörte da einen Herrn Sigismund Engländer sprechen, welcher einige Zeit darauf sich auch in politischen Monatsschriften auffallend vernehmen liess: die Ungenirtheit, mit welcher er und Andere über die gefürchtetsten Personen der öffentlichen Macht in Oesterreich sich an diesem Abend vernehmen liessen, setzte mich fast ebenso in Erstaunen, als die Seichtigkeit der dabei zu Tage tretenden politischen Meinungen. – Einen sehr sanften Eindruck machte mir dagegen Herr Grillparzer, dessen Name mir aus meinen frühesten Knabenjahren, von der »Ahnfrau« her, wie eine Fabel in der Erinnerung war, und welchen ich ebenfalls in Theaterreform-Angelegenheiten aufsuchte. Es schien ihn nicht unfreundlich zu berühren, von dem, was ich ihm vorbrachte, zu hören; nur suchte er auch das Befremden nicht zu verbergen, welches ihm meine unmittelbaren Bestrebungen, und sogar an ihn gerichteten Zumuthungen, einflössten. Er war der erste Theaterdichter, welchen ich in einer Beamten-Uniform gesehen habe.

Nachdem ich auch Herrn Bauernfeld in ähnlicher Angelegenheit einen vergeblichen Besuch abgestattet, hielt ich für diesmal Wien für abgethan, und gab mich schliesslich nur noch dem seltsam anregenden Eindrucke des um diese Zeit so sehr in seiner Kundgebung umgestimmten öffentlichen Lebens der bunten Bevölkerung desselben hin. Hatte mich schon die stets die Strassen geschäftig erfüllende »akademische Legion« durch die ungemeine Prägnanz, in welcher an ihr die deutschen Farben zum Vorschein kamen, anregend unterhalten, so ward ich von der gleichen Wirkung endlich sogar belustigt, als ich in den Theatern selbst das Gefrorne von schwarz-roth-gold gekleideter Bedienung serviren sah. Im »Karltheater« der Leopoldstadt sah ich eine neue Posse Nestroy's, in welcher sogar der Fürst Metternich vorkam, und auf die an ihn gerichtete Frage, ob er den Herzog von Reichstadt vergiftet hätte, als entlarvter Sünder hinter die Coulissen floh. Im Ganzen erweckte die Physiognomie der sonst nur vergnügungssüchtigen Kaiserstadt den Eindruck einer jugendlich kräftigen Zuversicht auf sich, welcher Eindruck mir kurze Zeit darauf zurückkehrte, als ich in den verhängnissvollen Oktobertagen von der energischen Theilnahme der jugendlichen Bevölkerung an der Vertheidigung gegen die Truppen des Fürsten Windischgrätz vernahm.

Auf der Rückreise von dort berührte ich Prag, wo ich meinen alten Freund Kittl, bei ausserordentlich zugenommener Korpulenz, noch im krampfhaftesten Schrecken über die dort erlebten tumultuarischen Ereignisse antraf. Er schien der Meinung zu sein, dass die Auflehnung der tschechischen Partei gegen die österreichische Herrschaft ihm ganz persönlich gegolten habe, und namentlich glaubte er sich den Vorwurf machen zu müssen, dass er andrerseits durch seine Composition jenes Operntextes der »Franzosen vor Nizza« von mir, aus welcher eine Art von revolutionärer Arie sehr populär geworden sein sollte, die schreckliche Bewegung jener Zeit besonders angefeuert hätte. – Zu meinem Vergnügen traf ich auf der Rückreise mit dem Dampfschiff den Bildhauer Hänel als Gefährten an. Er hatte soeben mit dem Grafen Albert Nostitz, welcher ebenfalls mit uns fuhr, seine Geschäfte in Betreff der von ihm gelieferten Statue des Kaiser's Karl IV. beendigt, und war in der heitersten Laune, da ihm, wie er mir bekannte, der höchst missliche Stand des österreichischen Papiergeldes einen ungemein gewinnreichen Umsatz seines, dem Vertrag gemäss in Silber empfangenen Honorars gestattete. Es freute mich, ihn dadurch bis zu der Vorurtheilslosigkeit zuversichtlich gestimmt zu sehen, dass er nach unserer Ankunft in Dresden den ziemlich weiten Weg vom Landungsplatze des Dampfschiffes bis in unsere Wohnung im offenen Fiaker in meiner Gesellschaft zurücklegte, trotzdem er sehr gut wusste, welch schreckliches und bedenkliches Aufsehen ich wenige Wochen zuvor am Orte erregt hatte.

Hier schien in der Oeffentlichkeit der Sturm bereits gänzlich sich gelegt zu haben; ich trat in meine gewohnte Funktion und Lebensweise ohne weitere Störung wieder ein. Leider lebten aber auch meine alten Sorgen und Beklemmungen wieder auf: ich hatte Geld zu schaffen, und wusste nicht woher. So sah ich mir denn nun den im vergangenen Winter mir schriftlich mitgetheilten Bescheid auf meine Eingabe um Gehaltserhöhung, welchen ich, bereits durch die Modificationen desselben so heftig angewidert, ungelesen gelassen hatte, zu gründlicherer Kenntnissnahme genauer an. War ich nun bisher der Meinung gewesen, es sei mir von Herrn von Lüttichau die erbetene Gehaltszulage, in der immerhin demüthigenden Form einer alljährlich auszuzahlenden Gratification, erwirkt worden, so ersah ich jetzt zu wahrhaft entsetzlicher Beschämung, dass damals eben nur von dieser einmaligen Gratification, keineswegs aber von einer alljährlichen Wiederholung derselben die Rede gewesen war. Ich befand mich bei dieser Erkenntniss nun in dem unverbesserlichen Nachtheile, mit einer Remonstration, wenn ich sie jetzt vornahm, viel zu spät zu kommen, so dass mir nichts anderes übrig blieb, als schweigend mich der so beispiellos schlecht bezahlten Schmach zu fügen. Wandelte sich jedoch hierdurch meine Stimmung gegen Herrn von Lüttichau, welche kurz zuvor in Betracht seines vermeintlich guten Benehmens während des letzten Sturmes sich etwas aufgehellt hatte, in bedenklicher Weise um, so erhielt ich bald noch neuen Grund, selbst in dieser letzten Angelegenheit meine günstigen Annahmen in einer Weise zu berichtigen, welche mich schliesslich unveränderlich gegen jenen erbitterte. Er hatte mir nämlich berichtet, die Mitglieder der k. Kapelle hätten sich durch eine Deputation an ihn um meine Entlassung gewendet, da sie es für ehrenrührig hielten, unter einem politisch so arg kompromittirten Kapellmeister ferner zu dienen, worauf er sie gehörig verweisen und zur Ruhe habe bringen müssen. Alles diess hatte mir Lüttichau in eben dem günstigen Lichte gezeigt, welches mich ihm neuerdings gewogen gemacht hatte. Nun erfuhr ich aber gelegentlich durch die Kapellmitglieder, da es hierüber zu einer Auseinandersetzung kam, dass es hiermit eine fast vollkommen entgegengesetzte Bewandniss gehabt hatte. Von verschiedenen Seiten des Hofbeamtenstandes nämlich waren die Mitglieder der k. Kapelle auf das eifrigste zu einem ähnlichen Akte aufgefordert, und ihnen mit der Ungnade des Königs und dem Verdachte übler Gesinnung gedroht worden. Gegen diese Machinationen nun, und um vor möglichen schlimmen Folgen derselben sich zu sichern, wenn man eben den geforderten Schritt nicht thäte, hatten die Musiker durch eine Deputation sich an ihren Chef gewendet, um ihm zugleich die Erklärung abzugeben, dass sie als künstlerische Korporation sich keineswegs berufen fühlten, sich in Dinge zu mischen, die sie nichts angingen. So schwand mir denn der letzte Heiligenschein, mit dem meine alte Anhänglichkeit an ihn Herrn von Lüttichau umgeben hatte, und namentlich war es das Gefühl der Beschämung, seinem hinterhaltigen Benehmen gegenüber mich herzlich erregt zu haben, welches mich nun wirklich für immer feindselig gegen diesen Mann einnahm. Mehr als die erlittenen Beleidigungen, bestimmte mich hierbei aber die Erkenntniss meiner vollständigen Unfähigkeit, je noch auf diesen Mann in einer meinen Wünschen für das Emporkommen des Theaters dienlichen Weise einen Einfluss ausüben zu können. Die blosse Aufrechthaltung meiner Anstellung als Kapellmeister, noch dazu bei so ausserordentlich dürftiger und geschmälerter Besoldung, musste mir daher natürlicher Weise immer weniger als berücksichtigenswerth erscheinen. Von jetzt an folgte ich in meiner Beibehaltung dieser Kapellmeisterstelle nur noch den gemeinsten Nöthigungen einer zufälligen unglücklichen Lage. Ich that nichts, um dieselbe zu verschlimmern, aber auch nicht das mindeste, was ihr eine Dauer hätte versichern können.

Zu allernächst hatte ich meinen so übel getäuschten Hoffnungen auf eine Verbesserung meines Einkommens in jeder erdenklichen Weise nachzuhelfen. Ich gerieth auf den Gedanken, mit Liszt hierüber mich zu besprechen, und von ihm Vorschläge zur Abhülfe meiner bedrängten Lage mir zu erbitten. – Kurz nach den verhängnissvollen Märztagen, und wenige Zeit vor der Vollendung meiner Lohengrin-Partitur, war er zu meiner freudigsten Ueberraschung eines Tages in mein Zimmer getreten. Er kam damals von Wien, wo er den Barrikaden-Tagen beigewohnt hatte, und begab sich nach Weimar zur dauernden Niederlassung. Wir hatten damals gemeinschaftlich einen Abend bei Schumann zugebracht; dort war musizirt, und schliesslich disputirt worden, was bei einer stark prononcirten Meinungsverschiedenheit Liszt's und Schumann's über Mendelssohn und Meyerbeer zu einer völligen Erbosung Schumann's geführt hatte, bei welcher Gelegenheit wir gegenüber dem Wirthe, welcher sich für längere Zeit wüthend in seine Schlafkammer zurückzog, in eine sonderbare, in der Unterhaltung auf dem Heimwege uns aber sehr belustigende Verlegenheit gerathen waren. Ich habe selten Liszt so ausgelassen aufgeräumt gesehen, als in dieser Nacht, wo er mich und den Konzertmeister Schubert, bei empfindlicher Kälte nur im ordinären Frack gekleidet, abwechselnd von Einem zum Andern nach Hause begleitete. Ich benutzte jetzt einige freie Tage des August zu einem Ausfluge nach Weimar, wo ich Liszt, unter den bekannten ausserordentlichen Verhältnissen und Beziehungen zum Grossherzog, für dauernd angesiedelt fand. Vermochte er mir auch in meiner Angelegenheit nicht anders, als durch eine schliesslich als erfolglos sich erweisende Empfehlung zur Hülfe zu kommen, so blieb doch die ganze, ebenso herzliche als grossartig anregende Begegnung bei diesem flüchtigen Zusammensein nicht ohne wohlthätigen und ermuthigenden Eindruck auf mich. – Nach Dresden zurückgekehrt, streckte ich mich, so gut es ging, nach meiner Decke, und griff, da jedes andere Mittel mir zu helfen versagte, zu der Auskunft, meinen noch übrigen, in Wahrheit befreundeten Gläubigern in einem gemeinschaftlich an sie gerichteten Schreiben meine Lage aufrichtig mitzutheilen, und sie zu bedeuten, auf unbestimmte Zeit von ihren Forderungen abzustehen, bis einmal die Wendung einträte, ohne welche ich allerdings nie in den Stand gelangen könnte, sie zu befriedigen. Jedenfalls würden sie durch eine solche Erklärung den von mir nicht ohne Grund vermutheten, feindseligen Absichten meines Generaldirektors entgegentreten, welcher aus einem gegentheiligen Benehmen meiner Gläubiger begierig den Vorwand zu den übelsten Schritten gegen mich entnehmen würde. Ohne Zögern wurde diese Erklärung mir gegeben; mein Freund Pusinelli, und meine alte mütterliche Bekannte, Frau Klepperbein, bekannten sich sogar bereit, vollständig auf die Wiedererstattung ihrer Darlehen zu verzichten. So einigermassen beruhigt, und gegen Herrn von Lüttichau betreffs meiner Stellung in der Weise versichert, dass ich es meinem Belieben überlassen konnte, ob und wann ich sie gänzlich aufgeben würde, fuhr ich nun in der strikten Ausübung meiner Kapellmeisterbesorgungen gelassen fort, und nahm vor allem mit grossem Eifer meine nun immer weiter mich tragenden Studien auf.

Von diesem Standpunkte aus sah ich nun der wunderlichen Entwickelung des Schicksales meines Freundes Röckel zu. Da jeder Tag ein neues Gerücht über bevorstehende reaktionäre Staatsstreiche und ähnliche Gewaltsamkeiten brachte, glaubte Röckel dem vorbeugen zu müssen, und arbeitete zu diesem Zweck einen ausführlich motivirten Aufruf an die Soldaten der sächsischen Armee aus, liess denselben drucken und in zahllosen Exemplaren verbreiten. Dieser Akt erschien der Staatsanwaltschaft zu flagrant; Röckel wurde eingezogen, und verbrachte drei Tage, bis durch den Advokaten Minkwitz die erforderliche Kaution von 1000 Thalern für ihn gestellt wurde, in der Frohnfeste, während der Prozess auf Hochverrath gegen ihn eingeleitet wurde. Seine Rückkehr in seine Wohnung zu seiner höchst beängstigten Frau und Familie wurde durch eine kleine Strassenfestlichkeit, welche der Vorstand des Vaterlands-Vereines veranlasst hatte, und bei welcher der Befreite in offener Rede als Kämpfer für die Sache des Volkes begrüsst wurde, gefeiert. Von Seiten der Generaldirektion des Hoftheaters erhielt er dagegen, nach einer bereits provisorischen Suspension, seine definitive Entlassung angezeigt. Nun liess sich Röckel sogleich von allen Seiten einen langen Bart wachsen, begann die Herausgabe eines nur von ihm redigirten Volksblattes, dessen Erfolg, wie er voraussetzen musste, ihn zugleich für den ausfallenden Musikdirektor-Gehalt entschädigen sollte, und bestellte sich zunächst sogleich ein Expeditions-Lokal für seine Unternehmung in der Brüdergasse. Dieses Blatt lenkte wirklich vielseitig die Blicke auf seinen Verfasser, und zeigte dessen Begabung in einem ganz neuen Lichte. Er verlor sich nie in Dunst und Wortmalerei, sondern beschränkte sich stets auf unmittelbar vorliegende, das gemeine Interesse berührende Fragen, von deren wirklich ruhiger und nüchterner Besprechung er erst zu weiteren Folgerungen auf die mit ihnen zusammenhängenden höheren Interessen hinleitete. Die einzelnen Artikel selbst waren kurz, und enthielten nie etwas Unnöthiges; dabei waren sie so klar gefasst, dass sie dem ungebildetsten Verstande sich belehrend und überzeugend mittheilten. Indem er hierbei immer auf das Wesentliche der Dinge, und nie auf die formelle Umschreibung derselben, durch welche in der Politik so grosse Verwirrung bei der ungebildeten Masse hervorgebracht wird, ausging, gewann er sich bald unter Gebildeten wie Ungebildeten eine nicht geringe Leser-Anzahl. Nur war der Preis des wöchentlich einmal erscheinenden Blättchens zu gering, um ihm einen entsprechenden Gewinn abzuwerfen. Andrerseits musste man ihm voraussagen, dass die Reaktion, käme sie je wieder auf, ihm unmöglich diese Volksblätter verzeihen werde. Sein jüngerer Bruder Eduard, welcher um diese Zeit zum Besuch in Dresden war, erklärte sich bestimmt, eine ihm zwar widerwärtige, aber ziemlich einträgliche Klavierlehrerstelle in England anzunehmen, um so in den Stand gesetzt zu werden, Röckel's Familie erhalten zu können, wenn er, wie voraussichtlich, im Zuchthaus oder gar am Galgen seinen Lohn gefunden haben würde. Da ihn seine übrigen Verbindungen mit allerhand Vereinen ausserordentlich in Beschlag nahmen, beschränkte sich auch mein Umgang mit ihm immer mehr nur auf seltene Spaziergänge. Mit dem wunderlich aufgeregten Menschen, dessen Kopf doch eigentlich immer klar und besonnen blieb, verlor ich mich bei diesen Gelegenheiten oft in die weitesten spekulativen Disputationen. Namentlich hatte er die Umgestaltung aller bürgerlichen Verhältnisse, wie sie uns nach der gewohnten Wahrnehmung vor Augen stehen, durch seine Folgerungen aus einer vollständigen Veränderung ihrer sozialen Grundlage, bereits zu einer sehr zusammenhängenden Darstellung davon ausgebildet. Auf die Proudhon'schen und anderer Sozialisten Lehren von der Vernichtung der Macht des Kapitales durch die unmittelbar produktive Arbeit, baute er eine ganz neue moralische Weltordnung auf, für welche er mich allmählich durch einige sehr anziehende Behauptungen darüber selbst in so weit gewann, dass ich nun wieder meinerseits darauf die Realisirung meines Kunstideales aufzubauen begann. So waren es zwei Aeusserungen, die mich in dieser Hinsicht sehr stark betrafen: er wollte in der Zukunft von der Ehe, wie wir sie kannten, nichts mehr wissen. Ich frug dagegen, wie er sich nun vorstelle, dass wir uns, bei dem stets wechselnden Umgange mit jedenfalls sehr bedenklich sich ausnehmenden Frauenzimmern befinden würden? Mit wohlwollender Entrüstung liess er sich da vernehmen, dass wir uns ja gar keinen Begriff von der Reinheit der Sitten im Allgemeinen, wie namentlich auch der Beziehung der Geschlechter zu einander, eine Vorstellung machen könnten, sobald wir nicht die vollkommene Befreiung von dem Druck des Gewerbs-, Zunft- und sonstigen Zwangs-Wesens uns zu verdeutlichen vermöchten. Ich sollte nur bedenken, was ein Weib einzig in seiner Hingebung an einen Mann noch würde bestimmen können, wenn sowohl die Rücksichten auf Geld, Vermögen, Stand, und Familienvorurtheile, sowie die hieraus entstehenden Nöthigungen gänzlich verschwunden seien. – Als ich nun ein anderes Mal frug, woher er denn noch mit freiem Geiste, und gar künstlerisch thätige, Menschen hernehmen wollte, wenn Alles in den gleichen Arbeiterstand aufzugehen habe; so hielt er mir dagegen, dass ja eben dadurch, dass Alles an der nöthigen Arbeit nach seinen Kräften und Befähigungen Theil nehme, die Last und der Begriff der Arbeit gänzlich aufgehoben würde, und nur noch eine Beschäftigung übrig bleiben könnte, die endlich durchaus einen künstlerischen Charakter annehmen müsste, wie es denn schon jetzt erwiesen sei, dass ein Feld, von einem einzigen Bauer mühsam bearbeitet, unendlich weniger ergiebig sei, als wenn es von Mehreren im Sinne des Gartenbaues gepflegt würde. Diese und ähnliche, mit wirklich schöner Emphase von Röckel mir eröffneten Andeutungen leiteten mich selbst zu weiterem Nachdenken und meinem Sinne genehmer Ausbildung von Vorstellungen einer möglichen, meinen höchsten Kunst-Idealen gänzlich, ja einzig entsprechenden Gestaltung der menschlichen Gesellschaft an.

Zunächst richtete ich meine Gedanken in diesem Bezug sogleich wieder auf das Naheliegende, indem ich das Theater in das Auge fasste. Die Veranlassung hierzu kam von Innen und Aussen. Nach dem neuesten, gänzlich demokratischen Wahlgesetz stand eine Erneuerung der sächsischen Volksvertretung bevor; die Wahl gänzlich radikaler Abgeordneter, wie sie fast überall vollzogen worden war, liess, wenn die Bewegung Dauer gewann, die ausserordentlichsten Veränderungen auch im Staatshaushalte voraussehen. Allgemein schien man entschlossen, auch die königl. Civilliste einer strengen Revision zu unterwerfen: alles überflüssig dünkende im Hofhaushalt sollte beseitigt werden; das Theater, als eine unnütze Unterhaltungsanstalt für einen verdorbenen Theil des Publikums, war mit der Entziehung der auf der Civilliste ihm ausgesetzten Subvention bedroht. Ich fühlte mich nun bestimmt, im Interesse der dem Theater von mir zuerkannten Bedeutung, den Herren Ministern die Belehrung der Abgeordneten darüber an die Hand zu geben, dass das Theater, wenn es wohl in seiner jetzigen Wirksamkeit keiner Opfer des Staats werth wäre, zu noch bedenklicherer, und der öffentlichen Gesittung gefährlicherer Tendenz herabsinken würde, wenn man es jeder auf das Ideale gerichteten Aufsicht desselben Staates entziehen wollte, welcher andrerseits den Kultus und die Schule in förderlichen Schutz zu nehmen sich berufen fühlte. Alles kam mir demnach darauf an, die Grundzüge einer Organisation des Theaters festzusetzen, nach welcher diesem die Erfüllung seiner edelsten Tendenzen ermöglicht und gesichert sein sollte. Somit arbeitete ich einen Plan aus, dem gemäss dieselbe Summe, welche auf der k. Civilliste für die Haltung eines Hoftheaters ausgesetzt war, für die Gründung und Unterhaltung eines Nationaltheaters für das Königreich Sachsen verwendet werden sollte. Die sehr kombinirten Einzelnheiten meines Entwurfes bezeichnete ich bei der Angabe ihrer praktischen Ausführbarkeit mit so grosser Präcision, dass ich meine Arbeit für fähig halten konnte, den Ministern einen tauglichen Leitfaden für die Behandlung dieser Angelegenheit vor den Kammern an die Hand zu geben. Es kam nun darauf an, mit einem der Minister selbst hierfür mich in das Vernehmen zu setzen. Ich war der Meinung, mich dafür an den Kultusminister wenden zu müssen. Als solcher fungirte damals Herr von der Pfordten. War dieser auch bereits im Geruch einer bedenklichen politischen Geschmeidigkeit, und des Strebens nach Verwischung des Ursprunges seiner politischen Erhebung durch eine bewegungsvolle Zeit, so galt er doch als ehemaliger Professor für einen Mann, mit dem über einen Gegenstand, wie er mir am Herzen lag, wohl zu reden war. Ich erfuhr aber, dass die eigentlichen Kunstanstalten des Königreiches, wie die Akademie der bildenden Künste, denen ich mit besonderem Eifer das Theater zugezählt wissen wollte, unter das Ressort des Ministers des Innern gestellt waren. Diesem, dem biederen, aber wohl nicht sehr gebildeten und kunstempfänglichen Oberländer, stellte ich daher meinen Entwurf zu, nachdem ich jedoch auch bei Herrn von der Pfordten mich gemeldet hatte, um diesem, aus den angedeuteten Rücksichten, mein Anliegen zugleich zu empfehlen. Der, wie es schien, sehr beschäftigte Mann empfing mich höflich und allgemeinhin versicherungsvoll, benahm mir aber durch sein ganzes Wesen, ja durch den Eindruck seiner Physiognomie, jede Hoffnung, bei ihm auf das von mir ihm angemuthete Verständniss zu treffen. Bei dem Minister Oberländer beruhigte mich sofort der schlichte Ernst, mit dem er mir genaues Eingehen auf die Sache versprach. Leider hatte er mir aber sogleich mit einfachster Aufrichtigkeit zu Herzen zu führen, wie wenige Hoffnung er hegen könnte, vom König selbst die Autorisation zur ausserordentlichen Behandlung einer bisher der Routine überlassenen Frage zu erhalten: es sei nicht zu verkennen, dass der König zu seinen jetzigen Ministern, und namentlich zu ihm, in einem gezwungenen, vertrauenslosen Verhältnisse stehe; er gelange nie dazu, mit dem Monarchen in einen andern Verkehr zu treten, als den, welchen die strikte Erledigung der laufenden Geschäfte unerlässlich mache. Er glaube daher, es sei besser, wenn mein Plan von Seiten der Kammer in Anregung gebracht würde. – Da ich zunächst eben nur dem vorbeugen wollte, dass die Frage des Fortbestehens des Hoftheaters, falls sie bei der Diskussion der zu erneuernden k. Civilliste auftauche, in dem befürchteten kenntniss- und verständnisslosen radikalen Sinne behandelt würde, liess ich mich nun auch die Mühe nicht verdriessen, einigen der einflussreichsten neuen Kammer-Mitglieder mich bekannt zu machen. Hiermit gerieth ich denn in eine ganz neue, sonderbare Sphäre, und hatte Stimmungen und Personen kennen zu lernen, die mir bisher gänzlich fremd geblieben waren. Beschwerlich war es mir, diese Herren immer nur im dichtesten Tabaksdampf und beim Bier antreffen, und über meine ihnen so fremdartige Angelegenheit unterhalten zu können. Nachdem ein Herr von Trütschler, ein sehr schöner, energischer, von finsterem Ernste beseelter Mann, der eine Zeit lang ruhig mich angehört, mir eröffnet hatte, dass er vom Staate nichts mehr wisse, sondern nur noch von der Gesellschaft, und dass diese auch ohne ihn und mich wissen werde, wie sie sich zur Kunst und zum Theater zu verhalten habe, gab ich, von sonderbar gemischter Beschämung erfüllt, für jetzt sowohl meine Bemühungen, als auch meine Hoffnungen auf. – Ich erfuhr von der ganzen Angelegenheit nichts anderes wieder, als dass sie, wie mir aus einer späteren Begegnung mit demselben es sich kundthat, zur Kenntniss des Herrn v. Lüttichau gelangt war, und diesen mit neuer Feindseligkeit gegen mich erfüllte.

Auf meinen nun gänzlich vereinsamten Spaziergängen arbeitete ich dagegen in meinem Kopfe, zu meiner grossen Gemüthserleichterung, immer mehr die Vorstellungen von einem Zustande der menschlichen Gesellschaft aus, zu welchem die kühnsten Wünsche und Bestrebungen der, damals im Aufbau ihrer Systeme so thätigen Sozialisten und Communisten, mir eben nur die gemeine Unterlage boten, während eben diese Bestrebungen erst von da ab Sinn und Bedeutung für mich gewannen, wo ich sie am Ende der erzielten politischen Umwälzungen und Konstruktionen angelangt sah, um dort nun mit meiner, der Kunst zugewandten Neubildung meinerseits zu beginnen.

Zu gleicher Zeit beschäftigte mich der Gedanke eines Drama's, dessen Held der Kaiser Friedrich Barbarossa sein sollte. Der Begriff des Herrscher's war hier in seiner kraftvollsten und ungeheuerlichsten Bedeutung aufgefasst; sein würdiges Weichen vor der Unmöglichkeit der Behauptung seiner idealen Ansprüche sollte, wie es die Theilnahme für den Helden erweckte, zugleich die richtige Erkenntniss der eigenthätigen Vielgestaltetheit der Dinge dieser Welt geben. Von diesem Drama, welches ich in populären gereimten Versen, im Style unsrer mittelhochdeutschen epischen Dichter, für welchen mir namentlich das Gedicht »Alexander« vom Pfaffen Lambert vorschwebte, ausführen wollte, habe ich nur mit wenigen Zeilen die alleräussersten Umrisse aufgezeichnet. Die Vertheilung der Handlung war folgendermaassen für fünf Akte bestimmt. Erster Akt: Reichstag in den ronkalischen Feldern, Darlegung der Bedeutung der kaiserlichen Gewalt, welche selbst auf die Belehnung mit Wasser und Luft sich erstrecken sollte. Zweiter Akt: Belagerung und Einnahme Mailands. Dritter Akt: Abfall Heinrich's des Löwen und Niederlage bei Ligano. Vierter Akt: Reichstag zu Augsburg, Demüthigung und Bestrafung Heinrich's des Löwen. Fünfter Akt: Reichstag und grosse Hofhaltung zu Mainz, Frieden mit den Lombarden, Versöhnung mit dem Papste, Annahme des Kreuzes, und Aufbruch nach dem Morgenlande. Mein Interesse an der Ausführung dieses dramatischen Planes ward jedoch, sogleich beim Erfassen, durch die mächtigere Anziehungskraft, welche die mythische Behandlung des mir hierbei aufgehenden gleich gearteten Stoffes in der Nibelungen- und Siegfried-Sage auf mich ausübte, verdrängt. Zunächst führte mich noch diese von mir erkannte Gleichartigkeit der hier sich berührenden Geschichte und Sage, zu einer Aufzeichnung einer Abhandlung hierüber, wozu einige auf der k. Bibliothek vorgefundene Monographien von Verfassern, deren Namen mir entfallen sind, welche mir aber in anziehender Weise Belehrungen über das Ur-Königthum der Deutschen gaben, mich befähigten und anregten. – Diesen grösseren Aufsatz, mit welchem ich schliesslich von der Neigung zur Behandlung eines historischen Stoffes für das recitirende Drama mich gänzlich abwandte, veröffentlichte ich später unter dem Titel: » Die Wibelungen«.

Im nächsten Zusammenhange hiermit schritt ich nun dazu, die sehr kombinirte, und doch auf ihre Hauptzüge zusammengedrängte Gestalt, zu welcher in mir der eigentliche uralte Nibelungen-Mythos, in unmittelbarem Zusammenhange mit dem Götter-Mythos selbst, sich ausgebildet hatte, zu deutlicher Uebersicht aufzuzeichnen. Aus dieser Arbeit ging mir die Möglichkeit hervor, einen Hauptbestandtheil des Stoffes selbst zu einem Drama mit musikalischer Aufführung zu verwenden. Nur langsam jedoch und mit grossem Zögern wagte ich mit dieser Möglichkeit mich zu befreunden, da namentlich der praktische Sinn der Verwerthung einer solchen Arbeit für unser Theater wahrhaft erschreckend mir entgegentrat. Es bedurfte allerdings des Eintrittes der vollsten Verzweiflung an jeder Möglichkeit, mich ferner mit unserm Theater zu befassen, bis ich den Muth zum Angriff dieser neuesten Arbeit gewann. Bis dahin trieb ich mich noch mit fast gleichgültiger Haltung zwischen den anderseitigen Möglichkeiten eines Bestehens unter den herrschenden Zuständen umher. In Betreff des »Lohengrin« war ich soweit, nichts anderes als eine möglichst gute Aufführung auf dem Dresdener Theater zu erwarten, und für alle Fälle und alle Zeiten mich damit zu begnügen, wenn ich nur diese erreichte. Herrn v. Lüttichau hatte ich seiner Zeit die Vollendung der Partitur angezeigt, in Betracht der Ungunst der damaligen Verhältnisse es ihm aber gänzlich freigestellt, über die Aufführung meines Werkes gelegentlich zu bestimmen.

Unterdessen kam die Zeit heran, wo der Archivar der k. musikalischen Kapelle sich erinnerte, dass jetzt vor 300 Jahren der Grund zu diesem fürstlichen Institute gelegt worden sei, und man folglich ein Jubiläum zu feiern habe. Hierfür war ein grosses Festkonzert im Theater bestimmt, in welchem Kompositionen der sächsischen Kapellmeister aller Zeiten, seit dem Bestehen dieser Anstalt, ausgeführt werden sollten. Die sämmtlichen Musiker, mit ihren beiden Kapellmeistern an der Spitze, hatten zuvor dem Könige in Pillnitz ihre dankende Huldigung darzubringen, bei welcher Gelegenheit zum ersten Male ein Musiker zum Ritter des sächsischen Civil-Verdienst-Ordens erhoben wurde: dieser Musiker war mein, bis dahin vom Hofe und vom Intendanten sehr geringschätzig behandelter Kollege Reissiger, welcher aber durch schreiende Loyalität in dieser bedenklichen Zeit, namentlich mir gegenüber, sich in äusserst günstiges Licht bei unseren Vorständen gesetzt hatte. Er ward von der nicht minder loyalen Versammlung, welche an dem Festkonzertabende die Theaterräume erfüllte, mit Jubel begrüsst, als er mit dem unerhörten Orden geschmückt vor dem Publikum erschien. Auch seine Ouvertüre zu »Yelva« rief einen nie ihm widerfahrenen enthusiastischen Beifallssturm hervor, wogegen das erste Finale aus »Lohengrin«, welches als Leistung des jüngsten Kapellmeisters vorgeführt wurde, eine, wiederum mir von Seiten des Dresdener Publikums ungewohnte, laue Aufnahme fand. Nach dem Konzert fand noch Festsouper statt, bei welchem, da nun doch mancherlei geredet wurde, auch ich sehr ungenirt der Kapelle meine Ansichten über das, was zu ihrer Vervollkommnung in der Zukunft noch wünschenswerth sei, mich laut und bestimmt aussprach. Hierbei äusserte Marschner, welcher in seiner Qualität als ehemaliger Dresdener Musikdirektor zur Mitfeier des Jubiläums eingeladen war, dass ich mir durch meine zu gute Meinung von den Musikern viel schaden würde. Ich sollte doch nur bedenken, mit welchen ungebildeten, nur für ihr Instrument abgerichteten Leuten ich hier zu thun hätte, und ob man da, wenn man ihnen von Kunstbestrebungen vorrede, etwas anderes als Verwirrung oder wohl gar böses Blut machen könne? – Von schönerer Erinnerung als diese Festlichkeiten ist die stille Gedenkfeier Weber's auf mich geblieben, welche uns am Morgen dieses Jubeltages auf dem Kirchhofe zur Bekränzung des Grabes desselben vereinigt hatte. Da hierbei Niemand ein Wort fand, und auch Marschner nur einen höchst trockenen, ja fast burschikos klingenden Gruss an den dahingeschiedenen Meister herausbrachte, fühlte ich mich gedrungen, in einigen herzlichen Worten der beabsichtigten Erinnerungsfeier ihren Ausdruck zu geben.

Diese kurze Unterbrechung durch künstlerische Anregung verlor sich schnell wieder vor den neuen Eindrücken, welche aus der politischen Welt auf Alles daher drangen. Die Wiener Oktober-Ereignisse verbreiteten auch bei uns leidenschaftlichste Theilnahme; rothe und schwarze Plakate starrten, mit Aufrüfen zu Zuzügen nach Wien, mit Verwünschung der »rothen Monarchie« im Gegensatz zur verpönten »rothen Republik«, und ähnlichen aufreizenden Dingen, täglich von den Mauern herab. Ausser für Diejenigen, welche in den Gang dieser Ereignisse genau eingeweiht waren, und welche bei uns allerdings nicht auf der Strasse herumliefen, verbreiteten diese Vorgänge eine ausserordentlich unheimliche Spannung. Als Windischgrätz in Wien eingezogen, Fröbel begnadigt, Blum aber erschossen worden war, hatte es den Anschein, als ob selbst in Dresden Alles bersten sollte. Für Blum ward eine grosse Trauerdemonstration mit unabsehbarem Zug durch die Strassen veranstaltet; das Ministerium schritt an der Spitze dieser Trauerprozession; mit grossem Vergnügen ward namentlich der bereits höchst bedenkliche Herr von der Pfordten in kummervollster Betheiligung hierbei wahrgenommen. Von nun an trat eine immer düsterere, auf üble Entscheidung sich vorbereitende Stimmung, ziemlich allseitig ein. Man ging so weit, den Tod Blum's, welcher durch seine Agitation in Leipzig seiner Zeit sich besonders verhasst und gefürchtet gemacht hatte, als einen Freundschaftsdienst der Erzherzogin Sophie gegen ihre Schwester, die Königin von Sachsen, ziemlich unumwunden zu denunciren. Schaaren von Wiener Flüchtlingen, in der Tracht der akademischen Legion, gelangten nach Dresden, und vermehrten die eigene Bevölkerung mit den drohenden Gestalten, die von jetzt an dort immer heimischer sich bewegten. Als ich eines Tages mich in das Theater begeben wollte, um eine Aufführung meines »Rienzi« zu dirigiren, meldete mir der Kapelldiener, dass mehrere fremde Herren nach mir gefragt hätten; alsbald stellten sich ein halbes Dutzend solcher Gestalten ein, begrüssten mich als Bruder Demokraten, und baten mich um Vermittelung eines freien Eintritts. Nun erkannte ich wirklich gerade in einem kleinen, buckligen Menschen, mit schrecklich verbogenem Calabreser-Hute, einen ehemaligen Belletristen, Häfner, welcher mir vor Kurzem bei meinem Besuch in jenem Wiener politischen Clubb durch Uhl vorgestellt worden war. So gross nun auch meine Verlegenheit bei dieser, von unseren Kapellisten mit höchstem Erstaunen wahrgenommenen Begegnung war, so fühlte ich doch nicht den mindesten Drang, ihr ein beschämendes Zugeständniss zu machen; ich ging ruhig an die Kasse, liess mir sechs Billete geben, und überreichte sie den sonderbaren Gestalten, welche vor aller Welt mit herzlichen Händedrücken von mir schieden. Ob ich seit diesem Abende nach der Meinung unserer Theaterangehörigen und anderer Betheiligten in meiner Dresdener Kapellmeisterstellung mich besonders befestigt hatte, muss ich bezweifeln; gewiss aber ist, dass ich an keinem Abende so rasend nach jedem Akte herausgerufen wurde, als bei dieser Aufführung des »Rienzi«.

Ueberhaupt schien sich jetzt im Theaterpublikum, gegenüber derjenigen Zusammensetzung desselben, welche in jenem Kapellfest-Konzerte mir offenbare Kälte bezeigt hatte, eine fast leidenschaftlich mir ergebene Partei gebildet zu haben. Gleichviel, ob im »Tannhäuser« oder »Rienzi«, stets war ich besonders mit Beifall ausgezeichnet, und wenn auch in der Tendenz dieser Partei manches Abschreckende für unseren Intendanten liegen mochte, so glaubte er doch eine gewisse Scheu vor mir tragen zu müssen. Eines Tages eröffnete mir Herr von Lüttichau das Anerbieten, meinen »Lohengrin« demnächst zur Aufführung zu bringen: ich erklärte ihm die Gründe, wesshalb ich ihm mein Werk bisher nicht angeboten habe, sowie dass ich, da das Opernpersonal mir genügend schien, die Aufführung gern betreiben würde. Um diese Zeit war der Sohn meines alten Freundes F. Heine aus Paris zurückgekommen, wo er bei den Meistern Desplechin und Dieterle im Auftrage der Dresdener Direktion die Dekorationsmalerei erlernt hatte. Dieser sollte nun, um beim Dresdener Hoftheater eine entsprechende Anstellung zu erhalten, hierfür sein Probestück ablegen. Er hatte sich hierzu die Dekorationen zu »Lohengrin« anfertigen zu dürfen ausgebeten, was eben Herrn v. Lüttichau veranlasst hatte, sein Auge auf mein neuestes Werk zu lenken; da ich nun meine Zustimmung gegeben, wurde auch dem jungen Heine die Zusage der Erfüllung seines Wunsches gemacht.

Ich begrüsste diese Wendung mit grosser Befriedigung, da ich in der Beschäftigung mit dem Studium gerade dieses Werkes eine heilsame, wie ich hoffte, entscheidende Ableitung von allen Aufregungen und Verwirrungen der letzten Zeit zu finden glaubte. Desto grösser war mein Schrecken, als eines Tages der junge Wilhelm Heine mit der Nachricht bei mir eintrat, die Dekorationen zu »Lohengrin« seien plötzlich bei ihm abbestellt, und dagegen die Illustrirung einer andern Oper ihm aufgegeben worden. Ich sagte kein Wort, und frug auch dem Grunde dieses auffallenden Benehmens in keiner Weise nach. Spätere Versicherungen des Herrn von Lüttichau an meine Frau, mussten, wenn sie durchaus wahrhaftig waren, mich bereuen lassen, die ganze Schuld dieser Kränkung hauptsächlich auf ihn geworfen, und dadurch mich nun unwiderbringlich von ihm abgewendet zu haben. Nach längeren Jahren hierüber befragt, hat er nämlich versichert, die Stimmung am Hofe sei damals noch so heftig gegen mich eingenommen gewesen, dass er mit seinem ernstlich gemeinten Antrage, mein Werk aufzuführen, auf unüberwindliche Schwierigkeiten gestossen sei. – Wie dem nun sei, die Bitterkeit, welche ich jetzt empfand, wirkte entscheidend auf meine Stimmung, und, indem ich von meiner letzten Hoffnung auf eine Versöhnung mit dem Theater durch eine schöne Aufführung meines »Lohengrin« mich schweigend abwandte, kehrte ich von nun an dem Theater, und jedem Versuche, mich mit ihm zu befassen, überhaupt und grundsätzlich den Rücken, was ich einerseits in meiner gänzlichen Rücksichtslosigkeit in Betreff der Forterhaltung meiner Dresdener Kapellmeister-Stellung, andrerseits durch künstlerische Entwürfe, welche mich ganz von der Möglichkeit eines Befassens mit unserem modernen Theaterwesen abführten, aussprach.

Jetzt ging ich daran, den lange mit Scheu gehegten Plan von »Siegfried's Tod« auszuführen. Hierbei dachte ich nun allerdings nicht mehr an das Dresdener, noch an irgend ein Hoftheater der Welt, sondern einzig daran, etwas zu unternehmen, was mich ein für allemal von diesem unsinnigen Verkehr abbringen sollte. Staunend nahm Eduard Devrient, mit welchem ich, da damals mit Röckel nach dieser Seite hin durchaus nichts mehr anzufangen war, einzig noch über Theater und dramatische Kunst verkehrte, mein nach seiner Vollendung von mir ihm vorgelesenes Gedicht auf. Er erkannte die Tendenz, mich hiemit ausser allen hoffnungsvollen Verkehr mit der modernen Theaterwelt zu setzen, und mochte natürlich diess durchaus nicht billigen. Dagegen versuchte er sich mit meiner Arbeit dahin zu befreunden, dass sie am Ende doch immer noch als nicht gar zu befremdlich und wirklich ausführbar zu denken sein sollte. Wie ernstlich er diess meinte, bewiess er durch den Nachweis eines Fehlers, der darin bestehe, dass ich dem Publikum doch gar zu viel zumuthe, wenn es aus kurzen epischen Andeutungen so sehr viel, was meinem Stoffe das richtige Verständniss geben sollte, zu ergänzen hätte. Er wies darauf hin, dass, ehe man Siegfried und Brünnhilde in ihrem feindseligen Konflikte vor sich sähe, dieses Paar zuvor in seinem wahren, ungetrübten Verhältniss einmal kennen gelernt worden sein müsste. Ich hatte nämlich das Gedicht von »Siegfried's Tod« gerade nur mit den Scenen, welche auch jetzt noch den ersten Akt der »Götterdämmerung« bilden, begonnen, und alles auf das vorangehende Verhältniss Siegfried's zu Brünnhilde deutende nur in einem Zwiegespräch der einsam zurückgelassenen Gemahlin des Helden mit dem an ihrem Felsen vorüberziehenden Heere der Walküren, in einem lyrisch-epischen Dialog, dem Zuhörer erläutert. Der hiermit von Devrient gegebene Wink brachte mich zu meiner Freude sofort auf die Scenen, welche ich im Vorspiel zu diesem Drama ausgeführt habe.

Durch diese und ähnliche ziemlich nahe Berührungen belebte sich um jene Zeit mein Verhältniss zu E. Devrient in immer erfreulicherer Weise. Oefters lud er eine gewählte Zuhörerschaft zu dramatischen Vorlesungen in seinem Hause ein, denen ich gern beiwohnte, da hierbei zu meiner Ueberraschung die Begabung, welche dem Vorleser auf der Bühne selbst abging, wohlerkenntlich hervortrat. Anderseits war es mir tröstlich, über mein im grössten Verfall begriffenes Verhältniss zu unserem Generaldirektor mich wohlverstanden mittheilen zu können. Devrient schien es hierbei viel daran zu liegen, einen vollen Bruch abzuwenden; nur war dafür wenig Hoffnung vorhanden. Nachdem mit dem Herannahen des Winters der königliche Hof wieder in die Stadt zurückgekehrt war, und als dieser nun die Theatervorstellungen von Neuem öfter besuchte, wurden mir wiederholt Zeichen hoher Unzufriedenheit mit meiner Wirksamkeit als Kapellmeister insinuirt. Es schien der Königin einmal, dass ich in »Norma« » schlecht dirigirt,« ein anderes Mal in »Robert dem Teufel« » den Takt unrichtig geschlagen« habe, und da mir Herr von Lüttichau diese Reprimanden zu notificiren hatte, konnten die bei solchen Gelegenheiten gepflogenen Unterhaltungen natürlich nicht zur Wiederherstellung eines erspriesslichen Vernehmens zwischen uns Beiden beitragen.

Demungeachtet schien es immer noch nicht zu einem Aeussersten kommen zu dürfen, da eben Alles gährte und in einer leidenschaftlichen Ungewissheit sich erhielt. Jedenfalls war die nach jeder Seite hin sich vorbereitende Reaktion wenigstens des Zeitpunktes ihres vollkommenen Sieges noch nicht so sicher, dass nicht für jetzt jedes Aufsehen noch zu vermeiden als räthlich angesehen worden wäre. So liess auch unsere Generaldirektion die Musiker der k. Kapelle unbehindert gewähren, welche, dem Geiste der Zeit folgend, sich zu einem Verein zur Berathung und Wahrung ihrer künstlerischen wie bürgerlichen Interessen konstituirt hatten. Hierfür war besonders einer der jüngsten Musiker, Theodor Uhlig, von besonderer Thätigkeit gewesen. Dieser, als Violinist im Orchester angestellt, war ein junger Mensch in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre, von auffallend zarter, intelligenter und edler Gesichtsbildung, der sich durch seinen grossen Ernst, seinen ruhigen, und doch ungemein festen Charakter vor all' seinen Genossen auszeichnete, meine besondere Aufmerksamkeit aber durch einige Gelegenheiten, in welchen er mir seinen scharfen Blick und seine umfassenden musikalischen Kenntnisse gezeigt hatte, auf sich zog. Bald erwählte ich ihn mir, da ich in jeder Hinsicht Aufgewecktheit und einen ungemeinen Bildungstrieb an ihm wahrnahm, als Begleiter auf den von mir fortgesetzten Spaziergängen, auf welchen sonst Röckel mir zur Seite gewandert hatte. Er veranlasste mich nun auch, zur Belebung und Befruchtung der dort sich kund thuenden löblichen Tendenzen, mich in einer Versammlung jenes Kapellmitglieder-Vereines zu zeigen und vernehmen zu lassen. Ich theilte den Leuten, welche mich mit grosser Spannung anhörten, den Inhalt meiner vor einem Jahre von dem Generaldirektor zurückgewiesenen Arbeit über eine Reform der Kapelle, sowie meine damit verfolgten Absichten und Pläne mit. Zugleich musste ich ihnen bezeugen, dass ich für die Ausführung ähnlicher Entwürfe alle Hoffnung auf die Generaldirektion verloren habe, und dagegen es ihnen selbst nun anempfehlen müsse, kräftig die Initiative dafür zu ergreifen. Man nahm dies mit enthusiastischem Beifall auf. Liess nun, wie ich vorhin sagte, Herr v. Lüttichau diese Musiker in ihrer einigermassen demokratisch sich gebahrenden Vereinigung wohl gewähren, so sorgte er doch dafür, durch Spione, namentlich einen zum Abscheu aller Kapellmitglieder von der Intendanz besonderlich protegirten widerwärtigen Hornisten Lewy, sich stets über die hochverrätherischen Bewegungen des Vereines unterrichten. So hatte er denn auch von meinem Auftreten daselbst genaue, ja wohl übertriebene Kenntniss erhalten, und hielt es nun für an der Zeit, mich einmal wieder seine Autorität fühlen zu lassen. Ich wurde officiel zu ihm citirt, und hatte nun den Ausdruck seines lang verhaltenen Zornes über verschiedenes Vorgefallene zu vernehmen, bei welcher Gelegenheit ich auch von seiner Kenntnissnahme meines den Ministern überreichten Theaterreformplanes erfuhr. Er verrieth mir diess mit einer populären Dresdener Redensart, welche ich bis dahin noch nicht vernommen hatte; er wisse nämlich – so sagte er – recht gut, dass ich auch mit einer Eingabe über das Theater mich ihm an den Laden gelegt hätte. Ich hielt denn nun mit meinen Gegenansichten über das zwischen uns bestehende Verhältniss nicht zurück; da er mir drohte, an den König zu berichten, und auf meine Entlassung anzutragen, so überliess ich ihm mit grosser Ruhe, hierin ganz nach seinem Belieben zu verfahren, da ich von der Gerechtigkeit des Königs wohl jedenfalls mir zu verhoffen habe, dass derselbe auf meine Anklage auch meine Vertheidigung hören werde, zu welcher veranlasst zu werden ich mir nur wünschen könne, da ich sonst keinen andern schicklichen Weg ersähe, mich über Das an den König auszusprechen, worüber ich mich nicht nur in meinem, sondern auch im Interesse des Theaters und der Kunst zu beklagen habe. Das hörte nun Herr v. Lüttichau wieder nicht gern, und frug mich dagegen, wie denn nur, wenn er mit mir auszukommen suchen wolle, ihm diess meinerseits ermöglicht werden sollte, da ich doch unverhohlen erkläre, dass an ihm (wie er sich ausdrückte) »Hopfen und Malz verloren« seien. Mit gegenseitigem Achselzucken waren wir genöthigt, von dieser Konferenz auseinander zu gehen. Diess schien meinen ehemaligen Gönner denn doch in Pein versetzt zu haben; er wandte sich an die Besonnenheit und Mässigung Eduard Devrient's, um mir durch Zureden es anzuempfehlen, ein ferneres Auskommen zwischen uns zu ermöglichen. Trotz seines Ernstes musste Devrient, nachdem wir seinen Auftrag diskutirt, lächelnd zugestehen, dass hier eben nicht viel zu thun sei, und da ich standhaft erklärte, unter keiner Bedingung mehr mich zu theaterdienstlichen Berathungen bei ihm einzustellen, am Ende der Direktor wohl sehen müsste, wie seine Weisheit die Sache auch allein fortführe.

Die Folge der höfischen und direktorialen Ungnade liess sich für die Zeit, welche das Schicksal mir noch als Dresdener Kapellmeister auszuhalten bestimmt hatte, in Allem gewahren. Die im vorigen Winter von mir eingerichteten Kapellkonzerte wurden für dieses Jahr unter Reissiger's Direktion gestellt. Sie nahmen in jeder Beziehung sogleich wieder die allgewohnte Unbedeutendheit gewöhnlicher Konzertaufführungen an; die Theilnahme des Publikum's verlor sich schnell, mit Mühe wurde die Unternehmung für einen spätern Fortgang erhalten. In der Oper hatte ich die Wiederaufnahme des »fliegenden Holländers«, für welchen ich nun in dem gereiften Talent Mitterwurzer's einen vorzüglich hoffnungsvollen Darsteller gefunden hatte, nicht durchsetzen können. Meine Nichte Johanna, welche ich für die Rolle der »Senta« bestimmt hatte, fand die Partie unbequem, zudem wenig Gelegenheit zu glänzendem Kostüme bietend, wogegen sie »Zampa« und »Favorite« ihrem neuen Protektor, meinem ehemaligen Rienzi-enthusiastischen Tichatscheck zulieb, auch der für jede dieser Rollen von der Direktion ihr zu liefernden drei brillanten Anzüge wegen, vorzog. Ueberhaupt war zwischen diesen beiden damaligen Matadoren der Dresdener Oper es zu einem Widerstands-Bündniss gegen meinen Rigorismus im Betreff des Opernrepertoire's gekommen, dessen Feindseligkeit sich mit dem Durchsetzen eben jener Donizetti'schen »Favorite«, deren Arrangements ich einst in Paris für Schlesinger hatte anfertigen müssen, zu meiner Beschämung entschied. Diese Oper, deren Hauptparthie meiner Nichte, auch nach dem Dafürhalten ihres Vaters, sehr bequem in der Stimme lag, hatte ich zwar Anfangs mit aller Energie abgewiesen; da man nun aber meines Zerwürfnisses mit der Direktion und meiner freiwilligen Einflusslosigkeit, endlich meiner offenbaren Ungnade inne wurde, hielt man die Umstände für günstig, gerade mich selbst, da die Reihe an mir war, zu zwingen, diese widerwärtige Oper zu dirigiren. Ausserdem bestand meine Hauptbeschäftigung im k. Theater in der Direktion der Oper »Martha« von Flotow, welche zwar nie das Publikum eigentlich anzog, ihrer Repertoir-Bequemlichkeit wegen aber übermässig oft zur Aushülfe herbeigezogen wurde. Blickte ich somit auf den Erfolg meiner nun in das siebente Jahr reichenden Dresdener Thätigkeit zurück, so war diess mehr als demüthigend, in Betracht der vielen und energischen Anregungen, die ich mir nach allen Seiten hin dem k. Institut zugewendet zu haben bewusst war. Ich hatte mir deutlich zu sagen, dass, wenn ich jetzt Dresden verliesse, nicht die mindeste Spur davon dort zurückbleiben würde. Aus vielen Anzeichen hatte ich auch abzunehmen, dass, wenn es je zu Klage und Verantwortung zwischen mir und dem Generaldirektor vor dem Könige kommen sollte, möge das Urtheil des Monarchen auch mir günstig ausfallen, dennoch der Konsequenz wegen dem Hofmann gegen mich Recht gegeben werden würde. – Noch einmal am Palmsonntage des neuen Jahres 1849 erlebte ich eine schöne Genugthuung. Die Kapelle hatte, um sich einer grossen Einnahme zu versichern, nochmals zur Aufführung der 9ten Symphonie Beethoven's gegriffen; Alles bot seine besten Kräfte auf, diese zu einer der schönsten zu machen; das Publikum nahm sie mit offenbarer Begeisterung auf. Der Generalprobe hatte heimlich, und vor der Polizei verborgen, Michael Bakunin beigewohnt; er trat ohne Scheu nach der Beendigung derselben zu mir an das Orchester, um mir laut zuzurufen, dass, wenn alle Musik bei dem erwarteten grossen Weltenbrande verloren gehen sollte, wir für die Erhaltung dieser Symphonie mit Gefahr unseres Lebens einzustehen uns verbinden wollten. Wenige Wochen nach dieser letzten Aufführung schien dieser »Weltenbrand« von den Strassen Dresden's aus sich wirklich entzünden zu wollen, und Bakunin, mit welchem ich bis dahin in sonderbarer und ungewöhnlicher Weise in näheren Umgang getreten war, schien dabei wirklich das Amt eines Oberfeuerwerker's übernehmen zu sollen.

Bereits seit längerer Zeit hatte ich die Bekanntschaft dieses sehr ungewöhnlichen Menschen gemacht. Schon vor Jahren war mir sein Name aus den Zeitungen unter ausserordentlichen Umständen aufgestossen. Als Russe war er in einer Pariser Polenversammlung aufgetreten, mit der Erklärung, ob Russe oder Pole gelte nichts, aber ob man ein freier Mann sein wolle, gelte alles. In späterer Zeit erfuhr ich durch Georg Herwegh, dass er eben damals in Paris allen seinen Hülfsquellen als Glied einer bedeutenden russischen Familie entsagt hatte und eines Tages, da sein Vermögen noch aus zwei Franken bestand, diese auf dem Boulevard einem Bettler abgetreten habe, weil es ihm peinlich war, durch diesen Besitz an irgend eine Vorsicht für das Leben noch gebunden zu sein. Sein Aufenthalt in Dresden wurde mir eines Tages von Röckel, als dieser schon gänzlich in die Wildniss übergetreten war, gemeldet und zwar mit der Einladung, in Röckel's eigener Wohnung, wo jener aufgenommen worden war, seine Bekanntschaft zu machen. Bakunin war nämlich wegen seiner Betheiligung an den Prager Ereignissen im Sommer 1848, als Theilnehmer an dem ihnen vorangehenden Slavencongress daselbst, von der österreichischen Regierung verfolgt, und hatte sich nun hiergegen zu schützen, indem er zugleich nicht weit von Böhmen sich zu entfernen suchte. Das besondere Aufsehen, welches er auch in Prag erregt, war daher gekommen, dass er den Tschechen, welche besonders in Russland ihre Stütze gegen die gefürchtete Germanisirung gesucht hatten, zurief, eben gegen diese Russen, wie gegen jeden andern Volksstamm, sich mit Feuer und Schwert zu vertheidigen, sobald sie unter der Führung eines Despotismus wie der des russischen Czaren sich befinden. Diese oberflächliche Kenntnissnahme von der Tendenz Bakunin's hatte genügt, die rein nationalen Vorurtheile des Deutschen gegen ihn in anziehender Weise zu zerstreuen. Als ich ihn nun selbst im dürftigen Schutze der Röckel'schen Gastfreundschaft antraf, war ich zunächst durch die fremdartige, durchaus imposante Persönlichkeit dieses Mannes, der damals in der Blüthe der dreissiger Jahre stand, wahrhaft überrascht. Alles war an ihm kolossal, mit einer auf primitive Frische deutenden Wucht. Ich habe nie den Eindruck von ihm empfangen, als ob er besonders viel auf meine Bekanntschaft gäbe, da ihm im Grunde auf geistig begabte Menschen nicht mehr viel anzukommen schien, wogegen er einzig rücksichtslos thatkräftige Naturen verlangte; wie es mir späterhin aufging, war aber auch hierin die theoretische Forderung in ihm thätiger, als das rein persönliche Gefühl, denn er konnte eben hierüber viel sprechen und sich erklären: überhaupt hatte er sich an das Sokratische Element der mündlichen Diskussion gewöhnt, und augenscheinlich war es ihm wohl, wenn er sich, auf dem harten Canapé seines Gastfreundes ausgestreckt, mit recht viel verschiedenartigen Menschen über die Probleme der Revolution diskursiv vernehmen lassen konnte. Bei diesen Gelegenheiten blieb er stets siegreich; es war unmöglich, gegen seine bis über die äussersten Grenzen des Radikalismus nach jeder Seite hin, mit grösster Sicherheit ausgedrückten Argumente sich zu behaupten. Er war so mittheilsam, am ersten Abend unserer Zusammenkunft, mich über den Gang seiner Entwickelung zu unterrichten. Als russischer Offizier von vornehmer Familie hatte ihn, den unter dem Drucke des bornirtesten Militairzwangs Leidenden, die Lektüre Rousseau'scher Schriften dahin gebracht, unter dem Vorwand eines Urlaubes nach Deutschland sich zu flüchten; dort in Berlin hatte er sich mit dem Eifer eines zur Kultur erwachenden Barbaren auf die Philosophie geworfen; es war die Hegel'sche Philosophie, welche er als herrschende antraf, und in welcher er sich schnell so weit schulte, dass er die renommirtesten Jünger des Meisters mit einem, in streng Hegel'scher Dialektik sich bewegenden Aufsatze, aus dem Sattel ihrer eigenen Philosophie warf. Nachdem er so die Philosophie, nach seinen Aussprüchen, in sich bei Seite gebracht, war er nach der Schweiz gegangen, hatte dort den Communismus gepredigt, und war über Frankreich und Deutschland nun wieder an die Grenzen der slavischen Welt zurückgekehrt, von welcher er, ihrer mindesten Verdorbenheit durch die Civilisation wegen, das Heil der Regeneration der Menschheit erwartete. Seine Hoffnung in diesem Betreff gründete er in Wirklichkeit auf den im russischen Nationalcharakter am stärksten ausgeprägten Typus der Slaven. Als Grundzug desselben glaubte er naive Brüderlichkeit und den Instinkt des Thieres gegen den verfolgenden Menschen im natürlichen Hasse des russischen Bauers gegen den ihn quälenden Edelmann zu erkennen. Hierfür berief er sich auf die kindisch-dämonische Freude des russischen Volkes am Feuer, auf welche schon Rostopschin sein Stratagem gegen Napoleon beim Brande von Moskau berechnet hatte. Er meinte, dem russischen Bauer, in welchem die natürliche Güte der bedrückten menschlichen Natur sich am kindlichsten erhalten habe, sei nur beizubringen, dass die Verbrennung der Schlösser seiner Herren mit allem, was darin und daran, vollkommen gerecht und Gott wohlgefällig sei, um eine Bewegung über die Welt hervorzurufen, aus welcher mindestens doch eben die Zerstörung alles dessen hervorgehen müsse, was, aus dem tiefsten Grunde beleuchtet, selbst dem philosophischsten Denker des civilisirten Europa's als eigentlicher Quell des Elendes der ganzen modernen Welt erkenntlich sein müsste. Diese zerstörende Kraft in Bewegung zu setzen, dünkte ihm das einzig würdige Ziel der Thätigkeit eines vernünftigen Menschen. (Während Bakunin solche furchtbare Lehren in seiner Weise predigte, unterliess er nicht, da er bemerkte, dass ich an den Augen litt, trotz meiner Abwehr, den grellen Schein des Lichtes auf mich durch seine vorgehaltene breite Hand eine volle Stunde lang abzuhalten.) Diese Zerstörung aller Civilisation war das seinem Enthusiasmus vorschwebende Ziel; hierfür aller Hebel der politischen Bewegung als Hülfsmittel sich zu bedienen, war seine einstweilige, oft zur ironischen Heiterkeit dienende Unterhaltung. Er empfing in seinem Versteck allen Nüancen der Revolution angehörende Persönlichkeiten; am nächsten standen ihm diejenigen der slavischen Nationalität, weil er diese für das erste am erfolgreichsten auf die Zerstörung des russischen Despotismus zu verwenden erachten konnte. Von den Franzosen, trotz ihrer Republik und ihres Proudhon'schen Socialismus, hielt er nicht das Mindeste. Ueber die Deutschen äusserte er sich mir nie. Demokratie, Republik, und Alles, was ihnen gleicht, war ihm keiner ernstlichen Beachtung werth; jedem Einwurf der ihm von Solchen gemacht wurde, welche an die Rekonstruktion des zu zerstörenden dachten, wusste er mit vernichtender Kritik entgegen zu treten. Ich entsinne mich, dass ein Pole, von seinen Theorien erschreckt, ihm entgegenhielt, dass denn doch immer eine staatliche Organisation vorhanden sein müsse, welche dem Einzelnen die Ausbeute des von ihm bebauten Feldes gewährleiste; diesem erwiderte er: »Du wirst also dein Feld sorgfältig abzäunen, und somit der Polizei von Neuem zu leben geben müssen«. Der Pole schwieg betroffen. Seine Tröstung bestand dann darin, dass er darauf deutete, wie Konstruktoren der neuen Weltordnung sich ganz von selbst finden würden; dass wir dagegen nach nichts anderem zu fragen hätten, als woher die Kraft der Zerstörung zu nehmen; ob denn einer von uns so wahnsinnig sein könne, zu glauben, dass er über das Ziel der Zerstörung hinaus noch bestehen würde können? Man solle sich nur die ganze europäische Welt, mit Petersburg, Paris und London, in einen Schutthaufen verwandelt denken: ob den Brandstiftern über diese ungeheuren Trümmer hinweg noch eine Besinnung zuzutrauen sein könnte? Jeden, der sich bereit zur Aufopferung erklärte, wusste er zu verwirren, wenn er ihn darauf verwies, dass nicht die sogenannten Tyrannen das Furchtbare seien, sondern die behaglichen Philister, unter denen er als Typus den protestantischen Pfarrer aufstellte, an dessen Menschwerdung er nicht eher glauben wolle, als bis er selbst sein Pfarrhaus mit Weib und Kind den Flammen übergeben hätte.

Gegen so furchtbare Behauptungen blieb ich eine Zeit lang um so verlegener, als Bakunin andrerseits sich als wirklich liebenswürdiger, zartfühlender Mensch mir kund that. Keine meiner tief verzweifelten Besorgnisse vor der ewigen Gefährdung meiner idealen Wünsche für die Kunst schien ihm unverständlich zu bleiben. Zwar wies er es zurück, über meine Kunstpläne näher unterrichtet zu werden. Meine Nibelungenarbeiten wollte er nicht kennen lernen. Ich hatte damals, von der Lektüre der Evangelien angezogen, einen für die ideale Bühne der Zukunft entworfenen Plan zu einer Tragödie: »Jesus von Nazareth«, verfasst; Bakunin bat mich, ihn mit der Bekanntmachung damit zu verschonen; da ich ihn durch einige mündliche Andeutungen meines Planes dafür zu gewinnen schien, wünschte er mir Glück, bat mich aber völlig inständig, Jesus jedenfalls als schwach erscheinen zu lassen. In Betreff der Musik rieth er mir in allen Variationen die Composition nur eines Textes an: der Tenor solle singen: »köpfet ihn«, der Sopran: »hängt ihn«, und der Basso continuo: »Feuer, Feuer«. Nun wurde ich mir doch eines seltsam behaglichen Gefühles über diesen ungeheuerlichen Menschen bewusst, als ich ihn eines Tages dazu brachte, die ersten Scenen meines »fliegenden Holländer« von mir sich vorspielen und vorsingen zu lassen. Als ich eine Pause machte, rief er, nachdem er mich aufmerksamer, als irgend ein andrer angehört, zu: »Das ist ungeheuer schön«, und wollte immer mehr davon hören. Da er das traurige Leben eines ewig Versteckten zu führen hatte, lud ich ihn des Abends manchmal zu mir ein; meine Frau setzte ihm zum Abendbrot zierlich geschnittene Wurst und Fleischstückchen vor, welche er, ohne sie nach sächsischer Weise spärlich auf das Brod zu vertheilen, sogleich haufenweise verschlang; da ich Minna's Entsetzen hierüber gewahrte, machte ich mich wirklich der Schwäche schuldig, ihn darauf aufmerksam zu machen, wie man bei uns sich dieser Zubereitung bediene, worauf er mir lächelnd betheuerte, er habe ja genug, man solle es ihm nur gönnen, das Vorgesetzte auf seine Weise zu verzehren. In gleicher Weise befremdete mich sein Genuss des Weines in den üblichen kleinen Gläsern; überhaupt war ihm der Wein widerwärtig, welcher das Bedürfniss nach alkoholischer Aufregung in so philisterhaft ausgedehnten und vertheilten Dosen zu befriedigen suchte, wogegen ein kräftiger Zug Branntwein mit einem Mal und schnell diesen doch immer nur beiläufig zu erzielenden Zweck erreiche. Das Widerwärtigste in Allem war ihm das Behagen an der Ausdehnung des Genusses durch berechnete Mässigung, während einem wahren Menschen doch nur die nöthige Stillung des Bedürfnisses hieraus erwachsen dürfe, und der einzige Genuss des Lebens menschenwürdig allein in der Liebe bestehen könnte.

Wie an diesen und ähnlichen unscheinbaren Zügen es sich herausstellte, dass in diesem merkwürdigen Menschen eine völlig kulturfeindliche Wildheit mit der Forderung des reinsten Ideales der Menschlichkeit sich berührte, so waren die Eindrücke meines Umganges mit ihm schwankend zwischen unwillkürlichem Schrecken und unwiderstehlicher Angezogenheit. Ich holte ihn öfters zu meinen einsamen Wanderungen ab, auf denen er mir, da er hier seinen Verfolgern nicht zu begegnen fürchten durfte, schon der ihm nöthigen Leibesbewegung wegen, gern folgte. Meine Versuche, ihn bei den hierbei gepflogenen Besprechungen mit der Bedeutung meiner Kunsttendenzen eindringlicher bekannt zu machen, blieben, so lange wir eben das Feld der blossen Diskussion nicht verlassen konnten, ohne Erfolg. Alles diess schien ihm zu verfrüht; er wollte durchaus nicht zugeben, dass aus den Bedürfnissen der schlechten Gegenwart die Gesetze für eine Zukunft bestimmt würden, welche aus ganz anderen Voraussetzungen der gesellschaftlichen Bildung sich zu gestalten habe. Während er so schliesslich immer nur auf Zerstörung und wieder Zerstörung drang, hatte ich mich endlich zu fragen, wie mein wunderlicher Freund denn eigentlich diese Zerstörung in's Werk zu setzen gedächte; und hier traf es sich denn, dass, wie ich damals schon ahnte und es sich bald sehr klar herausstellte, bei diesem Manne der unbedingten Aktion in diesem Bezug Alles auf den bodenlosesten Voraussetzungen beruhte. Musste ich mit meinen Hoffnungen für eine künftige künstlerische Gestaltung der menschlichen Gesellschaft ihm gänzlich unpraktisch in der Luft schwebend erscheinen, so lag es bald am Tage, dass seine Annahmen in Betreff der unerlässlichen Zerstörung aller vorhandenen Kultur-Institutionen, zum Mindesten nicht weniger unbegründet waren. Dem ersten Anschein nach bedünkte es mich allerdings, als ob Bakunin das Centrum einer Universal-Konspiration sei; am Ende führten sich seine praktischen Pläne jedoch zunächst auf das ungefähre Vorhaben einer neuen Revolutionirung Prag's zurück, welche sich auf nichts anderes, als eine Verbindung einiger Studenten begründete. Als er glaubte, dass die Zeit des Losbruchs hierfür gekommen sei, bereitete er sich eines Abends auf die für ihn nicht gefahrlose Reise nach Prag unter dem Schutze eines Passes für einen englischen Kaufmann vor. Hierzu musste er sein ungeheures lockiges Bart- und Haupthaar, der philisterhaftesten Kultur entsprechend, verschneiden und rasiren lassen; da hierzu kein Barbier zu verwenden war, hatte Röckel dessen Amt zu übernehmen; ein kleiner Kreis von Bekannten wohnte dieser Operation bei, welche mit einem stumpfen Rasiermesser unter anhaltenden Schmerzen, gegen die nur der Patient unempfindlich blieb, ausgeführt wurde. Man entliess Bakunin mit der Voraussetzung, ihn lebendig nicht mehr zu sehen. Nach acht Tagen war er aber bereits wieder zurück, da er erkannt, wie leichtsinnig er über die Prager Angelegenheiten unterrichtet gewesen war, und er mit nichts als einer Hand voll halb kindischer Studenten zu thun gehabt hatte. Er zog sich durch diese Bekenntnisse Röckel's gutmüthigen Spott zu, und gerieth bei uns nun überhaupt in den Ruf eines Revolutionärs, welcher in der theoretischen Konspiration stehen bliebe. Ungefähr wie seine Erwartungen von den Prager Studenten haben sich später alle seine Voraussetzungen im Betreff des russischen Volkes als grundlos und auf willkürliche Annahme von der Natur der Dinge beruhend, herausgestellt, so dass ich den Ruf der ungeheuren Gefährlichkeit, in welchen dieser Mann nach jeder Seite hin gerathen war, nur aus seinen hie und da verlauteten theoretischen Ansichten, nie aber aus einem wirklichen Bekanntwerden mit seiner praktischen Thätigkeit mir zu erklären hatte. Nur sollte ich allerdings auch fast als Augenzeuge erfahren, dass sein ganz persönliches Benehmen nie einen Augenblick durch Rücksichten bestimmt wurde, wie man sie bei Denjenigen anzutreffen gewohnt ist, welchen es mit ihren Theorien nicht wahrhafter Ernst ist. Diess sollte sich bald bei dem verhängnissvollen Aufstand im Mai 1849 zeigen. –

Der Winter dieses Jahres bis zum Frühjahr 1849 war mir unter der verschiedenartigen Entwickelung meiner Lage und Stimmung, wie ich sie bezeichnet, in dumpfer Gährung verstrichen. Jener kurz erwähnte Entwurf zu einem fünfaktigen Drama »Jesus von Nazareth«, gegen Neujahr, war meine letzte künstlerische Beschäftigung geblieben. Von nun an dämmerte ich unstät brütend und wunschlos erwartungsvoll dahin. Dass es mit meiner Dresdener Wirksamkeit als Künstler ein Ende hatte, auch meine dortige Stellung mir nur noch eine Last war, für deren Abschüttelung ich bloss der Nöthigung der Verhältnisse entgegen sah, lag mir klar im Bewusstsein. Auf der andern Seite drängte die ganze politische Situation Deutschlands, wie Sachsen's, auf eine unausbleibliche Katastrophe hin: mit jedem Tage rückte diese näher, und mir behagte es, mein persönliches Schicksal mit dieser allgemeinen Lage verwachsen mir vorzustellen. Letzte entscheidende Kämpfe, wie sie durch die überall nun immer unverhüllter auftretende Reaktion absichtlich hervorgerufen zu werden schienen, standen in nächster Aussicht; ich fühlte in keiner Weise Leidenschaftlichkeit genug, um mir in diesen Kämpfen selbst eine antheilvolle Rolle zugetheilt wissen zu wollen, dagegen nur die Neigung, rücksichtslos dem Strome der Ereignisse mich zu überlassen, möge er auch hinführen, wohin es immer auch sei. Sehr eigenthümlich drängte sich nun gerade um diese Zeit ein ganz neuer, und zunächst mit zweifelhaftem Lächeln aufgenommener Einfluss in mein Schicksal: Liszt meldete mir im März die unter seiner Leitung bevorstehende Aufführung des »Tannhäuser« in Weimar, der ersten nach der Dresdener. Sehr bescheiden hatte er mir dieses Unternehmen nur als die Erfüllung seines persönlichen Wunsches angekündigt; um ihm einen guten Ausfall zu sichern, hatte er Tichatscheck für die beiden ersten Aufführungen als Gast nach Weimar geladen; dieser kehrte nun zurück, und berichtete mir von dem wahrhaft guten Erfolge, davon zu hören ich wahrhaft überrascht war. Zu meinem Honorar erhielt ich vom Grossherzog eine goldene Tabatière, welche mir bis zum Jahr 1864 persönlich gedient hat. Das war mir alles neu und seltsam, und ich blieb geneigt, in diesem, an sich so erfreulichen Vorgange, eben nur eine Episode, der Freundeslaune eines grossen Künstlers verdankt, zu sehen. Was soll mir das jetzt, frug ich mich, kommt diess zu früh oder zu spät? Doch bestimmte mich namentlich ein liebenswürdiger Brief Liszt's, für den bevorstehenden Mai zur dritten Aufführung des »Tannhäuser's«, welche nun, da man die Oper auf dem Repertoir zu erhalten wünschte, ganz nur mit einheimischen Kräften versucht werden sollte, auf einige Tage Weimar zu besuchen. Hierzu nahm ich mir von meiner Direktion für die zweite Woche des Mai Urlaub. Wenige Tage lagen noch vor der Ausführung dieses kleinen Vorhabens; aber diese waren verhängnissvoll. Am ersten Mai löste das neue, vom König bestellte und mit der Durchführung der Reaktion beauftragte Ministerium Beust, die Kammern auf. Hieraus erwuchs mir zunächst die Pflicht der Freundessorge für Röckel und dessen Familie. Röckel war bisher durch seine Eigenschaft als Deputirter in Funktion gegen die ihn bedrohende kriminalrechtliche Verfolgung geschützt gewesen. Im Augenblicke der Kammer-Auflösung war er dagegen schutzlos, und hatte sich sofort durch Flucht einer neuen Verhaftung zu entziehen. Da ich ihm hierbei wenig helfen konnte, versprach ich ihm mindestens für das vorläufige Forterscheinen seines Volksblattes schon aus dem Grunde, weil der Ertrag desselben seiner Familie einige Unterstützung bieten sollte, Sorge zu tragen. Kaum war Röckel über die böhmische Grenze entflohen, als, während ich zu meiner Verlegenheit in der Druckerei mich damit abquälte, für eine Nummer des Volksblattes Stoff zu schaffen, von allen Seiten die längst erwarteten Gewitter auf Dresden sich entluden. Sturm-Deputationen, abendliche Pöbeldemonstrationen, wüthende Sitzungen der Vereine und alle die Vorläufer der Strassenentscheidung, stellten sich ein. Am 3. Mai verrieth das Aussehen der durch die Strassen wogenden Bevölkerung, dass es dahin kommen würde, wohin unstreitig man es gebracht zu sehen wünschte, da allen Landesdeputationen die Anerkennung der deutschen Reichsverfassung, um welche es sich damals handelte, mit einer zuletzt ausser Gewöhnung gekommenen Bestimmtheit von der Regierung abgelehnt worden war. Ich fand mich am Nachmittag, eigentlich immer nur im Interesse des Röckel'schen Volksblattes, für dessen Fortbestehen ich mich aus ökonomisch-humanen Rücksichten verpflichtet fühlte, durchaus nur als Hospitant in einer Vorstandsitzung des Vaterlands-Vereines ein. Hier fesselte mich nun plötzlich die Beobachtung des Benehmens und der Fassung solcher Menschen, welche durch die Volksgunst getragen, bis dahin an die Spitze solcher Vereinigungen gestellt waren. Offenbar ging diesen Leuten der Vorgang über die Köpfe hinweg, namentlich, als der gewisse Terrorismus eintrat, welchen bei solchen Gelegenheiten die Angehörigen der niederen, thatbereiteren Volksklassen auf die Repräsentanten der demokratischen Theorien ausüben. Ich hörte da allerhand wüste Vorschläge und unschlüssige Erwiderungen durcheinander; ein Hauptthema bildete die Nothwendigkeit, auf Vertheidigung zu sinnen; Bewaffnung und Anschaffung dafür ward diskutirt, aber alles in höchster Konfusion, und als man plötzlich fand, dass man für diesmal auseinander zu gehen habe, blieb mir der Eindruck der höchsten Verwirrung zurück. Ich entfernte mich mit dem Maler Kaufmann, einem jüngeren Künstler, von welchem ich zuvor auf der Dresdener Kunstausstellung eine Reihe von Cartons, die » Geschichte des Geistes« darstellend, gesehen hatte. Vor einem dieser Cartons, welcher die Folterung eines Ketzers im spanischen Inquisitions-Gerichte vorführte, hatte ich den König von Sachsen, welcher die Ausstellung durchwanderte, beobachtet, wie er mit missbilligendem Kopfschütteln von diesem abstrusen Gegenstande sich abwandte. Mit Diesem, welcher bleich und bedenklich dem Kommenden entgegensah, mich unterhaltend, gelangte ich auf dem Postplatze in die Nähe des nach Semper's Angabe errichteten Brunnens, als plötzlich vom nahen Thurme der Annenkirche das Zeichen zum Ausbruche mit der Sturmglocke sich vernehmen liess: »Gott, da geht's los!« rief erschüttert mein Begleiter, und verschwand sofort von meiner Seite. Ich erfuhr später noch einmal von ihm, dass er als politischer Flüchtling in Bern weile, habe ihn aber nie wieder gesehen.

Auch auf mich machte der Klang dieser aus der Nähe sich vernehmen lassenden Glocke einen entscheidenden Eindruck. Es war an einem sehr sonnigen Nachmittag, und sogleich stellte sich bei mir fast dasselbe Phänomen ein, welches Goethe beschreibt, als er die Eindrücke der Kanonade von Valmy auf seine Sinneswahrnehmung zu verdeutlichen sucht. Der ganze Platz vor mir schien von einem dunkelgelben, fast bräunlichen Lichte beleuchtet zu sein, ähnlich wie ich es bei einer Sonnenfinsterniss in Magdeburg wahrgenommen. Die dabei sich kundgebende Empfindung war die eines grossen, ja ausschweifenden Behagen's; ich fühlte plötzlich Lust, mit irgend etwas, sonst für wichtig gehaltenem zu spielen; so gerieth ich, vermuthlich wegen der Nähe des Platzes, zunächst auf den Einfall, in Tichatscheck's Wohnung den von ihm, als passionirtem Sonntagsjäger, gepflegten Schiessgewehren nachzufragen; ich traf dort nur seine Frau an, da er selbst auf einer Urlaubsreise begriffen war; ihre Angst vor den bevorstehenden Ereignissen stimmte mich zur ausgelassensten Heiterkeit; ich gab ihr den Rath, die Jagdgewehre ihres Mannes, welche sehr leicht bald von dem Pöbel requirirt werden könnten, dadurch in Sicherheit zu bringen, dass sie dieselben dem Comité des Vaterlandsvereins gegen Certifikat zur Disposition stellte. Ich habe später erfahren, dass meine hierbei geäusserte excentrische Laune in bedenklichster Weise zum Verbrechen angerechnet worden ist. Jetzt begab ich mich wieder in die Strassen, um nachzusehen, was ausser Glockengeläute und gelblicher Sonnenverfinsterung denn eigentlich in der Stadt los wäre. Ich gelangte zunächst auf den alten Markt, und beachtete dort eine Gruppe, in welcher lebhaft perorirt wurde. Zu meinem fast angenehmen Erstaunen gewahrte ich Mme Schröder-Devrient, welche soeben aus Berlin anlangend vor einem Hôtel abgestiegen, und von den ihr sofort zukommenden Nachrichten, dass man bereits auf das Volk geschossen habe, im höchsten Grade aufgeregt war. Sie hatte soeben in Berlin einem mit den Waffen unterdrückten Aufstandsversuche zugesehen, und war nun empört, in ihrem friedlichen Dresden, wie sie meinte, dasselbe wiederfinden zu müssen. Da sie von der höchst stumpfsinnigen Masse, welche ihren leidenschaftlichen Auslassungen mit unsinnigem Behagen zuhörte, zu mir sich abwandte, schien sie befriedigt zu sein, Jemanden zu finden, an den sie den Aufruf richten konnte, nach Kräften den widerwärtigen Vorgängen zu wehren. Ich traf sie des andern Tags noch bei meinem alten Freund Heine, in dessen Wohnung sie sich geflüchtet hatte; dort beschwor sie mich, da sie an mir Kaltblütigkeit wahrnahm, von Neuem, alles aufzubieten, um dem unsinnigen, volksmörderischen Kampfe mit Allem, was mir zu Gebote stehe, zu wehren. Aus ihrem Benehmen bei dieser Gelegenheit, so erfuhr ich später, ist Frau Schröder-Devrient die Anklage auf Hochverrath wegen Volksaufreizung erwachsen; sie hatte auf dem Wege des Prozesses ihre Unschuld darzuthun, um ihre durch langjährige Dienste als Dresdener Opernsängerin kontraktlich ihr zugesicherte Pension unangefochten sich zu erhalten.

An jenem dritten Maitage wendete ich mich nun unmittelbar nach derjenigen Stadtgegend, von welcher unheimliche Gerüchte über blutige Konflikte soeben zu mir gelangt waren. So viel ich nachher erfuhr, war es über eine Ablösung der Bürgerwache vor dem Zeughause zu thatsächlichen Diskussionen zwischen der bürgerlichen und militärischen Gewalt gekommen, welche von einem verwegen angeführten Volkshaufen zur gewaltsamen Besitznahme dieses Waffenplatzes hatten benutzt werden sollen. Gegen diesen war mit grosser soldatischer Bravour durch Lösung einiger mit Kartätschen geladener Geschütze verfahren worden. Als ich dem Schauplatze dieser Vorfälle durch die Rampische Gasse mich näherte, begegnete ich einer Kompagnie der Dresdener Kommunalgarde, welche, wie es scheint, gänzlich unschuldig der Wirkung jenes Feuers ausgesetzt gewesen war. Mir fiel einer der Bürgergardisten auf, welcher, von seinem Kameraden sorgsam unter'm Arm gefasst, hastig weiter zu marschiren sich bemühte, trotzdem sein rechtes Bein willenlos umherzuschlottern schien; Einige aus dem Volke riefen: »der blutet ja«, als sie die von ihm nachgelassenen Tropfen auf dem Pflaster gewahrten. Dieser Anblick wirkte höchst aufregend auf mich, ich begriff plötzlich den jetzt von allen Seiten von mir gehörten Ruf: »Zu den Barrikaden, zu den Barrikaden«; mechanisch getrieben folgte ich dem Strome, welcher sich wieder dem Rathhaus auf dem alten Markte zu bewegte. Während der ungeheuren Aufregung auf den Strassen bemerkte ich besonders eine, strassenbreit durch die Rosmaringasse dahinschreitende, höchst bedeutungsvolle Gruppe, welche mich, wenn auch diesmal mit einiger Uebertreibung, an diejenige Gesellschaft erinnerte, welche mich damals vor dem Theater um freies Entrée zu »Rienzi« gebeten; auch ein Buckeliger war dabei, und diesen, der mich sofort an den Goethe'schen »Vansen« im »Egmont« erinnerte, sah ich, während rings der aufrührerische Ruf ertönte, mit seltsamem Behagen die langgestreckten Hände vor endlich, nach langer Erwartung eintretender, revolutionärer Freude sich reiben. Von hier an entsinne ich mich ganz deutlich, durch das Unerhörte des Schauspiels mich angezogen gefühlt zu haben, ohne je das Verlangen zu empfinden, in Reih' und Glied unter die von mir beobachteten Streiter mich zu stellen. Die Aufregung der beobachtenden Theilnahme steigerte sich aber mit jedem Schritt, zu dem es mich nun trieb: so wusste ich mich, ohne unter dem wilden Haufen beachtet zu werden, bis in die Sitzungssäle des Rathes der Stadt selbst zu drängen; es schien, als ob es sich hier um eine übereinstimmende Handlung mit den Stadtverordneten handle; auch in den Sitzungssaal dieser wusste ich mir unbeachtet Eintritt zu verschaffen: was ich da wahrnahm, war allgemeine Auflösung und Rathlosigkeit. Während nun der Abend und die Nacht hereinbrach, wanderte ich durch die jetzt schnell, meistens durch Marktbuden aufgeworfenen Barrikaden, langsam nach meiner Wohnung in der entfernten Friedrichstadt zurück, um des andern Morgens mich zur Fortsetzung meiner beobachtenden Theilnahme an den unerhörten Ereignissen wiederum in das Centrum der Stadt aufzumachen. Es war Donnerstag der 4. Mai, an welchem ich das Rathhaus in der allmählich immer mehr heraustretenden Eigenschaft des Sitzes einer revolutionären Bewegung antraf. Die Nachricht, dass der König mit dem gesammten Hof, auf den Rath seines Ministers Beust, das Schloss verlassen, und zu Schiff auf der Elbe nach der Festung Königstein abgereist sei, erfüllte denjenigen Theil der Bevölkerung, welcher auf ein friedliches Abkommen mit dem Monarchen gerechnet hatte, mit höchstem Schreck. Unter solchen Umständen sah sich der Stadtrath nicht mehr der Situation gewachsen, und trug selbst zur Berufung der noch in Dresden anwesenden Mitglieder der sächsischen Kammer bei, welche nun in dem Rathhause sich versammelten, um über die jetzt zum Schutze des aufgelöst dünkenden Staatswesen's nöthig erscheinenden Maassregeln Beschluss zu fassen. Eine Deputation wurde an das Ministerium abgesandt, und kehrte von dort mit dem Bescheid zurück, das Ministerium sei nicht aufzufinden. Zugleich bestätigte sich von allen Seiten die Kunde davon, dass nach einem im Voraus abgeschlossenen Vertrage Truppen des Königs von Preussen einrücken würden, um Dresden zu occupiren. Jetzt herrschte nur ein Ruf nach zweckmässigen Maassregeln gegen diesen Einmarsch fremder Truppen. Da zu gleicher Zeit die Nachrichten des Erfolges der deutschen Bewegung in Würtemberg eintrafen, wo die Truppen selbst durch ihre parlamentsgetreue Erklärung die Absicht der Regierung in der Weise vereitelt hatten, dass diese willenlos der Anerkennung der deutschen Reichsverfassung sich hatte fügen müssen, entstand unter unseren im Rathhaus versammelten Politikern die Meinung, auch hier könne die Sache sich noch friedlich gestalten, wenn es möglich sei die sächsischen Truppen zu einer ähnlichen Haltung zu veranlassen, da hierdurch der König in die heilsame Nothwendigkeit versetzt sein würde, mindestens als guter Patriot der preussischen Occupation seines Landes zu widerstehen. Somit schien alles darauf anzukommen, den noch in Dresden stehenden sächsischen Truppentheilen den Begriff der entscheidenden Wichtigkeit ihrer Haltung beizubringen: da ich hierin die einzige Hoffnung auf einen ehrenvollen Frieden in dem Chaos der sinnlosesten Wirrnisse vor mir sah, gestehe ich, dass ich dieses einzige Mal mich so weit verleiten liess, eine, wenn auch durch den Erfolg gänzlich fruchtlos herausgestellte, Demonstration zu veranlassen. Ich brachte nämlich den Drucker des Röckel'schen Volksblattes, um welches es doch nun gethan war, dahin, alles was er von Typen auf die nächste Nummer desselben zu verwenden gehabt haben würde, im allergrössesten Format auf einen einzigen Streifen Papier zusammen zu fassen, auf welchem nur die Worte zu lesen sein sollten: »Seid ihr mit uns gegen fremde Truppen?« Diese Blätter wurden wirklich auf diejenigen Barrikaden, auf welche man zunächst des Angriffes gewärtig sein musste, geheftet. Sie sollten den sächsischen Truppen, falls sie zuerst zum Angriffe geführt würden, ihr Verhalten vorzeichnen. Natürlich wurden diese Plakate von Niemandem beachtet als von späteren Denuncianten. Für diesen Tag verlief im Uebrigen Alles in verwirrten Verhandlungen und wüsten Aufregungen, ohne irgend eine Klarheit in die Lage zu bringen. Die verbarrikadirte Altstadt Dresden's bot für den Beobachter genug des Interessanten, und mir, der ich nun immer verwunderungsvoll der Bewegung zu wirklichem Widerstand folgte, war es einzig zerstreuend, plötzlich Bakunin aus seinem bisher sorgsam gewahrten Versteck, im schwarzen Frack, über diese Hindernisse des Strassenverkehres daher wandeln zu sehen. Gar sehr irrte ich mich aber, da ich glaubte das von ihm Wahrgenommene müsse ihn unterhalten; er gewahrte in allen angetroffenen Vertheidigungsmaassregeln bloss die kindische Unvollkommenheit derselben, und erklärte, in dem gegenwärtigen Zustande der Dinge in Dresden für sich nur das einzige Angenehme zu erkennen, dass er sich jetzt vor der Polizei nicht mehr zu hüten habe, und ungestört an sein Weiterkommen denken könne; denn hier, so vermeinte er, sei unter so schlaffen Verhältnissen, jedenfalls keine Verlockung zur Betheiligung für ihn vorhanden. Während er sich mit der Cigarre herumtrieb, um über den naïven Stand der Dresdener Revolution sich lustig zu machen, fesselte mich der Anblick der vor dem Rathhaus, auf den Appell ihres Commandanten, im Gewehr versammelten Communal-Garde. Aus einem besonders begünstigten Corps derselben, der sogenannten Schützen-Compagnie, trat ausser Rietschel, welcher in grosser Aengstlichkeit über den Charakter der Bewegung war, auch Semper auf mich zu. Er schien anzunehmen, ich sei näher in die Vorgänge eingeweiht, und betheuerte mir, sich in einer sehr schwierigen Lage zu fühlen. Die Elite-Compagnie, zu welcher er gehöre, sei von entschiedenem demokratischen Geiste erfüllt; da er nun vermöge seiner Professur bei der Akademie der Künste eine besondre Stellung einnehme, wisse er nicht, wie er den, von ihm übrigens getheilten, Geist seiner Compagnie mit seinem Charakter als Staatsbürger in Uebereinstimmung bringen sollte. Das Wort »Staatsbürger« wirkte unwiderstehlich komisch auf mich; ich sah nur Semper scharf in die Augen und wiederholte das Wort: »Staatsbürger!« – worauf dieser, mit einem sonderbaren Lächeln erwiderte, indem er sich für diessmal ohne weitere Explikation von mir entfernte.

Des anderen Tages (Freitag den 5. Mai), wo ich mich wieder mit meiner sonderbar leidenschaftlichen Theilnahme als Beobachter der Vorgänge auf dem Rathhause einstellte, nahmen nun die Dinge eine entscheidende Wendung an. Der Rumpf der hier versammelten Vertreter des sächsischen Volkes fand es gerathen, da für Verhandlungen faktisch eine sächsische Regierung nicht mehr anzutreffen war, aus sich selbst eine provisorische Regierung zu constituiren. Professor Köchly wurde, seiner grossen rhetorischen Fähigkeiten wegen, zum Proklamator dieser Regierung bestellt; vom Balkon des Rathhauses herab vollzog er diesen feierlichen Akt, gegenüber dem auf dem Platze versammelten treu gebliebenen Reste der Communal-Garde und den nicht übermässig zahlreichen Schaaren des Volkes. Zugleich ward die deutsche Reichsverfassung als zu Recht bestehend proklamirt, und die bewaffnete Volksmacht auf dieselbe vereidigt. Ich entsinne mich, dass diess alles durchaus keine erhebende Wirkung auf mich machte; wogegen die von Neuem mir geäusserten Bedenken des immer umher schweifenden Bakunin, über die Nichtigkeit all' dieser Dinge, allmählich mir immer verständlicher wurden. Selbst von rein technischer Seite wurden diese Bedenken bestätigt, als zu meinem lächelnden Erstaunen Semper, in voller Uniform als Bürger-Schütze mit dem Bannerhute, auf dem Rathhause nach mir verlangte, und mich von der höchst fehlerhaften Construktion der Barrikade an der Wildstrufergasse und der sie flankirenden Brüdergasse in Kenntniss setzte. Um sein artistisches Gewissen als Ingenieur zu beruhigen, wies ich ihn an, in das Kabinet der für die Vertheidigung ernannten militairischen Commission einzutreten. Er folgte meiner Empfehlung wie im Gefühle einer zu erfüllenden Pflicht; vermuthlich erhielt er dort die nöthige Autorisation zur Anleitung des wichtigen Baues der Vertheidigungsarbeiten auf jenem schlecht verwahrten Punkte. Ich habe ihn seitdem in Dresden nicht wiedergesehen, muss aber annehmen, dass er mit dem künstlerischen Pflichtgefühl eines Michel Angelo oder Leonardo da Vinci den in jenem Comité ihm aufgetragenen strategischen Arbeiten als gewissenhafter Architekt nachgekommen ist.

Im Uebrigen verging dieser Tag unter fortgesetzten Verhandlungen über den Waffenstillstand, welcher bis zu dem folgenden Mittag mit dem sächsischen Commando abgeschlossen worden war; hierbei bemerkte ich die besonders laute Thätigkeit eines ehemaligen Universitätsfreundes, des damaligen Advokaten Marschall von Bieberstein, welcher in seiner Eigenschaft als höherer Officier der Dresdener Communal-Garde sich unter dem Lärm einer starken Schaar von Mit-Rednern durch gränzenlosen Eifer vortheilhaft auszeichnete. Auch wurde an diesem Tage in einem ehemaligen griechischen Obersten Heinz ein Commandant für die Dresdener Streitkräfte bestellt. Alles diess erschien jedoch Bakunin, der sich immer einmal wieder blicken liess, nicht beruhigend; während von Seiten der provisorischen Regierung Alles auf die Hoffnung gesetzt war, durch moralischen Druck den Konflikt zur friedlichen Lösung zu bringen, sah er mit klarem Blicke das Gegentheil eines wohl überlegten militairischen Angriffes von Seiten der erwarteten Preussen voraus, und meinte dass dem wiederum nur durch gute strategische Maassregeln zu begegnen sei, wesshalb er, da es dem sächsischen Aufstande an allen militairischen Capacitäten zu mangeln schien, die Acquisition einiger erfahrenen polnischen Officiere, welche sich in Dresden befanden, eindringlich anrieth. Hiervor entsetzte sich alles; dagegen schien man viel von Unterhandlungen mit der in den letzten Zügen liegenden Reichsgewalt in Frankfurt zu erwarten; Alles sollte nach dem parlamentarischen Begriff so legal wie möglich vor sich gehen. Im Uebrigen verstrich die Zeit gemüthlich; am herrlichen Frühlingsabend promenirten vornehme Damen mit ihren Kavalieren durch die verbarrikadirten Strassen; Alles schien nur ein Schauspiel zur Unterhaltung zu sein. Auch mich erfasste diesem ungewohnten Anblick gegenüber ein völliges Behagen, in welches sich die ironische Vorstellung davon mischte, dass das alles doch wohl nicht rechter Ernst sei, und schliesslich irgend eine gemüthliche Proklamation der Regierung ein Ende machen müsste. So schlenderte ich mit wohlgemuthem Zögern durch die zahlreichen Verhaue spät nach meiner fernen Wohnung zurück, und arbeitete unterwegs in mir den seit einiger Zeit mich beschäftigenden Stoff zu einem Drama »Achilleus« aus. Zu Haus traf ich meine beiden Nichten Klara und Ottilie Brockhaus, die Töchter meiner Schwester Luise, welche, seit einem Jahre bei einer Erzieherin in Dresden verweilend, durch ihren allewöchentlichen Besuch und die dabei kundgegebene gute Laune mich erfreut hatten. Hier war Alles in der behaglichsten Revolutionslaune; man sympathisirte mit den Barrikaden, und trug kein Bedenken den Vertheidigern derselben den Sieg zu wünschen. Diese Stimmung hielt unter dem Schutz des Waffenstillstandes den ganzen Freitag (5. Mai) ungetrübt an. Von allen Seiten trafen Nachrichten ein, welche an eine allgemeine Erhebung Deutschland's glauben liessen: Baden, die Pfalz, waren in offener Empörung für das Reich begriffen; von einzelnen Städten, wie Breslau, drangen ähnliche Gerüchte her; in Leipzig hatten sich Freicorps von Studenten zum Zuzug nach Dresden gebildet; diese langten unter dem Jubel der Bevölkerung an; auf dem Rathhause war ein vollständiges Vertheidigungs-Departement organisirt, in welchem sich auch der in seinen Intentionen für die Aufführung des »Lohengrin« gleich mir verunglückte jüngere Heine befand; namentlich aus dem sächsischen Erzgebirge stellten sich lebhafte Zustimmungen und Ankündigungen von wehrhaften Zuzügen ein, und so glaubte man, wenn nur die eigentliche Altstadt tüchtig mit Barrikaden besetzt blieb, dem Schicksal der fremden Occupation mit gutem Erfolge Trotz bieten zu können. – Am Sonnabend, den 6. Mai früh, sah man nun ein, dass die Sache ernster werde; die preussischen Truppen waren in der Neustadt eingerückt, und das sächsische Militär, mit welchem man den Angriff zu wagen doch nicht für räthlich gehalten hatte, ward so in strenger Fahnenpflicht erhalten. Am Mittag ging der Waffenstillstand zu Ende, und sogleich eröffneten die Truppen, von mehreren Geschützen unterstützt, den Angriff auf eine der Hauptpositionen der Volkskämpfer, am Neumarkt. Noch hatte ich keinen anderen Glauben, als dass, sobald es zum wirklichen Kampfe käme, die Sache in kürzester Frist entschieden sein würde, da weder in meiner Stimmung, noch in dem was ich sonst wahrnahm, jener leidenschaftliche Ernst sich zeigte, ohne welchen so harte Proben nie überstanden worden sind. Mir war es nun peinlich, während ich das starke Schiessen vernahm, nichts von dem Vorgange selbst wahrnehmen zu können, und ich gerieth auf den Gedanken, hierzu den Kreuzthurm zu besteigen. Ohne auch von dieser Höhe herab einen klaren Einblick gewinnen zu können, vernahm ich doch genug, um nach einer Stunde heftigen Feuerns die bis dahin immer vorgerückten Geschütze der preussischen Truppen wieder zurückgehen und endlich gänzlich verstummen zu hören, was mit einem ungeheuren Jubelgeschrei von der Volksseite her begleitet wurde: somit schien der erste Angriff abgeschlagen; und nun begann in mir die Theilnahme an den Vorgängen eine immer leidenschaftlichere Farbe anzunehmen. Um nähere Erkundigung einzuziehen, eilte ich auf das Rathhaus zurück, konnte aber zunächst aus der ungeheuren Verwirrung, welche ich vorfand, mir nichts entnehmen, bis ich endlich mitten unter der Hauptgruppe Bakunin antraf, welcher mit ungemeiner Präcision mir folgendes berichtete: – es sei von dem bedrohtesten Punkte einer Barrikade am Neumarkt der Bericht nach dem Hauptquartier gelangt, dass dort vor dem Angriffe der Truppen Alles in Auflösung begriffen sei; hierauf hatte mein Freund Marschall von Bieberstein mit Leo von Zichlinsky, einem gleich betheiligten Chargirten der Bürgerwehr, Freiwillige aufgerufen, und diese nach dem bedrohten Punkte hingeführt. Ohne alle Waffen und mit entblösstem Haupte, hatte der Freiberger Kreis-Amtmann Heubner als einziges auf dem Flecke gebliebenes Mitglied der provisorischen Regierung, deren beide andere Häupter Todt und Tschirner im ersten Schreck verschwunden waren, sich zuerst auf die bereits von allen Vertheidigern verlassene Barrikade gestellt, um, rückwärts gewandt die Freiwilligen mit erhabenen Worten zur Nachfolge anzufeuern. Der Erfolg war vollständig, die Barrikade ward wieder genommen, und von da herab ein eben so unerwartetes als energisches Feuer auf die Truppen gerichtet, wodurch der von mir wahrgenommene Rückzug derselben veranlasst worden war. Diesem Auftritte hatte Bakunin, welcher den Freiwilligen gefolgt war, in unmittelbarer Nähe beigewohnt; jetzt erklärte er mir, Heubner möge eine noch so bornirte politische Meinung haben (er gehörte der gemässigten Linken der sächsischen Kammer an), er sei ein edler Mensch, dem er sich sofort mit seinem Kopfe zur Verfügung gestellt habe. Dieses Beispiel habe er nur erleben wollen, um nun zu wissen was für ihn zu thun sei; er sei entschlossen, seinen Hals daran zu wagen, und nach nichts weiter zu fragen. Auch Heubner mochte nun die Nothwendigkeit der energischesten Maassregeln erkannt haben, und schreckte vor keinem hierauf zielenden Vorschlage Bakunin's mehr zurück. Dem Commandanten, dessen Unfähigkeit sich wohl schnell herausgestellt hatte, wurde der Kriegsrath erfahrener polnischer Officiere zur Seite gesetzt; Bakunin, der von der eigentlichen Strategie nichts zu verstehen erklärte, verliess das Rathhaus und Heubner nicht mehr, um nach jeder Seite hin mit merkwürdiger Kaltblütigkeit Rath und Auskunft zu ertheilen. Der Kampf beschränkte sich für den Rest des Tages auf Scharfschützen-Geplänkel aus den verschiedenen Positionen; mich reizte es, wieder den Kreuzthurm zu besteigen, um immer den grösst möglichen Ueberblick über die Gesamtheit der Vorgänge zu haben. Um von dem Rathhause dahin zu gelangen, war eine Strecke zu durchschreiten, welche fortgesetzt durch die Flintenkugeln der im königlichen Schloss postirten Truppen bestrichen wurde. Während diese Strecke ganz menschenleer blieb, gab ich dem übermüthigen Reize nach, sie auf meinem Weg nach dem Kreuzthurm langsamen Schrittes zu durchschreiten, wobei es mir zugleich einfiel, dass es jungen Soldaten gerathen wird bei solchen Gelegenheiten sich nie hastig zu benehmen, weil diess die Kugeln auf sich zöge. Auf meinem erhabenen Posten angelangt, traf ich dort mit Mehreren zusammen, welche theils durch gleiche Theilnahme, theils durch den Auftrag des aufständischen Commando's zum Recognosciren der feindlichen Bewegung veranlasst, sich dort eingefunden hatten. Unter ihnen machte ich die nähere Bekanntschaft mit einem Lehrer Berthold, einem ruhigen sanften, aber überzeugungsvollen, entschlossenen Menschen, mit welchem ich mich in ernsthafter philosophischer Diskussion bis in die weitesten Gebiete der Religion verlor. Zugleich war er aber mit völlig häuslicher Sorgfalt darauf bedacht, uns durch geschickte Placirung und Befestigung einer dem Thürmer abgewonnenen Strohmatratze, gegen die Spitzkugeln der preussischen Scharfschützen zu bewahren, welche, auf dem entfernteren Thurme der Frauenkirche postirt, die von uns okkupirte feindliche Höhe sich zum Zielpunkt erkoren hatten. Es war mir unmöglich, von meinem interessanten Zufluchtsorte beim Einbruche der Nacht mich nach Haus aufzumachen, und ich bestimmte daher den Thürmer, seinen Gehülfen mit einigen Zeilen an meine Frau nach Friedrichstadt abzuschicken, und zugleich mir einigen nöthigen Proviant von ihr zu erbitten. So verbrachte ich in der unmittelbaren Nähe der schrecklich dröhnenden Thurmglocke, und unter beständigem Anprallen der preussischen Kugeln gegen die Mauern des Thurmes eine der merkwürdigsten Nächte meines Lebens, abwechselnd mit Berthold Wache und Schlaf theilend. Der Sonntag (7. Mai) war einer der schönsten Tage dieses Jahres; ich wurde durch den Gesang einer Nachtigall geweckt, welcher aus dem unweiten Schütze'schen Garten zu uns herauf drang; eine selige Ruhe und Stille lag über der Stadt und der, von meinem Standpunkt aus übersehenen, weiten Umgegend Dresden's; nur gegen Sonnenaufgang senkte sich ein Nebel auf diese letztere herab: durch ihn vernahmen wir plötzlich, von der Gegend der Tharander Strasse her, die Musik der Marseillaise klar und deutlich zu uns herdringen; wie sie immer mehr sich näherte zerstreuten sich die Nebel, und hell beschien die glutroth aufgehende Sonne die blitzenden Gewehre einer langen Colonne, welche von dort her der Stadt zuzog. Es war unmöglich dem Eindrucke dieser andauernden Erscheinung zu wehren; dasjenige Element, welches ich so lange im deutschen Volke vermisst, und auf dessen Kundgebung verzichten zu müssen nicht wenig zu den bisher mich beherrschenden Stimmungen beigetragen hatte, trat plötzlich sinnfällig in lebensfrischester Farbe an mich heran; es waren diess nicht weniger als einige Tausend gut bewaffneter und organisirter Erzgebirger, meist Bergleute, welche zur Verteidigung Dresden's herangekommen waren. Bald sahen wir sie auf dem Altmarkte, dem Rathhaus gegenüber, aufmarschiren, und nach jubelnder Bewillkommung dort zur Erholung vom Marsche sich lagern. Gleiche Zuzüge setzten sich fast den ganzen Tag über fort; und der Lohn der tapferen That des vorigen Tages schien sich jetzt in erhebender Weise einstellen zu wollen. Im Angriffsplane der Truppen schien eine Veränderung eingetreten zu sein, was aus den mehrseitigen, aber nicht mehr so konzentrirten Attaken auf verschiedene Punkte zugleich sich erkennen liess. Die Zugezogenen hatten vier kleine Kanonen mitgebracht, das Eigenthum eines Herrn Thade von Burgk, welcher mir früher durch eine sehr wohlwollende, aber bis zur Lächerlichkeit langweilige Rede beim Stiftungsfest der Dresdener Liedertafel bekannt geworden war; woran es mich, da nun sein Geschütz von den Barrikaden gegen die Truppen abgefeuert wurde, sonderbar ironisch gemahnte. Einen ungleich bedeutungsvolleren Eindruck erhielt ich aber, als ich gegen eilf Uhr das alte Opernhaus, in welchem ich vor wenigen Wochen noch die letzte Aufführung der neunten Symphonie dirigirt hatte, in hellem Brand aufgehen sah. Von je, wie ich gelegentlich schon erwähnt, war die Feuergefährlichkeit dieses mit Holz und Leinwand angefüllten, seiner Zeit nur provisorisch errichteten Gebäudes, der schreckende Gegenstand der Befürchtung der Besucher gewesen. Man sagte mir, es sei, um einem gefährlichen Angriffe der Truppen von dieser blossgelegten Seite her zu begegnen, und zugleich die berühmte Semper'sche Barrikade vor einer übermächtigen Ueberrumpelung zu schützen, aus strategischen Gründen in Brand gesteckt worden: woraus ich mir entnahm, dass derlei Gründe in der Welt ein für allemal mächtiger als ästhetische Motive blieben, aus welchen seit langer Zeit vergeblich nach Abtragung dieses hässlichen, den eleganten Zwinger so arg entstellenden Gebäudes, verlangt war. Von so ungemein leicht brennbarem Stoff angefüllt, brach dieses, in seinen Dimensionen sehr imposante Haus, in kürzester Zeit in ein ungeheures Flammenmeer aus. Als dieses auch die Metalldächer der anliegenden Galerien des Zwingers erreichte, und diese in wunderbar bläulichen Flammenwellen zu wogen begannen, äusserte sich unter uns Zuschauenden das erste Bedauern über den Vorgang; man glaubte, das Naturalienkabinet sei bedroht; Andere dagegen bewiesen, es sei die Rüstkammer, wogegen ein Bürger-Schütz äusserte: in diesem Fall sei es nicht Schade wenn dort die »ausgestopften Adeligen« verbrennten. Es schien aber, dass man aus Kunsteifer dem Weitergreifen des Brandes zu wehren wusste, welcher in Wahrheit dort nur geringen Schaden angerichtet hatte. – Endlich füllte sich unser, bis dahin verhältnissmässig ziemlich ruhiges, Observations-Asyl mit immer grösseren Schaaren von Bewaffneten, welche hieher kommandirt waren, um von der Kirche aus den Zugang nach dem alten Markt, dessen Angriff von der Seite der schlecht verwahrten Kreuzgasse her man befürchtete, zu vertheidigen. Unbewaffnete hatten nun hier nichts mehr zu suchen; ausserdem war mir eine Botschaft meiner Frau zugekommen, welche nach ausgestandener schrecklicher Beängstigung mich nach Hause rief. Nur mit grosser Mühe, und unter den zeitraubendsten Schwierigkeiten, gelang es mir auf allerhand Umwegen in meine abgelegene Vorstadt, von welcher ich durch die kampferfüllten Theile der Stadt, und namentlich durch eine Kanonade vom Zwinger aus, abgeschnitten war, zurückzugelangen. Meine Wohnung war ganz erfüllt von aufgeregten Frauenzimmern, welche sich um Minna versammelt hatten, darunter die Schreck-verstörte Frau Röckel's, welche ihren Mann im dicksten Kampfe vermuthete, da sie wohl annahm, dass er auf die Nachricht des Dresdener Aufstandes hin zurück gekehrt sein möchte. Wirklich hatte ich auch gehört, dass Röckel an diesem Tage eingetroffen sei, jedoch ihn selbst noch nicht zu sehen bekommen. Ausserdem erheiterten mich wieder meine jungen Nichten, welche vor Freude über das Schiessen in die übermüthigste Laune gerathen waren, welche selbst meine Frau, nachdem ich sie über mich persönlich beruhigt hatte, einigermaassen ansteckte. Alle hatten sich über den Bildhauer Hänel geärgert, welcher durchaus das Haus immer gesperrt halten wollte, damit dort keine Revolutionäre eindrängen; über seine Furcht, namentlich vor den Sensenmännern, welche sich auf der Strasse gezeigt hatten, machten sich alle Frauenzimmer ausnahmslos lustig. So verging dieser Sonntag wie eine Art von freudigem Familienfest.

Am folgenden Morgen des Montags, 8. Mai, versuchte ich von meiner, vom Kampfplatz abgeschnittenen Wohnung aus, um Erkundigungen über den Stand der Dinge willen, nochmals bis zum Rathhause vorzudringen. Als ich hierbei über eine Barrikade bei der Annenkirche mich verfügte, rief mir ein Communal-Gardist die Worte zu: »Herr Kapellmeister, der Freude schöner Götterfunken hat gezündet, das morsche Gebäude ist in Grund und Boden verbrannt«. Offenbar war diess ein begeisterter Zuhörer der letzten Aufführung der neunten Symphonie gewesen. Auf mich wirkte dieses Pathos, welches so unerwartet mich betraf, seltsam kräftigend und befreiend. Ein wenig weiter traf ich in einsamen Gassen der Plauen'schen Vorstadt auf den Kammermusikus Hiebendahl, den jetzt noch sehr belobten ersten Oboebläser der k. Kapelle; er war in der Uniform der Communal-Garde, jedoch ohne Gewehr, und plauderte mit einem gleich ausgerüsteten Bürger. Da er meiner ansichtig wurde, glaubte er zunächst meine Intervention gegen Röckel anrufen zu müssen, welcher, von einer revolutionären Ordonanz begleitet, in diesem Quartier Haussuchung nach Gewehren anstellte. Da er sogleich meine theilnehmende Frage nach Röckel selbst vernahm, schrack er zurück, und frug mich in höchster Besorgniss: »aber, Herr Kapellmeister, denken Sie denn gar nicht an Ihre Stellung, und was Sie, wenn Sie sich so aussetzen, verlieren können?« Diese Ermahnung wirkte höchst drastisch auf mich; ich brach in ein lautes Gelächter aus, und erklärte dass es damit nicht viel auf sich habe. In der That sprach ich hiermit den Grundton meiner lange verhaltenen, und nun fast zu freudigem Ausbruch kommenden Stimmung aus. Da sah ich Röckel mit zwei Männern der Volkswehr, welche einige Gewehre trugen, auf mich zukommen. Er begrüsste mich freundlichst, wandte sich aber sofort an Hiebendahl und dessen Nachbar mit der Vermahnung: warum er denn im Bürgerwehrrock hier so herum lungere, und nicht auf seinem Posten stünde? Da Hiebendahl sich damit entschuldigte, dass man von ihm das Gewehr requirirt habe, rief ihm jener zu: »Ihr seid mir schöne Kerle!« und liess ihn lachend stehen. Er berichtete mir kurz beim Weitergehen, was sich, seit ich ihn nicht gesehen, mit ihm begeben, erliess mir den Bericht über sein Volksblatt, und wir beide wurden bald durch eine stattliche Truppe wohlbewaffneter jugendlicher Turner unterbrochen, welche so eben von aussen zugezogen kam, und den sicheren Weg nach seinem Sammelplatz geführt zu werden begehrte. Der Anblick dieser, wohl mehrere Hunderte zählenden, Schaar jugendlichster und fest daher schreitender Gestalten konnte den erhebendsten Eindruck auf mich nicht verfehlen; Röckel übernahm es, über die Barrikaden sie sicher zu dem Waffenplatze vor dem Rathhause zu begleiten. Er klagte hierbei noch über den Mangel der rechten Energie, den er bisher bei den Commandirenden angetroffen habe. Er habe vorgeschlagen, die gefährdetsten Barrikaden für den äussersten Fall durch Anzündung von Pech-Kränzen zu vertheidigen; vor dem blossen Worte sei aber die provisorische Regierung in sittlichen Schreck gerathen. – Ich liess ihn seines Weges ziehen, um als Einzelner auf kürzerem Pfade zum Rathhause zu gelangen, und habe ihn seitdem erst nach 13 Jahren wiedergesehen. Dort erfuhr ich nun von Bakunin, dass die provisorische Regierung auf seinen Rath sich entschlossen habe, die von Anfang herein gänzlich verwahrloste, und somit auf die Länge unhaltbare Position in Dresden aufzugeben, und einen bewaffneten Rückzug nach dem Erzgebirge anzutreten, wo die von allen Seiten, namentlich auch von Thüringen herbeiströmenden Zuzüge, sich in solcher Stärke zu sammeln anliessen, dass dort wohl die vortheilhafte Position zu einem, ohne Zweifel beginnenden, deutschen Volkskriege einzunehmen sein würde, während das längere Festhalten der einzelnen verbarrikadirten Strassen Dresden's dem so muthig geführten Kampfe doch nur den Charakter einer städtischen Emeute belassen würden. Ich muss gestehen, dass dieser Gedanke mir grossartig und bedeutend erschien: war bis hierher durchaus nur die Theilnahme für einen, anfangs mit fast ironischer Ungläubigkeit, dann mit Ueberraschung aufgenommenen Vorgang, angeregt gewesen, so dehnte sich jetzt bald vor meinen Blicken das bisher Unbegreifliche zu einer grossen und hoffnungsvollen Bedeutung aus. Ohne in mir den Drang, und namentlich den Beruf zu fühlen, in irgend welcher Weise mir eine Rolle oder Funktion hierbei zugetheilt zu sehen, liess ich doch nun mit vollem Bewusstsein jede Rücksicht auf meine persönliche Lage fahren, und beschloss, mich dem Strome der Ereignisse nach der Richtung zu überlassen, in welche meine Lebensstimmung mit verzweiflungsvollem Behagen mich hingetrieben hatte. Doch wollte ich meine Frau nicht hülflos in Dresden zurücklassen, und schnell erfand ich das Auskunftsmittel, um sie von dort hinweg in die von mir gewählte Richtung zu ziehen, ohne dass sie sogleich von dem Sinne dieses Entschlusses zu unterrichten war. Bei meiner eilig angetretenen Rückkehr nach der Friedrichstadt erkannte ich, dass dieser Stadttheil bereits durch die Aufstellung der preussischen Truppen fast gänzlich von der inneren Stadt abgeschnitten war; ich sah die Okkupation unserer Vorstadt und die Folgen des militairischen Belagerungszustandes in ihrer widerwärtigsten Bedeutung voraus, und hatte es leicht, Minna zu bereden, sofort durch die noch freie Tharander Strasse mit mir nach Chemnitz, zu meiner dort verheiratheten Schwester Klara gleichsam zum Besuch sich aufzumachen. Wirklich bestellte sie im Augenblick das Haus, und versprach in einer Stunde mit dem Papagei nach dem nächsten Dorfe mir nachzukommen, wohin ich mit meinem Hündchen Peps voraus ging, um dort einen Wagen zur Weiterreise nach Chemnitz zu miethen. Es war ein lachender Frühlingsvormittag, als ich zum letzten Mal die so oft auf einsamen Spaziergängen beschrittenen Pfade mit dem Bewusstsein, nie wieder sie wandeln zu werden, dahin schritt. Während die Lerchen über mir schwirrten und aus den Furchen der Felder sangen, donnerte unablässig das grosse und kleine Geschütz aus den Dresdener Strassen herüber. Das nun seit mehreren Tagen vernommene unaufhörliche Getöse dieses Schiessens, hatte sich so stark meinen Gehirnnerven eingeprägt, dass es in ähnlicher Weise lange Zeit mir nachklang, wie damals die Bewegung des Seeschiffes in London lange Zeit mich in wankendem Zustande erhalten hatte. Unter der Begleitung dieser fürchterlichen Musik rief ich der heiter daliegenden Stadt mit ihren Thürmen meinen Abschiedsgruss zu, indem ich mir lächelnd sagte, dass, wenn vor sieben Jahren auch mein Eingang recht unscheinbar stattgefunden habe, doch jetzt mein Auszug nicht ohne allerhand feierlichen Pomp vor sich ginge.

Als ich endlich mit Minna vereinigt im Einspänner mich auf dem Wege in das Erzgebirge befand, begegneten wir häufig frischen bewaffneten Zuzügen nach Dresden; ihr Anblick machte uns stets unwillkürliche Freude, und selbst meine Frau konnte sich nicht enthalten, den Leuten ermuthigend zuzusprechen: noch keine Barrikade sei verloren. Einen dumpfen Eindruck machte uns dagegen eine Compagnie Linien-Militär, welche schweigsam ihrerseits nach Dresden zog. Einige Angeredete erwiderten die Frage, wohin sie gingen, die offenbar im Voraus kommandirte trockene Antwort: ihre Pflicht zu thun. Endlich bei meinen Verwandten in Chemnitz angekommen, setzte ich alle meine Angehörigen in Schrecken, als ich ihnen erklärte, andern Tag's mit dem Frühesten sofort nach Dresden zurückkehren zu wollen, um zu erfahren wie es dort stehe. Trotz aller Gegenbitten führte ich meinen Entschluss aus, immer in der Vermuthung, dem bewaffneten Auszuge der Dresdener Volksstreit-Kräfte auf der Landstrasse zu begegnen. Je näher ich der Hauptstadt kam, desto mehr bestätigten sich jedoch die Gerüchte dass man in Dresden noch nicht an Uebergabe oder Rückzug denke, da im Gegentheil der Kampf sehr vortheilhaft für die Volksparthei stehe. Diess kam mir nun alles wirklich wie Wunder über Wunder vor; mit hochgespannter Erregung drängte ich mich an diesem Dienstag, den 9. Mai, von Neuem durch das nun immer schwieriger gewordene Terrain, auf welchem alle Strassen vermieden werden mussten, und mit Sicherheit nur durch die durchbrochenen Häuser vorwärts zu kommen war, bis zum Altstädter Rathhause vor. Es war bereits voller Abend; was ich sah, bot einen wahrhaft furchtbaren Anblick, da ich diejenigen Stadttheile durchzog, in welchen man sich auf den Kampf von Haus zu Haus vorbereitet hatte. Unaufhörliches Dröhnen des grossen und kleinen Gewehrfeuers liess alles übrige Geräusch der rastlos von Barrikade zu Barrikade, von Durchbruch zu Durchbruch sich zurufenden bewaffneten Menschen, nur wie unheimliches Gemurmel erscheinen. Pechfeuer brannten hie und da, übermüdete bleiche Gestalten lagerten auf den Wachtposten umher, strenge Anrüfe empfingen den unbewaffneten Durchdringling. Nichts je von mir Erlebtes kann ich aber dem Eindrucke vergleichen, welchen ich mit meinem Eintritt in die Räume des Rathhauses empfing. Es war ein dumpfes, und doch ziemlich geordnetes, ernsthaftes Gewühle; grösste Uebermüdung lag auf allen Gesichtern; keine Stimme hatte mehr ihren natürlichen Klang, Alles krächzte wie mit höchster Anstrengung heiser durcheinander. Den einzigen gemüthlichen Anblick boten die alten Rathsdiener in ihrer seltsamen, wohlvertrauten Uniform und dreieckigem Hut; diese sonst so gefürchteten langen Männer traf ich, theils Butterbröde schmierend, Schinken und Würste zerschneidend an, während andere in Körben die riesigen Provisionen zur Verpflegung der Barrikaden-Kämpfer an die von dort abgesandten Deputationen vertheilten. Sie waren entschieden zu den Hausmüttern der Revolution geworden. Als ich näher zuschritt, traf ich endlich auf die Glieder der provisorischen Regierung, von denen Todt und Tzchirner nach ihrer ersten Schreckensflucht wieder aufgefunden worden waren, und nun trübselig wie Schatten, an ihre schwere Verpflichtung angekettet, hin und her schwankten. Nur Heubner hatte die volle Energie bewahrt; doch war sein Anblick wahrhaft Mitleid erregend: ein geisterhaftes Feuer leuchtete aus den Augen des Mannes, über den seit sieben Nächten kein Schlaf gekommen war. Er freute sich, mich wiederzusehen, weil ihm diess ein gutes Zeichen für die von ihm vertheidigte Sache zu sein schien, während er andrerseits in Berührung mit Elementen getreten war, über die er im Drängen der Ereignisse zu keiner beruhigenden Klarheit mit sich gekommen war. Ganz ungestörte Sicherheit und feste ruhige Haltung traf ich bei Bakunin, welcher auch in seinem Aussehen nicht die mindeste Veränderung zeigte, trotzdem, wie ich nachher bestätigen hörte, auch er in der ganzen Zeit zu keinem Nachtschlaf gekommen war. Er empfing mich auf einer der Matratzen, welche im Rathhaussaale ausgebreitet lagen, mit der Cigarre im Munde, zu seiner Seite ein sehr junger Pole (Gallizier) Namens Haimberger, ein junger Violinist, welchen er mir vor einiger Zeit zur Empfehlung an Lipinsky, für Unterricht auf seinem Instrument, übergeben hatte, da er nicht wollte dass dieser ganz junge, unerfahrene Mensch, welcher mit Leidenschaft sich an ihn angeschlossen hatte, in den unmittelbaren Strudel der Ereignisse hineingezogen werde. Jetzt hatte er ihn doch freudig begrüsst, da er mit dem Gewehr im Arme sich für die Barrikade eingefunden hatte. Er hatte ihn zu sich auf das Lager niedergezogen, und gab ihm jedesmal einen starken Schlag, wenn er, von einem heftigen Kanonenschuss erschreckt, aufzuckte. »Hier bist Du nicht bei Deiner Geige«, rief er ihm zu, »wärst Du da geblieben, Musikant!« Von Bakunin erfuhr ich nun in Kürze, und mit höchster Präcision, was, seitdem ich ihn am vorigen Morgen verlassen, vorgefallen war. Der damals beschlossene Rückzug habe sich bald als unräthlich herausgestellt, weil er die an jenem Tage noch eingetroffenen zahlreichen Zuzüge entmuthigt haben würde; dagegen sei die Kampflust so gross, und die Stärke der Vertheidiger so bedeutend gewesen, dass man bis jetzt den Truppen überall erfolgreichen Widerstand habe leisten können; bei grosser Verstärkung der letzteren sei jedoch neuerdings ein kombinirter Angriff auf die starke Wildstrufer Barrikade von Wirkung gewesen; die preussischen Truppen hätten dem Kampf auf den Strassen entsagt, und dafür die Kampfweise von Haus zu Haus durch Durchbrüche der Mauern ergriffen; auf diese Weise sei vorauszusehen, dass die bisherigen Vorkehrungen der Barrikaden-Vertheidigung unnütz geworden seien, und der Feind, wenn auch langsam, doch sicher dem Sitze der provisorischen Regierung auf dem Rathhause sich nähern werde. Er habe nun vorgeschlagen, alle Pulvervorräthe in den unteren Räumen des Rathhauses zusammenbringen zu lassen, und dieses bei der Annäherung der Truppen in die Luft zu sprengen. Der Rath der Stadt, welcher während dem in einem Hinterstübchen immer noch seinen Berufsgeschäften nachging, habe auf das Energischeste hingegen remonstrirt; er, Bakunin, habe zwar auf das Bestimmteste auf der Ausführung der Maassregel bestanden, sei aber endlich dadurch überlistet worden, dass man alle Pulvervorräthe entfernt, und ausserdem Heubner für sich gewonnen habe, welchem Bakunin nichts abzuschlagen vermöge. So sei denn nun, da übrigens Alles in voller Kraft sei, der bereits für gestern beschlossene Rückzug nach dem Erzgebirge, für Morgen in der Frühe beschlossen, und der junge Zichlinsky habe bereits die Ordre, die Strasse nach Plauen zu strategischer Sicherheit zu decken. Ich erkundigte mich nach Röckel; Bakunin erwiderte kurz: man habe ihn seit gestern Abend nicht wieder gesehen, er werde sich haben fangen lassen; er sei nervös gewesen. Ich berichtete nun, was ich auf meinem Hin- und Herwege von Chemnitz wahrgenommen, nämlich die starken Massen von Zuzügen, worunter die Chemnitzer Communal-Garde mit mehreren Tausenden sich befand. In Freiberg sei ich auf einen Zug von 400 Militär-Reservisten gestossen, welche in vortrefflichster Haltung den Volkskämpfern zu Hülfe zogen, jedoch vor Uebermüdung vom Marschiren nicht weiter gekommen seien. Es schien auf der Hand zu liegen, dass es hier an der nöthigen Energie zur Requisition von Fuhrwerk fehlte, und dass, wenn man hierin die Grenzen der loyalen Rücksichten überschritt, der Vereinigung frischer Streitkräfte sehr förderlich zu helfen sei. Man bat mich, sogleich den Weg wieder zurück zu machen, um den mir bekannt gewordenen Leuten diese Meinung von Seiten der provisorischen Regierung zu überbringen. Sogleich meldete sich mein alter Freund Marschall von Bieberstein, mich hierzu zu begleiten, was mir, da er als ein Chargirter der provisorischen Regierung zur Ueberbringung von Befehlen derselben bei weitem geeigneter war als ich, sehr recht war. Der bis dahin übereifrige Mensch, der ebenfalls von gänzlicher Schlaflosigkeit erschöpft war, und kein lautes Wort aus seiner heiseren Kehle mehr hervorbringen konnte, machte sich nun mit mir vom Rathhaus aus durch all' die bezeichneten schwierigen Wege zu seiner Wohnung in der Plauen'schen Vorstadt auf, um dort in der Nacht bei einem ihm bekannten Kutscher noch einen Wagen für unsre Absicht aufzutreiben, und zugleich auch von seiner Familie, von der er wohl auf länger sich trennen zu sollen voraussetzen musste, Abschied zu nehmen. Während wir auf den Kutscher warteten, nahmen wir, unter ziemlich ruhiger und gefasster Unterhaltung, mit den Frauen des Hauses unsren Thee mit Abendbrot zu uns. Nach mancherlei Abenteuern gelangten wir am frühen Morgen nach Freiberg, wo ich mich alsbald aufmachte, die zuvor mir bekannt gewordenen Führer des Reservisten-Zuzuges aufzusuchen. Marschall empfahl ihnen Wagen und Pferde auf den Dörfern zu requiriren wo sie nur könnten; als alles sich in Marsch nach Dresden gesetzt hatte, und ich immer wieder von der leidenschaftlichsten Theilnahme an den dortigen Vorgängen zu einer abermaligen Rückkehr eben dahin gedrängt wurde, begehrte Marschall, seine Aufträge noch weiter in das Land hin auszuführen und sich von mir trennen zu dürfen. In einem Extra-Postwagen wendete ich mich nochmals von den Anhöhen des Erzgebirges der Gegend von Tharand zu, als auch mich die Schlafsucht überwältigte, bis ich von heftigem Schreien und Parlamentiren mit dem Postillon geweckt wurde. Ich fand, da ich die Augen öffnete, zu meiner Ueberraschung die Strasse mit bewaffneten Freischärlern erfüllt, welche aber nicht nach, sondern von Dresden her zogen, und davon Einige den Wagen für ihre eigene Ermüdung zur Umkehr zu benutzen suchten. »Was ist?« rief ich, »wo zieht Ihr hin?« »Nach Haus«, war die Antwort, »in Dresden ist's aus! Dort unten in dem Wagen kommt auch die provisorische Regierung nach«. Wie ein Pfeil schoss ich aus dem Wagen, den ich nun den Ermüdeten nach Belieben überliess, und eilte vorwärts, die steil ab sich biegende Strasse dahin, um dem verhängnissvollen provisorischen Regierungsgefährte zu begegnen. Wirklich traf ich in diesem, langsam bergauf sich bewegenden Fuhrwerke, einer eleganten Dresdner Lohnkutsche, Heubner, Bakunin, und den energischen Post-Sekretair Martin an, beide letztere mit Flinten bewaffnet; auf dem Bock hatte vermuthlich das Sekretariat Platz genommen; hinten auf strebte, was von der ermüdeten Volkswehr nur konnte, sich ebenfalls zu setzen. Da ich mich nun eiligst ebenfalls in den Wagen hinein schwang, ward ich vor Allem Zeuge einer wunderlichen Unterhandlung des Wagenbesitzers und Lohnkutschers mit der provisorischen Regierung. Der Mann bat flehentlichst, doch nur seinen Wagen, welcher auf ganz zarten Federn ruhe, und keineswegs solche Last zu tragen im Stande sei, zu schonen, und den vielen Menschen zu sagen, dass sie sich nicht hinten und vorne aufsetzen sollten. Bakunin zog dagegen vor, ungestört mir einen kurzen Bericht über den ohne allen Verlust geglückten Rückzug aus Dresden abzustatten. Er habe noch in der Frühe die Bäume der neugepflanzten Maximilians-Allee fällen lassen, um durch diese Verhaue sich gegen einen Flanken-Angriff der Cavallerie sicher zu stellen. Hierbei habe ihn besonders der Jammer der Bewohner dieser Promenade unterhalten, welche laut nur um die » scheenen Beeme« geklagt hätten. Während dem wurde nun aber der Jammer unsres Fuhrhalters um seinen Wagen immer zudringlicher; er brach in lautes Schluchzen und Weinen aus: Bakunin beobachtete ihn mit wahrer Befriedigung, ohne ihn eines Wortes zu würdigen, und rief nur: »die Thränen eines Philisters sind Nektar für die Götter«. Nur Heubner und mir selbst wurde die Scene lästig; er frug, ob wir denn nicht wenigstens aussteigen sollten, da er diess den andern nicht zumuthen wollte. Wirklich zeigte es sich, dass das Verlassen des Wagens jetzt überhaupt räthlich war, da rings an der Chaussée die von Neuem zuziehenden Freischaaren sich zur Begrüssung der provisorischen Regierung und zum Empfang ihrer Befehle in Reih' und Glied aufgestellt hatten. Heubner schritt nun mit grosser Würde die Reihen entlang, theilte den Führern den Stand der Dinge mit, und forderte sie auf, der Gerechtigkeit der Sache, für die so Viele nun schon ihr Blut vergossen, ferner zu vertrauen; Alles möge sich jetzt auf Freiberg zurückziehen, um dort die weiteren Verfügungen zu erfahren. Bei dieser Gelegenheit trat ein gewisser Menzdorff, deutschkatholischer Prediger, ein ernster jüngerer Mann, den ich bereits in Dresden vortheilhaft kennen gelernt, und der mich bei einem bedeutenden Gespräche zum ersten Male auf die Lektüre Feuerbach's verwiesen hatte, aus dem Gliede der Freischaar hervor, um sich besonders dem Schutze der provisorischen Regierung anzuempfehlen: er sei von dem Commando der Chemnitzer Communal-Garde, deren bewaffneten Auszug nach Dresden er durch eine von ihm geleitete Volksdemonstration erzwungen habe, auf diesem jetzt von jenem Bürgerwehrcorps angetretenen Marsche unter schlechtester Behandlung als Gefangener mitgeschleppt worden, und verdanke seine Befreiung eben nur dem Zusammentreffen mit anderen, besser gesinnten Frei-Corps. Diese Chemnitzer Communal-Garde gewahrten wir nun ebenfalls in weiter Entfernung auf einer Anhöhe aufgestellt. Abgeordnete derselben kamen heran, und begehrten von Heubner Aufschluss über den Stand der Dinge; hierüber, und über die Vornahme, den Kampf in entscheidender Weise fortzusetzen, unterrichtet, luden sie die provisorische Regierung ein, ihren Sitz in Chemnitz aufzuschlagen. Als sie zu ihrem Truppen-Körper zurück gekehrt waren, sahen wir diesen sofort abschwenken und umkehren. Mit allerlei ähnlichen Unterbrechungen gelangte der ziemlich confuse Zug nach Freiberg, in dessen Strassen Freunde Heubner's diesem entgegen kamen, um ihn dringend aufzufordern, über ihre Vaterstadt nicht das Unglück eines verzweiflungsvollen Strassenkampfes durch Festsetzung der provisorischen Regierung daselbst zu bringen; dieser schwieg dazu, und bat Bakunin und mich, ihm in seine Wohnung zu einer Berathung zu folgen. Dort wohnten wir zunächst seinem schmerzlichen Wiedersehen seiner Frau bei, welche er mit wenigen Worten auf den Ernst und die Bedeutung der ihm zugetheilten Aufgabe hinwies: es gelte Deutschland und seiner edlen Zukunft, für welche er sein Leben eingesetzt habe. Ein Frühstück ward bereitet, und nachdem man sich zunächst in ziemlich guter Laune gestärkt, hielt nun Heubner eine kurze ruhige, aber feste Anrede an Bakunin, welchen er vorher nur so oberflächlich kennen gelernt hatte, dass er nicht einmal seinen Namen richtig auszusprechen wusste: »lieber Bukanin«, sprach er zu ihm, »ehe wir jetzt weiteres beschliessen, muss ich von Dir eine Erklärung darüber haben, ob Dein politisches Ziel wirklich die rothe Republik ist, von welcher man mir gesagt hat, dass Du ihr Parteigänger seist: erkläre Dich mir offen, damit ich weiss, ob ich ferner Deiner Freundschaft vertrauen darf?« Unumwunden erklärte ihm Bakunin, dass er kein Schema für irgend welche politische Regierungsform habe, und weder für das Eine noch das Andre sein Leben daran setze. Was seine weit reichenden Wünsche und Hoffnungen betreffe, so hätten diese mit dem Strassenkampf in Dresden, und Allem, was sich für Deutschland daran knüpfen könnte, nichts eigentlich zu thun. Er habe den Dresdener Aufstand so lange für eine thörige und zu bespöttelnde Bewegung angesehen, bis er die Wirkung des edlen und muthigen Beispiels Heubner's wahrgenommen habe. Von da ab sei jede politische Rücksicht und Absicht in ihm gegen die Theilnahme an dieser begeisterten Haltung zurückgetreten, und er habe sofort den Entschluss gefasst, als ergebener thatkräftiger Freund dem trefflichen Manne zur Seite zu stehen, von dem er wohl gewusst habe, dass er zur sogenannten gemässigten Partei gehöre, deren politische Zukunft er nicht zu beurtheilen vermöge, da er sich über den Stand der politischen Parteien in Deutschland wenig zu unterrichten Gelegenheit genommen habe. – Hierdurch erklärte sich Heubner befriedigt, und frug jetzt nur nach Bakunin's Meinung über den jetzigen Stand der Dinge: ob es nicht gewissenhaft und redlich sei, die Leute zu entlassen, und einen doch wohl hoffnungslosen Kampf aufzugeben. Hiergegen erklärte nun Bakunin mit seiner gewohnten Ruhe und Sicherheit, dass den Kampf aufgeben dürfe wer wolle, nur er, Heubner, nicht. Er, als erstes Mitglied der provisorischen Regierung, habe zu den Waffen gerufen, seinem Rufe sei man gefolgt; hunderte von Leben seien geopfert: die Leute jetzt wieder auseinander zu schicken, heisse so viel, als ob man diese Opfer einem eitlen Wahne gebracht habe, und wenn sie Beide allein übrig blieben, so hätten sie ihren Platz nicht zu verlassen; ihr Leben hätten sie verwirkt im Falle des Erliegens, ihre Ehre müsse aber unangetastet bleiben, damit in Zukunft nicht alle Welt einem gleichen Aufruf gegenüber in Verzweifelung gerathe. – Diess bestimmte Heubner; er verfasste sofort den Aufruf zu den Wahlen einer constituirenden Versammlung für Sachsen, welche er nach Chemnitz berief. Er nahm an, dass er dort, sowohl durch die Bevölkerung, als die von überall her noch angemeldeten zahlreichen Volks-Kämpferschaaren unterstützt, das Centrum einer provisorischen Regierung bis zur Klärung der allgemeinen Lage Deutschlands, aufrecht erhalten können würde. – Unter diesen Berathungen trat Stephan Born, ein Typograph, welcher zu Heubner's grösster Beruhigung während der drei letzten Dresdener Tage das Ober-Kommando übernommen hatte, in das Zimmer, um anzumelden, dass er den Rückzug der Bewaffneten in guter Ordnung und ohne irgend welchen Verlust zu erleiden, wirklich bis Freiberg geleitet habe. Der junge einfache Mann machte, namentlich durch die Wirkung dieser Meldung, einen sehr erhebenden Eindruck auf uns; nur auf die Frage Heubner's, ob er es übernehmen werde, Freiberg gegen einen nun baldigst zu erwartenden Angriff der Truppen zu vertheidigen, erklärte dieser, er sei nicht Militair und verstehe nichts von Strategie; diess könne nur ein gewiegter Offizier übernehmen. Unter solchen Umständen schien es besser, schon um Zeit zu gewinnen, nach dem volksreicheren Chemnitz sich zurückzuziehen; zunächst aber schien es erforderlich, vor Allem für die Verpflegung der nun in grossen Haufen zu Freiberg versammelten Freischaaren zu sorgen. Born entfernte sich sofort, um die ersten Maassregeln hierfür zu treffen. Heubner verabschiedete sich ebenfalls, um eine Stunde seine müden Geister durch Schlaf zu kräftigen. Ich blieb mit Bakunin allein auf dem Sopha zurück; dieser sank bald, von unabweisbarem Schlaf überwältigt, zur Seite, und kam dabei mit der furchtbaren Wucht seines Kopfes auf meine Schulter. Da ich bemerkte, dass es ihn nicht erwecken würde, wenn ich mich von dieser Last befreite, schob ich ihn mit Mühe zur Seite, und entfernte mich von dem Schlafenden sofort aus dem Heubner'schen Hause, um, wie ich es nun so viele Tage schon gethan hatte, mit Eifer von der Physiognomie der unerhörten Vorgänge mich zu überzeugen. So gelangte ich nach dem Rathhaus, vor welchem und in welchem die tobende Masse der leidenschaftlich aufgeregten Freischärler von der Bürgerschaft nach Kräften bewirthet wurde. Zu meinem Erstaunen traf ich auch Heubner, welchen ich noch zu Hause im Schlaf wähnte, bereits in voller Thätigkeit hier wieder an. Es hatte ihn nicht ruhen lassen, die Leute auch nur eine Stunde ohne Rath zu wissen. Sogleich war unter seiner Anleitung eine Art Commandatur-Bureau organisirt worden, und nun hatte er von Neuem wieder auszufertigen und zu signiren, während von allen Seiten ein tobender Lärm ihn umdrängte. Nicht lange dauerte es, so stellte sich auch Bakunin ein: er drang hauptsächlich auf einen guten Offizier; der war aber nicht zu finden: ein leidenschaftlicher älterer Mann, welcher als Commandant eines bedeutenden Zuzuges aus dem Vogtlande hergekommen war, fiel durch seine energischen Reden Bakunin ermuthigend auf; er wünschte, dass dieser sogleich zum Generalcommandanten erwählt würde. Doch schien jetzt in dem leidenschaftlichen Durcheinander jeder ordentliche Entschluss unmöglich; erst in Chemnitz hoffte man dieser wilden Bewegung Herr zu werden, und Heubner befahl daher, sobald Alles gestärkt sei, den Weitermarsch nach Chemnitz alsbald in Ausführung zu bringen. Da diess entschieden war, und ich selbst aus diesem Chaos mich hinweg sehnte, erklärte ich den Freunden, sofort den Zügen nach Chemnitz, wo ich sie morgen wiedertreffen würde, vorauszureisen. Wirklich traf ich den Postwagen, dessen Abfahrt für diese Stunde bestimmt war, noch an, und erhielt einen Platz in ihm. Da sich soeben die Freischaaren auf der gleichen Strasse zum Abmarsch in Bewegung setzten, erklärte man jedoch erst den Vorüberzug derselben abwarten zu müssen, um mit der Diligence nicht in den Strudel hineingerissen zu werden. Diess verzögerte sich nun sehr. Ich sah lange Zeit der merkwürdigen Haltung der ausziehenden Freischaaren zu: namentlich fiel mir eine Vogtländische Truppe auf, welche ziemlich pedantisch dahin marschirte; sie folgte dem Schlage eines Tambour's, welcher in kunstvoller Weise die Monotonie seines Instrumentes dadurch zu variiren suchte, dass er abwechselnd auf den Holzrand der Trommel schlug. Der unangenehm klappernde Ton hiervon gemahnte mich in gespenstischer Weise an das Knochen-Geklapper von Todten-Gerippen beim nächtlichen Tanz um den Rabenstein, wie ihn Berlioz im letzten Satze seiner »Sinfonie fantastique«, mit so schrecklicher Realität in Paris meiner Phantasie vorgeführt hatte. – Plötzlich kam mir der Wunsch an, noch einmal nach den hinterlassenen Freunden zu sehen, und wo möglich mit ihnen gemeinschaftlich nach Chemnitz zu reisen; ich fand sie nicht mehr auf dem Rathhause: in Heubner's Wohnung angelangt, erfuhr ich, dieser schlafe. Ich kehrte nach der Post zurück; immer noch zögerte die Diligence mit der Abfahrt, noch war die Strasse mit Freischaaren gefüllt: beklommen ging ich längere Zeit auf und ab; da ich endlich an die Postfahrt meinen Glauben verlor, kehrte ich nochmals nach Heubner's Hause zurück, um mich diesem bestimmt als Reisegefährten anzubieten. Heubner und Bakunin hatten aber bereits Abschied vom Hause genommen, und waren von mir nicht zu erfragen. Nun wandte ich mich verzweiflungsvoll nochmals zur Post zurück, und fand jetzt allerdings den Wagen zur Abfahrt bereit. Mit diesem gelangte ich nach mancherlei aufhaltenden Abenteuern in später Nacht nach Chemnitz, stieg dort aus, und begab mich in den nächstliegenden Gasthof, wo ich wenige Stunden schlief, um des andren Morgens um fünf Uhr mich nach der ungefähr eine Viertelstunde von der Stadt abgelegenen Wohnung meines Schwagers Wolfram zu verfügen. Unterwegs frug ich einen Communal-Wachtposten, ob er etwas vom Eintreffen der provisorischen Regierung wisse; »provisorische Regierung?« war die Antwort: »na, damit ist es auch aus!« Ich verstand ihn nicht, und konnte auch, als ich zu meinen Verwandten gelangte, zunächst nichts weiteres über den Stand der Dinge in Chemnitz erfahren, da mein Schwager selbst als Schutzmann nach der Stadt kommandirt war. Erst als dieser am späteren Vormittag nach Hause zurückkehrte, erfuhr ich, was, während ich im Chemnitzer Gasthofe einige Stunden geruht hatte, in einem andren Hôtel daselbst sich zugetragen hatte. Heubner, Bakunin und jener schon erwähnte Martin, waren, wie es scheint noch vor mir, in einem Privatwagen an das Thor von Chemnitz gelangt; dort nach ihren Namen befragt, hatte Heubner mit voller Autorität sich genannt, und die Behörden des Ortes zu sich in das von ihm angegebene Hôtel beschieden. Dort angelangt, waren alle drei von übermässiger Müdigkeit zusammengebrochen, als plötzlich Gendarmerie in ihre Zimmer trat und sie im Namen der k. Kreis-Regierung verhaftete. Sie baten zunächst nur um einige Stunden ruhigen Schlafes: man möge sich versichert halten, dass in dem Zustand, in welchem sie seien, an keine Flucht gedacht werden könnte. Des weiteren erfuhr ich, dass sie am Morgen unter starker Militair-Escorte nach Altenburg abgeführt worden seien; leider, so musste mein Schwager mir bekennen, habe das Commando der Chemnitzer Communal-Garde, welches sehr wider Willen zum Abzug nach Dresden gezwungen worden sei, und sich bereits mit dem Vorsatz, bei ihrer Ankunft daselbst sofort den k. Truppen sich zur Disposition zu stellen, den Marsch angetreten habe, Heubner durch seine Einladung nach Chemnitz getäuscht und in die Falle gebracht. Lange vor diesem sei jenes in Chemnitz angelangt gewesen, und habe die Wache am Thore wieder in der Absicht besetzt, sofort von Heubner's Ankunft zu erfahren, um seine Verhaftung ausführen zu können. Auch für mich war mein Schwager in grosser Angst, da er von den Hauptleuten der Communal-Garde in wüthender Weise vernommen, dass man mich mit jenen Revolutionären zusammen und in Gemeinschaft gesehen habe. Jedenfalls sei es ein wunderbares Schicksalszeichen gewesen, dass ich nicht gemeinsam mit Jenen auch in Chemnitz angekommen und den gleichen Gasthof bezogen hätte, weil sonst ich unerlässlich nun ihr Schicksal getheilt haben würde. Wie ein Blitz zog es mir durch die Seele, auf welch' sonderbare Weise ich schon einmal als Student vor den voraussichtlichen Niederlagen in den mit den erfahrensten Raufdegen engagirten Duellen bewahrt worden war. Das letzte furchtbare Ereigniss machte den Eindruck auf mich, dass ich nun kein Wort mehr über Alles, was mit den Vorgängen zusammenhing, über meine Lippen brachte. Auf das Andringen, namentlich meiner Frau, welche nun für meine eigene Sicherheit in die grösste Sorge gerieth, übernahm es mein Schwager, mich des Nachts in seinem Wagen nach Altenburg zu begleiten, von wo ich mit dem Postwagen alsbald die Reise nach Weimar fortsetzte, wohin mein eigentlicher Kapellmeister-Urlaub mich zu führen gehabt hätte, und wo ich nun allerdings auf sonderbaren und unvorhergesehenen Abwegen anlangte. –

Den Zustand von träumerischer Entrücktheit, in welchem ich mich damals befand, kann ich nicht besser als dadurch bezeichnen, dass ich bei diesem erneueten Zusammentreffen mit Liszt sogleich auf die, ihm in meinem Betreff einzig nahe liegend scheinenden Beziehungen, auf die bevorstehende Wiederaufführung des »Tannhäusers« in Weimar, einzugehen den Anschein hatte. Es fiel schwer, den Freund damit vertraut zu machen, dass ich in nicht ganz regelmässiger Weise als königlicher Kapellmeister mich aus Dresden entfernt hatte. In Wahrheit hatte ich über mein Verhältniss zur öffentlichen Gerechtigkeit meines engeren Vaterlandes einen sehr unklaren Begriff. Hatte ich etwas nach den Gesetzen strafbares begangen, oder nicht? Mir war es unmöglich darüber zu einer festen Ansicht zu gelangen. Unterdessen trafen aber immer neue Schreckensnachrichten über den grauenhaften Zustand der Dresdener Vorgänge auch in Weimar ein; namentlich der Regisseur Genast regte Alles durch die von ihm verbreiteten Nachrichten über den mordbrennerischen Charakter der dort bewährten Thätigkeit Röckel's, welcher in Weimar sehr bekannt war, auf. Aus meinen unverhohlenen persönlichen Aeusserungen durfte Liszt bald ersehen, dass auch ich mit diesen erschreckenden Ereignissen in einem bedenklichen Zusammenhange stand; ihn beirrte jedoch eine Zeit lang meine Haltung in diesem Betreff, da es mir aus ganz andren Gründen, als den Gerichten sie einleuchtend gewesen sein würden, nicht beikommen konnte, mich für einen Kämpfer in den vorgefallenen Schlachten auszugeben. Mein Freund blieb demnach in einer von mir unabsichtlich aufrecht erhaltenen Täuschung. Bei Frau Caroline, Fürstin v. Wittgenstein, welche ich schon im vergangenen Jahre bei ihrem flüchtigen Besuche Dresden's kennen gelernt hatte, vermochten wir uns mit Aufregung über allerhand künstlerische Probleme zu unterhalten. So entspann sich eines Nachmittags eine lebhafte Diskussion über meinen mündlich mitgetheilten Entwurf zu einer Tragödie »Jesus von Nazareth«, nach dessen Mittheilung Liszt ein bedenkliches Schweigen beobachtete, die Fürstin v. Wittgenstein jedoch lebhaft gegen das Vorhaben, einen solchen Stoff auf das Theater zu bringen, sich ereiferte. An dem wenigen Ernst, meine in diesem Betreff aufgestellten paradoxen Thesen fest zu halten, merkte ich selbst, wie um diese Zeit es innerlich mit mir stand; ich war und blieb, ohne dass man mir es deutlich anmerkte, von den erlebten Ereignissen bis auf den tiefsten Grund meines Wesens erschüttert. So kam es zu einer Orchester-Probe des »Tannhäuser«, welche mich wiederum künstlerisch mannigfaltig anregte. Liszt's Direktion, wenn sie auch mehr dem musikalischen als dem dramatischen Theile galt, erfüllte mich zum ersten Male mit der schmeichelhaften Wärme des Gefühles, von einem Anderen begriffen und innig mitgefühlt zu sein. Zugleich machte ich hier, trotz meines träumerischen Zustandes, entscheidende Beobachtungen über den Stand der Befähigung unserer Opernsänger und der sie leitenden Regie. Nach dieser Probe folgte ich mit dem Musikdirektor Stöhr und dem Sänger Götze der Einladung Liszt's zu einem einfachen Diner in einem andren, als in dem von ihm bewohnten Gasthof, und hatte in Folge dessen über einen bis dahin mir gänzlich unbekannten Zug aus Liszt's Temperament mich zu erschrecken. In Folge besondrer Anregungen gerieth er, der sonst so harmonisch sicher sich gebende, in eine wahrhaft erschreckende Stimmung, in welcher er gegen dieselbe Welt, gegen die auch ich mich in vollster Empörung befand, mit fast zähneknirschender Wuth sich ereiferte. Sehr tief von diesem wunderbaren Contakt mit dem ausserordentlichen Manne ergriffen, doch unfähig dem eigentlichen Zusammenhange seiner grauenhaften Kundgebungen zu folgen, verblieb ich im tiefsten Erstaunen, während Liszt von einem heftigen Nervenanfall im Laufe der darauf folgenden Nacht sich zu erholen hatte. Sehr erstaunt war ich nun wiederum, als ich des andern Morgens in erster Frühe den Freund vollkommen gerüstet fand, eine, in mir unklaren Beziehungen für nöthig gehaltene Reise, nach Karlsruhe anzutreten, auf welcher ihn bis Eisenach zu begleiten ich, mit dem Musikdirektor Stöhr, von ihm eingeladen war. Auf der Fahrt nach Eisenach wurden wir vom Kammerherrn Beaulieu angehalten, welcher wissen wollte, ob ich bereit sei von der Frau Grossherzogin von Weimar, einer Schwester des Kaiser's Nikolaus im Eisenacher Schlosse empfangen zu werden; da meine Einrede wegen unziemlicher Reisekleidung nicht gelten gelassen wurde, sagte Liszt in meinem Namen zu. Wirklich ward ich am Abend von der Grossherzogin, welche sich auf das Freundlichste mit mir unterhielt, und ihrem Kammerherrn mich zu gebührender Achtung empfahl, in überraschend wohlwollender Weise aufgenommen. Liszt behauptete späterhin, seine hohe Gönnerin habe bereits Nachricht davon gehabt, dass ich in den nächsten Tagen von Dresden aus verfolgt werden würde, und desswegen damit geeilt, eben jetzt noch meine persönliche Bekanntschaft zu machen, weil sie wusste, dass sie in wenig Tagen sich damit stark kompromittirt haben würde. – Liszt, der von Eisenach weiter gereist war, überliess mich Stöhr und dem Eisenacher Musikdirektor Kühmstedt, einem eifrigen und gewiegten Contrapunktisten, zur weiteren Unterhaltung und Verpflegung. Mit diesem besuchte ich zum ersten Mal das damals noch nicht restaurirte Schloss der Wartburg. Seltsame Gedanken über mein Schicksal stiegen mir bei diesem Besuch auf; nun zum ersten Mal sollte ich diess mir so innig bedeutungsvolle Gebäude wirklich betreten, wo ich zugleich mir sagen musste, dass die Tage meines ferneren Verbleibens in Deutschland gezählt waren. Wirklich trafen, als wir anderen Tages nach Weimar zurückkehrten, die bedenklichsten Nachrichten aus Dresden ein. Da am dritten Tage Liszt wieder zurückkehrte, fand er einen Brief meiner Frau vor, welche nicht mehr direkt an mich zu schreiben gewagt hatte; sie meldete, dass eine polizeiliche Haussuchung in meiner Dresdener Wohnung, wohin Minna seither zurückgekehrt war, stattgefunden hatte, und ausserdem die Warnung ihr zugekommen war, mich ja nicht etwa zur Rückkehr nach Dresden zu veranlassen, da der Verhaftsbefehl gegen mich ertheilt sei, und ich alsbald steckbrieflich verfolgt werden würde. Liszt, von jetzt an nur von Sorge für meine Person erfüllt, berief alsbald einen Rath erfahrener Freunde, um zu überlegen, was mit mir zu thun sei, um der mir drohenden Gefahr mich zu entziehen. Der Minister von Watzdorf, welchen ich bereits besucht hatte, war der Meinung gewesen, ich solle mich im Fall einer Requisition ruhig nach Dresden, wohin man mich sehr anständig in einem besondren Wagen bringen werde, abführen lassen. Andrerseits waren aber die zu uns gelangten Gerüchte über das rohe Verfahren, mit welchem die preussischen Truppen in Dresden bei der Ausführung des Belagerungszustandes zu Werke gingen, so beängstigender Natur, dass von Liszt und seinen zu Rath gezogenen Freunden auf meine schnelle Entfernung von Weimar, wo man mich nicht zu schützen vermögen würde, gedrungen wurde. Ich bestand jedoch darauf, bevor ich Deutschland verliesse, von meiner so sehr geängstigten Frau noch Abschied zu nehmen, und desshalb mich noch einige Zeit wenigstens in der Nähe von Weimar verhalten zu dürfen. Hierauf ward Rücksicht genommen, und Professor Siebert schlug einen gut gesinnten Oekonomen in dem drei Stunden entfernten Magdala zu meiner einstweiligen Beherbergung vor. Dahin fuhr ich nun am nächsten Morgen ab, um, durch einen Brief Siebert's empfohlen, dem schutzfreundlichen Oekonomen mich als Professor Werder vorzustellen, welcher, aus Berlin kommend, seine kameralistischen Studien durch einen Besuch auf den dort verwalteten Gütern praktisch zu verwerthen suchen wollte. Hier in ländlicher Stille verweilte ich drei Tage, genoss auch der sonderbaren Unterhaltung einer dort abgehaltenen Volksversammlung, welche von Resten der zum Zuzug nach Dresden ausgezogenen, und nun zersprengt zurückkehrenden Freischaaren, veranstaltet wurde. Ich hörte bei dieser Gelegenheit mit sonderbaren, wohl an das Lächerliche streifenden Gefühlen, den allerhand vorkommenden Reden zu. Am zweiten Tage meines dortigen Aufenthaltes kehrte die Frau meines Wirthes vom Markttage in Weimar zurück, und berichtete den merkwürdigen Fall, dass der Componist einer Oper, welche man am selben Tage dort aufführe, plötzlich Weimar habe verlassen müssen, weil die steckbriefliche Verfolgung aus Dresden gegen ihn dort eingetroffen sei. Mein durch Professor Siebert in das Geheimniss gezogener Wirth frug launig, wie er denn heisse? Da die Frau nicht recht Bescheid wusste, half er ihr mit dem in Weimar bekannten Namen des Musikdirektors Röckel nach; »ja«, sagte sie, » Röckel, so hiess er, ganz richtig«. Nun lachte mein Wirth hell auf, und meinte, der werde wohl nicht so dumm sein, trotz seiner Oper sich erwischen zu lassen. – Endlich am 22. Mai, meinem Geburtstage, traf Minna wirklich in Magdala ein. Sie hatte sich auf meinen Brief schleunigst nach Weimar, und, von dort angewiesen, weiter zu mir begeben, um eben nur Alles anzuwenden, mich zur schnellsten gänzlichen Flucht aus Deutschland zu bewegen. Kein Versuch, sie auf die Höhe meiner Stimmung zu bringen, glückte mir; sie blieb dabei, in mir nur einen übel berathenen, unbesonnenen Menschen zu ersehen, der sich und sie in die schrecklichste Lage gestürzt habe. Es war verabredet worden, dass ich, während sie über Weimar gleichzeitig sich dahin begebe, von Magdala aus auf Fusspfaden anderen Abends in Jena eintreffen sollte, wo ich, im Hause des Professor Wolff, sie zu einem letzten Abschied wiedertreffen werde. Diese etwa sechsstündige Wanderung trat ich denn an, und gelangte über eine Hochebene, mit Sonnenuntergang in das jetzt zum ersten Mal mir sich freundlich aufthuende Universitätsstädtchen. Wirklich traf ich im Hause des mir bereits durch Liszt befreundeten Wolff meine Frau wieder an. Abermals ward, unter besonderer Mitwirkung eines Professors Widmann, dort Rath über mein weiteres Fortkommen gehalten; von Dresden aus war ich wirklich, wegen dringenden Verdachtes der Betheiligung am Dresdener Aufstande, steckbrieflich verfolgt, und durfte somit in keinem der deutschen Bundesstaaten auf sichere Zuflucht mehr rechnen. Liszt's Weisung ging durchaus auf Paris, wo ich ein Feld neuer Thätigkeit mir gewinnen könnte; Widmann rieth jedoch, hierzu nicht den geraden Weg über Frankfurt und Baden einzuschlagen, weil dort der Aufstand noch im Gange sei, und dahin reisende, verdächtig legitimirte Individuen jedenfalls von der Polizei mit vorzüglicher Wachsamkeit in das Auge gefasst würden; am sichersten sei es durch Bayern, welches jetzt ganz ruhig sei, zunächst die Schweiz zu gewinnen, von wo aus meine Reise nach Paris ohne jede Gefahr zu bewerkstelligen sein würde. Da ich hierzu eines Passes bedurfte, bot mir Professor Widmann seinen eigenen, in Tübingen ausgestellten, bereits aber abgelaufenen, an. Ich reiste nun mit dem Postwagen ab, nachdem ich unter dem Abschied von meiner ganz verzweiflungsvollen Frau wahrhaft und schmerzlich gelitten hatte. Ohne weitere Anfechtungen gelangte ich, unter andrem auch an Rudolstadt, dem für mich nicht erinnerungslosen Orte, vorbei, an die Grenze Bayerns, von wo ich nun mit dem Postwagen ohne Unterbrechung, meine Reise nach Lindau fortsetzte. Dort wurde mir am Thore mit den übrigen Passagieren der Pass abverlangt; unter der seltsamsten fieberischen Aufregung verbrachte ich die Nacht bis zur frühen Abfahrt des Bodensee-Dampfschiffes. Mir war besonders die schwäbische Sprache des Professor's Widmann, auf dessen Pass ich reiste, in lebhafter Erinnerung geblieben; ich stellte mir vor, wie ich nun mit der bayerischen Polizei zu verkehren haben würde, wenn ich über die erwähnten Unregelmässigkeiten des Passes mit ihr mich zu unterhalten haben sollte. Von fieberhafter Unruhe beherrscht, versuchte ich die ganze Nacht über mich im schwäbischen Dialekte zu üben, was aber, zu meiner grössten Erheiterung, wiederum nicht gelingen wollte. Gespannt sah ich am Frühmorgen dem Augenblick entgegen, als der Gendarm zu mir in das Zimmer trat, und, unwissend wem die Pässe gehörten, drei derselben mir zur gefälligen Auswahl übergab. Mit lachendem Herzen ergriff ich den meinigen, und entliess den zuvor so gefürchteten Mann in freundlichster Weise. Auf dem Dampfschiff angelangt, erkannte ich mit wahrhaftem Behagen, dass ich mit seiner Besteigung mich bereits auf schweizerischem Boden befände; ein wundervoller Frühlingsmorgen liess mich auf dem weiten See in die vor mir sich ausbreitende Alpenlandschaft ausblicken; als ich in Rorschach das eidgenössische Land betrat, benutzte ich den ersten Augenblick zu wenigen Zeilen nach heimwärts, womit ich meine glückliche Ankunft in der Schweiz, somit die Befreiung aus jeder Gefahr meldete. Die Fahrt im Postwagen, durch das freundliche St. Galler-Ländchen nach Zürich, erheiterte mich ungemein: als ich am letzten Mai, Abends gegen sechs Uhr, von Oberstrass hinab nach Zürich einfuhr, und zum ersten Mal in glänzender Sonnenbeleuchtung die den See begrenzenden Glarner Alpen glänzen sah, beschloss ich sofort, ohne diess deutlich im Bewusstsein zu fassen, allem auszuweichen, was mir hier eine Niederlassung verwehren könnte.

Den Vorschlag meiner Freunde, über die Schweiz nach Paris zu reisen, hatte ich besonders aus dem Grunde angenommen, weil ich in Zürich einen alten Bekannten anzutreffen wusste, durch dessen Hülfe ich mir einen Pass nach Frankreich zu erlangen hoffen durfte, da ich es vermeiden wollte, dort als politischer Flüchtling anzukommen. Alexander Müller, mit dem ich in Würzburg seiner Zeit in vielem freundschaftlichem Verkehre gestanden, war, wie ich erfahren, seit lange als Musiklehrer in Zürich niedergelassen. Einer seiner Schüler, Wilhelm Baumgartner, hatte mich vor einigen Jahren in Dresden besucht, und mir Grüsse von meinem alten Freunde überbracht; für Diesen übergab ich Jenem damals ein Exemplar der Partitur des »Tannhäuser's«, um es ihm als Andenken zuzustellen. Mein freundliches Benehmen war auf keinen unfruchtbaren Boden gefallen: Müller und Baumgartner, welche ich alsbald aufsuchte, machten mich sogleich mit den beiden Staatsschreibern Jacob Sulzer und Franz Hagenbuch, als denjenigen ihrer guten Freunde, welche meinem Wunsche am unmittelbarsten nachzukommen vermöchten, bekannt. Ich wurde von diesen Menschen, zu denen sich noch einige Vertraute gesellten, sogleich mit so achtungsvoll neugieriger Theilnahme empfangen, dass ich mich in ihrer Gesellschaft augenblicklich wohl fühlte. Die grosse bescheidene Sicherheit, mit der sie sich, von ihrem naiv gewohnten republikanischen Standpunkte aus, über die Verfolgungen, die mich betroffen, äusserten, versetzte mich in eine ganz neue Sphäre der bürgerlichen Anschauung des Lebens. Ich kam mir hier so sicher und geborgen vor, während ich dort, durch den sonderbaren Zusammenhang meines Ekels vor den öffentlichen Kunstzuständen mit der allgemeinen politischen Aufregung, ohne genaues Bewusstsein davon, in die Lage, als Verbrecher angesehen zu werden, gerathen war. Um die beiden Staatsschreiber, von denen namentlich Sulzer eine ausgezeichnet klassische Bildung genossen, mir vollkommen geneigt zu machen, hatten die Freunde eine Abendzusammenkunft veranstaltet, in welcher man mich dahin brachte, meine Dichtung von »Siegfried's Tod« vorzulesen. Ich kann beschwören, unter Männern nie aufmerksamere Zuhörer hierfür gefunden zu haben, als an diesem Abend. Für jetzt verhalf mir mein Erfolg zunächst zur Ausstellung eines vollgültigen eidgenössischen Passes für den in Deutschland steckbrieflich Verfolgten, mit welchem ich nun unbesorgt, nach einem nur kurzen Aufenthalte in Zürich, meine Weiterreise nach Paris antrat. – Nachdem mich auf dieser Reise in Strassburg das weltberühmte Münster gefesselt und ergriffen hatte, reiste ich mit der damals noch besten Fahrgelegenheit, der sogenannten Malle-poste, nach Paris weiter. Eines sonderbaren Phänomen's entsinne ich mich hierbei: bis hierher hatte die Nachwirkung der Kanonen- und Flintenschüsse des Dresdener Kampfes, namentlich im halb wachen Zustande, immer noch fortgewährt; jetzt fesselte mich das Summen der schnell rollenden Räder auf der Landstrasse, und auf der ganzen Reise glaubte ich in ihm, wie von tiefen Bassinstrumenten vorgetragen, die Melodie von »Freude schöner Götterfunken« aus der 9. Symphonie zu vernehmen.

Seit meinem Eintritt in die Schweiz, bis zu meiner Ankunft in Paris, hatte sich meine, vorher zu traumartiger Dumpfheit herabgedrückte Stimmung, zu einem noch nie gefühlten, frei behaglichen Wohlgefühl erhoben. Ich kam mir wie der Vogel in der Luft vor, der nicht bestimmt sei, in einem Sumpfe zu Grunde zu gehen. Bald nach meiner Ankunft in Paris, in der ersten Woche des Juni, trat hiergegen jedoch wieder eine sehr fühlbare Reaktion ein. Ich war von Liszt an seinen ehemaligen Sekretair Belloni empfohlen; dieser glaubte, treu den erhaltenen Weisungen, mich alsbald mit einem »Auteur« Gustave Vaisse, den ich jedoch nicht persönlich kennen lernte, wegen eines für Paris zu komponierenden Operntextes in Verbindung setzen zu müssen. Davon hörte ich nun nicht gern, und fand genügenden Grund zur Abwehr der hierauf zielenden Unterhandlungen in den Mittheilungen, die man sich gegenwärtig über den Stand der damals in Paris wüthenden Cholera machte. Ich war, um in Belloni's Nähe zu sein, in der rue Notre-Dame de Lorette abgestiegen; dort kamen fast stündlich, von dumpfem Trommelschlag angekündigt, Leichenkondukte der Nationalgarde vorbei. Bei drückender Hitze war mir der Genuss des Wassers streng verboten, und überhaupt in jedem Bezug der Diät auf das Strengste Vorsicht anempfohlen. Drückte bereits dieses die Stimmung in unbehaglichster Weise herab, so machte ausserdem die ganze damalige äussere Physiognomie von Paris auf mich den niederschlagendsten Eindruck. Noch las man die Devise: »liberté, égalite, fraternité« an allen öffentlichen Gebäuden und sonstigen Etablissements; dagegen erschreckte mich der Anblick der ersten garçons caissiers der Bank, welche, mit ihren langen Geldsäcken über den Schultern und dem grossen Portefeuille in der Hand, mir nie so häufig begegneten, als gerade damals, wo, im siegreichen Kampfe gegen die zuvor so gefürchtete Propaganda des Sozialismus, die alte Kapital-Herrschaft mit fast verhöhnendem Pompe das öffentliche Vertrauen wieder zu gewinnen auf das Eifrigste sich anliess. Wie mechanisch hatte ich einen Besuch in dem Musikladen Schlesinger's, für welchen jetzt ein noch bei weitem decidirterer Jude, Herr Brandus, mit schmutzigster Persönlichkeit als Nachfolger eingetreten war, gemacht. Nur der alte Commis, Mr Henri, bewillkommnete mich freundlich, und nachdem ich mit ihm eine Zeit lang in dem anscheinend menschenleeren Magazine mich laut unterhalten hatte, frug er mich endlich mit einiger Verlegenheit, ob ich denn meinen Lehrer (»votre maître«) Meyerbeer, noch nicht begrüsst habe. »Ist Herr Meyerbeer hier?« frug ich. »Gewiss«, war die noch verlegenere Antwort, »ganz in der Nähe, dort hinter dem Bureau.« Da ich auf dasselbe zuschritt, kam wirklich mit allergrössester Verlegenheit Meyerbeer von dort, wo er sich über zehn Minuten, nachdem er meine Stimme vernommen, still verborgen gehalten hatte, hervor, sich lächelnd mit einer dringenden Correktur entschuldigend. Ich hatte an dieser Erscheinung und diesem sonderbaren Wiedersehen genug; es kam so Vieles im Betreff dieses Mannes bedenklich mir widerfahrenes, namentlich die Bedeutung seines letzten Benehmen's in Berlin gegen mich, in meine Erinnerung; da ich nun aber jetzt gar nichts mehr mit ihm zu thun hatte, begrüsste ich ihn mit einer gewissen heitern Freiheit, welche mir von dem Bedauern eingegeben ward, das ich über die von ihm, bei der Kenntnissnahme meiner Ankunft in Paris geäusserte Verlegenheit, empfand. Er nahm an, ich würde jetzt neuerdings versuchen, in Paris mein Glück zu machen, und schien sehr verwundert, als ich ihm im Gegentheil versicherte, dass mich der Gedanke, hier etwas zu suchen zu haben, anekele. »Aber Liszt hat doch ein brillantes Feuilleton über Sie im Journal des Débats veröffentlicht.« »Ah so«, sagte ich, »ja, daran hatte ich nicht gedacht, dass die enthusiastische Ergebenheit eines Freundes sogleich als gemeinsame Spekulation aufgefasst werden müsste.« »Der Artikel hat aber viel Aufsehen gemacht. Es ist doch undenklich, dass Sie hieraus keinen Vortheil zu ziehen suchen sollten.« Diese widerliche Vermengung reizte mich zu einiger Heftigkeit, mit welcher ich Meyerbeer nun betheuerte, dass ich namentlich bei dem Laufe der Dinge, welchen jetzt die Welt unter der Herrschaft der Reaktion zu nehmen schien, an alles Mögliche, nur nicht an öffentliche Kunstproduktion dächte. »Aber was verhoffen Sie sich denn von der Revolution?« erwiderte er, »wollen Sie Partituren für die Barrikaden schreiben?« worauf ich ihm versicherte, dass ich ja überhaupt an Partiturschreiben gar nicht dächte. Wir schieden, offenbar ohne es zu einem gegenseitigen Verständniss gebracht zu haben. Noch begegnete ich Moritz Schlesinger auf der Strasse, der mich, ebenfalls unter dem Eindrucke des glänzenden Liszt'schen Feuilletons, als eine ihm sehr begreiflich dünkende Erscheinung anhielt. Auch er glaubte, ich müsste es durchaus auf Etwas in Paris abgesehen haben, und fand, dass ich dafür jetzt sehr gute Chancen hätte. »Wollen Sie mein Geschäft machen?« frug ich ihn, »Geld habe ich nicht. Glauben Sie aber, dass die Aufführung der Oper eines Unbekannten etwas anderes als eine affaire d'argent sein könne?« »Da haben Sie Recht«, sagte Moritz, und liess mich augenblicklich stehen. – Von diesen widerlichen Berührungen mit der, jetzt von voller Pest behafteten Hauptstadt der Welt, wandte ich mich zu dem Schicksale meiner Dresdener Genossen zurück, von denen einige der mir nächst Stehenden ebenfalls in Paris angelangt waren. Bei dem Maler meiner Dekorationen zu »Tannhäuser«, Despléchins, traf ich den, so eben gleich mir hierher versprengten, Semper. Die Freude dieses Wiedersehens war nicht gering, trotzdem wir beide nicht umhin konnten, das Groteske unserer Lage zu belächeln. Semper hatte sich, nachdem die berühmte Barrikade, welche er als Architekt fortwährend unter Inspektion gehalten hatte, umgangen worden war (denn dass sie eingenommen worden wäre, hielt er für unmöglich), von dem übrigen Kampfe zurückgezogen. Dennoch glaubte er sich so weit der Denunciation bloss gestellt zu haben, dass er bei Ankündigung des Belagerungszustandes durch die Dresden okkupirenden Preussen, sich dort nicht mehr für sicher hielt. Er schätzte sich glücklich, als holsteinischer Landesangehöriger nicht von den deutschen Regierungen, sondern vom dänischen Gouvernement in Betreff eines Passes abhängig gewesen zu sein, welcher ihm zur ungestörten Flucht nach Paris verholfen hatte. Als ich ihn aufrichtig und herzlich über diese Wendung der Dinge, welcher ihn aus einer so eben begonnenen grossen Berufstätigkeit, der Vollendung des Baues des Dresdener Museums, heraus gerissen habe, beklagte, wollte er hierauf nicht viel geben, und meinte, er habe Aerger genug damit gehabt. Trotz unserer gedrückten Lage, verbrachte ich mit Semper die einzigen heiteren Stunden dieses Pariser Aufenthaltes. Bald fand sich auch noch der junge Heine, mein ehemaliger Lohengrin-Dekorationsaspirant, ebenfalls als Flüchtling dazu. Ihm war für sein Fortkommen nicht bange, da ihn sein Lehrer Despléchins gern in Beschäftigung zu nehmen sich erbot. Nur ich erkannte mich gänzlich zwecklos nach Paris verschlagen, und sehnte mich auf das Heftigste aus dessen Choleraatmosphäre hinweg. Hierzu erbot mir Belloni eine Gelegenheit, welche ich sogleich freudig ergriff: er lud mich ein, ihm und seiner Familie nach einem Landaufenthalte bei La Ferté sous Jouarre zu folgen, wo ich, in reiner Luft und vollkommener Stille, mich erholen, und die Wendung der Dinge für mich abwarten könnte. Dort hinaus, nach Rueil, ging nun nach acht Tagen, welche ich in Paris verbracht, die kleine Reise, und bei einem marchand de vin, Monsieur Raphaël, in unmittelbarer Nachbarschaft des Maire's des Dorfes, bei welchem die Familie Belloni ihren Aufenthalt nahm, fand ich für jetzt mein dürftiges Unterkommen in einer Stube mit Alkoven, in welcher ich nun meinem weiteren Schicksale entgegensah. Während eine Zeit lang alle Nachrichten aus Deutschland ausblieben, suchte ich so gut wie möglich mit Lektüre mich zu beschäftigen, und nachdem ich mit Proudhon's Schriften, namentlich mit seinem »De la Propriété«, mich in der Weise beschäftigt hatte, dass ich für meine Lage sonderbar ausschweifende Tröstungen daraus gewann, unterhielt mich längere Zeit die zerstreuend anziehende »Histoire des Girondins« von Lamartine. Eines Tages brachte mir Belloni die Nachricht von dem verunglückten Emeute-Versuch der Republikaner unter Ledru-Rollin's Führung, welcher soeben, am 13. Juni, in Paris gegen das bereits in voller Reaktion segelnde provisorische Gouvernement unternommen worden war. So viel Entrüstung diese Nachricht bei meinem Versorger und dem Maire des Ortes, seinem Verwandten, an dessen Tisch wir täglich unsere bescheidene Mahlzeit einnahmen, hervorbrachte, so machte sie im Ganzen doch weniger Eindruck auf mich, da mein Augenmerk immer noch in sehr aufgeregter Stimmung auf die deutschen Vorgänge am Rheine, namentlich auf das, einer provisorischen Regierung verfallene Grossherzogthum Baden, gerichtet war. Als nun aber auch von dort die Nachrichten von der durch die Preussen herbeigeführten Niederlage der, Anfangs nicht hoffnungslos erscheinenden Bewegung eintrafen, wurde mir sonderbar wehe zu Muthe: die Nüchternheit, mit welcher ich auf meine persönliche Lage zu blicken genöthigt war, übermannte mich; das, bisher meine Aufregung rechtfertigende, Ungemeine derselben verlor sich immer mehr in die gemeine Nöthigung der praktischen Sorgen. Zu meiner vollständigsten Ernüchterung hätten die endlich eintreffenden Mittheilungen von Seiten meiner weimaranischen Freunde, sowie von meiner Frau, führen sollen. Ich erfuhr von den ersteren eine ziemlich trockene Beurtheilung meines Verhaltens in der letzten Vergangenheit; man fand, dass vorläufig nichts für mich zu thun sei, namentlich nicht in Dresden, oder etwa bei dem grossherzoglichen Hofe, da man an »eingeschlagene Thüren füglich nicht gut anklopfen könnte«; »on ne frappe pas à des portes enfoncées« – (Fürstin v. Wittgenstein an Belloni). Ich wusste nicht, was ich hierzu sagen sollte, da es mir keineswegs eingefallen war, durch eine Vermittelung nach jenen Seiten hin etwas für mich zu erwarten, und nahm es dagegen mit unbefangener Genugthuung auf, dass man für das Nächste mir einige Hülfsmittel zukommen liess. Mit diesen beschloss ich, mich nach Zürich aufzumachen, um dort bei Alex. Müller, in dessen Wohnung ich genügenden Raum bemerkt hatte, ein vorläufiges Unterkommen zu suchen. Am traurigsten war mir ein Brief meiner Frau, welche längere Zeit gar nichts von sich hören gelassen hatte. Sie kündigte mir an, unmöglich an eine Wiedervereinigung mit mir denken zu können; denn nachdem ich so gewissenlos eine Anstellung, und überhaupt ein Verhältniss, wie sie nie wieder sich mir bieten würden, verscherzt und zertrümmert hätte, wäre einer Frau wohl schwerlich zuzumuthen, an meinen etwaigen Unternehmungen für eine zukünftige Versorgung Theil zu nehmen. Ich fühlte mich zunächst zu einer gerechten Würdigung der üblen Lage meiner Frau gestimmt; indem ich sie vollkommen hülflos meinerseits lassen musste, konnte ich sie zunächst nur auf den möglichen Erlös aus dem Verkauf unseres Dresdener Mobiliars, sowie auf die Theilnahme meiner Leipziger Verwandten anweisen. Die Vorstellung von dem Bedrückenden dieser Lage hatte bisher nur dadurch mir erleichtert werden können, dass ich sie als einigermaassen an der mich beherrschenden Aufregung Theil nehmend gedacht hatte, wofür ich während jenen ausserordentlichen Vorgängen selbst mancherlei Anzeigen wahrgenommen zu haben glaubte. Diess stellte sie nun aber vollständig in Abrede, wollte in mir durchaus nur Das ersehen, was die öffentliche Meinung daheim allgemein sah, welche sie einzig darin milderte, dass sie meinen unerhörten Leichtsinn als Entschuldigung dafür annahm. Nachdem ich nun Liszt herzlich empfohlen hatte, zunächst nach Kräften für meine Frau einige Sorge zu tragen, gelangte ich jetzt aber bald zu einiger Beruhigung über dieses im ganzen so unerwartete Benehmen meiner Frau. Ihrer Erklärung, mir zunächst nun nicht wieder schreiben zu wollen, erwiderte ich durch meine Vornahme, sie gleichfalls durch Mittheilung über mein sehr zweifelhaftes Schicksal nicht in neue Beunruhigung zu versetzen. Es ging mir der Verlauf unseres langjährigen Zusammenlebens, seit jenem ersten, so stürmischen und leidenvollen Jahre unserer Verheiratung, an meinem prüfenden Bewusstsein vorüber. Unzweifelhaft waren die bedrängnissvollen Jugendjahre unseres ersten Pariser Aufenthaltes wohlthätig wirksam gewesen. Die Noth, in welcher sie sich so ausdauernd benahm, wie ich mich arbeitsam gegen sie wehrte, hatte die Seele unserer Gemeinsamkeit wie in eisernen Banden gefesselt. Einen schönen Lohn für das Ausgestandene fand dann Minna in meinem Dresdener Erfolge, und namentlich der dortigen, so beneideten Anstellung. Als Frau Kapellmeisterin war sie offenbar auf der Höhe aller ihrer Erwartungen vom Leben angelangt, und was mir endlich meine Wirksamkeit als Dresdener Kapellmeister verbitterte, empfand sie nur als eine Bedrohung jenes ihres Wohlbehagens. Bereits mit der Richtung, welche ich mit dem »Tannhäuser« einschlug, und durch welche sie meine Erfolge auf den Theatern so bedenklich bedroht sah, schwand ihr eigentlich der Muth und das Vertrauen auf unsre Zukunft. Je mehr ich endlich, theils in meinen Conceptionen, für welche ich mich immer unmittheilsamer gegen sie verhielt, theils aber gar in meinem Verhalten zu dem Theater und seinem Chef, immer mehr aus dem ihr einzig erspriesslich dünkenden Geleise mich entfernte, verlor sie nun gar jenen Zusammenhang mit mir, in welchem sie in früheren Jahren, wie sie aus den Erfolgen nachweisen zu dürfen glaubte, mit mir gestanden zu haben vermeinte. Mein Benehmen in der Dresdener Katastrophe sah sie als Folge dieser Abirrungen vom richtigen Wege an, und erkannte darin nur den Einfluss gewissenloser Menschen auf mich, namentlich des unglücklichen Röckel, welche meiner Eitelkeit geschmeichelt und mit sich mich in das Verderben gezogen hätten. Tiefer als dieser, doch immer nur noch die äusseren Lebensverhältnisse betreffende Zwiespalt, hatte aber von jeher, seit unserer Wiedervereinigung, die innere Unübereinstimmung zwischen uns sich meines Bewusstseins bemächtigt. Von je war es zwischen uns zu Auftritten von der allerleidenschaftlichsten Heftigkeit gekommen: nie hatten diese Auftritte sich durch eine Versöhnung, oder gar ein Bekenntniss ihres Unrechtes, ausgeglichen; sowohl das Bedürfniss schneller Wiederherstellung des häuslichen Friedens, als auch die nach jedem Excess der Aufregung sogleich mir nahe tretende Erkenntniss, dass bei der grossen Ungleichheit der Charakteranlagen, und namentlich des Bildungszustandes, es an mir sei, durch das richtige Benehmen solchen Auftritten vorzubeugen, hatten mich stets vermocht, alle Schuld der vorgefallenen Ereiferungen auf mich zu nehmen, und Minna durch das Bekenntniss meiner Reue darüber, zu besänftigen. Leider musste ich endlich gewahren, dass ich dadurch mich aller Macht über ihr Gemüth, namentlich über ihren Charakter begeben hatte; denn trat nun der Fall ein, in welchem ich ganz unmöglich zu dem gleichen Versöhnungsmittel greifen konnte, weil es der ganzen Consequenz meiner Anschauung und meiner Handlungsweise galt, so traf ich jetzt auf ein durch meine frühere Nachgiebigkeit in dem Grade verhärtetes weibliches Gemüth, dass nie und unter keinen Umständen ein je gegen mich begangenes Unrecht nur als möglich eingeräumt wurde. Genug, was zu dem Verfall meiner Dresdener Lage, meiner grossen Rücksichtslosigkeit gegen meine dortige Stellung, unbeachtet nicht wenig beigetragen hatte, war der nicht mindere Verfall meines ehelichen Lebens, in welchem ich nicht nur keinen Halt, keine Tröstung und Stärkung fand, sondern sogar auf den unbewussten Mitverschwornen der mich bedrückenden feindseligen Verhältnisse traf. Diese Einsicht stellte sich jetzt, nachdem ich die erste Erschütterung über das offenbar lieblose Benehmen meiner Frau überstanden, deutlich in mir heraus. Ich entsinne mich jedoch, dass ich hierdurch nicht eigentlich von einem Schmerze erfasst wurde, dass im Gegentheil, da ich denn nun einmal gänzlich hülflos war, die Erkenntniss, bisher mein ganzes Leben auf Sand gebaut zu haben, mit einer fast erhabenen Beruhigung auf mich wirkte. Was diese schnell gewonnene Ruhe mir allerdings einzig ermöglichte, war aber eben das Bewusstsein dieser vollständigen Verlassenheit, für welche ich nun in meiner gänzlichen Armuth einen mich stärkenden Trost fand. So ergriff ich die zuletzt aus Weimar mir gebotene Hülfe mit Eifer, um meinem zwecklosen Aufenthalte, in welchem ich nach irrig mir gesteckten Zielen streben sollte, mich zu entziehen, und einen Zufluchtsort aufzusuchen, welcher nichts anziehendes für mich hatte, als gerade nur die gänzliche Aussichtslosigkeit, auf den bisher von mir betretenen Lebensbahnen es dort zu etwas zu bringen. Diess war eben das von aller öffentlichen Kunst gänzlich entblösste Zürich, wo zum ersten Male mir einige einfache Menschen begegnet waren, welche von meinen künstlerischen Arbeiten nichts kannten, wie es aber schien, an meiner nackten Person ein freundschaftliches Wohlgefallen gefunden hatten. –

Ich kam im Hause A. Müller's an, begehrte irgendwo eine Kammer zu meinem Unterkommen, und wies ihm, als den Rest meines ganzen Vermögens, 20 Franken an. Zwar musste ich bald bemerken, dass mein alter Bekannter durch mein ihm äusserlich bezeigtes Zutrauen in Verlegenheit gesetzt wurde, und darüber in Besorgniss gerieth, was mit mir anzufangen sein sollte. Ein in der ersten Aufwallung von ihm mir zur Verfügung gestelltes grösseres Zimmer, in welchem ein Flügel stand, gab ich alsbald freiwillig auf, um mich in ein blosses Schlafzimmer zurückzuziehen. Peinlich war es mir nur, an seinen häuslichen Mahlzeiten Theil zu nehmen, nicht, weil sie meinem Geschmack unangenehm, sondern meinen Verdauungswerkzeugen nachtheilig waren. Dagegen fand ich ausser dem Hause meines Gastfreundes die entgegengesetzte, vom lokalen Standpunkte betrachtet, schwelgerischeste Aufnahme. Dieselben jüngeren Männer, welche bei meiner vorherigen Durchreise durch Zürich so theilnehmend sich zu mir gefunden hatten, zeigten fortwährend grosse Neigung zu meinem Umgang. Bald trat unter ihnen Jakob Sulzer mit auffallender Bedeutung hervor. Dieser blieb noch längere Jahre in dem Fall, wegen unzureichenden Alters nicht zum Mitglied der Züricher Regierung berufen werden zu können, weil hierzu das dreissigste Jahr nöthig war. Trotz seiner Jugendlichkeit, übte er jedoch auf alle seine Umgebung den Einfluss der vollsten Mannesreife aus. Wenn man mich in späteren Zeiten frug, ob ich in meinem Leben je Dem begegnet sei, was man, im moralischen Sinne, wirklichen Charakter und eigentliche Rechtschaffenheit nennt, so konnte ich nach genauer Prüfung niemand anders, als diesen jetzt neu mir gewonnenen Freund, Jakob Sulzer, nennen. Er verdankte seine frühe Beförderung zu einer der vorzüglichsten Anstellungen im Canton Zürich, nämlich als Staatsschreiber, dem Bedürfnisse der vor Kurzem zur Regierung gelangten, von Alfred Escher geführten liberalen Partei, welche, da sie die öffentlichen Aemter nicht füglich mit den hierfür geübteren Gliedern der älteren konservativen Partei besetzt lassen konnte, darauf angewiesen war, ihr eifrigstes Augenmerk auf besonders begabte jüngere Leute zu richten. Als ein solcher war Sulzer vor allen in das Auge gefasst worden. Er war soeben von den Universitäten in Bonn und Berlin zurückgekommen, um als Docent der Philologie in seiner Heimath sich zu habilitiren, als er von der neuen Regierung zu ihrem Mitgliede geworben wurde. Um dem ihm gestellten Ansinnen zu entsprechen, hatte er nöthig gehabt, sich ein halbes Jahr nach Genf zu begeben, um sich im Gebrauch der französischen Sprache, welche er bei seinen ernsten philologischen Studien bisher vernachlässigt hatte, nothdürftig zu üben. Sein grosser Scharfblick, sein ungemeiner Fleiss, sowie die grosse Selbstständigkeit und Unbeugsamkeit seines, jedem Partei-Manövre unzugänglichen Charakter's, verschafften ihm in wenigen Jahren eine der wichtigsten Stellungen in der Regierung, welcher er längere Zeit als Direktor der Finanzen, und namentlich als Mitglied des eidgenössischen Schulrathes, zu bedeutender und segensreicher Wirksamkeit nützte. Seine so unerwartete Bekanntschaft mit mir schien ihn in eine eigenthümliche Schwankung zu versetzen; von seinen philologischen und humanioren Studien, zu welchen er aus Neigung bestimmt worden, war er durch die unerwartete Berufung in die Regierung in überraschender, fast betäubender Weise abgelenkt worden. Fast schien es, als ob sein Bekanntwerden mit mir ihn in Reue desswegen versetzte. Meine Dichtung von »Siegfried's Tod« deckte ihm, dem Kenntnissvollen, mein Studium des deutschen Alterthum's auf, welchem auch er, jedoch mit grösserer philologischer Genauigkeit, als mir diess möglich geworden war, sich beschäftigt hatte. Namentlich aber durch sein etwas späteres Bekanntwerden mit meiner Art, die Musik zu betreiben, war der so eigenthümlich ernste und zurückhaltende Mensch in so warme Theilnahme für eine seinem erwählten Berufe fern abliegende Sphäre versetzt, dass er endlich, wie er deutlich bekannte, ganz bestimmt sich bemühen zu müssen glaubte, gegen diese störenden Einflüsse sich mit einer absichtlichen Schroffheit zu behaupten. In dieser ersten Zeit meines Züricher Aufenthaltes liess er sich jedoch mit wirklichem, liebenswürdigem Freimuth in dieser Richtung gehen. Die altehrbare officielle Wohnung des ersten Staatsschreibers beherbergte häufiger, als diess dem Ansehen des Staatsbeamten des kleinen Philisterstaates dienlich sein konnte, gastliche Zusammenkünfte einer Gesellschaft, wie sie nur um mich als Mittelpunkt sich bilden konnte. Besonders dem Musiker Baumgartner erschienen bei solchen Gelegenheiten die Produkte von Sulzer's Weinbergen in Winterthur, welcher diese mit vieler Liberalität spendete, von grosser Anziehungskraft. Wenn auch ich, bei meiner damaligen verzweiflungsvoll heiteren Losgebundenheit, in den äussersten Consequenzen meiner jetzt sich bildenden Kunst- und Lebenstheorien mich bis zu dithyrambischen Ergüssen hatte hinreissen lassen, wurde mir oft von meinen Zuhörern in einer Laune erwidert, welche ich nicht unrichtig häufiger dem genossenen Weine, als der Einwirkung meiner Begeisterung zuschreiben musste. Als einst der Professor Ettmüller, der Germanist und Edda-Gelehrte, nachdem er auf Sulzer's Einladung einer Vorlesung meines »Siegfried« beigewohnt hatte, in schwerfällig begeistertem Zustand auf den Heimweg geleitet worden war, brach unter den zurückbleibenden Genossen ein sonderbarer Uebermuth aus: ich gerieth auf den Gedanken, dem Herrn Staatsschreiber die schweren Thüren seiner Wohnung aus den Angeln zu heben; als der Staatsschreiber Hagenbuch die grosse Anstrengung, die mir diess kostete, gewahrte, stellte er mir seine ausserordentliche Körperkraft hülfreich zu Gebote, und mit ziemlicher Leichtigkeit wurden nun gemeinschaftlich wirklich sämmtliche Thüren ausgehoben und zur Seite gestellt, worüber Sulzer keine Miene anders, als zu freundlich wohlwollendem Lächeln, verzog. Nur des anderen Tages bekannte er uns, auf unsre Erkundigung danach, dass ihn das mühsame Wiedereinheben der Thüren, welches er mit seiner geringen Kraft allein hatte bewerkstelligen müssen, die ganze Nacht bis zum Morgen beschäftigt habe, da es ihm natürlich daran gelegen gewesen, dem sehr früh erscheinenden Weibel die wilden Vorgänge der Nacht geheim zu halten.

Die eigenthümliche Vogelfreiheit, in welcher ich mich befand, wirkte mit zunehmender Aufregung auf mich. Oft bangte mir selbst vor der übermässigen Exaltation meines ganzen Wesens, in welcher ich stets und gegen Jeden aufgelegt war, in den seltsamsten Paradoxen mich zu ergehen. Alsbald nach meiner Ankunft in Zürich machte ich mich daran, meine Ansichten über das Wesen der Dinge, wie sie unter dem Drange meiner künstlerischen Lebenserfahrungen und dem Einflusse der politischen Aufregung der Zeit sich gebildet hatten, aufzuzeichnen. Da mir überhaupt jetzt nichts übrig zu bleiben schien, als mit der schriftstellerischen Feder, so gut es ging, mir etwas zu verdienen zu suchen, war ich auf den Gedanken gekommen, für ein grosses französisches Journal, etwa den damals noch bestehenden »National«, eine Reihe von Artikeln zu liefern, in welchen ich mich, in meinem revolutionären Sinne, über die moderne Kunst und ihr Verhalten zur Gesellschaft aussprechen wollte. Sechs dieser zusammenhängenden Aufsätze sandte ich meinem älteren Bekannten Albert Frank, dem Bruder jenes bedeutenderen Hermann Frank, welcher in Paris die früher durch meinen Schwager Avenarius geleitete deutsch-französische Buchhandlung als Eigenthümer übernommen hatte, mit dem Wunsche zu, für ihre Uebersetzung in das Französische, und geeignete Veröffentlichung sorgen zu wollen. Ich erhielt diese Artikel mit der bald als sehr richtig befundenen Bemerkung, dass sowohl ihr Verständniss, wie selbst nur ihre Beachtung seitens des Pariser Publikum's, namentlich in dieser Zeit, durchaus unmöglich erschien, zurückgeschickt. Ich versah das Manuskript nur mit der Ueberschrift »Kunst und Revolution«, und sandte es an den Buchhändler Otto Wigand nach Leipzig, welcher auch wirklich seine Herausgabe als Broschüre übernahm, und mir fünf Louis d'or als Honorar dafür übersandte. Dieser ausserordentliche Erfolg bestimmte mich, an eine weitere Ausbeutung meiner schriftstellerischen Anlage zu denken. Ich suchte unter meinen Papieren die Abhandlung hervor, welche ich im vergangenen Jahre, als Ausbeute meiner historischen Studien über die Nibelungen-Sage, für mich aufgezeichnet hatte, gab ihr den Titel: » Die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage«, und versuchte damit mein Glück sofort wieder bei Wigand. Der aufregende Titel von »Kunst und Revolution«, sowie das ungeheure Aufsehen, welches mein Charakter als zum politischen Flüchtling gewordenen königlichen Kapellmeister machte, hatte den radikal gesinnten Verleger mit der Hoffnung auf ergiebigen Skandal aus der Veröffentlichung meiner Schriften erfüllt. Wirklich erfuhr ich sehr bald, dass er einen zweiten Druck von »Kunst und Revolution«, ohne mir jedoch als von einer zweiten Auflage davon Notiz zu geben, in kürzester Zeit hatte vornehmen lassen. Auch mein neues Manuskript nahm er mir daher, gegen fünf Louis d'or Honorar, ab. Diess war zum ersten Male, dass ich von der Veröffentlichung meiner Arbeiten einen Gewinn zog, und wirklich glaubte ich, nun auf dem rechten Punkte angelangt zu sein, um meinem Schicksale in aktiver Weise beizukommen. Ich ging mit mir zu Rathe darüber, nächsten Winter öffentliche Vorlesungen über ähnliche Gegenstände in Zürich zu halten, und überhaupt in dieser freien gelegentlichen Weise mich in der Lage zu erhalten, ohne Anstellung, und namentlich ohne Musik, mir eine, wenn auch dürftig lohnende, Wirksamkeit für die nächste Zeit einzurichten.

Es schien mir nöthig, dass ich auf solche Auskunftsmittel verfiel, da andrerseits die Welt sich ganz wieder in der Weise einrichtete, dass ich, ohne etwas Geldverdienst, nicht gewusst hätte, wie ich in ihr bestehen sollte. Kurz nach meiner Ankunft in Zürich hatte ich die Reste der auf Schweizer Gebiet versprengten badischen Armee, mit den sie begleitenden flüchtigen Freischaaren, anlangen sehen, was mir einen jammervollen und unheimlichen Eindruck machte. Die Nachricht von der Uebergabe bei Villagos durch Görgey lähmte die letzten Hoffnungen für die Behauptung der bis dahin immer noch unentschiedenen Stellung des grossen europäischen Freiheitskampfes. Erst jetzt wendete ich, jedoch mit grosser und banger Erschütterung, meinen Blick von den äusseren Weltbegebenheiten auf mein Inneres zurück. In dem Café littéraire, wo ich täglich nach meiner beschwerlichen Mahlzeit unter einem Domino und Jast spielenden und qualmenden Männerjux meinen Kaffee zu nehmen pflegte, betrachtete ich träumerisch die ordinären Wandtapeten, welche antike Gegenden darstellten, und mir in wunderlicher Weise den in früher Jugend von einem Genelli'schen Aquarell, die Erziehung des Dionysos durch die Musen darstellend, im Hause meines Schwagers Brockhaus empfangenen Eindruck zurückriefen. Ich conzipirte da die Ideen zu meinem »Kunstwerk der Zukunft«, und wunderbar bedeutungsvoll war es mir, dass ich aus einer solcher Träumereien einmal durch die Anzeige des Aufenthaltes der Schröder-Devrient in Zürich geweckt wurde. Hastig machte ich mich auf, um sie im nahe gegenüber liegenden Gasthofe »Zum Schwerte« aufzusuchen, erfuhr aber zu meinem fast heftigen Schrecken, dass sie so eben mit dem Dampfschiff bereits wieder abgereist sei. Ich habe sie nun nie wieder gesehen, sondern hatte nur nach längeren Jahren durch meine Frau, welche später in Dresden wieder in näheren Umgang mit ihr gelangte, ihren schmerzlichen Tod zu erfahren.

Nachdem ich so zwei merkwürdige Monate des Sommers in dieser wilden, sonderbar losgelösten Lage verbracht, erhielt ich auch wieder tröstliche Lebenszeichen von der in Dresden zurückgebliebenen Minna. Obgleich diese sich so schroff und verletzend von mir abgesondert hatte, brachte ich es doch nicht über mich, von ihr mich als völlig losgebunden anzusehen. Ich erkundigte mich bei einer ihrer Verwandten durch einen Brief, von dem ich anzunehmen hatte dass er ihr zugesendet würde, theilnehmend nach ihrem Schicksal, für welches ich andrerseits durch wiederholte Anempfehlung an Liszt, so weit es mir eben einzig möglich war, gesorgt hatte. Hierauf bekam ich nun eine direkte Antwort, welche mir, neben den Beweisen für die Rüstigkeit der thätigen Frau gegenüber ihrer schwierigen Lage, zugleich Zeugniss für ihren ernstlichen Wunsch, sich wieder mit mir zu vereinigen, gab. Sie sprach zwar ihren grossen Unglauben an alle die Aussichten, die ich mir für ein Auskommen in Zürich selbst eröffnet hatte, fast verachtungsvoll aus, meinte aber doch, sie müsse, da sie nun einmal meine Frau sei, es nochmals wagen, und hielt dabei die Annahme fest, ich werde ihr Zürich nur als vorübergehenden Zufluchtsort anbieten, und dagegen in Paris meine Geschäfte als Opernkomponist ernstlich zu betreiben suchen. So kündigte sie mir an, einen bestimmten Tag des Septembers dieses Jahres mit dem Hündchen Peps, dem Papagey Papo, und ihrer vorgeblichen Schwester Nathalie, in Rorschach auf Schweizer Boden ankommen zu wollen. Nachdem ich zu ihrem Empfang und unserer gemeinschaftlichen Beherbergung eine Stube und Kammer gemiethet, machte ich mich nun von Rapperswyl zu einer Fussreise, durch das berühmte freundliche Toggenburg und Appenzell, nach St. Gallen und Rorschach auf, und fühlte mich doch sehr gerührt, als ich die sonderbare Familie, welche zur Hälfte aus Hausthieren bestand, im Hafen von Rorschach anlanden sah. Besonders freundlich, ich muss diess offen gestehen, wirkten das Hündchen und der Vogel auf mich. Meine Frau erkältete meine Empfindung jedoch sogleich beim Wiedersehen durch die Drohung, jeden Augenblick zur Rückkehr nach Dresden bereit zu sein, wo ihr von vielen befreundeten Seiten, für den Fall eines ungeeigneten Benehmens meinerseits, Schutz und Zuflucht zugesichert sei. Mir genügte dagegen ein Blick auf die in kurzer Zeit offenbar sehr gealterte Frau, um mich zu dem nöthigen Mitleiden zu stimmen, welches alsbald meine Bitterkeit verschlang. Ich suchte ihr vor Allem Muth zu machen, und das gegenwärtige Missgeschick nur als vorübergehend darzustellen. Diess gelang nun im Anfang schwer; schon die kleinliche Aussenseite der Stadt Zürich beschämte sie in der Erinnerung an das stattlichere Dresden. Auf die Freunde, mit denen ich sie bekannt machte, gab sie gar nichts. Den Staatsschreiber Sulzer hielt sie für einen einfachen »Stadtschreiber, der doch in Deutschland gar nichts zu bedeuten habe«. Völlig empört war sie über die Frau meines bisherigen Kostfreundes, A. Müller, als diese auf ihre Klagen über die elende Lage, in welche ich mich gebracht, ihr entgegen hielt, das sei ja eben meine Grösse, dass ich sie nicht gescheut habe. Wiederum aber schmeichelte sie mir durch die Verkündigung der Ankunft einiger Effekten meines Dresdener Hausstandes, von welchen sie annahm, dass sie für eine zukünftige Niederlassung unentbehrlich seien. Diese bestanden aus meinem gut gemeinten, aber schlechten Breitkopf- und Härtel'schen Flügel, und dem in gothischem Rahmen eingefassten Titelblatte der Nibelungen von Cornelius, das ich in Dresden über meinem Schreibtisch aufgehängt hatte. Auf diese Grundlage einer häuslichen Niederlassung hin beschlossen wir, uns nun in einer kleinen Wohnung, in den sogenannten »hinteren Escherhäusern« am Zeltwege, einzurichten. Aus dem mit grossem Geschick von ihr vollbrachten, an sich sehr schwierigen und mannigfach angefochtenen Erlös unseres Dresdener Mobiliar's, waren ihr bei ihrer Ankunft noch etwa 100 Thaler für unsre Niederlassung übrig geblieben. Meine kleine, aber sorgfältig ausgewählte Büchersammlung, glaubte sie mir vortrefflich bewahrt zu haben, indem sie sie, auf dessen dringendes Anerbieten hierfür, dem Bruder meines Schwagers, dem Buchhändler und sächsischen Abgeordneten Heinrich Brockhaus, übergeben hatte. Sehr bestürzt war sie dagegen, als sie späterhin, da sie nun die Zusendung der Bücher von dem vorsorgenden Verwandten sich erbat, von diesem erfuhr, dass er sie für eine Schuld von 500 Thalern, welche ich in der Zeit meiner Dresdener Bedrängniss gegen ihn eingegangen war, bis zur Wiedererstattung dieser Summe in Beschlag genommen zu haben vermeinte. Da ich im Verlaufe vieler Jahre nie dazu gelangte, diese Schuld baar wieder erstatten zu können, blieb auch diese, für meine ganz besondren Bedürfnisse geordnete Büchersammlung für immer mir verloren. – Namentlich mit Hülfe des, von meiner Frau seines missverstandenen Titels wegen anfänglich so gering geschätzten, Staatsschreibers Sulzer, welcher, bei seinem im Uebrigen keineswegs reichen Vermögenszustande, es ganz natürlich fand, in bescheidenster Weise mir über die Schwierigkeiten meiner Lage hinweg zu helfen, gelang es aber doch die kleine Wohnung bald so gemüthlich herzurichten, dass es meinen einfach gewöhnten Züricher Freunden bei ihrem Besuche ganz behaglich darin erschien. Das unverkennbare Talent meiner Frau zeigte sich hier wieder in vollem Glanze; namentlich entsinne ich mich der ingeniösen Herrichtung eines Nipptisches durch Benützung der Kiste, in welcher meine Musikalien und Manuskripte durch Minna's Fürsorge nach Zürich gelangt waren.

Endlich handelte es sich aber doch darum, wie ich nun Mittel zu unsrer Ernährung herbeischaffen sollte. Der Gedanke an, von mir zu haltende, öffentliche Vorlesungen empörte den Stolz meiner Frau im höchsten Grade. Sie kannte nur Eines, das Festhalten des von Liszt angeregten Planes: Composition einer Oper für Paris; schon um sie zu beruhigen, und da ich allerdings nichts Ergiebiges in der Nähe ersehen konnte, setzte ich mich auch wirklich hierüber in erneuete Correspondenz mit meinem grossen Freunde und seinem Sekretair Belloni in Paris. Immerhin musste etwas Nächstes geschehen; ich nahm die Einladung der Züricher Musikgesellschaft, in ihren Konzerten ein klassisches Orchesterwerk zu dirigiren, an, und studirte dem dürftigen Orchester derselben die A-dur Symphonie Beethoven's ein, womit ich allerdings eine nachhaltige Wirkung auf das Auditorium hervorbrachte, mir auch ganze 5 Napoléons erwarb, meine Frau doch aber sehr traurig stimmte, weil sie der so bedeutenden Kunstmittel und rühmlicheren Umgebung gedachte, welche kurz zuvor in Dresden bei der gleichen Bemühung noch mitgeholfen und gelohnt hatten. Ihr steter Zuruf blieb unter allen Umständen, und ohngeachtet aller künstlerischen Skrupel, mich auf die glanzvollere Pariser Carrière zu werfen. Während es immer noch uns beiden unerklärlich bleiben musste woher ich denn nur die Mittel zu der Reise und dem nöthigen Aufenthalte hierfür in Paris nehmen sollte, versenkte ich mich von Neuem in die mir jetzt einzig nahe liegende Sphäre der kunstphilosophischen Spekulation. Unter dem härtesten Drucke der Nahrungssorgen, und im stets sieglosen Kampfe gegen die Kälte eines sonnenlosen Parterrestübchen's, verfasste ich in den Wintermonaten November und Dezember dieses Jahres meine zusammenhängendere »Das Kunstwerk der Zukunft« betitelte Schrift. Minna hatte gegen diese Beschäftigung nichts einzuwenden, da ich ihr doch von dem Erfolg meiner ersten Brochüre und von der Hoffnung, diese grössere Schrift mit gesteigertem Honorar belohnt zu sehen, sagen konnte.

So genoss ich einer vorübergehenden Ruhe, in welcher mich nur die innere Aufregung beherrschte, die namentlich in Folge des Bekanntwerdens mit den Hauptschriften Ludwig Feuerbach's in mir genährt wurde. Von jeher war mir der Hang zu eigen gewesen, in die Tiefen der Philosophie etwa so einzudringen, wie ich durch den mystischen Einfluss der neunten Symphonie Beethoven's den abliegendsten Tiefen der Musik nachzuforschen mich gedrängt gefühlt hatte. Die ersten Versuche, diesen Drang zu befriedigen, waren durchaus fehlgeschlagen. Keiner der Leipziger Professoren hatte mich in den Vorlesungen über Fundamental-Philosophie und Logik fest zu halten vermocht. Ich hatte mir das Buch Schelling's über den »transcendentalen Idealismus«, welches mir seiner Zeit Gustav Schlesinger, ein Freund Laube's empfahl, verschafft, zerbrach mir aber vergebens den Kopf, bei der Lektüre der ersten Seiten davon etwas zu denken, und kehrte immer wieder zu meiner »neunten Symphonie« zurück. In der letzten Periode meines Dresdener Aufenthaltes suchte ich jedoch auch diesem älteren, nun neu erwachten Drange wieder gerecht zu werden, und knüpfte dafür an meine damals mich so sehr fesselnden, tiefer gehenden historischen Studien an. Ich wählte nun, zu meiner Einführung in die Philosophie, Hegel's »Philosophie der Geschichte«. Hier imponirte mir vieles, und es schien mir als müsste ich auf diesem Wege in das Innere des Heiligthumes gelangen. Je unverständlicher viele im spekulativen Sinne resumirende Phrasen des ungeheuer berühmten, als Schlussstein aller philosophischen Erkenntniss mir gepriesenen gewaltigen Geistes, erschienen, desto mehr fühlte ich mich aufgeregt, der Sache von dem »Absolutum«, und was damit zusammenhing, auf den Grund zu gehen. Die Revolution kam dazwischen; die praktischen Tendenzen für eine neue Gestaltung der Gesellschaft führten mich ab, und, wie ich bereits erwähnt, war es ein ehemaliger Theolog, damals deutsch-katholischer Prediger und politischer Agitator mit einem Calabreser Hute, Namens Metzdorf, welcher mich zuerst auf den »rechten und einzigen Philosophen der Neuzeit«, Ludwig Feuerbach, verwies. Jetzt brachte mir mein neuer Züricher Freund, der Klavierlehrer Wilhelm Baumgartner, dessen Buch über »Tod und Unsterblichkeit« in das Haus. Der allerseits anerkannte, sehr anregende, lyrische Styl des Verfassers übte auf mich, als gänzlich Fach-ungebildeten, einen grossen Reiz aus. Die verfänglichen Fragen, die hier, als ob sie zum erstenmal aufgeworfen würden, mit anziehender Umständlichkeit abgehandelt waren, hatten mich seit meinem ersten Umgange mit Lehrs in Paris, ebenso wie jeden phantasievollen ernsten Menschen, fortgesetzt, jedoch nie andauernd beschäftigt, und im Ganzen hatte ich mich in diesem Betreff mit den poetischen Andeutungen begnügt, die über dieses bedeutende Thema hier und da bei unsern grossen Dichtern vorkommen. Die Unumwundenheit, zu welcher sich Feuerbach in den reiferen Theilen seines Buches endlich über diese tief interessirenden Fragen ermuthigt, gefielen mir eben so ihrer tragischen, wie social-radikalen Tendenz wegen, sehr. Es schien mir rühmlich und lohnend, die einzige wahre Unsterblichkeit nur der erhabenen That, oder dem geistvollen Kunstwerke zugetheilt zu wissen. Etwas schwerer gelang es bereits, mich für »das Wesen des Christenthum's« von demselben Verfasser bei dauerndem Interesse zu erhalten, da ich die Breite und unbehülfliche Ausdehnung der Darstellung des einfachen Grundgedankens, die Religion vom rein subjektiven psychologischen Standpunkte aus zu erklären, unter der unwillkürlichen Wirkung der Lektüre nicht unempfunden lassen konnte. Jedoch galt mir Feuerbach nun einmal als Repräsentant der rücksichtslos radikalen Befreiung des Individuum's vom Drucke hemmender, dem Autoritätsglauben angehörender Vorstellungen, und dem Eingeweihten wird es recht wohl erklärlich dünken, welches Gefühl mich bestimmte, als ich meine Schrift »das Kunstwerk der Zukunft« mit einer Dedikation und einem Vorworte an Feuerbach einleitete. Meinen Freund Sulzer, einen wohlgeschulten Hegelianer, verdross es sehr, mich in dieser, zu dem von ihm gar nicht als Philosoph gezählten Feuerbach angenommenen, Stellung zu sehen. Das Beste an der Sache wäre, so meinte er, dass mich Feuerbach zu Gedanken angeregt habe, während dieser selbst keine besitze. Was mich dagegen wirklich bestimmt hatte, Feuerbach eine für mich wichtige Bedeutung beizulegen, war dessen Schluss, mit welchem er von seinem ursprünglichen Meister Hegel abfiel: dass nämlich die beste Philosophie sei, gar keine Philosophie zu haben, womit mir das bisher abschreckende Studium derselben ungemein erleichtert wurde; sowie zweitens, dass nur Das wirklich sei, was die Sinne wahrnehmen. Dass er in die ästhetische Wahrnehmung unserer Sinnenwelt Das, was wir Geist nennen, setzte, diess war es, was mich, neben der Erklärung von der Nichtigkeit der Philosophie, für meine Conzeption eines allumfassenden, für die einfachste, rein menschliche Empfindung verständlichen Kunstwerkes, des vollendeten Drama's, im Momente seiner, jede künstlerische Intention verwirklichenden Darstellung als »Kunstwerk der Zukunft«, so ergiebig unterstützte; und diesen Erfolg scheint mir Sulzer gemeint zu haben, als er geringschätzend über Feuerbach's Einfluss auf mich sich äusserte. Allerdings war es mir nach kurzer Zeit bereits unmöglich geworden, auf dessen Schriften wieder zurückzukommen, und ich entsinne mich, dass sein bald hierauf erscheinendes Buch »über das Wesen der Religion«, mich bereits der Monotonie seines Titels wegen derart abschreckte, dass ich es Herwegh, der es mir aufschlug, vor den Augen zusammen klappte.

Für jetzt arbeitete ich mit grosser Begeisterung einen zusammenhängenderen schriftstellerischen Entwurf aus, und freute mich eines Tages dem in Zürich eingetroffenen Vater meines jungen Freundes Bülow, dem Novellisten und Tieckianer Eduard von Bülow, bei einem Besuche, den er mir in meinem Stübchen abstattete, das Kapitel über die Dichtkunst vorzulesen, wobei ich jedoch zu bemerken hatte, dass ich mit meinen radikalen Ansichten über das Litteratur-Drama und den, jeder Gegenwart neu zu gebährenden Shakespeare, eine aufrichtige Bestürzung hervorrief. Desto besser, so hoffte ich, würde der Buchhändler Wigand dieses neue revolutionäre Buch aufnehmen, und seinem grösseren Volumen angemessen zu honoriren bereit sein. Ich forderte 20 Louisdor, und erhielt sie auch für's erste – zugesagt.

Diese erwartete Einnahme sollte nun mit dazu verhelfen, meinen endlich nothgedrungen gefassten Vorsatz auszuführen, noch einmal nach Paris zu gehen, um dort mein Glück als Opernkomponist zu versuchen. Hiermit hatte es nun seine besondere, höchst bedenkliche Bewandtniss: mir war der Gedanke daran nicht nur höchst verhasst, sondern ich wusste auch, dass ich mit dem Zugeständnisse seiner Ausführung wirklich eine Unredlichkeit beging, da es meinem Gefühle vollständig deutlich war, dass ich es nie ernst mit diesem Vorhaben würde meinen können. Alles wirkte aber zusammen und darauf hin, wenigstens in den Versuch eines solchen Unternehmens zu willigen; namentlich war es Liszt, welcher mich mit erneuten Ermahnungen, und jedenfalls in dem Glauben, dadurch mir den einzig geziemenden ruhmreichen Weg zu zeigen, dahin drängte, die im vergangenen Sommer durch Belloni angeknüpften Verhandlungen wieder aufzunehmen. Wie ernstlich in Folge dessen ich mich bemühte, mir die Ausführung des Vorhabens als möglich zu denken, bewies ich dadurch, dass ich selbst den ausführlichen Plan des Sujets entwarf, welches der französische Dichter mir nur versificiren sollte, da ich an ein wirklich von diesem zu erfindendes und zu verfassendes Sujet, welches ich eben nur zu komponiren gehabt hätte, nie auch nur im entferntesten denken durfte. Ich wählte hierzu die am Schlusse meiner so eben vollendeten Schrift »das Kunstwerk der Zukunft« so emphatich berührte Sage von Wieland dem Schmied, welche mir durch die Simrock'sche Bearbeitung dieses Gegenstandes aus der Wilkyna Saga nahe getreten war. Ich arbeitete einen vollständigen scenischen Entwurf, mit bereits genauer Dialogisirung, für drei Akte aus, und glaubte mich nun unter Seufzen entschliessen zu können, diesen meinem Pariser Auteur zur Bearbeitung zu übergeben. Die Wege zu einigem Bekanntwerden meiner Musik in Paris glaubte Liszt durch sein Einvernehmen mit dem Dirigenten der damals dort bestehenden »Concerts de St. Cécile«, Herrn Seghers, angebahnt zu haben. Im Januar des neuen Jahres sollte von ihm die »Tannhäuser-Ouvertüre« aufgeführt werden, und es schien nun erforderlich, dass ich um diese Zeit dort bereits anwesend sei. Dem meiner Mittellosigkeit wegen an sich so schwierig auszuführenden Unternehmen entstand anderseits eine sehr unerwartete Förderung. Wohl hatte ich mich nach jeder sonst befreundeten Seite in der Heimath um einige Hülfe für mich gewendet, jedoch vergebens. Namentlich von der Familie meines Bruder's Albert, dessen Tochter jetzt in eine glänzende theatralische Carrière eintrat, erfuhr ich die Behandlung, wie man sie einem schadhaften Gliede erweist, vor dessen Ansteckung man sich zu bewahren sucht. Dagegen eröffnete sich mir in rührender Weise die begeisterte Anhänglichkeit der in Dresden zurückgebliebenen Familie Ritter, mit welcher ich bisher nur durch den jungen Karl in eine vorübergehende Berührung getreten war. Durch meinen alten Freund Heine von meiner Lage benachrichtigt, hatte sich Frau Julie Ritter, die ehrwürdige Mutter des Hauses, sofort verpflichtet gefühlt, mir durch einen Geschäftsfreund die Summe von 500 Thalern zur Verfügung zu stellen. Um dieselbe Zeit erhielt ich aus Bordeaux einen Brief jener Mme Laussot, welche mich im vergangenen Jahre in Dresden besucht hatte, und die nun in wohlthätig rührenden Ausdrücken mir ihre fortgesetzte Theilnahme bezeigte. Es waren diess die ersten Symptome einer neuen Phase, in welche von jetzt an mein Leben treten sollte, und in welcher ich mich gewöhnte, mein äusseres Schicksal von inneren Bestimmungen abhängig zu wissen, welche mich dem Kreise der bisher empfundenen häuslichen Enge entziehen sollten. Für jetzt hatte diese Hülfe fast etwas Bitteres für mich, da sie mir nun jeden Vorwand benahm, mit welchem ich immer noch geneigt war gegen die Ausführung des verhassten Pariser Unternehmens anzukämpfen. Als ich jedoch gerade aus dieser günstigen Wendung den Grund entnahm, meiner Frau vorzustellen, dass wir am Ende doch auch in Zürich auskommen dürften, gerieth sie völlig ausser sich über meine Schwäche und Verzagtheit; sie erklärte, wenn ich nicht alles Ernstes versuchte es in Paris zu etwas Ordentlichem zu bringen, sie an mir verzweifeln, und nicht zusehen würde, wie ich in Zürich als elender Schriftsteller und Dirigent von Winkelkonzerten jämmerlich verkäme. Wir waren in das Jahr 1850 getreten, und was zunächst die endlich von mir, um nur Ruhe zu haben, beschlossene Abreise nach Paris noch verzögerte, war mein sehr peinliches Unwohlsein. Die Rückwirkung der ungemeinen Aufregung der letzten Zeiten auf meine Nerven war nicht ausgeblieben, der grossen und andauernden Ueberreizung schien die entsprechende Abspannung zu folgen. Beständige Erkältungen in der ungesunden Wohnung, in welcher ich anhaltend über meinen Arbeiten gesessen, führten beunruhigende Symptome herbei. Eine anscheinende Schwäche der Brust stellte sich ein, gegen welche ein politisch flüchtiger Arzt unter andrem mit Pechpflastern verfahren zu müssen glaubte; in Folge dessen und der aufreizenden Wirkung davon auf meine Nerven verlor ich längere Zeit die Fähigkeit laut zu sprechen; dennoch hiess es, ich müsse fort. Als ich ausgehen sollte um mein Postbillet zur Reise zu lösen, fühlte ich mich so matt, dass ich unter heftigem Schweisse zusammenbrach und noch einmal umkehrte, um meiner Frau vorzustellen, ob es denn nicht doch vernünftiger sei, dass ich unter diesen Umständen die Reise aufgäbe. Sie sah nicht ganz unrichtig, als sie in meinem krankhaften Zustande nichts eigentlich gefährliches erkannte, und meinte, dass dabei viel auf Einbildung beruhe, und wenn ich nur erst am rechten Orte sei, ich mich bald besser fühlen werde. Ein unsäglich bittres Gefühl stimulirte schon jetzt meine Nerven, als ich mit verzweifelt heftigen Schritten aus dem Hause mich nach der Post begab, um das verhängnissvolle Billet zu lösen. In den ersten Tagen des Februar reiste ich wirklich nach Paris ab, jedoch mit sonderbaren Empfindungen, die, wenn in ihnen Hoffnung keimte, diese jedenfalls aus einer ganz andren Sphäre meines Inneren sich nährten, als aus dem äusserlich mir aufgedrungenen Glauben an einen Pariser Erfolg als Opernkomponist.

Meine erste Sorge war, mir eine geräuschlos gelegene Wohnung zu verschaffen, was von jetzt an überhaupt eine der wichtigsten Erfordernisse für jede meiner Niederlassungen wurde. Der Kutscher, der mich von Strasse zu Strasse durch abgelegene Quartiere fahren musste, dem ich aber schliesslich vorzuwerfen hatte, dass es dort immer noch zu lebhaft sei, um still zu wohnen, entgegnete mir verweisend: dazu komme man nicht nach Paris, um in einem Kloster zu wohnen. Endlich gerieth ich auf den Ausweg, in einer der Cités, durch welche keine Wagen fahren, nachzusehen, und bestimmte mich endlich, in der Cité de Provence eine Stube mit Kammer zu miethen. Getreu dem mir aufgedrungenen Vorhaben, suchte ich zuerst Herrn Seghers wegen der beabsichtigten Aufführung der Tannhäuser-Ouvertüre auf. Da hatte ich denn durch meine verspätete Ankunft durchaus noch gar nichts versäumt, denn man zerbrach sich eben noch den Kopf darüber, wie man die zur Ouvertüre nöthigen Orchesterstimmen herbei schaffen sollte. Ich hatte darüber an Liszt zu schreiben, die Kopie zu bestellen und die Zusendung abzuwarten. Belloni war nicht gegenwärtig; nichts konnte vor sich gehen, und ich hatte wieder Zeit, in meiner immerhin von den Leierkästen stark belästigten Cité, über den Zweck meines Pariser Aufenthaltes nachzudenken. Es war mir schwer, einem Agenten des Ministeriums des Innern, welcher sich alsbald bei mir einfand, um meiner bedenklichen Eigenschaft als politischer Flüchtling wegen nach diesem Zwecke sich zu erkundigen, die rein künstlerische Bedeutung desselben zu dokumentiren. Zum Glück imponirte ihm meine Partitur, welche ich ihm vorwies, so wie auch Liszt's vorjähriger Artikel über die Tannhäuser-Ouvertüre im Journal des Débats genügend, um mich schliesslich mit der Einladung zu verlassen, mit ruhigem Eifer meinen friedlichen Unternehmungen, in welchen mich die Polizei durchaus nicht stören würde, nachzuhängen.

Doch auch meine älteren Pariser Bekannten suchte ich nun wieder auf. Semper traf ich in der gastfreien Wohnung Despléchins an, wo er mit verschiedenen untergeordneten künstlerischen Arbeiten seine gestörte Lage sich erträglich zu machen suchte. Seine Familie hatte er noch in Dresden zurückgelassen, von woher nur die abschreckendsten Nachrichten zu uns gelangten. Dort begannen sich allmählich die Zuchthäuser mit den unglücklichen Opfern der letzten sächsichen Bewegung zu füllen. Von Röckel, Bakunin und Heubner war nichts andres zu erfahren als dass sie, um Hochverrath angeklagt, einer Verurtheilung zum Tode entgegensahen. Mancherlei Berichte über die Rohheiten und Grausamkeiten, welche von Seiten des Militairs gegen Gefangene verübt worden waren, liessen uns unsre gegenwärtige Lage immer noch als eine besonders günstige erkennen. Mit Semper, den ich häufig sah, belebte sich der Umgang meist zu einem oft verwogenen Humor; er war entschlossen sich mit seiner Familie in London, wo ihm Aussichten auf verschiedene Bestellungen eröffnet waren, zu vereinigen. Meine neuesten schriftstellerischen Versuche und die in ihnen ausgesprochenen Gedanken interessierten ihn sehr; es kam darüber zu belebten Unterhaltungen, zu denen sich, anfänglich erheiternd, endlich aber Semper sehr belästigend, auch Kietz einfand. Diesen hatte ich buchstäblich in der Lage wieder angetroffen, in welcher ich ihn vor langen Jahren verliess: er fand sich immer mit seinen Pinseln noch nicht zurecht, und hätte eigentlich gewünscht, dass die Revolution einen entschiedeneren Ausgang genommen hätte, um unter der Begünstigung eines allgemeinen Zusammenbruches aus seinem peinlichen Verhältnisse zu seinem Hauswirth zu gerathen. Doch brachte er ein recht artiges Portrait von mir, in seiner allerersten Jugendmanier mit buntem Bleistift, zu Stande; bei dieser Gelegenheit hatte ich ihm leider das Kunstwerk der Zukunft zu erklären und verursachte dadurch eine langjährige Confusion, welcher er dadurch verfiel, dass er überall, selbst bei einigen Pariser Bourgeois, wo er Freitische hatte, Propaganda für mich machen wollte. Ausserdem war er der alte, gute, grundgefällige und treuherzige Mensch geblieben, und selbst Semper musste ihn lächelnd zu ertragen lernen. Auch meinen bereits sehr gealterten Freund Anders trieb ich wieder auf, was jeder Zeit ziemlich schwer war, da er ausser der Schlafenszeit nur in der Bibliothek, wo er Niemand empfangen durfte, eingeschlossen war, dann im Lesecabinet seine Erholungsstunden verdämmerte, und sein Dîner gewöhnlich bei einigen Bürgerfamilien, in welchen er Klavierunterricht ertheilte, einnahm. Doch freute ich mich, ihn verhältnissmässig weit gesünder anzutreffen als ich bei meinem früheren Fortgange von Paris gehofft hatte, da er mir damals der Auszehrung entgegen zu gehen schien. Sonderbarer Weise war ihm ein Beinbruch für die Herstellung seiner Gesundheit dienlich geworden; die Behandlung desselben führte ihn nämlich einer Wasserheilanstalt zu, welche dem ganzen Gesundheitszustande äusserst vortheilhaft gewesen war. Alles was ihm im Sinne lag, war einzig, mich noch zu einem grossen Succès in Paris kommen zu sehen, und eifrig versicherte er sich im voraus eines besonders bequemen Platzes zur ersten Aufführung meines in irgend welcher Weise zu erwartenden Werkes, da, wie er stets wiederholte, es ihm sehr beschwerlich sei, einen Platz einzunehmen, wo er gedrängt werden könnte. Den Nutzen meiner gegenwärtigen schriftstellerischen Arbeiten glaubte er nicht einsehen zu können; dennoch beschäftigten diese mich wieder ausschliesslich, da mir bald kund ward, dass es nicht einmal zu der Aufführung der Tannhäuser-Ouvertüre kommen könnte. Eifrigst hatte zwar Liszt die Orchesterstimmen besorgt und zugeschickt; doch erklärte mir nun Herr Seghers, er befinde sich bei seinem Orchester in einer demokratischen Republik, wo Alles gleich stimmberechtigt sei, und die Stimmen desselben hätten sich dahin vereinigt, für den Rest der ablaufenden Wintersaison sich ohne meine Ouvertüre zu behelfen. Ich entnahm mir aus dieser Wendung genug, um meine elende Lage zu erkennen. – Allerdings machte ich auch an dem Erfolg meiner Schriftstellerei keine ermuthigende Erfahrung; ein von grässlichen Druckfehlern strotzendes Exemplar der Wigand'schen Ausgabe meines »Kunstwerk der Zukunft« gelangte zu mir; statt des erwarteten Honorar's von 20 Louisd'or, erklärte mir jedoch mein Verleger, dass er mir für jetzt nur die Hälfte zahlen könnte; er habe sich durch einen anfänglich raschen Absatz der Exemplare von »Kunst und Revolution« verleiten lassen, meinen Schriften einen zu hohen buchhändlerischen Werth beizumessen, worüber ihn alsbald die gänzlich ausbleibende Nachfrage nach meiner zweiten Brochüre, »die Wibelungen« belehrt habe. – Dagegen erhielt ich allerdings von Adolph Kolatschek, welcher, ebenfalls im flüchtigen Zustande, eine deutsche Monatschrift als Organ der Fortschrittspartei herauszugeben im Begriff stand, die Einladung zu gut zu honorirender Mitarbeit. Ich verfasste, um dieser Einladung zu entsprechen, den grösseren Aufsatz über »Kunst und Klima«, womit ich die in meinem »Kunstwerk der Zukunft« gegebenen Anregungen zu vervollständigen glaubte. Ausserdem hatte ich nach meiner Ankunft in Paris erst den vollständigeren Entwurf zu »Wieland der Schmied« ausgearbeitet. Diese Arbeit war nun allerdings ganz unnütz geworden, und mit Grauen überlegte ich mir, was ich jetzt meiner Frau nach Hause schreiben sollte, nachdem die kostbaren, zuletzt empfangenen Subsidien so gänzlich zwecklos aufgeopfert waren. Mit Grauen dachte ich an eine Rückkehr nach Zürich, sowie an einen ferneren Aufenthalt in Paris. Was im Betreff des letzteren mein Gefühl noch sonderbar entscheidend bestimmte, war der Eindruck einer Aufführung des damals noch neuen »Propheten« von Meyerbeer, welchen ich noch nicht kannte. Auf den Trümmern aller Hoffnungen für einen neuen und edeln Aufschwung, wie er im vergangenen Jahre alle Besseren belebt hatte, sah ich hier, als einzigen Erfolg einer auf Kunsttendenzen gerichteten Negociation der provisorischen Regierung der französischen Republik, dieses Werk Meyerbeer's, gleichsam wie die Morgenröthe des nun angebrochenen schmachvollen Tages der Ernüchterung, über die Welt dahin leuchten. Mir ward so übel von dieser Aufführung, dass ich, unglücklicherweise in der Mitte des Parquets placirt, dennoch die stets gern vermiedene Bewegung nicht scheute, welche durch das Fortgehen während eines Aktes seitens eines Zuhörers hervorgerufen wird. Es kam aber in dieser Oper, als die berühmte »Mutter« des Propheten ihren Schmerz schliesslich in den bekannten albernen Rouladen verarbeitete, darüber, dass ich genöthigt sein sollte so etwas anzuhören, zu einem wirklich verzweiflungsvollen Wuthausbruch in mir. Nie vermochte ich je wieder diesem Werke die geringste Beachtung zu schenken.

Doch was war nun anzufangen? Hatten während meines ersten drangsalreichen Pariser Aufenthaltes mich die Südamerikanischen Republiken angezogen, so warf sich diesmal meine Sehnsucht auf den Orient, um dort in irgend einer menschenwürdigen Weise, nichts mehr wissend von dieser ganzen modernen Welt, zu ersterben. In dieser Stimmung hatte ich eine erneuete Anfrage nach meinem Befinden von Seiten der Frau Laussot aus Bordeaux zu beantworten. Meine Erwiderung fiel so aus, dass sie die dringende und freundliche Einladung, mindestens für kurze Zeit in ihrem Hause mich zu erholen, und die augenblicklichen Widerwärtigkeiten zu vergessen, veranlasste. Unter allen Umständen zog mich ein Ausflug in mir noch unbekannte südlichere Gegenden, zu ebenso unbekannten und ernstlich gewogenen Menschen, wohlthätig schmeichelhaft an; ich sagte zu, schloss meine Pariser Rechnung, und machte mich in der Diligence auf, um über Orléans, Tours, Angoulême, die Gironde hinab, mich nach der fremden Stadt zu wenden, wo ich wirklich im Hause des jungen Weinhändler's Eugène Laussot mit Auszeichnung und grosser Freundlichkeit empfangen, und meiner jungen mitleidigen Freundin, seiner Frau, zugeführt wurde.

Unsere nähere Bekanntschaft, zu welcher nun auch die Mutter der Frau Laussot, Mme Taylor gehörte, führte zuvörderst zu näheren Aufklärungen über den Charakter der Theilnahme, welche mir auf so freundlich überraschende Weise von bisher ganz entfernt stehenden Personen zugewendet worden war. Jessie, bei diesem ihrem Vornamen wurde die junge Frau nur im Hause genannt, hatte sich während ihres vorhergehenden längeren Aufenthaltes in Dresden mit der Familie Ritter sehr nahe befreundet, und den Versicherungen, dass namentlich dem Interesse an meinen Werken und Schicksalen viel Antheil daran zuzusprechen war, hatte ich keinen Grund meinen Glauben zu versagen. Seit meiner Vertreibung aus Dresden, und seitdem Nachrichten über meine beschwerliche Lage an die Familie Ritter gelangt waren, hatte man sich zwischen Dresden und Bordeaux zur Berathung darüber in Verbindung gesetzt, wie mir zu helfen sei. Jessie sprach die sehr dringliche Initiative hierfür einzig der Frau Julie Ritter zu, deren Vermögensumstände nicht ergiebig genug waren, um für sich allein mir eine genügende Subvention anzubieten, und die desshalb mit Jessie's Mutter, der ziemlich bemittelten Wittwe eines englischen Advokaten, aus deren Vermögen einzig auch die Haushaltung des jungen Paares in Bordeaux bestritten wurde, sich in Einvernehmen zu setzen suchte. Diess war neuerdings so weit gediehen, dass bald nach meiner Ankunft in Bordeaux Mme Taylor mir eröffnete, dass die beiden vereinigten Familien sich dahin bestimmt hätten, mich zu bitten, bis zur Wiederherstellung günstiger Lebensverhältnisse, eine Unterstützung von 3000 Francs jährlich von ihnen anzunehmen. Es lag mir nun einzig daran, meine Wohlthäter darüber aufzuklären, welche Bewandtniss es damit habe, wenn ich diese Unterstützung annähme. Auf Erfolg als Opernkomponist, weder in Paris noch sonst wo, sei bei mir nicht mehr zu rechnen; was ich dagegen ergreifen würde, wisse ich nicht; jedenfalls aber sei ich entschlossen, mich von der Schmach frei zu erhalten, mit welcher eine Bemühung um solche Erfolge fortan mein Leben beflecken müsste. Gewiss irre ich nicht, wenn ich annehme, dass nur Jessie mich verstand, und, obwohl ich von der anderen Seite nur Freundliches erfuhr, stellte sich doch sehr bald die Kluft heraus, die mich, wie sie, von ihrer Mutter und ihrem Manne trennte. Während der junge schöne Mann den grössten Theil des Tages über seinen Geschäften nachging, die Mutter aber durch Schwerhörigkeit von unserer Unterhaltung meistens ausgeschlossen wurde, gedieh unsere Verständigung über Vieles und Entscheidendes in lebhafter Mittheilung bald zu grosser Vertraulichkeit. Jessie, damals ungefähr 22 Jahre alt, schien, da sie ihrer Mutter in jeder Hinsicht wenig ähnelte, gänzlich dem Vater nachgeschlagen zu sein. Von diesem erfuhr ich viel Einnehmendes. Eine grosse, sehr mannigfaltige Bibliothek, welche er der Tochter hinterlassen hatte, zeugte von den ungewöhnlichen Neigungen des Mannes, der neben seiner einträglichen Advokatur mit grosser Vorliebe einer gewählten Beschäftigung mit Litteratur und Gelehrsamkeit sich hingegeben hatte. Von ihm hatte Jessie schon als Kind auch das Deutsche erlernt, welches sie mit grösster Fertigkeit sprach. Mit Grimm's Kindermärchen war sie auferzogen worden, und des weiteren mit der poetischen Litteratur der Deutschen vollkommen bekannt, während sie, wie natürlich, mit dem Englischen, sowie nicht minder auch mit dem, von ihr übrigens gering geschätzten Französischen, nach den vollsten Anforderungen einer sehr entwickelten Bildung vertraut war. Ihre schnelle Auffassung war erstaunlich; Alles, was ich kaum berührte, war ihr sogleich und, wie es schien, genau vertraut. So war es auch mit der Musik der Fall; sie las mit der grössesten Leichtigkeit, und spielte mit bedeutender Fertigkeit, so dass sie mich, von dem sie in Dresden erfahren hatte, dass ich noch immer nach einem Klavierspieler suchte, der mir einmal die grosse B-Dur Sonate von Beethoven vorspielen sollte, jetzt wirklich durch den vollständigen Vortrag dieses über Alles schwierigen Klavierstückes überraschte. Das Gefühl, das mir die Wahrnehmung dieser ungemein leichten Begabung, und der Leistung derselben machte, ward mir plötzlich beängstigend, als ich sie auch singen hörte. Ein scharfer, schriller Falset-Ton, in welchem Heftigkeit, durchaus aber kein eigentliches Gefühl zum Vorschein kam, erschreckte mich so sehr, dass ich nicht umhin konnte, sie zu ersuchen, vom Singen fernerhin abzustehen. Im Vortrag der Sonaten nahm sie willig und eifrig meine Belehrungen über den richtigen Ausdruck an, ohne jedoch in mir das Gefühl zu erwecken, dass sie es dazu bringen würde, diess ganz nach meinem Sinne auszuführen. Ich las ihr meine neuen schriftstellerischen Arbeiten vor, denen sie mit leichtestem Verständniss selbst der gewagtesten Darstellungen zu folgen schien. Meine Dichtung von »Siegfried's Tod« ergriff sie sehr, der Skizze zu »Wieland dem Schmied« gab sie aber den Vorzug. Sie gestand mir späterhin, dass sie ihr persönliches Schicksal lieber in der Rolle der hülfreichen Braut Wieland's, als in der Stellung und dem Loose Gutrunes zu Siegfried wieder erkennen möchte. Es konnte nicht ausbleiben, dass wir für unsre Unterhaltungen, und die darin besprochenen Gegenstände, uns bald von unsrer Umgebung belästigt fühlten. War es für uns beängstigend, uns eingestehen zu müssen, dass Mme Taylor offenbar nie im Stande sein würde, zu begreifen, um was es sich bei meiner Protektion handle, so war es mir besonders erschreckend, mit der Zeit die gänzliche Unübereinstimmung namentlich der intellectualen Eigenschaften des jungen Ehepaars wahrzunehmen. Es deutete offenbar auf eine seit längerer Zeit von Seiten Laussot's wahrgenommene Abneigung seiner jungen Frau gegen ihn, wenn eines Tages er so weit sich vergass, laut und heftig sich darüber zu beklagen, dass sie selbst das Kind nicht lieben würde, welches sie von ihm empfangen haben dürfte, weshalb er es für ein Glück zu halten habe, dass sie nicht Mutter geworden sei. Staunend und betrübt sah ich hier plötzlich in einen Abgrund, wie er allerdings so oft, gleich wie hier, sich unter dem Anschein eines ganz erträglichen ehelichen Verhältnisses verbirgt. In dieser Zeit, und als mein Aufenthalt sich nach drei Wochen seinem Ende näherte, kam auch ein Brief meiner Frau an, der nicht unglücklicher auf meine Stimmung hätte wirken können; sie war im Ganzen damit zufrieden, neue Freunde gefunden zu haben, erklärte aber, dass, wenn ich nicht noch alsbald nach Paris ginge, um dort die Aufführung meiner Ouvertüre und die davon verhofften Erfolge auf das Eifrigste zu betreiben, sie nicht wüsste, was sie von mir denken sollte, und jedenfalls mich nicht begreifen würde, wenn ich so unverrichteter Dinge nach Zürich zurückkäme. Zugleich erhielt meine Stimmung noch eine sehr pathetische Steigerung durch eine Zeitungsnotiz, welche mir das gefällte Todesurtheil über Röckel, Bakunin und Heubner, und dessen nächst bevorstehende Vollstreckung anzeigte. Ich schrieb an die beiden ersteren Freunde einen lakonischen, aber ebenso energischen Abschiedsbrief, und da ich keine Möglichkeit ersah, diess Schreiben den auf der Festung Königstein Gefangenen zukommen zu lassen, gerieth ich auf den Gedanken, ihn an Frau von Lüttichau zur Besorgung abzuschicken, weil ich sie für die einzige Person hielt, in deren Macht die richtige Bestellung liegen könnte, während sie andrerseits genug Edelmuth und selbstständigen Sinn besitzen durfte, um trotz aller möglichen Meinungsverschiedenheit meinen Wunsch zu achten und ihm Erfüllung zu verschaffen. Von diesem Brief ist mir später erzählt worden, dass Herr von Lüttichau sich seiner bemächtigt, und ihn in den Ofen geworfen habe. Für jetzt half auch dieser schmerzliche Eindruck, um mich zu dem Entschlusse zu bringen, mit Allem und Jedem hinter mir zu brechen, weder von Kunst noch Leben mehr etwas wissen zu wollen, und, sei es auch unter den äussersten Entbehrungen mich auf's Gerathewohl in das Unerreichbare zu verlieren. Von der kleinen, durch meine Freunde mir zugewiesenen Rente, wollte ich die Hälfte meiner Frau zuweisen, um mit der anderen mich, wie es gehe, in Griechenland oder Klein-Asien, Gott weiss unter welcher Gestalt, in das Vergessen und Vergessensein zu werfen. Diess theilte ich denn meiner jetzigen einzigen Vertrauten mit, namentlich auch um sie wissen zu lassen, dass sie bei meinen Gönnern es zu vermitteln habe, über die Verwendung der mir angebotenen Subvention Aufklärung zu verschaffen. Sie schien freudig hiervon betroffen zu sein, und der Entschluss, sich in ein gleiches Schicksal zu werfen, schien auch ihr aus empfundenem Widerwillen gegen ihre Lebenslage leicht anzukommen. Diess sprach sich in Andeutungen und in kurz hingeworfenen Worten aus. Ohne deutlich zu wissen, wozu auch diess führen sollte, und ohne irgend welche Uebereinkunft getroffen zu haben, verliess ich, weniger beruhigt als aufgeregt, aber mit Bedauern und Bangigkeit, in den letzten Tagen des April Bordeaux, um betäubt, gänzlich ungewiss über das nächst zu Ergreifende, für das Erste nach Paris zurück zu reisen.

In sehr leidendem Zustande, durch stete Schlaflosigkeit zugleich ermüdet und aufgeregt, verbrachte ich, dort angekommen, acht Tage im Hôtel Valois, um nach Fassung in meiner excentrischen Lage zu ringen. Hätte ich selbst die Pläne, welche mich gewaltsam nach Paris geführt hatten, wieder aufnehmen wollen, so überzeugte ich mich bald, dass zunächst gar nichts hierfür zu thun sei. Meine Betrübniss über die Vergeudung meiner Lebenskräfte in einer mir widerwärtigen Richtung, zur blossen Befriedigung unverständiger Anforderungen an mich, steigerte sich zum Ingrimme. Ich musste endlich meiner Frau auf ihr letztes Andringen Antwort geben, und erklärte ihr nun in einem sehr ausführlichen, wohlwollend, aber unumwunden unser ganzes gemeinsames Leben rekapitulirenden Schreiben, dass ich zu dem festen Entschlüsse gekommen sei, sie ferner von der unmittelbaren Theilnahme an meinem Schicksale zu entbinden, da ich dieses nach ihrem Gutfinden einzurichten mich für gänzlich unfähig hielt. Von Allem, was mir jetzt und je in Zukunft an Mitteln zufliessen sollte, werde ihr stets die Hälfte überlassen sein; sie möge sich hierein fügen und annehmen, dass der Fall eingetreten sei, für welchen sie mir beim ersten Wiedersehen in der Schweiz ihre erneuete Trennung von mir angekündigt habe. Ich überwand es, vollständig von ihr Abschied zu nehmen. Hiervon gab ich sogleich Nachricht an Jessie nach Bordeaux, ohne allerdings, da ich im Betreff der Mittel noch zu sehr beengt war, einen bestimmten Plan meines Vorhabens für meine gänzliche Flucht aus der Welt, wie ich es nennen musste, angeben zu können. Ich erhielt als Erwiderung von dieser Seite her die bestimmte Erklärung, zu dem gleichen Schritte entschlossen zu sein, und dabei die Anrufung meines Schutzes, unter den sie sich, wenn sie sich vollkommen befreit haben würde, zu stellen beabsichtige. Sehr erschrocken, liess ich es an nichts fehlen, um ihr die Vorstellung dessen zu erwecken, dass es ein anderes sei, ob ein in so verzweifelter und widerwärtiger Lage befindlicher Mensch, wie ich, der Unmöglichkeit gegenüber zum Sich-gehen-lassen sich bestimmt fühle, oder ob eine junge Frau sich aus einem, jedenfalls äusserlich durchaus wohlgeordneten Familienverhältnisse, aus dem einzigen Grunde, den Niemand, ausser wohl ich, zu begreifen im Stande sei, heraus zu reissen sich entschliesse. Sie beruhigte mich im Betreff des Excentrischen ihres Entschlusses, dass dieser in äusserlich wenig auffallender Art ausgeführt werden solle, da sie zunächst nichts andres als einen Besuch bei der ihr befreundeten Familie Ritter in Dresden durchzusetzen gedächte. Ich fühlte mich von diesem Allem so ungemein angegriffen, dass ich zunächst dem Bedürfniss, mich in eine nicht weit abliegende Einsamkeit zurückzuziehen, nachgab. Mitte April begab ich mich nach Montmorency, von dem ich viel Anmuthiges gehört hatte, und suchte mir dort einen bescheidenen Versteck auf. Mühselig schlich ich mich, durch die noch ganz winterliche Landschaft, ausserhalb der kleinen Stadt dahin, und kehrte in dem kleinen Gärtchen eines marchand de vin, welches sich nur des Sonntags mit Besuchern zu füllen pflegte, ein, um mich bei Brod, Käse und einer Flasche Wein zu erholen. Es versammelte sich eine Schaar Hühner um mich, denen ich fleissig von meinem Brode zuwarf; der Hahn rührte mich durch seine aufopfernde Enthaltsamkeit, mit welcher er jede Nahrung, trotzdem ich sie ihm besonders zuwarf, nur den Weibchen zuwies. Diese wurden aber immer kühner, flogen auf meinen Tisch, und machten sich ungescheut über meine Provision her; auch der Hahn flog ihnen nach, und da er bemerkte, dass nun doch einmal alles drunter und drüber ging, so warf auch er sich mit lang verhaltener Begier geradeswegs über den Käse her. Wie ich dieses flatternde Chaos mich endlich vollständig von dem Tische verdrängen sah, brach seit lange zum ersten Mal wieder eine grosse Heiterkeit in mir aus; ich musste laut lachen, und blickte mich nach dem Wirthshausschilde um. Da sah ich denn auch, dass mein Gastgeber Homo hiess. Das war mir denn nun ein Schicksalswink: um jeden Preis musste ich hier mein Unterkommen suchen; es fand sich ein merkwürdig kleines und schmales Schlafzimmer, welches ich sofort in Beschlag nahm. Darin stand ausser dem Bett ein roher Tisch und zwei Strohsessel. Ich richtete mir den einen davon als Waschtoilette her, und auf dem Tische breitete ich einige Bücher, Schreibmaterialien und die Partitur des »Lohengrin« aus. Fast war ich im Begriffe bei dieser höchsten Beschränkung behaglich aufzuathmen; trotzdem die Witterung ungünstig blieb, und die unbelaubten Wäldchen mir nur noch unerquickliche Promenaden lieferten, fühlte ich mich hier doch in der Möglichkeit, vollständig vergessen zu werden, und nicht minder alle Vorstellungen, die mich zuletzt so trostlos beängstigt hatten, ebenfalls zu vergessen. Der alte Kunsttrieb erwachte; ich blätterte in meiner Lohengrin-Partitur, und entschloss mich schnell, sie an Liszt abzuschicken, um es ihm anheimzustellen, so gut oder übel es ihm gelingen könne, sie ausführen zu lassen. Nun ich auch diese Partitur los war, fühlte ich mich so recht wie vogelfrei, und eine diogenische Unbesorgtheit über das, was mit mir vorgehen sollte, kam über mich. So lud ich selbst Kietz ein, mich in Montmorency zu besuchen, um die Freuden meiner Villegiatur zu theilen. Wirklich kam er noch an, wie damals nach Meudon; nur fand er diesmal meine Einrichtung noch bescheidener als damals. Doch machte er Dîner und Nachtlager auf einem improvisirten Bett sehr vergnügt mit, und versprach sich, als er wieder nach Paris zurückging, die Welt mit mir in Rapport zu erhalten. – Aus diesem Zustande wurde ich plötzlich aufgeschreckt durch die Nachricht, dass meine Frau in Paris angekommen sei, um mich aufzusuchen. Ich hatte eine schmerzliche Stunde lang mit mir zu kämpfen, welchen Entschluss ich zu fassen habe: ich entschied mich dafür, meinen Schritt nicht etwa als eine in gutmüthiger Aufwallung andrerseits zu verzeihende Uebereilung gelten zu lassen, verliess sofort Montmorency, begab mich nach Paris, citirte Kietz in mein Hôtel, und bestimmte ihn, meiner Frau, welche schon den Versuch gemacht hatte, zu ihm zu dringen, zu verschweigen, dass er etwas andres von mir wisse, als dass ich Paris verlassen hätte. Bei dieser Gelegenheit kam der arme Bursch, der andrerseits, wie ich selbst, Minna das herzlichste Mitleiden nicht versagen konnte, in die beschwerlichste Verwirrung, so dass er mir erklärte, »er käme sich wie die Achse vor, um welche sich alles Unglück der Welt drehe« . Doch scheint er im richtigen Gefühle der Bedeutung und Schwere meines Entschlusses, wie es hier nöthig war, klug, doch gefühlvoll seiner nicht leichten Aufgabe nachgekommen zu sein. Ich verliess noch in der Nacht Paris mit der Eisenbahn, um von Clermont-Tonnerre, wo ich wiederum einige Zeit zubringen musste, für das Erste nach Genf zu reisen, wo ich Nachrichten von Frau Ritter aus Dresden abwarten wollte. – Meine Erschöpfung war so gross, dass ich an den Angriff eines grösseren Reiseunternehmens, selbst wenn ich mit den hinreichenden Mitteln dazu versehen gewesen wäre, nicht sofort denken konnte. Um für das nöthige Abwarten einige Zeit zu gewinnen, zog ich mich an das andre Ende des Genfersee's, nach Villeneuve, zurück, wo ich in dem um diese Jahreszeit noch gänzlich leer stehenden Hôtel Byron ein leichtes Unterkommen fand. Dort erfuhr ich, dass Karl Ritter, wie er schon früher mir angekündigt, in Zürich angekommen sei, um dort bei mir zu verweilen. Ich citirte ihn mit der Anempfehlung strengster Verschwiegenheit zu mir an den Genfersee, wo wir uns in der zweiten Woche des Mai eben in jenem Hôtel Byron vereinigten. Mir gefiel an ihm die unbedingte Ergebenheit, das schnelle Verständniss meiner Lage und der Nothwendigkeit meiner Entschlüsse, sowie sein leichtes Eingehen, ohne viele Reden, auf alle meine Anordnungen auch in seinem Betreff. Er war von meinen neuesten schriftstellerischen Arbeiten ganz erfüllt, sprach mir von dem lebhaften Eindrucke, den sie auf seine Bekannten hervorgebracht, und veranlasste mich dadurch, die wenigen Ruhetage, die ich jetzt genoss, zur Herausgabe meiner Dichtung von »Siegfried's Tod« zu verwenden. Ich schrieb dazu ein kurzes Vorwort, in welchem ich meinen Freunden dieses Gedicht als eine Reliquie aus der Zeit empfahl, wo ich noch mit rein künstlerischen Arbeiten, namentlich mit musikalischen Compositionen mich beschäftigen zu können verhoffte. Diess Manuskript schickte ich abermals Herrn Wigand nach Leipzig zu, welcher mir es jedoch nach einiger Zeit mit dem Bemerken wieder zustellte, dass, namentlich wenn ich auf dem Druck desselben mit lateinischen Buchstaben bestünde, er kein Exemplar davon verkaufen würde. Später erfuhr ich auch, dass er die für das »Kunstwerk der Zukunft« mir noch gebührenden 10 Louisd'or, welche ich ihm meiner Frau zuzustellen angewiesen hatte, hartnäckig auszuzahlen verweigerte.

So unerquicklich Alles nach dieser Seite für mich blieb, so durfte ich für jetzt doch noch in keiner Weise an irgend welches Befassen mit einer Arbeit denken, da, nur wenige Tage nach Karl's Ankunft, aus der realen Sphäre des Lebens die allerbedenklichsten Angriffe auf meine Gemüthsruhe unerwartet sich kund gaben. Frau Laussot zeigte mir in aufgeregtester Weise an, dass sie nicht umhin gekonnt habe, ihrer Mutter ihre Absichten zu eröffnen, dass sie hierdurch sofort die Annahme erweckt habe, dass Absichten meinerseits hierbei im Spiele seien, welcher zufolge ihre Eröffnung an Herrn Laussot weiter gegangen wäre, und dieser nun schwöre, mich überall aufzusuchen um mir eine Kugel durch den Kopf zu schiessen. Ich wusste nun woran ich war, und beschloss sofort nach Bordeaux zu reisen, um die Sache mit meinem Gegner bestimmt in Ordnung zu bringen. Sogleich setzte ich mich hin und schrieb einen ausführlichen Brief an Herrn Eugène, um ihm den Stand der Dinge nach ihrem rechten Lichte begreiflich zu machen, wobei ich allerdings die Ansicht nicht zurückhielt, dass ich nicht begriffe, wie es ein Mann über sich bringen könne, eine Frau, die nichts von ihm wissen wolle, mit Gewalt bei sich zurück zu halten. Schliesslich meldete ich ihm, dass ich mit diesem Brief gleichzeitig in Bordeaux selbst eintreffen und sofort nach meiner Ankunft das Hôtel anzeigen würde, in welchem er mich aufzufinden habe; ausserdem, dass seine Frau von diesem meinem Schritte ausdrücklich unbenachrichtigt bliebe, und er somit in voller Unbefangenheit handeln könne. Wie es der Wahrheit gemäss war, verschwieg ich ihm auch nicht, dass ich diese Reise unter grossen Erschwerungen unternähme, da ich mir selbst nicht die Zeit gönnen zu dürfen glaubte, meinen Pass durch das gehörige Visum des französischen Gesandten zum Eintritt in Frankreich gültig zu machen. An Frau Laussot schrieb ich gleichzeitig wenige Zeilen, in welchen ich ihr allgemein hin Ruhe und Fassung zurief, getreu meinem Vorsatze aber selbst die mindeste Andeutung einer Ortsveränderung meinerseits unterliess. (Als ich nach Jahren einmal Liszt diese Geschichte mittheilte, äusserte er, dass ich darin sehr dumm verfahren habe, die Frau nicht gleichzeitig von meinem Vorhaben zu benachrichtigen.) Für jetzt nahm ich von Karl noch am gleichen Tage Abschied, um des andern Morgens von Genf aus meine damals noch sehr beschwerliche Reise mitten durch Frankreich anzutreten. Hier fühlte ich mich so auf das Aeusserste erschöpft, dass ich dem Gedanken an meinen nahen Tod nicht wehren konnte. Ich schrieb in diesem Sinne noch in der Nacht an Frau Ritter nach Dresden, indem ich ihr kurz die unglaubliche Verwirrung, in welche ich gerathen, bezeichnete. Wirklich hatte ich an der französischen Grenze wegen meines Passes Schwierigkeiten; ich musste mein Reise-Ziel genau angeben, und es bedurfte meiner Versicherung, dass wichtige Familienangelegenheiten mich dahin zögen, um die Behörde zu einer ausnahmsweisen Nachsicht zu bewegen. Ueber Lyon reiste ich durch die Auvergne in der Diligence während voller dreier Tage und zweier Nächte bis Bordeaux, welches ich, es war in der Mitte des Mai, von einer Höhe herab im allerersten Tagesgrauen durch eine dort ausgebrochene Feuersbrunst beleuchtet, endlich vor mir erblickte. Ich stieg im Gasthof der »Quatre sœurs« ab, schrieb sofort ein Billet an Herrn Laussot und meldete ihm, dass ich den Tag über das Hôtel nicht verlassen würde, um ihn zu erwarten. Es war des Morgens um 9 Uhr, als ich ihm diese Zeilen zusendete; ich wartete aber vergebens auf ihren Erfolg, bis ich endlich am späten Nachmittag eine Citation vom Polizei-Bureau erhielt, wo ich unmittelbar zu erscheinen hatte. Dort frug man mich zunächst, ob mein Pass in Richtigkeit sei; ich bekannte die Schwierigkeit, in der ich mich deshalb befände, und dass ich um einer dringenden Familienangelegenheit willen mich in dieselbe begeben hätte. Hierauf ward mir eröffnet, dass gerade diese Familienangelegenheit, die mich hierher geführt haben dürfte, der Grund wäre, weshalb man mir den ferneren Aufenthalt in Bordeaux versagen müsste. Auf meine Nachfrage leugnete man nicht, dass dieses Verfahren gegen mich auf ausdrücklichen Wunsch der betheiligten Familie eingeleitet sei. Diese sonderbare Eröffnung gab mir sofort meine gute und freie Laune zurück; der Polizeicommissair, welchem ich vorstellte dass man mir nach der beschwerlichen Reise wohl etwa zwei Tage zur Ausruhung vor der Rückreise gönnen werde, gestand mir diess ganz gemüthlich zu, da er mir mittheilen konnte, dass ich die Familie, welche heute um Mittag Bordeaux verlassen habe, doch nicht antreffen würde. Wirklich bediente ich mich dieser zweier Tage zu meiner Erholung, setzte aber nun einen längeren Brief an Jessie auf, in welchem ich ihr das Vorgefallene sehr genau mittheilte, und auch nicht verschwieg, dass ich das Benehmen ihres Mannes, welcher die Ehre seiner Frau durch eine Denunciation an die Polizei preisgegeben habe, für so nichtswürdig halte, dass ich allerdings von jetzt an in keine Art Verkehr mit ihr wieder treten können würde, ehe sie sich aus diesem schmachvollen Verhältnisse nicht gelöst hätte. Es galt nun, diesen Brief sicher seiner Bestimmung zukommen zu lassen; die Angaben des Polizeibeamten waren nicht genügend, um mich über den Vorfall in der Familie Laussot, ob sie nur für einen Tag, oder für längere Zeit ihr Haus verlassen, aufzuklären. Ich entschloss mich, einfach dieses Haus aufzusuchen; dort zog ich an der Klingel, die Thüre sprang auf; ohne Jemand anzutreffen, schritt ich in die offene erste Etage, ging von Zimmer zu Zimmer bis zu der Wohnstube Jessie's, fand dort ihr Arbeitskörbchen, und legte dahinein den Brief; darauf ging ich ruhig denselben Weg zurück, ohne auf irgend Jemand zu stossen. Da ich keinerlei Lebenszeichen erhielt, trat ich mit dem mir anberaumten Termin meine Zurückreise auf dem gleichen Wege, welchen ich gekommen, an. Das schöne Maiwetter wirkte erquicklich auf mich; ich freute mich sowohl des klaren Wasser's, als des anmuthigen Namens der Dordogne, an welcher der Postwagen lange Zeit dahin fuhr. Auch unterhielten mich die Gespräche eines Geistlichen und eines Officiers über die Nothwendigkeit, mit der französischen Republik baldigst aufzuräumen, wobei der Geistliche im Grunde sich weit humaner und liberaler äusserte, als der Militair, welcher nur einen Refrain kannte: »il faut en finir« . Jetzt sah ich mir auch Lyon etwas näher an, und suchte mir auf einer Promenade durch die Stadt die Scenen zurückzurufen, welche Lamartine in seiner »Histoire des Girondins« von der Belagerung und Einnahme dieser Stadt in der Conventszeit so anschaulich geschildert hat. – Nach Genf und endlich in das Hôtel »Byron« zurückgekehrt, ward ich von Karl Ritter mit freundlichen Nachrichten von seiner Familie erwartet. Die Mutter hatte ihn sofort über meinen Gesundheitszustand beruhigt und bedeutet, dass Nervenkranken die scheinbare Nähe des Todes geläufig sei, und desshalb keiner Befürchtung für mich nachzugeben wäre. Ausserdem kündigte sie ihm an, in wenigen Tagen mit ihrer Tochter Emilie uns selbst in Villeneuve aufsuchen zu wollen. Diese Nachricht wirkte denn wahrhaft herzstärkend auf mich, und jene so hingebend um mich besorgte Familie erschien mir wie vom Himmel gesandt, um mich, wie ich es ersehnte, einem neuen Leben zuzuführen. Wirklich kamen die beiden Frauen nach einigen Tagen bei uns an, um meinen 37. Geburtstag am 22. Mai mit mir zu begehen. Vor allem war es die Mutter, Frau Julie, welche wirklich einen tiefen Eindruck auf mich machte. Ich hatte sie nur einmal in Dresden gesehen, als Karl mich gebeten hatte, der Aufführung eines Quartettes von sich in der Wohnung seiner Mutter zugegen zu sein; es hatte mich freudig erregt, die verehrungsvolle Ergebenheit in jeder Begegnung der Glieder der Familie wahrzunehmen. Die Mutter hatte wenig gesprochen, nur als ich mich zeitig entfernen musste, sprach sie ihren Dank für meinen Besuch unter hervorbrechenden Thränen aus, welche ich mir damals nicht zu deuten vermochte, von denen sie jetzt aber, mit Verwunderung über meine Frage danach, erklärte, dass es die Rührung über meine unerwartete Güte gegen ihren Sohn gewesen sei. – Gegen acht Tage hielten sich die Frauen bei uns auf; wir suchten uns durch Ausflüge in das schöne Walliser Thal zu zerstreuen, ohne jedoch die grosse sorgenvolle Beklemmung der Frau Ritter, sowohl über die letzten, ihr nun genau bekannt gewordenen Vorgänge, als namentlich über die Gestaltung meines besondren Schicksales, zu verscheuchen. Wie ich später erfuhr, hatte die sehr kränkliche und nervenleidende Frau mit dem Entschlusse zu dieser Reise eine äusserste Anstrengung gethan, und als ich darauf drang, dass sie mit der Familie nach der Schweiz übersiedeln sollte, um dort mit mir sich vereinigen zu können, ward mir zuletzt bedeutet, dass ich nach dem einen, für sie fast excentrischen Unternehmen, nicht auf eine Rüstigkeit bei ihr schliessen sollte, welche ihr in Wahrheit nicht mehr zu eigen sei. Für jetzt empfahl sie mir ihren Sohn, welchen sie bei mir lassen wollte, und übergab mir zunächst die nöthigen Mittel, um für einige Zeit mit ihm bestehen zu können. Ueber ihre Vermögenszustände theilte sie mir mit, dass diese beschränkt wären, und sie nun, da sie unmöglich ferner mit der Familie Laussot gemeinschaftlich zu sorgen haben könnte, in Bangen darüber sei, wie sie genügend für meine Freiheit Hülfe schaffen sollte. Nach acht Tagen nahmen wir sehr ergriffen Abschied von der ehrwürdigen Frau, welche mit ihrer Tochter sich wieder zur Reise nach Dresden aufmachte, und seitdem mir nicht wieder persönlich begegnet ist.

Immer darauf bedacht, wie ich es nur anfinge, aus der Welt zu verschwinden, wählte ich mir eine möglichst wilde Gebirgswildniss, in welche ich mich mit Karl zurückzuziehen beschloss. Wir suchten zu diesem Zwecke das einsame Visper-Thal im Canton Wallis auf; mit ziemlicher Beschwerde drangen wir durch die noch sehr unwegsamen Pfade bis nach Zermatt vor. Dort, am Fusse des ungeheueren und wunderbar schönen Matterhorn's, konnten wir uns allerdings als von der ganzen Welt abgeschlossen ansehen. Ich suchte uns in der naiven Wildniss so gut wie möglich einzurichten; aber nur zu bald bemerkte ich, dass Karl in diese Lage sich nicht zu finden vermochte. Er gestand mir bereits am zweiten Tage, dass er es hier grässlich finde, und meinte, dass es sich doch jedenfalls an einem der offenen Seen besser aushalten lassen würde. Wir studirten die Karte der Schweiz und wählten Thun zum Versuch einer neuen Niederlassung. Auch ich befand mich leider wieder in dem beängstigenden Zustande der Abspannung meiner Nerven, in welchem jede körperliche Anstrengung mich sofort zu heftiger und schwächender Transpiration brachte. Nur mit äusserster Ueberwindung vermochte ich den Rückweg aus dem Thale zu nehmen; doch gelangten wir endlich mit erneuetem Muthe nach Thun, wo wir uns ein paar bescheidene, aber freundliche Zimmer an der Landstrasse mietheten, und nun abwarten wollten, ob wir es da aushalten können würden. Die Unterhaltung mit meinem jungen Freunde war trotz seiner grossen Schweigsamkeit, welche immer noch den Charakter der früheren Schüchternheit verrieth, doch stets anmuthig und belebend für mich; besonders seitdem ich bemerkt hatte, zu welch fliessender und ergiessungsvoller Lebhaftigkeit der junge Mann es zuweilen brachte, wenn er, namentlich vor dem Schlafengehen, vor meinem Bette sich hinkauerte, und so in dem angenehmen reinen Dialekte der deutschen Ostseeprovinzen, über das, was ihn erregte, sich ausliess. Mich erheiterte in diesen Tagen ganz ausnehmend die seit langem zum ersten Male wiederholte Lektüre der »Odyssee«, welche mir ein Zufall in die Hände geführt hatte. Der heimathsehnsüchtige, unablässig umherirrende, alle Hindernisse stets rüstig besiegende Dulder Homer's, trat ungemein sympathisch an meine Seele heran. – Plötzlich wurde der kaum betretene Friedenszustand durch einen Brief gestört, welcher Karl von Frau Laussot zukam. Er wusste nicht, ob er ihn mir zeigen sollte, da er glauben musste, Jessie sei verrückt geworden. Ich entriss ihm das Blatt und fand nun, dass die junge Frau sich verbunden finde, meinem Freunde zu wissen zu thun, dass sie über mich insoweit vollkommen aufgeklärt sei, als ihr nöthig wäre, um aus jeder Beziehung zu mir zu treten. Was ich später, namentlich durch Hülfe der Frau Ritter über das Vorgefallene ermittelte, war, dass in Folge meines Briefes und meiner Ankunft in Bordeaux, Herr Laussot, im Einverständniss mit Frau Taylor, sogleich mit Jessie auf das Land gefahren war, um dort so lange zu verweilen, bis er Nachricht von meiner Abreise, um deren Beschleunigung willen er sich an die Polizei gewandt hatte, erhalten habe. Dort habe man der jungen Frau, mit Verschweigung meines Briefes und meiner Reise, das Versprechen abgewonnen, zunächst ein Jahr ruhig zu verbleiben, ihre Reise nach Dresden aufzugeben, und jedenfalls auch mit mir aus aller Correspondenz zu treten; da man ihr unter dieser Bedingung zusagte, nach dieser Zeit ihr volle Freiheit lassen zu wollen, hatte sie geglaubt, das verlangte Versprechen geben zu müssen. Schon die nächste Zeit ward nun aber von den beiden Verschworenen benützt, um nach jeder Seite hin, und endlich auch bei der jungen Frau, mich, den man für den Anstifter einer Art von Entführung-Unternehmens ansehen zu müssen glaubte, zweckmässigst zu verleumden. Frau Taylor hatte sich mit der Klage über den »von mir beabsichtigten Ehebruch« an meine Frau gewandt, dieser ihr Mitleiden gemeldet, und ihre Unterstützung angeboten; die arme Minna, die nun plötzlich meinen Entschluss, von ihr fern zu bleiben, einem bis dahin von ihr nicht geargwöhnten Grunde beimessen musste, wendete sich deshalb wieder klagend an Frau Taylor zurück. Hierbei hatte ein merkwürdiges Missverständniss als absichtlich angewandte Lüge mitgespielt: in einem launigen Gespräche hatte mir nämlich einmal Jessie gesagt, sie gehöre keiner anerkannten Confession an, da ihr Vater einer besondren Secte angehört habe, welche weder nach dem protestantischen, noch nach dem katholischen Ritus taufe; worauf ich sie damit tröstete, dass auch ich schon mit wohl weit bedenklicheren Secten in Berührung gekommen sei, da ich kurz nach meiner Trauung erfahren habe, dass diese in Königsberg von einem Mucker vollzogen worden wäre. Gott weiss, in welchem Sinne diess der würdigen englischen Matrone mitgetheilt worden war, kurz, sie hatte meiner Frau berichtet: ich hätte erklärt, ich sei gar nicht in gültiger Weise mit ihr getraut. Jedenfalls mochten die Rückäusserungen meiner Frau wiederum genügenden Stoff an die Hand gegeben haben, um auch Jessie in dem beabsichtigten Sinne über mich aufzuklären, und der Wirkung hiervon verdankte ich den sonderbaren Brief an meinen jungen Freund. Ich muss gestehen, dass mich nach dieser Einsicht der Dinge zuallernächst nur die Misshandlung meiner Frau empörte, und während ich nach jener Seite zu gänzlich gleichgültig darüber blieb, was man von mir meine, nahm ich sofort das Anerbieten Karl's an, nach Zürich zu gehen und meine Frau aufzusuchen, um ihr die nöthigen Aufklärungen zu ihrer eigenen Beruhigung zu geben. – Während ich seine Zurückkunft erwartete, erhielt ich einen Brief Liszt's, welcher mir den grossen, und auf seine ganze Gesinnung über mich und meine Zukunft entscheidenden Eindruck meldete, welchen das genaue Bekanntwerden mit der Partitur meines »Lohengrin« auf ihn hervorgebracht. Er zeigte mir zugleich an, dass er, da ich ihm hierzu die Erlaubniss gegeben habe, mit Anspannung aller Kräfte eine Aufführung meines Werkes, zur Feier des bevorstehenden Herderfestes in Weimar, in Angriff zu nehmen beabsichtige. Fast gleichzeitig schrieb mir Frau Ritter, welche im Betreff der von ihr vollkommen verstandenen Vorgänge mich wohl bitten zu müssen glaubte, dass ich diese Angelegenheit mir nicht zu sehr zu Herzen nähme. Nun kam auch Karl von Zürich zurück, und sprach mit grosser Wärme über das Verhalten meiner Frau. Sie habe sich, nachdem sie mich in Paris nicht angetroffen, mit seltener Energie zu fassen gewusst, nach meinem früheren Wunsche eine geräuschlose Wohnung am Züricher See gemiethet und geschickt eingerichtet, und sei dort verblieben, in der Hoffnung, endlich doch wieder von mir zu hören. Ausserdem erzählte er mir einiges Gescheidte und Freundschaftliche von Sulzer, welcher mit grosser Theilnahme meiner Frau zur Seite gestanden habe. Plötzlich brach Karl aus: »Ach, das wären doch noch Menschen; mit solch einer verrückten Engländerin sei dagegen nichts anzufangen.« Ich sagte zu alle dem kein Wort, und frug ihn endlich nur lächelnd, ob er denn etwa gern nach Zürich übersiedeln möchte? Er sprang auf: »Ach ja! Heute lieber als morgen!« »Du sollst deinen Willen haben,« sagte ich, »lass uns einpacken; ich sehe doch in Allem keinen Sinn, möge es dort oder hier sein.« Ohne ein Wort weiter über alle diese Dinge zu sprechen, reisten wir andern Tages nach Zürich ab.

 


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