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Erster Theil.
1813-1842

Am 22. Mai 1813 in Leipzig auf dem Brühl im »roth und weißen Löwen«, zwei Treppen hoch, geboren, wurde ich zwei Tage darauf in der Thomaskirche mit dem Namen Wilhelm Richard getauft. Mein Vater Friedrich Wagner, zur Zeit meiner Geburt Polizeiactuarius in Leipzig, mit der Anwartschaft auf die Stelle des Polizeidirectors daselbst, starb im October des Jahres meiner Geburt in Folge grosser Anstrengungen, welche ihm die überhäuften polizeilichen Geschäfte während der kriegerischen Unruhen und der Schlacht bei Leipzig zuzogen, durch Ansteckung des damals epidemisch gewordenen Nervenfiebers. Ueber die Lebensverhältnisse seines Vaters vernahm ich späterhin, dass dieser in dürftiger bürgerlicher Sphäre als Thoreinnehmer am Ranstädter Thore, sich dadurch vor seinen Standesgenossen auszeichnete, dass er seinen beiden Söhnen eine gelehrte Erziehung gab, indem er den einen – meinen Vater Friedrich – Jurisprudenz, den andern, jüngern – Adolph – Theologie studiren liess. Mein Oheim gewann später einen nicht unbedeutenden Einfluss auf meine Entwickelung; wir werden ihm in einer entscheidenden Phase meiner Jugendgeschichte wieder begegnen. Ueber meinen für mich so früh verstorbenen Vater erfuhr ich später, dass er im Allgemeinen sehr für Poesie und Litteratur eingenommen, namentlich dem damals von den gebildeten Ständen sehr gepflegten Theater eine fast leidenschaftliche Theilnahme zuwendete. Meine Mutter erzählte mir unter Anderm, dass er mit ihr zur ersten Aufführung der »Braut von Messina« nach Lauchstädt reiste; dort zeigte er ihr auf der Promenade Schiller und Goethe, sie enthusiastisch ob ihrer Unkenntniss dieser grossen Männer zurechtweisend. Er soll selbst nicht frei von galanter Leidenschaftlichkeit für Künstlerinnen des Theaters gewesen sein. Meine Mutter beklagte sich scherzend, dass sie öfters sehr lange mit dem Mittagsessen auf ihn habe warten müssen, während er bei einer damals berühmten Schauspielerin Mme Hartwig. begeisterte Besuche abstattete; von ihr gescholten, behauptete er durch Actengeschäfte zurückgehalten worden zu sein, und wies zur Bestätigung auf seine angeblich mit Tinte befleckten Finger, welche bei erzwungener näherer Besichtigung sich als vollkommen sauber auswiesen. Von seiner grossen Neigung für das Theater zeugte außerdem die Wahl eines innig vertrauten Hausfreundes, des Schauspielers Ludwig Geyer. Hatte ihn bei der Wahl dieses Freundes gewiss hauptsächlich seine Theaterliebe geleitet, so führte er in ihm seiner Familie zugleich den edelsten Wohlthäter zu, indem dieser bescheidene Künstler durch innigen Antheil an dem Loose der zahlreichen Nachkommenschaft seines unerwartet schnell verscheidenden Freundes Wagner bewogen, den Rest seines Lebens auf das Angestrengteste der Erhaltung und Erziehung dieser Familie widmete. Schon während der Polizeiactuar seine Abende im Theater verbrachte, vertrat der treffliche Schauspieler meist seine Stelle im Schoosse seiner Familie, und es scheint, dass er oft die mit Recht oder Unrecht über Flatterhaftigkeit ihres Gatten klagende Hausmutter zu beschwichtigen hatte. Wie tief das Bedürfniss des heimathlosen, vom Leben hart geprüften und umhergeworfenen Künstlers war, in einem sympathischen Familienverhältnisse sich heimisch zu wissen, bezeugte er dadurch, dass er ein Jahr nach dem Tode seines Freundes dessen Wittwe ehelichte, und fortan der sorgsamste Vater der hinterlassenen sieben Kinder ward. Bei diesem schwierigen Unternehmen begünstigte ihn ein unerwartetes Gedeihen seiner äusseren Lage. Als Schauspieler des sogenannten Charakterfaches erhielt er bei dem neu errichteten Dresdener Hoftheater eine vorteilhafte, ehrende und dauernde Anstellung. Das Malertalent, welches ihm einst schon sein Leben zu fristen verholfen hatte, als er durch äusserste Armuth genöthigt, seine Universitätsstudien unterbrechen musste, wurde in seiner Dresdener Stellung von Neuem beachtet. Zwar beklagte er, mehr noch als seine Kritiker, von einer regelmässigen und schulgerechten Ausbildung desselben abgehalten worden zu sein; dennoch erwarb ihm seine ausserordentliche Begabung namentlich für Portraitähnlichkeit so bedeutende Aufträge, dass er unter der doppelten Anstrengung als Maler und Schauspieler leider frühzeitig seine Kräfte erschöpfte. Als er einst in München zu einem Gastspiel am Hoftheater eingeladen war, erhielt er, durch vortheilhafte Empfehlung des sächsischen Hofes eingeführt, vom bayerischen Hofe so bedeutende Aufträge für Portraits der Allerhöchsten Familie, dass er darum sein Gastspiel zu unterbrechen und gänzlich aufzugeben für gut hielt. Aber auch dichterisches Talent war ihm zu eigen; nach manchen in oft sehr zierlichen Versen verfassten Gelegenheitsstücken schrieb er auch mehrere Lustspiele, von denen eines, der Betlehemitische Kindermord, in gereimten Alexandrinern, häufig gegeben ward, gedruckt erschien und von Goethe freundlichst gelobt wurde. Dieser ausgezeichnete Mann, unter dessen Führung in meinem zweiten Lebensjahre meine Familie nach Dresden übersiedelte, und von dem meine Mutter noch eine Tochter [ Cäcilie] gewann, übernahm nun mit grössester Sorgfalt und Liebe auch meine Erziehung. Er wünschte mich gänzlich als eigenen Sohn zu adoptieren, und legte mir daher, als ich in die erste Schule aufgenommen ward, seinen Namen bei, so dass ich meinen Dresdener Jugendgenossen bis in mein vierzehntes Jahr als Richard Geyer bekannt geblieben bin. Erst als meine Familie, längere Jahre nach dem Tode des Stiefvaters, sich wieder nach Leipzig wandte, nahm ich dort am Sitz meiner ursprünglichen Verwandtschaft den Namen Wagner wieder an.

Meine frühesten Jugenderinnerungen haften an diesem Stiefvater, und gleiten von ihm auf das Theater über. Wohl entsinne ich mich, dass mein Vater gern Malertalent sich in mir entwickeln gesehen haben würde; sein Arbeitszimmer mit der Staffelei und den Gemälden darauf ist zwar nicht ohne Eindruck auf mich gewesen; ich entsinne mich, dass ich namentlich ein Portrait des Königs Friedrich August von Sachsen mit kindischem Nachahmungseifer zu copiren versuchte; sobald es aber von dieser naiven Klexerei zu ernsten Zeichnungsstudien übergehen sollte, hielt ich, vielleicht schon durch die pedantische Manier meines Lehrers (eines langweiligen Vetters) abgeschreckt, nicht aus. Nachdem ich in zartester Kindheit durch eine Entwickelungskrankheit so elend geworden war, dass meine Mutter mir später erzählte, sie habe, da ich unrettbar schien, fast meinen Tod gewünscht; scheine ich zum Ueberraschen meiner Aeltern dann gediehen zu sein. Auch bei dieser Gelegenheit ist mir der grossmüthige Antheil des vortrefflichen Stiefvaters berichtet worden, welcher, nie verzweifelnd trotz der Sorgen und Beschwerden des starken Familienbestandes, geduldig blieb, und nie die Hoffnung, mich durchgebracht zu sehen, aufgab. – Grosse Gewalt übte nun auf meine Phantasie die Bekanntschaft mit dem Theater, in welches ich nicht nur als kindischer Zuschauer in der heimlichen Theaterloge mit ihrem Zugange über die Bühne, nicht nur durch den Besuch der Garderobe mit ihren phantastischen Costümen und characteristischen Verstellungsapparaten, sondern auch durch eigenes Mitspielen eingeführt wurde. Nachdem mich » die Waise und der Mörder«, »die beiden Galeerensklaven«, und ähnliche Schauerstücke, in welchen ich meinen Vater die Rollen der Bösewichter spielen sah, mit Entsetzen erfüllt hatten, musste ich selbst einige Male mit Comödie spielen. Bei einem Gelegenheitsstücke zur Bewillkommnung des aus der Gefangenschaft zurückkehrenden Königs von Sachsen – » der Weinberg an der Elbe«, mit Musik vom Kapellmeister C. M. von Weber, entsinne ich mich, bei einem lebenden Bilde als Engel ganz in Tricots eingenäht, mit Flügeln auf dem Rücken, in schwierig eingelernter graziöser Stellung figurirt zu haben. Auch erinnere ich mich bei dieser Gelegenheit einer grossen Zuckerbrätzel, von der mir versichert wurde, dass sie mir der König persönlich bestimmt habe. Endlich entsinne ich mich, in Kotzebue's » Menschenhass und Reue« selbst eine mit wenigen Worten versehene Kinderrolle dargestellt zu haben, welche mir in der Schule, da ich dort meine Aufgabe nicht gelernt hatte, zum Vorwand übermässiger Beschäftigung dienen musste, indem ich angab, eine grosse Rolle in » den Menschen ausser der Reihe« zu memoriren gehabt zu haben.

Wie ernst es dagegen mein Vater mit meiner Erziehung nahm, bewies er, als er nach meinem vollbrachten sechsten Jahre mich zu einem Pfarrer auf das Land, nach Possendorf bei Dresden, brachte, wo ich in Gesellschaft anderer Knaben aus guten Familien eine vortreffliche, nüchterne und gesunde Erziehung erhalten sollte. In die kurze Zeit dieses Aufenthaltes fallen manche erste Erinnerungen von den Eindrücken der Welt: des Abends wurde uns Robinson vom Pfarrer Wetzel. erzählt und mit vortrefflichen dialogischen Belehrungen begleitet. Grossen Eindruck machte auf mich die Vorlesung einer Biographie Mozart's, wogegen die Zeitungs- und Kalenderberichte über die Vorfälle des griechischen Befreiungskampfes drastisch aufregend auf mich wirkten. Meine Liebe für Griechenland, die sich späterhin mit Enthusiasmus auf die Mythologie und Geschichte des alten Hellas warf, ging somit von der begeisterten und schmerzlichen Theilnahme an Vorgängen der unmittelbaren Gegenwart aus. Ich entsinne mich, später in dem Kampf der Hellenen gegen die Perser immer die Eindrücke dieses neuesten griechischen Aufstandes gegen die Türken wiedergefunden zu haben.

Eines Tages, nach kaum einjähriger Dauer dieses ländlichen Aufenthaltes, kam ein Bote aus der Stadt an, welcher den Pfarrer benachrichtigte, er möge mich in das elterliche Haus nach Dresden geleiten, weil dort mein Vater im Sterben liege. Wir legten den dreistündigen Weg zu Fuss zurück; sehr ermüdet ankommend, begriff ich die thränenreiche Haltung meiner Mutter kaum. Des andern Tages ward ich an das Bett meines Vaters geführt; die äusserste Schwäche, mit der er zu mir sprach, alle Vorkehrungen einer letzten verzweifelten Behandlung seiner akuten Brustwassersucht erfüllten mich durchaus nur wie Traumgebilde; ich glaube, die bange Verwunderung war in mir so mächtig, dass ich nicht weinen konnte. In einem anstossenden Nebenzimmer lud mich die Mutter ein, zu zeigen, was ich auf dem Klavier gelernt habe, in der guten Absicht, es dem Vater zur Zerstreuung zu Gehör zu bringen: ich spielte » üb' immer Treu' und Redlichkeit«; der Vater hat da die Mutter gefragt: »sollte er etwa Talent zur Musik haben?« – Am andern Morgen trat beim ersten Tagesgrauen die Mutter in die grosse Kinderschlafstube, kam zu Jedem von uns an das Bett und meldete schluchzend des Vaters Tod, jedem von uns wie zum Segen etwas von ihm sagend; zu mir sagte sie: »aus dir hat er etwas machen wollen«. Am Nachmittag kam Pastor Wetzel und holte mich wieder auf das Land ab. Wir gingen wieder zu Fuss und erreichten erst in nächtlicher Dämmerung Possendorf; unterwegs frug ich ihn viel nach den Sternen, über die er mir die erste verständige Auskunft gab. Acht Tage darauf erschien der Bruder des Verstorbenen, welcher von Eisleben herbeigekommen war, um dem Begräbniss beizuwohnen; er hatte der nun wiederum hülflos gewordenen Familie nach Kräften seine Unterstützung zugesagt, und es übernommen, für meine Erziehung fortan zu sorgen. Ich nahm Abschied von meinen Jugendgenossen und von dem liebenswürdigen Pastor, zu dessen eigenem Begräbniss ich nach wenigen Jahren zum erstenmal wieder nach Possendorf zurückkehrte, welches ich dann nur viel später wieder einmal auf einer Excursion besuchte, wie ich sie oft als Dresdener Kapellmeister weit in das Land hinein zu Fuss unternahm: es ergriff mich sehr, das alte Pfarrerhaus nicht mehr zu finden, dafür einen reichlichern modernen Aufbau, der mich so gegen den Ort verstimmte, dass ich späterhin meine Ausflüge nie wieder in diese Gegend richtete.

Mein Oheim brachte mich diesmal im Wagen nach Dresden zurück; ich traf die Mutter und die Schwestern in tiefer Trauerkleidung, und entsinne mich, zum erstenmale mit einer in der Gewohnheit meiner Familie nicht heimischen Zärtlichkeit empfangen und wieder entlassen worden zu sein, als ich nach wenigen Tagen von dem Oheim mit nach Eisleben genommen wurde. Dort war dieser jüngere Bruder meines Stiefvaters als Goldschmied niedergelassen; einer meiner älteren Brüder (Julius), war bereits von ihm in die Lehre aufgenommen; zugleich lebte bei ihm, dem Unverehelichten, noch die alte Grossmutter. Man hat dieser, deren baldiges Ende man voraussah, den Tod ihres älteren Sohnes verschwiegen; auch ich wurde dazu angehalten, nichts davon zu verrathen. Das Dienstmädchen nahm sorgsam den Trauerflor von meinem Kleide, und erklärte, ihn für die Grossmutter aufbewahren zu wollen, wenn sie, wie für bald zu erwarten, gestorben sein würde. Ich musste nun der Grossmutter öfter vom Vater erzählen; die Verheimlichung seines Todes glückte mir ohne Anstrengung, da ich selbst kein deutliches Bewusstsein davon hatte. Sie lebte in einer finsteren Hinterstube, auf einen engen Hof hinaus, und hatte gern frei umherflatternde Rothkehlchen bei sich, für welche stets frisch erhaltene grüne Zweige am Ofen ausgesteckt waren. Es glückte mir selbst, ihr im Sprengel welche einzufangen, als die alten von der Katze getödtet worden waren: hierüber freute sie sich sehr und hielt mich sauber und reinlich. Auch ihr vorausgesehener Tod trat bald ein: der aufgesparte Trauerflor wurde nun offen in Eisleben getragen; das Hinterstübchen mit den Rothkehlchen und grünen Büschen hörte hier für mich auf. – Bei einer Seifensiederfamilie, welcher das Haus gehörte, wurde ich bald heimisch und durch meine Erzählungen, welche ich ihr zum Besten gab, beliebt. Ich wurde in eine Privatschule geschickt, welche ein Magister Weiss hielt, der auf mich einen ernsten und würdigen Eindruck hinterlassen hat. Mit Rührung las ich am Ende der fünfziger Jahre in einer musikalischen Zeitung den Bericht über eine in Eisleben stattgefundene Musikaufführung mit Stücken aus dem Tannhäuser, welcher der ehemalige Lehrer des Kindes mit voller Erinnerung an dasselbe beigewohnt hatte.

Die kleine alterthümliche Stadt mit dem Wohnhause Luther's und den mannichfachen Erinnerungen an dessen Aufenthalt, ist mir noch in spätesten Zeiten oft im Traume wiedergekehrt; es blieb mir immer der Wunsch, sie wieder zu besuchen, um die Deutlichkeit meiner Erinnerungen bewährt zu finden: sonderbarer Weise bin ich nie dazu gekommen. Wir wohnten am Markte, der mir oft eigentümliche Schauspiele gewährte, wie namentlich die Vorstellungen einer Akrobaten-Gesellschaft, bei welchen auf einem von Thurm zu Thurm über den Platz gespannten Seile gegangen wurde, was in mir lange Zeit die Leidenschaft für ähnliche Kunststücke erweckte. Ich brachte es wirklich dazu, auf zusammen gedrehten Stricken, welche ich im Hofe ausspannte, mit der Balancirstange mich ziemlich geschickt zu bewegen; noch bis jetzt ist mir eine Neigung, meinen akrobatischen Gelüsten Genüge zu thun, verblieben. – Am wichtigsten wurde mir die Blechmusik eines in Eisleben garnisonirenden Husarenregimentes. Ein von ihr häufig gespieltes Stück erweckte damals als Neuigkeit unerhörtes Aufsehen: es war der »Jägerchor« aus dem Freischütz, welche Oper soeben in Berlin zur Aufführung gekommen war. Onkel und Bruder frugen mich lebhaft nach dem Componisten, den ich in Dresden als Kapellmeister Weber doch gewiss im Hause der Aeltern gesehen haben müsste. Zu gleicher Zeit ward in einer befreundeten Familie von den Töchtern der »Jungfernkranz« eifrig gespielt und gesungen. Diese beiden Stücke verdrängten nun bei mir meine Vorliebe für den Ypsilanti-Walzer, der mir bis dahin als das wunderbarste Tonstück galt. – Ich entsinne mich, viele Raufereien mit der autochthonen Knabenbevölkerung, welche ich namentlich durch meine viereckige Mütze zu beständiger Verhöhnung reizte, zu bestehen gehabt zu haben. Ausserdem tritt noch der Hang zu abenteuerlichen Streifereien durch die felsigen Uferklippen der Unstrut in meine Erinnerung.

Durch die endliche Verheirathung meines Oheims, welcher nun einen neuen Hausstand sich einrichtete, trat, wie es scheint, auch eine starke Veränderung in seinen Beziehungen zu meiner Familie ein. Nach Verlauf eines Jahres ward ich von ihm nach Leipzig geleitet, wo ich für einige Tage den Verwandten meines Vaters ( Wagner) übergeben wurde. Diese waren mein Onkel Adolph und dessen Schwester, meine Tante Friederike Wagner. Der sehr interessante Mann, welcher später immer anregender auf mich einwirkte, tritt mit seiner sonderbaren Umgebung von hier an zuerst deutlich in mein Bewusstsein. Er stand mit meiner Tante zugleich in sehr nahe befreundetem Verhältnisse zu einer wunderlichen alten Jungfer, Jeannette Thomé, der Mitbesitzerin eines grossen Hauses am Markte, in welchem, wenn ich nicht irre, seit den Zeiten August's des Starken die sächsische Fürstenfamilie die zwei Hauptstockwerke für ihren jeweiligen Aufenthalt in Leipzig gemiethet und eingerichtet hatte. Jeannette Thomé fiel, so viel ich weiss, der eigentliche Besitz des zweiten Stockwerkes zu, in welchem sie für sich nur eine unscheinbare Wohnung nach dem Hof hinaus bewohnte. Da jedoch der König höchstens auf wenige Tage im Jahre von den gemietheten Räumen Gebrauch machte, so hielt sich Jeannette mit den Ihrigen für gewöhnlich in den vermietheten Prachtzimmern auf, und in einem dieser Prunkgemächer war es denn auch, wo mir meine Schlafstelle angewiesen wurde. Die Einrichtung dieser Räume war noch aus den Zeiten August's des Starken; prächtig aus schweren Seidenstoffen mit reichen Rococo-Möbeln, alles bereits vom Alter stark abgenutzt. Wohl gefiel ich mir sehr in diesen grossen phantastischen Räumen, von wo aus man auf den so belebten Leipziger Markt blickte, unter dessen Bevölkerung mich namentlich die gassenbreit aufziehenden Studenten, in ihrer altdeutschen burschenschaftlichen Tracht, ausserordentlich fesselten. Nur an einem Schmuck dieser Räume hatte ich sehr zu leiden: das waren die verschiedenen Portraits, namentlich der vornehmen Damen im Reifrock mit jugendlichen Gesichtern und weissen (gepuderten) Haaren. Diese kamen mir durchaus als gespenstige Wesen vor, die mir, wenn ich allein im Zimmer war, lebendig zu werden schienen und mich mit höchster Furcht erfüllten. Das einsame Schlafen in einem solchen abgelegenen Gemach, in dem alterthümlichen Prachtbett, in der Nähe eines solchen unheimlichen Bildes, war mir entsetzlich; zwar suchte ich vor der Tante, wenn sie mich des Abends mit einem Licht zu Bett brachte, meine Furcht zu verbergen; doch verging nie eine Nacht, ohne dass ich in Angstschweiss gebadet den schrecklichsten Gespenster-Visionen ausgesetzt war.

Den gespenstischen Eindruck dieses Aufenthaltes in das märchenhaft Sonderbare überzutragen, war die Persönlichkeit der drei Hauptbewohner dieses Stockwerkes vorzüglich geeignet: Jeanette Thomé war sehr klein und dick, trug eine blonde Titusperrücke und schien sich in dem Bewusstsein früherer Zierlichkeit zu behagen. Ihre treue Freundin und Pflegerin, meine Tante, welche ebenfalls zur alten Jungfer geworden war, zeichnete sich durch Länge und grosse Magerkeit aus; das Phantastische ihres sonst sehr freundlichen Gesichtes war durch ihr ausserordentlich spitzes Kinn vermehrt. Mein Oheim Adolph hatte sein Studirzimmer ein für allemal in einem finstern Gemach des Hofes aufgeschlagen. Dort traf ich ihn zuerst unter einem grossen Wuste von Büchern, in einer unscheinbaren Hauskleidung, deren Charakteristisches in einer hohen spitzen Filzmütze bestand, wie ich sie in Eisleben bei dem Bajazzo der Seiltänzergesellschaft gesehen hatte. Ein grosser Hang zur Selbständigkeit hatte ihn in dieses sonderbare Asyl getrieben. Ursprünglich zur Theologie bestimmt, gab er diese bald gänzlich auf, um sich einzig philologischen Studien zu widmen. Bei grösster Abneigung gegen eine Wirksamkeit als Professor und Lehrer mit Anstellung, suchte er sich frühzeitig durch litterarische Arbeiten dürftig zu erhalten. Mit geselligen Talenten und namentlich einer schönen Tenorstimme begabt, auch seinerseits mit Interesse für das Theater erfüllt, scheint er in seiner Jugend als nicht ungern gesehener Belletrist in Leipzig einem grösseren Bekanntenkreis lieb geworden zu sein. Bei einem Ausfluge nach Jena, auf welchem er mit einem Altersgenossen sich selbst zu musikalisch-declamatorischen »Akademien« herbeigelassen zu haben scheint, besuchte er auch Schiller; er hatte sich hierzu mit einem Auftrage der Leipziger Theaterdirection, welche den kürzlich vollendeten »Wallenstein« acquiriren wollte, versehen. Mir schilderte er späterhin den hinreissenden Eindruck, den Schiller auf ihn hervorbrachte, dessen schlanke hohe Gestalt, und unwiderstehlich einnehmendes blaues Auge. Nur beklagte er sich, in Folge eines gutgemeinten Streiches, den ihm sein Freund gespielt, in grosse und beschämende Verlegenheit gebracht worden zu sein. Dieser hatte nämlich ein Heft Gedichte Adolph Wagner's zuvor an Schiller zu bringen gewusst; der betroffene junge Poet musste nun von Schiller freundliche Lobsprüche hinnehmen, von denen er innigst überzeugt war, dass er sie nur der humanen Grossmuth Schiller's zu verdanken hatte. – Später wandte er sich immer mehr nur noch philologischen Studien zu. Als eine der bekanntesten Arbeiten auf diesem Feld ist seine Herausgabe des Parnasso Italiano zu erwähnen, welche er Goethe mit einem italienischen Gedichte widmete, von welchem mir zwar durch Sachkenner versichert worden ist, dass es in einem ungebräuchlichen und schwülstigen Italienisch verfasst sei, das ihm aber dennoch von Goethe einen anerkennungsvollen schönen Brief und einen silbernen Becher aus des Dichters gebrauchtem Hausgeräthe erwarb. – Der Eindruck, den seine Erscheinung in der bezeichneten Umgebung in meinem achten Jahre auf mich machte, war durchaus räthselhafter, befremdender Art. –

Zunächst wurde ich nach wenigen Tagen wieder diesen Einflüssen entzogen, um zu meiner Familie nach Dresden gebracht zu werden. Dort hatte sich während dem, unter der Leitung der nun alleinstehenden Mutter, meine Familie nach Kräften einzurichten gesucht. Mein ältester Bruder ( Albert), ursprünglich zum Studium der Medizin bestimmt, hatte auf den Rath Weber's, der seine Tenorstimme rühmte, die theatralische Laufbahn in Breslau ergriffen. Ihm folgte bald meine zweitälteste Schwester ( Luise), ebenfalls als Schauspielerin dem Theater sich widmend. Meine älteste Schwester Rosalie war zu einer ehrenvollen Anstellung am Dresdener Hoftheater selbst gelangt, und sie bildete nun fortan den Mittelpunkt des zurückgebliebenen jüngeren Theiles der Familie, wie sie die nächste Stütze der von Sorgen beschwerten Mutter blieb. Ich traf sie noch in derselben grossen und angenehmen Wohnung, welche der Vater zuletzt eingerichtet hatte; nur waren stets einige überflüssige Zimmer zeitweilig an Fremde vermiethet, unter denen einst auch Spohr sich einfand. Der grossen Rührigkeit meiner Mutter verdankte, mit Hülfe verschiedener erleichternder Umstände, (unter denen die fortdauernde Geneigtheit des Hofes gegen das Andenken meines Stiefvaters zu erwähnen ist) die Familie ein erträgliches Gedeihen, so dass auch in Betreff meiner Erziehung keine Art Vernachlässigung eintrat.

Nachdem auch eine dritte Schwester ( Clara) ihrer ausserordentlich schönen Stimme zu lieb für das Theater bestimmt war, hielt meine Mutter angelegentlich darauf, in mir nicht etwa auch Neigung für das Theater aufkommen zu lassen. Es war ihr stets ein Selbstvorwurf geblieben, dass sie in die theatralische Laufbahn meines ältesten Bruders gewilligt hatte; da mein zweiter Bruder keine weiteren Anlagen verriet, als die, welche ihn zum Goldschmied bestimmt hatten, so war ihr nun daran gelegen, an mir die Hoffnungen und Wünsche des Stiefvaters der » aus mir etwas machen wollte«, in Erfüllung gehen zu sehen. Mit meinem vollbrachten achten Jahre wurde ich auf das Gymnasium der Kreuzschule in Dresden geschickt; ich sollte studieren. Dort trat ich als unterster Schüler der untersten Classe ein, und begann nun unter den bescheidensten Anfängen meine gelehrte Bildung. Die Mutter verfolgte mit grosser Theilnahme alle bei mir sich einstellenden Anzeigen von geistiger Lebendigkeit und Begabung.

Diese, für Alle die sie kennen lernten, merkwürdig gebliebene Frau, stellte ein eigenthümliches Gemisch von bürgerlich-häuslicher Rührigkeit und grosser geistiger Empfänglichkeit, bei durchaus mangelnder gründlicher Erziehung dar. Ueber ihre Herkunft hat sie sich gegen keines ihrer Kinder umständlich vernehmen lassen. Sie stammte aus Weissenfels, und gab zu, dass ihre Aeltern dort Bäcker Nach neueren Erkundigungen: Mühlenbesitzer. gewesen seien. Schon in Betreff ihres Namens äusserte sie sich aber mit einer sonderbaren Befangenheit, indem sie diesen als »Perthes« angab, während, wie wir wohl herausbekamen, er in Wahrheit »Bertz« hiess. Auffallend war, dass sie in einer gewählten Erziehungsanstalt zu Leipzig untergebracht war, und dort die Sorge eines von ihr sogenannten »hohen väterlichen Freundes« genoss, als welchen sie uns später einen weimarischen Prinzen nannte, der sich um ihre Familie in Weissenfels Verdienste erworben hatte. Ihre Erziehung scheint in jener Anstalt durch den plötzlichen Tod dieses väterlichen Freundes unterbrochen worden zu sein. Sehr jung lernte sie meinen Vater kennen, und heirathete ihn, den ebenfalls sehr früh gereiften und zur Anstellung gelangten, im jugendlichsten Mädchenalter. Ihr Haupt-Charakterzug scheint ein drolliger Humor und gute Laune gewesen zu sein, und es ist wohl nicht zu glauben, dass nur das Pflichtgefühl gegen die Familie eines hinterlassenen Freundes, sondern eine wirklich herzliche Neigung auch zu dessen Wittwe den trefflichen Ludwig Geyer bewog, mit der nicht mehr ganz jugendlichen Frau in die Ehe zu treten. Ein Portrait von ihr, welches Geyer noch während ihrer ersten Ehe gemalt, stellt ihr Aeusseres sehr vorteilhaft dar. Von da an wo sie deutlich in meine Erinnerung tritt, war sie bereits durch ein Kopfleiden genöthigt stets eine Haube zu tragen, so dass ich den Eindruck einer jugendlichen und anmutigen Mutter nicht mehr von ihr erhalten habe. Der sorgenvoll aufregende Umgang mit einer zahlreichen Familie (deren siebentes lebendes Glied ich war), die Schwierigkeiten das Nöthige zu beschaffen, und bei sehr beschränkten Mitteln eine gewisse Neigung für äussern Anschein zu befriedigen, liessen nicht jenen behaglichen Ton mütterlicher Familienzärtlichkeit bei ihr aufkommen; ich entsinne mich kaum je von ihr geliebkost worden zu sein, wie überhaupt zärtliche Ergiessungen in unserer Familie nicht stattfanden; wogegen sich ein gewisses hastiges, fast heftiges, lautes Wesen sehr natürlich geltend machte. Unter solchen Umständen ist es mir als Epoche machend in der Erinnerung geblieben dass, als ich eines Abends schläfrig zu Bett gebracht wurde, und die Augen weinerlich nach ihr aufschlug, die Mutter mit Wohlgefallen auf mich blickte, und gegen einen anwesenden Besuch sich mit einer gewissen Zärtlichkeit über mich äusserte. Was mich hauptsächlich ihrerseits beeinflusste, war der seltsame Eifer, in welchem sie vom Grossen und Schönen in der Kunst mit fast pathetischem Tone sprach. Mir gegenüber wollte sie aber hierunter niemals die theatralische Kunst gemeint haben, sondern nur Dichtkunst, Musik und Malerei, wogegen sie mir häufig fast mit ihrem Fluche drohte, wenn auch ich jemals zum Theater gehen wollte. Dabei war sie von sehr religiösem Sinn; sie hielt uns oft mit einem gefühlvollen Pathos längere, Predigt-ähnliche Reden von Gott und dem Göttlichen im Menschen, in denen sie sich gelegentlich wohl auch, mit plötzlich herabgestimmtem Tone, in humoristischer Art, durch einen Verweis unterbrach. Namentlich seit dem Tode des Stiefvaters versammelte sie jeden Morgen die übrig gebliebene Familie um ihr Bett, in welchem sie den Caffee trank, jedoch nicht eher, als bis von einem unter uns ein Lied aus dem Gesangbuch vorgelesen worden, wobei in der Wahl es nicht peinlich genau genommen wurde, bis denn einst aus Versehen meine Schwester Clara ein »Gebet in Kriegsnöthen« zu so ergreifendem Vortrag brachte, dass die Mutter sie mit den Worten unterbrach: »Na, nun höre auf! Gott verzeih' mir meine Sünde, in Kriegsnöthen sind wir doch gerade nicht!«

Trotz aller Beschwerlichkeit des Auskommens ging es dann und wann bei Abendgesellschaften heiter und, wie es mich Knaben dünkte, glänzend her. Aus den Zeiten meines Stiefvaters, welcher in den letzten Jahren seines Lebens durch sein Glück als Portraitmaler seine Einkünfte auf eine – für die damalige Zeit – ziemlich ansehnliche Höhe gesteigert hatte, waren uns angenehme und den besten Ständen angehörende Bekanntschaften verblieben, die sich auch jetzt zuweilen bei uns vereinigten. Namentlich bildeten damals die Mitglieder des Hoftheaters selbst anmuthige und geistig belebte Kreise, von denen ich später in Dresden keine lebendige Erinnerungen mehr vorfand. Besonders beliebt waren gemeinschaftliche Landparthieen in die schöne Umgegend Dresden's, bei welchen collegialische künstlerische Heiterkeit vorherrschte. Ich entsinne mich eines solchen Ausfluges nach Loschwitz, wo eine Art Zigeunerwirthschaft aufgeschlagen wurde, welcher Carl Maria v. Weber in der Funktion eines Koches seinen Beitrag widmete. Auch ward bei uns musizirt; meine Schwester Rosalie spielte Klavier; Clara begann zu singen. Von den verschiedenen Theater-Aufführungen, welche früher an Geburtstägen der Aeltern zu gegenseitiger Ueberraschung oft mit grossen Vorbereitungen veranlasst wurden, blieben mir schon zu jener Zeit nur noch die Erinnerungen, namentlich an Aufführungen von einer Parodie der Grillparzer'schen Sappho, in welcher ich selbst im Chor der Gassenbuben vor dem Triumphwagen Phaon's mitwirkte. Diese Erinnerungen suchte ich mir durch ein schönes Puppentheater aufzufrischen, welches ich in der Hinterlassenschaft des Vaters auffand, und zu welchem er selbst schöne Decorationen gemalt hatte. Ich beabsichtigte, die Meinigen durch eine glänzende Aufführung auf diesem Theater zu überraschen. Nachdem ich mir mit grösstem Ungeschick verschiedene Puppen geschnitzt, für ihre Kleidung durch Verfertigung von Costümen, aus heimlich entwendeten Kleiderlappen meiner Schwestern, nothdürftig gesorgt hatte, ging ich auch an die Abfassung eines Ritterstückes, dessen Rollen ich meinen Puppen einstudiren wollte. Als ich die erste Scene entworfen hatte, entdeckten meine Schwestern das Manuscript und gaben es unmässigem Gelächter preis: die eine Phrase der geängstigten Liebhaberin, » ich höre schon den Ritter trabsen,« ist mir lange zu meinem grössten Aerger mit Pathos vorrezitirt worden.

Dem Theater, welchem auch jetzt meine Familie immer wieder nahe blieb, wandte auch ich von Neuem mich mit Eifer zu. Namentlich wirkte der Freischütz, – jedoch vorzüglich seines spukhaften Sujets wegen – äusserst charakteristisch auf meine Phantasie. Die Erregungen des Grausens und der Gespensterfurcht bilden einen ganz besondern Faktor der Entwicklung meines Gemüthslebens. Von zartester Kindheit an übten gewisse unerklärliche und unheimliche Vorgänge auf mich einen übermässigen Eindruck aus; ich entsinne mich, vor leblosen Gegenständen, als Meublen, wenn ich länger im Zimmer allein war, und meine Aufmerksamkeit darauf heftete, plötzlich aus Furcht laut aufgeschrieen zu haben, weil sie mir belebt schienen. Keine Nacht verging, bis in meine spätesten Knabenjahre, ohne dass ich aus irgend einem Gespenstertraum mit fürchterlichem Geschrei erwachte, welches nie eher endete, als bis mir eine Menschenstimme Ruhe gebot. Das heftigste Schelten, ja selbst körperliche Züchtigung, erschienen mir dann als erlösende Wohlthaten. Keines meiner Geschwister wollte mehr in meiner Nähe schlafen; man suchte mich so fern wie möglich von den übrigen zu betten, und bedachte nicht, dass meine Gespensterhülferufe nur desto lauter und anhaltender wurden, bis man sich endlich an diese nächtliche Calamität gewöhnte.

Was mich im Zusammenhang hiermit beim Besuch des Theaters, worunter ich auch die Bühne, die Räume hinter den Coulissen und die Garderobe verstehe, lebhaft anzog, war weniger die Sucht nach Unterhaltung und Zerstreuung, wie beim heutigen Theaterpublikum, sondern das aufreizende Behagen am Umgang mit einem Elemente, welches den Eindrücken des gewöhnlichen Lebens gegenüber eine durchaus andere, rein phantastische, oft bis zum Grauenhaften anziehende Welt darstellte. So war mir eine Theaterdecoration, ja nur eine – etwa ein Gebüsch darstellende – Coulisse, oder ein Theaterkostüm, und selbst nur ein charakteristisches Stück desselben, als aus einer andern Welt stammend, in einem gewissen Sinne gespenstisch interessant, und die Berührung damit mochte mir als der Hebel gelten, auf dem ich mich aus der gleichgültigen Realität der täglichen Gewohnheit in jenes reizende Dämonium hinüberschwang. So blieb mir alles, was zu theatralischen Aufführungen diente, geheimnissvoll, bis zur Berauschung anziehend, und während ich mit Altersgenossen Aufführungen des Freischütz nachzuahmen suchte, und mit grossem Eifer hierbei mich der Herstellung der Kostüme und Gesichtsmasken durch groteske Malerei hingab, übten die zarteren Garderobengegenstände meiner Schwestern, mit deren Herrichtung ich die Familie häufig beschäftigt sah, einen fein erregenden Reiz auf meine Phantasie aus; das Berühren derselben konnte mich bis zu bangem, heftigem Herzschlag aufregen. Trotzdem dass, wie ich erwähnte, in unserem Familienverkehr keine, namentlich in Liebkosungen sich ergehende Zärtlichkeit herrschte, musste doch die stets nur weibliche Umgebung in der Entwicklung meines Empfindungswesens mich stark beeinflussen. Vielleicht gerade, weil dieser Umgang meist unruhiger, ja heftiger Art war, übten die sonstigen Attribute der Weiblichkeit, namentlich soweit sie mit der phantastischen Theaterwelt zusammenhingen, einen fast sehnsüchtig stimmenden Reiz auf mich aus.

Diesen von dem Grauenhaften bis in das Weichliche sich verlierenden phantastischen Stimmungen wirkte glücklicherweise ergänzend und kräftigend der ernstere Einfluss entgegen, welchen ich in der Schule mit Lehrern und Jugendgenossen empfing. Auch hier war es zwar hauptsächlich das Phantastische, was mich zu reger Theilnahme bestimmte. Ob ich für die Studien, wie man sagt, einen hellen Kopf hatte, kann ich nicht beurtheilen; ich glaube im Ganzen, das, was mich lebhaft anzog, fast ohne eigentliches Lernen schnell begriffen zu haben, während ich auf das, was meiner Vorstellung fern lag, kaum versuchte, eigentlichen Fleiss zu verwenden. Am deutlichsten zeigte sich dies im Rechnen, und später bei der Mathematik; in beiden Wissenschaften gelang es mir nicht einmal, es nur bis zum eigentlichen Beachten der mir gestellten Aufgaben zu bringen. Auch auf die alten Sprachen vermochte ich nur soweit Fleiss zu verwenden, als es durchaus unerlässlich war, um durch ihre Kenntniss mich der Gegenstände zu bemächtigen, deren charakteristischeste Darstellung mir vorzuführen es mich reizte. Hierin zog mich namentlich das Griechische an, weil die Gegenstände der griechischen Mythologie meine Phantasie so stark fesselten, dass ich die Helden derselben durchaus in ihrer Ursprache sprechend mir vorführen wollte, um meine Sehnsucht nach vollständigster Vertrautheit mit ihnen zu stillen. Dass unter diesen Umständen die eigentliche Grammatik nur als ein beschwerliches Hinderniss, nicht aber als ein selbst anreizender Wissenszweig betrachtet wurde, lässt sich leicht denken. Dass ich in meinen Sprachstudien nicht sehr gründlich verfuhr, erhellt mir am besten wohl daraus, dass ich in späterer Zeit das Befassen mit ihnen so schnell aufgeben konnte. Erst weit später gewann mir das Sprachstudium im Allgemeinen ein wahrhaftes Interesse ab, seit ich die physiologisch-philosophische Seite der Behandlung desselben kennen lernte, wie sie unseren neueren Germanisten durch Jakob Grimm's Vorgang zu eigen geworden ist. Da es nun für mich eben zu spät war, mich gründlicher diesem, endlich liebgewordenen Studium hinzugeben, bleibt mir das Bedauern, diese neuere Auffassung des Sprachstudiums nicht schon zu meiner Jugendzeit in unseren Gelehrtenschulen in Geltung angetroffen zu haben. Nichts destoweniger erwarben mir meine Erfolge auf dem philologischen Felde die bevorzugende Beachtung eines jungen Lehrers der Kreuzschule, des damaligen Magisters Sillig. Dieser erlaubte mir ihn öfter zu besuchen, und ihm meine Arbeiten, die in metrischen Uebersetzungen, sowie in eigenen Gedichten bestanden, mitzutheilen. Namentlich schien er bei den Declamationsübungen mich lieb gewonnen zu haben, und was er mir zutraute, mag daraus erhellen, dass er den damals etwa zwölfjährigen Knaben veranlasste, nicht nur Hektor's Abschied aus der Ilias, sondern selbst den berühmten Monolog des Hamlet vom Katheder herab zu rezitiren. – Als einst, da ich noch in Quarta sass, ein Mitschüler, Namens Starke, plötzlich starb, erregte dieser traurige Vorfall so grosse Theilnahme, dass nicht nur die ganze Klasse zum Begräbniss des Kameraden beschieden, sondern vom Rektor auch die Aufgabe gestellt wurde, durch ein Gedicht, welches gedruckt werden sollte, die Leichenfeier zu erhöhen. Von den verschiedenen Gedichten, unter denen auch ein von mir in Eile verfasstes sich befand, erschien dem Rektor jedoch keines der beabsichtigten Auszeichnung würdig, so dass er bereits seinen Entschluss ankündigte, durch eine von ihm selbst zu verfassende Rede für das verfehlte einzutreten. Bestürzt suchte ich eilig Magister Sillig auf, um ihn noch zu einer Intervention zu Gunsten meines Gedichtes zu bewegen: wir gingen dieses nun durch; die achtzeiligen wohl gebauten und gereimten Stanzen bestimmten ihn den Inhalt des Gedichtes sorglich zu revidiren. Es fand sich sonderlicher Schwulst in Bildern, die weit über die Vorstellungsweise eines Knaben meines Alters hinausgingen, in dem Gedicht. Ich entsinne mich einer Stelle, auf welche der Monolog aus Addison's Cato, vor dessen Selbstmord, wie ich ihn in einer englischen Grammatik vorgefunden, grossen Einfluss geübt hatte. Die Worte » und wenn die Sonne schwarz vor Alter würde, die Sterne müd' zur Erde fielen«, welche jedenfalls unmittelbare Reminiscenzen aus jenem Monolog enthielten, erweckten Sillig's mich fast beleidigendes Lächeln. Dennoch verdankte ich der Sorgfalt und der Schnelligkeit, mit welcher er mein Gedicht von derlei Ausschweifungen säuberte, dass dieses schliesslich vom Rektor noch zugelassen, wirklich gedruckt und in zahlreichen Exemplaren vertheilt wurde.

Der Erfolg dieser Auszeichnung war ausserordentlich, sowohl bei meinen Mitschülern, als namentlich auch bei meiner Familie; meine Mutter faltete die Hände andächtig, und in mir ward ich nun einig über meinen Beruf. Ganz unzweifelhaft stand es vor mir, dass ich zum Dichter bestimmt sei. Magister Sillig wollte von mir ein grosses episches Gedicht abgefasst haben, und wies mir als Stoff die Schlacht am Parnassos, nach Pausanias' Darstellung, zu. Was ihn hierzu vermochte, war die von Pausanias berichtete Sage, dass den verbündeten Griechen gegen den räuberischen Einfall der Gallier im zweiten Jahrhundert vor Chr. die Musen selbst vom Parnassos herab durch Erregung eines panischen Schreckens beigestanden hätten. Wirklich begann ich mein Heldengedicht in Hexametern, kam aber nicht über den ersten Gesang hinaus. – In meinen Studien noch nicht so weit vorgeschritten, um die griechischen Tragiker in der Ursprache selbst bewältigen zu können, beeinflusste mich das Bekanntwerden mit den geistvollen Nachahmungen ihrer Formen, welche mir zufällig in August Apel's hieher schlagenden dichterischen Arbeiten, nämlich dessen Polyïdos und Aitolier, bekannt wurden, bei dem Versuche, ebenfalls eine Tragödie nach griechischem Muster zu construiren. Ich wählte hierzu als Stoff den Tod des Odysseus nach einer Fabel des Hyginus, nach welcher der alte Held von seinem mit Kalypso erzeugten Sohne erschlagen wird. Auch mit dieser Arbeit blieb ich in den ersten Anfängen stehen.

Aus der somit eingeschlagenen Geistesrichtung geht es hervor, dass die trockneren Schulstudien meinem Eifer ferne blieben. Griechische Mythologie, Sage und endlich Geschichte waren es, was mich einzig anzog. Dem Leben zugewandt, war ich im Verkehr mit meinen Altersgenossen lebhaft und zu abenteuerlichen Streichen aufgelegt. Zu jeder Zeit stand ich in fast leidenschaftlichem Freundschaftsbund zu irgend einem Erwählten. In diesen häufig wechselnden Beziehungen bestimmte mich meistens das Eingehen des Genossen auf meine phantastischen Liebhabereien. Einmal war es Dichterei und Versemachen, ein anderes Mal waren es theatralische Unternehmungen, mitunter wohl auch die Neigung zum Herumschweifen und zu lustigen Streichen, was mich in der Wahl meiner Freunde bestimmte. Ausserdem trug sich nun, wo ich mein dreizehntes Jahr erreicht hatte, eine starke Veränderung in unserer Familie zu: meine Schwester Rosalie, welche zum ernährenden Haupte derselben geworden war, erhielt ein vorteilhaftes Engagement am Theater in Prag, und Mutter und Geschwister siedelten 1826 mit vollkommenem Aufgeben des Dresdener Aufenthaltes nach Prag über. Ich allein ward in Dresden zurückgelassen, um die Kreuzschule bis zu meinem Abgange auf die Universität ohne Unterbrechung besuchen zu können. Ich ward zu diesem Zweck zu einer Familie Böhme, deren Söhne mir von der Schule her befreundet waren, und in welcher ich mich bereits heimisch gemacht hatte, in Wohnung und Kost gegeben. Mit dem Aufenthalt in dieser etwas unruhigen, in dürftigen Verhältnissen nicht sonderlich wählsam geleiteten Familie, beginnt mein Eintritt in die Flegeljahre meines Lebens. Stille zur Arbeitsruhe, sowie der sanftere phantastische Einfluss des Umganges mit meinen Schwestern, ging mir immer merklicher verloren. Dafür stellte sich ein turbulentes Wesen, Balgerei und Raufsucht ein. Nach der zarteren Seite hin trat wiederum der Einfluss des weiblichen Elementes in bisher nicht gekannter Weise hervor; erwachsene Töchter und deren Freundinnen erfüllten oft die dürftigen engen Räume. Meine ersten Erinnerungen an knabenhafte Verliebtheit fallen in diese Zeit. Ich entsinne mich, dass ein sehr schönes, wohl gezogenes junges Mädchen, wenn ich nicht irre Amalie Hoffmann mit Namen, als sie, wie es ihr nur selten möglich war, des Sonntags in sauberem Putze zum Besuch in das Zimmer trat, mich bis zu lange dauernder Sprachlosigkeit in Erstaunen versetzte. Andere Male entsinne ich mich besinnungslose Schläfrigkeit geheuchelt zu haben, um von den Mädchen unter Bemühungen, welche dieser Zustand nöthig zu machen schien, zur Ruhe gebracht zu werden, weil ich einst zu meiner aufregenden Ueberraschung bemerkt hatte, dass ein ähnlicher Zustand mich in eine mir schmeichelnde unmittelbare Berührung mit dem weiblichen Wesen brachte.

Am mächtigsten wirkte aber in diesem Jahre der Entfernung von meiner Familie ein kurzer Besuch, den ich derselben in Prag abstattete. Es war im vollen Winter, als meine Mutter in Dresden ankam und mich auf acht Tage mit sich nahm. Das Reisen mit der Mutter war von ganz besonderer Art; sie zog bis an ihr Lebensende dem schnelleren Reisen mit der Post die abenteuerlichere Fahrt mit dem Lohnkutscher vor. Von Dresden nach Prag waren wir in grosser Kälte volle drei Tage unterwegs. Die Fahrt über das böhmische Gebirge schien oft mit völligen Gefahren verbunden, und nach glücklicher Ueberstehung der aufregendsten Abenteuer kamen wir endlich in Prag an, wo ich mich plötzlich in ein ganz neues Element versetzt fühlte. Lange Zeit hindurch hat der Besuch Böhmens, und namentlich Prags, von Sachsen aus, auf mich einen völlig poëtischen Zauber ausgeübt. Die fremdartige Nationalität, das gebrochene Deutsch der Bevölkerung, gewisse Kopftrachten der Frauen, der heimische Wein, die Harfenmädchen und Musikanten, endlich die überall wahrnehmbaren Merkmale des Katholizismus, die vielen Kapellen und Heiligenbilder, machten mir stets einen seltsam berauschenden Eindruck, der vielleicht an die Bedeutung sich anknüpfte, welche bei mir, der bürgerlichen Lebensgewohnheit gegenüber, das Theatralische gewonnen hatte. Vor allem übte die alterthümliche Pracht und Schönheit der unvergleichlichen Stadt Prag auf meine Phantasie einen unerlöschlichen Eindruck. Aber auch in dem Umgange meiner Familie fand ich Elemente, welche mir bis dahin fremd geblieben waren. Namentlich meine nur zwei Jahre ältere Schwester Ottilie hatte die leidenschaftliche Freundschaft einer adeligen Familie, der des Grafen Pachta, gewonnen. Zwei Töchter desselben, Jenny und Auguste, welche noch längere Zeit als vorzüglichste Schönheiten Prag's gerühmt wurden, hatten sich mit exaltirter Zärtlichkeit dieser meiner Schwester zugewandt. Mir waren solche Wesen und ein solches Verhältniss etwas ganz Neues und Bezauberndes. Ausserdem hatten sich einige Schöngeister Prag's, unter diesen W. Marsano, ein ausgezeichnet schöner und liebenswürdiger Mann, in unserem Hause eingefunden. Leidenschaftlich unterhielt man sich oft über die Hoffmann'schen Erzählungen, welche damals noch ziemlich neu und von grossem Eindruck waren. Ich erhielt von hier an durch mein erstes, zunächst nur oberflächliches Bekanntwerden mit diesem Phantastiker eine Anregung, welche sich längere Jahre hindurch bis zur excentrischen Aufgeregtheit steigerte, und mich durch die sonderbarste Anschauungsweise der Welt beherrschte.

Im folgenden Frühjahr 1827 wiederholte ich von Dresden aus einen Besuch in Prag, diesmal aber zu Fuss und in Begleitung meines Genossen Rudolf Böhme. Die Reise war voller Abenteuer; noch eine Stunde Weges vor Teplitz, bis wohin wir am ersten Abend gelangten, mussten wir andern Tages, da wir uns die Füsse wund gegangen hatten, auf einem Fuhrwerke uns weiter befördern lassen, jedoch nur bis Lowositz, weil von nun an das Geld uns vollständig ausging. In glühender Sonnenhitze, halb verschmachtend und mit hungerndem Magen wandernd, durchstreiften wir auf Seitenwegen das wildfremde Land, bis wir am Abend wieder die Hauptstrasse erreichten, auf welcher soeben ein eleganter Reisewagen uns begegnete. Ich gewann es über mich, mir das Ansehen eines reisenden Handwerksburschen zu geben, und die vornehmen Reisenden um ein Almosen anzusprechen, während mein Freund sich furchtsam in dem Chausséegraben versteckte. Für die Nachtherberge beschlossen wir auf gut Glück in eine freundliche Schenke am Wege einzutreten, und beratschlagten nun was vorzuziehen sei, ob für das soeben erhaltene Almosen ein Nachtbrod oder ein Nachtlager zu gewinnen: wir entschlossen uns zu dem Abendbrod, mit der Absicht die Nacht unter freiem Himmel zuzubringen. Während wir uns erquickten, trat ein seltsamer Wanderer herein: er trug ein schwarzes Sammetbarrett mit einer metallenen Lyra als Kokarde daran, auf dem Rücken eine Harfe. Mit bestem Humor entlud er sich seines Instrumentes, machte es sich bequem, und verlangte gute Kost, in der Absicht hier zu übernachten, um des andern Tages nach Prag, wo er zu Haus war und wohin er von Hannover zurückkehrte, weiter zu wandern. Das joviale Wesen des lustigen Menschen, welcher bei jeder Gelegenheit sein Lieblings-Motto: » non plus ultra«, anbrachte, erweckte mir Gefallen und Vertrauen: sehr schnell war Bekanntschaft geschlossen, und mein Vertrauen ward von Seiten des wandernden Musikers durch Bezeigung einer fast zärtlichen Liebe erwiedert. Es wurde bestimmt, des andern Tages gemeinschaftlich die Fussreise fortzusetzen; er lieh mir zwei Zwanziger, und liess sich von mir die Prager Wohnung meiner Familie in seine Brieftasche notiren. Dieser persönliche Erfolg hatte für mich etwas Entzückendes. Mein Harfenspieler gerieth in leidenschaftliche Lustigkeit: es wurde viel Czernoseker-Wein getrunken; er sang und spielte auf seiner Harfe wie rasend, schwor in einem fort sein » non plus ultra«, und sank endlich berauscht auf das für uns Alle im Wirthzimmer aufgeworfene Strohlager. Als die Sonne hereinschien, war er nicht zu erwecken, und wir mussten uns entschliessen, in der Morgenfrische ohne ihn uns auf den Weg zu machen, in der Voraussetzung, der rüstige Mann würde uns den Tag über wohl einholen. Jedoch erwarteten wir ihn vergebens auf der Landstrasse, sowie auch während unseres folgenden Aufenthalts in Prag: erst nach mehreren Wochen fand der wunderliche Mensch sich bei meiner Mutter ein, weniger um sein Darlehen zurückzufordern, als um von seinen jungen Freunden Nachricht zu empfangen. – Der Rest unserer Wanderung kostete den jungen Gliedern noch grosse Ermüdung. Unbeschreiblich war meine Freude bei dem endlichen Anblick Prag's von einer Anhöhe in einer Stunde Entfernung. Als wir uns den Vorstädten näherten begegnete uns wiederum eine glänzende Equipage: aus ihr riefen mir die beiden schönen Freundinnen meiner Schwester Ottilie überrascht entgegen; sie hatten mich, trotz der fürchterlichsten Entstellung durch den Sonnenbrand und die blaue Leinwandblouse mit hochrother Kattunmütze, sofort erkannt. Voll Scham und mit hochklopfendem Herzen, vermochte ich wenig Auskunft zu geben, und zog schnell weiter, um in der mütterlichen Wohnung angelangt, vor allen Dingen für die Wiederherstellung meiner verbrannten Gesichtsfarbe zu sorgen. Hierzu opferte ich zwei volle Tage, während welcher ich mein Gesicht in Umschläge von Petersilie hüllte. Nun erst gab ich mich dem Genusse der Welt wieder hin. Als ich bei der Rückreise von der gleichen Anhöhe wieder auf Prag zurückblickte, zerfloss ich in Thränen, warf mich zur Erde, und war von meinem staunenden Freunde lange nicht zum Weiterwandern zu bewegen. Ich blieb ernst, und bis zur Heimkehr nach Dresden begegneten uns diesmal keine Abenteuer.

Die Neigung zu grösseren Fussreisen befriedigte ich noch im gleichen Jahre durch meinen Anschluss an eine zahlreiche Gesellschaft von Gymnasiasten verschiedener Klassen und gemischten Alters, welche sich in den Sommerferien zu einer gesellschaftlichen Wanderung nach Leipzig entschlossen hatten. Auch diese Reise tritt aus meinen Jugenderinnerungen durch lebhafte Eindrücke hervor. Der charakteristische Hauptzug der Gesellschaft bestand in einer anticipirenden Tendenz des Studentenwesens; wir gebärdeten und kleideten uns in phantastischer Weise schon ganz nach Studentenart. Nachdem wir bis Meissen auf dem Marktschiff gefahren waren, ging die Wanderung nun von der Hauptstrasse ab über mir unbekannt gebliebene Dörfer. In der Schenke eines derselben, wo wir unter den ausgelassensten Abenteuern in einer grossen Scheune übernachteten, trafen wir ein grosses Puppentheater, mit Marionnetten von fast menschlicher Grösse an. Natürlich pflanzte sich die ganze Wandergesellschaft im Zuschauerraume auf, und setzte dadurch die Dirigenten der Aufführung, welche nur auf ein Bauernpublikum gerechnet hatten, in grosse Verlegenheit. Es wurde » Genovefa« gespielt; das unaufhörliche Witzeln, das stete spasshafte Hineinreden und höhnische Unterbrechen, was sich die naseweise Zukunfts-Studentenschaft erlaubte, erregte endlich aber selbst das Missfallen der bäuerlichen Zuschauerschaft, welche durchaus zur Rührung aufgelegt blieb. Ich glaube unter uns der Einzige gewesen zu sein, der diesen Uebermuth peinlich empfand, und trotz unwillkürlichen Lachens über spasshafte Einfälle meiner Genossen, dennoch für das Stück, wie für sein ursprüngliches naïves Publikum Partei nahm. Eine populäre Redensart, welche in dem Stücke vorkam ist mir dennoch unvergesslich geblieben; Golo trug nämlich dem unvermeidlichen Kaspar auf, den Pfalzgrafen nach seiner Heimkehr » hinten zu kitzeln, dass er es vorne fühle«; Kaspar verrieth dem Pfalzgrafen wörtlich den Auftrag Golo's, und der Pfalzgraf warf dem entlarvten Bösewicht seine Schuld wiederum mit den im höchsten Pathos ausgesprochenen Worte vor: » O Golo, Golo! Du hast Kasper'n gesagt, er solle mich hinten kitzeln, dass ich's vorne fühle!« – Von Grimma aus fuhr die jugendliche Gesellschaft endlich in offenem Wagen in Leipzig ein, jedoch nicht ohne zuvor die Abzeichen des Studententhumes sorgsam entfernt zu haben, aus Furcht vor den wahrhaften Studenten, denen wir nun begegnen würden, für diese Anmassung übel behandelt zu werden.

Leipzig hatte ich seit meinem ersten Besuche im achten Jahre, ganz in der ähnlichen Umgebung wie das erste Mal, vorübergehend wiederbesucht; der phantastische Eindruck des Thomé'schen Hauses hatte sich wiederholt, nur war diesmal durch meine vorgerücktere Schulbildung bereits die Möglichkeit eines bewussteren Umganges mit meinem Onkel Adolf gegeben. Veranlassung hierzu gab mein freudiges Erstaunen, als ich erfuhr, dass der in einem grossen Vorsaal stehende Bücherschrank mit einer ziemlich zahlreichen Bibliothek aus der Erbschaft meines Vaters, mir angehöre. Ich ging die Bücher mit meinem Oheim durch, wählte sofort eine Anzahl lateinischer Schriftsteller in der schönen Zweibrücker Ausgabe, sowie andere mich anziehende dichterische und schöngeistige Werke aus, und sorgte für die Zusendung nach Dresden. Bei meinem neuesten Besuche reizte mich namentlich das Studium des Studentenwesens. Zu den Eindrücken des Theaters und Prag's kam nun ein neues phantastisches Element, das sogenannte Renommiren des Studententhums. Eine Umwälzung war hiermit vorgegangen. Da ich zuerst als achtjähriger Knabe Studenten zu sehen bekam, hatte sich mir aus ihrem Aeussern die altdeutsche Tracht, mit dem schwarzen Sammtbarrette, dem am nackten Hals umgeschlagenen Hemdkragen und dem langen Haar, lebhaft eingeprägt. Seitdem war das Burschenthum, welchem jene Tracht angehörte, vor den politischen Verfolgungen verschwunden, und dagegen machte sich das nicht minder den Deutschen eigenthümliche Landsmannschaftswesen jetzt vorzüglich breit. Die Tracht der Landsmannschafter schloss sich im Ganzen der Mode, sogar mit Uebertreibung an; dennoch zeichnete sie sich durch Buntheit, und namentlich durch das Zurschautragen der landsmannschaftlichen Verbindungsfarben, vor der der übrigen Stände aus. Der » Comment«, dieses Compendium pedantischer Verhaltungsmassregeln zur Conservirung eines trotzig abgeschlossenen Kastengeistes gegenüber den bürgerlichen Ständen, hatte seine phantastische Seite, wie im Grunde genommen die philisterhaftesten Eigenthümlichkeiten der Deutschen sie haben. Für mich wurde derselbe zum Begriff der Emanzipation von Schul- und Familienzwang. Die Sehnsucht Student zu werden fiel auf bedenkliche Weise mit meiner wachsenden Abneigung gegen die trockneren Studien und meiner sich steigernden Leidenschaft für das Befassen mit phantastischer Poëterei zusammen. Die Folge hiervon zeigte sich bald durch trotzige Unternehmungen zur Veränderung meiner Lage.

Bereits traf mich der Akt meiner Confirmation zu Ostern 1827 in ziemlicher Verwilderung nach dieser Seite hin, und namentlich mit merklicher Herabstimmung meiner Hochachtung für kirchliche Gebräuche. Der Knabe, der noch vor wenigen Jahren mit schmerzlicher Sehnsucht nach dem Altarblatte der Kreuzkirche geblickt, und in extatischer Begeisterung sich an die Stelle des Erlösers am Kreuze gewünscht, hatte die Hochachtung vor dem Geistlichen, zu welchem er in die der Confirmation vorangehenden Vorbereitungsstunden ging, bereits so sehr verloren, dass er zu seiner Verspottung nicht ungern sich gesellte, und sogar einen Theil des für ihn bestimmten Beichtgeldes in Uebereinstimmung mit einer hierzu verbundenen Genossenschaft vernaschte. Wie es trotzdem mit meinem Gemüthe stand, erfuhr ich jedoch fast zu meinem Schrecken, als der Akt der Austheilung des heiligen Abendmahles begann, vom Chor Orgel und Gesang ertönte, und ich im Zuge der Confirmanden um den Altar wandelte: die Schauer der Empfindung bei Darreichung und Empfang des Brodes und des Weines sind mir in so unvergesslicher Erinnerung geblieben, dass ich, um der Möglichkeit einer geringeren Stimmung beim gleichen Akte auszuweichen, nie wieder die Veranlassung ergriff zur Communion zu gehen, was mir dadurch ausführbar ward, dass bekanntlich bei den Protestanten kein Zwang hierzu besteht.

Bald aber benutzte ich eine herbeigezogene Veranlassung zu einem Bruch mit der Kreuzschule, um meinen Fortgang nach Leipzig, von meiner Familie zu erzwingen. Um mich gegen eine mir ungerecht dünkende Strafe, welche der sonst von mir sehr verehrte Conrektor Baumgarten-Crusius über mich verhängte, zu schützen, gab ich beim Rektor eine plötzlich erhaltene Aufforderung meiner Familie, mit ihr in Leipzig mich zu vereinigen, vor, um sofort meine Entlassung aus der Schule zu erhalten. Bereits seit einem Vierteljahre hatte ich das Böhme'sche Haus verlassen, und bewohnte für mich allein ein kleines Dachzimmer, in welchem ich von einer Hofsilberwäschers-Wittwe bedient wurde, die mich den ganzen Tag über mit dem bekannten dünnen sächsischen Kaffee, als fast einzigem Nahrungsmittel versorgte. In dieser Dachkammer habe ich nichts wie Verse gemacht, auch fasste ich dort die ersten Entwürfe zu dem riesigen Trauerspiele, mit welchem ich später meine Familie in Bestürzung versetzte. Die Unordnung, in welche ich durch diese vorzeitige häusliche Unabhängigkeit gerieth, veranlasste namentlich meine besorgte Mutter, ohne Schwierigkeiten in meine Uebersiedelung nach Leipzig zu willigen, um so mehr als wirklich ein Theil meiner zerstreuten Familie sich dorthin gewendet hatte.

Mein Verlangen nach Leipzig, wie es ursprünglich durch die dort empfangenen phantastischen Eindrücke, zuletzt durch meine Schwärmerei für das Studentenwesen erweckt worden war, hatte in neuester Zeit noch eine andere Anregung erhalten. Meine Schwester Luise, damals ein Mädchen von etwa 22 Jahren, war, da sie kurz nach dem Tode unseres Stiefvaters nach Breslau zum Theater gegangen, mir so gut wie unbekannt geworden. Vor Kurzem kam sie auf ihrer Reise von dort nach Leipzig, an dessen Theater sie ein Engagement angenommen hatte, auf wenige Tage durch Dresden. Diese Begegnung mit der verwandten Unbekannten, das herzlich zärtliche Bezeugen ihrer Freude mich wiederzusehen, sowie ihr aufgewecktes launiges Wesen, machten auf mich den angenehmsten Eindruck. Bei ihr, zu der sich nun auch die Mutter mit Ottilien für einige Zeit wandte, zu wohnen, erschien mir reizend. Zum erstenmal war eine Schwester zärtlich gegen mich gewesen. Als ich zu Weihnachten desselben Jahres (1827) in Leipzig ankam, und bereits meine Mutter mit Ottilie und Cäcilie (meiner Stiefschwester) vorfand, wähnte ich mich im Himmel. Eine grosse Veränderung hatte sich jedoch bereits zugetragen: Luise war Braut des angesehenen und vermögenden Buchhändlers Friedrich Brockhaus geworden. Die Anhäufung der Familie der gänzlich vermögenslosen Braut scheint nie dem ausserordentlich gutherzigen Bräutigam und baldigen Gemahle lästig gefallen zu sein; dennoch mag wohl die Schwester diesem Umstande eine besorgliche Vorstellung entnommen haben, welche sie mir alsbald in einem entfremdenden Lichte erscheinen liess. Die Veranlassung in den höheren bürgerlichen Kreisen sich zu wünschenswerther Geltung zu bringen, führte ausserdem von selbst eine merkliche Veränderung in dem Benehmen der sonst so heiteren, zu lustigen Einfällen aufgelegten Schwester herbei, welches im Laufe der Zeit von mir mit solcher Bitterkeit wahrgenommen wurde, dass ich gelegentlich mich später mit ihr einmal vollständig überwarf. Zu dem mich kränkenden Tadel meiner Aufführung gab ich jedoch leider bald wirklichen Anlass. Der Verfall meiner Studien und mein völliges Abweichen von den Pfaden einer regelmässigen Schulausbildung schreibt sich von meinem Eintritt in Leipzig her, und vielleicht war der Hochmuth des Schulpedantismus daran schuld.

In Leipzig bestehen zwei Gelehrtenschulen; die ältere, Thomas- und die jüngere, Nicolaischule genannt: die Nicolaischule stand damals in vorzüglicherem Rufe als ihre Schwester; dort musste ich demnach aufgenommen werden. Nun fand das Lehrercollegium, dem ich mich zu Neujahr 1828 zur Prüfung vorstellte, es dem Rang ihrer Schule angemessen, mir, der ich zuvor in der Dresdener Kreuzschule bereits in Secunda gesessen hatte, für einige Zeit Obertertia anzuweisen. Der Missmuth, der mich erfasste, als ich den Homer, von welchem ich bereits zwölf Gesänge schriftlich übersetzt hatte, wieder bei Seite legen musste, um zu den leichtern griechischen Prosaisten zurückzukehren, war unbeschreiblich, und schnitt sich tief in meine ganze Stimmung ein. Ich betrug mich demzufolge so, dass ich mir nie einen der Lehrer dieser Schule befreundete. Der hieraus entstehende unfreundliche Schulzwang stimmte mich um so trotziger, als ich nun an verschiedenen neuen Faktoren meiner Lebensbildung Anhalt zu diesem Trotz gewann. Während zunächst das nun täglich vor meinen Augen sich ausbreitende Studentenleben mich immer mehr mit seinem auflehnungssüchtigen Geiste erfüllte, fand ich von einer anderen, ernsteren Seite her unerwartet eine neue Anregung zur Verachtung des Schulpedantismus. Ich bezeichne hier den ihm längere Zeit unbewusst gebliebenen Einfluss meines Onkels Adolph Wagner, dessen Umgang nun für die eigentümliche Bildung des heranreifenden Jünglings von wichtiger Bedeutung ward.

Dass meinen phantastischen Neigungen nicht eigentlich ein Hang zu oberflächlicher Zerstreuung zu Grunde lag, zeigte sich in dem angelegentlichen Eifer, mit welchem ich mich diesem gelehrten Verwandten anschloss. Allerdings war er im Umgang und Gespräch sehr anziehend; die Vielseitigkeit seines Wissens, welches sich vom philologischen Fach über das philosophische und litterar-poëtische mit gleicher Wärme ausdehnte, vermochte nach dem Bekenntnisse Vieler, wenn er sich in gesprächlicher Unterhaltung mittheilte, höchst einnehmend zu wirken. Dass ihm hiergegen die Gabe versagt war, ebenso hinreissend, ja selbst nur klar zu schreiben, war eine der sonderbaren Unvollkommenheiten dieses Mannes, die seine Wirksamkeit auf die litterarische Welt bedeutend abschwächte, ja ihn sogar oft der Lächerlichkeit aussetzte, indem man ihm bei vorkommender Polemik die unverständlichsten und schwülstigsten Sätze nachweisen konnte. Mich sollte diese Schwäche nicht abschrecken, da ich einerseits in der unklaren Periode meiner eigenen Entwicklung befangen war, in welcher litterarischer Schwulst mir um so tiefsinniger erschien, als ich ihn nicht fassen konnte, andrerseits aber ich weniger von meinem Onkel las, als mit ihm mich unterhielt. Auch ihm schien der Umgang mit dem feurig aufhorchenden Jünglinge angenehm. Leider vergass er im vielleicht nicht ganz unselbstgefälligen Eifer seiner Mittheilung, dass er hierbei, wie in der Wahl seiner Ausdrucksweise, weit über meine jugendliche Fassungskraft hinausging. Täglich holte ich ihn zu den seiner Gesundheit nöthigen Nachmittagspromenaden um die Thore der Stadt ab. Ich vermuthe oft das Lächeln vorübergehender Bekannter erregt zu haben, welche den tiefsinnigen und oft aufreizenden Discussionen zwischen mir und meinem Onkel lauschten. Den Gegenstand derselben bildete im Grunde alles Ernste und Erhabene auf dem Gebiete des Wissens. Seine reichhaltige Bibliothek hatte mich fieberhaft nach allen Seiten hin aufgeregt, so dass ich feurig von einem Gebiete der Litteratur in das andere übersprang, ohne dazu gelangen zu können nach irgend einer Seite hin mich gründlich zu unterrichten. Mein Oheim freute sich in mir einen höchst willigen Zuhörer von Vorlesungen klassischer Tragödien, von denen er zum Beispiel selbst eine Uebersetzung des »König Oedipus« geliefert hatte, zu finden; denn mit Recht schmeichelte er sich nach Tieck, der ihm wahrhaft befreundet war, einer der besten Vorleser zu sein. Ich entsinne mich, dass, als er einsam mit dem Lesepulte vor mir sass und eine griechische Tragödie vorlas, es ihn nicht verdross, als ich vollkommen einschlief, was er nachträglich gar nicht bemerkt zu haben vorgab. Meine Abende bei ihm zu verbringen, bestimmte mich ausserdem die freundlich behagliche Bewirthung, welche mir von seiner Frau zu Theil ward. Seit meiner frühesten Bekanntschaft mit meinem Oheim im Thomé'schen Hause war nämlich eine grosse Veränderung in dessen Leben vorgegangen. Das Asyl, welches er mit seiner Schwester Friederike bei seiner Freundin gefunden, schien mit der Zeit für ihn doch unerträgliche Verpflichtungen herbeizuführen. Da seine litterarischen Arbeiten ihm ein mässiges Einkommen sicherten, fand er es endlich seiner Würde entsprechender einen eigenen Hausstand zu gründen. Eine seinem Alter angemessene Freundin, die Schwester des nicht unrühmlich bekannt gewordenen Aesthetikers Wendt in Leipzig, wurde von ihm bestimmt, seine eigene Häuslichkeit ihm herzurichten. Ohne Jeannette ein Wort zu sagen war er, statt des gewöhnlichen Nachmittagsspazierganges, mit seiner Erwählten zur schnellen Abmachung der üblichen Trauungs-Ceremonien in die Kirche gegangen, und meldete nun bei der Heimkehr, dass er ausziehe, und noch heute seine Sachen abholen lassen werde. Der grossen Bestürzung, vielleicht auch den Vorwürfen seiner älteren Freundin, wusste er mit milder Fassung zu begegnen, und bis an sein Lebensende setzte er seine regelmässigen täglichen Besuche bei der zu Zeiten zärtlich schmollenden » Mamselle Thomé« fort. Nur die arme Friederike schien die unerwartete Untreue des Bruders mitunter büssen zu müssen.

Was mich an meinem Oheim besonders feurig anzog, war seine schroffe, aber doch humoristisch sich äussernde Verachtung des modernen Pedantismus in Staat, Kirche und Schule. Bei grosser Mässigung seiner sonstigen Ansichten über das Leben, machte er auf mich doch die Wirkung des eigentlichen Freigeistes. Völlig begeisternd wirkte auf mich seine Verachtung der Schulpedanterei. Als ich eines Tages mit dem Lehrer-Collegium der Nicolai-Schule in bedenkliche Konflikte gerathen war, und der Rektor derselben sich mit einer ernstlichen Beschwerde über mein Betragen an meinen Oheim, als den einzigen männlichen Vertreter meiner Verwandtschaft richtete, frug mich dieser beim Spaziergang um die Stadt gelegentlich ruhig und lächelnd, wie einen Altersgenossen, was ich denn mit den Leuten an der Schule gehabt hätte; ich erklärte ihm den Vorfall und berichtete ihm von der mir ungerecht dünkenden Strafe, zu welcher ich verurtheilt war. Er beruhigte mich und ermahnte mich zur Geduld, indem ich mit dem spanischen Sprichwort mich trösten sollte: » un rey no puede morír«, welches er dahin erklärte, dass auch ein Schulmonarch nothwendig immer Recht haben müsste.

Es konnte ihm natürlich nicht erspart bleiben, die Folgen dieser, die Urtheilskräfte meines Alters weit überschätzenden Art des Verkehres mit mir endlich zu seinem Schrecken inne zu werden. Hatte es mich zwar auch verdrossen, eines Tages, als ich den Gœthe'schen Faust vorzunehmen wünschte, von ihm die ruhige Meinung, dass ich diesen noch nicht verstehen würde, zu vernehmen, so hatten mich doch seine sonstigen Gespräche über unsere grossen Dichter, selbst über Shakespeare und Dante, nach meinem Dünken so vertraut mit diesen erhabensten Vorbildern gemacht, dass ich seit längerer Zeit heimlich damit beschäftigt war, mein grosses, schon in Dresden concipirtes Trauerspiel auszuführen. Auf diese Ausführung verwandte ich seit meinem Zerfall mit der Schule alle Arbeitskräfte, welche dieser eigentlich gewidmet sein sollten. Ich gewann mir bei dieser heimlichen Arbeit eine einzige Mitwisserin, meine Schwester Ottilie, welche mit mir jetzt allein bei der Mutter wohnte. Ich entsinne mich des Zagens und Schreckens, welchen die erste vertraute Mittheilung meiner grossen dichterischen Unternehmung meiner guten Schwester verursachte; dennoch gab sie sich liebevoll den Peinigungen hin, welche ich ihr zu Zeiten durch geheimnissvolle, aber deshalb nicht affektlose Vorlesung der einzelnen Theile meiner fortschreitenden Arbeit verursachte. Als ich ihr einstmals eine der erschrecklichsten Scenen vorlas, brach ein heftiges Gewitter aus; als ganz in unserer Nähe der Blitz einschlug und der Donner krachte, glaubte meine Schwester in mich dringen zu müssen, mit der Lektüre einzuhalten: sie überzeugte sich bald, dass es unmöglich war mich dazu zu bewegen, und hielt mit rührender Ergebung aus.

Ein bedenklicheres Gewitter zog sich jedoch endlich um den Horizont meines Lebens zusammen. Meine Vernachlässigung der Schule erreichte den Grad, dass es nothwendig zu einem Bruche mit ihr führen musste. Während meine gute Mutter hiervon keine Ahnung hatte, sah ich weniger mit Bangen, als mit Verlangen der Katastrophe entgegen. Um dieser in würdiger Weise zu begegnen, beschloss ich endlich meine Familie mit der Entdeckung meines nun vollendeten Trauerspieles zu überraschen. Die Bekanntschaft mit diesem grossen Ereigniss sollte ihr durch meinen Onkel verschafft werden; seiner herzlichen Anerkennung meines grossen Dichterberufes glaubte ich in Folge unserer sonstigen grossen Uebereinstimmung über die wichtigsten Angelegenheiten des Lebens, der Wissenschaft und der Kunst, unbedenklich sicher sein zu dürfen. Somit übersandte ich ihm das voluminöse Manuscript mit einem ausführlichen Brief, in welchem ich ihm meine Lebenstendenz im Betreff der Nicolaischule, sowie meinen festen Entschluss, fortan durch keinen Schulpedantismus mehr in meiner freien Entwicklung mich hemmen zu lassen, wie ich vermuthete, zu seiner grossen Freude, mittheilte. Es kam anders. Der Schreck war gross. Mein Onkel, sich völlig einer Schuld bewusst fühlend, erschien bei meiner Mutter und meinem Schwager, um mit Entschuldigungen seines, vielleicht übel zu deutenden Einflusses auf mich, Bericht von dem Unglück zu geben, welches die Familie betroffen habe. Mir selbst schrieb er einen ernst abweisenden Brief, von dem ich noch heute nicht begreifen kann, warum er von so wenigem Humor in der Auffassung meiner Verirrung zeigte: denn, auffallender Weise, gab er nur dem Gefühl des Selbstvorwurfes, durch unzweckmässigen Umgang mich zur Verschrobenheit getrieben zu haben, Ausdruck, belehrte mich aber durchaus nicht in gemüthlicher Weise über den Charakter meiner Verirrung.

Der Gegenstand des Verbrechens des fünfzehnjährigen Jünglings, bestand, wie gesagt, in einem grossen Trauerspiel, mit dem Titel: » Leubald und Adelaïde«.

Das Manuscript dieses Drama's ist mir leider abhanden gekommen, doch sehe ich es im Geiste noch deutlich vor mir: die Handschrift war im höchsten Grad affektirt; die schräg zurückgebogenen hohen Buchstaben, durch welche ich ihr einen originellen Anstrich zu geben suchte, hatten schon einem meiner Lehrer die persische Keilschrift zurückgerufen. In dieser Schrift hatte ich nun ein Drama aufgezeichnet, zu welchem Shakespeare hauptsächlich durch »Hamlet«, »Macbeth« und »Lear«, Gœthe durch »Götz von Berlichingen« beigetragen hatten. Die Handlung begründete sich eigentlich auf eine Variation des »Hamlet«: die Veränderung bestand darin, dass mein Held, durch die Erscheinung des Geistes seines, unter ähnlichen Umständen gemordeten Vaters, und dessen Aufforderung zur Rache, zu so ungestümer Aktion hingerissen wird, dass er durch eine Reihe von Mordthaten zum Wahnsinn gelangt. In seiner Anlage ein Gemisch von »Hamlet« und »Percy Heisssporn«, hatte Leubald dem Geiste des Vaters gelobt, das ganze Geschlecht des Roderich, (so hiess der ruchlose Mörder des besten Vaters) von der Erde zu vertilgen. Nachdem er nun diesen Roderich selbst, sodann seine Söhne, auch dessen sonstige helfende Verwandten in ungestümer Fehde erlegt hatte, verwehrte ihm nur noch Eines die Erfüllung seines heissesten Wunsches, sich selbst durch den Tod dem Schatten seines Vaters zu gesellen: noch lebte ein Sprosse Roderichs. Des Frevlers Tochter war bei dem Sturm auf dessen Burg durch einen getreuen, von ihr aber gehassten Freier, entführt und gerettet worden. Dieses Mädchen fühlte ich mich begeistert » Adelaïde« zu nennen. Schon damals sehr für Deutschthümlichkeit eingenommen, kann ich mir diese auffallend undeutsche Benennung meiner Heldin nur aus meinem Enthusiasmus für Beethovens »Adelaïde« erklären, deren schwärmerischer Refrain mir als Symbol aller Liebesanrufung erschien. Der Gang meines Drama's bezeichnete sich nun durch die seltsamen Verzögerungen dieses letzten nothwendigen Sühnemords, dessen Hauptverhinderung ein schnell sich einstellendes, glühendes Liebesverhältnis zwischen Leubald und Adelaïde abgab. Es gelang mir die Entstehung und das Bekenntniss dieser Liebe unter ausserordentlich abenteuerlichen Umständen zur Darstellung zu bringen. Adelaïde war dem sie bergenden Bräutigam wiederum durch einen Raubritter entführt worden. Nachdem Leubald diesen Bräutigam mit dessen Familie ebenfalls aufgeopfert, stürmt er nun auch vor das Raubschloss, bereits weniger von Blutdurst als von Todessehnsucht angetrieben. Er bedauert desshalb das Raubschloss nicht sofort stürmen zu können, weil es gut verwahrt ist, und die eingebrochene Nacht ihn daran verhindert; er muss ein Zelt aufschlagen; nach anhaltendem Rasen verfällt er zum erstenmal in Ermattung: und nach Hamlet's Vorbild treibt ihn der Geist seines Vaters da nochmals zur Vollendung des Rachegelübdes an, als er durch einen nächtlichen Ueberfall plötzlich selbst in die Gewalt des Feindes geräth. Dort in unterirdischen Burgverliessen begegnet er zum ersten Mal der Feindestochter, welche, gleich ihm gefangen, sich listig zur Flucht wendet, und ihm unter Umständen erscheint, in welchen sie auf ihn den Eindruck einer himmlischen Vision hervorbringt. Sie lieben sich, flüchten gemeinschaftlich in die Wildniss, und erkennen sich als Todfeinde. Der in Leubald bereits merklich keimende Wahnsinn bricht nach dieser Entdeckung immer stärker hervor; was zu dessen Steigerung beigetragen werden kann, geschieht durch den Geist des Vaters, welcher sich unaufhörlich zwischen die Annäherungen der Liebenden drängt. Nicht aber dieser Geist allein stört das versöhnende Liebesverhältnis Leubalds und Adelaïde's, auch der Geist Roderich's findet sich ein, und nach der von Shakespeare in Richard III befolgten Methode schliessen sich ihm die Geister der übrigen durch Leubald hingerichteten Glieder der Familie seiner Geliebten an. Gegen die unaufhörlichen Zudringlichkeiten dieser Geister sucht Leubald, durch die Mitwirkung eines wüsten Bösewichtes, Namens Flamming, der sich zu ihm gesellt, vermöge der Zauberei sich zu schützen. Eine der Hexen Macbeth's soll die Geister bannen: da sie dies nicht ordentlich zu Stande bringt, stösst der rasende Leubald auch diese über den Haufen, welche ihm sterbend die ganze Schaar der ihr dienenden Geister zu den ihm bereits persönlich anhaftenden Gespenstern auf den Hals hetzt. In dieser Weise auf das unleidlichste geplagt, wendet sich Leubald im äussersten Wahnsinn endlich gegen die Geliebte, welche ihm alle diese Noth zu bereiten scheint. Er ersticht sie in der Raserei, findet sich dann plötzlich beruhigt, senkt sein Haupt auf ihren Schooss, und lässt sich ihre letzte Liebkosung gefallen, während ihr eigenes Blut über den Sterbenden dahinströmt.

Ich kann bezeugen dass nichts von mir unterlassen war, um diesem Stoff die mannigfaltigste Ausführung zu geben, weder was aus Rittergeschichten mir bekannt war, noch was aus Lear und Macbeth mir vertraut geworden, hatte ich unbenutzt gelassen, um mein Drama mit den reichsten Situationen auszustatten. Ein Hauptingredienz meiner poëtischen Gestaltung entnahm ich jedoch der pathetischen und humoristischen Kraftsprache Shakespeare's. Die Kühnheit des schwülstigen und bombastigen Ausdruckes setzte namentlich meinen Oheim Adolph in Schreck und Staunen. Er konnte nicht begreifen, wie ich aus dem Lear und dem Götz von Berlichingen gerade nur diese exorbitanten Redensarten, und zwar noch mit der unglaublichsten Uebertreibung herausgelesen und verwendet hatte. – Mir blieb, als man mich mit Wehklagen über meine verlorene Zeit und verschrobene Richtung wahrhaft betäubte, ein wunderlicher innerer Trost gegen die widerfahrende Calamität: ich wusste, was noch Niemand wissen konnte, nämlich, dass mein Werk erst richtig beurtheilt werden könnte, wenn es mit der Musik versehen sein würde, welche ich dazu zu schreiben beschlossen hatte, und welche ich nächstens auszuführen demnach beabsichtigte.

Ich habe nun nämlich nachzuholen, was im Betreff der Musik mit mir vorgegangen war, und muss hierzu von den ersten Anfängen beginnen.

In meiner Familie wurde von zwei meiner Schwestern Musik getrieben: Rosalie, die älteste, spielte Klavier, ohne es doch je weit darin zu bringen; begabter war dagegen Clara, welche, bei grossem musikalischem Gefühl und schönem warmem Ton auf dem Klavier, eine ausserordentlich seelenvolle Stimme besass, deren Entwicklung so frühzeitig und bedeutend sich anliess, dass meine Schwester, von dem zur Zeit noch rühmlich genannten Gesanglehrer Mieksch geschult, schon in ihrem sechszehnten Jahre zur Primadonna reif schien, als welche sie in der italienischen Oper zu Dresden als » Cenerentola« in Rossini's Oper ihr Debüt bestand. Beiläufig erwähnt zeigte sich, dass eben diese zu frühe Entwicklung das Organ Clara's beschädigt hatte, was der Armen für ihr ganzes Leben von traurigem Einfluss ward. Durch diese beiden Schwestern wurde, wie gesagt, die Musik in unserem Haus vertreten. Namentlich das Schicksal Clara's führte aber auch den Kapellmeister K. M. von Weber zu wiederholten Malen in unser Haus. Mit dem seinigen wechselte zu Zeiten der Besuch des kolossalen Sopransängers Sassaroli ab; zwischen diesen beiden Repräsentanten der deutschen und italienischen Musik fand sich der Gesanglehrer Mieksch ein. Ich hörte als Kind bei solchen Gelegenheiten zum erstenmal über deutsche und italienische Musik discutiren und erfuhr, dass wem es an der Hofgunst gelegen wäre, sich auf die italienische Richtung werfen müsse, und zwar erhielt diess in unserem Familienrath eine ganz praktische Bedeutung. Das Talent Clara's, so lange die Stimme noch ungebrochen, war der Gegenstand des Wetteifers der italienischen und der deutschen Oper. Ich entsinne mich nun sehr deutlich, dass ich von je mich für die deutsche Oper erklärte; vielleicht wirkte hierzu der drastische Eindruck der beiden Gestalten Sassaroli's und Weber's. Der italienische Sopransänger, ein ungeheurer, rundbäuchiger Koloss, entsetzte mich durch seine hohe Weiberstimme, seine erstaunliche Volubilität im Sprechen und sein kreischendes stets bereites Lachen. Trotz seiner grossen Gutmüthigkeit und Beliebtheit namentlich auch in meiner Familie, war dieser Mensch mir gespenstisch widerwärtig; italienisch sprechen und singen hören, erschien mir als das Teufelswerk dieser Spukmaschine, und als ich in Folge des Missgeschicks meiner armen Schwester noch häufig von italienischen Intriguen und Kabalen sprechen hörte, begründete sich in mir ein so starker Widerwille gegen dieses Element, dass ich noch in spätesten Zeiten mich entsinne bis zu leidenschaftlicher Abneigung dadurch verführt worden zu sein. Die seltenen Besuche Weber's scheinen dagegen in mir diejenigen ersten Eindrücke hervorgerufen zu haben, welche mich mein ganzes Leben lang mit unerlöschlicher Sympathie erfüllten. Der scandalösen Gestalt Sassaroli's gegenüber erfasste mich Weber's überaus zarte, leidende und geistverklärte Erscheinung mit extatischer Theilnahme. Das schmale feine Gesicht mit den lebhaften und doch häufig umschleierten Augen, bannte mich in Schauern fest; sein stark hinkender Gang, den ich oft vom Fenster aus wahrnahm, wenn der Meister um die Mittagszeit aus den ermüdenden Proben seinen Heimweg an unserem Hause vorbei nahm, kennzeichnete meiner Imagination den grossen Musiker als ein ungewöhnliches, übermenschliches Wesen. Als ihm einst meine Mutter den etwa neunjährigen Knaben vorstellte, und er frug was ich werden sollte, ob vielleicht Musiker, sagte meine Mutter dass ich wohl auf den Freischütz ganz versessen sei, sie aber trotzdem noch nichts an mir wahrgenommen hätte, was auf mein musikalisches Talent deuten möchte. Dies war von meiner Mutter sehr richtig beobachtet: nichts ergriff mich so stark als die Musik des Freischützen, und auf jede Weise suchte ich die von dort her empfangenen Eindrücke wieder vorzuführen, sonderbarer Weise aber am wenigsten durch Studium der Musik selbst. Ich begnügte mich dafür mit dem Anhören des Vortrages von Musikstücken aus dem Freischützen namentlich durch meine Schwestern. Jedoch wuchs die Leidenschaft hiefür allmählich so stark, dass ich mich entsinne eine ausserordentliche Neigung zu einem jüngeren Manne, Namens Spiess, gewonnen zu haben, lediglich aus dem Grunde, weil dieser die Ouverture zum Freischütz spielen konnte, zu deren Vortrag ich ihn, wo ich ihn nur antraf, aufforderte. Namentlich die Einleitung dieser Ouverture war es, welche mich endlich auch zu dem Versuche antrieb, ohne irgend welchen Unterricht auf dem Klavier empfangen zu haben, mir dieses Stück auf meine besondere Weise selbst vorzuführen. Denn, sonderbar genug, war ich der Einzige unter meinen Geschwistern, welcher keinen Klavierunterricht empfangen hatte, was ich wahrscheinlich der ängstlichen Sorge meiner Mutter verdankte, mir derlei künstlerische Uebungen, welche mir etwa Neigung zum Theater beibringen könnten, fern zu halten. Etwa in meinem zwölften Jahre nahm jedoch meine Mutter einen Hauslehrer, mit Namen Humann, für mich an, bei welchem ich wirklichen, wenn auch dürftigen Klavierunterricht erhielt. Aeusserst stümperhaft mit Kenntniss des Fingersatzes ausgerüstet, drängte ich sofort zur Einübung vierhändiger Ouverturen, von denen wiederum die Weber'schen der Zielpunkt meines Strebens waren. Als ich es endlich so weit gebracht hatte, die Freischütz-Ouverture, wenn auch in fehlerhaftester Weise, für mich allein zu spielen, hielt ich den Zweck dieser Studien für erreicht, und in keiner Weise fühlte ich mich gedrängt der Ausbildung meines Klavierspiels weitere Sorgfalt zu widmen. Dennoch hatte ich jetzt so viel erreicht, dass ich für die Musik nicht mehr von dem Vortrag anderer abhängig war; ich selbst suchte mir nun auf meine immerhin bedenklich incorrekte Weise vorzuspielen, was ich kennen lernen wollte. So versuchte ich es auch mit Mozart's Don Juan, ohne jedoch noch Gefallen daran finden zu können, da mir namentlich der italienische Text im Klavierauszuge die Musik in ein frivoles Licht setzte, und Vieles mir darin tändelnd und unmännlich erschien. (Ich entsinne mich, dass, wenn meine Schwester Zerlinen's Ariette: » Batti, batti, ben Masetto«, vortrug, mich diese Musik völlig als weichlich und weibisch abschreckte).

Dagegen wurde mein Hang zur Beschäftigung mit Musik immer reger, und ich suchte mir nun auch meine Lieblingsstücke durch Abschrift anzueignen. Ich entsinne mich des Zagens meiner Mutter, als sie mir Geld zum ersten Notenpapier geben musste, auf welches ich mir »Lützow's Jagd« von Weber als erstes Notenstück kopirte. Immer blieb aber meine Beschäftigung mit Musik Nebensache; jedoch entsinne ich mich, dass die Nachricht von Weber's Tod, und die Sehnsucht seine Musik zu Oberon kennen zu lernen, meine schwärmerische Neigung neu anfachte. Besondere Nahrung empfing diese noch aus den Nachmittags-Conzerten im Dresdener »Grossen Garten«, wo das Zillmann'sche Stadtmusikcorps, wie mir schien mit grosser Virtuosität, meine Lieblingsmusik mir oft zu Gehör brachte. Das zauberische Behagen, welches mir die Anhörung des Orchesters in unmittelbarster Nähe erweckte, ist mir noch jetzt in wollüstiger Erinnerung. Schon das Einstimmen der Instrumente setzte mich in mystische Aufregung: ich entsinne mich, dass namentlich das Anstreichen der Quinten auf der Violine mir wie Begrüssung aus der Geisterwelt dünkte, – was, beiläufig erwähnt, bei mir seinen ganz buchstäblichen Sinn hatte. Schon als kleinstes Kind fiel der Klang dieser Quinten mit dem Gespensterhaften, welches mich von jeher aufregte, genau zusammen. Ich entsinne mich noch in späterer Zeit nie ohne Grauen an dem kleinen Palais des Prinzen Anton, am Ende der Ostraallee in Dresden vorübergegangen zu sein; in dieser Gegend hatte ich nämlich zuerst und dann häufiger das Stimmen einer Violine in der Nähe gehört, welches mir von den steinernen Figuren zu kommen schien, mit denen dieses Palais geschmückt ist, und unter welchen einige mit musikalischen Instrumenten ausgestattet sind. (Es machte einen sonderbaren Eindruck auf mich, als ich, nach Antritt meines Kapellmeisteramtes in Dresden dem Konzertmeister Morgenroth, einem ältlichen Herrn, welcher seit langen Jahren jenem prinzlichen Palais gegenüber wohnte, meinen Besuch machte, und bei dieser Gelegenheit mich davon überzeugte, dass der meine musikalische Knabenphantasie so stark imprimirende Quintenstreicher nichts weniger als ein gespenstisch-mystisches Wesen war). Da ich nun auch das bekannte Bild sah, auf welchem ein Todtengerippe einem sterbenden Greise auf der Violine vorspielt, so prägte sich das Geisterhafte gerade dieser Klänge der Phantasie des Kindes mit besonderer Stärke ein. Nun endlich als erwachsener Knabe fast alle Nachmittage um das Zillmann'sche Orchester im grossen Garten schwärmend, denke man sich das wollüstige Grauen, mit welchem ich all' die verschiedenen chaotischen Klangfarben einsog, die man beim Anhören eines einstimmenden Orchesters vernimmt: das langgehaltene A der Hoboë, welches die übrigen Instrumente gleichsam wie eine Geistermahnung wachruft, verfehlte nie alle meine Nerven in fieberhafte Spannung zu bringen; und wenn nun das anschwellende C der Freischütz-Ouvertüre mir ankündigte, dass ich unmittelbar, wie mit beiden Füssen, in das Zauberreich des Grauens eingetreten sei, so hätte wohl, wer mich damals beobachtete, gewahr werden müssen, welche Bewandtniss es, trotz meinem gräulichen Klavierspiel, mit mir hatte.

Ein anderes Werk zog mich endlich ebenfalls an, es war die Ouverture in E-dur zu Fidelio, von welcher mich die Einleitung besonders ergriff. Ich erkundigte mich nach Beethoven bei meinen Schwestern und erfuhr, dass soeben die Nachricht von dessen Tode angelangt sei. Noch voll des unbegreiflich wehmüthigen Eindrucks von Weber's Tode, erfasste mich dieser neue Todesfall eines so eben erst lebendig in mein Leben getretenen Tonmeisters mit seltsamem Bangen, welches dem jugendlichen Gespenstergrauen vor den Quintenklängen der Violinen nicht unverwandt war. Auch Beethoven wollte ich nun genauer kennen lernen: ich kam nach Leipzig, und fand bei meiner Schwester Luise auf dem Klavier seine Musik zu »Egmont«; dann suchte ich mir Sonaten von ihm zu verschaffen: endlich hörte ich zum ersten Mal in einem Gewandhaus-Konzerte eine Symphonie des Meisters; es war die A-dur Symphonie. Die Wirkung hiervon auf mich war unbeschreiblich. Dazu kam der Eindruck den Beethoven's Physiognomie, nach den damals verbreiteten Lithographien, auf mich machte, die Kenntniss seiner Taubheit, seines scheuen zurückgezogenen Lebens. In mir entstand bald ein Bild erhabenster überirdischer Originalität, mit welcher sich durchaus nichts vergleichen liess. Dieses Bild floss mit dem Shakespeare's in mir zusammen: in extatischen Träumen begegnete ich Beiden, sah und sprach sie; beim Erwachen schwamm ich in Thränen. – Von Mozart lernte ich jetzt das Requiem kennen: es war der Ausgangspunkt meines schwärmerischen Versenkens auch in diesen Meister, der mich nun mit dem zweiten Finale des Don Juan dazu stimmte, ihn in meine Geisterwelt vollkommen einzureihen.

Wie ich von jeher zu dichten versucht hatte, musste ich nun nothwendig auch zu komponiren versuchen: da es sich hier aber um die Erlernung eines selbstständigen technischen Komplexes handelte, hatte es damit grössere Schwierigkeiten, als bei dem scheinbar so leicht glückenden Versemachen; und diese Schwierigkeiten waren es, welche bald meinen Lebenslauf dahin bestimmten, dass er den Anschein des Lebenslaufes eines »Musikers« gewann, welchem der »Kapellmeister« und »Opern-Componist« einst das specielle gangbare Gepräge aufdrücken sollten.

Zu » Leubald und Adelaïde« wollte ich nun eine Musik schreiben, wie die Beethoven'sche zu Gœthe's »Egmont«; namentlich sollten die so unterschiedlichen Gattungen der Gespensterwelt angehörenden Geistererscheinungen, durch die entsprechende musikalische Begleitung ihr rechtes Kolorit erst erhalten. Wie es zu ermöglichen sei, schnell das nöthige Componiren mir anzueignen, sollte mich Logier's »Methode des Generalbasses« lehren, welche man mir in einer musikalischen Leihanstalt als zweckmässiges Lehrbuch zur schnellen Erlernung des Componirens anempfohlen hatte. Ich entsinne mich, dass die finanziellen Wirren, die mir mein Leben zu jeder Zeit so sehr störten, von hier ihren Ausgang nahmen: ich entlieh Logier's Methode gegen ein wöchentliches Leihgeld in der angenehmen Hoffnung, mit einigen Wochen Leihgebühr, welche ich allenfalls von gesammeltem Taschengelde erübrigt hätte, davon zu kommen. Die Wochen dehnten sich aber zu Monaten aus, und immer konnte ich noch nicht componiren, wie ich wollte. Herr Friedrich Wieck, der spätere Schwiegervater Rob. Schumann's und damalige Besitzer jener Leihanstalt, liess mir bedenkliche Mahnungen zukommen, und als die Rechnung fast zu gleicher Höhe mit dem Preise des Logier'schen Buches angeschwollen war, sah ich mich genöthigt meiner Familie mich zu entdecken, welche nun mit meiner Finanz-Calamität zugleich meine neue Verirrung auf das Gebiet der Musik erfuhr, von der man sich natürlich im glücklichsten Falle nur eine Wiedergeburt von »Leubald und Adelaïde« erwartete. Die häusliche Noth war gross; Mutter, Schwester und Schwager beriethen sich mit sorgenvoller Miene, in welcher Weise künftighin meine Studien zu überwachen sein dürften, um mich von steten Abwegen zurückzuhalten. Noch wusste man jedoch nicht in welches Verhältniss ich zur Schule getreten war, und tröstete sich damit, hoffentlich auch diesen Abweg, wie den kurz zuvor beschrittenen dichterischen, bald von mir wieder verlassen zu sehen.

Ausserdem gingen häusliche Veränderungen vor sich, welche es herbeiführten dass ich im Sommer 1829 längere Zeit allein und ganz mir selbst überlassen in der Leipziger Wohnung zurückblieb. In dieser Zeit erreichte meine musikalische Extase einen besonders phantastischen Höhepunkt. Ich hatte heimlichen Unterricht in der Harmonie-Lehre bei einem tüchtigen Musiker des Leipziger Orchesters, G. Müller (später Organist in Altenburg), genommen: während die Bezahlung auch dieses Stundengeldes mir später grosse häusliche Verlegenheiten bereiten sollte, vermochte ich nicht einmal meinen Lehrer durch Freude an wahrnehmbaren Fortschritten meiner Studien für das Ausbleiben der Stundengelder zu entschädigen. Seine Lehren und Aufgaben erfüllten mich bald ihrer vermeintlichen Trockenheit wegen mit grossem Widerwillen. Die Musik war mir durchaus nur Dämonium, eine mystisch erhabene Ungeheuerlichkeit; alles Regelhafte schien sie mir durchaus zu entstellen. Bei weitem entsprechendere Belehrung, als von meinem Leipziger Orchester-Musiker, suchte ich daher in Hoffmann's »Phantasiestücken« auf; und jetzt war die Zeit, wo ich so recht eigentlich in diesem Hoffmann'schen Kunstgespensterspuk lebte und webte. Ganz erfüllt von Kreissler, Krespel, und anderen Musikgespenstern meines Lieblingsschriftstellers, glaubte ich endlich auch im Leben ein solches Original glücklicherweise aufgefunden zu haben: dieser ideale Musiker, an welchen ich eine Zeitlang mich mit der phantastischen Annahme, mindestens einen zweiten »Kreissler« entdeckt zu haben, hingab, war ein gewisser Flachs. Ein langer, ausserordentlich hagerer Mensch, mit besonders dünnem Kopf, und höchst absonderlichen Manieren im Gehen, Sichbewegen und Sprechen, war von mir in allen Gartenkonzerten, welche für mich der Hauptquell der musikalischen Bildung waren, angetroffen worden. Er hielt sich immer bei den Orchestern auf, sprach in wunderlicher Hast bald mit diesem, bald mit jenem Musiker, mit denen Allen er bekannt war und die ihn gut zu leiden schienen. Dass sie sich alle über ihn lustig machten, sollte ich zu meiner Beschämung erst viel später erfahren. Ich entsann mich diese merkwürdige Figur schon in frühester Zeit in Dresden wahrgenommen zu haben, und entnahm auch aus Gesprächen, welche ich belauschte, dass er wirklich mit allen Dresdener Musikern ebenfalls genau bekannt war. Schon dieser Umstand machte mir ihn höchlich interessant; vor allem aber rissen mich die Wahrnehmungen hin, die ich an ihm machte, wenn er den Musikstücken zuhörte: ein eigenthümliches convulsivisches Kopfnicken und seufzerartiges Aufblasen der Wangen, deutete ich mir als dämonische Extase; da ich ausserdem bemerkte, dass er ganz allein war, durchaus keiner Gesellschaft angehörte, und einzig dem Zuge der Gartenmusik folgte, bildete sich in mir die Identification dieses wunderbaren Menschen mit dem »Kapellmeister Kreissler« ganz natürlich aus. Ich musste seine Bekanntschaft machen, und es gelang mir. Wer beschreibt meine Wonne, als ich, zum erstenmal in seiner Wohnung ihn aufsuchend, dort unglaubliche Stösse von Partituren vorfand! Ich hatte noch nie eine Partitur gesehen. Zu meiner Betrübniss entdeckte ich zwar, dass er weder von Beethoven noch von Mozart oder Weber etwas besass, dagegen eine Unmasse von Werken, Messen und Cantaten, von mir gänzlich unbekannten Componisten, wie Stærkel, Stamitz, Steibelt u. s. w., von denen jedoch Flachs mir so viel Gutes zu sagen wusste, daß der Respect, den ich im Allgemeinen vor Partituren empfand, mir über das Bedenken, nichts von meinen geliebten Meistern anzutreffen, hinweg half. Später erfuhr ich allerdings, dass der gute Flachs in den Besitz gerade dieser Partituren nur durch die Benutzung seiner Geistesschwäche von Seiten gewissenloser Speculanten gerathen war, welche ihm diese werthlosen Musikalien für theures Geld aufgeheftet hatten. Kurz, es waren Partituren, und das war mir genug. Flachs ward mein intimster Umgang; überall sah man den sechszehnjährigen schmächtigen Jüngling mit der wunderlich wackelnden Flachsstange herumziehen, und meine damals einsame Familienwohnung nahm oft den sonderbaren Gast auf, der, bei Butterbrod und Käse, meine Compositionen von mir sich vorspielen lassen musste, und dagegen mir einst eine Arie für Blasinstrumente arrangirte, welche von dem Musikcorps in Kintschy's Schweizerhütte zu meinem Staunen ausgeführt wurde. Dass dieser Mann nie auch nur etwas halbwegs Belehrendes gegen mich von sich geben konnte, fiel mir nicht auf; ich war so fest in der Annahme von seiner Originalität, dass er mir diese durch nichts andres als durch geduldiges Anhören meiner enthusiastischen Ergiessungen zu documentiren hatte. Da sich mit der Zeit einige Bekannte meines Freundes zu uns gesellten, konnte es mir allerdings endlich nicht entgehen, dass mein guter Flachs als Schwachkopf und Narr von aller Welt behandelt wurde; doch stimmte mich diess zunächst mehr wehmüthig, bis ein wunderliches Ereigniss mich plötzlich zu der allgemeinen Ansicht über ihn bekehrte. Flachs besass einiges Vermögen, und wurde um dessenwillen von einem jungen verdächtigen Frauenzimmer umgarnt, von welcher er sich heftig geliebt meinte: plötzlich fand ich sein Haus mir verschlossen, und staunend gewahrte ich dass dies aus Eifersucht geschah. Die wunderbare Unheimlichkeit dieses Verhältnisses, wie es in dieser Art überhaupt zum erstenmal meiner Erfahrung vorkam, erfüllte mich mit einem seltsamen Grauen. Der Wahnsinn meines Freundes ging mir plötzlich in einem grelleren Lichte, als es hier gewiss das richtige war, auf: ich schämte mich meiner langen Verblendung so sehr, dass man mich geraume Zeit in keinem Gartenconcerte mehr sah, aus Furcht, wieder in die Nähe meines falschen » Kreissler« zu gerathen.

In dieser Zeit hatte ich nun eine erste Sonate in D-moll componirt. Auch ein Schäferspiel hatte ich begonnen, bei dessen Ausarbeitung ich in gewiss noch nie dagewesener Weise verfuhr. Durch Göthe's »Laune der Verliebten« für Form und Inhalt meiner Dichtung bestimmt, entwarf ich kaum auch nur einen Plan des Textes, und führte dagegen die Dichtung zugleich mit der Musik und der Instrumentation in der Weise aus, dass ich, während ich die eine Partiturseite schrieb, für die folgende selbst nicht einmal den Text im Voraus überlegt hatte. Ich entsinne mich, dass ich auf diese gänzlich phantastische Weise, ohne die mindeste Kenntniss des Schreibens für Instrumente mir verschafft zu haben, wirklich eine ganze längere Nummer zu Stande brachte, welche sich schliesslich als eine Scene für drei Frauenstimmen herausstellte, welcher die Arie eines Tenoristen folgte. Meine Neigung für Orchester zu schreiben war so lebhaft, dass, nachdem ich mir eine Partitur des Don Juan verschafft hatte, ich nun an eine grössere Sopranarie ging, die ich nach meiner Meinung bereits sorgfältig instrumentirte. Auch ein Quartett in D-dur schrieb ich, nachdem ich mit dem Altschlüssel der Bratsche, dessen Unkenntniss mich bei Gelegenheit des Studiums eines Haydn'schen Quartettes vor kurzer Zeit noch in die grösste Verlegenheit gesetzt hatte, auf befriedigende Weise mich vertraut gemacht.

Mit diesen Werken ausgerüstet, ging ich nun im Sommer auf meine erste Kunstreise. Meine Schwester Clara, an den Sänger Wolfram verheirathet, war am Magdeburger Theater engagirt: und auf altvertraute Weise machte ich mich zu dem Abenteuer einer Fussreise dahin auf. Mein kurzer Aufenthalt bei meinen Verwandten brachte mir manche musikalische Erfahrungen ein: namentlich stiess ich dort auf ein neues Original, dessen Einwirkung auf mich mir unvergesslich geblieben ist. Es war dies ein Musikdirector Kühnlein, ein wirklich eigenthümlicher, aber auch sonderbarer Mensch; bereits ältlich, kränklich, und leider auch trunksüchtig, imponirte dieser Mann durch eine auffallende, schwungvolle Gewähltheit des Ausdruckes. Seine stärkste Eigenschaft war seine vergötternde Schwärmerei für Mozart, und seine leidenschaftliche Geringschätzung Weber's. Er las nur ein Buch: Göthe's »Faust«, und in diesem fand sich keine Seite, auf welcher nicht eine Stelle entweder mit verklärender Deutung auf Mozart oder mit schmähender Beziehung auf Weber angestrichen gewesen wäre. Diesem Mann vertraute mein Schwager meine mitgebrachten Compositionen an, um durch ihn ein Urtheil über meine Befähigung zu erhalten. Als wir des Abends gemüthlich in einem Gasthofe sassen, trat der alte Kühnlein herein, und kam mit ernster Freundlichkeit auf uns zu: ich glaubte Gutes in seinen Mienen zu lesen; mein Schwager frug ihn, was er an meinen Arbeiten finde? »Kein gutes Haar«, entgegnete er mit sanfter Ruhe. Mein Schwager, an Kühnlein's Excentricität gewöhnt, lachte laut auf, was mich einigermassen erquickte. Deutliche Gründe für sein Urtheil und Belehrung konnte ich von Kühnlein nicht gewinnen, dagegen immer nur erneuertes Schmähen Weber's und einziges Hinweisen auf Mozart, welches auf mich immerhin von Eindruck blieb, da Kühnlein stets mit grosser und emphatischer Wärme sich ergoss. – Andrerseits erwarb ich mir zu gleicher Zeit, bei Gelegenheit dieses Besuches, einen wunderbaren Besitz, der mich von der Befolgung von Kühnlein's Lehren wieder weit abführen sollte; es war dies die Partitur des grossen Es-dur-Quartettes von Beethoven, welches damals noch ziemlich neu war, und von welchem mein Schwager mir eine Abschrift besorgen liess. Mit meiner Erfahrung und meinem Schatze bereichert, kehrte ich nach Leipzig in die Brütstätte meiner phantastisch-musikalischen Studien zurück, konnte nun aber nicht länger mehr verhindern, dass meiner dort wieder vereinigten Familie, zu welcher meine Schwester Rosalie wiederum gehörte, mein gänzlich gestörtes Schulverhältniss offenbar wurde.

Es fand sich nämlich die Anzeige ein, dass ich seit einem halben Jahre die Schule gar nicht mehr besucht hatte; nachdem die früher vom Rectorat derselben an meinen Onkel gerichtete Klage über mich keine gebührende Beachtung gefunden, schien man es dort aufzugeben mich mit Erfolg zu beaufsichtigen, wozu ich endlich alle Möglichkeit, wie gesagt, durch mein gänzliches Ausbleiben von der Schule abschnitt. Von neuem wurde in der Familie berathen, was mit mir anzufangen sei. Da ich meine Neigung zur Musik auf das Kräftigste betheuerte, waren meine Verwandten der Meinung, dass ich wenigstens ein Instrument tüchtig zu erlernen hätte: mein Schwager Brockhaus schlug vor, mich zu Hummel nach Weimar zu schicken, um mich bei ihm zum Klavierspieler ausbilden zu lassen. Da ich aber leidenschaftlich erklärte, dass »Musik« bei mir »Componiren«, und nicht ein »Instrument spielen« hiesse, ward mir nachgegeben, und beschlossen, dass ich nun bei demselben Musiker Müller, bei dem ich vor einiger Zeit heimlichen und noch unbezahlten Unterricht genossen hatte, regelmässige Stunden in der Harmonielehre nehmen sollte. Hiergegen gelobte ich standhafte Wiederaufnahme auch meiner Studien auf der Nicolaischule. Beides ward mir bald zur Plage, da ich hier wie dort mich im Zwange fühlte; und dies galt leider auch vom Musikunterricht, bei welchem mich die trockenen Harmonie-Studien immer mehr anwiderten, während ich für mich fortfuhr Fantasien, Sonaten und Ouverturen zu konzipiren und auszuführen. Auf der anderen Seite spornte mich der Ehrgeiz, in der Schule zu zeigen, was ich könnte, wenn ich nur wollte: bei Gelegenheit der uns Secundanern gestellten Aufgabe, ein Gedicht zu liefern, verfasste ich einen Chorgesang in griechischer Sprache auf den neuesten griechischen Freiheitskampf. Ich vermuthe wohl, dass dieses griechische Poëm zur griechischen Sprache und Poëtik sich mag verhalten haben, wie meine damaligen Sonaten und Ouverturen zur wirklich gründlich erlernten Musik sich verhielten. Mein Versuch wurde, als eine Unverschämtheit höhnisch zurückgewiesen. Von da ab entsinne ich mich keiner weiteren Eindrücke von der Schule mehr: ihr fortgesetzter Besuch war meinerseits ein reines Opfer aus Rücksicht für meine Familie; von dem, was in den Stunden gelehrt wurde, nahm ich nicht die geringste Notiz, sondern beschäftigte mich einzig während derselben heimlich mit der Lecture, welche mich gerade anzog.

Da, wie erwähnt, auch der Musikunterricht nichts bei mir fruchtete, fuhr ich in meiner willkürlichen Selbsterziehung dadurch fort, dass ich mir die Partituren meiner geliebten Meister abschrieb, wobei ich mir eine später oft bewunderte zierliche Handschrift erwarb. Soviel ich weiss, werden noch jetzt meine Abschriften der C-moll-Symphonie und der neunten Symphonie Beethoven's als Andenken bewahrt. Diese neunte Symphonie Beethoven's ward zum mystischen Anziehungspunkt all meines phantastisch-musikalischen Sinnen's und Trachtens. Was mich zuerst zu ihr hinzog, war die damals gewiss nicht nur unter den Leipziger Musikern gültige Meinung, dass dieses Werk von Beethoven bereits im halben Wahnsinn geschrieben worden sei: sie galt als das Non-plus-ultra alles Phantastischen und Unverständlichen, und diess war Grund genug mich zur Erforschung dieses Dämoniums leidenschaftlich anzuregen. Was mich beim Anblick der mühsam verschafften Partitur sogleich wie mit Schicksal'sgewalt anzog, waren die lang andauernden reinen Quintenklänge, mit welchen der erste Satz beginnt: diese Klänge, die, wie ich erzählte, in meinen Jugendeindrücken von der Musik eine so geisterhafte Rolle spielten, traten hier wie der gespenstige Grundton meines eigenen Lebens an mich heran. Diese Symphonie musste das Geheimniss aller Geheimnisse enthalten, und so machte ich mich zunächst darüber, durch mühsame Abschrift mir die Partitur davon anzueignen. Ich entsinne mich, dass mich nach einer auf diese Arbeit verwendeten Nacht das Morgengrauen überraschte, und bei meiner grossen Aufgeregtheit so unheimlich auf mich wirkte, dass ich laut aufschreiend wie vor einer Gespenstererscheinung mich in das Bett barg. Ein zweihändiger Klavierauszug existirte von der Symphonie noch nicht; sie hatte so wenig Anklang beim Publikum gefunden, dass der Verleger sich zur Herausgabe eines solchen nicht veranlasst sah. Ich machte mich darüber, und verfasste wirklich einen vollständigen Klavierauszug für zwei Hände, welchen ich mir selbst vorzuspielen versuchte. Meine Arbeit schickte ich an den Verleger der Partitur, Schott in Mainz, ein; ich erhielt zur Antwort, dass die Verlagshandlung sich zwar noch nicht zur Herausgabe eines Klavierauszuges der neunten Symphonie entschlossen habe, dass sie aber meine fleissige Arbeit gern aufbewahren wolle, und mir die Partitur der grossen Missa solemnis als Gegengeschenk anböte, was ich denn mit grosser Freude annahm.

Neben dieser Arbeit trieb ich eine Zeit lang auch Violine, da mein Harmonielehrer sehr richtig befunden hatte, dass einige Erlernung des Mechanismus' dieses Instrumentes dem zukünftigen Orchestercomponisten unerlässlich sei. Wirklich bezahlte meine Mutter dem noch jetzt (1865) im Leipziger Orchester fungirenden Violinspieler Sipp acht Thaler für eine Geige, deren Schicksal mir unbekannt geblieben ist, auf welcher ich jedoch ein Vierteljahr lang von meinem wunderbar kleinen Kämmerchen aus meine Mutter und Schwester unerhört peinigte. Ich brachte es bis zu gewissen Mayseder'schen Variationen in F-dur, jedoch nur bis zur zweiten oder dritten: von da ab schwindet mir jede Erinnerung an diese Uebungen, zu denen ich glücklicher Weise, wie es scheint aus egoistischen Gründen, von meiner Familie nicht ernstlich angehalten wurde.

Es kam nun aber die Zeit, wo das Interesse für das Theater mich wieder leidenschaftlich in Anspruch nahm. Eine neue Gesellschaft war unter sehr glücklichen Auspizien durch die Sorgfalt der Dresdener Hoftheater-Intendanz, welche für drei Jahre auch die Führung des Leipziger Theaters übernahm, in meiner Vaterstadt zusammengetreten. Meine Schwester Rosalie war Mitglied dieser Theatergesellschaft geworden, durch sie hatte ich jeder Zeit leichten Eintritt zu den Aufführungen, und was in meinen Kinderjahren nur das Interesse einer phantastischen Neugierde gewesen war, ward nun zu einer gründlicheren, bewusstvollern Leidenschaft. Julius Cæsar, Macbeth, Hamlet, die Schiller'schen Stücke, endlich der Goethe'sche »Faust«, erregten und begeisterten mich tief. Die Oper brachte die ersten Aufführungen von Marschner's Vampyr und Templer und Jüdin. Die italienische Operngesellschaft langte von Dresden an, und entzückte das Leipziger Publikum durch Vorführung ihrer ausserordentlichen Virtuosenleistungen. Fast war auch ich im Begriff, von dem Rausche, welchen sie über Leipzig ergossen, bis zum Vergessen der Knabeneindrücke hingerissen zu werden, welche einst Signor Sassaroli mir eingeprägt hatte, als ein andres Wunder, welches uns ebenfalls von Dresden zukam, meinem künstlerischen Gefühle plötzlich eine neue und für das ganze Leben entscheidende Richtung gab. –

Dies war ein kurzes Gastspiel der Wilhelmine Schröder-Devrient, welche damals auf der vollsten Höhe ihrer Künstler-Laufbahn stand, jugendlich, schön und warm, wie nie seitdem auf der Bühne mir ein Weib erscheinen sollte. – Sie trat in » Fidelio« auf.

Wenn ich auf mein ganzes Leben zurückblicke, finde ich kaum ein Ereigniss, welches ich diesem einen in Betreff seiner Einwirkung auf mich an die Seite stellen könnte. Wer sich der wunderbaren Frau aus dieser Periode ihres Lebens erinnert, muss in irgend einer Weise die fast dämonische Wärme bezeugen können, welche die so menschlich-extatische Leistung dieser unvergleichlichen Künstlerin nothwendig über ihn ausströmte. Nach der Vorstellung stürzte ich zu einem meiner Bekannten, um dort einen kurzen Brief aufzuschreiben, in welchem ich der grossen Künstlerin bündig erklärte, dass von heute ab mein Leben seine Bedeutung erhalten habe, und wenn sie je dereinst in der Kunstwelt meinen Namen rühmlich genannt hören sollte, sie sich erinnern möge, dass sie an diesem Abend mich zu dem gemacht habe, was ich hiermit schwöre werden zu wollen. Diesen Brief gab ich im Hôtel der Schröder-Devrient ab, und lief wie toll in die Nacht hinaus. Als ich im Jahre 1842 nach Dresden kam, um mit dem Rienzi zu debütiren, und nun mich oft im Hause der freundlich gewogenen Künstlerin aufhielt, überraschte sie mich eines Males durch treue Rezitation jenes Briefes, welcher auch auf sie Eindruck gemacht zu haben schien, da sie sich ihn wirklich aufbewahrt hatte.

Ich glaube jetzt erkennen zu müssen, dass eine grosse Verwirrung, welche nun auf längere Zeit in mein Leben, namentlich in meine Arbeiten eintrat, durch die übermässige Erfülltheit von dem Eindrucke dieser Kunsterscheinung veranlasst wurde. Ich wusste nicht, wie mir helfen, wie es beginnen, um selbst irgend etwas hervorzubringen, was in unmittelbarem Verhältniss zu dem empfangenen Eindrucke stehen möchte; und Alles, was nicht hierauf in Beziehung zu bringen war, erschien mir doch so schal und nichtig, dass ich mich unmöglich damit befassen mochte. Ich hätte mögen ein Werk schreiben, welches der Schröder-Devrient würdig gewesen wäre: da mir diess nun in keiner Weise möglich war, liess ich in enthusiastischer Verzweiflung alles Kunststreben fahren, und da mich die Schul-Wissenschaft wahrlich auch nicht zu fesseln vermochte, überliess ich mich wie steuerlos dem unmittelbaren Leben, im Verkehre mit sonderbar gewählten Genossen, aller Art von Jugend-Ausschweifungen. Es begann bei mir die eigentliche lüderliche Periode der Jünglingsflegeljahre, über deren äusserliche Unschönheit und innerliche Leere ich jetzt noch wahrhaft erstaune. Mein Umgang mit Altersgenossen war stets das leichtfertigste Werk des Zufalls gewesen; ich kann mich nicht entsinnen, dass eine besondre Neigung oder Angezogenheit mich in der Wahl meiner Jugendfreunde bestimmt hat. Während ich mit Sicherheit annehmen darf, dass ich nie in den Fall kam, etwa aus Neid von einem besonders Begabten mich zurückzuhalten, kann ich mir meine Gleichgiltigkeit in der Wahl meiner Umgangsgenossen nur dadurch erklären, dass es mir, ohne Erfahrung von einem für mich bedeutenden Umgange, nur darauf ankam Jemand zu haben, der mich bei meinen Ausflügen begleitete, und welchem ich nach Herzenslust mein Inneres ausschütten konnte, ohne darauf zu achten, was davon auf ihn überging. Die Folge hiervon war, dass ich nach anhaltender, nur durch meine Aufregung bezahlter Mittheilung schliesslich an den Punkt gelangte, wo ich mir dann doch nun den Freund ansah: zu meinem Erstaunen fand ich dann gewöhnlich, dass von Erwiederung gar keine Rede war, und so bald ich nun es mir angelegen sein liess, etwas mir Entsprechendes aus dem Freunde herauszuschlagen, somit ihn selbst gewissermaassen zur Mittheilung von etwas, was ihm gar nicht eigen war, zu stimuliren, brach dann gewöhnlich das Verhältniss vollständig und ohne alle Spur für mein Leben ab. In gewissem Sinne blieb mein sonderbares Verhältniss zu Flachs der Typus der allergrössten Mehrzahl meiner späteren Lebensbeziehungen. Da sich auf diese Weise nie ein dauerndes persönliches Freundesverhältniss in mein Leben einführte, erklärt es sich, wie mir ein Gefallen am wüsten Studentenleben längere Zeit zur Leidenschaft werden konnte, weil hier das Individuelle des Umganges gänzlich vor dem Generellen der Genossenschaft zurücktritt. Mitten im Saus und Braus der lärmendsten Thorheit blieb ich ganz allein; und es ist möglich, dass diese Unsinnigkeiten die schützende Kruste um meinen inneren Kern bildeten, welcher längere Zeit der natürlichen Erkräftigung bedurfte, um nicht durch frühreifes Produziren vorzeitig geschwächt zu werden. Dem Anscheine nach zersplitterte ich mich nach allen Seiten: die Nicolaischule musste mit Ostern 1830 aufgegeben werden, da ich beim Lehrercollegium zu übel angeschrieben stand, um je auf Förderung von dort aus zur Universität mir Hoffnung machen zu können. Es ward nun beschlossen, dass ich ein halbes Jahr privatisiren sollte, um sodann mich an der Thomasschule zu melden, bei welcher ich in neue Verhältnisse trat, und es in meiner Macht hatte, in kurzer Zeit mich bis zum Abgang auf die Universität durchzuschlagen. Mein Oheim Adolph, mit dem ich immer wieder in freundliche Beziehungen trat, und welcher auch in Betreff der Musik anregend und fördernd auf mich wirkte, erweckte trotz des tiefen Verfalls meiner damaligen Lebensrichtung immer wieder Neigung zu wissenschaftlichen Studien in mir. Ich nahm bei einem Gelehrten Privatunterricht im Griechischen, und las mit diesem den Sophokles. Eine Zeit lang hoffte ich, dass dieser edle Gegenstand mir wieder Lust zum ernsteren Erfassen der griechischen Sprache erwecken würde; allein es war vergeblich: der richtige Lehrer war nicht gefunden; und zudem ging sein Wohnzimmer, in welchem wir unsre Studien betrieben, auf eine Lohgerberei hinaus, deren widerwärtiger Geruch meine Nerven dermassen affizirte, dass er mir den Sophokles und das Griechische gründlich verleidete.

Mein Schwager Brockhaus wollte mir ein Taschengeld zu verdienen geben, und übertrug mir die Durchsicht der Correktur-Bogen einer bei ihm in Druck erscheinenden neuen Auflage der durch Löbell bearbeiteten Becker'schen Weltgeschichte. Es war dies eine Veranlassung den oberflächlichen Unterricht, der im Allgemeinen von jedem Gegenstand in der Schule nur ertheilt wird, durch Privat-Studien zu verbessern, und dadurch die wissenswerthen Gegenstände mir so anzueignen, wie im späteren Lauf meines Lebens es von mir mit den meisten der in der Schule uninteressant vorgetragenen Lehrobjekte geschehen sollte. Ich darf zwar nicht ganz unerwähnt lassen, dass dieses erste nähere Geschichtsstudium mir auch durch den Umstand anziehend wurde, dass er mir per Bogen acht Groschen eintrug, und ich dadurch in eine der seltenen Lagen meines Lebens gerieth, mir wirklich Geld zu verdienen; doch würde ich gegen mich selbst ungerecht sein, wenn ich nicht der lebhaften Eindrücke gedenken wollte, die ich jetzt zum ersten Mal durch ernste Beachtung von Geschichtsperioden empfing, von denen ich bisher nur eine sehr oberflächliche Kenntniss hatte. Von der Schule her entsinne ich mich einzig, durch die classische Geschichtsperiode der Griechen angezogen worden zu sein: Marathon, Salamis, und die Thermopylen bildeten den Canon alles aus der Historie mich Anregenden. Nun lernte ich zum ersten Mal das Mittelalter und die französische Revolution genauer kennen, da in die Zeit meiner Correcturarbeiten gerade der Druck derjenigen beiden Bände fiel, welche diese verschiedenen Geschichtsperioden enthielten. Ich entsinne mich, dass mich namentlich die Schilderung der französischen Revolution mit aufrichtigem Abscheu gegen die Helden derselben erfüllte; ohne Kenntniss der vorangehenden Geschichte Frankreichs fand sich einzig mein zart menschliches Mitgefühl durch die Gräuel der Revolutionsmänner empört, und es blieb in mir diese rein menschliche Regung so stark vorherrschend, dass ich mich noch in spätester Zeit des wirklichen Zwanges entsinne, welchen es mich kostete der rein politischen Bedeutung jener gewaltigen Vorgänge meine Aufmerksamkeit zu widmen.

Wie gross war daher meine Ueberraschung, als ich eines Tages durch die politischen Vorgänge der Gegenwart, gleichsam unmittelbar, zum Miterleben des soeben wie aus weiter Ferne aus meinen Correkturbogen an mich herangetretenen Staaten-Schicksal's gebracht werden sollte. Die Extra-Blätter der Leipziger Zeitung brachten die Nachricht der Pariser Juli-Revolution. Der König von Frankreich war vom Throne gestossen; Lafayette, der soeben wie ein geschichtliches Märchen durch meine Imagination gezogen war, ritt unter dem Jubel des Volkes wieder durch die Strassen von Paris; die Schweizergarden waren in den Tuilerien nochmals niedergemacht worden; ein neuer König wusste sich nicht anders dem Volke zu empfehlen, als dass er sich selbst für die Republik ausgeben liess. Mit Bewusstsein plötzlich in einer Zeit zu leben, in welcher solche Dinge vorfielen, musste natürlich auf den siebzehnjährigen Jüngling von ausserordentlichem Eindruck sein. Die geschichtliche Welt begann für mich von diesem Tage an; und natürlich nahm ich volle Partei für die Revolution, die sich mir nun unter der Form eines muthigen und siegreichen Volkskampfes, frei von allen den Flecken der schrecklichen Auswüchse der ersten französischen Revolution, darstellte. Da revolutionäre Erschütterungen bald ganz Europa in mehr oder minder starken Schauern heimsuchten, und auch hier und da deutsche Länder von ihnen berührt wurden, blieb ich längere Zeit in fieberhafter Spannung, und wurde zum ersten Male auf die Gründe jener Bewegungen aufmerksam, die mir als Kämpfe zwischen dem Alten, Ueberlebten, und dem Neuen, Hoffnungsvollen der Menschheit, erschienen. Auch Sachsen blieb nicht unberührt; in Dresden kam es ja zu einem wirklichen Strassenkampfe, der zu einer unmittelbaren politischen Veränderung durch die Einsetzung der Mitregentschaft des nachherigen König's Friedrich, und zur Gewährung einer constitutionellen Verfassung führte. Mich begeisterte dieses Ereigniss so sehr, dass ich eine politische Ouverture entwarf, deren Einleitung einen düstren Druck schilderte, in welchem dann ein Thema sich bemerklich machte, unter das ich zu deutlicherem Verständniss die Worte »Friedrich und Freiheit« schrieb: dieses Thema war bestimmt, sich immer grösser und herrlicher bis zum vollsten Triumphe zu entwickeln, dessen Erfolg ich nächstens in einem der Leipziger Gartenconcerte zu erleben verhoffte.

Ehe ich jedoch zur weiteren Ausführung meiner politisch-musikalischen Entwürfe gelangte, brachen in Leipzig selbst Unruhen aus, welche mich, vom Gebiete der Kunst ab, zu unmittelbarer Betheiligung am Staatsleben beriefen. Dieses Staatsleben hatte nun in Leipzig keine andre Bedeutung, als die eines Antagonismus der Studenten mit der Polizei; die Polizei war das Urverhasste, an welchem sich der Freiheitssinn der Jugend übte. Bei irgend einem Strassenexcesse war es zu Verhaftungen einiger Studenten gekommen: diese sollten befreit werden. Die akademische Jugend, unter welcher es bereits seit einigen Tagen unruhig herging, versammelte sich eines Abends auf dem Markte; die Landsmannschaften traten zusammen, und schlossen einen Kreis um ihre Senioren, wobei eine gewisse commentmässige Feierlichkeit herrschte, die mir ausserordentlich imponirte: man sang das » Gaudeamus igitur«, bildete sich in Colonnen, und zog nun, verstärkt durch alles Junge, was es mit den Studenten hielt, ernst und entschlossen vom Markte aus nach dem Universitätsgebäude, um dort die Karzer zu sprengen, und die verhafteten Studenten zu befreien. Mir klopfte das Herz in unglaublicher Erregtheit, als ich zu dieser Bastilleerstürmung mit marschirte. Doch nahm es eine andere als die erwartete Wendung: im Hofe des Paulinum's ward der feierliche Schwarm vom Rector Krug, welcher mit entblösstem Greisenhaupte herabgekommen war, aufgehalten; seine Versicherung, dass die Verhafteten bereits auf seine Veranlassung entlassen seien, brachte ihm ein donnerndes Vivat ein, und die Sache schien nun beendigt.

Allein die Spannung auf eine Revolution war zu gross gewesen, als dass nicht irgend etwas ihr zum Opfer hätte fallen müssen. Plötzlich verbreitete sich der Ruf nach einer berüchtigten Gasse, in welcher gegen eine verhasste Magistratsperson, welche dort der Volksmeinung nach ein übel berufenes Etablissement in willkürlichen Schutz genommen hatte, populäre Justiz geübt werden sollte. Als ich im Gefolge des Schwarmes an jenem Ort anlangte, fand ich ein erbrochenes Haus, in welchem allerhand Gewaltthaten verübt wurden. Ich entsinne mich mit Grauen der berauschenden Einwirkung eines solchen unbegreiflichen, wüthenden Vorganges, und kann nicht leugnen, dass ich, ohne die mindeste persönliche Veranlassung hierzu, an der Wuth der jungen Leute, welche wie wahnsinnig Möbel und Geräthe zerschlugen, ganz wie ein Besessener mit theilnahm. Ich glaube nicht, dass die vorgebliche Veranlassung zu diesem Excess, welche allerdings in einem das Sittlichkeitsgefühl stark verletzenden Vorfalle lag, hierbei auf mich Einfluss übte; vielmehr war es das rein Dämonische solcher Volkswuthanfälle, das mich wie einen Tollen in seinen Strudel mit hineinzog. Auch dass solche Wuthanfälle nicht so schnell sich verlaufen, sondern nach gewissen natürlichen Gesetzen erst durch ihre Ausartung zur Raserei zu dem ihnen eigenthümlichen Abschluss gelangen, sollte ich an mir selbst erfahren. Kaum erscholl der Ruf nach einem andern derartigen Orte, als ich auch schon in der Strömung mich befand, welche nach einem entgegengesetzten Ende der Stadt sich bewegte; dort wurden die gleichen Heldenthaten verübt, und die lächerlichsten Verwüstungen angerichtet. Ich entsinne mich nicht, dass der Genuss geistiger Getränke zu meiner und meiner unmittelbaren Genossen Berauschung beigetragen hätte; nur weiss ich, dass ich schliesslich in den Zustand gelangte, der für gewöhnlich einem Rausche folgt. Ich erwachte des anderen Morgens wie aus einem wüsten Traume, und musste mich erst an einer Trophäe, dem Fetzen eines rothen Vorhanges, welchen ich als Zeichen meiner Heldenthaten mit mir geführt hatte, daran erinnern, dass die Vorgänge dieser Nacht wirklich von mir erlebt worden seien. Sehr beruhigte es mich, dass allgemein, und namentlich auch in meiner Familie, eine günstige Meinung für die jugendlichen Excedenten sich geltend machte: die Tollheit der jungen Menschen ward ihnen als sittliche Entrüstung über wirklich empörende Zustände angerechnet, und auch ich durfte mich ohne Scheu zu dem Ruhme bekennen, an den Excessen teilgenommen zu haben.

Das gefährliche Beispiel, welches von der Jugend gegeben worden war, verführte jedoch an den folgenden Abenden auch die niederen Volksklassen, namentlich das Arbeiterproletariat, zu ähnlichen Excessen gegen misliebige Fabrikherren und dergleichen: nun wurde die Sache ernster; das Eigenthum war bedroht, der Kampf zwischen Arm und Reich stand grinsend vor den Häusern. Jetzt waren es die Studenten, welche, da Leipzig ohne alle bewaffnete Macht, und die Polizei gänzlich desorganisirt war, zum Schutz gegen das niedere Volk herbeigerufen wurden. Und nun begann eine Zeit der Glorie für das Studententhum, wie ich sie nur je in meinen Gymnasiasten-Träumen mir hatte ersehnen können. Der Student ward der Schutzgott Leipzig's; von den Behörden aufgerufen, sich zum Schutz des Eigenthums zu waffnen und zu schaaren, sammelten sich dieselben jungen Leute, welche zwei Tage vorher sich selbst in die Wuth des Zerstörens versetzt hatten, im Universitätshof. Die verpönten Namen der Landsmannschaften und der Burschenschaft riefen laut aus dem Munde der Stadträthe und Polizeidirektoren die wunderlich ausgerüsteten Jünglinge auf, welche nun in mittelalterlich naiver Kriegsgliederung sich über die Stadt vertheilten, die Wachtstuben der Thore bezogen, Schutzmannschaften in die Grundstücke einzelner reicher Kaufleute legten, und nach Gutdünken bedroht erscheinende Localitäten, worunter namentlich Gasthäuser sehr beliebt wurden, unter ihre andauernde Protection nahmen. Leider noch nicht selbst Student, anticipirte ich die Wonnen des akademischen Bürgerwesens, durch theils keckes, theils einschmeichelndes Herandrängen an die von mir verehrtesten Führer der Studentenschaft. Ich hatte das Glück mich diesen sogenannten »Haupthähnen« besonders zu empfehlen durch meine Verwandtschaft mit Brockhaus, auf dessen Grundstücke sich für eine Zeitlang das Haupt-Heerlager dieser Matadoren aufschlug. Auch mein Schwager war gefährlich bedroht gewesen; nur durch wirklich grosse Geistesgegenwart und Zuversicht war es ihm gelungen, seine Buchdruckerei und namentlich seine Schnellpressen, auf deren Vernichtung es vorzüglich abgesehen war, vor Zerstörung zu retten. Um sein Eigenthum gegen fernere Angriffe zu schützen wurden Studenten-Abtheilungen auch auf sein Grundstück commandirt; die vortreffliche Bewirthung, welche der liberale Hausherr der lustigen Wachtmannschaft in seinem freundlichen Gartenpavillon bot, zog die eigentliche Crême der Studentenschaft herbei; mein Schwager ward mehrere Wochen lang Tag und Nacht gegen erdenkliche Pöbelangriffe bewacht, und ich feierte dort in dem Kreis der allerberühmtesten Renommisten der Universität, als Vermittler einer üppigen Gastfreundschaft, von ihnen geliebt und geehrt, die wahren Saturnalien meines studentischen Ehrgeizes. – Noch längere Zeit blieb die Bewachung der Stadtthore den Studirenden anvertraut; die unerhörte Blüthe, in welche das Studentenwesen dadurch gerieth, lockte von nah und fern Commilitonen herbei; täglich entluden am Hallischen Thor grosse Gesellschaftswägen ganze Schaaren der verwegensten Studenten aus Halle, Jena, Göttingen, ja aus den entferntesten Gegenden her. Sie stiegen unmittelbar an den Thorwachen ab, und sind während mehrerer Wochen nie in einen Gasthof, noch in eine sonstige Wohnung gekommen: dort lebten sie auf Rath's Unkosten, stellten für gelieferte Ess- und Trinkwaaren Bons auf die Polizei aus, und kannten nur eine Sorge, nämlich die der möglichen allgemeinen Beruhigung der Gemüther welche ihre angelegentliche Wachsamkeit überflüssig machen könnte. Ich versäumte keinen Wachttag und leider auch keine Nacht, indem ich meiner Familie die dringende Nothwendigkeit auch meiner Ausdauer plausibel zu machen suchte. Natürlich zogen sich die ruhigeren, wirklich studirenden Studenten bald von diesen Wachtfunctionen zurück, und nur der eigentliche Ausbund des absoluten Studententhums blieb so treu, dass es den Behörden schwierig wurde, die jungen Leute ihrer Verpflichtungen zu entbinden. Ich hielt bis in die allerletzte Zeit aus, und machte allerdings für mein Alter staunenswürdige Bekanntschaften. Viele der Verwegensten blieben von hier an selbst ohne Wachtdienst dauernd in Leipzig, und bevölkerten dieses für längere Zeit mit einer ganz besonderen Gattung verzweifelt lüderlicher Recken, die zu wiederholten Malen von verschiedenen Universitäten, um Raufereien und Schulden halber, relegirt waren, und nun unter den ausserordentlichen Zeit-Umständen in Leipzig, wo sie Anfangs von dem allgemeinen Studenten-Enthusiasmus mit offenen Armen empfangen worden waren, ein schützendes Asyl gefunden hatten.

Ich befand mich all diesen Erscheinungen gegenüber wie vor den Wirkungen eines Erdbebens, welches die gewohnte Ordnung der Dinge und Gegenstände aufhebt. Mein Schwager Friedrich Brockhaus, welcher mit Recht den bisherigen Behörden Leipzig's ihre Unfähigkeit, Ruhe und Ordnung zu erhalten, vorwerfen konnte, gerieth in den Strom einer ansehnlichen oppositionellen Bewegung. Ein kühnes Wort welches er auf dem Rathhaus an die Herren vom Magistrat gerichtet hatte, machte ihn populär; er ward zum Vice-Commandanten der nun in's Leben gerufenen Leipziger Communalgarde ernannt. Dieses Institut verdrängte meine angebeteten Studenten schliesslich aus den Wachtstuben der Stadtthore; es war uns nun nicht mehr erlaubt Wanderbursche anzuhalten, um Pässe zu revidiren; dagegen schmeichelte ich mir, in dieser neuen Bürgerwehr die französische Nationalgarde, und in meinem Schwager Brockhaus einen sächsischen Lafayette erblicken zu dürfen, was immerhin meiner hochgehenden Erregtheit eine förderliche Nahrung gab. Ich fing nun an, leidenschaftlich Zeitungen zu lesen und Politik zu treiben; für den persönlichen Umgang zog mich jedoch die bürgerliche Welt nicht genügend an, um dem geliebten Studentenverkehr untreu zu werden; ich folgte ihm aus den Wachtstuben getreulich in die eigentliche Kneipe, wohin die Studenten-Glorie sich nun wieder zurückzog.

An nichts lag mir mehr, als so schnell wie möglich nun selbst endlich Student zu werden: diess konnte nur durch Vermittlung einer nochmaligen Einbürgerung auf einem Gymnasium geschehen. An der Thomasschule, welche unter dem Rectorat eines schwachen Greises stand, war für meine Wünsche schnellere Erfüllung zu erreichen; ich bezog diese Schule im Herbste des Jahres 1830, rein in der Absicht, durch den blossen Anschein ihres Besuches mich bis zur Berechtigung zum Abiturienten-Examen durchzuarbeiten. Die Hauptsache war, dass ich mit meinen gleichgesinnten Freunden bereits unter den sogenannten »Pennälern« eine imitirte Studentenverbindung zu Stande brachte. Sie ward mit allem möglichen Pedantismus organisirt, der Comment eingeführt, Fechtübungen, Paukereien gehalten, und ein Stiftungscommers, zu welchem einige Hauptstudenten eingeladen waren, und welchem ich als Subsenior in weissen Lederhosen und grossen Kanonenstiefeln präsidirte, gab mir einen Vorgeschmack der bevorstehenden Wonnen als wirklicher Student. Die Lehrer der Thomasschule waren jedoch nicht geneigt, meinen Wünschen des Studentwerdens so gutwillig zu entsprechen; sie fanden am Schlusse des Halbjahres, dass ich mich so gut wie gar nicht um ihre Lehranstalt bekümmert hatte, und waren nicht davon zu überzeugen, dass ich ein Anrecht auf das akademische Bürgerthum durch Zunahme an Gelehrsamkeit mir gewonnen hätte. Der Sache musste aber ein Ende gemacht werden: ich stellte meiner Familie vor, dass ich ja doch entschieden sei, ein Brodstudium auf der Universität nicht zu ergreifen, sondern Musiker zu werden entschlossen sei. Meiner Inscription als »Studiosus Musicæ« stand nichts entgegen: ohne um die Pedantereien auch der Thomasschul-Monarchen mich zu kümmern, verliess ich daher trotzig diese von mir durchaus unausgebeutet gelassene Lehranstalt, um sofort mich beim Rector der Universität, dessen Bekanntschaft ich bereits an jenem Aufstandsabende gemacht hatte, zur Inscription als Student der Musik zu melden, was denn auch gegen die üblichen Sporteln ohne weiteren Anstand geschah.

Ich hatte hiermit höchste Eile: in acht Tagen begannen die Osterferien, die Studenten verliessen Leipzig, und es war unmöglich mich dann vor der Beendigung der Ferien noch in die Landsmannschaft aufnehmen zu lassen. Diese langen Wochen aber in Leipzig, wo ich zu Hause war, zu verbleiben, ohne das Recht zu haben die von mir ersehnten landsmannschaftlichen Farben zu tragen, erschien mir als eine unausstehliche Qual. Unmittelbar vom Rector rannte ich wie angeschossen auf den Fechtboden, um mich bei der Landsmannschaft der Sachsen, unter Vorzeigung meiner Inscriptionskarte, zur Aufnahme zu melden. Mein Ziel war erreicht; ich durfte die Farben der Saxonia, welche damals ihrer vielen gefälligen Mitglieder wegen besonders beliebt war und in Ansehen stand, tragen.

Die sonderbarsten Schicksale sollten mich nun in dieser Osterferienzeit treffen, in welcher ich wirklich das einzige in Leipzig zurückbleibende Glied der sächsischen Landsmannschaft war. Diese Verbindung bestand ursprünglich meist aus Adeligen, und diesen schloss sich der elegantere Theil der Studentenwelt an; alle gehörten ansehnlicheren und wohlhabenderen Familien Sachsen's und namentlich der Hauptstadt Dresden an, und brachten ihre Ferienzeit in ihren verschiedenen Heimatsorten zu. In Leipzig blieben dagegen, während der Ferien, nur die heimathlos gewordenen wilden Studenten zurück, für welche es im Grunde nie oder immer Ferien gab. Unter diesen hatte sich eine ganz besondere Congregation verwegener und verzweifelter junger Wüstlinge gebildet, welche in der erwähnten gloriösen Zeit, wie ich sagte, in Leipzig ein letztes Asyl gefunden hatten. Ich hatte diese, meiner Phantasie ungemein imponirenden Raufdegen, namentlich bei der Bewachung des Brockhausischen Gartengrundstückes, bereits persönlich kennen gelernt. Während die eigentliche Dauer der Universitätsstudien sich auf drei Jahre beschränkte, waren die meisten dieser Leute seit sechs bis sieben Jahren von den Universitäten in keine Heimath zurückgekehrt. Wahrhaft bezaubert war ich von einem gewissen Gebhardt, einem Menschen von ganz unvergleichlicher Schönheit und Körperkraft; seine heroische schlanke Gestalt ragte hoch über alle Genossen hervor. Als er mit zwei der kräftigsten Collegen Arm in Arm durch die Strasse schritt, fiel es ihm plötzlich ein durch leichte Armbewegung seine Freunde hoch in die Luft zu heben, und so wie mit einem Menschenflügelpaar dahin zu flattern. Einem Fiaker, der in scharfem Trabe durch die Strassen fuhr, erfasste er mit einer Hand die Speiche eines Rades, und zwang ihn so still zu stehen. Dass er dumm war, liess ihn keiner merken, aus Furcht vor seiner Kraft, und somit ward seine Beschränktheit an sich auch wenig bemerkbar. Seine furchtbare Stärke, bei einem übrigens gemässigten Temperamente, verlieh ihm eine erhabene Würde, welche ihn ausser allen Vergleich mit andren Sterblichen setzte. Er war zugleich mit einem gewissen Degelow aus dem Mecklenburgischen nach Leipzig gekommen; ebenfalls kräftig und gewandt, jedoch keineswegs von so riesigen Proportionen wie Gebhardt, war dieser durch grosse Lebhaftigkeit und eine ungemein belebte Physiognomie über alles interessant. Er hatte bereits ein wüstes leidenschaftliches Leben hinter sich, in welchem Spiel, Trunk, wilde Liebeshändel, und stete Duellirbereitheit den wechsellosen Canon bildeten. Ein Gemisch von commentmässig ausgebildeter, ironisch-pedantischer Kälte, als Zeugniss tapferen Selbstvertrauens, und wildester Reizbarkeit, begründete den Hauptcharakter dieser Persönlichkeit und der ihm verwandten Naturen. In Degelow erhielt das Wilde, Leidenschaftliche einen besondern dämonischen Reiz durch eine hämische Frivolität, mit der er sich oft gegen sich selbst wandte, während er wieder Züge von einer gewissen ritterlichen Zartheit gegen Andre zu erkennen gab. Zu diesen auffallendsten jungen Leuten gesellten sich Andere, welche als reiner Ausbund eines wüsten Lebens, verbunden mit wirklicher trotziger Tapferkeit, gelten konnten. Ein gewisser Stelzer, ein wahrer Haudegen aus den Nibelungen, mit dem Spitznamen » Lope«, studirte bereits im zwanzigsten Semester. Während diese entschieden und mit Bewusstsein einer dem Untergange verfallenen Welt angehörten, und all ihr Thun und Treiben nur aus dem Einen zu begreifen war, dass sie alle an ihren bevorstehenden, unaufhaltsamen Ruin glaubten lernte ich in ihrer Gesellschaft noch einen gewissen Schröter kennen, welcher mich durch sein freundliches Wesen, seine angenehme hannöverische Sprache, und seine witzige Bildung, besonders anzog. Er gehörte nicht zu den eigentlichen Verzweifelten, sondern verhielt sich in einem gewissen ruhig beschaulichen Verhältniss zu ihnen, von denen Allen er gerne gesehen und geliebt war. Mit Schröter ging ich auch wirklich um, trotzdem er bedeutend älter war als ich: durch ihn wurde ich mit den H. Heineschen Büchern und Gedichten bekannt; von ihm eignete ich mir eine gewisse frivole Eleganz des Ausdruckes an, und ich war geneigt Schröter's liebenswürdigem Einflusse mich nicht ohne Hoffnung auf Gewinn für meine äussere Haltung hinzugeben. Namentlich war es dieser, welchen ich jetzt täglich aufsuchte; ich traf ihn meistens des Nachmittags im »Rosenthal«, in »Kintschy's Schweizerhäuschen«, nie aber anders als in Gesellschaft jener wunderbaren Hünen, die mir Grauen und Wohlgefallen zugleich erweckten. Sie gehörten sämmtlich landsmannschaftlichen Verbindungen an, welche mit derjenigen, zu der ich mich bekannte, auf feindschaftlichem Fusse standen. Was das zwischen Landsmannschaften heisst, weiss, wer den damaligen Ton derselben kennt: der blosse Anblick der feindlichen Farben genügte, die gutmüthigsten Menschen, sobald sie etwas im Kopfe hatten, in Wuth gegen einander zu versetzen. Jedenfalls erregte es den »alten Hähnen«, so lange sie nüchtern waren, ein gemüthliches Behagen, mich junges schmächtiges Bürschchen, mit den feindlichen Farben geschmückt, so zutraulich unter sich zu sehen. Diese Farben trug ich aber auf ganz besondere Art: die kurze Zeit des noch achttägigen Aufenthaltes meiner Landsmannschaft in Leipzig hatte ich benutzt, um in den Besitz einer wunderschönen, reich mit Silber gestickten Sachsenmütze zu gelangen, welche ich an einem gewissen Müller, später bedeutendem Polizeimann in Dresden, wahrgenommen, und nach welcher mich so heftige Sehnsucht erfasst hatte, dass ich sie dem zur Heimreise Geldbedürftigen abzuhandeln verstand. Trotz dieser auffallenden Mütze war ich, wie gesagt, in der Tigerhöhle jenes Reckenbundes gern gesehen; mein Freund Schröter vermittelte dies. Nur wenn der Grog, dieses Hauptgetränk der Wüstlinge, zu wirken begann, bemerkte ich oft unheimliche Blicke, und belauschte bedenkliche Reden, gegen deren richtiges Verständniss mich eine Zeit lang meine eigene, durch das böse Getränk bewirkte Sinnesverwirrung schützte.

Da ich auf diesem Wege unvermeidlich in Händel verfallen musste, gereichte es mir lange Zeit zur angenehmen Genugthuung, dass die erste Veranlassung hierzu jedoch aus einem für mich ehrenvolleren Falle hervorging, als jene halb unbemerkt gebliebenen Sticheleien es waren. Zu Schröter und mir trat eines Tages Degelow in einem öfters von uns besuchten Weinkeller; auf nicht unehrerbietige Weise bekannte er im traulichen Gespräch uns seine Neigung zu einer jungen sehr hübschen Schauspielerin, deren Talent von Schröter in Zweifel gezogen wurde; Degelow entgegnete: dem möge sein wie ihm wolle, er halte diese junge Dame für das anständigste Frauenzimmer am Theater. Sogleich frug ich ihn, ob er meine Schwester für minder anständig halte. Nach studentischen Ehrbegriffen konnte Degelow, der jedenfalls nicht im entferntesten an eine Beleidigung gedacht hatte, in seiner beruhigenden Erklärung nicht weiter gehen, als, dass er gewiss meine Schwester nicht für minder anständig halte, jedoch auf seiner Aeusserung im Betreff der von ihm erwähnten jungen Dame zu bestehen gedenke. Hierauf erfolgte ohne Zögern die bekannte Kriegserklärung, mit den Worten: »Du bist ein dummer Junge«, – die mir, dem gereiften Wüstlinge gegenüber, fast selbst, da ich mich hörte, lächerlich vorkam. Ich entsinne mich, dass es auch Degelow unwillkürlich durchzuckte, und ihm wie ein Blitz aus den Augen fuhr; doch fasste er sich in Gegenwart unseres Freundes, und schritt zu den üblichen Förmlichkeiten der Herausforderung, welche auf »krumme Säbel« lautete. Der Fall machte unter den Genossen grosses Aufsehen: weniger als je fühlte ich Grund, mich von dem gewohnten Umgange fern zu halten; nur wurde ich aufmerksamer auf die Haltung der Haudegen, und es verging nun während einer Reihe von Tagen kein Abend, an welchem es nicht zwischen mir und einem furchtbaren Raufbolde zu einer Herausforderung kam, bis sich das einzige von meiner Landsmannschaft bereits nach Leipzig wieder zurück gekehrte Glied derselben, ein Graf Solms, vertraulich bei mir einstellte, sich über die Vorfälle erkundigte, mein Benehmen lobte, mir jedoch anrieth, bis zur Rückkehr unserer Verbindungsgenossen aus den Ferien die Farben ungetragen zu lassen, und mich von dem schlimmen Umgange, in welchen ich mich gewagt hatte, zurückzuhalten. – Dies dauerte nun glücklicher Weise nicht mehr lange; die Universität belebte sich, der Fechtboden füllte sich wieder. Meine ungeheure Situation, in welcher ich mit einem halben Dutzend der furchtbarsten Schläger, nach Studentenausdruck, » hing«, brachte mir unter den » Füchsen« und » jungen Häusern«, ja selbst unter den älteren » Corpsburschen« der Saxonia, ruhmreiche Beachtung ein. Meine » Suiten« wurden gehörig geordnet, die Fristen für die verschiedenen contrahirten Duelle festgesetzt, und mir durch die Vorsorge meiner Senioren die nöthige Zeit zur Aneignung einiger Fertigkeit im Fechten versichert. Der leichte Muth, mit welchem ich dem Schicksal entgegensah, welches mindestens in einem der bevorstehenden Duelle mein Leben bedrohte, blieb mir selbst zu jener Zeit unbegreiflich: in welcher Weise dieses Schicksal mich dagegen vor den Folgen meiner Unüberlegtheiten bewahrte, gilt mir noch heute als wahrhaft wunderlich, und der Hergang hiervon möge daher noch näher mitgetheilt werden.

Zu den Vorbereitungen für das Duell gehörte auch das Bekanntmachen mit dem Charakter desselben durch persönliche Anwesenheit bei Zweikämpfen. Hierzu gelangten wir Füchse durch den sogenannten »Schleppdienst«, d. h. uns wurden die Schläger des Corps (werthvolle Ehrenwaffen, der Verbindung angehörig) anvertraut, um sie zunächst zum Schleifer zu schaffen, und von dort sie nach dem Lokal des Zweikampfes überzuführen, welches mit einiger Gefahr verbunden war, da es heimlich geschehen musste, indem das Duelliren gesetzlich verpönt war: hierfür erhielten wir das Recht den bevorstehenden Duellen als Zuschauer anwohnen zu dürfen. Als ich zu dieser Ehre gelangte, war das Lokal für das Duell im Billardzimmer eines Wirthshauses der Burgstrasse bestimmt; dort war das Billard bei Seite gerückt, und auf ihm pflanzten die berechtigten Zuschauer sich auf: unter ihnen stand ich hoch oben mit klopfendem Herzen, den bangen und muthigen Vorgängen entgegensehend. Man erzählte mir bei dieser Gelegenheit von einem meiner Bekannten (einem Juden, Levy, genannt Lippert), welcher in demselben Lokale vor dem Gegner so stark zurückgewichen, dass man ihm die Thüre geöffnet habe, durch welche er über die Treppe bis auf die Strasse, immer noch im Duell sich begriffen glaubend, entflohen sei. Nachdem mehrere Paukereien abgemacht waren, trat mit dem Senior der »Markomanen«, Tempel, ein gewisser Wohlfart, ein bereits im vierzehnten Semester »studirendes« »bemoostes Haupt«, mit welchem ich gleichfalls zu einem auf spätere Zeit anberaumten Zweikampf engagirt war, auf die »Mensur«. Da in solchem Falle das Zusehen nicht gestattet war, weil es dem künftigen Duellanten die Schwächen des Gegners verrathen konnte, wurde Wohlfart von meinen Senioren befragt, ob er meine Entfernung verlange, worauf dieser mit ruhiger Geringschätzung antwortete, man solle das »Füchschen« doch in Gottes Namen da lassen. So ward ich Augenzeuge der Kampfunfähigmachung eines Schlägers, der sich im Uebrigen bei dieser Gelegenheit so erfahren und tüchtig bewies, dass ich wohl in Besorgniss vor dem Ausgang meines künftig beabsichtigten Kampfes mit ihm zu verfallen berechtigt gewesen wäre. Von seinem riesenhaften Gegner ward ihm die Arterie des rechten Armes zerschlagen: das Duell war sofort beendigt; der Arzt erklärte Wohlfart auf Jahre für unfähig die Waffe wieder führen zu können, unter welchen Umständen sofort mein beabsichtigtes Duell mit ihm als unstatthaft angekündigt wurde. Ich leugne nicht, dass dieser Vorgang mich mit einiger Wärme erfüllte.

Kurz darauf, fand der erste allgemeine landsmannschaftliche Commers in der »grünen Schenke« statt. Diese Commerse sind die eigentlichen Brutstätten für Duellskandäle; ich zog mir hier zwar ein neues Duell mit einem gewissen Tischer zu, erfuhr aber auch sogleich, dass ich von zwei der monströsesten älteren Engagements dieser Art, durch das Verschwinden meiner Gegner, befreit worden sei, indem Beide wegen Schulden spurlos entwichen waren. Nur von dem Einen, dem furchtbaren Stelzer, genannt Lope, erfuhr ich Genaueres: er hatte den Durchzug flüchtiger Polen, welche damals bereits über die Grenze gedrängt, durch Deutschland nach Frankreich sich wandten, benutzt, um als verunglückter Freiheitskämpfer verkappt, sich später bis zur Fremdenlegion in Algier durchzuschlagen. Auf dem Heimweg von dem Commers liess mir Degelow, mit welchem ich in einigen Wochen »losgehen« sollte, » Comment-Suspendu« antragen, vermöge welcher Maassregel, wenn sie, wie es hier der Fall war, andrerseits angenommen wurde, den engagirten Gegnern erlaubt war, mit einander zu sprechen und sich zu unterhalten, was ausserdem auf das Strengste unterlassen werden musste. Arm in Arm verschlungen wanderten wir nach der Stadt zurück: mit ritterlicher Zärtlichkeit erklärte mir mein furchtbarer und so sehr interessanter Gegner, dass er sich drauf freue, in einigen Wochen mit mir auf die Mensur zu treten, woraus er sich eine Ehre und ein Vergnügen mache, da er mich lieb habe, und meines tüchtigen Benehmens halber mich hochschätze. Selten hat mir ein persönlicher Erfolg mehr geschmeichelt; wir umarmten uns, und schieden unter Ergiessungen, welche durch einen gewissen feierlichen Anstand einen für mich unvergesslichen Ausdruck erhielten. Degelow hatte mir angekündigt, dass er zuvor nach Jena zu verreisen habe, wo ihm die Erledigung einer Herausforderung auf Stosswaffen bevorstehe. Acht Tage hierauf gelangte die Kunde vom Tode Degelow's, welcher in diesem angekündigten Duell in Jena erstochen war, nach Leipzig.

Ich war wie im Traum, aus welchem ich durch die Ansage des Duelles mit Tischer erweckt wurde. Dieser, ein tüchtiger und energischer Fechter, war von meinen Senioren mir zum ersten Waffengang auserlesen worden, da er von ziemlich kleiner Statur war. Ohne mich sonderlich auf meine in der Eile gewonnene und durchaus nicht bedeutend ausgebildete Fertigkeit in der Fechtkunst verlassen zu können, sah ich diesem ersten Duell mit leichtem Muthe entgegen. Eine Hauterhitzung, welche ich mir damals zugezogen hatte, und von welcher man mir sagte, dass sie Verwundungen besonders gefährlich machte, daher ihre Angabe vom Duell suspendire, fiel mir, obschon es commentwidrig war, nicht ein bekannt zu machen, trotzdem ich bescheiden genug war auf Verwundungen mich gefasst zu machen. Vormittags um 10 Uhr war ich bestellt, und verliess die Wohnung meiner Familie, lächelnd, mit dem Gedanken, was meine Mutter und meine Schwestern sagen würden, wenn ich, in dem vorausgesehenen erschreckenden Zustande, in einigen Stunden nach Haus gebracht werden würde. Als ich am Haus meines Seniors auf dem Brühl anlangte, grüsste mich derselbe, ein angenehmer ruhiger Mann, Herr v. Schönfeld, mit herabhängender Pfeife aus dem Fenster, mit den Worten: » Du kannst heimgehen, Kleiner; es ist nichts, Tischer liegt im Spital.« Als ich hinauf kam, fand ich mehrere Corpsburschen versammelt, von denen ich erfuhr, dass Tischer in der vergangenen Nacht sich durch Excesse der Betrunkenheit die entehrendsten Misshandlungen der Bevölkerung eines lüderlichen Hauses zugezogen hatte, und auf das Scheusslichste verwundet durch die Polizei zunächst in das Krankenhaus geschafft worden sei, was ihm nothwendig Relegation, und vor Allem Ausstossung aus der Studentenschaft zuzuziehen habe.

Ich entsinne mich nicht deutlich, welches Schicksal die ein oder zwei Raufdegen aus Leipzig entfernt hatte, mit welchen ich noch aus der verderblichen Ferienzeit her engagirt war, nur weiss ich dass diese Seite meines Studentenruhmes überhaupt nun gegen eine andere Richtung zurückgetreten war. Wir begingen den Fuchs-Commers, zu welchem, wer es nur irgend ermöglichen konnte, vierspännig im langen Zuge durch die Stadt hinausfuhr. Nachdem mich noch der » Landesvater« durch seine plötzlich eintretende und andauernde Feierlichkeit ganz ausserordentlich ergriffen hatte, verfiel ich nun in den Ehrgeiz, unter den Allerletzten mich zu befinden, welche vom Commers wieder heimkehren würden. Auf diese Weise verblieb ich drei Tage und drei Nächte, welche allermeistens im Spiele zugebracht wurden: denn dieses warf, von der ersten Commersnacht an, seine dämonischen Schlingen über mich. Ein Ausbund der flottesten Verbindungsglieder, etwa ein halbes Dutzend, fand sich beim ersten Morgengrauen beim »Landsknecht« zusammen, und bildete von da ab den Stamm einer Spielgesellschaft, welche sich den Tag über durch neu aus der Stadt Zurückkehrende verstärkte. Viele kamen um zu sehen, ob man immer noch sein Wesen treibe; viele gingen auch wieder; nur ich, mit dem Stamme der Sechse, hielt Tage und Nächte ohne Wanken aus. Anfänglich bestimmte mich zur Theilnahme am Spiel der Wunsch, mein Commersgeld (zwei Thaler) durch Gewinn mir zu verschaffen: dies gelang, und nun begeisterte mich die Hoffnung, alle meine in jener Zeit gemachten Schulden auf diese Weise durch Spielgewinnst abtragen zu können. Aehnlich wie ich das Componiren, durch Logier's Methode, auf das Schleunigste zu erlernen verhofft, durch unerwartete Schwierigkeiten hierin jedoch mich lange Zeit aufgehalten gesehen hatte, erging es mir nun mit diesem Plane der eiligen Bereicherung meiner finanziellen Situation: mit dem Gewinnst ging es nicht so schnell, und gegen drei Monate blieb ich der Spielwuth dermassen verfallen, dass dagegen alle andre Leidenschaften als gänzlich machtlos über mein Gemüth zurücktraten. Nicht der Fechtboden, nicht die Kneipe, nicht der Duellplatz bekamen mich mehr zu sehen; den Tag über zerwühlte ich meine klägliche Lage, um mir auf jede erdenkliche Weise das nöthige Geld zu verschaffen, um den Abend und die Nacht hindurch es zu verspielen. Vergeblich wandte meine Mutter, die dennoch keine Ahnung von meinen unwürdigen Ausschweifungen hatte, alle ihr zu Gebote stehenden schwachen Mittel an, um mich von meinem nächtlichen Ausbleiben zurückzuhalten: nie gelangte ich, nachdem ich am Mittag das Haus verlassen, anders als beim Grauen des darauffolgenden Morgens, über das Hofthor, zu dem mir der Schlüssel verweigert war, steigend, in mein abseits gelegenes Zimmer zurück. Die Leidenschaft war durch die Verzweiflung des Spielunglückes bis zum Wahnsinn gesteigert: unempfindlich gegen Alles was mir sonst am Studentenleben verlockend erschienen war, von sinnlosester Gleichgültigkeit gegen die Meinung meiner bisherigen Genossen, verschwand ich den Blicken Aller, und traf in den kleinen Spielhäusern Leipzig's nur mit den ausgemachtesten Lüderlichen der Studentenschaft zusammen. Ich ertrug mit völligem Stumpfsinn selbst die Verachtung meiner Schwester Rosalie, welche mit meiner Mutter den unbegreiflichen jungen Wüstling, der bleich und verstört sich selten vor ihnen zeigte, kaum eines Blickes zu würdigen vermochte. In meiner wachsenden Verzweiflung griff ich endlich zu dem Mittel, durch kühne Behandlung des feindseligen Glückes mir gründlich zu helfen. Ich war der Meinung, dass nur mit reichlicheren Einsatzsummen Gewinn zu erlangen sei, und bestimmte daher eine mir anvertraute, verhältnissmässig nicht unbedeutende Geldsumme, den Betrag der durch mich erhobenen Pension meiner Mutter, zu diesem Versuche. In jener Nacht verlor ich alles Mitgebrachte bis auf den letzten Thaler: die Aufregung mit welcher ich auch diesen endlich ebenfalls auf eine Karte setzte, war meinem jungen Leben, nach allen sonstigen Erfahrungen, doch vollständig neu: ohne das Mindeste genossen zu haben, musste ich mich wiederholt vom Spieltisch entfernen, um mich zu erbrechen. Mit diesem letzten Thaler spielte ich mein Leben aus: denn an eine Heimkehr zu meiner Familie war nicht zu denken; ich sah mich bereits beim Morgengrauen über die Felder und durch die Wälder, als verlornen Sohn, in das Ziellose dahinfliehen. Die hierin sich bekundende verzweiflungsvolle Stimmung hielt so energisch an, dass, als meine Karte zugeschlagen hatte, ich den Gewinn mit dem Einsatz sofort von Neuem darangab, und dieses Verfahren mehreremal wiederholte, bis wirklich der Gewinn sich einigermassen beträchtlich herausstellte. Fortwährend gewann ich nun. Ich ward so zuverlässig, dass ich das kühnste Spiel wagte: denn plötzlich leuchtete es in mir hell auf, dass ich heute zum letztenmal spielte. Mein Glück ward so auffällig, dass die Bankhalter zu schliessen für gut befanden. Wirklich hatte ich nicht nur alles in dieser Nacht zuvor verlorene Geld wiedergewonnen, sondern dazu auch noch den Betrag aller meiner Schulden. Die Wärme die während dieses Vorganges mich wachsend erfüllte, war durchaus heiliger Art. Mit dem Zuschlag meines Glückes fühlte ich deutlich Gott oder seinen Engel wie neben mir stehend, seine Warnung und Tröstung mir zuflüsternd. Noch einmal galt es bei Tagesgrauen über die Thorpforte nach meiner Wohnung zu gelangen; dort verfiel ich in einen tiefen und energischen Schlaf, aus welchem ich spät, gestärkt und wie neugeboren, erwachte. Kein Schamgefühl hielt mich davon ab, meiner Mutter, welcher ich ihr Geld zustellte, den Vorgang dieser entscheidungsvollen Nacht, und mit ihm mein Vergehen gegen ihr Eigenthum unaufgefordert zu berichten. Sie faltete die Hände und dankte Gott für die mir erwiesene Gnade, drückte auch ihre Zuversicht aus, dass sie mich für gerettet halte, und es mir unmöglich sein werde, ferner in ähnliche Laster zurück zu verfallen. Wirklich hatte auch hiermit jede Versuchung für immer ihre Macht über mich verloren. Die Welt, in welcher ich bisher zu wachsendem Taumel mich bewegt hatte, erschien mir mit einem Mal das Allerunbegreiflichste und Anziehungsloseste: die Spielwuth hatte mich gegen alle sonstigen Studenteneitelkeiten bereits vollkommen gleichgültig gemacht; mit der Befreiung von dieser Leidenschaft war ich mit einem Male einer ganz neuen Welt gegenübergestellt, und dieser gehörte ich von nun ab, durch einen zuvor mir unbekannten Eifer für meine musikalische Ausbildung, für welche ich jetzt in eine neue Phase trat, an. Diese war die des wahrhaften Ernstes des Studiums.

Auch in dieser wildesten Periode meines Lebens war meine musikalische Entwicklung nicht gänzlich still gestanden; vielmehr war die Musik jetzt immer bestimmter die einzige Richtung geworden, in welcher mein geistiges Leben sich bemerklich machte. Nur war alles musikalische Studium mir gänzlich fremd geworden. Noch heute ist es mir aber unbegreiflich, wie ich damals die Zeit fand eine ziemliche Anzahl von Compositionen zu beenden. Während ich von einer Ouverture aus C-dur (???6/8), und einer vierhändigen Sonate in B-dur, welche letztere ich mit meiner Schwester Ottilie einübte, und, da sie uns beiden gefiel, für das Orchester instrumentirte, keine deutliche Erinnerung behalten habe, knüpft sich an ein andres Werk aus dieser Zeit, eine Ouverture in B-dur, eine Epoche machende Erinnerung. Diese Composition war nämlich aus meinem Studium der neunten Symphonie Beethovens ziemlich in derselben Weise erwachsen, wie » Leubald und Adelaïde« aus dem Studium Shakespeare's. Besonders hatte sich hierbei die mystische Bedeutung, welche ich dem Orchester gab, ausgebildet: dieses gliederte ich in drei unterschiedliche, sich bekämpfende Elemente. Ich ging damit um, das Charakteristische dieser Elemente dem Leser der Partitur sofort durch ein energisches Farbenspiel vor die Augen zu bringen, und nur der Umstand dass ich mir keine grüne Tinte zu verschaffen wusste, verhinderte mich an der Ausführung meines malerischen Copirgelüstes. Nur den Blechinstrumenten wollte ich nämlich die schwarze Farbe der Tinte belassen; die Streichinstrumente sollten dagegen roth, und die Blasinstrumente grün geschrieben werden. Diese sonderbare Partitur legte ich dem damaligen Musikdirektor des Leipziger Theaters, Heinrich Dorn, vor, welcher, noch ein sehr junger Mann, als besonders gewandter Musiker und witziger Lebemann mir, wie dem Leipziger Publikum, angenehm imponirte. Noch heute vermag ich jedoch mir nicht zu erklären, was ihn bewog, meinem Wunsch einer öffentlichen Aufführung dieser Ouverture zu entsprechen. Ich war später, mit Anderen, welche Dorn's Gefallen an spöttischer Unterhaltung kannten, der Annahme nicht abgeneigt, dass er bei dieser Gelegenheit sich habe einen Spass machen wollen, während er stets dabei verblieb, das Werk sei ihm interessant erschienen, und es würde nur der Ankündigung eines unbekannt gebliebenen Werkes Beethovens bedurft haben, um es vom Publikum, wenn auch ohne Verständniss, dennoch aber mit Respekt aufgenommen zu sehen. Es war zu Weihnachten des verhängnisvollen Jahres 1830, wo am heiligen Abend, wie üblich, das Schauspiel ausfiel, und dafür ein stets wenig besuchtes Armenconcert im Leipziger Theater veranstaltet war. Als erste Nummer des Programmes figurirte die aufreizende Benennung: » neue Ouverture«; nichts weiter. Ich hatte unter grossen Besorgnissen in einem Versteck der Probe beigewohnt, und von der Kaltblütigkeit Dorn's eine vortheilhafte Meinung gewonnen, welcher der bedenklichen Bewegung der Orchestermusiker gegenüber, als sie mit dem Vortrag der räthselhaften Composition sich befassten, eine ausserordentlich sichere Fassung bewährte. Das Hauptthema des Allegro's war viertaktiger Natur; nach jedem vierten Takte war jedoch ein gänzlich zur Melodie ungehöriger fünfter Takt eingeschaltet, welcher sich durch einen besondern Paukenschlag auf das zweite Taktviertel auszeichnete. Da dieser Schlag ziemlich vereinzelt stand, wurde der Paukenschläger, welcher sich stets zu irren glaubte, befangen und gab dem Accente nicht die in der Partitur vorgeschriebene Schärfe, womit ich, über meine Intention selbst erschrocken, in meiner Unsichtbarkeit nicht unzufrieden war. Zu meinem wahren Misbehagen zog jedoch Dorn den verschämten Paukenschlag an das helle Licht und bestand darauf, dass der Musiker ihn stets mit der vorgeschriebenen Stärke zur Ausführung brächte. Als ich dem Musikdirektor nach der Probe über diesen bedenklichen Punkt meine Besorgniss mittheilte, gelang es mir nicht ihn zu einer mildern Auffassung des fatalen Paukenschlags zu bewegen; er blieb dabei, dass die Sache sich so recht gut machen würde. Trotz dieser Beruhigung blieb meine Befangenheit gross, und ich getraute mich nicht, meinen Bekannten mich als den Componisten dieser Ouverture im Voraus zu bekennen. Nur meine Schwester Ottilie, welche bereits die heimlichen Vorlesungen von »Leubald und Adelaïde« zu überstehen gehabt hatte, bewog ich, mit mir zur Anhörung meines Werkes sich aufzumachen. Es war der Abend der Weihnachtsbescheerung im Hause meines Schwagers Friedrich Brockhaus; ich, wie meine Schwester hatten ein Interesse dieser Bescheerung beizuwohnen. Sie, als zum Hause meines Schwagers gehörig, war besonders dabei beschäftigt, und konnte nur mit Mühe auf kurze Zeit sich entfernen, weshalb der freundliche Verwandte sogar den Wagen anspannen lassen musste, um die Wiederkunft der Schwester zu beschleunigen. Ich benutzte diese Gelegenheit, um mit einer gewissen Feierlichkeit meiner ersten Einführung in die musikalische Welt beizuwohnen: der Wagen brauste vor dem Theater an; Ottilie begab sich in die Loge meines Schwagers, wogegen ich mein Unterkommen im Parterre zu suchen genöthigt war. Ich hatte vergessen mir ein Billet zu besorgen, und ward vom Thürsteher zurückgewiesen: da hörte ich das Orchester immer intensiver einstimmen, ich glaubte den Beginn meines Werkes versäumen zu müssen, und ging in der Angst desshalb so weit, mich dem Thürsteher als den Autor der » neuen Ouverture« zu entdecken, um ihn, wie es mir denn auch gelang, zu bewegen mich ausnahmsweise ohne Billet zuzulassen. Ich drang bis zu einer der vorderen Bänke des Parterre's vor, und liess mich dort in sinnloser Unruhe nieder. Die Ouverture begann: nachdem sich das Thema der »schwarzen« Blechinstrumente bedeutungsvoll kund gethan, trat das »rothe« Allegro-Thema ein, welches, wie gesagt, mit jedem fünften Takte durch den Paukenschlag aus der »schwarzen« Welt unterbrochen wurde. Welche Wirkung das später hinzutretende »grüne« Motiv der Blasinstrumente, und endlich das Zusammenwirken des »schwarzen, rothen und grünen« Themas auf die Zuhörer machte, ist mir undeutlich geblieben, da jener fatale Paukenschlag, mit hämischer Brutalität produziert, eine so aufregende Wirkung hervorbrachte, dass ich hierüber alle weitere Besinnung verlor. Besonders die, längere Zeit andauernde, regelmässige Wiederkehr dieses Effektes erregte bald die Aufmerksamkeit, und endlich die Heiterkeit des Publikums. Meine Nachbarn hörte ich diese Wiederkehr im Voraus berechnen und ankündigen: was ich, der ich die Richtigkeit ihrer Berechnung kannte, hierunter litt, ist nicht zu schildern. Mir vergingen die Sinne. Ich erwachte schliesslich, als die Ouverture, zu welcher ich alle banale Schlussformen verschmäht hatte, ganz unversehens abbrach, wie aus einem unbegreiflichen Traum: alle Wirkungen eines Hoffmann'schen Phantasiestückes auf mich erblichen gegen den sonderbaren Zustand, in welchem ich zu mir kam, als ich das Erstaunen des Publikum's am Schlusse meines Werkes gewahrte. Ich hörte keine Misfallsbezeugung, kein Zischen, kein Tadeln, selbst nicht eigentliches Lachen, sondern nahm nur die grösste Verwunderung Aller über einen so seltsamen Vorfall wahr, der Jedem, gleich wie mir, wie ein unerhörter Traum vorzukommen schien. Das Schmerzliche war, dass ich nun eiligst wieder das Parterre zu verlassen hatte, da ich meine Schwester sofort nach Haus zu begleiten gehalten war. Mich erheben, durch die Bänke des Parterre's mich dem Ausgange zu bewegen zu müssen, war furchtbar. Nichts glich aber der Pein, mit welcher ich jetzt dem Thürsteher wieder unter die Augen trat: der sonderbare Blick, den dieser auf mich warf, hinterliess einen unauslöschlichen Eindruck auf mich und für lange Zeit blieb ich dem Parterre des Leipziger Theaters fern. Jetzt war noch die Schwester abzuholen, mit ihr, die den Vorgang mitleidend erlebt hatte, einsam nach Haus zu fahren, und dort dem Glanze eines Familienfestes entgegen zu gehen, welches wie eine grelle Ironie in die Nacht meiner Betäubung hineinleuchtete.

Noch suchte ich mich zwar gegen diesen Eindruck zu behaupten, und glaubte mich mit einer ebenfalls vorräthigen Ouverture zur » Braut von Messina« trösten zu können, welche ich für gelungener als das aufgeführte Werk hielt. An eine Reparation war jedoch nicht zu denken, da ich für längere Zeit der Leipziger Theaterdirektion, trotz Dorn's Freundschaft, für sehr bedenklich galt. Zwar wurden von mir jetzt noch Compositionen zum Goetheschen Faust entworfen, von denen einige sich bis heute bei mir erhalten haben; doch schwemmte bald das nun eintretende wüste Studentenleben auch den letzten Ernst für musikalische Arbeit in mir hinweg.

Ich bildete mir dagegen ein, da ich nun einmal Student geworden sei, auch Collegien hören zu müssen. Bei Traugott Krug, dem mir wohlbekannten freundlichen Bezwinger jenes Studentenaufstandes, versuchte ich Fundamental-Philosophie zu hören: eine einzige Stunde genügte, um mich für immer von diesem Versuch abzubringen. Zwei bis dreimal jedoch, besuchte ich die Vorlesungen eines jüngeren Professors Weiss über Aesthetik: diese grosse Ausdauer verdankte ich dem Interesse welches Weiss durch mein persönliches Bekanntwerden mit ihm bei meinem Onkel Adolph, mir eingeflösst hatte. Weiss hatte damals die Metaphysik des Aristoteles übersetzt und sie, wenn ich nicht irre, in einem polemischen Sinne, Hegel gewidmet. Bei dieser Gelegenheit hatte ich im Gespräch beider Männer Dinge über Philosophie und Philosophen vernommen, welche einen grossen spannenden Eindruck auf mich machten. Ich entsinne mich, dass Weiss, dessen zerstreutes Wesen, hastige und stossweise Sprechmanier, vor allem dessen interessanter tiefsinniger physiognomischer Ausdruck, mich sehr fesselten, sich in Betreff der ihm vorgeworfenen Unklarheit seines schriftstellerischen Styles damit rechtfertigte, dass die tiefsten Probleme des menschlichen Geistes doch unmöglich für den Pöbel gelöst werden könnten. Diese mir sehr plausibel dünkende Maxime war mir sofort zur Richtschnur für Alles, was ich aufschrieb, geworden. Ich entsinne mich dass mein ältester Bruder Albert, welchem ich einmal im Auftrage meiner Mutter zu schreiben hatte, in wahrhaftem Entsetzen über meinen Brief und dessen Styl, seine Befürchtung zu erkennen gab, ich sei im Begriffe toll zu werden. Trotzdem ich sonach von Weiss mir vorzüglich Sympathisches erwarten zu dürfen vermeinte, gelang es mir nicht in seinen Vorlesungen auszudauern, da meine damalige leidenschaftliche Lebenstendenz mich auf ganz andre Dinge als ästhetische Studien verwies. Dennoch vermochte um die gleiche Zeit die Sorge der Mutter es über mich, einen Versuch zu ernstlicher Wiederaufnahme des Musikstudiums zu machen; dass mein bisheriger Lehrer Müller nicht im Stande gewesen war, mir dauernde Lust an diesem beizubringen, hatte sich ersichtlich herausgestellt: es galt daher zu erfahren, ob ein neuer Lehrer sich geeigneter erweisen würde, mir den nöthigen Ernst hierfür zu erwecken.

Theodor Weinlich, Cantor und Musikdirektor an der Thomaskirche, bekleidete damals diese in Leipzig alt herkömmlich wichtigste Stelle, welche zuletzt Schicht und dereinst Sebastian Bach selbst inne gehabt hatten. Er gehörte seiner musikalischen Bildung nach der alt italienischen Schule an, und hatte in Bologna in der Schule des Pater Martini studirt. In dieser Richtung hatte er sich namentlich durch Vocalcompositionen, in welchen man seine schöne Behandlung der Stimmen rühmte, vortheilhaft bekannt gemacht: er selbst erzählte mir, dass eines Tag's ein Leipziger Verleger ihm nicht unbedeutende Vortheile anbot, wenn er ihm einige Hefte neuer Gesangsübungen, gleich denjenigen, welche einem andren Verleger gute Geschäfte eingebracht hatten, überlassen wollte; da ihm Weinlich bedeutete, er habe zur Zeit gerade keine solchen Compositionen vorräthig, wenn er von ihm jedoch etwas verlegen wolle, biete er ihm eine neue Messe an, lehnte der Verleger mit dem Bemerken ab: » wer das Fleisch bekommen habe, möge auch an den Knochen nagen«. Die Bescheidenheit, mit welcher Weinlich mir diesen Zug erzählte, kennzeichnete den trefflichen Mann nach jeder Seite. Aeusserst schwächlich und kränklich, verweigerte er zunächst, als meine Mutter mich bei ihm einführte, mich in die Lehre zu nehmen. Nachdem er allem herzlichen Zureden lange widerstanden hatte, schien ihn endlich der Zustand meiner mangelhaften musikalischen Ausbildung, wie er diesen aus einer von mir mitgebrachten Fuge erkannte, zu einem mir günstigen, freundlichen Mitleiden zu stimmen; er sagte mir unter der Bedingung, dass ich ein halbes Jahr lang allem Componiren entsage, und geduldig nur seine Vorschriften ausführen wollte, seinen Unterricht zu. Dem ersten Theil meines Versprechens blieb ich getreu, – Dank der ungeheuren Zerstreuung, zu welcher mich das Studentenleben hinriss; als ich dagegen längere Zeit einzig mit vierstimmigen Harmonieübungen im gebundenen strengen Styl mich beschäftigen sollte, fand sich nicht nur der leichtsinnige Student, sondern auch der Componist so mancher Ouverture und Sonate höchlich angewidert. Auch Weinlich hatte über mich zu klagen, und war endlich daran mich gänzlich aufzugeben. In diese Zeit fiel der Wendepunkt meiner Lebensrichtung, welche die Katastrophe jenes erschütternden Abends im Spielhause herbei führte. Nicht minder fast als dieses Erlebniss, erschütterte mich Weinlich's Erklärung, nichts mehr mit mir zu thun haben zu wollen. Beschämt und gerührt bat ich den milden, von mir wirklich geliebten Greis um Verzeihung, und gelobte ihm von nun an kräftige Ausdauer. Nun bestellte mich Weinlich eines Morgens um 7 Uhr zu sich, um unter seinen Augen bis Mittag das Gerippe einer Fuge auszuarbeiten; er widmete mir wirklich den vollen Vormittag, indem er jedem Takt, den ich aufzeichnete, seine rathende und belehrende Aufmerksamkeit widmete. Um 12 Uhr entliess er mich mit dem Auftrag, den Entwurf durch Ausfüllung der Nebenstimmen zu Haus vollends auszuarbeiten. Als ich ihm dann die fertige Fuge brachte, überreichte er mir dagegen eine von ihm verfasste Ausarbeitung desselben Thema's, zum Vergleich. Diese gemeinsame Fugenarbeit begründete zwischen mir und dem liebenswürdigen Lehrer das ergiebigste Liebesverhältniss, indem von nun an sowohl ihm, wie mir, die ferneren Studien zur angenehmsten Unterhaltung wurden. Ich war erstaunt die hierauf gewandte Zeit so schnell verflogen zu sehen. Nachdem ich im Lauf zweier Monate, ausser einer Anzahl der künstlichsten Fugen, jede Art der schwierigsten contrapunctischen Evolutionen schnell durchgearbeitet hatte, und ich dem Lehrer eines Tages eine besonders reich ausgestattete Doppelfuge brachte, war ich wirklich erschrocken da er mir sagte, ich könnte mir dieses Stück hinter den Spiegel stecken, er hätte mich jetzt nichts mehr zu lehren. Da ich mir irgend welcher Mühe hierbei gar nicht bewusst geworden war, ward ich in der Folge wirklich oft bedenklich darüber, ob ich in Wahrheit ein ordentlich gelernter Musiker sei. Weinlich selbst schien auf das durch ihn Erlernte an sich keinen grossen Werth zu legen; er sagte: »wahrscheinlich werden Sie nie Fugen und Canons schreiben; was Sie jedoch sich angeeignet haben, ist Selbständigkeit. Sie stehen jetzt auf Ihren eigenen Füssen, und haben das Bewusstsein das Künstlichste zu können, wenn Sie es nöthig haben«.

Ein Haupterfolg seines Einflusses auf mich war jedenfalls das beruhigende Gefallen am Klaren und Fliessenden, welches er mir gleichsam durch sein Beispiel beigebracht hatte. Schon jene Studirfuge hatte ich für wirkliche Gesangstimmen mit untergelegten Worten ausführen müssen; die Neigung zum Sangbaren war mir dadurch erweckt worden. Um mich aber vollständig in seine freundlich beruhigende Gewalt zu bekommen, hatte er zu gleicher Zeit eine Sonate verlangt, welche ich, als Beweis meiner Freundschaft für ihn, auf die nüchternsten, harmonischen und thematischen Verhältnisse aufbauen sollte, zu deren Modell er mir eine der kindlichsten Pleyel'schen Sonaten empfahl. Wer meine noch vor kurzem verfassten Ouverturen kannte, musste gewiss erstaunt sein, dass ich es über mich vermochte, diese verlangte Sonate, wie sie gegenwärtig noch durch eine Indiscretion der Breitkopf- und Härtelschen Musikhandlung zum erneuten Abdruck befördert worden ist, zu schreiben: um mich für meine Enthaltsamkeit zu belohnen, machte sich Weinlich nämlich die Freude, mein dürftiges Werk durch jene Verlagshandlung zum Druck zu befördern. Von nun an erlaubte er mir Alles. Als erste Belohnung durfte ich ganz nach meinem Belieben eine Phantasie für's Clavier in Fis-moll ausführen, in welcher ich mich formell gänzlich frei, recitativ-melodisch bewegte, und mir ein wohlthätiges Genüge that, indem ich mir zugleich Weinlich's Lob erwarb. Bald entstanden auch drei Ouverturen, welche sämmtlich seine freundliche Zustimmung erhielten. Im darauf folgenden Winter (1831-1832) erlangte ich die Aufführung der ersten derselben (aus D-moll) in einem der Gewandhausconcerte.

In diesem Institute herrschte damals noch grosse Gemüthlichkeit: die Instrumentalwerke wurden von keinem Dirigenten geleitet, sondern einfach vom Concertmeister (Mathäï) am Pulte mit der Violine vorgespielt; nur sobald der Gesang hinzutrat erschien der Typus aller gemüthlichen dicken Musikdirektoren, der in Leipzig ausserordentlich beliebte Polenz, mit einem sehr ansehnlichen blauen Stabe am Taktirpulte. Zu einem der sonderbarsten Vorgänge wurde auf diese Weise die alljährliche Aufführung der neunten Symphonie von Beethoven: nachdem die drei ersten Sätze glatt weg wie eine Haydn'sche Symphonie, so gut es ging, vom Orchester für sich hergespielt worden waren, erschien nun Polenz, um, statt eine italienische Arie, ein Vocalquartett oder eine Cantate zu dirigiren, diesmal das schwierigste aller Vorhaben für einen Dirigenten, die Leitung dieses so höchst complicirten und namentlich in seinem einleitenden Instrumentaltheile so räthselhaft zersetzten Tonstückes, zu übernehmen. Unvergesslich blieb mir aus einer ersten Probe, welcher ich hiervon beiwohnte, der Eindruck des sorgfältig ängstlichen Dreivierteltaktes, durch welchen die wild aufschreiende Fanfare, womit dieser letzte Teil beginnt, unter Polenz's schwerem Taktschwunge zu einem wunderbar hinkenden Galimathias wurde. Dieses Tempo war gewählt worden, um mit dem Vortrage des Recitatives der Bassinstrumente nur irgend wie auszukommen; dennoch gelang dies nie. Polenz schwitzte Schweiss und Blut, das Recitativ kam immer nicht zu Stande, und ich gerieth wirklich in bange Zweifel, ob Beethoven in Wahrheit nicht doch Unsinn geschrieben hätte: der Contrabassist Temmler, ein gedienter Veteran des Orchester's, hochherzig und grob, brachte es zwar endlich durch seine energische Mahnung an Polenz, er möge den Taktstock lieber fortlegen, dahin, dass das Recitativ wirklich vor sich ging; dennoch begann seit der Anhörung dieses letzten Theiles unter Umständen, die ich mir für jetzt nicht erklären konnte, in mir ein demüthigender Zweifel daran zu keimen, ob ich dieses ganze seltsame Tonstück wirklich verstanden hätte oder nicht. Lange Zeit entschlug ich mich gänzlich alles Grübelns hierüber, und wandte mich ohne alle Affectation dem beruhigenden klareren Elemente der Musik zu. Namentlich hatten meine contrapunktischen Studien mich dahin gebracht, Mozart's leichte und fliessende Behandlung der schwierigsten technischen Probleme der Musik mit wohlthuendem Behagen anzuerkennen, und hierin galt mir namentlich der letzte Satz seiner grossen C-dur Symphonie als nachahmungswürdiges Muster. Nachdem meine D-moll-Ouverture, welche noch stark auf der Beethoven'schen Coriolan-Ouverture fusste, glücklich von statten gegangen, vom Publikum freundlich aufgenommen war, und mir das erste Hoffnungslächeln meiner Mutter eingebracht hatte, trat ich mit einer zweiten Ouverture in C-dur hervor, welche wirklich mit einem »Fugato« schloss, wie ich es meinem neuen Vorbilde zu Ehren um jene Zeit nicht glaubte besser zu Stand bringen zu können.

Auch diese Ouverture ward bald darauf in einem Gastconcert der beliebten Sängerin Palazzesi (von der Dresdener italienischen Oper), aufgeführt. Vorher schon hatte ich sie in einem Concert der Privatmusikgesellschaft Euterpe zu Gehör gebracht und selbst dirigirt. Ich entsinne mich des sonderbaren Eindruckes, den ich bei dieser Gelegenheit durch eine Bemerkung meiner Mutter erhielt; diese Arbeit, im contrapunktischen Style gehalten, ohne eigentliche leidenschaftliche Bewegtheit, hatte auf sie einen befremdenden Eindruck gemacht; sie gab mir ihre Verwunderung hierüber durch besonders lebhafte Anerkennung der in dem gleichen Concerte zuvor aufgeführten Egmont-Ouverture kund, von der sie behauptete, »dass diese Art Musik doch mehr ergriffe als so eine dumme Fuge«. Nun schrieb ich auch noch (wie gesagt: als drittes Opus), eine Ouvertüre zu Raupach's Drama König Enzio, in welcher sich das Beethovensche Element wieder stärker geltend machte. Durch die Bemühung meiner Schwester Rosalie erlangte ich die Zulassung derselben zur Aufführung vor dem Stücke im Theater: aus Vorsicht ward sie bei der ersten Aufführung jedoch nicht angekündigt, wohl aber vom Musikdirektor Dorn dirigirt. Da die Aufführung ohne Widerspruch ablief und das Publikum durchaus nicht gestört hatte, ward bei den spätern Vorstellungen des eine Zeit lang beliebten Trauerspiels meine Ouverture mit voller Namens-Nennung des Componisten öfter zu Gehör gebracht. – Nun machte ich mich an eine grosse Symphonie (in C-dur); in ihr zeigte ich was ich gelernt hatte, und verschmolz die Einwirkungen meines Studiums Beethoven's und Mozart's zur Abfassung eines wirklich ausführbaren und anhörbaren Tonwerkes, dem auch diesmal die Schlussfuge im letzten Theil nicht fehlte, und in welchem die Themen aller Sätze meist so beschaffen waren, dass sie in Engführungen contrapunktisch über einander gestellt werden konnten. Dennoch war auch das leidenschaftlichere, trotzig kühne Element, namentlich des ersten Satzes der Sinfonia eroica nicht ohne deutliche Einwirkung auf meine Conception geblieben. Im Andante liessen sich sogar die Anklänge an meinen früheren musikalischen Mysticismus vernehmen: ein wiederkehrender Frageruf von der Moll-Terz in die Quinte, verband in meinem Bewusstsein dieses, mit vorherrschendem Klarheitstriebe ausgearbeitete Werk, mit meinen frühesten Knabenschwärmereien. Als ich im folgenden Jahre mich um die Aufführung meiner Symphonie im Gewandhause bewarb, und desshalb Friedrich Rochlitz, den damaligen Nestor der Leipziger Musikästhetiker und Vorstand der Concertgesellschaft besuchte, war dieser Herr, welchem meine Partitur zuvor zur Durchsicht vorgelegen hatte, erstaunt in mir einen so jungen Mann zu sehen, da der Charakter jener Arbeit ihn auf einen älteren erfahreneren Musiker vorbereitet hatte.

Ehe es zu dieser Aufführung kam, verging jedoch eine längere Zeit, während welcher ich Lebenseindrücken übergeben war, welche ich jetzt näher bezeichnen muss.

Mein kurzes, aber leidenschaftliches, Studentenleben hatte in mir nicht nur den Sinn für meine künstlerische Ausbildung, sondern auch meine Theilnahme an allen sonstigen weltlichen und geistlichen Dingen gleichsam überschwemmt. Während ich jedoch, wie ich zeigte, nie gänzlich der Musik mich entfremdete, regte sich auch mit dem Wiederaufkeimen meines Interesses an politischen Vorgängen der erste Ekel an dem sinnlosen Studententreiben, welches bald wie ein wüster Traum ganz von mir vergessen werden sollte. Der polnische Freiheitskampf gegen die russische Uebermacht war es, welcher mich bald mit wachsender Begeisterung erfüllte. Die Erfolge, welche die Polen eine kurze Zeit lang im Monat Mai 1831 erstritten, setzten mich in Erstaunen und Exstase: mir schien die Welt wie durch ein Wunder neu erschaffen. Dagegen war der Eindruck der Nachricht von der Schlacht bei Ostrolenka derart, als ob nun die Welt von neuem untergegangen sei. Ich war erstaunt unter meinen studentischen Commilitonen in der Kneipe, sobald ich eine dieser Nachrichten berührte, roh oder boshaft verspottet zu werden: die schreckliche Schattenseite des deutschen Landsmannschaftswesens ging hier meiner Empfindung auf. Jede Art von Enthusiasmus ward hier prinzipiell ertödtet und in das Geleis einer pedantischen Bravour geleitet, welche sich einzig durch Trockenheit und affectirte Empfindungslosigkeit auszeichnete. Mit grösster Kaltblütigkeit, ohne den mindesten Humor, sich betrinken und Schulden machen, stand im Werthe fast der Tapferkeit im Duelliren gleich. Mir ist erst späterhin die edlere Bedeutung der deutschen Burschenschaft gegenüber diesem verderblichen Studentengeiste aufgegangen; damals empfand ich das Empörende desselben ganz persönlich an den verletzenden Zurechtweisungen, welche ich mir, wie gesagt, zuzog, als ich voll schmerzlichster Trauer meine Klage über jene unglückliche Schlacht bei Ostrolenka erhob. Ich muss zu meiner Ehre gestehen, dass diese und ähnliche Eindrücke das Ihrige mit dazu beitrugen, mich so schnell jenen wüsten Studentenkreisen zu entziehen. Während meiner Studien bei Weinlich bestand die einzige Ausschweifung, die ich mir gestattete, im allabendlichen Besuche der Kintschy'schen Conditorei in der Klostergasse, wo ich mit leidenschaftlichem Eifer die frisch angekommenen Zeitungen verschlang. Mancher mir Gleichgesinnte fand sich hier ein; namentlich hörte ich gern auch einigen ältern Männern zu, welche eifrig politisirten. Auch die belletristischen Journale fingen an mich zu interessiren: ich las wieder viel, jedoch ohne edlere Auswahl; nur fingen bereits Witz und Geist bei meiner Lektüre mich zu bestimmen an, während sonst nur das Colossale und Phantastische mich gereizt hatte. Immerhin blieb meine Theilnahme für den Ausgang des polnischen Kampfes die Hauptsache: die Belagerung und Einnahme Warschaus erlebte ich wie ein persönliches Unglück.

Unbeschreiblich war nun meine Aufregung, als die ersten Durchzüge der nach Frankreich auswandernden Ueberreste der polnischen Armee durch Leipzig kamen, und unvergesslich der Eindruck beim Anblick eines ersten Truppes dieser Unglücklichen, welche im grünen Schild auf der Fleischergasse einquartirt wurden. War ich hier mit grosser Niedergeschlagenheit erfüllt worden, so gerieth ich dagegen bald in enthusiastische Bezauberung, als ich im Foyer des Leipziger Gewandthauses, in welchem man diesen Abend die C-moll Symphonie von Beethoven spielte, eine Gruppe heroischer Gestalten theilnehmend beobachten konnte, welche aus mehrern der vornehmsten Führer der polnischen Erhebung bestand. Vorzüglich zog mich die ungemein kräftige Gestalt und überaus männliche Physiognomie eines Grafen Vincenz Tyszkiewitcz an, der mit ruhiger vornehmer Haltung eine, mir bis dahin ganz unbekannte, Sicherheit und Gelassenheit verband. Einen Mann von so königlichem Benehmen im Schnürrock und mit der rothen Sammtmütze zu sehen, vernichtete in mir sofort alle Verehrung, die ich bisher der geschraubten Kampfhahn-Tournure der Heroen unserer Studentenwelt gezollt hatte. Es entzückte mich, grade diesen Mann bald im Hause meines Schwagers Friedrich Brockhaus wiederzufinden, und dort für längere Zeit als fast heimisch anzutreffen. Mein Schwager zeichnete sich nämlich durch die theilnahmvollste Hingebung für die unglücklichen polnischen Kämpfer aus; er stand an der Spitze eines Comité's, welches sich dauernd die Sorge für jene angelegen sein liess, und brachte persönlich seiner Theilnahme lange Zeit hindurch die namhaftesten Opfer. Nun war das Brockhaus'sche Haus für mich von höchster Anziehung. Um Graf Vincenz Tyszkiewitcz, welcher für uns alle der Leuchtstern dieser kleinen Polenwelt blieb, verweilten längere Zeit einige andere vermögendere Emigranten, von denen mir hauptsächlich ein Rittmeister Bansemer in Erinnerung geblieben ist, welcher sich durch grenzenlose Gutmüthigkeit, nicht minder grossen Leichtsinn, und ein wunderschönes Gespann von vier Pferden auszeichnete, deren Schnelligkeit beim Durchfahren der Stadt die Leipziger Bürgerschaft in anhaltende Wuth versetzte. Auch entsinne ich mich eines Tags mit General Bem, dessen Artillerie bei Ostrolenka sich so heldenmüthig benommen hatte, bei Tisch gesessen zu haben. Manche andre, bald durch geschmeidige Feinheit, bald durch melancholisch kriegerische Haltung auf mich eindrucksvolle Glieder der Auswanderung, zogen durch das gastliche Haus: von dauerndem Eindruck blieb jedoch einzig der als Ideal eines wahrhaft männlichen Mannes von mir geliebte und verehrte Vincenz Tyszkiewitcz.

Auch mir wurde der vorzügliche Mann wahrhaft geneigt: fast täglich fand ich mich bei ihm ein, und wohnte oft den halb kriegerischen Gelagen bei, von denen er sich zu Zeiten gern mit mir zurückzog, um an irgend einem ruhigen Orte seiner trüb besorgten Stimmung in meiner Gesellschaft sich hinzugeben. Noch hatte er nämlich keine Kunde von dem Schicksal seiner Frau und seines kleinen Sohnes, von welchen er sich in Volhynien getrennt hatte. Ausserdem lag ein Schatten auf ihm, der ihn dem theilnehmenden Herzen besonders anziehend machte: meiner Schwester Louise hatte er ein furchtbares Schicksal, das ihn dereinst betroffen, mitgetheilt. Er war schon einmal verheirathet gewesen, und besuchte mit seiner ersten Frau eines seiner entlegenen Schlösser: des Nachts hatte sich am Fenster seines Schlafgemachs eine gespenstische Erscheinung gezeigt; wiederholt von ihm angerufen, ergriff er, um sich vor einer Gefahr zu schützen, ein Gewehr und erschoss seine eigene Frau, welche den excentrischen Einfall gehabt hatte, in der Gestalt eines Nachtspuks ihren Gemahl zu necken. Bald theilte ich nun seine Freude, als die Nachricht von der Rettung seiner Familie zu ihm gelangte: seine Frau erschien endlich selbst mit dem wunderschönen dreijährigen Knaben (Janusz) in Leipzig. Es betrübte mich der Dame nicht dieselbe Sympathie, wie ihrem Gemahl zuwenden zu können, woran mich der so sehr störende Eindruck verhinderte, den ich durch den Anblick der unziemlich stark aufgetragenen Schminke erhielt, durch welche sonderbarer Weise die von den höchsten Anstrengungen ganz erschöpfte Frau ihre abgespannten und leidenden Gesichtszüge zu verbergen suchte. Sie verreiste bald wieder nach Galizien, um von ihren dortigen Besitzungen zu retten was zu retten war, zugleich auch um ihrem Manne von der Oesterreichischen Regierung einen Pass auszuwirken, mit Hülfe dessen er ihr nach Galizien nachkommen sollte. – Nun kam der dritte Mai heran. Achtzehn noch in Leipzig anwesende Polen vereinigten sich zu einem Festmahle in einem Gasthause der Umgegend von Leipzig: dort sollte dieser der polnischen Erinnerung so theure Jahrestag ihrer Verfassungsgründung gefeiert werden. Nur die Vorsteher des Leipziger Polencomités, und, aus besonderer Rücksicht und Liebe, auch ich, waren hierzu eingeladen. Es war ein unvergesslich eindrucksvoller Tag. Das Mahl der Männer ward zum Gelage: eine aus der Stadt bestellte Blechmusik spielte unausgesetzt die polnischen Volkslieder, an welchen sich, unter dem Vorgesang eines Litthauers (Zan), die Gesellschaft jubelnd und klagend betheiligte. Namentlich erweckte das schöne »dritte Mai«-Lied einen erschütternden Enthusiasmus. Weinen und Jauchzen steigerten sich zu einem unerhörten Tumulte, bis sich die Gruppen auf die Rasenplätze des Gartens lagerten, und dort zerstreute Liebespaare bildeten, in deren schwelgerischem Liebesgespräche das unerschöpfliche Wort » Oiczisna« (Vaterland), die Losung war, bis endlich der Schleier eines grossherzigen Rausches Alles in Nacht hüllte. – Der Traum dieser Nacht bildete sich später in mir zu einer Orchestercomposition in Ouverturenform, mit dem Titel » Polonia«, aus: das Schicksal dieser Arbeit werde ich gelegentlich berichten.

Die Pässe meines Freundes Tyszkiewitcz kamen an; er war im Begriff über Brünn nach Galizien zu reisen, was immerhin seinen Freunden als gewagt galt. In mir war die Sehnsucht entstanden, etwas weiteres von der Welt zu sehen zu bekommen. Tyszkiewitcz bot mir an, mit ihm zu reisen, was meine Mutter bestimmte, zu einem von mir gewünschten Ausfluge nach Wien ihre Einwilligung zu geben. Mit der Partitur meiner drei aufgeführten Ouverturen und der noch unaufgeführten grossen Symphonie, reiste ich ab, um den befreundeten polnischen Gönner in seinem bequemen Reisewagen mit Extrapost bis in die Hauptstadt Mährens zu begleiten. Nachdem in Dresden ein kleiner Aufenthalt genommen, gaben die dort anwesenden vornehmen und geringeren Glieder der Emigration dem von ihnen allen geliebten Grafen in Pirna ein freundschaftliches Abschiedsmahl, bei welchem, unter Strömen Champagner's, dem zukünftigen »Dictator Polen's« ein Hoch gebracht wurde. Endlich trennten wir uns in Brünn, von wo aus ich am folgenden Tage mit dem Postwagen nach Wien weiter zu befördern war. Den Nachmittag und die Nacht, welche ich allein in Brünn zu verweilen hatte, brachte ich unter den seltsamsten Einwirkungen der plötzlich mir erweckten Cholerafurcht zu. Zum erstenmal befand ich mich an einem Orte, von welchem ich unversehens erfuhr, dass dort die Cholera heimisch sei: soeben von meinem zuversichtlichen Freunde verlassen, gänzlich allein in einer mir wildfremden Gegend, ohne alle Beziehung zu dem Ort an dem ich mich zufällig befand, war es mir bei dieser Nachricht als ob ein tückischer Dämon mich in diese Falle gelockt hätte, um mich spurlos zu vernichten. Zwar liess ich mir im Gasthofe nichts merken; als man mich aber in einen sehr abgelegenen Flügel des Hauses zum Schlafen führte, und nun plötzlich mich in dieser Oede allein liess, vergrub ich mich angekleidet in das Bette, und erlebte nochmals alles was ich je in meiner Knabenzeit von Gespensterfurcht erlitten hatte. Die Cholera stand leibhaftig vor mir: ich sah sie, und konnte sie mit Händen greifen; sie kam zu mir in's Bett, umarmte mich; meine Glieder erstarrten zu Eis, ich fühlte mich todt bis an das Herz hinan. Ob ich geschlafen oder gewacht, ist mir gänzlich unbewusst geblieben; nur wunderte ich mich im höchsten Grade, als ich beim Tagesgrauen lebendig aufstand und mich vollkommen gesund fühlte. So gelang es mir denn auch glücklich bis Wien zu entkommen wo ich mich alsbald gegen die auch dort herrschende Seuche vollständig unempfindlich verhalten konnte.

Es war dies im hohen Sommer 1832. In der lebhaften grossen Stadt, in welcher ich mich im Ganzen sechs Wochen aufhielt, fühlte ich mich, auch in Folge von Empfehlungen an einige meiner Familie befreundete Personen, bald heimisch. Da mein Besuch keinen praktischen Zweck haben konnte, war der Gedanke meiner Mutter, mir die, wenn auch sparsamen Mittel zu einem solchen eben nur allgemein hin anregenden Ausfluge zu bestimmen, als ein fast übermüthiger Zug anzuerkennen. Ich besuchte die Theater, hörte Strauss, machte Ausflüge, und liess es mir wohl gehen, wobei einige Schulden herauskamen, an welchen ich noch als späterer Dresdener Kapellmeister zu zahlen hatte. Sehr anregend blieben aber gewiss die hier empfangenen musikalischen und theatralischen Eindrücke, und Wien ist meiner Vorstellung lange Zeit als Vertreterin originaler volksblütiger Productivität verblieben. In diesem Sinne befriedigten mich am meisten die Leistungen des Theaters an der Wien, wo eine groteske Zauberposse »die Abenteuer Fortunat's zu Wasser und zu Land«, in welcher » ein Fiaker an das schwarze Meer« bestellt wurde, einen sehr lebendigen Eindruck auf mich machte. In musikalischer Beziehung war ich zwischen zwei Haupteindrücke geklemmt. Mit Stolz führte ein junger Freund mich in die Aufführung von Gluck's »Iphigenia in Tauris«, welche durch die vorzüglichen Leistungen des berühmten Wild, Staudigl's und Binder's, besonders empfehlenswerth war: nur muss ich aufrichtig gestehen, dass ich im Ganzen durch das Werk mich gelangweilt fühlte, was mir um so peinlicher war, da ich es nicht auszusprechen wagte. Auch Gluck war mir namentlich durch das bekannte Hoffmann'sche Phantasiestück unwillkührlich zu einer dämonischen Riesengrösse geworden: ich vermuthete in ihm, dessen Werke ich noch nicht studirt hatte, ein hinreissendes dramatisches Feuer, und legte an Alles, was ich mir von einer ersten Vorführung seines berühmtesten Werkes erwarten sollte, den Maasstab an, welchen ich jenem unvergesslichem Abend der Darstellung des »Fidelio« durch die Schröder-Devrient entnommen hatte. Mit Mühe gelang es mir, in der grossen Scene des Orestes mit den Furien mich in eine halbweg ähnliche Extase zu versetzen. Der Eindruck alles Uebrigen blieb feierlich spannend auf eine Wirkung, zu welcher es nie kam. – Auf den eigentlichen Lebensnerv des Wiener Theatergeschmackes traf ich jedoch bei der Oper Zampa, welche damals das fast tägliche Repertoire an beiden Operntheatern, am Kärthner Thor und in der Josephstadt, erfüllte. Beide Theater wetteiferten im Feuer für diese ausserordentlich beliebte Leistung: hatte das Publikum sich den Anschein gegeben in »Iphigenie« zu schwelgen, so raste es mit voller Wahrhaftigkeit in »Zampa«; und trat man aus dem Theater der Josephstadt, in welchem so eben »Zampa« Alles in Extase versetzt hatte, in die unmittelbar daran gelegene Tabagie von Sträusslein, so brannte mir unter Strauss' fieberhaftem Vorspiel ein Potpourri aus »Zampa« entgegen, welches die gesammte Zuhörerschaft fast ersichtlich in Flammen setzte. Unvergesslich blieb mir hierbei die für jede von ihm vorgegeigte Pièce sich gleich willig erzeugende, an Raserei gränzende Begeisterung des wunderlichen Johann Strauss. Dieser Dämon des Wiener musikalischen Volksgeistes erzitterte beim Beginn eines neuen Walzers wie eine Pythia auf dem Dreifuss, und ein wahres Wonnegewieher des, wirklich mehr von seiner Musik als von den genossenen Getränken berauschten Auditoriums, trieb die Begeisterung des zauberischen Vorgeigers auf eine für mich fast beängstigende Höhe. So ward mir die heisse Sommerluft Wien's endlich fast nur noch von Zampa und Strauss geschwängert. – Eine äusserst dürftige Uebungsprobe der Zöglinge des Conservatoriums, in welcher Theile einer Messe Cherubini's gespielt wurden, liess mir dagegen die Pflege der klassischen Musik wie ein nothdürftig bezahltes Almosen erscheinen. In derselben Probe versuchte ein mir unbekannt gebliebener Professor, an welchen ich empfohlen war, meine bereits in Leipzig aufgeführte D-moll-Ouverture zum Durchspielen zu bringen: ich weiss nicht, welches die Meinung des Mannes und der Zöglinge in Betreff des angestellten Versuches war, und entsinne mich nur dass er alsbald aufgegeben ward.

So im Ganzen in meiner Geschmacksrichtung auf bedenkliche Abwege geleitet, zog ich mich von diesem ersten Bildungsbesuche einer grossen europäischen Kunststadt zurück, um eine wohlfeile, aber sehr langwierige Reise im Stellwagen nach Böhmen zurück anzutreten. Dort sollte ich die aus meinen Jugenderinnerungen mir schmeichelhaft bekannte Familie des Grafen Pachta auf dessen Herrschaft Pravonin, acht Meilen seitwärts von Prag, besuchen. Von dem alten Herrn und seinen schönen Töchtern auf das freundlichste aufgenommen, genoss ich dort bis in den Spätherbst eine mannichfaltig anregende Gastfreundschaft. Als neunzehnjähriger junger Mensch mit bereits kräftig entwickeltem Bartwuchs, auf welchen die jungen Damen durch den Empfehlungsbrief meiner Schwester bereits aufmerksam gemacht worden waren, konnte der stete nahe Umgang mit so schönen und guten Mädchen unmöglich ohne Eindruck auf meine Phantasie bleiben. Jenny, die ältere, war schlank, mit schwarzem Haar, dunkelblauen Augen und wunderbar edlem Schnitt des Gesichts; die jüngere, Auguste, war etwas kleiner und üppiger, von blendendem Teint, blondem Haar und braunen Augen. Die grosse Unbefangenheit und schwesterliche Gutmüthigkeit, welche in ihrem Umgang mit mir fortgesetzt sich aussprach, irrten mich nicht in der Annahme, dass ich mich in eine derselben zu verlieben hätte. Die Mädchen unterhielt es in bester Laune zu bemerken, in welche Verlegenheit ich durch die Wahl gerieth, und unaufhörliches Necken war der Erfolg, welchen mir meine eifrigen Bemühungen einbrachten. Leider verfuhr ich nicht zweckmässig in meinem Benehmen gegen die jungen Freundinnen: wirklich häuslich und bescheiden erzogen, waren sie doch durch ihre eigenthümlichen Geburtsverhältnisse in ein sonderbares Schwanken zwischen der Hoffnung auf eine bedeutende Standesheirath, oder der Nöthigung zur Wahl eines eben nur reichlichen bürgerlichen Unterkommens versetzt. Die auffallend geringe, fast mittelalterliche Bildung des östreichischen eigentlichen Kavaliers, welche mir dieselben geringschätzig darstellte, war auch in der Erziehung meiner jungen Freundinnen leider maasgebend gewesen. Eine sehr oberflächliche Kenntniss auf dem Gebiete der Aesthetik, dagegen eine sehr ausgeprägte Fertigkeit in Allem was Aeusserlichkeit betrifft, wurde bald von mir mit Widerwillen bemerkt. Keine meiner enthusiastischen Mittheilungen aus den mir so einzig sympathisch gewordenen höheren Lebenselementen fand bei ihnen irgend welchen Anklang. Ich eiferte gegen die schlechten Leihbibliothek-Romane, welche ihre einzige Lecture bildeten, gegen die italienischen Opernarien, welche Auguste sang, und endlich gegen die pferdepflegenden geistlosen Kavaliere, welche zu Zeiten sich einstellten, um Beiden, Jenny wie Auguste, auf eine mich verletzende unzarte Art den Hof zu machen. Namentlich mein Eifer gegen den letzteren Punkt brachte bald grosse Aergernisse zu Wege; ich ward hart und beleidigend, verlor mich in Erläuterungen des Geistes der französischen Revolution, bis zur Ertheilung väterlich klingender Rathschläge, sich um Gotteswillen doch lieber an gut gebildete Bürgerliche zu halten, und die übermüthigen rohen Herren aufzugeben, deren Umgang nur ihren Ruf untergraben könnte. Die Entrüstung, die ich durch solche Ermahnungen erweckte, musste ich manchmal durch harte Zurechtweisungen zu ertragen suchen: um Verzeihung bat ich jedoch nie, sondern suchte durch vorgebliche oder wirkliche Eifersucht, welche mich beherrschte, das Verdriessliche meiner Wuthausbrüche in ein schliesslich noch erträglich schmeichelndes Geleis zu bringen. So unentschieden, ob verliebt oder ärgerlich, immerhin aber in freundlichem Einvernehmen, schied ich von den schönen Kindern an einem kalten Novembertag, um die ganze Familie bald darauf in Prag wieder zu treffen, wo ich mich nun noch längere Zeit aufhielt, ohne jedoch im gräflichen Hause meine Wohnung zu nehmen.

Der Prager Aufenthalt sollte nun wieder einen musikalischen Bildungszweck erhalten. Ich ward mit dem Direktor des Conservatoriums, Dionys Weber, bekannt, und durch ihn sollte meine Symphonie mir zur ersten Anhörung gebracht werden. Ausserdem, brachte ich meine Zeit meistens bei einem Schauspieler Moritz zu, an welchen ich, als einen älteren Bekannten meiner Familie, empfohlen war, und in dessen Umgange ich mit einem ebenfalls jungen Musiker, Kittl, bald zu näherer Befreundung bekannt wurde. Moritz, der mich täglich in dringenden musikalischen Geschäften zu dem gefürchteten Chef des Conservatoriums wandern sah, entliess mich einst mit einer improvisirten Parodie der Schillerschen »Bürgschaft«:

»Zu Dionys dem Direktor schlich
»Wagner, die Partitur im Gewande;
»Ihn schlugen die Schüler in Bande:
»Was wolltest Du mit den Noten sprich?«
»Entgegnet ihm finster der Wütherich:
»Die Stadt vom schlechten Geschmacke befreien!«
»Das sollst du in den Rezensionen bereuen.«

In der That hatte ich es mit einer Art von »Tyrannen Dionysius« zu thun. Dem Manne, der Beethoven nur bis zu seiner zweiten Symphonie gelten liess, die »Eroica« bereits als vollkommne Geschmacksverderbniss des Meisters bezeichnete, einzig Mozart erhob, und neben ihm unter den Neueren nur Lindpaintner gestattete, – diesem Manne war nicht leicht beizukommen, und ich musste mich mit der Art vertraut machen, auf welche man Tyrannen zu seinen Zwecken nützt: ich verstellte mich, zeigte mich erstaunt über das Neue seiner Behauptungen, widersprach keineswegs, und verwies ihn zur Bekräftigung der Uebereinstimmung unsrer Ansichten auf die Schlussfuge sowohl meiner Ouverture als meiner Symphonie, beide in C-dur, und nachweislich durch Mozartische Einwirkung zu Stande gebracht. Mein Lohn blieb nicht aus: Dionys schritt mit jugendlichem Feuer zum Einstudiren meiner Orchesterstücke. Die Schüler des Conservatoriums mussten unter seiner trockenen, aber fürchterlich lärmenden Taktirerei selbst meine neue Symphonie mit grosser Präcision einstudiren, und vor meinen mitgebrachten Freunden, unter welchen auch mein alter Graf Pachta als Vorsteher des ständischen Conservatoriums sich befand, brachten wir die erste Aufführung dieses grössten meiner bisherigen Werke wirklich zu Stande.

Während ich diese musikalischen Erfolge feierte, setzte ich meine sonderbaren Liebeswerbungen in dem anziehenden Hause der Pachtaschen Familie unter den wunderlichsten Wechselfällen fort. Als Schicksalsgenossen hatte ich einen Zuckerbäcker, Hascha, gewonnen. Dies war ein langer hagerer, ungemein trockner junger Mensch, der, wie die meisten Böhmen, neben seiner ansehnlichen Conditorei, auch Musik trieb, Auguste beim Gesang accompagnirte, und hierüber in die seinem Naturell entsprechende Verliebtheit gerathen war. Ihm, gleich mir, waren die nun in der Hauptstadt sich häufiger einstellenden Kavalierbesuche im höchsten Grade verhasst: während aber mein Unmuth sich meistens humoristisch äusserte, blieb der seinige finster und melancholisch; ja er verleitete ihn zur offenbaren Tölpelhaftigkeit, vermöge welcher er eines Abends, als zur Erwartung eines Hauptkavaliers der Lüstre angezündet werden sollte, mit seinem auf langem Körper hervorragenden Kopfe den Kronleuchter anstiess, diesen zerbrach und dadurch die festliche Erleuchtung unmöglich machte, welches ihm die höchste Entrüstung der Mutter unsrer Freundinen zuzog, so dass er von da an seine Besuche im gräflichen Hause aufzugeben für gut fand. Ich entsinne mich nun die ersten Spuren der Empfindungen wirklicher Liebespein an den sonderbar nagenden Erregungen der Eifersucht, welche sich doch in Wahrheit auf keine eigentliche Liebe bezog, wahrgenommen zu haben: es geschah dies als ich eines Abends meinen Besuch machen wollte, und von der Mutter in einem Vorzimmer festgehalten wurde, während in dem eigentlichen Besuchzimmer, wie ich aus Anzeichen wahrnahm, die in besondrer Toilette geschmückten jungen Damen sich mit den mir verhassten vornehmen jungen Herrn unterhielten. Alles was namentlich in einigen Hoffmann'schen Erzählungen von gewissen satanischen Buhlschaften mir bis dahin einen unverständlichen Eindruck gemacht hatte, ward hier schrecklich lebendig in mir, und ich verliess Prag mit einer offenbar übertriebenen und ungerechten Meinung von den Dingen und Personen, die mich zum ersten Mal in einen Kreis von, bis dahin noch unbekannten, leidenschaftlichen Empfindungen hineingezogen hatten.

Eine andre Ausbeute brachte ich jedoch von diesem ersten grösseren Ausfluge in die Welt zurück: in Pravonin hatte ich gedichtet und komponirt. Meine musikalische Arbeit bestand in der Komposition eines Gedichtes meines Jugendfreundes Theodor Apel, betitelt: Glockentöne. Nachdem ich zwar schon im vergangenen Winter in Leipzig noch eine grössere Arie für Sopran und Orchester fertig und zur Aufführung in einem Theaterconcert gebracht, war diese neue Arbeit doch die erste Gesangscomposition, welche von wirklicher Empfindung eingegeben war. Ihrem allgemeinen Charakter nach, war sie wohl aus den Eindrücken der Beethovenschen Gesangcompositionen, namentlich seines »Liederkreises« hervorgegangen; dennoch erinnere ich mich ihrer als einer mir eigen angehörenden Arbeit von zarter schwärmerischer Empfindung, welche besonders durch die träumerische Begleitung zu sprechendem Ausdruck kam. – Meine dichterische Arbeit bezog sich auf den Entwurf eines tragischen Opernsujets, welches ich in Prag unter dem Titel: » die Hochzeit« vollständig ausführte, und zwar ohne dass irgend Jemand etwas davon merkte, welches letztere seine Schwierigkeit hatte, da ich der eingetretenen Kälte wegen nicht in meinem unheizbaren kleinen Gasthofzimmer daran schreiben konnte, sondern dies in Moritz's Wohnung, wo ich mich während des Vormittags aufhielt, abmachen musste; ich entsinne mich wiederholt das Manuscript schnell hinter dem Kanapee verborgen zu haben, sobald mein Gastfreund zufällig in das Zimmer eintrat.

Mit dem Stoff zu dieser dramatischen Arbeit hatte es eine besondre Bewandniss. Schon vor mehreren Jahren hatte ich in Büsching's Buch über das Ritterwesen einen tragischen Vorgang beiläufig angeführt gelesen, welchen ich seit dem nirgend sonst wieder angetroffen habe. Eine Edelfrau war zur Nachtzeit von einem Manne, der sie mit heimlicher Leidenschaft liebte, gewaltsam überfallen worden, und hatte ihn, mit der Kraft des Ehrgefühles kämpfend, in den Burghof hinabgeschleudert. Sein räthselhafter Tod blieb so lange ein Geheimniss, bis bei seiner feierlichen Beisetzung, welcher auch die Edelfrau im Gebet beiwohnte, diese plötzlich ebenfalls entseelt niedersank. Die geheimnissvolle Stärke der leidenschaftlichen, in sich verschlossenen Empfindung prägte sich meiner Phantasie aus diesem Vorgange mit unerlöschlicher Lebhaftigkeit ein. Zunächst noch ganz von der besonderen Art der Behandlung solcher Phänomene in den Hoffmann'schen Erzählungen erfüllt, entwarf ich eine Novelle, in welche zugleich der mir damals so theure musikalische Mysticismus hineinspielte. Der Vorgang sollte auf dem Gute eines reichen Kunstfreundes spielen: ein Brautpaar sah der Hochzeit entgegen, zu welcher auch der Freund des Bräutigams, ein interessanter verschlossener, melancholischer junger Mann geladen war. Zu dieser Gesellschaft fand sich, im innigsten Verkehr, ein sonderbarer alter Organist. Welche mystischen Beziehungen zwischen diesem alten Musiker, dem melancholischen jungen Manne und der Braut stattfanden, sollte aus dem Ausgange gewisser Verwickelungen klar werden, welche zu einem gleichen Ereignisse, wie dem vorher erwähnten aus dem Mittelalter, führten. Zu dem im Sarg ausgestellten, unbegreiflich getödteten jungen Manne, und der an seiner Seite ebenso räthselhaft verscheidenden Braut des Freundes, gesellte sich der alte Musiker, welcher bei der ergreifenden Todtenfeier die Orgel spielte, und während eines in das Unendliche fort tönenden Dreiklanges, ebenfalls todt auf seiner Bank gefunden wurde. Zur Ausführung dieser Novelle war es nicht gekommen: nun aber, da ich mir einen Operntext schreiben wollte, fasste ich den Gegenstand in seiner ursprünglichen Darstellung wieder auf, und bildete aus ihm, den Grundzügen nach, folgende dramatische Handlung.

Zwei grosse Geschlechter hatten lange in Familien-Feindschaft gelebt, und waren nun dazu vermocht worden sich Urfehde zu schwören. Zu den Festen der Vermählung seiner Tochter mit einem treuen Parteigänger lud das greise Haupt der einen Familie den Sohn des bisherigen Feindes ein. Die Hochzeit wird mit einem Versöhnungsfeste verbunden. Während die Gäste mit Mistrauen und Furcht vor Verrath erfüllt sind, hat in dem Herzen ihres Führers eine düstre Leidenschaft für die Braut seines neuen Bundesfreundes Raum gewonnen. Sein düstrer Blick schneidet auch ihr in das Herz, und als sie, im festlichen Zuge nach der Brautkammer geleitet, der Ankunft des Geliebten harrend, plötzlich am Fenster ihres hohen Thurmgemaches diesen selben Blick mit furchtbarer Leidenschaft auf sich blitzen sieht, erkennt sie sofort dass es sich um Leben und Tod handelt. Den Eingedrungenen, der sie mit wahnsinniger Gluth umfasst, drängt sie zum Balkon zurück, und stürzt ihn über die Brüstung in die Tiefe hinab, wo der Zerschmetterte von seinen Genossen aufgefunden wird. Diese schaaren sich sofort gegen den vermeintlichen Verrath, und schreien nach Rache: ungeheurer Tumult erfüllt den Schlosshof; das furchtbar gestörte Hochzeitsfest droht zur Mordnacht zu werden. Den Beschwörungen des ehrwürdigen Familienhauptes gelingt es jedoch das Unheil abzuwenden; Boten werden an die Familie des räthselhaft Verunglückten ausgesandt; die Leiche selbst soll zur Sühne des unbegreiflichen Vorganges mit höchster Feierlichkeit, unter dem Beileid des ganzen Geschlechtes der verdächtigen Familie, begangen, und hierbei durch Gottes Urtheil ergründet werden, ob irgend ein Glied derselben die Schuld des Verrathes treffe. Während der Vorbereitungen zu dieser Leichenfeier zeigen sich an der Braut Spuren eines schnell sich steigernden Wahnsinns; sie flieht ihren Bräutigam, verschmäht die Verbindung mit ihm, und verschliesst sich unnahbar in ihr Thurmgemach. Nur zur Todtenfeier, als diese mit höchster Pracht zur Nachtzeit begangen wird, stellt sie sich ein, bleich und schweigend an der Spitze ihrer Jungfrauen, dem Seelenamte beizuwohnen, dessen düstrer Ernst durch die Kunde vom Heranzug feindlicher Schaaren und endlich vom Waffensturm der herandrängenden Verwandten des Erschlagenen unterbrochen wird. Als die Rächer des vermeintlichen Verraths endlich in die Kapelle dringen und den Mörder des Freundes aufrufen, deutet der entsetzte Burgherr auf die entseelte Tochter, welche, dem Bräutigam abgewandt, am Sarge des Erschlagenen hingesunken ist.

Dieses vollkommene Nachtstück von schwärzester Farbe, in welches aus weiter Jugendferne »Leubald und Adelaïde« veredelt hineinklangen, führte ich mit Verschmähung jedes Lichtscheines, und namentlich jeder ungehörigen opernhaften Ausschmückung, schwarz auf schwarz aus. Zarte Saiten wurden jedoch bereits berührt; und die Introduction des ersten Aktes brachte mir (durch ein Adagio für Vocal-Septett, in welchem die Versöhnung der streitenden Familien, die Empfindungen des Brautpaares, mit der düstren Gluth des heimlich Liebenden zugleich sich ausdrückten), von Weinlich, dem ich hiermit den Beginn der Composition meines Werkes schon bei meiner Heimkehr nach Leipzig zeigen konnte, ob der darin sich kundgebenden Klarheit und Sangbarkeit, sehr ermuthigende Lobsprüche ein. Hauptsächlich lag mir jedoch daran den Beifall meiner Schwester Rosalie für mein Unternehmen zu gewinnen. Diese konnte sich jedoch mit meinem Gedicht nicht befreunden: sie vermisste alles das, was ich eben fast mit Absichtlichkeit ausgelassen hatte, und wünschte Ausschmückung und Ausbildung der einfachen Verhältnisse zu mannichfaltigeren und möglichst freundlicheren Situationen. Schnell war ich entschieden, ergriff ohne alle Leidenschaftlichkeit mein Manuscript, und vernichtete es spurlos.

Hiervon war nicht eigentlich gereizte Eitelkeit der Grund, sondern wirklich lag es mir daran, meiner Schwester zu beweisen, theils wie wenig ich für meine Arbeit eingenommen sei, theils wie viel ich auf sie gebe. Genoss Rosalie in unsrer Familie die besondre Achtung und Liebe der Mutter und Geschwister, so hatte dies seinen Grund zum grossen Theil wohl darin, dass sie seit längeren Jahren zum vorzüglich ernährenden Haupt derselben geworden war; der nicht unansehnliche Gehalt, den sie als Schauspielerin bezog, bildete den Hauptfonds aus welchem das Hauswesen bestritten ward. Auch ihrer Beschäftigung gemäss hatte sie mancherlei Bevorzugung zu beanspruchen. Ihre Wohnungsabtheilung war stets mit besondrer Annehmlichkeit und Berechnung der für ihre Studien nöthigen Stille hergerichtet; an Markttagen, wo wir Andren mit geringerer Kost vorlieb nehmen mussten, durfte ihr allein an der gewohnten feineren Nahrung nichts abgehen. Mehr als Alles dies, stellte sie über das Niveau der jüngern Familie der freundliche Ernst, die gewählte Art sich zu äussern, und die zarte sinnige Haltung, aus der sie fast nie in den sonst bei uns herrschenden etwas lebhaften Ton verfiel. Ich war nun jedenfalls dasjenige Familienglied, welches, wie der Mutter, so auch der mütterlichen Schwester die grösste Sorge verursacht hatte. Während der bösen Studentenzeit war mir namentlich ihre Entfremdung gegen mich von lebhaftem Eindrucke gewesen. Dass sie endlich wieder Hoffnung auf mein Gedeihen setzte, und meinen Studien mit neuer Theilnahme folgte, hatte mich mit angenehmer Wärme erfüllt. Es dahin zu bringen, dass diese Schwester, die schon daran gewesen war mich für verloren anzusehen, endlich wirklich mit Achtung und bedeutender Erwartung meinen Arbeiten folge, war mir zu einem besondren Sporn des Ehrgeizes geworden. Unter solchen Umständen bildete sich endlich eine zarte, ja fast schwärmerische Neigung zu Rosalie in mir aus, welcher an Reinheit und läuternder Wärme wohl nur die edelsten Beziehungen zwischen Mann und Weib zur Seite gestellt werden können. Gewiss war hierbei auch Rosalien's besondres Naturell nicht ohne Einfluss. Sie hatte nicht eigentliches Talent, namentlich nicht für das Theater; ihr Spiel ward meistens studirt und unnatürlich gefunden. Dennoch zog sie durch die grosse Anmuth ihres Aeussern, sowie die Reinheit und Würde ihrer edlen Weiblichkeit, die warme Beachtung aller auf sich, und manches Zeugniss der verehrungsvollsten Ergebenheit, mit der ihr gehuldigt wurde, ist auch mir in Erinnerung geblieben. Nie hatte es sich jedoch gefügt, dass mit solchen Annäherungen Aussicht auf dauernde Vereinigung sich gefunden hätte, und ein mir noch unerklärliches Schicksal näherte meine Schwester endlich dem reiferen Mädchenalter, indem es sie zugleich immer mehr von der Hoffnung, in eine ihr geeignet dünkende Ehe treten zu können, entfernte. Ich glaubte in meiner Weise zu Zeiten Wahrnehmungen von Rosalien's schmerzlicher Bewegung über diesen Charakter ihres Schicksal's gewonnen zu haben. Besonders unvergesslich blieb es mir, sie eines Abends im dunkeln Zimmer, wo sie sich allein glaubte, in banges Seufzen und Klagen sich ergiessen zu hören, was einen solchen Eindruck auf mich machte, dass ich, nachdem ich unvermerkt mich hinausgeschlichen hatte, von da an mit gesteigerter, zärtlicher Hochachtung in Allem ihr zu Willen zu sein, und namentlich durch mein Gedeihen ihr Freude zu machen suchte. Denn nicht ohne Bezug hatte schon unser Stiefvater Geyer das zarte Mädchen mit dem freundlichen Spitznamen » Geistchen« belegt: war ihr Schauspieltalent, wie ich sagte, nicht bedeutend, so war dagegen ihre Phantasie, ihr Sinn für Kunst und alles Höhere desto reger. Von ihr hatte ich die ersten bewunderungsvollen Ergiessungen über alles Das, was mich späterhin selbst so stark erregte, vernommen; auch bildete sich um sie überall, und zu jeder Zeit, ein kleiner Kreis tüchtiger und für das Höhere theilnehmender Menschen, ohne dass in solchen Umgang je Affectation irgend welcher Art sich gemischt hätte.

Bei meiner Rückkehr von meinem längern Ausfluge traf ich als neuen Ankömmling Heinrich Laube, bei den Meinigen und in Rosalien's Umgang freundlich aufgenommen, an.

Es war diess die Zeit, in welcher die Nachwehen der Julirevolution sich in der Bewegung jüngerer deutscher Geister bemerklich machten; unter diesen ward bald Laube beachtet. Er kam als junger Mann aus Schlesien nach Leipzig, um eigentlich nur durch diesen Sitz des Buchhandels nach Anknüpfung der ihm nöthigen Verbindungen schnell nach Paris zu eilen, von wo aus Börne durch seine Briefe grosses Aufsehn auch bei uns machte. Bei dieser Gelegenheit wohnte Laube der Aufführung eines Stückes von Ludwig Robert, »die Macht der Verhältnisse« im Theater bei, und fand sich veranlasst über dasselbe in das Leipziger Tageblatt eine Rezension zu schreiben, welche durch ihre scharfe und lebendige Fassung ein so grosses Aufsehen erregte, dass ihm sofort die Redaction der » Zeitung für die elegante Welt«, angeboten, und weitere buchhändlerische Anträge gemacht wurden. In unserm Hause wurde er als glänzendes Talent begrüsst: seine scharfe, kurze, oft beissende Manier, welcher das poëtische Element zu behaupten offenbar beschwerlich schien, liess ihn für originell und kühn gelten; seine Rechtlichkeit, Gradheit, und kecke Derbheit nahm Alles für seinen durch eine mühselige Jugend gestählten Charakter ein. Auf mich machte Laube einen ermuthigenden Eindruck, und namentlich war ich fast verwundert darüber ihn so entschieden für mich eingenommen zu sehen, wie es sich in seinen Verkündigungen meines musikalischen Talentes aussprach, welche er infolge einer ersten Anhörung meiner Symphonie in seinem Journal veröffentlichte.

Diese Aufführung ging im Beginn des Jahres 1833 in der Leipziger » Schneider-Herberge« vor sich: in dieses ehrwürdige Local hatte sich nämlich die » Euterpe« zurückgezogen. Es war ein schmutziger, enger, schmählich erleuchteter Raum, in welchem, unter gemeinster Wirkung des Orchesters, mein Werk dem Leipziger Publikum zum ersten Male vorgeführt wurde. Mir ist dieser Abend durchaus nur wie ein garstiger Gespenster-Traum in Erinnerung geblieben: desto mehr überraschte mich die bedeutungsvolle Aufnahme, welche Laube dieser Aufführung gab. Mit guter Hoffnung sah ich daher der bald darauf vor sich gehenden Aufführung im Gewandhaus-Concert entgegen, wo denn auch Alles hell glänzend und ganz nach Wunsch ablief. Die Aufnahme war beifällig: ich wurde in allen Zeitungen rezensirt; entschiedene Bosheit that sich nirgends kund; mancher Bericht war dagegen ermuthigend, und Laube, der schnell berühmt geworden, erklärte einen Operntext, den er für Meyerbeer bestimmt habe, für mich abtreten zu wollen. Dies erschreckte mich. Nicht im mindesten war ich zwar darauf bedacht, mich auch als Dichter bewähren zu wollen, und hatte im Gegentheil nichts andres im Sinne als mir selbst eben nur einen wirklichen »Operntext« zu schreiben: aber eben darüber, wie ein solcher Operntext zu schreiben sei, hatte ich bereits mein eigenes sicheres, instinktives Gefühl, welches sich in seiner Richtigkeit sofort bewährte, als Laube mich mit seinem Sujet verheissungsvoll bekannt machte. Er theilte mir mit, dass er nichts geringeres im Sinne habe, als mir Kocziusko für eine Hauptoper zurecht zu machen. Hierüber erschrack ich wiederum: denn ich ahnte sogleich, dass es sich um eine Täuschung Laube's über den Charakter eines dramatischen Vorganges handle. Als ich nach der eigentlichen Handlung fragte, war Laube ganz erstaunt, noch etwas anderes fordern zu wollen als die ausserordentlich thatenreiche Lebensgeschichte des polnischen Freiheitshelden, aus welcher er gerade genug Aktion erwählte, um das Unglück einer ganzen Nation darin auszudrücken. Ausserdem fehlte es aber an einer beliebigen Polin nicht, welche mit einem Russen in einem Liebesverhältniss stand, wodurch auch tragische Liebessituationen sich ganz von selbst einfanden. Ich erklärte sofort meiner Schwester Rosalie, dieses Sujet nicht componiren zu wollen; sie stand mir bei, und bat mich nur die Erklärung zu verzögern, wozu meine Abreise nach Würzburg, welche bald erfolgte, mir derart verhalf, dass ich nach einiger Zeit meinen Abschlag Laube schriftlich berichten konnte. Er ertrug die kleine Demüthigung mit guter Laune, hat mir es aber doch in keiner Zeit meines Lebens verziehen, dass ich mir selbst meine Gedichte machte.

Namentlich gab er mir seine Geringschätzung kund, als er erfuhr, welches Sujet ich seinem glänzenden politischen Gedichte vorgezogen hätte. Dieses hatte ich einem dramatischen Märchen von Gozzi: la Donna Serpente, entnommen, und unter dem Titel » die Feen« ausgeführt. Die Namen meiner Helden wählte ich mir nach allerhand ossianischen und ähnlichen Gedichten: mein Prinz hiess Arindal; er war von einer Fee Ada geliebt, welche ihn, seinem Reiche entrückt, in ihrem Zauberlande festhielt, bis er von seinen Getreuen aufgesucht und endlich gefunden ward, um durch die Kunde von dem Verfall seines Landes, welches bis auf die Hauptstadt in Feindeshände gerathen war, zur Rückkehr vermocht zu werden. Die liebende Fee sendet ihn selbst in die Heimath zurück, da sie durch einen Schicksalspruch genötigt ist, dem Geliebten die härtesten Proben aufzuerlegen, durch deren siegreiche Bestehung allein er ihr die Möglichkeit zu bereiten hat, aus der unsterblichen Feennatur auszuscheiden, um als liebendes Weib das Loos des sterblichen theilen zu können. Dem bereits durch die Wiederkehr in sein zerrüttetes Land entmuthigten Königssohne erscheint in der Stunde der grössten Bedrängniss die Gattin, um durch Handlungen der unbegreiflichsten Grausamkeit seinen Glauben an sie absichtlich zu erschüttern. Unter dem Zusammenwirken aller Schrecken, geräth Arindal in den Wahn, bisher von einer bösen Zauberin verführt worden zu sein, und sucht der verderblichen Macht dieses Zaubers durch Ausstossung seines Fluches über Ada sich zu entziehen. Wüthend vor Schmerz stürzt die unglückliche Fee zusammen, und enthüllt nun dem ewig Verlornen ihr gemeinsames Schicksal, und dass sie zur Strafe für den dem Feenspruche gebotenen Trotz verurtheilt sei, ewig in einen Stein verwandelt zu werden: (so nämlich hatte ich die Gozzische Verwandlung in eine Schlange umgeändert). Sofort bewährt sich, dass alle durch die Fee heraufbeschwornen Schrecknisse nur Täuschung waren: Sieg über die Feinde, Blühen und Gedeihen des Reiches stellt sich in zauberischer Schnelligkeit ein; nur Ada wird von den Vollzieherinnen des Schicksalspruches davon geführt und Arindal bleibt im vollen Wahnsinn zurück. Diese Leiden des Wahnsinns genügten jedoch den grausamen Vollstreckerinnen des Feenspruches nicht: um seine gänzliche Vernichtung zu erlangen, erscheinen sie dem büssenden Frevler und fordern ihn auf zum Weg in die Unterwelt, mit dem heuchlerischen Vorgeben, ihm die Mittel zu Ada's Entzauberung zeigen zu wollen. Wirklich erreicht diese feindlich gemeinte Kunde, dass Arindal's Wahnsinn sich zu erhabenster Begeisterung wendet; ein dem Königshause treuer Zauberer hat ihn ausserdem mit Wunderwaffen und Werkzeugen ausgerüstet, mit denen er nun den verrätherischen Feen folgt. Diese gerathen in Staunen und Entsetzen, als sie Arindal einen Kampf nach dem andern mit den Ungeheuern der Unterwelt siegreich bestehen sehen; nur als sie ihn zu der Gruft geleitet haben, in welcher sie auf einen menschlich gestalteten Stein deuten, fassen sie Muth, den kühnen Eindringling erliegen zu sehen: denn diesen Stein, welcher Ada selbst berge, habe er zu entzaubern, wenn er nicht selbst gleich ihr auf ewig in gleicher Weise verwandelt sein solle. Arindal, der bisher Schwert und Schild, die Geschenke des befreundeten Zauberer's gebraucht, bedient sich nun des zuvor ihm unverständlichen Werkzeuges, der ebenfalls ihm mitgegebenen Leyer, zu deren Klang er seine Klagen um die verzauberte Geliebte, seine Reue und übermächtige Sehnsucht ausströmen lässt. Diesem Zauber erweicht sich der Stein; die Geliebte ist erlöst, die Pracht der Feenwelt thut sich auf, und dem gewaltigen Sterblichen wird eröffnet, dass Ada durch seinen früheren Wankelmuth zwar das Recht, der Unsterblichkeit zu entsagen, verloren habe, dagegen dem, aller höchsten Zauber mächtigen Geliebten das Reich der Feen selbst zu seinem ewigen Wohnsitze an Ada's Seite offen stehe.

Hatte ich bei der Ausführung der » Hochzeit« allem Opernschmucke entsagt, und dem Stoff schwärzester Ungebrochenheit gegeben, so stattete ich nun dieses Sujet mit aller nur irgend verträglichen Mannichfaltigkeit aus: neben dem idealen Liebespaare figurirte ein zweites reales, und neben diesem sogar ein drittes derb komisches, welches natürlich in das Knappen- und Zofenfach fiel. In Betreff der poëtischen Diction und der Verse verfuhr ich mit fast absichtlicher Nachlässigkeit. Es kam mir keineswegs darauf an, meiner ehemaligen Tendenz auf Dichterruhm zu schmeicheln; ich war wirklich »Musiker« und »Componist« geworden, und wollte mir einen gehörigen »Operntext« machen, von welchem ich nun einsah, dass mir ihn niemand Anderes machen könnte, eben weil ein Operntext, als solcher ganz für sich, etwas besondres sei, was ein Dichter und Litterat gar nicht zu Stande bringen kann.

Mit dem Vorhaben, diesen Text zu componiren, verliess ich nun im Januar 1833 Leipzig, um für einige Zeit meinen damals in Würzburg beim Theater angestellten ältesten Bruder Albert zu besuchen. Es schien nämlich jetzt an der Zeit zu sein, dass ich mich für die praktische Verwerthung meiner musikalischen Fähigkeiten nach der nöthigen Gelegenheit zur Uebung derselben umsähe; dazu sollte mein Bruder bei dem kleineren Würzburger Theater mir die Hand bieten. Ich reiste mit der Post über Hof nach Bamberg, verweilte dort einige Tage in der Gesellschaft eines jungen Mannes, Namens Schunke, welcher aus einem Hornisten Schauspieler geworden war, lernte die Geschichte von Caspar Hauser, der damals noch grosses Aufsehen machte und welchen, wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht, man mir persönlich zeigte, mit grossem Interesse kennen; freute mich der originellen Tracht der Marktfrauen; erinnerte mich beziehungsvoll des Aufenthaltes Hoffmann's und der Entstehung seiner Phantasiestücke an diesem Orte, und fuhr frierend mit einem Hauderer nach Würzburg weiter. Mein Bruder Albert, der jetzt als eine ziemlich neue Erscheinung in mein Leben trat, suchte mich seinem nicht eben weit angelegten Hausstand erträglich einzufügen, freute sich mich nicht so verschroben zu finden, als er mich nach jenem Briefe, mit dem ich ihn vor einiger Zeit erschreckte, vermuthet hatte, und verschaffte mir vor allen Dingen eine ausnahmsweise Beschäftigung als Chordirektor beim Theater, für welche ich monatlich 10 Gulden erhielt. Der Rest des Winters wurde so für mich zu meinen ersten praktischen Uebungen im musikalischen Directionsfach angewendet: es galt in der noch kurzen Frist zwei grosse neue Opern, in welchen der Chor stark zu wirken hatte, nämlich Marschner's Vampyr und Meyerbeer's Robert der Teufel, einzustudieren. Ich fühlte mich zuerst als vollkommener Neuling im Beruf eines Chordirektors, und hatte mit einer mir gänzlich unbekannten Partitur, der Camilla von Paër, zu beginnen. Mir ist hiervon die Erinnerung verblieben, als ob ich mich mit etwas beschäftigt hätte, was mir gar nicht zukäme; ich fühlte mich recht eigentlich als Dillettant dabei. Bald interessirte mich jedoch die Marschner'sche Partitur genügend, um meine saure Arbeit mir lohnend erscheinen zu lassen. Ueber die Partitur des Robert war ich sehr enttäuscht: nach den Zeitungsberichten hatte ich mir ganz wunderbare Originalitäten und excentrische Neuheiten erwartet; nichts davon vermochte ich in dem durchsichtigen Werke aufzufinden, und eine Oper, in welcher ein Finale wie das des zweiten Aktes vorkam, konnte unmöglich von mir zu jenen Werken gerechnet werden, die irgend wie meinen geliebten Vorbildern anzureihen gewesen wären; nur die unterirdische Klapptrompete, als Geisterstimme der Mutter im letzten Akte, imponirte mir. Merkwürdig ist nun die Erfahrung von ästhetischer Demoralisation, in welche ich durch fortgesetzten nahen Umgang mit diesem Werke verfiel. Die ursprüngliche Abneigung gegen das flache, so höchst uninteressante und namentlich dem deutschen Musiker so unmittelbar anwidernde Werk, verlor sich wirklich allmählich hinter dem Interesse, welches ich am Gelingen der Darstellung zu nehmen mich genöthigt sah, bis ich endlich von den schalen, affectirten, allen modernen Manieren nachgeahmten Melodien nichts andres vernahm, als ihre Fähigkeit Beifall zu erzielen. Da es sich ausserdem um meine zukünftige Carrière als Musikdirektor handelte, schien in den Augen meines um mich besorgten Bruders dieser Mangel an klassischer Halsstarrigkeit mir vortheilhaft angerechnet zu werden; und es bereitete sich so der allmähliche, und einige Zeit andauernde Verfall meines klassischen Geschmackes vor. Doch ging es hiermit nicht so schnell, dass ich nicht zuvor noch Proben von meiner grossen Unerfahrenheit im leichtfertigen Styl abgelegt hätte. Mein Bruder wünschte in Bellini's » Straniera« eine Cavatine aus dessen Piraten einzulegen, wovon die Partitur nicht zu haben war; er übertrug es mir, ihm dieselbe zu instrumentiren. Aus dem Klavierauszug erkannte ich unmöglich die lärmend dicke Instrumentation der musikalisch so ausserordentlich dünnen Ritornelle und Zwischenspiele, und der Componist einer grossen C dur-Symphonie mit Schlussfuge konnte sich hier nicht anders als mit einigen in Terzen spielenden Flöten und Clarinetten helfen. Die Cavatine klang in der Orchesterprobe so äusserst leer und affektlos, dass mein Bruder, welcher auf diese Einlage verzichtete, mir bittre Vorwürfe wegen der verschwendeten Kopiekosten machte. Doch wusste ich Revanche zu nehmen: der Tenor-Arie des » Aubry« in Marschner's »Vampyr« fügte ich einen neuen Allegrosatz bei, zu welchem ich auch den Text machte. Meine Arbeit fiel dämonisch und effektvoll aus, trug Beifall des Publikums und ermunternde Anerkennung meines Bruders ein.

Im gleichen deutschen Style führte ich denn auch im Laufe dieses Jahres (1833) die Musik zu meinen » Feen« aus. Mein Bruder und dessen Frau verliessen nach Ostern Würzburg, um auswärtigen Einladungen nachzugehen, ich blieb mit den Kindern – drei jungen Mädchen in dem zartesten Alter – allein zurück, was mich in die wunderliche Lage eines verantwortlichen Erziehers setzte, in welcher ich mir um jene Zeit mich nicht sonderlich auszunehmen vermochte. Theils mit meiner Arbeit beschäftigt, theils von lustigem Umgang in Beschlag genommen, konnte es nicht ausbleiben dass ich die Pflege meiner Ziehkinder vernachlässigte. Unter meinen dortigen Freunden gewann Alexander Müller, als tüchtiger Musiker und Klavierspieler und glücklicher junger Lebemann, besondern Einfluss auf mich: namentlich imponirte mir seine wirklich grosse Fertigkeit im Improvisiren; er vermochte es, über gegebene Themen phantasirend, mich stundenlang zu fesseln. Mit ihm und andren Freunden, unter welchen Valentin Hamm durch seine groteske Figur, sein tüchtiges Geigenspiel und namentlich seine enorme Spanne auf dem Klavier (er griff mit einer Hand eine Duodecime) mir sehr unterhaltend war, machte ich oft Ausflüge in die Umgebung, wobei es in bayerischem Bier und fränkischem Wein lustig herging. Der »letzte Hieb«, ein auf anmuthiger Höhe gelegener öffentlicher Biergarten, ward fast allabendlich Zeuge meiner wilden, oft enthusiastischen Lustigkeit und Ausgelassenheit: nie kehrte ich in den warmen Sommernächten von dort zu meinen drei Pflegekindern zurück, ohne über Welt und Kunst in sonderbare Extase gerathen zu sein. – Eines bösen Streiches entsinne ich mich auch, der mir allezeit als ein schwarzer Flecken in der Empfindung geblieben ist. Unter meinen Genossen befand sich ein blonder, ungemein enthusiastischer Schwabe, Namens Fröhlich, mit welchem ich die Partitur der C-moll-Symphonie, von jedes eigener Hand geschrieben, ausgetauscht hatte. Dieser ausnehmend weiche, aber reizbare Gemüthsmensch, hatte einen gewissen André, dessen etwas maliciöse Physiognomie auch mir nicht sonderlich gefiel, in so heftige Abneigung gefasst, dass er behauptete, der Mensch verderbe ihm den Abend, wenn er ihn irgend wo antraf. Der unglückliche Gehasste legte es nichts desto weniger darauf an, häufig in unsre Nähe zu kommen: es entstanden Reibungen; immer wieder stellte sich jedoch André mit anscheinender Herausforderung ein. Eines Abends riss Fröhlich die Geduld. Nach einer beleidigenden Antwort suchte er ihn durch Stockschläge von unserm Tische zu vertreiben: es entstand eine Prügelei, an welcher Fröhlich's Freunde, allerdings von eigner Abneigung getrieben, sich betheiligen zu müssen glaubten. Die Prügelwuth ergriff auch mich: ich schlug mit den Andern auf das unglückliche Opfer unseres Hasses ein, und hörte einen Schlag, den ich selbst geführt, auf André's Schädel schallen, wobei ich auch den Blick des Erstaunten auf mich gerichtet wahrnahm. Ich trage die Erzählung dieses Vorfalls zur Büssung einer Schuld ab, welche unvergesslich als Vorwurf einer wahrhaft schmählichen That auf mir gelastet hat. Ich kann dieser traurigen Erinnerung nur diejenige aus meiner allerfrühesten Knabenzeit zur Seite stellen, welche sich an den schrecklichen Eindruck heftet, den das mühselige Ertränken junger Hunde, in einem flachen Teiche am Hause meines Onkels in Eisleben, auf mich hinterlassen hat. Da mich im Gegentheil stets ein fast überzärtliches Mitgefühl mit dem Schmerz Andrer, und namentlich auch der Thiere, von je oft in grosse Verlegenheit trieb, und mich im jüngsten Alter wiederholt mit einer sonderbaren Anwandlung von plötzlichem Lebensekel erfüllte, sind mir die bezeichneten Erinnerungen an jene übermüthigen oder gedankenlosen Handlungen desto lebhafter verblieben.

Um so unschuldiger ist meine Erinnerung an eine erste Liebschaft. Es war ganz natürlich, dass eine der jungen Choristinnen, welchen ich täglich ihre Stimmen einzustudiren hatte, meine Augen auf sich zu ziehen verstand. Therese Ringelmann, eines Todtengräbers Tochter, verführte mich durch ihre schöne Sopranstimme zu der Annahme, sie zur grossen Sängerin bilden zu müssen. Seitdem ich ihr hierüber Eröffnungen gemacht, kleidete sie sich in den Chorproben mit besondrer Aufmerksamkeit, und verstand es namentlich durch eine weisse Perlenschnur, welche sie sich durch das Haar wand, meine Phantasie in angenehme Aufregung zu versetzen. Als ich im Sommer allein zurück geblieben war, ertheilte ich Theresen regelmässigen Gesangsunterricht, nach einer mir bis jetzt noch unklar gebliebenen Methode. Auch besuchte ich sie öfter in ihrer Wohnung, wo ich den unheimlichen Vater zwar nie, wohl aber stets ihre Mutter und Schwester antraf. Wir begegneten uns ausserdem in öffentlichen Gärten; doch hielt mich stets eine nicht sehr liebevolle Scham davon zurück, mein Liebesverhältniss vor meinen Freunden einzugestehen. Ob hieran die bescheidene Familienstellung, die wirklich geringe Bildung Theresen's, oder mein eigener Zweifel an dem Ernst meiner Liebe Schuld war, kann ich nicht genau bestimmen; nur weiss ich, dass, als ernstlicher auf eine Erklärung meinerseits gedrungen wurde, und noch dazu eifersüchtiger Argwohn bei mir sich einstellte, das Verhältniss bald sich spurlos löste.

Ein innigeres Liebesverhältniss erzeugte sich zu Friederike Galvani, der Tochter eines Mechanikers, von sehr scharf ausgesprochener italienischer Abkunft. Sehr musikalisch und mit lieblicher, leicht bildsamer Stimme begabt, hatte sie mein Bruder unter seinen Schutz genommen und ihr zu einem Debut am Theater verholfen, in welchem sie sich glücklich bewährte. Sehr klein von Figur, aber mit grossen schwarzen Augen und zärtlichem Naturell, hatte sie bereits einen braven Musiker, den tüchtigen ersten Hoboëbläser des Orchesters, mit dauernder Liebe an sich gefesselt. Er galt als ihr Bräutigam: nur durfte er, aus Rücksichten für eine gewisse Vergangenheit aus seinem Leben, vor der beabsichtigten und immer noch weit sich hinausschiebenden Verheirathung, das Haus ihrer Eltern nicht betreten. Als der Herbst dieses Würzburger Jahres sich herannahte, wurde ich von mehreren Freunden, unter denen auch unser Hoboëbläser mit seiner Braut sich befand, zu einer ländlichen Hochzeit, einige Stunden von Würzburg, eingeladen. Dort ging es bäuerisch lustig her: es wurde getrunken und getanzt, wobei ich selbst versuchte mich meiner auf der Geige erlangten Fertigkeit zu erinnern, ohne jedoch die zweite Violine auch nur zu einiger Zufriedenheit meiner Mitmusiker zu Stande zu bringen. Desto grösser waren die Erfolge meiner Person bei der guten Friederike, mit welcher ich einige Male toll durch die Reihen der Bauern tanzte, bis die Gelegenheit es fügte, dass die allgemeine Erhitzung alle persönlichen Rücksichten auch für uns löste, und wir, während der offizielle Liebhaber zum Tanz aufspielte, uns unwillkürlich herzten und küssten. Dass der Bräutigam beim Gewahrwerden der zärtlichen Unbefangenheiten, welche Friederike mir zuwendete, sich traurig, aber nicht eigentlich verhindernd in sein Loos fügte, erweckte mir zum ersten Mal in meinem Leben ein schmeichelhaftes Selbstgefühl. Nie hatte ich nämlich Veranlassung gefunden, mich der eitlen Annahme hinzugeben, dass ich auf ein Mädchen einen vortheilhaften Eindruck zu machen vermöge. In Betreff meiner äussern Begabung, oder dass ich etwa gar hübsch sei, konnte ich nie zu der mindesten Illusion gelangen, und wirklich bemerkte ich auch nie, dass ich je die Blicke eines hübschen Mädchens auf mich gezogen hätte. Dagegen war mir allmählich ein gewisses Selbstvertrauen im Umgang mit männlichen Altersgenossen erwachsen: meine ungemeine Lebhaftigkeit und stets bereite Erregbarkeit gaben mir gegenüber von Allen, mit denen ich umging, ein endlich in mein Bewusstsein tretendes Gefühl von einer gewissen Kraft, meine trägeren Genossen hinzureissen oder zu betäuben. An meines armen Hoboisten still leidender Zurückhaltung beim Gewahrwerden der feurigen Annäherung seiner Versprochenen gegen mich, gewann ich, wie gesagt, nun auch die erste Empfindung davon, dass ich nicht nur unter Männern, sondern auch unter Frauen für etwas gelten mochte. Der fränkische Wein that das Seinige, eine immer steigende Verwirrung hervorzubringen, unter deren Schutze ich endlich mit Friederiken mich als offenbares Liebespaar aufführte. In spätester Nacht, bereits bei anbrechendem Tage, ging auf einem Leiterwagen die gemeinschaftliche Heimfahrt nach Würzburg vor sich: diese war der gemüthliche Triumph meines anmuthigen Abenteuers; während alle übrigen, auch endlich der sorgenvolle Hoboist, in den dämmernden Morgen hinein ihren Rausch ausschliefen, wachte ich, an Friederiken's Wange gelehnt, unter dem Gesange der Lerchen der aufgehenden Sonne entgegen.

An den darauf folgenden Tagen hatten wir kaum die Besinnung des Vorgefallenen. Eine nicht unanmuthige Beschämung hielt uns von einander zurück; jedoch gewann ich leicht den Zutritt zu ihrer Familie, und war von da an täglich gern gesehen, wenn ich auf einige Stunden in unverhohlenem zärtlichem Verkehr in demselben häuslichen Kreise verweilte, von welchem der unglückliche Bräutigam ausgeschlossen blieb. Nie wurde dieses letzte Verhältniss mit irgend einem Worte berührt, nie entstand bei Friederike auch nur annähernd der Gedanke, darin eine Aenderung herbeizuführen; keinem fiel es ein, dass ich etwa an des Bräutigam's Stelle treten solle. Die Zutraulichkeit, mit der ich von Allen, und am meisten von Friederike aufgenommen wurde, hatte ganz den Charakter eines Vorganges in der Natur, ungefähr wie wenn es Frühling wird, und nun der Winter aufhört; die Berechnung bürgerlicher Consequenzen fiel keinem Menschen ein, und hierin besteht das Freundliche und Schmeichelhafte dieses ersten jugendlichen Liebesverkehrs, welcher in keiner Weise in Bedenken und Sorge erweckende Annäherung ausartete. Diese Beziehungen endeten erst mit meinem Fortgang aus Würzburg, bei welchem es noch zu dem zärtlichsten, thränenreichsten Abschied kam. Längere Zeit hielt ich die Erinnerung hieran fest, ohne jedoch eine Correspondenz zu unterhalten. – Zwei Jahre später besuchte ich auf einer kurzen Durchreise wiederum Friederike: das arme Kind näherte sich mir in äusserster Beschämung. Ihr Hoboist war ihr treu geblieben; ohne jedoch noch die Heirath mit ihm ermöglichen zu können, war sie Mutter geworden. Dann habe ich nie wieder etwas von ihr erfahren. –

Unter all diesen Lebenserregungen arbeitete ich fleissig an meiner Oper. Die gute Laune hierzu war mir durch die liebevolle Theilnahme meiner Schwester Rosalie ermöglicht worden. Als mit dem Eintritte des Sommer-Halbjahres meine Einkünfte als Chordirektor aufhörten, übernahm es von Neuem die Schwester mich mit einem ausreichenden Taschengelde treulichst auszustatten, so dass ich, um nichts bekümmert und Niemand zur Last fallend, einzig der Vollendung meiner Arbeit mich hingeben konnte. Noch sehr spät habe ich einen längeren Brief von mir an Rosalie aus jener Zeit vorgefunden, welcher von einer zarten, fast schwärmerischen Liebe für dieses edle Wesen erfüllt war. – Als der Winter herannahte, mein Bruder zurückkehrte, und das Theater wieder begann, trat ich zwar nicht wieder in Beziehung zu diesem, that mich aber desto mehr in den Concerten der Musikgesellschaft heraus, in welchen ich meine grosse C-dur-Ouverture und Symphonie, sowie endlich auch Stücke aus der neuen Oper selbst zur Aufführung brachte. Eine Dilettantin mit vorzüglicher Stimme, Fräulein Friedel, sang die grosse Arie der Ada; und zudem kam ein Terzett zu Gehör, welches auf meinen Bruder, der darin mitsang, bei einer Stelle, wie er mir selbst gestand, zu seiner Ueberraschung eine so ergreifende Wirkung machte, dass er darüber seinen Einsatz verfehlte.

Zu Weihnachten war mein Werk vollendet, meine Partitur mit rühmlichster Sauberkeit fertig geschrieben, und nun sollte ich mit Neujahr nach Leipzig zurückreisen, um dort meine Oper zur Annahme von Seiten des Theaters zu bringen. Ich besuchte auf der Rückreise Nürnberg, wo ich mich bei meiner Schwester Clara und deren Manne, welche beim dortigen Theater engagirt waren, acht Tage aufhielt. Ich entsinne mich des angenehmen Behagens dieses heiteren Besuches bei denselben Verwandten, welche vor wenigen Jahren, da ich mich in Magdeburg bei ihnen aufhielt, noch in Sorge über meinen Entschluss, mich der Musik zuzuwenden, gerathen waren. Jetzt war ich wirklich Musiker geworden, hatte eine grosse Oper geschrieben, manches bereits, ohne durchzufallen, aufgeführt: die Empfindung hiervon that mir wohl, und schmeichelte nicht minder meinen guten Verwandten, welche nun doch sahen, dass das vermeintliche Unglück mit mir am Ende zu etwas geführt hatte. Ich war lustig und ausgelassen, wie es nicht nur das gesellige Haus meines Schwagers, sondern auch das gemüthliche Wirthshausleben Nürnberg's sehr erleichterten. In ungemein zuversichtlicher und heitrer Stimmung kehrte ich nach Leipzig zurück, wo ich nun meiner hochbefriedigten Mutter und meiner innig erfreuten Schwester die drei kräftigen Bände meiner Partitur vorlegen konnte.

Meine Familie hatte sich durch die Rückkehr meines Bruders Julius von langer Wanderschaft bereichert. Er hatte längere Zeit in Paris als Goldschmied gearbeitet, und sollte sich nun in Leipzig als solcher etabliren; auch er war, mit den Uebrigen, gespannt etwas von meiner Oper zu hören, was allerdings seine Schwierigkeit hatte, da mir die Gabe so etwas leicht verständlich vorzuspielen abging, und ich nur durch volle Extase mich in den Zustand zu bringen wusste, wo es mir möglich war mit einigem Eindruck etwas zum Besten zu geben. Rosalie wusste, dass ich es auf eine Art von Liebeserklärung ihrerseits abgesehen hatte: ich bin mir nicht klar darüber geworden, ob die Umarmung und der schwesterliche Kuss, die meine grosse Arie Ada's, nachdem ich sie vorgesungen, lohnten, aus wirklicher Ergriffenheit oder mehr aus liebevoller Rücksicht mir gespendet wurden. Unverkennbar war dagegen der Eifer, mit welchem sie sich bei dem Direktor des Theaters, Ringelhardt, dem Kapellmeister und Regisseur für meine Oper in der Weise verwandte, dass sie Zusage der Aufführung derselben, und zwar in Bälde, erhielt. Mich interessirte es namentlich zu erfahren, dass die Direktion sich über das Costüm meines Drama's sofort eifrig in's Klare zu setzen suchte: ich war erstaunt zu hören, dass dieses »orientalisch« ausfallen sollte, während ich durch die Wahl meiner Namen genau den nordischen Charakter desselben bezeichnet zu haben glaubte: aber eben diese Namen fand man unzweckmässig, da es Feensujets nicht im Norden, sondern nur im Orient gäbe, wie denn auch unverkennbar das Gozzi'sche Original den orientalischen Charakter trage. Mit höchster Entrüstung kämpfte ich gegen das unausstehliche Turban- und Kaftan-Costüm, und reclamirte energisch die Rittertracht des allerentferntesten Mittelalters. – Jetzt galt es mit dem Kapellmeister Stegmayer mich über die Partitur genau zu verständigen. Dieser wunderlich kleine und dicke Mensch, mit blondem Krauskopf und ausserordentlich lebenslustigem Naturell, war schwer zum Stichhalten zu bringen. Im Weinkeller glückte uns das Verständniss überraschend schnell; sobald wir uns jedoch an's Klavier setzten, hatte ich die sonderbarsten Einwendungen anzuhören, über deren Tendenz ich mir lange unklar blieb. Da sich durch dieses Hin- und Herziehen die Sache sehr verzog, setzte ich mit dem Regisseur der Oper, dem in Leipzig damals sehr beliebten Sänger und Kunstfreund Hauser, mich in nähere Verbindung. Mit diesem machte ich nun die wunderlichsten Erfahrungen: der Mann, der das Leipziger Publikum namentlich als »Barbier« und »Engländer« in Fra Diavolo, für sich gewonnen hatte, zeigte sich mir in seinem Hause plötzlich als fanatischer Anhänger der allerältesten Musik. Mit Staunen hörte ich die kaum verhohlene Geringschätzung, mit welcher selbst Mozart von ihm behandelt wurde, dagegen ihm einzig bedauerlich erschien dass wir von Sebastian Bach keine Opern hätten. Nachdem er mir auseinandergesetzt, dass dramatische Musik noch gar nicht geschrieben worden sei, und eigentlich nur Gluck Beruf dazu gezeigt habe, ging es an eine gewissenhaft erscheinende Vornahme meiner eigenen Oper, über die ich eigentlich nur sein Zeugniss für die Aufführbarkeit derselben haben wollte, statt dessen es ihm daran gelegen war, mir an jeder Nummer das Verfehlte meiner »Richtung« nachzuweisen: ich schwitzte Blut unter der unerhörten Qual, mit diesem Mann meine Arbeit durchzugehen. Meine grosse Niedergeschlagenheit theilte ich der Mutter und Schwester mit. Alle Verzögerungen hatten bereits dazu gedient, die Aufführung meiner Oper in der ursprünglich festgesetzten Zeit unmöglich zu machen; jetzt wurde sie auf den August des laufenden Jahres (1834), hinausgeschoben.

Eine unvergessliche Erfahrung machte mir neuen Muth. Der alte Bierey, ein erfahrener tüchtiger Musiker, und seiner Zeit selbst erfolgreicher Componist, der namentlich durch seine lange Leitung des Breslauer Theaters einen vorzüglich praktischen Blick gewonnen hatte, lebte damals, in guter Bekanntschaft auch mit meiner Familie, in Leipzig. Mutter und Schwester baten ihn, doch auch sein Urtheil über die Ausführbarkeit meiner Oper abzugeben, und stellten ihm deshalb die Partitur derselben zu. Wie sehr ergriff und erschütterte es mich nun, diesen alten Herrn eines Tages unter die Meinigen treten zu sehen, und ihn mit wirklicher Aufgeregtheit versichern zu hören, wie er es rein unbegreiflich finde, dass ein so junger Mann, wie ich, eine solche Partitur, wie diese, geschrieben habe. Seine Aussagen über die von ihm erkannte Grösse meines Talents waren wirklich hinreissend, und setzten mich in wahrhaftes Erstaunen. Da er zugleich auf die Frage, ob er das Werk für praktisch ausführbar und wirkungsvoll hielte, sein einziges Bedauern versicherte, nicht mehr selbst an der Spitze eines Theaters zu stehen, weil er dann sofort es für sein grösstes Glück halten würde, einen Menschen wie mich für seine Unternehmung dauernd zu gewinnen, kehrte eine wirklich segenvolle Stimmung bei den Meinigen ein, welche einen um so gewichtigeren Grund hatte, als Alle den alten Bierey keineswegs als einen gemüthlichen Fasler, sondern als einen durch viele Lebenserfahrungen ziemlich trocken geriebenen Praktikus kannten. –

Die Verzögerung wurde nun mit guter Laune ertragen, und ich durfte mich eine Zeit lang hoffnungsvoll den Erwartungen der Zukunft hingeben. Unter diesen genoss ich auch den neu aufgenommenen Umgang mit Laube, welcher jetzt trotzdem ich seinen »Kocziusko« nicht componirt hatte, im Zenith seines Ruhmes stand. Der erste Teil seines Romanes in Briefen » das junge Europa« war erschienen, und wirkte auf mich, im Verein mit allem jugendlich Hoffnungsvollen, was damals in mir lebte, äusserst anregend. In seiner Tendenz innerlichst eigentlich wohl nur eine Reproduction des Ardinghello von Heinse, war doch das damals in jungen Geistern sprudelnde Element zum fliessenden Ausdruck gebracht. Die Hauptstimmung dieser Richtung verfolgte sich eigentlich in der litterarischen Kritik, welche sich hauptsächlich gegen die vermeintliche oder wirkliche Impotenz der halb klassischen Inhaber unsrer verschiedenen litterarischen Throne wendete. Ohne die mindeste Schonung wurden die »Zöpfe«, unter welche man unter andren auch Tieck rechnete, als reine Belästigungen und Hindernisse für das Aufkommen einer neuen Litteratur behandelt. Was mich zu einer auffallenden Wendung auch in meinem Urtheil gegen sonst mit Hochachtung und Verehrung angesehene deutsche Componisten stimmte, war zum Theil der Einfluss dieser so einladend keck sich ausnehmenden kritischen Plänkeleien, hauptsächlich aber der Eindruck eines neuen Gastspiels der Schröder-Devrient in Leipzig, welche durch ihre Darstellung des » Romeo« in Bellini's »Romeo und Julie«, Alles mit sich fortriss. Die Wirkung hiervon war aber auch mit gar nichts zuvor Erlebtem zu vergleichen. Das kühne seelenvolle Bild des jugendlichen Liebes-Helden auf dem Grunde einer so offenbar seichten und leeren Musik dargestellt zu sehen, forderte jedenfalls zu einem bedenklichen Nachsinnen über die Ursachen der grossen Wirkungslosigkeit der gediegenen deutschen Musik, wie sie bisher auf das dramatische Genre angewandt war, heraus. Ohne mich für jetzt in dieses Nachsinnen zu tief zu verlieren, folgte ich steuerlos dem Strome meiner heiss erregten Jugendempfindungen, und neigte mich unwillkürlich zum Abwenden von allem grübelnden Ernste, der mich in meinem früheren Alter zu einem so pathetischen Mysticismus gestimmt hatte. Was Polenz durch seine Direktion der 9. Symphonie, was das Wiener Conservatorium, Dionys Weber, und mancherlei andre stümperhafte Eindrücke, durch welche mir die klassische Musik in Wahrheit eindruckslos vorgeführt worden war, noch nicht vollständig erreicht hatten, gelang dieser unbegreiflichen Wirkung der unklassischsten, italienischsten Musik durch die wunderbar zündende und entzückende Darstellung des »Romeo« durch die Schröder-Devrient. Welchen Einfluss solche mächtige und ihren Ursachen nach mir unbegreifliche Wirkungen auf mein Urtheil übten, zeigte sich in der frivolen Weise, mit welcher es mir möglich ward über Weber's »Euryanthe« eine kurze Rezension für die »elegante Zeitung« abzugeben. Diese Oper war kurz vor dem neuen Auftreten der Schröder-Devrient vom Leipziger Personal gegeben worden; kalte und matte Sänger, von denen mir namentlich die Darstellerin der Euryanthe, mit den damals modernen Reifärmeln in der Wildniss erscheinend, unerquicklich im Gedächtniss ist, hatten mühsam und ohne Liebe, blos zur Befriedigung klassischer Anforderungen zu Werke gehend, ihr möglichstes gethan, auch meine schwärmerischen Jugendeindrücke selbst von Weber'scher Musik zu verdrängen. Ich wusste nicht, was ich einem Gesinnungsgenossen Laube's, als er mich auf das Gequälte dieser Opernvorstellung hinwies, erwidern sollte, sobald es ihm möglich war im Gegensatz hierzu endlich den hinreissenden Eindruck jenes Romeo-Abends anzuführen. Ich befand mich hier vor einem Problem, dessen Lösung ich eben damals gesonnen war mir so leicht wie möglich zu machen, und bewies meinen Muth, mit jedem Vorurtheil zu brechen, kühnlich durch jene so eben erwähnte kurze Rezension in welcher ich die » Euryanthe« geradewegs verhöhnte. – War ich mit meiner Studentenzeit in meine menschlichen Flegeljahre getreten, so beschritt ich nun kühn dieselbe Bahn auch in meiner künstlerischen Geschmacksentwickelung.

Es war Mai, schönes Frühlingswetter, und eine Vergnügungsreise die ich jetzt mit einem Freunde in das gelobte Land meiner Jugendromantik, Böhmen, vornahm, sollte die ausgelassene jungeuropäische Stimmung zur rechten Blüthe bringen. – Dieser Freund war Theodor Apel. Seit lange kannte ich ihn, und fühlte mich von je besonders geschmeichelt durch den Gewinn seiner herzlichen Zuneigung, da ich ihm als dem Sohne des geistvollen Metrikers und Nachdichters griechischer Dichtungsarten, August Apel, diejenige achtungsvolle Vorliebe entgegentrug, die mir hier zum ersten Mal der Abkömmling eines berühmten Mannes abgewann. Vermögend und in angesehenen Familienverhältnissen, bot mir sein Umgang ausserdem die in meinem Leben nicht häufig vorkommenden Punkte der Berührung mit dem höheren bürgerlichen Comfort: während meine Mutter, zum Beispiel, diesen Umgang der hochgeachteten Familie sehr gern sah, fühlte ich mich wiederum geschmeichelt durch das Innewerden der herzlichen Wärme, mit welcher ich in solchen Kreisen aufgenommen ward. Apel wünschte nun sehnlich Dichter zu werden, und ich nahm nicht anders an als dass er alles hierzu habe, wozu ich namentlich die volle Freiheit rechnete, welche ihm sein bedeutender Vermögensstand gestattete, da er ihn von jeder Nöthigung zum Broderwerb, somit zum Betrieb von Brodwissenschaften, befreit hielt. Sonderbarer Weise war seine Mutter, die an einen Leipziger Juristen wiederverheirathete Wittwe des bedeutenden Vaters meines Freundes, grade in diesem Punkte sehr ängstlich, und wünschte ihrem Sohne eine tüchtige Carrière als Jurist, da sie von seiner dichterischen Begabung durchaus keine vortheilhafte Meinung zu hegen sich angelegen sein liess. Es zog mir die besondre freundschaftliche Annäherung der Dame zu, dass sie hierüber mich zu ihrer Ansicht zu bekehren suchte, um meinen intimen Einfluss auf den Freund zur Abwendung des Familienunglücks, nochmals auch in dem Sohne einen Dichter zu haben, verwendet zu wissen. Diese Zumuthung reizte mich mehr, als meine eigne vortheilhafte Meinung von seinem Talente es gethan haben würde, den Freund in der Wahl des Dichterberufs zu bekräftigen, und somit ihn in aufrührerischer Stimmung gegen seine Familie zu unterhalten. Er liess sich das gefallen. Da er auch Musik studirte, und ganz hübsch componirte, gelang es mir mich mit ihm in grosse Uebereinstimmung zu setzen. Der Umstand, dass er gerade das Jahr, in welchem ich in den Abgrund der Studententhorheit versank, in Heidelberg, und nicht in Leipzig seine Studien machte, erhielt ihn von der Theilnahme an diesen meinen sonderbaren Ausschweifungen unberührt, und als wir uns jetzt im Frühlinge des Jahres 1834 in Leipzig wiedertrafen, hatte sich für unsren Umgang nur die eigentliche ästhetische Lebenstendenz aufgespart, welcher wir jetzt auch nach der Seite des Lebensgenusses hin versuchsweise eine Bedeutung zu geben strebten. Gerne hätten wir uns auf geniale Abenteuer gestürzt, wenn sie nur der Umkreis unsrer Lebensverhältnisse und der ganzen bürgerlichen Welt, welche vor uns lag, einigermaassen ermöglicht hätten. Bei aller Gespanntheit unsres Lebenstriebes brachten wir es doch nicht weiter als bis zu dem Entwurf jenes Reiseplanes nach Böhmen. Immerhin galt es schon etwas, dass wir diese Reise nicht mit Post, sondern im eignen Wagen machten, und fortgesetzt bestand unser eigentlicher Genuss darin, dass wir, zum Beispiel in Teplitz, wo wir uns mehrere Wochen aufhielten, täglich in einem schönen Wagen, grössere Spazierfahrten machten. Wenn wir so auf der »Wilhelmsburg« Forellen zum Abend gegessen, und guten Czernoseker Wein mit Biliner Wasser getrunken, dazu uns über Hoffmann, Beethoven, Shakespeare, Ardinghello von Heinse und manches Andre, gehörig erhitzt hatten, und nun in der dämmernden Sommernacht, in unsrem eleganten Wagen behaglich ausgestreckt, in den »König von Preussen« zurückfuhren, wo wir im ersten Stock das grosse Balkon-Zimmer bewohnten, glaubten wir den Tag als junge Götter verlebt zu haben, und wussten vor Uebermuth nichts besseres zu thun, als uns fürchterlich zu zanken, was, namentlich wenn es bei offnen Fenstern geschah, oft ängstliche Zuhörer auf dem Platz vor dem Gasthof versammelte.

An einigen schönen Morgen stahl ich mich von meinem Freunde fort, um mein Frühstück einsam auf der »Schlackenburg« zu nehmen, und bei dieser Gelegenheit den Entwurf zu einem neuen Operngedicht in mein Taschenbuch aufzuzeichnen. Ich hatte mich hierzu des Sujets von Shakespeare's » Maass für Maass« bemächtigt, welches ich, meiner jetzigen Stimmung angemessen, in sehr freier Weise mir zu einem Opernbuch, dem ich den Titel: das » Liebesverbot« gab, umgestaltete. Das junge Europa und Ardinghello, geschärft durch meine sonderbare Stimmung in welche ich gegen die klassische Opernmusik gerathen war, gaben mir den Grundton für meine Auffassung, welche besonders gegen die puritanische Heuchelei gerichtet war, und somit zur kühnen Verherrlichung der »freien Sinnlichkeit« führte. Das ernste Shakespear'sche Sujet gab ich mir Mühe durchaus nur in diesem Sinne zu verstehen; ich sah nur den finstern, sittenstrengen Statthalter, selbst von furchtbar leidenschaftlicher Liebe zu der schönen Novize entbrennend, welche, indem sie ihn um Begnadigung ihres wegen eines Liebesvergehens zum Tode verurtheilten Bruders anfleht, durch Mittheilung der schönen Wärme ihres menschlichen Gefühls in dem starren Puritaner die verderblichste Gluth entzündet. Dass diese mächtigen Motive im Shakespeareschen Stücke nur so reich entwickelt sind, um desto gewichtiger endlich auf der Wagschale der Gerechtigkeit gewogen zu werden, taugte mir durchaus nicht zu beachten; es lag mir nur daran, das Sündhafte der Heuchelei und das Unnatürliche der grausamen Sittenrichterei aufzudecken. Somit liess ich das »Maass für Maass« gänzlich fallen, und den Heuchler durch die sich rächende Liebe allein zur Strafe ziehen. Aus dem fabelhaften Wien verlegte ich das Sujet nach der Hauptstadt des glühenden Siziliens, in welcher ein deutscher Statthalter, über die ihm unbegreiflich freien Sitten der Bevölkerung empört, zu dem Versuch der Durchführung einer puritanischen Reform schreitet, in welchem er kläglich erliegt. Vermuthlich half die Stumme von Portici einigermaassen hierbei; auch Erinnerungen an die »Sizilianische Vesper« mögen mitgewirkt haben: wenn ich bedenke, dass endlich auch selbst der sanfte Sizilianer Bellini unter den Faktoren dieser Composition mitzählt, so muss ich allerdings über das sonderbare Quid-proquo lächeln, zu welchem sich hier die eigenthümlichsten Missverständnisse gestalteten.

Diess blieb für jetzt Entwurf. Lebendige Studien zu meinem Werke sollten zuerst noch auf diesem glücklichen Ausflug nach Böhmen angestellt werden. Ich führte meinen Freund im Triumph nach Prag, um ihm die gleichen Eindrücke zu verschaffen, die mich selbst so lebhaft dort berührt hatten. Wir trafen meine schönen Freundinnen in Prag selbst an, da durch den Tod des alten Grafen Pachta sich wesentliche Veränderungen in der Familie zugetragen hatten, und Pravonin nicht mehr von den hinterlassenen Töchtern besucht ward. Mein Benehmen war Uebermuth und Ausgelassenheit, in welchen sich die bittren Empfindungen, mit denen ich damals aus diesem Kreise schied, als launige Rachsucht aussprachen. Mein Freund fand gute Aufnahme. Die veränderten Familienverhältnisse drängten die liebenswürdigen Mädchen immer bestimmter zu einer Entscheidung in Betreff ihrer zukünftigen Stellung, und ein reicher Bürgerlicher, wenn er nur nicht gerade Kaufmann war, sondern von angestammtem Vermögen, schien der sorglichen Mutter immerhin ein gutes Auskunftsmittel. Ohne irgend welche Bosheit dabei weder zu zeigen, noch zu empfinden, äusserte ich mein Behagen an den seltsamen Verwirrungen, welche Theodor's Einführung in diese Familie verursachte, in den lustigsten und tollsten Streichen, aus denen einzig mein Umgang mit den jungen Damen bestand. Sie konnten nicht begreifen mich so auffallend verändert zu finden: da war keine Streitsucht, keine Belehrungswuth, kein Bekehrungseifer, nichts von alledem was früher ihnen so lästig fiel, an mir mehr wahr zu nehmen; aber auch kein vernünftiges Wort war mehr aus mir herauszubringen, und sie, die gegenwärtig geneigt waren manches ernstlich mit mir zu besprechen, erhielten nichts als die tollsten Possen von mir zur Antwort. Da ich bei dieser Gelegenheit als ausgelassener Vogel mir auch ungescheut manche Kühnheit erlaubte, gegen welche man sich ohnmächtig fühlte, reizte es meine übermütige Laune nun noch mehr, als mein Freund, durch mein Benehmen hingerissen, mich nachzuahmen versuchte, was ihm aber übel vermerkt wurde. Nur einmal kam es zu einer ernsteren Annäherung; ich sass am Klavier, und hörte zu, wie mein Freund den Damen erzählte, dass ich bei einem Gasthofgespräch Veranlassung gefunden hätte, mich gegen Jemand, der sich über diese Auskunft verwundert zeigte, in Betreff der häuslichen und tüchtigen Eigenschaften meiner Freundinnen auf das wärmste auszusprechen. Es ergriff mich nun ungemein, an dem Erfolg dieser Mittheilung wahrzunehmen, welch' üble Erfahrungen die Aermsten bereits zu machen genöthigt waren, da dieser mir so sehr natürlich dünkende Zug meines Benehmens sie wie ein ganz unerwartetes Glück rührte. Jenny kam nämlich auf mich zu, umarmte und küsste mich mit grosser Wärme. Das Recht, mich fortan ausgesucht ungezogen zu benehmen, war mir nun unbestritten zuerkannt, und selbst auf Jenny's warmen Erguss antwortete ich nur durch Spässe und Thorheiten. – In unsrem Gasthofe, dem damals so berühmten » schwarzen Ross«, hatte sich das Feld gefunden, auf welchem ich die im Pachta'schen Hause noch nicht ermüdete übermüthige Laune vollends bis zur Ausgelassenheit trieb. Aus den zufälligsten Elementen der Tisch- und Reisegäste wussten wir uns einen Anhang zu gewinnen, der bis tief in die Nacht hinein sich von uns zu den unglaublichsten Thorheiten hinreissen liess, wozu mich namentlich die Person eines sehr ängstlichen, gern aber verwegen erscheinen wollenden, ungemein kleinen Kaufmanns aus Frankfurt an der Oder anreizte, wohl schon des merkwürdigen Falles wegen, mit einem Menschen zusammen zu treffen, der eben in Frankfurt »an der Oder« zu Haus war. Wer da weiss, wie es damals in Oestreich beschaffen war, wird sich einen Begriff von meiner Ausgelassenheit machen können, wenn ich berichte, dass ich es eines Mals dahin brachte, unser Convivium im Gastsaale laut die » Marseillaise« in die Nacht hinein brüllen zu lassen. Dass ich, nach dieser Heldenthat, beim Auskleiden dann auf den äusseren Mauernsimsen von einem Fenster zum andern des zweiten Stockes kletterte, erschien natürlich denjenigen entsetzlich, die meine in frühester Knabenzeit ausgebildete Neigung zu akrobatischen Uebungen nicht kannten. Hatte ich unerschrocken solchen Gefahren mich ausgesetzt, so ernüchterte mich doch aber andern Morgens eine Citation auf die Polizei, da mir die Marseillaise sehr bedenklich in das Gedächtniss zurückkehrte. Auf dem Bureau durch ein sonderbares Missverständniss lange Zeit aufgehalten, schien endlich aber für den zum Vernehmen mit mir beauftragten Commissair die Zeit zu einem ernstlichen Verhör zu kurz geworden zu sein, und ich wurde, zu meiner grossen Beruhigung, nach einigen unbedeutenden Fragen nach der gewünschten Dauer meines Aufenthaltes, entlassen. Doch hielten wir es nun für räthlich, uns nicht häufig mehr den Verführungen zu ausgelassenen Streichen unter den Flügeln des Doppeladlers hinzugeben. Auf einigen Umwegen, zu denen uns die unersättliche Begierde nach Abenteuern trieb, welche in Wahrheit immer nur in unsrer Phantasie zu Stande kamen, und äusserlich sich als sehr bescheidene Reiseunterhaltungen ausnahmen, gelangten wir endlich nach Leipzig zurück. – Und mit dieser Heimkehr schliesst sich sehr bestimmt die eigentliche heitere Jugendperiode meines Lebens ab. War ich auch bis dahin nicht von ernstlichen Verirrungen und leidenschaftlichen Erregungen je frei geblieben, so trat doch erst nun die Sorge in mein Leben.

Meine Familie hatte angelegentlich auf meine Zurückkunft gewartet, um mir zu melden, dass mir die Musikdirektorstelle bei der Magdeburger Theatergesellschaft angetragen sei. Diese Gesellschaft befand sich im gegenwärtigen Sommermonat zu Gastvorstellungen in dem Bade Lauchstädt; der Direktor derselben konnte mit einem unfähigen Musikdirektor, den man ihm zugewiesen, nicht auskommen, und hatte sich in seiner Noth nach Leipzig gewandt, um dort einen schleunigen Ersatz zu erlangen. Kapellmeister Stegmayer, der nicht Lust hatte in der heissen Sommerzeit die Partitur meiner »Feen«, wie mir versprochen war, einzustudiren, empfahl mich eifrigst zu der Musikdirektorstelle, und wusste auf diese Weise wirklich den sehr störenden Quälgeist sich vom Halse zu schaffen. Denn wünschte ich einerseits wohl gern, frei und ungebunden mich dem Strome der Kunstabenteuer überlassen zu können, so war doch auch der Trieb zur Selbständigkeit, wie sie nur durch eignen Lebenserwerb möglich war, durch den Stand meiner Verhältnisse stark in mir gekräftigt worden. Eine Ahnung sagte mir aber, dass eine solide Grundlage zur Befriedigung dieses Triebes grade in Lauchstädt nicht zu gewinnen sein möchte; auch fiel es mir schwer, so gutmüthig der der Aufführung meiner »Feen« gestellten Falle behülflich sein zu sollen. Ich entschloss mich daher nur zu einem vorläufigen Besuch in Lauchstädt, um mir die Sache anzusehen.

Dieser kleine Badeort hatte zur Zeit Göthes und Schiller's eine höchst rühmliche Bedeutung gewonnen; das aus Holz errichtete Theater war nach Göthe's Plan ausgeführt; dort hatte die erste Aufführung der »Braut von Messina« stattgefunden. Obwohl ich mir dies alles sagte, machte der Ort doch einen sehr bedenklichen Eindruck auf mich. Ich erkundigte mich nach dem Hause des Theaterdirektors; dieser war ausgegangen: ein kleiner schmutziger Junge, sein Sohn, sollte mich nach dem Theater führen um »Papa« aufzusuchen. Doch schon unterwegs begegnete er uns, ein ältlicher Mann im Schlafrock und eine Mütze auf dem Kopf. Seine Freude, mich zu begrüssen, unterbrach er durch Klagen über grosse Ueblichkeit, gegen welche ihn sein Sohn mit einem Schnaps aus der nahe gelegenen Bude versorgen sollte, wozu er ihm mit einiger auf mich berechneten Ostentation einen wirklichen Silbergroschen in die Hand drückte. Dieser Direktor war Heinrich Bethmann, der Wittwer der berühmten Schauspielerin Bethmann, welche, noch der schönen Periode des deutschen Schauspiels angehörend, namentlich die Gunst des König's von Preussen so dauernd gewonnen hatte, dass diese sich noch lange Zeit über ihren Tod hinaus selbst auf ihren Gatten fortgesetzt erstreckte. Bethmann bezog stets eine gute Pension von Seiten des preussischen Hofes, und genoss andauernd die Protektion desselben, ohne diese Gunst durch sein abenteuerliches und unsolides Wesen je gänzlich verscherzen zu können. Gegenwärtig war er durch anhaltendes Theaterdirektionsführen bereits auf das tiefste heruntergekommen; seine Sprache und Manieren zeigten die süssliche Vornehmheit einer vergangenen Zeit, während alles was er that und was ihn umgab den unwürdigsten Verfall bezeugte. Er führte mich in sein Haus zurück, wo er mich der »Frau Direktorin« vorstellte, welche, an einem Fusse gelähmt, auf einem sonderbaren Canapé lag, während ein älterer Bassist, über dessen zu grosse Anhänglichkeit Bethmann sich ohne alle Umstände gegen mich beklagte, an ihrer Seite seine Pfeife rauchte. Von da führte mich der Direktor zu seinem Regisseur, welcher in dem gleichen Hause wohnte. Diesem, welcher so eben in Berathungen mit dem Theaterdiener, einem zahnlosen alten Gerippe, über das Repertoir begriffen war, überliess er mich zur Abmachung alles Nöthigen, worüber Herr Schmale, der Regisseur, achselzuckend lächelte, indem er mir betheuerte, das wäre so die Art des Direktors, ihm alles auf den Hals zu schicken und sich um nichts zu bekümmern: da sitze er nun und berathe sich mit Kröge schon seit einer Stunde, was nächsten Sonntag herauszubringen sein könnte; er hätte gut Don Juan anzusetzen, wie aber eine Probe zu Stande bringen, da die Merseburger Stadtmusiker, welche das Orchester bildeten, Sonnabend nicht zur Probe herüber kommen wollten? Dabei langte Schmale beständig durch das offene Fenster nach dem Zweige eines Kirschbaumes, von welchem er sich pflückte, in einem fort ass und die Kerne mit ungemeinem Geräusch ausspuckte. Besonders dieses letzte wirkte auf mich entscheidend, da ich sonderbarer Weise eine angeborne Abneigung gegen Obst habe. Ich erklärte dem Regisseur dass er wegen des Don Juan am Sonntag sich gar nicht zu bemühen habe, da ich meinerseits, falls man auf mein Debüt bei dieser Vorstellung gerechnet hätte, dem Direktor jedenfalls auch einen Strich durch die Rechnung machen müsste, indem ich nothgedrungen sofort noch einmal nach Leipzig zurück kehren müsste, um dort meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Diese höfliche Wendung meines gänzlichen Abschlages der Anstellung, welchen ich sofort bei mir beschlossen hatte, nöthigte mich noch zu einiger Verstellung, durch welche ich in die Lage gerieth mich in Lauchstädt noch um einiges zu bekümmern, was bei meinem Entschlusse, nicht wieder zurückzukehren, an sich ganz unnöthig war. Man erbot sich mir beim Aufsuchen einer Wohnung behülflich zu sein, und ein junger Schauspieler, den ich zufällig von Würzburg her kannte, übernahm es, hierzu mein Führer zu sein. Er sagte mir, indem er mich nach der ihm bekannten besten Wohnung führe, werde er mir zugleich die Annehmlichkeit verschaffen, mich zum Hausgenossen des hübschesten und liebenswürdigsten Mädchens, welches gegenwärtig in Lauchstädt anzutreffen, zu machen: dies sei die erste Liebhaberin der Gesellschaft, Fräulein Minna Planer, von welcher ich gewiss schon gehört haben würde.

Der Zufall fügte es dass schon unter der Thüre des bewussten Hauses uns die Verheissene entgegentrat. Ihre Erscheinung und Haltung stand in dem auffallendsten Gegensatze zu all den unangenehmen Eindrücken des Theaters, welche ich so eben an diesem verhängnissvollen Morgen empfangen: von sehr anmuthigem und frischem Aeussern, zeichnete die junge Schauspielerin sich durch eine grosse Gemessenheit und ernste Sicherheit der Bewegung und des Benehmens aus, welche der Freundlichkeit des Gesichtsausdruckes eine angenehm fesselnde Würde gaben; die sorgsam saubre und decente Kleidung vollendete den überraschenden Eindruck der sehr unerwarteten Begegnung. Nachdem ich ihr im Hausflur als der neue Musikdirektor vorgestellt war, und sie überrascht den für diesen Titel so jugendlichen Ankömmling gemessen hatte, empfahl sie mich der Hauswirthin freundlich zur guten Unterkunft, und ging mit stolz ruhigem Schritte über die Strasse dahin in die Theaterprobe. Auf der Stelle miethete ich die Wohnung, sagte für Sonntag Don Juan zu, bereute sehr mein Gepäck von Leipzig nicht mitgebracht zu haben, und beeilte mich schleunigst dahin zurückzukehren, um noch schleuniger wieder nach Lauchstädt zu kommen.

Das Loos war geworfen. Der Ernst des Lebens trat sogleich in bedeutungsvollen Erfahrungen mir entgegen. In Leipzig hatte ich von Laube einen bedenklichen Abschied zu nehmen; er war auf die Reclamation Preussens von Sachsen ausgewiesen worden, und ahnte welche Bedeutung diesem Vorgehen beizulegen sei. Die Zeit der unverhüllten Reaction gegen die liberalen Bewegungen der ersten dreissiger Jahre war eingetreten: dass Laube bei keinerlei politischer Aktion betheiligt war, sondern lediglich einer immer mehr nur auf ästhetische Zwecke gerichteten litterarischen Thätigkeit sich hingegeben hatte, liess uns zunächst die polizeiliche Maassregel ganz unbegreiflich erscheinen. Die widerwärtige Zweideutigkeit, mit welcher ihm von den Leipziger Behörden auf alle Anfragen wegen des Grundes seiner Ausweisung geantwortet wurde, erfüllte ihn bald mit starkem Argwohn gegen das was man mit ihm vorhatte. Da Leipzig für das Feld seiner litterarischen Thätigkeit ihm ein unersetzlich kostbarer Boden war, kam es ihm viel darauf an, sich in dessen Nähe zu erhalten. Mein Freund Apel besass ein schönes Rittergut wenige Stunden von Leipzig auf preussischem Boden; wir fassten den Wunsch, Laube dort gastfreundlich geborgen zu sehen; mein Freund, in dessen Macht es lag, ohne der gesetzlichen Bestimmung irgend wie zu nahe zu treten, dem Verfolgten ein wichtiges Asyl zu geben, ging sofort willig auf unsren Wunsch ein, eröffnete uns aber des andren Tages, nachdem er mit seiner Familie über den Fall verkehrt hatte, dass er doch sich Unannehmlichkeiten auszusetzen glaube, wenn Laube von ihm aufgenommen würde. Dieser lächelte hierzu mit einem mir unvergesslichem Ausdrucke, von welchem ich im Laufe meines Lebens häufig bemerkte, dass er auch über meine eignen Züge glitt. Er nahm Abschied; und nach kurzer Zeit erfuhren wir, dass er auf Grund wieder aufgenommener Untersuchungen gegen ehemalige Theilnehmer der Burschenschaft gefänglich eingezogen, und in der Berliner Stadtvoigtei verwahrt worden war. Ich hatte hier zwei Erfahrungen gemacht, welche bleischwer sich in mich versenkten, packte meinen dürftigen Mantelsack, nahm Abschied von Mutter und Schwester, und trat, mit beiden Füssen, entschlossen in meine Musikdirektorlaufbahn ein. –

Um das Stübchen unter der Wohnung Minna's als meine neue Heimath ansehen zu dürfen, musste ich denn auch gute Miene gegen die theatralische Unternehmung des Direktor Bethmann machen. Wirklich kam es sofort zu einer Aufführung des Don Juan, denn diese Oper bot mir der auf Kunstgalanterie sich steifende Direktor, als sinnig gewähltes Debüt für den aus guter Familie kommenden strebsamen jungen Künstler, an. Obwohl ich, ausser einiger meiner Instrumentalcompositionen, noch nicht, namentlich keine Oper, dirigirt hatte, ging Probe und Aufführung ziemlich gut von statten; nur einige Male mangelte es an Präcision im Recitativ der Donna Anna; doch zog mir das keinerlei Feindseligkeit zu, und als ich bei » Lumpaci Vagabundus«, welchen ich vollständig einzustudiren hatte, mich rührig und unverdrossen anstellte, schien man bald allgemein volles Vertrauen in die neue Acquisition zu gewinnen. Dass ich bei dieser unwürdigen Verwendung meiner musikalischen Fähigkeiten mich ohne Bitterkeit und sogar gut gelaunt anliess, verdankte sich weniger der um diese Zeit, wie ich es nannte, sich in den Flegeljahren befindenden Richtung meines Geschmackes, sondern hauptsächlich dem Umgange mit Minna Planer, welche in jener Zauberposse als »Fee Amorosa« verwendet war. Immer erschien sie mitten unter dieser Staubwolke von Frivolität und Gemeinheit wirklich wie eine Fee, von der man nicht wusste wie sie in diesen Wirbel, der sie in Wahrheit nie mit hinriss, ja kaum berührte, hineingerathen war. Während ich namentlich in den Sängerinnen der Oper nichts als jene wohlbekannten komödiantischen Caricaturen und Grimacen zu ersehen hatte, schied die schöne Schauspielerin durch ungezierte Solidität und elegante Sauberkeit, sowie durch Abwesenheit aller theatralischer Affectation und komödiantischer Gespreiztheit, sich vollständig von ihrer Umgebung aus. Ein einziger junger Mensch konnte von mir wegen ähnlicher Eigenschaften, als ich sie an Minna wahrnahm, dieser an die Seite gestellt werden; dies war Friedrich Schmitt, der so eben erst die theatralische Carrière ergriffen hatte, um in der Oper, zu welcher er durch eine vorzüglich schöne Tenorstimme sich berufen fühlte, sein Glück zu machen. Auch er unterschied sich von dem übrigen Personale namentlich durch den Ernst, den er auf seine Studien und seine Leistungen verwendete; der seelenvolle männliche Ton seiner Bruststimme, seine edle reine Aussprache und verständige Phrasirung sind mir stets als mustergültig in der Erinnerung geblieben. Dass er vollständig ohne theatralisches Talent war, sich ungeschickt und befangen auf der Bühne benahm, legte seiner Entwicklung bald Fesseln an; mir aber blieb er, als ein gescheidter, origineller Mensch und zuverlässiger ehrenwerther Charakter, als einziger Umgang werth.

Zur leidenschaftlichen Gewohnheit ward mir aber schnell der Umgang mit meiner liebenswürdigen Hausgenossin, welche dem naïv ungestümen Entgegenkommen des einundzwanzigjährigen Musikdirektors mit einer gewissen wohlwollenden Verwunderung erwiederte, die, fern von aller Coquetterie und Absichtlichkeit, mir bald einen traulich freundlichen Verkehr mit ihr ermöglichte. Als ich eines Abends spät in mein Parterre-Zimmer, weil ich den Hausschlüssel nicht mit mir führte, durch das Fenster zurückkehrte, zog das Geräusch dieses Einbruches Minna an ihr über dem meinigen gelegenes Fenster; ich bat sie, immer auf meinem Fenstersims stehend, mir zu erlauben ihr noch gute Nacht zu sagen; sie hatte nicht das mindeste dagegen, nur müsse diess vom Fenster aus geschehen, da sie ihr Zimmer stets von ihren Wirthsleuten schliessen liess, und dort Niemand herein könnte: freundlich erleichterte sie mir den Händedruck durch weites Herabbeugen ihres Oberkörpers, so dass ich die Hand, auf meinem Fenster stehend, erfassen konnte. Als ich darauf von der Gesichtsrose, an welcher ich häufig litt, ergriffen wurde, und mit geschwollenem, widerlich entstelltem Gesicht mich in meiner traurigen Kammer vor aller Welt barg, besuchte mich Minna wiederholt, pflegte mich, und meinte, dass das entstellte Gesicht gar nichts ausmache. Wieder genesen besuchte ich nun sie, und beklagte mich über einen an meinem Munde zurückgebliebenen Ausschlag, den ich für so unangenehm hielt, dass ich sie um Entschuldigung bäte mich ihr damit zu zeigen; sie wollte auch dies noch erträglich finden: da meinte ich, sie würde mir doch keinen Kuss geben; wogegen sie mir sofort durch die That bewies, dass sie auch davor sich nicht scheue. Dies alles geschah ihrerseits mit einer freundlichen Ruhe und Gelassenheit, die fast etwas mütterliches an sich hatte, und keineswegs auf Leichtfertigkeit oder Gefühllosigkeit deutete.

Nach wenigen Wochen hatte die Gesellschaft Lauchstädt zu verlassen, um sich für den Rest des Sommers zu Gastvorstellungen nach Rudolstadt zu wenden. Es lag mir sehr daran diese damals noch umständliche Reise in der Gesellschaft Minna's zu machen; wäre es mir gelungen vom Direktor Bethmann meinen wohlverdienten Musikdirektorengehalt richtig ausgezahlt zu erhalten, so hätte der Erfüllung meines Wunsches nichts entgegengestanden: ich traf aber hierin auf ausserordentliche Schwierigkeiten, die sich im Laufe verhängnissvoller Jahre in chronischer Weise zu den sonderbarsten Leiden steigerten. Schon in Lauchstädt erfuhr ich, dass es nur einen Menschen gäbe, welcher richtig seinen Gehalt bezöge: dies war der Bassist Kneisel, welchen ich mit der Pfeife am Canapé der hüftenlahmen Direktrice zuerst kennen gelernt hatte. Mir wurde versichert, dass wenn ich viel darauf hielte dann und wann etwas von meiner Gage zu bekommen, ich diess nur durch Courmachen bei Madame Bethmann erreichen könnte. Für diesmal zog ich es vor, noch einmal meine Familie zu Hülfe zu rufen, und reiste desshalb über Leipzig, wo ich mich, zum betrübten Erstaunen meiner Mutter, mit den nöthigen Subsidien zu versehen hatte, allein nach Rudolstadt. Nach Leipzig selbst aber war ich über das Gut Apels, mit diesem, welcher in Lauchstädt dazu mich abgeholt hatte, gereist. Diese Abholung von Lauchstädt ist mir durch ein wüstes Gelage in Erinnerung geblieben, welches mein vermögender Freund mir zu Ehren im Gasthofe veranstaltet hatte. Bei dieser Gelegenheit nämlich war es mir und einem der Genossen gelungen, einen ungeheuren Kachelofen von massivster Bauart, wie er sich in unsrem Gasthofzimmer befand, vollständig zu demoliren. Wie das zu Stande gekommen, waren wir am andren Morgen sämmtlich unfähig zu begreifen.

Auf dieser Reise nach Rudolstadt kam ich auch zum ersten Male durch Weimar, wo ich an einem regnerischen Tage mich nach dem Haus Göthe's mit Neugier, aber ohne Ergriffenheit umsah; ich hatte mir etwas andres darunter vorgestellt, und erwartete mir von dem regen Theatertreiben in Rudolstadt, dem es mich hastig zudrängte, lebendigere Eindrücke. Trotzdem ich dort nun nicht selbst zu dirigiren hatte, da diese Funktion dem Dirigenten der fürstlichen Hofkapelle, welche zu unsren Leistungen hinzugezogen ward, übertragen sein musste, war meine Beschäftigung mit dem Einstudiren der vielen Opern und Singspiele, mit welchen das Vogelschiessfest-Publikum des Fürstenthums um diese Zeit traktirt werden musste, doch so stark, dass ich nie zu Ausflügen in die anmuthige Gegend dieses Ländchens gelangte. Auch fesselten mich, ausser diesen strengen und übel gelohnten Mühen, während der in Rudolstadt verbrachten sechs Wochen, zwei Leidenschaften, zu welchen einerseits die Lust an der Ausführung des Gedichtes des » Liebesverbotes«, andrerseits meine Neigung zu Minna anschwollen. Zwar entwarf ich auch um diese Zeit eine musikalische Composition, nämlich einer Symphonie in E-dur, deren erster Satz (¾ Takt) als Composition auch vollendet wurde; für Styl und Anlage war diese Arbeit durch die siebente und achte Symphonie Beethovens veranlasst, und, soviel ich mich erinnere, glaube ich mich der Tüchtigkeit dieser Arbeit nicht geschämt haben zu dürfen, wenn ich sie vollendet, oder selbst nur das Fertige mir erhalten hätte. Schon um diese Zeit bildete sich aber bei mir die Ansicht von der Unmöglichkeit aus, auf dem Gebiete der Symphonie nach dem Vorgange Beethoven's noch Neues und Beachtenswerthes zu leisten; wogegen die Oper, für die ich mich tief innerlichst immer mehr ohne eigentliches Vorbild fühlte, mir in verschiedenartigster Gestalt als anreizende Kunstform sich zeigte. Unter mannichfacher leidenschaftlicher Erregung brachte ich in den wenigen mir übrig bleibenden Mussestunden den grössten Theil meines neuen Operngedichtes zu Stande, und verfuhr in Bezug auf Sprache und Vers bereits mit weit grösserer Sorgsamkeit, als bei der Anfertigung des Textes zu den »Feen«, wie ich denn auch bei der Gestaltung und theilweisen Erfindung der Situationen mit unvergleichlich grösserem Bewusstsein verfuhr, als es bei jener früheren Arbeit der Fall gewesen war.

Anderseits erfuhr ich nun auch bereits die ersten Sorgen und Bekümmernisse der verliebten Eifersucht. In Minna's bisher so unbefangenem, wohlwollendem Benehmen gegen mich ging eine mir unerklärliche Veränderung vor; es schien, dass meine naïven Bewerbungen um ihre Gunst, mit denen es in keiner Weise auf ein Verhältniss abgesehen war, sondern in welchen der erfahrene Beobachter nur den Uebermuth des leicht befriedigten Jünglingsbehagens erkannt haben würde, der sehr beachteten Schauspielerin Bemerkungen und Beurtheilungen zugezogen hatten. Ich war erstaunt, aus ihrem Verhalten und endlich ihren Erklärungen entnehmen zu müssen, dass sie sich veranlasst fühlte, dem Ernste meiner Bewerbungen nachzufragen, so wie die Folgen derselben in Anschlag zu bringen. Minna stand, wie ich schon zuvor erfahren, in einem wirklich vertrauten Verhältnisse zu einem jungen Adeligen, den ich schon in Lauchstädt, wo er Minna besuchte, kennen gelernt, und an welchem ich eine unverhohlen aufrichtige, herzliche Neigung zu Minna wahrgenommen hatte. Im Kreise ihrer Freundinnen galt sie als mit Herrn von O. versprochen, wie wohl es allseitig bald klar sich herausstellen musste, dass an eine Verbindung der Beiden nicht zu denken war, da der Liebende gänzlich ohne Vermögen, dennoch von so bedeutender Familie war, dass er sowohl seiner gesellschaftlichen Stellung, wie seiner zu erwählenden Laufbahn, das Opfer einer Vernunftheirath zu bringen sich genöthigt sah. Hierüber schienen eben während dieser Rudolstädter Zeit bestimmte Erklärungen an Minna gelangt zu sein, welche sie ernst, ja traurig, und gegen meine ungestümen Annäherungsversuche zu kühler Zurückhaltung geneigt stimmten. Jedenfalls erkannte ich bei näherer Besinnung, dass Jung-Europa, Ardinghello, und Liebesverbot sich hier nicht spielen liessen; sondern dass zwischen Fee Amorosa in heitrer Theaterlaune, und ehrlicher Bürger Kind, welches ein anständiges Unterkommen sucht, ein sehr bestimmter Unterschied bestand: sehr verdriesslich und entmuthigt, verschärfte ich die ausgelassenen Situationen meines » Liebesverbotes«, und schwärmte des Abends mit einigen flachen Genossen im Bratwurstduft der Rudolstädter Vogelwiese umher, wo mich der Aerger sogar wieder in einige Berührung mit dem Laster des Spieles setzte, welches diesmal allerdings nur in der sehr unschuldigen Gestalt der auf offenem Markt ausgestellten Würfel- und Roulette-Tische mich in flüchtige Fesseln schlug.

Die Zeit, wo es von Rudolstadt fort, endlich nach dem Hauptorte Magdeburg, zur Abhaltung der halbjährigen Wintersaison, gehen sollte, war mir sehr willkommen, vorzüglich weil ich dort auch wieder an die Spitze des Orchesters selbst treten konnte, und überhaupt ein würdigeres Gedeihen meiner musikalischen Thätigkeit mir versprechen durfte. Vor meinem Einzug in Magdeburg hatte ich jedoch noch eine mühselige Zwischenzeit in Bernburg zu überstehen, für welches Direktor Bethmann, neben seinen übrigen Unternehmungen, ebenfalls Theatervorstellungen zugesagt hatte. Mit einem Bruchtheile der Gesellschaft musste ich dort im Vorbeigehen für das Herausbringen mehrerer Opern, welche wiederum der dortige fürstliche Kapellmeister dirigirte, sorgen, und dazu ein kümmerliches, schlecht versorgtes, ärgerlich komödiantisches Leben führen, was mir fast – wenn nicht für immer, doch für diesmal – das fatale Theatermusikdirektorenmetier gründlich verleidet hätte. Doch ging es vorüber, und Magdeburg sollte mich nun zur eigentlichen Glorie meines erwählten Berufs führen.

Es war nicht ohne Reiz für mich, an demselben Dirigentenpult, an welchem vor noch nicht langen Jahren Meister Kühnlein dem confusen jugendlichen Enthusiasten durch gewiegte Musikdirektoren-Weisheit imponirte, mich nun selbst bald als Meister zu fühlen: denn es glückte mir in der That sehr bald, mir eine vollkommene Sicherheit in der Orchesterdirektion anzueignen. Von den tüchtigen Musikern des Orchesters war ich in kurzem gern gesehen, und ihr gutes Zusammenspiel trug uns gemeinschaftlich bei feurigen Ouverturen, welche ich namentlich gegen das Ende gewöhnlich in unerhört schnellem Tempo spielen liess, oft den berauschenden Applaus des Publikums ein. Die Leistungen meines feurigen, oft übermüthigen Eifers wurden, wie sie mir auch die Zuneigung des Sängerpersonals gewannen, vom Publikum mit freudiger Anerkennung beachtet; da in Magdeburg, wenigstens zu jener Zeit, von dem Theaterrezensentenwesen noch wenig sich ausgebildet hatte, sprach sich diese allgemeine Zufriedenheit mit mir auf angenehm ermuthigende Weise aus, und am Ende des ersten Vierteljahres meiner Magdeburger Musikdirektion fühlte ich mich von dem schmeichelhaft behaglichen Bewusstsein, der eigentliche Matador der Oper zu sein, getragen. In der Voraussetzung eines besondern Erfolges unter solchen Umständen, verfasste der seitdem mir herzlich geneigt gewordene Regisseur Schmale ein Festspiel für den Neujahrstag, zu welchem ich die nöthige Musik anfertigen sollte. Dies geschah in grösster Geschwindigkeit; eine rauschende Ouverture, mehrere Melodramen und Chöre gelangen in grösster Eile ganz nach Wunsch, und trugen uns, was bei solchen Gelegenheitsstücken ohne eigentliche festliche Veranlassung ausser aller Gewohnheit war, so reichlichen Beifall ein, dass wir diesen Neujahrsgruss mit gutem Glück wiederholen durften.

Die Zeit dieses Jahreswechsels (1835) ward mir ausserdem zu einem entscheidenden Wendepunkte meiner Lebensbeziehungen. Seitdem wir in Rudolstadt unsren Umgang abgebrochen, und uns ziemlich aus den Augen verloren hatten, setzte sich, seit unsrem Wiedersehen in Magdeburg, das Verhältniss zwischen Minna und mir in kühler und absichtlich nachlässiger Weise fort. Ich erfuhr dass sie hier, wo sie bei ihrem Auftreten vor einem Jahre namentlich als schönes Mädchen grosse Aufmerksamkeit erregt hatte, von einigen jungen adeligen Herrn besonders gefeiert wurde, und gegen die Auszeichnung, von ihnen Besuche zu empfangen, sich nicht unempfindlich erwies. Blieb ihr Ruf, Dank ihrem stets schicklichen und ernsten Benehmen, wirklich unangetastet, so war doch meine Abneigung gegen Umgang dieser Art, vielleicht schon durch die Erinnerung an meine Leiden im Pachta'schen Hause in Prag, stark ausgebildet worden. Versicherte mir Minna, dass diese Herrn sich bei weitem bescheidener und decenter benähmen als Theaterliebhaber aus dem bürgerlichen Stande, und namentlich auch als gewisse junge Musikdirektoren, so gelang es ihr doch nie, meiner Bitterkeit und streitsüchtigen Laune, welche sich gegen diese ihre Neigung aussprach, Herrin zu werden. So verbrachten wir drei unerquickliche Monate in zunehmender Entfernung von einander, während ich mit halb verzweifelter Wahllosigkeit mir Gefallen an dem aller diffusesten Umgange vorlog, und nach jeder Seite hin mich so auffällig leichtfertig gehen liess, dass Minna wie sie mir später versicherte, dadurch zu ernstlicher, mitleidvoller Besorgniss um mich bewogen wurde. Da es auch nicht fehlte, dass von Seiten des weiblichen Personales der Oper dem jungen Musikdirektor nicht unbedenkliche Aufmerksamkeiten erwiesen wurden, und namentlich eine nicht im besten Ruf stehende junge Dame offenbar ihre Netze nach mir auswarf, schien diese Sorge Minna's zu einem entscheidenden Entschluss angeregt zu sein. Ich kam auf den Gedanken, am Sylvesterabend auf meinem Zimmer die wunderliche Elite unsres Opernpersonales mit Austern und Punsch zu traktiren. Die Männer waren mit ihren Frauen eingeladen, und nun handelte es sich darum, ob ich auch die unverheirathete Fräulein Planer dazu vermögen würde, an meinem Feste Theil zu nehmen: mit grosser Unbefangenheit nahm sie an, und erschien, wie immer, sauber und decent in meiner Junggesellenwirthschaft, in welcher es bald toll genug herging. Der Wirth war von mir zuvor von dem Sturm, der in seinem Hause sich erregen würde, benachrichtigt, und wegen des Ersatzes möglicher Schäden an seinem Mobiliar beruhigt worden. Was dem Champagner noch nicht gelungen war, glückte endlich dem Punsch: alle Fesseln der dürftigen Convenienz, mit welcher meine Gesellschaft sich für gewöhnlich zu behelfen suchen musste, wurden gesprengt, und allgemeine Liebenswürdigkeit trat, von keiner Seite bestritten, ein. Hier entschied es sich denn nun, durch welch königlich ruhigen Anstand Minna sich vor all ihrer Genossenschaft auszeichnete. Nie verlor sie die würdigste Haltung; niemand wagte sich ihr zutraulich zu nähern; und desto bedeutender, ja endlich völlig ernüchternd, wirkte es dagegen auf Alle, als Minna ohne alle Scheu meine freundlichen und innigen Zärtlichkeiten erwiederte, wodurch es denn nun der ganzen Genossenschaft klar wurde, welch besondre, mit keinem andren Verhältniss zu vergleichende, Bewandniss es zwischen uns Beiden hatte. Wir hatten die sonderbare Genugthuung, die übel berufene junge Frau, welche es offenbar auf mich abgesehen hatte, über diese Entdeckung in Krämpfe gerathen zu sehen.

Von nun an blieb ich mit Minna fortgesetzt in innig befreundetem Verkehr. Ich glaube nicht, dass sie je eine irgend an Leidenschaftlichkeit gränzende Neigung, den eigentlichen Affekt der Liebe für mich empfand, oder überhaupt wohl zu empfinden fähig war, und kann dagegen ihre Gefühle für mich nur als die des herzlichsten Wohlwollens, des innigsten Wunsches für mein Gedeihen und Wohlergehen, der freundlichsten Theilnahme, und des gut gelaunten Gefallens an meinen sie oft mit Verwundrung erfüllenden Eigenschaften, welches alles ihr endlich zu einer steten und behaglichen Gewohnheit wurde, bezeichnen. Offenbar hatte sie eine sehr günstige Meinung von meinem Talente, und fühlte sie sich von meinen so schnellen Erfolgen auf fesselnde Weise überrascht; mein excentrisches Wesen, welches sie durch ihre launige Ruhe sehr angenehm zu temperiren wusste, reizte sie zur fortgesetzten Ausübung dieser ihrem Selbstgefühl schmeichelnden Macht, und ohne mir je irgend ein Verlangen, ein Sehnen, oder gar Gluth zu zeigen, setzte sie meinem Ungestüm doch durchaus keine Kälte entgegen. – Ich hatte beim Magdeburger Theater die wirklich interessante Bekanntschaft einer bereits nicht mehr ganz jugendlichen Schauspielerin, welche das sogenannte »Anstandsfach« spielte, gemacht: Mme Haas trat meiner Theilnahme sofort in besondrem Grade nahe, da sie sich mir als Jugendfreundin Laube's, an dessen Schicksal sie fortgesetzt einen innigen und bedeutenden Antheil nahm, zu erkennen gab. Sie war geistreich und sehr unglücklich, wozu namentlich ein, in ihren vorgerückteren Jahren immer unangenehmer sich ausprägendes, unvortheilhaftes Aeusseres mit beitrug. Mit einem Kinde lebte sie in spärlichen Verhältnissen, und schien sich besserer Zeiten mit bittrer Wehmuth zu erinnern. Ich fand mich, anfänglich namentlich um von ihr Auskunft über Laube's Schicksal zu erhalten, häufig und endlich sogar gewohnheitsmässig bei ihr ein. Da sie mit Minna sich befreundete, brachten wir Drei oft trauliche Abende in gemeinsamem Verkehr zu; einigermassen getrübt wurde diese Traulichkeit jedoch, als sich bei der älteren Freundin einige Eifersucht auf die jüngere einzustellen schien, und namentlich verdross es mich, von jener das Talent und die geistige Begabung Minna's kritisirt zu sehen. Eines Abends hatte ich versprochen bei Minna in Gesellschaft der älteren Freundin den Thee zu nehmen. Unvorsichtiger Weise hatte ich mich zuvor bei einer Partie Whist engagirt, welche, trotzdem sie mich sehr langweilte, von mir dennoch in der Absicht verlängert wurde, erst spät Minna zu besuchen, um die mir unbequem gewordene Genossin bis dahin entfernt zu wissen. Dies gelang mir nur durch Hülfe geistiger Getränke, und so erlebte ich das Sonderbare, von einer nüchternen Whistpartie in vollkommen berauschtem Zustand aufzustehen, in welchen ich so ganz unmerklich gerathen war, dass ich durchaus nicht an ihn glauben wollte. Diese Ungläubigkeit verführte mich, meinen späten Theebesuch noch abzustatten: zu meinem ungeheuren Aerger traf ich die ältere Freundin noch an, was sofort meinen Rausch zum heftigsten Ausbruch brachte; denn als die Dame ihre Verwunderung über mein sonderbar heftiges und abstossendes Benehmen gegen sie in scherzhaft gemeinten Ausrufen kund that, verspottete ich sie auf so grobe Weise, dass sie entrüstet sofort das Haus verliess. Ich behielt hierauf nur noch soviel Besinnung, das herzlich verwunderte Lachen Minna's über mein unerhörtes Benehmen wahr zu nehmen. In gut gelaunter Ruhe vermochte sie sich dann selbst schnell zu einem immerhin schwierigen Entschlusse zu fassen, da mein Zustand bald so bedenklich ward, dass, ohne grosses Aufsehen zu erregen, an mein Fortgehen oder nach Hausschaffen nicht zu denken war. Ihr Bedauern mit mir kam dazu; sie verschaffte mir die nöthigen Erleichterungen, und da ich bald in tiefen Schlaf versank, räumte sie mir ohne Zagen ihr Bett ein, wo ich denn dem wunderlichen Tagesgrauen entgegenschlief, welches, da ich erkannte, wo es mich weckte, mir ein an diesen Morgen sich knüpfendes langes, unendlich verhängnissvolles Lebensverhältniss mit unabweisbar wachsender Klarheit beleuchtete. – Die geahnte Sorge war in mein Leben getreten. – Ohne leichtfertigen Scherz, ohne Uebermuth und irgend welche lustige Laune zu zeigen, frühstückten wir ehrbar und sittsam miteinander, um zu der Zeit des Vormittags, wo dies unter so bedenklichen Umständen ohne Aufsehen möglich wurde, mit Minna einen langen Spaziergang vor die Thore der Stadt zu machen. Dann trennten wir uns, um fortan als offenes Liebespaar frei und ohne Scheu unseren zärtlichen Interessen nachzugehen. –

Die sonderbare Richtung, in welche allmählich mein musikalisches Treiben gerathen war, erhielt neue Bekräftigung durch die Erfolge, wie durch die Misserfolge, welche um diese Zeit meinen Bestrebungen zu Theil wurden. In einem Conzert der Logengesellschaft führte ich in sehr empfehlender Weise die Ouverture zu meinen » Feen« auf, und erhielt dafür grossen Beifall: zu gleicher Zeit erhielt ich aber die Bestätigung des üblen Verfahrens der Leipziger Theaterdirektion in Betreff der versprochenen Aufführung dieser Oper selbst. Bereits setzte mich der Beginn der Composition des Liebesverbotes in eine Stimmung, in welcher ich bald alle Theilnahme für jene ältere Arbeit verlor, so dass ich mit stolzem Gleichmuth von jeder Bemühung, dieselbe in Leipzig noch zur Aufführung zu bringen, abstand, und mit dem so eben erhaltenen Erfolge der Ouverture allein mich genügend für meine erste Oper belohnt hielt. Dagegen fand ich bei aller Zerstreuung in der kurzen Zeit dieses ersten Magdeburger Theater-Halbjahres Zeit, um, neben andren Arbeiten, bereits vieles von der neuen Oper fertig zu machen. In einem Concert, welches wir im Theater gaben, brachte ich bereits zwei Duette daraus zur Aufführung, deren Ausfall mich genügend antrieb, mit bester Laune an meinem Werke fortzuarbeiten. – In der zweiten Hälfte der Saison besuchte mich auch Freund Apel, um im Glanze meiner neuen Musikdirektorenwonne sich zu sonnen. Er hatte ein Drama, Columbus, geschrieben, welches ich der Direktion zur Aufführung empfahl. Nichts war leichter als diese Gunst zu erreichen, da Apel sich erbot eine neue Decoration, die Alhambra vorstellend, auf seine Kosten malen zu lassen, und ausserdem dem in seinem Stück beschäftigten Personal, welches sämmtlich unter der andauernden Bevorzugung des Bassisten Kneisel seitens der Directrice in seinen Gagenbezügen empfindlich beeinträchtigt blieb, manche gelegentliche Erleichterung und Verannehmlichung seiner gedrückten Lage in Aussicht stellte. Das Stück selbst schien mir sehr viel Gutes zu enthalten; es stellte das Ringen und die Kämpfe des grossen Seefahrers, bis zu seiner Abfahrt auf seine erste Entdeckungsreise, dar. Mit dem verheissungsvollen, und, dem Erfolge nach, aller Welt bekannten, Auslaufen seiner Schiffe aus dem Hafen von Palos schloss das Drama, welches sich, selbst auch nach dem Urtheil meines Onkels Adolph, dem es Apel auf meinen Wunsch vorgelegt hatte, durch die lebhaften und charakteristischen Volksscenen besonders auszeichnete, während ein eingeschobener Liebesroman sich unbehülflich und matt ausnahm. Ausser einem kleinen Chor der aus Granada verwiesenen Mauren auf ihrem Auszuge aus der gewohnten Heimath, und einem kurzen Orchesterstück am Schluss, componirte ich in übermüthigster Schnelligkeit auch eine Ouverture zu dem Stücke meines Freundes. Den vollständigen Entwurf dazu schrieb ich eines Abends bei Minna nieder, während ich Apel gestattete, mit meiner Geliebten nach Herzenslust sich laut zu unterhalten. Die Wirkung dieses leider ungemein flüchtig ausgeführten Tonstückes war auf einen einfachen, aber in seiner Wendung überraschenden Grundgedanken berechnet: das Orchester schilderte, in nicht gerade mühsam gewählten Figurationen, das Meer, und je nach Belieben auch das Schiff darauf: ein gewaltsames, sehnsüchtig verlangendes und strebendes Motiv war das einzige Erfassbare in dem Gewoge der Umgebung. Dieses Ensemble ward nun wiederholt und jäh abspringend durch ein fremdartiges, im grössten pianissimo unter dem dämmernden Schwirren der hohen Violinen, gleichsam als Fata Morgana sich darstellendes, Motiv unterbrochen. Ich hatte drei Paar Trompeten in verschiedenen Stimmungen dazu bestellt, dieses prächtig und verlockend dämmernde Motiv in zartester Färbung und in den verschiedenartigsten Modulationen vorzutragen: dies war das geahnte Land, nach welchem des Helden Blick ausspäht, das er wiederholt schon wirklich zu erkennen wähnt, das immer wieder im Ocean verschwindet, endlich aber, nach äusserster Anstrengung des Suchenden und Strebenden, in Wahrheit und dem Auge alles Seevolkes deutlich erkenntlich, als ungeheures Land der Zukunft am Morgenhimmel aufsteigt. Meine sechs Trompeten vereinigten sich jetzt in der Haupttonart, um das ihnen bestimmte Motiv nun in prachtvollstem Jubel ertönen zu lassen. Mit der Vorzüglichkeit der preussischen Regimentstrompeter vertraut, hatte ich sehr richtig auf einen hinreissenden Effekt, namentlich meines Schlusssatzes gerechnet: die Ouverture setzte Alles in Erstaunen, und trug stürmischen Beifall davon. Das Stück selbst wurde ohne Würde gespielt, und namentlich verdarb ein eitler Comödiant, Ludwig Meyer, welcher zugleich die Regie führte, und dadurch sich verhindert erklärte seine Rolle gehörig auswendig lernen zu können, auf Apel's Kosten seine Garderobe jedoch durch eine Unzahl prachtvoller Costüme bereichert hatte, welche er als Columbus nach und nach sich überzog, die Hauptrolle gänzlich. Immerhin hatte Apel eine wirkliche Aufführung eines Stückes von sich erlebt, das zwar keine Wiederholung erfuhr, mir jedoch Gelegenheit verschaffte, durch die verlangte Wiederaufführung meiner Ouverture in Concerten meine Popularität beim Magdeburger Publikum zu vermehren.

Das Hauptereigniss dieser Theatersaison trug sich jedoch gegen deren Ende zu. Ich hatte Frau Schröder-Devrient, welche sich in Leipzig aufhielt, vermocht zu einigen Gastrollen auch zu uns herüberzukommen. Ich selbst hatte nun die grosse Genugthuung, und genoss die begeisternde Erregung, zweimal die Opern, in welchen sie sang, zu dirigiren, und so mit ihr im unmittelbaren künstlerischen Zusammenwirken mich zu befinden. Sie trat als »Desdemona« und »Romeo« auf: namentlich im letztern exaltirte sie auch hier wiederum Alles, und erfüllte mich von Neuem mit Feuer und Gluth. Diesmal trat ich denn auch in näheren persönlichen Verkehr mit ihr, wobei sie sich so freundlich und theilnehmend für mich erwies, dass sie mir aus freien Stücken ihre Mitwirkung bei einem Concerte, welches ich zu meinem Vortheil zu geben beabsichtigte, und zu welchem sie eigens nach einer kurzen Verreisung wiederzukehren hatte, anbot. Der Ausfall dieses Concerts, von welchem ich mir unter solchen Umständen das Günstigste erwarten durfte, hatte für meine Verhältnisse eine ganz besonders wichtige Bedeutung angenommen. Die an und für sich geringe Gage, welche ich von der Magdeburger Direktion zu erhalten gehabt hätte, war dadurch, dass das, was ich von ihr erhielt, mir in höchst unregelmässigen kleinen Raten zukam, völlig illusorisch geworden, so dass ich meine Lebensbedürfnisse, und namentlich meine Ausgaben für häufiges Traktiren meiner wunderlichen Sänger- und Musiker-Clientele, nur auf eine Weise hatte bestreiten können, die schliesslich sich mir als eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Schulden verdeutlichte. Zwar wusste ich nicht klar wie hoch sich diese beliefen, glaubte mir aber einen vortheilhaft unbestimmten Begriff von der Höhe meiner Concerteinnahme ebenfalls machen zu dürfen, wodurch beide Undeutlichkeiten sich aufheben sollten, und vertröstete daher meine sämmtlichen Gläubiger auf diese fabelhafte Einnahme, von welcher sie am Tage nach dem Concert bezahlt werden sollten, indem ich sie sämmtlich für den Morgen dieses glücklichen Tages in den Gasthof, welchen ich jetzt am Schluss der Saison bezogen hatte, bestellte. Gewiss lag nichts Unnatürliches darin, dass ich bei der Mitwirkung der so enthusiastisch gefeierten grossen Künstlerin, welche eigens zu diesem Zwecke nochmals nach Magdeburg zurückkehrte, auf die erdenklich höchste Einnahme rechnete, und desshalb in Bezug auf musikalischen Luxus, durch das Engagement eines vorzüglich grossen Orchesters und Bestellung zahlreicher Proben, mich rücksichtslos gegen die hierdurch verursachten Kosten benahm. Unglücklicherweise wollte aber Niemand daran glauben, dass die berühmte Frau, welche ihre Zeit als ein kostbares Capital ansehen durfte, dem kleinen Magdeburger Musikdirektor zu lieb von weit her wirklich noch einmal zurückkehren würde. Fast allgemein hielt man daher die pomphafte Ankündigung ihrer Wiederkunft für ein betrügerisches Manœuvre, und war in dieser Annahme namentlich über die hohen Preise des Concertentrées entrüstet. Als Folge hiervon zeigte sich, dass der Saal nur dürftig besetzt war, was mir zunächst meiner freundlichen Gönnerin wegen, welche, wie ich nicht gezweifelt hatte, pünktlich zu meiner Unterstützung erschien, und die nun das ihr höchst Ungewohnte erleben sollte, vor einem sehr spärlichen Publikum zu erscheinen, grosse Pein verursachte. Glücklicherweise blieb sie wenigstens guter Laune, (was, wie ich später erfuhr, jedoch noch andre, mich durchaus nicht persönlich betreffende Gründe hatte), und sang unter andrem Beethovens Adelaïde, welche ich ihr zu meinem eignen Erstaunen auf dem Klavier begleitete, hinreissend schön. Ein andres unerwartetes Missgeschick traf mein Concert durch die Wahl der Orchesterstücke, welche in dem kleinen, übermässig resonnirenden Saal des Gasthofs zur Stadt London, von unerträglich lärmender Wirkung waren. Meine Columbus-Ouverture mit ihren sechs Trompeten hatte bereits alle Zuhörer mit Entsetzen erfüllt; nun kam aber zum Schlusse die Schlacht bei Vittoria von Beethoven, welche ich, in enthusiastischer Erwartung der reichlichen Entschädigung durch unerhörte Einnahmen, mit allem nur erdenklichen Orchesterluxus ausgestattet hatte. Geschütz- und Gewehrfeuer waren durch besonders construirte kostbare Maschinen, sowohl auf der französischen wie auf der englischen Seite, mit grösster Vollständigkeit organisirt, Trommeln und Signalhörner verdoppelt und verdreifacht; und nun begann eine Schlacht, wie sie grausamer wohl selten in einem Concert geschlagen wurde, da das Orchester mit so entschiedener Uebermacht auf das geringe Auditorium sich stürzte, dass dieses jeden Widerstand endlich vollständig aufgab und buchstäblich die Flucht ergriff. Frau Schröder-Devrient, welche freundlich verblieben war, um in einer der ersten Reihen der Aufführung vollends mit bei zu wohnen, vermochte, so viel sie auch schon Schrecken dieser Art ertragen haben mochte, selbst aus Freundschaft für mich nicht Widerstand zu halten; und als auch sie endlich, bei einem neuen verzweifelten Angriff der Engländer auf die französischen Positionen fast händeringend die Flucht ergriff, ward dies zum Zeichen eines wahrhaft panischen Schreckens. Alles stürzte davon, und die Feier des Sieges Wellington's ward schliesslich zu einem traulichen Erguss zwischen mir und dem Orchester allein. – So endete dieses denkwürdige Musikfest. Die Schröder-Devrient reiste alsbald weiter, und überliess mich, den Misserfolg ihres guten Willens bedauernd, freundlich meinem Schicksal. Nachdem ich bei der bekümmerten Geliebten Trost gesucht, und für die Schlacht des folgenden Tages, die vermuthlich ohne Siegessymphonie enden sollte, mich zu rüsten versucht hatte, kehrte ich nun andern Morgens nach meinem Gasthofzimmer zurück, zu welchem ich jedoch nur durch eine lange Doppel-Reihe von Herren und Damen gelangen konnte, welche ihrer besondren Anliegen wegen zuvor für diese Morgenstunde dahin beschieden worden waren. Ich behielt mir das Recht vor, die einzelnen meiner Besucher mir auszuwählen, mit welchen ich der Reihe nach verkehren wollte; und so führte ich zunächst den zweiten Trompeter des Orchesters, welcher Kasse und Musik besorgt hatte, in mein Gemach. Aus seinen Berechnungen ging hervor, dass bei den hohen Honoraren, welche ich in grossmüthigem Enthusiasmus dem Orchester zugesichert hatte, noch einige Thaler und Silbergroschen aus meiner Tasche auf die Kosten bezahlt werden sollten. Diess ward abgemacht, und der Stand der Dinge war klar. Nun lud ich Mme Gottschalk, eine vertrauungsvolle Jüdin, vor allem ein, sich mit mir über die vorliegenden dringenden Angelegenheiten in's Vernehmen zu setzen. Sie sah ein, dass hier auf eine ausserordentliche Hülfe gerechnet werden müsste, an der es mir ja wohl bei meinen vermögenden Bekanntschaften in Leipzig nicht fehlen könnte, und übernahm es somit verständigerweise, den übrigen Gläubigern, gegen welche sie ihres unschicklichen Erscheinens wegen sich sehr aufgebracht zeigte, beruhigende Versicherungen zu machen, durch welche es, wenn auch nicht ohne bedauerliche Beschwerden, endlich gelang, den Corridor vor meinem Zimmer wieder praktikabel zu machen.

Die Theatersaison war zu Ende, die Gesellschaft ihrer Auflösung nahe, und ich meiner Anstellung ledig; der Theaterdirektor war vom chronischen zum akuten Bankrott übergegangen; er bezahlte mit Papiergeld, nämlich mit ganzen Bogen von Logenbilleten zu Vorstellungen, von denen er versicherte dass sie statt finden würden. Minna, die aus diesen sonderbaren Schatzscheinen durch grosse Klugheit noch einigen Vortheil zu ziehen wusste, immer sparsam und vorsorglich lebte, ausserdem, da nur die Oper vollständig aufgelöst war, während das Schauspiel vorläufig auf Rechnung der Mitglieder sich aktiv erhielt, dem Theater noch angehörig blieb, entliess mich bei meiner nöthigen Heimkehr nach Leipzig mit dem herzlichen Wunsche, uns bald wieder zu vereinigen, und versprach mir einen bald anzutretenden Urlaub zu einem Besuch ihrer Aeltern in Dresden zu benutzen, bei welcher Gelegenheit sie in Leipzig mich zu besuchen gedachte.

So flüchtete ich denn Anfangs Mai mich wieder in die Heimath zu den Meinigen, um nach diesem ersten Versuche zur Erlangung meiner bürgerlichen Selbstständigkeit zunächst mich mit dem Auftreiben des Geldes zu beschäftigen, welches ich für diesen Versuch in Magdeburg schuldig geblieben war. Ein sehr intelligenter brauner Pudel begleitete mich von Magdeburg aus getreulich, und ward meiner Familie als einziger erworbener Besitz zu Unterkunft und Pflege empfohlen. Immerhin schöpften die Mutter und Rosalie aus dem Umstande, dass ich doch jedenfalls die Musikdirektion zu führen im Stande sei, gute Hoffnung für meine zukünftige Laufbahn. Mir liess jedoch der Gedanke, wieder in mein früheres Familienverhältniss zurückzukehren, keine Ruhe; namentlich spornte mein Verhältniss zu Minna mich an, sobald wie möglich in meine unterbrochene Laufbahn wieder einzutreten. Am deutlichsten drängte sich mir die grosse Veränderung, welche in diesem Bezug mit mir vorgegangen, auf, als Minna auf ihrer Durchreise sich einige Tage mir zu Liebe in Leipzig aufhielt, und durch ihre trauliche, liebenswürdige Erscheinung mich daran gemahnte, dass die Zeiten der patriarchalischen Familienabhängigkeit für mich erloschen wären. Ich berieth mich mit ihr über mein Wiederengagement bei dem Magdeburger Theater, versprach ihr meinen baldigen Besuch in Dresden, und veranstaltete ihr Bekanntwerden mit meiner Mutter und Schwester durch die von Diesen erbetene Erlaubniss, sie eines Abends zum Thé in das Haus bitten zu dürfen. Bei dieser Gelegenheit ward es Rosalie ersichtlich, wie es mit mir stand; doch nahm sie davon keinen weiteren Anlass, als mich wegen meiner Verliebtheit zu necken. Die Sache schien somit nicht gefährlich; in mir sah es jedoch anders aus, da diese verliebte Neigung mit meinem Hang zur Unabhängigkeit, und mit meinem Wunsche, in der Kunstwelt mir eine Stellung zu machen, ganz von selbst zusammen fiel. –

Meine Abneigung gegen Leipzig selbst ward ausserdem durch die Wendung, welche in dem dortigen Musikwesen um diese Zeit eintrat, vermehrt. Während ich in Magdeburg mit leichtsinnigem Versinken in den frivolen Theatergeschmack meine Musikdirektorenlaufbahn begründete, hatte Mendelssohn-Bartholdy gleichzeitig durch sein persönliches Auftreten als Dirigent der Gewandthaus-Concerte eine für sich, und namentlich für den Leipziger Musikgeschmack, bedeutungsvolle Epoche eröffnet. Mit der Naivetät des Leipziger Publikums, mit welcher es bis dahin die Productionen seiner gemüthlichen Abonnement-Concerte beurtheilt hatte, war es nun zu Ende; und als ich in einem Benefiz-Conzert der beliebten jugendlichen Sängerin Livia Gerhart, durch meines damals noch nicht gänzlich beseitigten guten alten Pohlenz Vermittlung, meine in Magdeburg so stark bejubelte Columbus-Ouverture zur Aufführung brachte, fand ich zu meinem Erstaunen, dass die Musikfreunde Leipzig's plötzlich eine Geschmacksrichtung gewonnen hatten, welcher ich selbst mit der so gewandten Combination meiner sechs Trompeten nicht beizukommen vermochte. Diese Erfahrung bestärkte mich in meinem Widerwillen gegen Alles was irgend wie klassischen Duft affektirte, und ich gerieth hierbei in eine wunderliche Uebereinstimmung mit dem braven Pohlenz, welcher in gutmüthigen Seufzern den Untergang der guten alten Zeit beklagte. – Die Abhaltung eines Musikfestes in Dessau, unter Friedrich Schneider's Leitung, bot mir einen willkommenen Anlass mich von Leipzig zu entfernen. Zu dieser Reise, welche man zu Fuss in sieben Stunden zurücklegte, hatte ich mir einen auf acht Tage lautenden Pass zu verschaffen: dieses Aktenstück war berufen, lange Jahre in meinem Leben eine wichtige Rolle zu spielen; denn es war und blieb das einzige Document, welches später wiederholt, und in den verschiedensten Ländern Europa's mich in polizeilichem Sinne zu beschützen berufen war, da ich, wegen Umgehung meiner Militärpflichtigkeit in Sachsen, von da an bis zu meiner Anstellung als Dresdener Kapellmeister, nie wieder in den Besitz eines regelmässigen Passes gelangen konnte. Der Kunstgenuss, zu welchem er mir diesmal das Geleite gab, war von so wenig wohlthätiger Bedeutung, dass er mich im Gegentheil in meinem Klassizitätshass bestärkte. Von einem Manne, dessen Physionomie, ähnlich der eines besoffenen Satyr's, mich mit unüberwindlichem Abscheu erfüllte, hörte ich die Beethoven'sche C-moll-Symphonie, trotz einer unabsehbaren Reihe von Contrabässen, mit welchen gewöhnlich auf Musikfesten cokettirt wird, so ausdruckslos und nichtssagend aufführen, dass ich den wiederholt wahrgenommenen unbegreiflichen Abstand zwischen dem in mir lebenden Phantasiebild von diesen Werken, und der stets einzig nur von mir gehörten lebendigen Aufführung derselben, als ein beängstigendes und abschreckendes Problem empfand, von dessen Lösung ich mich verdrossen abwand. Diese gequälte Stimmung durch Anhörung des Oratoriums Absalon des »Altmeisters« Schneider in das Burleske gezogen zu sehen, erheiterte und beruhigte mich für jetzt.

In Dessau, wo Minna ihr erstes Debüt beim Theater begangen hatte, hörte ich über diese von leichtfertigen jungen Menschen in dem Tone reden, in welchem gemeinhin junge schöne Schauspielerinnen in solchen Kreisen besprochen werden. An meinem Eifer, derartiges Geschwätz zu widerlegen und die Verleumder zu beschämen, ward ich der leidenschaftlichen Theilnahme, welche mich der Geliebten nachzog, immer mehr inne. Ich kehrte, ohne meinen Verwandten mich zu zeigen, nach Leipzig zurück, wo ich mir die Mittel zu einer sofortigen Reise nach Dresden zu verschaffen wusste. Auf der Hälfte des Weges dorthin, welchen man damals noch im Eilwagen zurücklegte, begegnete ich bereits Minna, in der Begleitung einer ihrer Schwestern soeben auf der Rückreise nach Magdeburg begriffen. Ich verschaffte mir alsbald eine Postcarte zur Rückfahrt nach Leipzig, und trat diese auch wirklich mit der Geliebten an; es gelang mir jedoch bis zur Ankunft auf der nächsten Station, Minna zur Umkehr nach Dresden zu bewegen, welche nun, da der Postwagen längst voraus war, mit Extrapost angetreten werden musste. Dieser grosse Train schien die beiden Mädchen, wie in Verwunderung, so in gute Laune zu versetzen. Offenbar hatte ich durch mein verschwenderisches Auftreten sie zur Erwartung erfreulicher Abenteuer hingerissen, für deren Erfüllung ich nun zu sorgen hatte. Ich verschaffte mir bei einem Dresdener Bekannten die nöthigen Gelder, um im grössten Zuge meine Freundinnen in die sächsische Schweiz zu geleiten, wo wir einige wirklich heitre, vom unschuldigsten jugendlichen Uebermuth erfüllte Tage verbrachten, welche nur einmal durch das Hervorbrechen einer eifersüchtigen Stimmung meinerseits getrübt wurden, zu der in diesen Tagen selbst durchaus keine Veranlassung gegeben war, welche aber in meinem tiefsten Innern durch Eindrücke der Vergangenheit, so wie durch eine bange Ahnung der Zukunft, an den Erfahrungen, die ich bisher bei meinen Bekanntschaften mit der Frauenwelt gemacht hatte, sich nährte. Dennoch blieb dieser Ausflug, und namentlich eine beim schönsten Sommerwetter fast gänzlich durchwachte anmuthige Nacht im Bad zu Schandau, die liebste, fast einzige Erinnerung an heiter beglücktes Dasein aus meinem ganzen Jugendleben. Mein ganzes späteres, so langes, von schmerzlichsten und bittersten Erfahrungen sorgenvoll durchwobenes Verhältniss zu Minna, ist mir oft als die beharrlich andauernde Sühne für den harmlosen kurzen Genuss dieser Tage erschienen.

Nachdem ich Minna bis Leipzig, von wo sie nach Magdeburg weiter reiste, begleitet hatte, meldete ich mich wieder bei meiner Familie, welcher ich den Dresdner Ausflug verschwieg und folgte von nun an, wie einer seltsamen, tiefen Schuld bewusst, dem Drange, meine Lage so zu gestalten, dass sie mich bald möglichst wieder in die Nähe der Geliebten brächte. Dazu musste ein neues Engagement mit dem Direktor Bethmann für das nächste Winterhalbjahr eingeleitet werden. Während der hierzu nöthigen Unterhandlungen litt es mich bereits nicht in Leipzig, sondern ich benutzte Laube's Anwesenheit im Bade Kösen bei Naumburg zu einem Besuche desselben. Kurz zuvor war Laube nämlich, nach beinahe einjähriger, höchst quälender Untersuchungshaft, aus der Berliner Stadtvoigtei entlassen worden; auf das Gelöbniss, bis zur Fällung des Urtheils sich nicht ausser Landes zu entfernen, war ihm der Besuch Kösen's gestattet, von wo aus er heimlich uns für einen Abend in Leipzig besucht hatte. Der Eindruck, den sein leidendes Aussehen, seine zwar männlich gefasste, aber hoffnungslos resignirte Stimmung in Betreff aller früheren Erwartungen für das Gedeihen neuer, besserer Weltzustände, bei der besondren Erregung, in welcher mich meine eigne kritische Lage erhielt, auf mich machte, ist mir als einer der traurigsten und unglückweissagendsten in Erinnerung geblieben. In Kösen theilte ich ihm mehreres von den Versen meines » Liebesverbotes« mit, für welche er, trotz aller Kälte gegen meine Anmaassung, mir auch meine Operntexte selbst schreiben zu wollen, doch nicht ohne ermunternde Anerkennung blieb. Unruhig erwartete ich jedoch nur Briefe aus Magdeburg; nicht weil ich daran gezweifelt hätte, dass dieses Wiederengagement zu Stande käme, da ich im Gegentheil Grund hatte mich für eine gute Acquisition des Direktors Bethmann anzusehen, sondern weil Alles, was mich wieder in die Nähe Minna's bringen sollte, mir nicht schnell genug ging. Kaum waren die nöthigen Nachrichten eingetroffen, als ich schleunigst mich aufmachte, um an Ort und Stelle die zur Sicherung eines besonders glänzenden Zustandes der bevorstehenden Magdeburger Opernsaison erforderlichen Vorschläge zu machen. Dem stets bankrotten Theaterdirektor war um diese Zeit durch die unermüdete Gunst des Königs von Preussen eine neue letzte Hülfe zugeführt worden; einem aus angesehenen Magdeburger Bürgern bestelltem Comité hatte der König eine nicht unbedeutende Summe zur Verwendung für das Theater unter Bethmann's Leitung angewiesen. Was das hiess, und welches Ansehen dadurch plötzlich die Magdeburger Kunstverhältnisse für mich gewannen, ist zu begreifen, wenn man bedenkt, wie verlassen und kümmerlich derartige Theater in unsren Städten ihr verachtetes Leben hinschleppen. Ich erbot mich sofort eine grössere Reise zur Aufsuchung guter Opernsänger zu unternehmen; die Mittel hierzu wollte ich auf eigne Gefahr mir verschaffen, die Direktion sollte mir den möglichen Ersatz nur durch Zusicherung der Einnahme einer Benefiz-Vorstellung in Aussicht stellen. Diess wurde denn gern angenommen, und ich in hochtrabendem Tone mit den nöthigen Vollmachten des Direktors versehen, und ausserdem noch besonders von ihm gesegnet. Mit Minna, die jetzt ihre Mutter bei sich hatte, lebte ich während dieses kurzen Aufenthaltes wiederum im traulichsten Verkehr, und nahm nun zur Ausführung meines kühnen Unternehmens von Neuem Abschied.

Schwierig war es zunächst, in Leipzig die in Magdeburg so liberal angekündigten Geldmittel zur Bestreitung meiner projektirten Engagementsreise zu verschaffen. Der Glanz der königlich preussischen Protektion unsrer Theater-Unternehmung, welchen ich meinem guten Schwager Brockhaus in den lebhaftesten Farben spielen liess, wollte diesen durchaus nicht verblenden, und es kostete grosse, demüthigende Bemühungen, mein Entdeckungsschiff zur Ausfahrt flott zu machen. – Natürlich trieb es mich zu allernächst in mein altes Wunderland Böhmen, wo ich Prag diesmal, ohne meine schönen Freundinnen anzutreffen, nur flüchtig berührte, um zunächst in Karlsbad das während der Badesaison dort vorräthige Opernpersonal zu beobachten. Ungemein begierig, so schnell wie möglich, so viel wie möglich Talente aufzufinden, um meine Reisemittel nicht erfolglos zu erschöpfen, wohnte ich mit dem herzlichen Wunsche Alles vortrefflich zu finden, einer Aufführung der »weissen Dame« bei. Von der üblen Beschaffenheit sämmtlicher Sänger vermochte ich mir erst dann einen vollen Begriff zu verschaffen, als ich den einzig von mir ausgewählten Bassisten, Gräf, welcher den »Gaveston« sang, späterhin in Magdeburg zum Debüt gelangen liess, wobei er, und, wie ich nicht leugnen konnte, mit grossem Recht, so entschieden missfiel, dass ich dem Spott, den diese Acquisition mir zuzog, nichts ernstliches zu erwiedern vermochte. – War ich bisher nicht glücklich gewesen im Betreff des eigentlichen Zwecks meiner Reise, so regte mich diese selbst doch desto angenehmer an. Die Fahrt durch Eger, über das Fichtelgebirg, mit der Ankunft in das vom Abendsonnenschein lieblich beleuchtete Bayreuth, wirkte noch bis in späteste Zeiten angenehm auf meine Erinnerung.

Mein Ziel war für jetzt Nürnberg, wo meine Schwester Clara und ihr Mann noch beim Theater waren, und ich durch diese gute Auskunft über das von mir Gesuchte erwarten zu dürfen glaubte. Vor Allem war's mir lieb, im Hause meiner Verwandten gastlich aufgenommen zu werden, um zunächst für die Wiederauffrischung meiner sehr erschöpften Reisemittel sorgen zu können. Ich rechnete hierfür besonders auf den Ertrag des Verkaufs einer Tabaksdose, welche ich von einem Freunde zum Geschenk erhalten hatte, und von der ich aus geheimen Gründen fest annahm, sie sei aus Platina; hierzu kam ein goldener Siegelring, den mir Freund Apel für die Composition der Ouverture zu seinem Columbus verehrt hatte. Der Versatz dieser einzig mir gehörenden Kleinodien, von denen leider der mir vorschwebende Werth der Tabatière sich als ein imaginärer herausstellte, musste die spärlichen Mittel zur Weiterreise bis Frankfurt beschaffen. Dorthin nämlich, und in die Nähe des Rheines, wiesen mich die mir ertheilten Auskünfte; denn nachdem es mir gelungen war, meinen Schwager und meine Schwester zu einem Engagement für Magdeburg zu bereden, fehlte es nun hauptsächlich noch an einem ersten Tenor und einer ersten Sängerin, welche bisher durchaus nicht aufzufinden waren.

Dieser gelegentliche Aufenthalt in Nürenberg verzögerte sich ausserdem noch auf angenehme Weise durch ein neues Zusammentreffen mit der Schröder-Devrient, welche dort zu einem kurzen Gastspiel grade um diese Zeit eintraf. Bei ihrem Wiedersehen ging mir der ganze Himmel auf, der sich seit unsrer Trennung in Betreff meines Kunsttreibens etwas getrübt hatte. Das Nürenberger Opernpersonal bot der Künstlerin keine grosse Auswahl der zu gebenden Vorstellungen; ausser Fidelio war nichts andres als die Schweizerfamilie heraus zu bringen, worüber die Künstlerin sich beklagte, da diess eine ihrer frühesten Jugendrollen sei, für welche sie sich kaum mehr eignete, und die sie auch zum Ueberdruss häufig gegeben habe. Auch ich sah der Schweizerfamilie mit Misbehagen, ja fast Bangigkeit entgegen, da ich nicht anders glaubte, als dass die matte Oper und die altmodisch sentimentale Rolle der » Emmeline« den bisher stets von den Leistungen der Künstlerin erhaltenen grossen Eindruck beim Publikum, wie bei mir selbst, schwächen würde. Wie gross war meine Ergriffenheit und wahrhaftes Erstaunen, als ich an diesem Abend die unbegreifliche Frau erst in ihrer wahrhaft hinreissenden Grösse kennen lernen sollte. Dass so etwas, wie die Darstellung dieses Schweizermädchens, nicht als Monument allen Zeiten erkenntlich festgehalten und überliefert werden kann, muss ich jetzt noch als eine der erhabensten Opferbedingungen erkennen, unter welchen die wunderbare dramatische Kunst einzig sich offenbart, wesshalb diese, sobald solche Phänomene sich kundgeben, gar nicht hoch und heilig genug gehalten werden kann.

Ausser diesem für mein ganzes Leben und meine Kunstentwickelung so tief bedeutungsvoll neuem Seelenerlebnisse, hat mein diesmaliger Nürenberger Aufenthalt nach einer andren Seite hin besondre Eindrücke auf mich hinterlassen, welche, so unscheinbar, ja trivial ihre Veranlassung war, doch mit so grosser Stärke in mir hafteten, dass sie späterhin, in eigenthümlich erneuter Gestalt, in mir wieder auflebten. Mein Schwager Wolfram war besonders auch als gemüthlich witziger Cumpan den Nürnberger Theaterfreunden zu grösster Beliebtheit nahe getreten: von dem Geiste der ausgelassenen Unterhaltung, zu der es an den Wirthshausabenden kam, an welchen auch ich theil nahm, erhielt ich bei dieser Gelegenheit eigenthümlich ergetzliche Belege. Ein Tischlermeister Lauermann, ein nicht mehr junger, kleiner und untersetzter Mann, von drolligem Aeussern und nur mit dem niedersten Volksdialekte vertraut, wurde mir in einem von unsren Bekannten besuchten Wirthshaus als einer der Sonderlinge bezeichnet, welche gegen ihren Willen am meisten zur Unterhaltung der Spassvögel beitrugen. Lauermann bildete sich nämlich ein, ein vortrefflicher Sänger zu sein, und hegte, von diesem Vorurtheil ausgehend, besondres Interesse wiederum nur für solche, an denen er seiner Meinung nach Gesangstalent wahrnahm. Trotzdem er nun fortgesetzt wegen dieser seltsamen Eigenheit zur beständigen Zielscheibe des Spottes und der verhöhnenden Scherze gemacht war, stellte er sich doch regelmässig alle Abende unter seinen lachlustigen Verfolgern ein; nur hielt es endlich äusserst schwer, den so häufig Ausgelachten und durch Verhöhnung Gekränkten dazu zu bringen, dass er seine Kunstfertigkeit zum Besten gäbe, was endlich nur durch künstlichst angelegte Fallen, die man seiner Eitelkeit stellte, gelang. Meine Ankunft, als eines Unbekannten, wurde zu einem solchen Spiel benutzt; und wie gering man von der Urtheilskraft des armen Meistersängers dachte, zeigte sich mir zu meinem Erstaunen dadurch, dass mein Schwager mich ihm als den grossen italienischen Sänger Lablache vorstellte. Zu seiner Ehre muss ich gestehen, dass Lauermann mich lange Zeit mit ungläubigem Misstrauen mass, sich über mein jugendliches Aussehn, noch mehr aber über den offenbaren Tenorklang meiner Stimme, mit vorsichtigem Bedenken äusserte. Allein dies Unglaubliche den armen Enthusiasten glauben zu machen, darin bestand eben die belustigende, lange Zeit in Anspruch nehmende, Kunst der Wirthshausgenossen. Mein Schwager wusste es dem Tischler glaublich zu machen, dass ich, der ich für meine Leistungen unerhört bezahlt würde, diese beim Besuchen öffentlicher Wirtschaften durch besondre Verstellung dem Publikum zu entziehen suchte; wenn es sich übrigens um eine Begegnung zwischen » Lauermann« und » Lablache« handle, könnte natürlich nur das Interesse in Rechnung kommen, Lauermann, nicht aber Lablache zu hören, da dieser von jenem, nicht aber umgekehrt jener von diesem zu lernen habe. Ein seltsamer Kampf von Ungläubigkeit und gestachelter Eitelkeit machte nun den armen Tischler für mich wirklich anziehend: ich begann die mir zugetheilte Rolle selbst mit möglichstem Geschick zu spielen, und nach Verlauf zweier, durch die sonderbarsten Einfälle gewürzter Stunden, gelang es wirklich, den wunderlichen Menschen, der lange in grosser Aufregung seine blitzenden Augen auf mich gerichtet hatte, dazu zu bringen, dass er seine Muskeln in die eigenthümlich gespenstische Bewegung setzte, die wir an einem musicirenden Automaten wahr zu nehmen glauben, wenn das Räderwerk in ihm aufgezogen ist: die Lippen bebten, die Zähne knirschten, das Auge verdrehte sich convulsivisch, und endlich erscholl von heiserer, fetter Stimme ein ungemein trivialer Gassenhauer. Beim Vortrage desselben, den er mit einer stabilen Bewegung des ausgestreckten Daumens hinter die Ohren begleitete, und bei welchem sein dickes Gesicht zur glühendsten Röthe sich erhitzte, brach leider alsbald ein unmässiges Gelächter sämmtlicher Zuhörer aus, was den unglücklichen Meister sofort in die höchste Wuth brachte. Mit vollendeter Grausamkeit wurde dieser Wuth wiederum von denjenigen, welche ihm bis dahin auf das abgefeimteste geschmeichelt hatten, durch ausgelassenste Verhöhnung erwiedert, was den armen Menschen bis zu wahrhaftem Schäumen brachte. Als der Unglückliche, unter den furchtbarsten Verwünschungen der elenden Freunde, seinen Rückzug aus dem Wirthshaus anzutreten im Begriff war, trieb mich ein wahrhaftes Mitleiden an, ihm nachzugehen, ihn um Verzeihung zu bitten, und auf jede Weise ihn zu begütigen, was um so schwerer hielt, da er grade auf mich, als den neuesten seiner Feinde, der ihn noch dazu um die Wonne, Lablache kennen zu lernen, so empfindlich betrogen hatte, am bittersten aufgebracht war. Doch gelang es, ihn an der Schwelle festzuhalten; und nun verständigte sich die ausgelassene Gesellschaft stillschweigend sogar zu der unerhörten Verschwörung, am selben Abende Lauermann nochmals zum Singen zu bringen. Wie dies gelang, blieb mir um so schwerer in meiner Erinnerung festzuhalten, als namentlich auch die Wirkung der geistigen Getränke, welche schliesslich doch wohl auch über Lauermann nur diesen äussersten Erfolg zu erringen vermochte, meine eigne Wahrnehmung in Betreff der wunderbaren Vorgänge dieses unerhört langen Wirthshausabends in Verwirrung setzte. Nachdem Lauermann noch einmal dieselbe Verhöhnung erlebt, fühlte die ganze Gesellschaft die Verpflichtung den Unglücklichen nach Haus zu geleiten; es geschah dies in einem Schiebkarren, den wir vor dem Hause fanden, und in welchem wir ihn gleichsam im Triumph vor seiner Thür, in einem jener wunderbaren engen Gässchen der alten Stadt, vorfuhren. Frau Lauermann, welche aus dem Schlafe geweckt wurde um ihren Gatten in Empfang zu nehmen, liess uns durch die Ausbrüche ihrer Verwünschungen errathen, wie es mit diesem ehelichen und häuslichen Verhältnisse stand. Die Verhöhnung des Gesangstalentes ihres Mannes war auch ihr geläufig; nur gesellten sich dazu die schrecklichsten Vorwürfe gegen die nichtswürdigen Buben, welche ihren armen Mann durch Unterhaltung seines Wahnes vom nützlichen Betrieb seines Gewerbes abhielten, und gar endlich zu solchen Auftritten, wie dem gegenwärtigen, Anlass gäben. Hier aber richtete sich wieder der Stolz des leidenden Meistersängers auf: denn seiner Frau, während sie ihn mühsam die Treppe hinaufgeleitete, sprach er jedes Recht über seine Gesangskunst zu urtheilen in den härtesten Ausdrücken ab, und verwies sie auf das Kräftigste zur Ruhe. – Nun war aber dies wunderliche Nachtabenteuer keineswegs zu Ende. Der ganze Schwarm bewegte sich noch einmal nach dem Wirthshaus zurück; vor diesem fanden wir aber bereits andre Gesellen, worunter Handwerksburschen, welchen bereits der eingetretenen Polizeistunde wegen die Thüre verschlossen war: den eigentlichen Stammgästen, welche sich unter uns befanden, und welche mit dem Wirth in alt befreundeten Beziehungen standen, dünkte es erlaubt und möglich, dennoch Einlass zu begehren. Der Wirth war in Pein, seinen Freunden, deren Stimme er erkannte, die Thüre verschlossen erhalten zu sollen; doch musste vermieden werden, dass die neu hinzugekommenen sich etwa nachdrängten. Aus dieser Situation entstand nun eine Verwirrung, welche durch Schreien und Toben, so wie durch unbegreifliches Anwachsen der Masse der Streitenden, bald einen wahrhaft dämonischen Charakter annahm. Mir schien es, als ob im nächsten Augenblick die ganze Stadt in Aufruhr losbrechen würde, und ich glaubte wirklich abermals zum Zeugen einer Revolution werden zu müssen, von der aber kein Mensch irgend einen wahrhaftigen Anlass zu begreifen im Stande war. Da plötzlich hörte ich einen Fall, und wie durch Zauber stob die ganze Masse nach allen Seiten auseinander. Einer der Stammgäste, mit einer alten Nürenberger Kampfart wohlvertraut, hatte nämlich, um der unabsehbaren Verwirrung ein Ende zu machen, und um sich den Heimweg zu öffnen, einen der heftigsten Schreier durch einen gewissen Stoss mit der Faust zwischen die Augen besinnungslos, wenn auch unschädlich verwundet, zu Boden gestreckt; und die Wirkung hiervon war es, welche so plötzlich Alles auseinander jagte. Kaum in einer Minute nach dem heftigsten Toben von mehreren hunderten von Menschen, konnte ich mit meinem Schwager Arm in Arm, ruhig scherzend und lachend, durch die monderleuchteten Strassen nach Hause wandern, und erfuhr von ihm unterwegs staunend zu meiner Beruhigung, dass er diess eigentlich an allen Abenden so gewohnt sei. –

Endlich war es Zeit, mich der Erreichung des Zweckes meiner Reise ernstlich wieder zuzuwenden. Nur im Durchzug berührte ich Würzburg auf einen Tag: von dem Wiedersehen meiner Verwandten und Bekannten ist mir nichts in Erinnerung geblieben, als jener bereits früher erwähnte wehmüthige Besuch bei Friederike Galvani. In Frankfurt angekommen, musste ich mich sogleich in den Schutz eines soliden Hôtels begeben, um daselbst den Erfolg meiner Bemühungen um Subsidien bei der Magdeburger Theater-Direktion abzuwarten. Meine Hoffnungen für den Gewinn der eigentlichen Matadoren unsrer Opernunternehmung waren auf Wiesbaden gerichtet, wo man mir eine gute, im Auseinandergehen begriffene Operngesellschaft nachwies. Es fiel mir äusserst schwer, die kleine Reise bis dorthin zu bewerkstelligen; doch gelang es mir daselbst einer Probe von »Robert der Teufel« beizuwohnen, in welcher der Tenorist Freimüller glänzte. Diesen, den ich sofort aufsuchte, fand ich auch geneigt auf meine Vorschläge für Magdeburg einzugehen; ich traf mit ihm die nöthigen Verabredungen, und reiste, nothgedrungen, auf das schleunigste in mein Asyl, den Gasthof zum »Weidenbusch« in Frankfurt zurück. Dort hatte ich noch eine peinliche Woche zu verleben, da ich vergeblich die aus Magdeburg requirirten ferneren Reisemittel erwartete. Um die Zeit zu tödten, griff ich unter andrem zu einer grossen rothen Brieftasche, welche ich in meinem Reisemantelsack mit mir herumführte, und schrieb darin, mit genauer Angabe der Daten, Notizen zu meiner dereinstigen Biographie auf, – dieselben, welche ich gegenwärtig vor mir habe, um meine Erinnerung anzufrischen, und welche ich seitdem in verschiedenen Lebensperioden mit ununterbrochener Folge fortsetzte. Meine, durch die Vernachlässigung der Magdeburger Direktion sich bedenklich gestaltende Lage gerieth endlich in die sonderbarste Verwirrung, als ich in Betreff einer in Frankfurt selbst gemachten Acquisition glücklicher war, als ich es zu ertragen vermochte. Ich hatte einer Aufführung der »Zauberflöte«, unter des damals als »genialer Dirigent« wunderbar berühmten Kapellmeisters Guhr Leitung, beigewohnt, und war von dem wirklich vorzüglichen Opernpersonale sehr angenehm überrascht worden. Natürlich war nicht daran zu denken, eines der ersteren Mitglieder desselben in meine Netze zu verlocken; dagegen blickte ich scharf genug, in der jugendlichen Fräulein Limbach, welche den ersten »Knaben« sang, ein begehrenswerthes Talent zu erkennen. Meine Engagements-Anträge wurden von ihr angenommen, und zwar schien es ihr so sehr daran gelegen zu sein, von ihrem Frankfurter Engagement frei zu werden, dass sie beschloss durch heimliches Entweichen sich aus demselben zu entfernen. Diess erklärte sie mir, und forderte mich zur Mithülfe bei diesem Vorhaben auf, welches keinen Aufschub leiden könnte, weil es sonst der Direktion bekannt werden würde. Die junge Dame vermuthete mich jedenfalls im Besitz reicher Creditive, mit denen das von mir ihr so sehr gerühmte Magdeburger Theatercomité mich für meine offizielle Geschäftsreise ausgestattet haben würde. Bereits hatte ich jedoch, um nur mein eigenes Fortkommen zu ermöglichen, zum Versatze meines dürftigen Reisegepäckes schreiten müssen: so weit hatte ich den Wirth gebracht; nun aber noch die Kosten der Entführung einer jungen Sängerin mir vorzuschiessen, fand ich ihn durchaus abgeneigt. Ich musste der jungen Dame, zur Bemäntelung des schlechten Benehmens meiner Direktion, irgend ein Missgeschick vorlügen, und die verwunderungsvoll Zürnende zurücklassen. Sehr beschämt über dieses Abenteuer, reiste ich durch Regen und Wetter über Leipzig, wo ich meinen braunen Pudel abholte, nach Magdeburg zurück, wo ich nun vom ersten September an wieder meine Musikdirektion antrat.

Der Ausfall meiner Geschäftsbesorgung machte mir keine grosse Freude; der Direktor wies mir zwar triumphirend nach, dass er fünf ganze Louis-d'or an meine Adresse nach Frankfurt schliesslich geschickt habe: meinem Tenor und meiner jugendlichen Sängerin hatte man jedoch wohlausgefertigte Contrakte, nicht aber die verlangten Reisegelder und Vorschüsse zugesendet. Alle blieben aus; nur der Bassist Gräf langte aus Karlsbad mit pedantischer Pünktlichkeit an, und erregte sogleich die lustigen Bemerkungen der Spottvögel des Theaters. Er sang auf einer Probe zur »Schweizerfamilie« so schulmeisterlich schnarrend, dass ich darüber wirklich in grosse Verlegenheit gerieth. Dass mein tüchtiger Schwager Wolfram mit meiner Schwester Clara ebenfalls anlangten, gereichte mehr dem Singspiel als der grossen Oper zum Vortheil, und bereitete mir ausserdem grosse und sorgenvolle Pein, da die braven, an solide Verhältnisse gewöhnten Leute, sehr bald das, trotz aller königlichen Protektion, missliche der Theaterverhältnisse unter einer so gewissenlosen Direktion, wie der Bethmann'schen, durchblickten, und dadurch sich in einer bedenklichen Verschlimmerung ihrer Familienlage zu befinden erkannten. Schon sank mir aller Muth, als der Zufall uns in einer jungen Frau, Mme Pollert, geb. Zeibig, welche mit ihrem Mann, einem Schauspieler, durch Magdeburg kam, eine mit schöner Stimme begabte und talentvolle Sängerin für das erste Fach vorläufig als Gast zuführte. Die Noth hatte endlich die Direktion zu den geeigneten Schritten getrieben, welche in letzter Stunde auch den Tenoristen Freimüller uns zuführten; und besonders gross war meine freudige Genugthuung, als die Liebe, welche diesen schnell zu der jungen Limbach in Frankfurt ergriffen hatte, dem unternehmenden Tenor auch die Entführung dieser Sängerin, zu welcher ich mich so schmachvoll unfähig erwiesen, glücklich ermöglicht hatte. Beide kamen freudestrahlend an; zu ihnen ward Mme Pollert welche sehr gefiel, trotz ihrer Prätensionen ebenfalls engagirt; ein gut geschulter, musikalisch gebildeter Barytonist, Herr Krug, später Chordirektor in Carlsruhe, hatte sich auch gefunden, und so stand ich plötzlich an der Spitze eines wirklich recht guten Opernpersonales, bei welchem nur der Bassist Gräf mühsam durch Vertuschung unterzubringen war. Uns glückte bald eine Reihe in ihrer Art nicht ganz gewöhnlicher Opernvorstellungen, wobei unser Repertoire sich geradenwegs über Alles erstreckte, was nur irgend in diesem Genre für das Theater geschrieben war: ganz vorzüglich erfreute ich mich aber der wirklich nicht weihelosen Aufführung der Spohr'schen » Jessonda«, welche uns auch bei den gebildeteren Musikfreunden in grosse Achtung setzte. Ich war unermüdlich in Auffindung von Möglichkeiten, unsre Vorstellungen weit über das Niveau der, solchen dürftig organisirten Stadttheatern sonst möglichen, Leistungen zu erheben. Den Direktor Bethmann verfeindete ich mir unaufhörlich durch Verstärkung des Orchesters, welche er zu bezahlen hatte; dafür gewann ich wieder seine volle Zuneigung durch Verstärkungen des Chors und der Theatermusik, welche ihm nichts kosteten, unsren Vorstellungen aber einen solchen Glanz verliehen, dass das Abonnement und der sonstige Besuch des Theaters einen unerhörten Aufschwung nahmen. Ich hatte nämlich die Regimentsmusiker und die, in der preussischen Armee trefflich organisirten Militairsänger, zu ihrer Mitwirkung bei unsren Aufführungen gegen blosse Entschädigung durch freie Entree auf die Galerie für ihre Angehörigen vermocht. So erreichte ich es, dass wir in Bellini's Norma die nach der Partitur verlangte, besonders starke Musikbande auf dem Theater in grösster Vollständigkeit besetzen konnten, und für das mir damals sehr imponirende Unisono des Männerchors der Introduction eine selbst den grössten Bühnen fast unerschwingbare Anzahl von Männerstimmen zur Verfügung hatten. Ich konnte in späterer Zeit Herrn Auber im Tortoni'schen Caffee-Haus zu Paris, wo ich öfter mit ihm zum Genuss des Eises zusammentraf, versichern, dass ich das meuterische Militär, welches in seinem » Lestocq« zur Verschwörung sich hinreissen lässt, wirklich durch eine ganze vollzählige Compagnie zum Singen gebracht hätte; was er mir damals noch mit staunender Freude verdankte.

Unter solch' ermuthigenden Umständen schritt auch die Composition meines Liebesverbotes ihrer Vollendung schnell entgegen. Ich bestimmte die Aufführung dieses Werkes zu der für meine Auslagen mir versprochenen Benefizvorstellung, und arbeitete nun zu gleicher Zeit an der Gründung meines Ruhms und einer nicht minder lebhaft erwarteten günstigen Gestaltung meiner finanziellen Verhältnisse, als ich mit unerhörtem Eifer selbst die wenigen Stunden, die ich neben meinen Geschäften mir an Minna's Seite gönnte, zur Ausarbeitung meiner Partitur verwendete. Dieser Fleiss rührte selbst die bedenklich auf unser Liebesverhältniss blickende Mutter Minna's, welche seit dem Sommer bei der Tochter zum Besuch verblieben war, und ihr die Wirthschaft führte; durch ihre Dazwischenkunft war in unser Verhältniss eine neue, auf ernstliche Lösung drängende Spannung getreten. Es war natürlich, dass die Frage, zu was dieses führen sollte, nun näher herantrat. Ich muss gestehen, dass der Gedanke an eine Heirath mich, zunächst wohl schon meiner grossen Jugend wegen, mit banger Beängstigung erfüllte; ohne irgend mich der Ueberlegung und vernünftigen Erwägung hinzugeben, hielt mich ein naïves, instinktmässiges Gefühl von der Erfassung der ernstlichen Möglichkeit eines für das ganze Leben so wichtigen Entschlusses zurück. Dazu waren unsre bürgerlichen Verhältnisse in so sehr beängstigender und unsichrer Schwebe, dass auch bei Minna eher wohl der Wunsch der Verbesserung dieser Lage, als des Abschlusses eines Ehebündnisses in derselben, zur Aeusserung kommen konnte. Hierauf zunächst ihrerseits zu denken, fühlte sie sich bald durch Verdriesslichkeiten veranlasst, in welche sie in Betreff ihrer Stellung am Magdeburger Theater gerieth. Sie hatte nämlich für ihr Fach im Schauspiel eine Nebenbuhlerin erhalten, welche ihr namentlich dadurch, dass ihr Mann als Oberregisseur zur höchsten Macht gelangte, sehr gefährlich wurde. Da Minna nun im Beginn des Winters von der Direktion des damals in Berlin sehr glänzende Geschäfte machenden Königstädter Theater's vortheilhafte Anträge erhielt, erfasste sie diese Veranlassung zur Herbeiführung eines völligen Bruches mit dem Magdeburger Theater, wodurch ich, auf den sie hierbei gar keine Rücksicht zu nehmen schien, in wahrhafte Beängstigung gerieth. Ich konnte nicht verhindern, dass Minna ihre Entfernung zum Antritt eines Gastspiels in Berlin in völlig contraktbrüchiger Weise durchsetzte. Sie reiste ab, und liess mich in grosser Pein und wahrhaftem Zweifel über ihr Benehmen zurück. In leidenschaftlicher Unruhe drang ich brieflich in sie, zurückzukehren, und trat, um sie zu bewegen, ihr Schicksal nicht von dem meinigen zu trennen, mit förmlichen, auf eine bald zu ermöglichende Heirath abzielenden, Erklärungen hervor. Zu gleicher Zeit hatte sich mein Schwager Wolfram, der sich mit dem Direktor Bethmann überworfen und seinen mit diesem bestehenden Contrakt gelöst hatte, ebenfalls zu einem Gastspiel an das Königstädter Theater gewandt. Meine gute Schwester Clara, die in unerfreulichen Verhältnissen zunächst in Magdeburg zurückgeblieben war, gewahrte die peinlich sorgenvolle Stimmung, in welcher der sonst so heitre Bruder sich schnell abzehrte. Eines Tages hielt sie es an der Zeit, mir einen Brief ihres Mannes zu zeigen, in welchem dieser aus Berlin, und namentlich auch über Minna berichtete, indem er herzlich meine Leidenschaft für dieses Mädchen beklagte, die sich meiner unwürdig aufführe, und, wie er in dem Gasthofe, in welchem er mit ihr zugleich wohnte, Gelegenheit zu beobachten hatte, sich des ärgerlichsten Umganges und Benehmens schuldig mache. Der ausserordentliche Eindruck, den diese schreckliche Mittheilung auf mich machte, bestimmte mich, aus der bisher noch gegen meine Verwandten gezeigten Zurückhaltung in Betreff meines Liebesverhältnisses herauszutreten: ich schrieb meinem Schwager nach Berlin, wie es mit mir stünde, wie ernstlich ich an Minna Planer hinge, und von welcher entscheidenden Wichtigkeit es mir wäre, von ihm die untrüglichste Wahrheit über das Verhalten der von ihm so übel Bezüchtigten zu erfahren. Von meinem sonst so trockenen und leicht zum Spott geneigten Schwager erhielt ich nun eine Antwort, welche mein Herz mit grosser Wärme erfüllte. Er bekannte, Minna leichtsinnig angeklagt zu haben, bereute auf müssiges Geschwätz, welches sich nach genauester Erkundigung als völlig grundlos erwiesen, eine Verleumdung begründet zu haben, und erklärte nach näherer Bekanntschaft und Unterredung mit Minna sich von der Tüchtigkeit und Rechtschaffenheit ihres Charakters auf das Befriedigendste überzeugt zu haben, so dass er zu meiner möglichen Vereinigung mit dem braven Mädchen mir aus ganzem Herzen Glück wünsche. Nun läutete es in mir Sturm. Ich beschwor Minna sofort zurückzukehren, und war erfreut, ihrerseits zu vernehmen, dass auch sie an eine fernere Anstellung bei dem Berliner Theater, seitdem sie gewisse frivole Tendenzen desselben genauer kennen gelernt habe, nicht mehr denke. Einzig blieb mir nun übrig, den Wiedereintritt in ihr Magdeburger Engagement zu ermöglichen. Ich trat zu diesem Zweck in einer Sitzung des Theatercomités dem Direktor und seinem von mir gehassten Oberregisseur mit solcher Energie entgegen, und vertheidigte Minna gegen das von Beiden ihr zugefügte Unrecht mit so leidenschaftlicher Wärme, dass die Beisitzenden, über das freimüthige Bekenntniss meiner Neigung erstaunt, widerstandslos meinen Wünschen sich fügten. Nun reiste ich bei schrecklichem Winterwetter in tiefer Nacht mit Extrapost der wiederkehrenden Geliebten entgegen, um sie unter herzlichen Thränen freudig zu begrüssen, und im Triumphe in ihre behagliche, mir so lieb gewordene Magdeburger Wohnung zurück zu geleiten.

Während unser kurz unterbrochenes Zusammenleben nun sich immer enger schloss, vollendete ich gegen Neujahr 1836 die Partitur des » Liebesverbotes«. Auf den Erfolg dieser Arbeit gab ich bei der Gestaltung meiner Pläne für die Zukunft nicht wenig; auch Minna schien nicht ungeneigt, auf meine Hoffnung in diesem Bezug einzugehen. Wir hatten Grund, nicht unbesorgt darüber zu sein, wie sich mit dem Eintritt des Frühjahres, welcher solchen prekären Theaterunternehmungen stets verderblich ist, die Verhältnisse für uns gestalten sollten. Trotz der königlichen Unterstützung und der Einmischung des Theatercomités in die Verwaltung, blieb unser würdiger Direktor in perenirendem Bankrott begriffen, und an ein Fortbestehen seiner Theaterunternehmung, unter irgend welcher Form, war nicht zu denken. Somit sollte die Aufführung meiner Oper durch das mir zu Gebote stehende, recht gute Sängerpersonal zum Ausgangspunkte einer gründlichen Wendung meiner misslichen Lage werden. Ich hatte zur Entschädigung meiner Reisekosten vom vorigen Sommer her eine Benefizvorstellung zu meinen Gunsten zu fordern: natürlich bestimmte ich eine Aufführung meines Werks dazu, und bemühte mich hierbei, der Direktion diese mir zu erweisende Gunst so wenig wie möglich kostspielig zu machen. Da dem ungeachtet die Direktion einige Auslagen für die neue Oper zu machen hatte, verabredete ich, dass die Einnahme der ersten Aufführung ihr überlassen bleiben sollte, wogegen ich nur die der zweiten für mich in Anspruch nahm. Dass auch die Zeit des Einstudirens gänzlich an das Ende der Saison hinausgerückt wurde, schien mir nicht eigentlich ungünstig, da ich annehmen durfte, dass die letzten Vorstellungen des oft mit ungewöhnlichem Beifall aufgenommenen Personals mit besondrer Theilnahme vom Publikum beachtet werden würden. Leider aber erreichten wir das gemeinte gute Ende dieser Saison, welches auf Ende April festgesetzt war, gar nicht, da schon im März, wegen Unpünktlichkeit der Gagenzahlung, die beliebtesten Opernmitglieder, welche sich anderswo besser versorgen konnten, der Direktion, welche in ihrer Zahlungsunfähigkeit hiergegen keine Mittel zur Verfügung hatte, ihren Abgang anzeigten. Nun ward mir allerdings bang: das Zustandekommen einer Aufführung meines » Liebesverbotes« schien mehr als fraglich. Der grossen Beliebtheit, welche ich bei allen Opernmitgliedern genoss, verdankte ich es allein, dass sich die Sänger nicht nur zum Aushalten bis an das Ende des Monates März, sondern auch zur Uebernahme des für die kurze Zeit so sehr anstrengenden Einstudierens meiner Oper, bewegen liessen. Diese Zeit, sollten noch zwei Aufführungen zu Stande kommen, war so knapp zugemessen, dass wir zu allen Proben nur zehn Tage für uns hatten. Da es sich keineswegs um ein leichtes Singspiel, sondern, trotz des leichtfertigen Charakters der Musik, um eine grosse Oper mit zahlreichen und starken Ensemblesätzen handelte, war das Unternehmen wohl tollkühn zu nennen. Ich baute jedoch auf den Erfolg der besondren Anstrengung, welcher mir zu Liebe die Sänger, indem sie früh und Abends unausgesetzt studirten, sich gern unterzogen; und da trotzdem es rein unmöglich war, zu einiger bewusster Sicherheit, namentlich auch des Gedächtnisses, bei den Geplagten zu gelangen, so rechnete ich schliesslich auf ein Wunder, welches meiner bereits erlangten Geschicklichkeit im Dirigiren gelingen sollte. Welche eigenthümliche Fähigkeit ich besass, den Sängern zu helfen, und sie, trotz höchster Unsicherheit, in einem gewissen täuschenden Fluss zu erhalten, zeigte sich wirklich in den wenigen Orchesterproben, wo ich durch beständiges Souffliren, lautes Mitsingen und drastische Anrufe betreffs der nöthigen Aktion, das Ganze so im Geleis erhielt, dass man glauben konnte, es müsse sich ganz erträglich ausnehmen. Leider beachteten wir nicht, dass bei der Aufführung, in Anwesenheit des Publikums, all diese drastischen Mittel zur Bewegung der dramatisch musikalischen Maschinerie sich einzig auf die Zeichen meines Taktstockes und die Arbeit meines Mienenspiels beschränken mussten. Wirklich waren die Sänger, namentlich des männlichen Personals, so ausserordentlich unsicher, dass hiedurch eine vom Anfang bis zum Ende alle Wirksamkeit ihrer Rollen lähmende Befangenheit entstand. Der Tenorist Freimüller, mit dem schwächsten Gedächtniss begabt, suchte dem lebhaften und aufregenden Charakter seiner Rolle, des Wildfanges Luzio, durch seine in Fra Diavolo und Zampa erlangte Routine, namentlich aber auch durch einen unmässig dicken und flatternden bunten Federbusch, mit bestem Willen aufzuhelfen. Trotz dem war es dem Publikum nicht zu verdenken, dass es, namentlich da die Direktion den Druck von Textbüchern nicht zu Stande gebracht hatte, über die Vorgänge der nur gesungenen Handlung gänzlich im Unklaren blieb. Mit Ausnahme einiger Partien der Sängerinnen, welche auch beifällig aufgenommen wurden, blieb das Ganze, welches von mir auf kecke, energische Aktion und Sprache abgesehen war, ein musikalisches Schattenspiel auf der Scene, zu welchem das Orchester mit oft übertriebenem Geräusch seine unerklärlichen Ergüsse zum Besten gab. Als charakteristisch für die Behandlung meiner Tonfarben erwähne ich, dass der Direktor eines preussischen Militär-Musikcorps, welchem übrigens die Sache sehr gefallen hatte, mir für zukünftige Arbeiten doch eine wohlgemeinte Anleitung zur Behandlung der türkischen Trommel zu geben für nöthig hielt. Ehe ich das weitere Schicksal dieser wunderlichen Jugendarbeit mittheile, verweile ich noch, um über den Charakter derselben, namentlich in Betreff der Dichtung, kurz zu berichten.

Das in seinem Grunde sehr ernst gehaltene Stück Shakespeares war in meinem Sujet zu folgender Fassung gelangt.

 

»Ein ungenannter König von Sizilien verlässt, wie ich vermuthe, zu einer Reise nach Neapel, sein Land, und übergiebt dem von ihm eingesetzten Statthalter, – um ihn als Deutschen zu charakterisiren, einfach » Friedrich« genannt, – die Vollmacht, alle Mittel der königlichen Gewalt zum Versuch einer gründlichen Reform des Sittenzustandes der Hauptstadt, an welchem der strenge Rath Aergerniss genommen, anzuwenden. Beim Beginn des Stückes sieht man die Diener der öffentlichen Gewalt in voller Arbeit, Volksbelustigungshäuser in einer Vorstadt Palermo's theils zu schliessen, theils ganz niederzureissen, und die Bevölkerung derselben, die Wirthe und Bedienung, gefangen fortzuführen. Das Volk thut diesem Beginnen Einhalt; grosse Schlägerei: der Chef der Sbirren, Brighella (Bassbuffo) im stärksten Gedränge, verliest, nach beruhigendem Tambourwirbel, die Verordnung des Statthalters, in Gemässheit welcher, zur Sicherung eines besseren Sittenzustandes, in geschehener Weise gehandelt worden sei. Allgemeine Verhöhnung und Spottchor fällt ein; Luzio, junger Edelmann und jovialer Wüstling (Tenor), scheint sich zum Volksführer aufwerfen zu wollen, und findet sofort Veranlassung, der Sache der Verfolgten sich eingehender anzunehmen, als er seinen Freund Claudio (ebenfalls Tenor), auf dem Weg nach dem Gefängniss dahergeführt sieht, und von diesem erfährt, dass er, einem von Friedrich hervorgesuchtem uraltem Gesetze gemäss, wegen eines Liebesvergehens mit dem Tod bestraft werden soll. Seine Geliebte, mit der eine Vereinigung bisher ihm durch die feindseligen Aeltern derselben verwehrt ist, ward von ihm Mutter; zu dem Hass der Verwandten gesellt sich Friedrich's puritanischer Eifer: er fürchtet das Schlimmste, und hofft einzig auf dem Weg der Gnade Rettung, sobald der Fürbitte seiner Schwester Isabella es gelingen dürfte, das Herz des Harten umzustimmen. Luzio gelobt dem Freunde, Isabella sofort im Kloster der »Elisabethinerinnen«, in welchem sie vor Kurzem als Novize eingetreten, aufzusuchen. – Dort, in den stillen Mauern des Klosters, lernen wir nun diese Schwester im traulichen Gespräch mit ihrer Freundin, der ebenfalls als Novize eingetretenen Marianne, näher kennen. Marianne entdeckt der Freundin, von der sie längere Zeit getrennt war, das traurige Schicksal das sie hieher geführt habe. Sie ward von einem hoch stehendem Manne, unter der Versicherung ewiger Treue, zu geheimer Liebesverbindung vermocht; endlich aber fand sie sich, in höchster Noth, von ihm verlassen und sogar verfolgt, denn der Verräther erwies sich ihr zugleich als der mächtigste Mann im Staate, kein geringerer als der jetzige Statthalter des Königs selbst. Isabella's Empörung macht sich in feuriger Weise Luft, und ihre Beruhigung folgt nur aus dem Entschluss, eine Welt zu verlassen, in welcher so ungeheure Frevel ungestraft verübt werden dürfen. – Als ihr nun Luzio die Kunde vom Schicksal ihres eigenen Bruders bringt, geht ihr Abscheu vor dem Fehltritt des Bruders sofort in helle Entrüstung über die Schändlichkeit des heuchlerischen Statthalters über, welcher den unendlich geringern Fehler des Bruders, den mindestens kein Verrath befleckte, so grausam zu bestrafen sich anmaasst. Ihre heftige Aufwallung zeigt sie unvorsichtiger Weise Luzio im verführerischsten Lichte; schnell von heftiger Liebe entzündet, dringt dieser in sie, für immer das Kloster zu verlassen, und seine Hand anzunehmen. Den Kecken weiss sie sogleich würdevoll in Schranken zu halten; beschliesst aber ohne Zögern, sein Geleit nach dem Gerichtshaus zum Statthalter anzunehmen. – Hier bereitet sich nun die Gerichtsscene vor, welche ich durch ein burleskes Verhör verschiedener Verbrecher gegen die Sittlichkeit durch den Sbirrenchef Brighella einleitete. Der Ernst der Situation wird dann desto auffälliger, als die finstre Gestalt Friedrichs durch das tobend eingebrochene Volk, Ruhe gebietend, eintritt, und das Verhör Claudio's durch ihn selbst in strenger Form vorgenommen wird. Schon will der Unerbittliche das Urtheil aussprechen, als Isabella hinzukommt, und vor allem eine einsame Unterredung mit dem Statthalter verlangt. In dieser beherrscht sie sich, dem gefürchteten und von ihr dennoch verachteten Manne gegenüber, mit edler Mässigung, indem sie zunächst sich nur an seine Milde und Gnade wendet. Seine Einwürfe steigern ihren Affekt: sie stellt das Vergehen des Bruders in rührendem Lichte dar, und bittet um Verzeihung für den so menschlichen und keineswegs unverzeihlichen Fehltritt. Da sie den Eindruck ihrer warmen Schilderung gewahrt, fährt sie immer feuriger fort, sich an die eigenen Gefühle des jetzt so hart sich verschliessenden Herzens des Richters zu wenden, welches doch unmöglich nie den gleichen Empfindungen, welche den Bruder hinrissen, gänzlich verschlossen gewesen sein könnte, und dessen eigene Erfahrung sie jetzt zur Mithülfe für ihr angstvolles Gnadengesuch anrufe. Nun ist das Eis dieses Herzens gebrochen: Friedrich, von der Schönheit Isabella's bis in das Tiefste erregt, fühlt sich seiner nicht mehr mächtig; er verspricht Isabella, was sie nur verlange, um den Preis ihrer eignen Liebe. Kaum ist sie dieser unerwarteten Wirkung inne geworden, als sie, in höchster Empörung über solche unbegreifliche Schändlichkeit, zu Thüre und Fenster hinaus das Volk herbeiruft, um vor aller Welt den Heuchler zu entlarven. Schon stürzt alles in Aufruhr in die Gerichtshalle herein, als es Friedrichs verzweifelter Energie gelingt, mit wenigen bedeutungsvollen Weisungen Isabella das unmögliche Gelingen ihres Vorhabens darzuthun: er würde kühn ihre Anschuldigung leugnen, seinen Antrag als Mittel der Versuchung angeben, und zweifellos Glauben finden, sobald es sich darum handle, den Vorwurf eines leichtfertigen Liebesantrages zurückzuweisen. Isabella, selbst beschämt und verwirrt, erkennt das Rasende ihres Beginnens, und überlässt sich dem Knirschen stummer Verzweiflung. Als nun Friedrich dem Volke von Neuem seine höchste Strenge, und dem Verklagten sein Urtheil angekündigt, geräth Isabella, durch die schmerzliche Erinnerung an Marianne's Schicksal geleitet, blitzschnell auf den rettenden Ausweg, durch List zu erreichen, was durch offene Gewalt unmöglich erscheint. Hierüber geht ihre Stimmung aus der tiefsten Trauer mit jähem Sprung in ausgelassene Laune über; dem jammernden Bruder, dem bestürzten Freunde, dem rathlosen Volke, wendet sie sich mit der Verheissung des lustigsten Abenteuers zu, das sie allen bereiten werde, da selbst die Carneval's-Lustbarkeiten, welche der Statthalter so eben streng verboten, diesmal mit besondrer Ausgelassenheit begangen werden sollten: denn jener gefürchtete Verbieter stelle sich nur zum Schein so grausam, um alle Welt durch seine lustige Theilnahme an Allem, was er verboten, desto angenehmer zu überraschen. Alles hält sie für wahnsinnig geworden, und namentlich Friedrich verweist ihr mit leidenschaftlicher Härte ihre unbegreifliche Thorheit: wenige Worte ihrerseits genügen jedoch, den Statthalter selbst zum Taumel dahin zu reissen; denn sie verspricht ihm, mit heimlich zutraulichem Flüstern, die Erfüllung aller seiner Wünsche, und die Zusendung einer Glück verheissenden Botschaft für die folgende Nacht. – So endet in höchster Aufregung der erste Akt. Welches der so schnell gefasste Plan der Heldin ist, erfahren wir im Beginn des zweiten, wo sie im Gefängnis des Bruders sich einstellt, um diesen zunächst noch zu prüfen, ob er der Rettung werth sei. Sie entdeckt ihm die schmachvollen Anträge Friedrich's, und fragt ihn, ob er um diesen Preis der Unehre seiner Schwester sein verwirktes Leben zu retten begehre? Der höchsten Entrüstung und Opferbereitwilligkeit Claudio's folgt, da er nun Abschied für dieses Leben von der Schwester nimmt, und er dieser die ergreifendsten Grüsse an die hinterlassene trauernde Geliebte aufträgt, endlich die weiche Stimmung, welche den Unglücklichen durch die Wehmuth bis zur Schwäche führt. Isabella, die ihm bereits seine Rettung ankündigen wollte, hält bestürzt inne, da sie den Bruder von der Höhe der edelsten Begeisterung bis zum leisen Bekenntniss der ungebrochenen Lebenslust, zur schüchternen Frage, ob der Preis seiner Rettung ihr unerschwinglich schiene, ankommen sieht. Entsetzt fährt sie auf, stösst den Unwürdigen von sich, und kündigt ihm an, dass er nun zu der Schmach seines Todes auch noch ihre volle Verachtung hinnehmen solle. Nachdem sie ihn dem Schliesser von neuem übergeben, zeigt sich ihre Haltung im schnellen Wechsel sofort wieder in heitrer übermüthiger Fassung: sie beschliesst zwar den Wankelmüthigen durch längere Ungewissheit, in welcher er über sein Schicksal bleiben soll, zu bestrafen, bleibt aber nichts desto weniger bei ihrem Vorsatz, die Welt von dem scheusslichsten Heuchler, der ihr je Gesetze vorschreiben wollte, zu befreien. Sie hat Marianne davon benachrichtigt, dass diese bei der, Friedrich für die Nacht zugesagten Zusammenkunft, die Stelle der treulos begehrten Isabella einnehmen solle, und sendet nun Friedrich die Einladung zu dieser Zusammenkunft zu, welche, um den Feind noch mehr in das Verderben zu verwickeln, in Maskenvermummung, und an einem der von ihm selbst untersagten Belustigungsorte, stattfinden soll. Dem Wildfang Luzio, welchen sie für den kecken Liebesantrag an die Novize ebenfalls zu strafen sich vorgenommen hat, theilt sie Friedrich's Begehren, und ihren vorgeblichen nothgedrungenen Entschluss, diesem Begehren zu willfahren, in so unbegreiflich leichtgefasster Weise mit, dass der sonst so Leichtfertige hierüber in das ernstlichste Erstaunen und verzweiflungsvolles Rasen geräth: er schwört, diese unerhörte Schmach, wenn die edle Jungfrau sie ertragen wolle, dennoch seinerseits mit aller Gewalt von ihr abzuwenden, und lieber ganz Palermo in Brand und Aufruhr zu bringen. – Wirklich veranstaltet er, dass Alles, was ihm bekannt und befreundet ist, am Abend, wie zur Eröffnung der verbotenen grossen Carnevals-Prozession, sich am Ausgang des Corso einfinden soll. Als es mit Einbruch der Nacht dort bereits wild und lustig hergeht, findet sich Luzio ein, um durch ein ausgelassenes Carnevalslied, mit dem Schlussrefrain: »wer sich nicht freut bei unsrer Lust, dem stosst das Messer in die Brust«, bis zur offenen blutigen Empörung auf zu reizen. Da unter Brighella's Führung eine Bande von Sbirren sich nähert, um die bunte Masse zu zerstreuen, soll das meuterische Vorhaben bereits zur Ausführung kommen; doch verlangt Luzio für jetzt noch nachzugeben und sich in der Nähe zu zerstreuen, da hier zuvor noch der eigentliche Anführer ihrer Unternehmung von ihm gewonnen werden solle: eben hier befindet sich nämlich der Ort, welchen Isabella in ihrem Uebermuth ihm als denjenigen ihrer vorgeblichen Zusammenkunft mit dem Statthalter verrathen hat. Diesem letzteren lauert nun Luzio auf: wirklich erkennt er ihn in einer sorgfältig vermummten Maske, hält ihn im Wege auf, und da jener gewaltsam sich loswindet, will er ihm mit lautem Ruf und gezogener Waffe nachfolgen, als er, auf der im Gebüsch versteckten Isabella Veranstaltung, selbst aufgehalten und irregeleitet wird. Isabella tritt hervor, freut sich des Gedankens, in diesem Augenblick der verrathenen Marianna den treulosen Gatten zurückgeführt zu wissen, und da sie soeben das versprochene Begnadigungspatent des Bruders in der Hand zu halten glaubt, ist sie im Begriff, gutmüthig jeder weiteren Rache zu entsagen, als sie, beim Schein einer Fackel die Schrift erbrechend, zu ihrem Entsetzen den verschärften Hinrichtungsbefehl erkennt, welchen der Zufall dadurch, dass sie die Kunde der Begnadigung ihrem Bruder vorenthalten wollte, durch Bestechung des Schliessers jetzt in ihre Hand geliefert hat. Nach harten Kämpfen gegen die ihn zerwühlende Leidenschaft der Liebe, hatte Friedrich, seine Ohnmacht gegen diesen Feind seiner Ruhe erkennend, beschlossen, wenn auch als Verbrecher, doch als Ehrenmann zu Grunde zu gehen. Eine Stunde an Isabella's Busen, dann der eigne Tod – nach demselben Gesetz, dessen Strenge unwiderruflich Claudio's Leben verfallen bleiben soll. Isabella, welche in dieser Handlung nur eine neue Häufung der Schändlichkeiten des Heuchlers erkennt, bricht noch einmal in das Rasen schmerzlichster Verzweiflung aus. Auf ihren Ruf zur sofortigen Empörung gegen den schändlichsten Tyrannen, strömt alles Volk in bunter leidenschaftlicher Verwirrung herbei: Luzio, welcher ebenfalls dazu kommt, räth jedoch mit heftiger Bitterkeit dem Volk ab, dem Wüthen des Weibes Gehör zu geben, das, wie ihn, gewiss auch sie Alle täusche; denn er ist im Wahne ihrer schmachvollsten Untreue. Neue Verwirrung, gesteigerte Verzweiflung Isabella's: plötzlich vom Hintergrunde her burleske Hülferufe Brighella's, welcher, selbst in eine Situation der Eifersucht verwickelt, den verlarvten Statthalter aus Missverständniss ergriffen hat, und so nun dessen Entdeckung veranlasst. Friedrich wird erkannt, die zitternd an seine Seite geschmiegte Marianne entlarvt; Staunen, Entrüstung, Jubel greift um sich; die nöthigen Erklärungen stellen sich rasch ein; Friedrich begehrt finster vor das Gericht des zurückerwarteten Königs zum Empfang des Todesurtheils gestellt zu werden. Der vom jauchzenden Volke aus dem Gefängniss befreite Claudio belehrt ihn, dass das Todesurtheil nicht jeder Zeit für Liebesvergehen bestimmt sei: neue Boten melden die unerwartete Ankunft des Königs im Hafen; man beschliesst in voller Maskenprozession dem geliebten Fürsten, welcher zu seiner Herzensfreude wohl einsehen werde, wie übel es mit dem finstren Puritanismus des Deutschen im heissen Sizilien ergehen müsse, freudig huldigend entgegen zu ziehen. Von ihm heisst es: »Ihn freuen bunte Feste mehr, als eure traurigen Gesetze«. Friedrich, mit seiner neu ihm vermählten Gemahlin Marianna, muss nun den Zug eröffnen, die dem Kloster für immer verlorene Novize folgt mit Luzio als zweites Paar.«

 

Diese lebhaften und in vieler Beziehung wohl kühn entworfen zu nennenden Scenen, hatte ich in einer angemessenen Sprache und sorgfältigen Versen, welche schon von Laube beachtet worden waren, ausgearbeitet. Die Polizei stiess sich zunächst an dem Titel des Werks, welcher, wenn ich ihn nicht geändert hätte, Schuld an dem gänzlichen Scheitern meiner Aufführungspläne gewesen wäre. Wir befanden uns in der Woche vor Ostern, und dem Theater waren Aufführungen lustiger oder gar frivoler Stücke in dieser Zeit untersagt. Glücklicher Weise hatte die betreffende Magistratsperson, mit welcher ich hierüber unterhandeln musste, mit dem Gedichte selbst sich nicht näher eingelassen, und da ich versicherte, dass es nach einem sehr ernsten Shakespear'schen Stücke gearbeitet sei, begnügte man sich mit der Abänderung des unter allen Umständen doch aufregenden Titels, wogegen die Benennung » die Novize von Palermo« nichts Bedenkliches zu haben schien, und im Betreff der Inkorrektheit desselben keine weitren Scrupel aufkamen. – Anders ging es mir kurz darauf in Leipzig, wo ich statt der geopferten » Feen« mein neues Werk zur Aufführung einzuschieben versuchte. Der Direktor Ringelhardt, den ich dadurch, dass ich seiner eignen, bei der Oper debütirenden, Tochter die Partie der »Marianne« zuweisen wollte, schmeichelnd für mein Unternehmen zu gewinnen hoffte, nahm aus der von ihm begriffenen Tendenz des Sujets den nicht übel klingenden Vorwand, meine Arbeit zurückzuweisen. Er behauptete, dass, wenn der Magistrat Leipzigs die Aufführung derselben gestatten würde, woran er aus Hochachtung vor dieser Behörde sehr zweifelte, er als gewissenhafter Vater seiner Tochter doch jedenfalls nicht erlauben würde darin aufzutreten. –

Von dieser bedenklichen Eigenschaft meines Operntextes hatte ich bei der Magdeburger Aufführung merkwürdiger Weise gar nicht zu leiden, da das Sujet, wie gesagt, der gänzlich unklaren Darstellung wegen, dem Publikum rein unbekannt blieb. Dieser Umstand, und dass somit gar keine Opposition gegen die Tendenz sich gezeigt hatte, ermöglichte daher auch eine zweite Aufführung, gegen welche von keiner Seite her Einspruch erhoben wurde, da sich kein Mensch darum bekümmerte. Wohl fühlend, dass meine Oper keinen Eindruck hervorgebracht, und das Publikum in eine gänzlich unentschiedene Stimmung darüber, was diess Alles eigentlich zu sagen gehabt, gelassen hatte, rechnete ich wegen des Umstandes, dass diess die letzte Vorstellung unsres Opernpersonals war, dennoch auf eine gute, ja grosse Einnahme, wesshalb ich mich denn auch nicht hindern liess, die sogenannten »vollen« Preise für den Eintritt zu verlangen. Ob bis zum Beginn der Ouverture sich einige Menschen im Saale eingefunden haben würden, kann ich nicht genau ermessen: ungefähr eine Viertelstunde vor dem beabsichtigten Beginn, sah' ich nur Frau Gottschalk mit ihrem Gemahl, und sehr auffallender Weise einen polnischen Juden im vollen Costüm, in den Sperrsitzen des Parterre's. Dem ohngeachtet hoffte ich noch auf Zuwachs, als plötzlich die unerhörtesten Scenen hinter den Coulissen sich ereigneten. Dort stiess nämlich der Gemahl meiner ersten Sängerin (der Darstellerin der » Isabella«), Herr Pollert, auf den zweiten Tenoristen, Schreiber, einen sehr jungen hübschen Menschen, den Sänger meines »Claudio«, gegen welchen der gekränkte Gatte seit längerer Zeit einen im verborgenen genährten eifersüchtigen Groll hegte. Es schien dass der Mann der Sängerin, der mit mir am Bühnenvorhange sich von der Beschaffenheit des Publikums überzeugt hatte, die längst ersehnte Stunde für gekommen hielt, wo er, ohne Schaden für die Theaterunternehmung herbei zu führen, an dem Liebhaber seiner Frau Rache zu üben habe. Claudio ward stark von ihm geschlagen und gestossen, so dass der Unglückliche mit blutendem Gesichte in die Garderobe entweichen musste. Isabella erhielt hiervon Kunde, stürzte verzweiflungsvoll ihrem tobenden Gemahl entgegen, und erhielt von diesem so starke Püffe, dass sie darüber in Krämpfe verfiel. Die Verwirrung im Personal kannte bald keine Grenze mehr: für und wider ward Partei genommen, und wenig fehlte, dass es zu einer allgemeinen Schlägerei gekommen wäre, da es schien, dass dieser unglückselige Abend Allen geeignet dünkte, schliesslich Abrechnung für vermeintliche gegenseitige Beleidigungen zu nehmen. Soviel stellte sich heraus, dass das unter dem Liebesverbot Herrn Pollert's leidende Paar unfähig geworden war, heute aufzutreten. Der Regisseur ward vor den Bühnenvorhang gesandt, um der sonderbar gewählten kleinen Gesellschaft, welche sich im Theatersaale befand, anzukündigen, dass »eingetretener Hindernisse« wegen die Aufführung der Oper nicht statt finden könnte. –

Dies war das Ende meiner vielverheissenden, und mit verhältnissmässig grossen Opfern begonnenen Dirigenten- und Componisten-Laufbahn in Magdeburg. – Die »Heiterkeit der Kunst« wich von nun an gänzlich dem »Ernste des Lebens«. Meine Lage war zu überdenken, und gewährte dabei keinen erfreulichen Anblick. Alle Hoffnungen, die ich, selbst gemeinschaftlich mit Minna, auf den Erfolg meines Werkes begründet hatte, waren spurlos vernichtet. Meine auf diese in Aussicht gestellte Einnahme verwiesenen Gläubiger verzweifelten an meinem Talente, und hielten sich dagegen lediglich an meine bürgerliche Person, welcher sie durch schleunig eingereichte gerichtliche Klagen beizukommen suchten. Meine kleine Wohnung auf dem »breiten Weg« war mir, da ich bei jeder Heimkehr an der Thüre eine gerichtliche Vorladung angenagelt fand, höchst widerwärtig geworden; ich vermied sie von nun an gänzlich, namentlich auch da mein brauner Pudel, der mir dieses Asyl bisher noch erheitert hatte, spurlos verschwunden war, welches ich für ein böses Anzeichen des gänzlichen Verfalls meiner Lage betrachtete. Jetzt gewährte Minna mit wahrhaft tröstlicher Sicherheit und Standhaftigkeit in jeder Art des Verhaltens mir einen letzten, höchst wohlthuenden Anhalt. Umsichtig hatte sie zuvörderst für ihr eignes Fortkommen gesorgt, und stand im Begriff mit der Theaterdirektion von Königsberg in Preussen einen nicht ungünstigen Contrakt abzuschliessen. Nun galt es, für mich eben daselbst ein Unterkommen als Musikdirektor zu finden: ein solcher ward nicht gesucht; da der Königsberger Direktor aus unsrer Correspondenz wohl aber ersah, dass Minna's Annahme des Engagements von der Möglichkeit auch meiner Anstellung an dem gleichen Theater abhinge, eröffnete er die nahe Aussicht der Erledigung des Postens, und seine Bereitwilligkeit, diesen mit mir zu besetzen. Darauf hin kamen wir überein, dass Minna nach Königsberg vorangehen, und mir den Weg zur Nachfolge bahnen sollte. Ehe diess zur Ausführung kam, verlebten wir noch eine bange, in meiner Erinnerung als höchst beängstigend aufbewahrte Zeit in Magdeburg's Mauern. Zwar machte ich noch einen Versuch, in Leipzig persönlich einiges für die Besserung meiner Lage zu erwirken, worunter auch die oben erwähnten Verhandlungen mit dem Theaterdirektor im Betreff meiner neuen Oper zu rechnen sind. Doch sah ich bald ein, dass meines Bleibens in meiner Vaterstadt und in der mich beängstigenden Nähe meiner Familie, von der es mich unruhig hinwegtrieb, nicht mehr war. Meine tief erregte, schwermüthig verschlossene Stimmung ward von den Meinigen erkannt: die Mutter beschwor mich, was ich auch erwählen möge, nur um des Himmels Willen mich nicht bei so grosser Jugend zu einer Heirath hinreissen zu lassen. Ich schwieg. Da ich schied, gab mir Rosalie das Geleit bis auf die Treppe; ich gab vor, nach Besorgung nöthiger Geschäfte in Bälde wieder zurückzukehren, und wollte leicht hin ihr nur ein flüchtiges Adieu sagen: sie ergriff mich bei der Hand, sah mir lange in die Augen, und sagte » Gott weiss, wann ich dich wieder sehe!« – Diess schnitt mir durch's Herz, schien jedoch nur mein böses Gewissen zu treffen: dass sie zugleich aber die Ahnung ihres frühen Todes aussprach, konnte mir erst aufgehen, als ich nach kaum zwei Jahren, ohne sie wiedergesehen zu haben, die Kunde von ihrem plötzlichen Ende erhielt. –

Jetzt verbrachte ich noch einige Wochen in grösster Zurückgezogenheit bei Minna in Magdeburg: sie selbst half, so gut sie konnte, gegen die äussersten Bedrängnisse meiner Lage. In Erwartung der Trennung und ihrer ungewissen Dauer, verliess ich sie kaum mehr, und unsre einzige Erholung bestand in Spaziergängen nach der entlegeneren Umgebung der Stadt. Bange Anzeichen drückten die Stimmung: die warme Maiensonne, die uns, wie zur Verhöhnung der verlassenen Lage, die traurigen Strassen Magdeburg's beschien, verfinsterte sich eines Tages so vollständig, wie ich es seitdem nie wieder erlebt, und erfüllte mich mit wahrhaftem Grausen. Von einem Spaziergange zurückkehrend, nahten wir uns der Elbbrücke, und gewahrten einen Mann, der so eben von dort sich in das Wasser hinabstürzte: wir traten an das Ufer, riefen nach Hilfe, und vermochten den Müller einer der auf dem Flusse liegenden Wassermühlen, dem, von der Strömung in dieser Richtung geführten, mit dem Tode ringenden Unglücklichen, als er grade der Mühle sich näherte, einen Rechen entgegen zu halten, an welchem jener sich retten sollte. Mit unbeschreiblicher Angst sahen wir dem entscheidenden Augenblick entgegen, – gewahrten wie der Ertrinkende wirklich nach dem Rechen griff, ihn aber verfehlte, und in demselben Augenblick unter der Mühle verschwand, um nie wieder gesehen zu werden. – Am gleichen Morgen, an welchem ich Minna an den Postwagen brachte, um dort von ihr einen mich so sehr bekümmernden Abschied zu nehmen, strömte die ganze Bevölkerung der Stadt zu einem der Thore hinaus, um auf einem weitem Anger einer »durch das Rad von unten« zu vollziehenden Hinrichtung zuzusehen. Der Verbrecher war ein Soldat, der seine Braut aus Eifersucht vorsätzlich ermordet hatte. Als ich hierauf zu meinem letzten Mittagsmal im Gasthof mich niederliess, hörte ich von allen Seiten nichts als die scheusslichen Einzelnheiten der befolgten national-preussischen Hinrichtungsmethode berichten. Ein junger Assessor, grosser Musikfreund, erzählte seine Unterredung, mit dem von Halle her requirirten Scharfrichter, mit welchem er sich über die humanen Mittel zur Beschleunigung der Tödtung des Schlachtopfers zu berathen gehabt hatte, wobei er der eleganten Kleidung und Haltung des entsetzlichen Menschen mit Schaudern gedachte. – Diess waren die letzten Eindrücke, mit welchen ich von dem ersten Orte meiner künstlerischen Wirksamkeit und bürgerlichen Selbstständigkeits-Versuche schied. Sie sind mir seitdem oft mit seltsamer Bezüglichkeit wiedergekehrt, wenn ich mit dem Gefühle, es sei für immer, von denjenigen Städten mich wandte, an welchen ich, wo es auch war, Gedeihen für meine Kunst oder bürgerliche Wohlfahrt gesucht hatte. Nicht sehr unähnlich waren meine Empfindungen beim Verlassen jedes Ortes, wo ich in jener Absicht geweilt. –

So traf ich am 18. Mai dieses Jahres 1836 zum ersten Mal in Berlin ein, und lernte auch die eigentümliche Physiognomie dieser anspruchsvollen Königsstadt kennen. In dem Gasthof zum »Kronprinzen« auf der Königsstrasse, in welchem einige Monate zuvor Minna sich aufgehalten hatte, suchte ich denn, mit den bescheidensten Ansprüchen, in sehr unsicherer Erwartung für meine Lage, ein dürftiges Unterkommen. Einen vertrauten Anhalt gewährte es mir, Laube in Berlin wieder zu finden, wo er, dem Entscheide des gerichtlichen Urtheils über ihn entgegensehend, privatisirend und mit litterarischen Arbeiten beschäftigt sich aufhielt. Für das Schicksal meines »Liebesverbotes« hatte er eine Schwäche, und ging mir mit gutem Rath für die Benützung der vorliegenden persönlichen Verhältnisse, zum Zweck der zu erlangenden Aufführung dieser Oper am »Königstädter« Theater, an die Hand. Dieses Theater stand unter der Direktion eines der originellsten Produkte des Berliner Bevölkerungswesens: er nannte sich Cerf, und war durch den König von Preussen ermächtigt, den Titel eines »Commissionsrathes« zu führen. Für seine grosse Begünstigung von Seiten des Hofes führte man allerhand, nicht besonders geschmackvolle, Gründe an; es war ihm vermöge derselben gelungen, die Privilegien des Vorstadttheaters ausserordentlich zu erweitern. Der Verfall der grossen Oper am königlichen Theater führte dem leichteren Genre, welches die königstädtsche Bühne mit Glück pflegte, die bevorzugende Gunst des Publikums zu. Durch solche Erfolge übermüthig, stimmte der Direktor dem Urtheil Derjenigen, welche die geschickte Führung eines Theaters nur von gemeinen und ungebildeten Menschen erwarten zu dürfen erklärten, mit dem unverholenem Selbstgefühl, der richtige Mann in diesem Sinne zu sein, bei, und bewahrte nach allen Seiten hin auf das Ergetzlichste seine glückliche Ignoranz. Ganz nur auf seinen natürlichen Blick sich verlassend, hatte er sich eine völlig diktatorische Stellung zu den künstlerischen Beamten seines Theaters beigelegt: er durfte ganz nach Gunst und Ungunst verfahren. Diese Eigenschaft schien mir zum Vortheil auszuschlagen: Cerf erklärte bei meinem ersten Besuche, dass ich ihm gefiele, wünschte mich aber lieber als »Tenorist« verwenden zu können; meinem Anliegen, das Liebesverbot aufzuführen, setzte er nicht das mindeste Bedenken entgegen, sondern versprach es sogleich. Namentlich aber wollte er mich als Musikdirektor anstellen. Er war im Begriff sein Opernpersonal zu erneuern, und setzte hierbei voraus, dass sein Kapellmeister Gläser, der Componist von »Adlershorst«, durch seine Parteinahme für die ältern Sänger seinen Absichten hinderlich sein würde, wesshalb er mich seinem Theater zugesellt wissen wollte, um jemanden zu haben, welcher »für die neuen Sänger eingenommen wäre«. Diess alles machte sich so leicht, dass es mir wohl kaum zu verdenken war, wenn ich mich an einer besonders günstigen Wendung meines Schicksals angelangt glaubte, und mein schwermüthiges Herz durch günstige Hoffnung erleichtert fühlte. Kaum erlaubte ich mir, meine Lage einigermassen diesen freundlichen Erwartungen gemäss einzurichten, als mir auch klar werden sollte, wie sehr ich hierbei auf Sand gebaut hatte. Mit wahrhaftem Grauen erfüllten mich die schnell sich mehrenden Wahrnehmungen des fast boshaft aussehenden Betrugs, welchen Cerf, wie es schien, rein zu seinem Vergnügen, sich gegen mich erlaubt hatte. Nach Art der Potentaten hatte er seine Gnadenbezeugungen mir direkt und autokratisch erwiesen; die Rücknahme und Ungültigkeitserklärung seiner Versprechungen liess er jedoch durch seine Beamten und Sekretaire ausführen, indem er auch sein ausnahmsweises Verhalten zu mir plötzlich in das gewöhnliche Geleis der scheinbaren Abhängigkeit des Potentaten von seiner Bureaukratie hinübergleiten liess. Mit denselben Menschen, vor denen er mich zuvor gewarnt hatte, und gegen welche er mich sich verbündet wissen wollte, hatte ich mich endlich, als Cerf möglichst ohne jede Entschädigung mich los zu werden wünschte, über alles das, was zwischen uns bestimmt abgemacht war, gewissermaassen gesuchsweise zu verständigen. Kapellmeister, Regisseur, Sekretair und ähnliche Herren hatten mir zu beweisen, dass meine Wünsche nicht zu erfüllen seien, und dass der Direktor für meine, nutzlos in der Erwartung der Erfüllung der mir gemachten Zusagen hingebrachte Zeit, keinerlei Entschädigung schulde. Ich entsinne mich, dass der mühselig sich abwickelnde Prozess dieser Erfahrungen mich mit ahnungsvollem Weh für mein ganzes Leben erfüllte. –

Meine Lage ward ausser dem dadurch gegen zuvor noch bedeutend verschlimmert. Mit Königsberg, von wo aus jetzt Minna mir über meine auf dort gerichteten Hoffnungen Mittheilungen machte, erfuhr ich nichts ermuthigendes: der dortige Theaterdirektor schien zu seinem bisherigen Musikdirektor in einem unklaren Verhältniss zu stehen, über welches ich mich erst später genügend aufklären konnte, das für jetzt aber meine Aussichten auf die gewünschte Stelle in unverständlicher Weise in die Ferne stellte. Doch schien es gewiss, dass ich im Herbst die Königsberger Stelle würde antreten können: da ich in Berlin gänzlich ohne Anhalt umherschwankte, und an eine Rückkehr nach Leipzig um keinen Preis denken wollte, baute ich mir auf diesen schwachen Hoffnungen mühselig das Schiff, welches mich aus dem Berliner Sandmeer in den schützenden Hafen der Ostsee führen sollte.

Diess war mir jedoch erst möglich geworden, nachdem ich noch schwere und ernste Kämpfe, welche auf mein Verhältniss zu Minna sich bezogen, in meinem Innern durchgefochten hatte. Ein unbegreiflicher Zug dieses sonst so einfach scheinenden weiblichen Charakters, hatte mein junges Herz in grosse Beunruhigung gestürzt. Ein gutmüthiger vermögender Kaufmann jüdischer Abkunft, Namens Schwabe, welcher bis dahin in Magdeburg etablirt gewesen war, näherte sich mir theilnehmend in Berlin, und, wie ich bald erfuhr, galt diese Theilnahme hauptsächlich dem leidenschaftlichen Interesse, welches er für Minna gefasst hatte. Mir ist später klar geworden, dass zwischen diesem Mann und Minna ein Verhältniss bestanden hatte, welches an sich nicht wohl als eine Untreue gegen mich angesehen werden konnte, da es in seinem Verlaufe sich als eine bestimmte Zurückweisung der Werbung des Nebenbuhlers zu meinen Gunsten herausstellte: nur dass diess so geheim geschehen war, dass ich bis dahin gar keine Ahnung davon hatte, auch dass mir die Vermuthung blieb, Minna's wohl bestellte Verhältnisse hätten sich zum Theil der Freundschaft dieses Menschen verdankt, erfüllte mich mit düstren Bedenken. Da ich jedoch, wie gesagt, keiner eigentlichen Untreue auf den Grund kommen konnte, empfand ich mehr nur eine störende und ängstigende Unruhe, die mich zu dem halb verzweiflungsvollen Willen drängte, durch vollkommene Versicherung der Geliebten mich nach dieser Seite hin in das Gleichgewicht zu bringen. Es schien mir, als ob sowohl meine bürgerliche Stetigkeit, als mein künstlerisches Gedeihen, durch eine rückhaltslose Verbindung mit Minna mir versichert werden würden. Bereits hatten die zwei Jahre, welche ich beim Theater verbrachte, mich in einer Zerstreuung erhalten, welche meinem innersten Bewusstsein sich fast qualvoll fühlbar machte: dunkel ahnte es mir, dass ich mich auf übel leitenden Irrwegen befand; ich sehnte mich nach Sammlung und Ruhe, und hoffte diese am entsprechendsten durch den Abschluss des Verhältnisses zu finden, welches selbst der Quell so ernstlicher Beunruhigungen für mich geworden war. Laube mochte wohl dem übel bestellten, leidenschaftlich und verzehrt aussehenden jungen Manne anmerken, dass es mit ihm eine besondre Bewandniss habe: in seinem Umgange, der für mich immer etwas Tröstliches hatte, gewann ich die einzigen, einigermaassen lohnenden Eindrücke von Berlin. Der wichtigste künstlerische Eindruck, den ich ausserdem dort erhielt, kam mir aus einer Aufführung des » Ferdinand Cortez« unter Spontini's eigner Leitung: der Geist derselben überraschte mich auf fast ungekannte Weise. Liess mich auch die eigentliche Darstellung, namentlich in Betreff der Hauptpersonen, die sämmtlich nicht mehr der Blüthe der Berliner Oper angehörten, kalt, und kam es auch nie zu einer Wirkung, die sich nur annähernd derjenigen, welche die Schröder-Devrient auf mich gemacht hatte, vergleichen konnte, so war mir doch das ausserordentlich präcise, feurige, und reich organisirte Ensemble des Ganzen durchaus neu. Ich gewann eine neue Ansicht von der eigenthümlichen Würde grosser theatralischer Vorstellungen, welche in allen ihren Theilen durch scharfe Rhythmik zu einem eigenthümlichen, unvergleichlichen Kunstgenre sich steigern konnten. Dieser sehr deutliche Eindruck lebte drastisch in mir fort, und hat mich bei der Conception meines » Rienzi« namentlich geleitet, so dass in künstlerischer Beziehung Berlin seine Spuren in meinen Entwicklungsgang eingrub.

Für jetzt galt es jedoch, meiner äusserst hülflos gewordenen Lage aufzuhelfen. Ich war dazu entschlossen, mich nach Königsberg zu wenden, und hatte meinen Entschluss, wie die darauf begründeten heilsamen Annahmen, Laube mitgetheilt. Dieser treffliche Freund erkannte es, ohne weiter darum angegangen zu werden, als seine Aufgabe, mir durch seine energische Vermittelung zur Befreiung aus meiner Berliner Verlassenheit und zur Erreichung meines nächsten Zieles zu verhelfen, was durch Vereinigung mehrerer, Laube befreundeter Personen gelang. Beim Abschied ermahnte mich der Freund, der mir theilnehmend in das Herz blickte, auch bei erwünschtem Gedeihen meiner Musikdirektoren-Laufbahn mich nicht in die Flachheit des Theater-Lebens verstricken zu lassen, und nach ermüdenden Proben, statt zum Liebchen zu gehen, lieber ein tüchtiges Buch zur Hand zu nehmen, damit auch meine grössern Anlagen der kräftigenden Pflege nicht entbehren möchten. Ich verschwieg ihm, dass ich im Sinne hatte, durch frühzeitigen vollständigen Abschluss nach dieser zerstreuenden Seite hin, mich gänzlich gegen das Aufreibende des Theaterliebschaftswesens schützen zu wollen. So trat ich am 7. Juli die damals äusserst beschwerliche und ermüdende Reise nach dem fernen Königsberg an.

Mir war es als ging es aus der Welt, als ich Tage lang durch die Wüsten der Marken dahin rollte. Traurig und demüthigend wirkte auf mich dann zunächst der äusserliche Eindruck von Königsberg, wo ich in einer dem Theater nahe gelegenen Vorstadt (»Tragheim«) vom ärmlichsten Anschein, in einer dorfähnlichen Gasse das schlechte Haus aufsuchte, in welchem Minna Unterkunft genommen hatte. Der ihr eigene freundliche und wohlwollende Gleichmuth wirkte aber bald heimisch wohlthätig auf mich. Sie gefiel am Theater sehr, war der Direktion und den Theaterfreunden werth; ihrem Bräutigam, für den ich nun offen galt, schien diess zu Gute kommen zu müssen. War auch noch keine deutliche Aussicht für meine Anstellung eröffnet, so kamen wir doch überein, dass ich zunächst einige Zeit aushalten möchte; die Sache werde sich wohl machen. Dieses war namentlich auch die Meinung eines vorzüglichen Königsberger Theaterfreundes, des wunderlichen Abraham Möller, welcher Minna, und endlich auch mir, eine grosse freundschaftliche Theilnahme widmete. Dieser bereits ältliche Mann gehörte der in Deutschland jetzt wohl gänzlich ausgestorbenen Gattung leidenschaftlicher Theaterliebhaber an, von denen in der Geschichte der Schauspieler aus früheren Zeiten so manches berichtet wird. Man konnte mit dem Manne, der sonst den verwegensten spekulativen Geschäften nachging, nicht eine Stunde zusammen sein, ohne von der Glorie der früheren Theaterzeiten in einem nicht entmuthigenden Sinne Mittheilungen anhören zu müssen. Er hatte sich, als früher vermögender Mann, den Umgang, selbst die Freundschaft fast aller grossen Schauspieler und Schauspielerinnen zu verschaffen gewusst. Durch allzu grosse Liberalität hatten sich leider seine Vermögensumstände sehr verschlechtert, und er war nun genöthigt durch allerhand sonderbare Geschäfte, bei welchen, ohne Einsatz, zu gewinnen war, die Mittel zu erschwingen, seiner Theaterlust und Liebe zur Protektion von Theaterangehörigen eine dürftige, dem heruntergekommenen Zustande des Theaters aber ganz richtig entsprechende Unterlage zu geben. Dieser wunderliche Mann, welchen der Theaterdirektor Anton Hübsch einigermaassen zu fürchten Grund hatte, übernahm es, meine Anstellung in Ordnung zu bringen. Was ihr entgegenstand war folgendes Verhältniss: der sehr tüchtige Musiker Louis Schubert, schon in frühester Zeit mir als erster Violincellist des Magdeburger Orchesters bekannt geworden, war von Riga, wo das Theater für einige Zeit sich aufgelöst, und wo er seine Frau zurückgelassen hatte, nach Königsberg gekommen, um dort so lang die Stelle des Musikdirektors einzunehmen, bis das neue Theater in Riga wieder eröffnet, und er dorthin zurückkehren würde. Diese Wiedereröffnung des Riga'schen Theaters, welche schon zu Ostern dieses Jahres hatte Statt finden sollen, verzögerte sich, und es lag ihm nun daran, Königsberg nicht zu verlassen; da er in seinem Fach sehr tüchtig war, entstand für den Theaterdirektor die Verlegenheit, sich für Schubert, dessen Bleiben oder Gehen ganz von auswärtigen Verhältnissen abhing, eines Nachfolgers zu versichern, welcher dann einzutreten bereit wäre, wenn Schubert's Verhältnisse seinen Abgang herbeiführten. Somit konnte ein neuer junger Musikdirektor, welcher sich um jeden Preis nach Königsberg gezogen fühlte, als Reserve und schnell nöthig werdender Ersatz, nur sehr willkommen sein. Auch erklärte der Direktor sich bereit, mir bis zur Zeit meines definitiven Antritts einen Sustentations-Gehalt zu zahlen. Von Schubert dagegen ward meine Ankunft mit höchstem Grimm gesehen, die Nöthigung, bald nach Riga zurückzugehen, war für ihn entschwunden, da die Wiedereröffnung des dortigen Theaters auf unbestimmte Zeit verschoben war. Für das Verbleiben in Königsberg hatte er aber ausserdem ein besondres Interesse gewonnen, und zwar durch die in ihm rege gewordene besondre Theilnahme für die erste Sängerin der Königsberger Oper, welche ihn auch gegen den Wunsch der Rückkehr zu seiner Frau erkalten liess. So klammerte er sich endlich mit grosser Leidenschaftlichkeit an seine Königsberger Stellung an, erblickte in mir einen Todfeind, und wandte alle Mittel der Selbsterhaltung dazu an, mir das Verbleiben in Königsberg und das, an und für sich sehr peinliche Warten auf seinen Fortgang, zur Hölle zu machen. Während ich zuvor in Magdeburg mit Musikern und Sängern in dem freundschaftlichsten Verhältniss gestanden hatte, und vom Publikum äusserst wohlwollend beachtet worden war, hatte ich hier bald nach jeder Seite hin mich gegen die kränkendsten Anfeindungen zu wehren. Diese sich bald mir eröffnende, widerwärtige Lage trug nicht wenig dazu bei, mich in Königsberg wie in der Verbannung angekommen zu fühlen. Dass ich gerade unter solchen Verhältnissen die Verbindung mit Minna ertrotzen sollte, erschien selbst meiner Leidenschaftlichkeit als höchst bedenkliches Wagniss. – Anfangs August ging die Gesellschaft für einige Zeit zur Abhaltung einer Sommersaison nach Memel: ich folgte Minna in einigen Tagen nach. Die Reise geschah zum grössten Theil zu Schiff auf dem kurischen Haff, bei üblem Wetter und schlechtem Wind ohne Dampf: eine der melancholischsten Fahrten, die ich je erlebt. Auf dem dünnen Sandstreifen, welcher dieses Haff von der Ostsee trennt, wurde mir im Vorbeifahren das Schloss von Runsitten gezeigt, wohin Hoffmann eine seiner schauerigsten Erzählungen (»das Majorat«) verlegt hat. Dass ich gerade hier, in dieser öden, trübseligen Umgebung, seit lange zum ersten Male wieder mit meinen phantastischen Jugendeindrücken mich berühren sollte, wirkte seltsam und schauerig auf meine Stimmung. – Der traurige Aufenthalt in Memel, die trübselige Rolle welche ich dort spielte, alles wirkte zusammen, mich in Minna, um deren Willen ich wiederum doch nur in eine so beängstigende Lage mich begeben hatte, meinen einzigen tröstlichen Anhalt suchen zu lassen. Freund Abraham kam uns aus Königsberg nach, und schien zu meinen Gunsten allerhand sonderbares Spiel in Bewegung zu setzen, offenbar um den Direktor mit dem Musikdirektor zu überwerfen. Wirklich meldete sich eines Tages Schubert, in Folge eines nächtlichen Wirthshaus-Disputes mit Hübsch, für eine von »Euryanthe« abzuhaltende Orchesterprobe krank, um hiedurch den Direktor zu veranlassen, mich schnell an das Direktionspult zu berufen, – wobei der Rival boshaft voraussetzte, dass ich, auf diese selten gegebene schwierige Oper gänzlich unvorbereitet, bei dieser Gelegenheit mir für seine feindlichen Absichten willkommene Blössen geben sollte. Obgleich ich wirklich die Partitur der »Euryanthe« noch nie vor mir gehabt hatte, ging jedoch sein Wunsch so wenig in Erfüllung, dass er vorzog für die Aufführung wieder gesund zu werden, um selbst zu dirigiren, was er nicht gethan haben würde, wenn die Oper meiner Unfähigkeit wegen nicht hätte gegeben werden können. In kümmerlicher Lage, gekränkt, und unter dem rauhen Klima, welches selbst an Sommerabenden schauerig frostig sich auf mich senkte, verlebte ich, nur in der Abwehr der peinlichsten Lebensmühen begriffen, eine für meine künstlerische Entwickelung gänzlich verlorne Zeit; bis endlich mit der Rückkehr nach Königsberg, namentlich unter Freund Möller's Vormundschaft, die Frage, was daraus werden sollte, ernstlicher erwogen wurde. Von Danzig aus war mir und Minna zugleich ein nicht unvortheilhaftes Engagement angeboten, und zwar durch Vermittelung meines Schwagers und meiner Schwester Wolfram, welche sich dorthin gewandt hatten. Unser Theaterfreund benutzte diesen Fall, um den Direktor Hübsch, welchem namentlich an der Erhaltung Minna's gelegen war, zum Abschluss eines ehrenvollen Contraktes für uns beide zu bewegen, wonach ich von Ostern nächsten Jahres an unter allen Umständen als wirklicher Musikdirektor seines Theaters einzutreten hatte, und uns beiden eine Hochzeits-Benefiz-Vorstellung zugesichert wurde, für welche wir die »Stumme von Portici«, unter meiner Orchesterdirektion, wählten. Denn so fand nun namentlich Möller: wir müssten uns heiraten und Hochzeit machen; anders ging' es nun nicht mehr. Minna hatte nichts dagegen, und ich schien durch alle meine bisherigen Bestrebungen und Entschlüsse mir selbst bewiesen zu haben, dass ich nichts eifriger erstrebte, als in diesen Hafen der Ruhe einzulaufen. Dem ohngeachtet sah es in meinem tiefsten Innern um jene Zeit wunderlich genug aus.

Mit Minna's Leben und Charakter war ich genügend bekannt geworden, um die bedeutenden Divergenzen unsrer verschiedenen Naturen mir so klar, als es bei so einem wichtigen Schritte nöthig war, machen zu können, wenn ich zu solchem Urtheil die entsprechende Reife um jene Zeit bereits erlangt gehabt hätte. – Diejenige, die mir nun bald vermählt werden sollte, stammte von mühsam sich nährenden Aeltern aus Oederan im sächsischen Erzgebirge. Ihr Vater, ein sonderbarer Mann von grosser Lebenskraft, der im spätern Alter bedenkliche Spuren von Geistesverwirrung zeigte, war in jungen Jahren sächsischer Stabstrompeter gewesen, hatte als solcher einen Feldzug in Frankreich, sowie die Schlacht bei Wagram mitgemacht; dann war er zu mechanischen Arbeiten übergegangen, und verfertigte Wollkrempeln, mit denen er eine Zeit lang, da er eine besondre Verbesserung in der Herstellung derselben einführte, erträgliche Geschäfte gemacht haben soll. Ein reicher Fabrikant in Chemnitz hatte für das Ende eines Jahres grosse Bestellungen bei ihm gemacht: die Kinder, deren zarte Finger hierzu besonders gute Dienste leisteten, mussten Tag und Nacht angestrengt arbeiten, wofür ihnen der Vater eine besonders gute »Weihnacht« verhiess, da er einer reichen Einnahme entgegensah. Als die ersehnte Zeit herankam, traf ihn dagegen die Nachricht vom Bankrott des Bestellers: das schon Abgelieferte war verloren, das noch vorräthige Material ohne Aussicht auf Absatz. Von der Verwirrung, in welche diess Unglück die Familie setzte, konnte sie sich nie wieder erholen: sie wendete sich nach Dresden, wo der Vater als geschickter Mechaniker, namentlich bei dem Bau von Klavieren, zu denen er einzelne Bestandtheile lieferte, sich lohnende Arbeit zu finden versprach. Ausserdem führte er bedeutende Vorräthe des für die Krempeln bestimmten feinen Drahtes mit sich, der hier so vorteilhaft wie möglich zum Verkauf gebracht werden sollte. Die zehnjährige Minna ward beauftragt, Partien davon den Putzmacherinnen für das Verfertigen von Blumen zum Abkauf anzubieten: mit dem schweren Korbe voll Draht machte sie sich auf, und verstand es so angelegentlich zum Ankauf desselben zuzureden, dass sie bald den ganzen Vorrath glücklich und vortheilhaft untergebracht hatte. Von hier an entstand in ihr der Wunsch und die Sehnsucht, durch eigene Thätigkeit der immer mehr verarmenden Familie von Nutzen sein zu können, und sich selbst bald möglichst zu der Selbständigkeit zu verhelfen, welche die Aeltern der Sorge für sie entheben sollte. Da sie erwuchs, und ihr freundliches Aeussere sich bald zu auffallender Anmuth entwickelte, zog sie frühzeitig die Augen der Männerwelt auf sich. Ein Herr von Einsiedel verliebte sich sterblich in sie, und wusste seine Leidenschaft dem unerfahrenen jungen Mädchen in einer unbewachten Stunde verderblich zu machen. Der höchste Schrecken kam in die Familie: nur die Mutter und eine ältere Schwester durften erfahren, in welch' schrecklicher Lage sich Minna befand; dem Vater, von dessen Zorn das Härteste zu fürchten war, blieb es stets verborgen, dass die kaum siebzehnjährige Tochter Mutter ward, und unter Umständen, die ihr Leben auf das äusserste bedrohten, ein Mädchen gebar. Von nun an fühlte sich Minna, welche in keiner Weise von dem Verführer Recht erlangen konnte, doppelt veranlasst, ihrer Selbständigkeit und dem Austritt aus dem älterlichen Hause nachzutrachten. Durch Bekannte war sie mit einem Gesellschaftstheater in Berührung getreten: sie erregte bei einer Vorstellung desselben die Aufmerksamkeit von Mitgliedern des königlichen Hoftheaters, und vor allem die des anwesenden Direktors des Dessauer Hoftheaters, welcher ihr sofort ein Engagement an seiner Bühne antrug. Mit Freuden ergriff sie diesen Ausweg aus ihrer drückenden Lage, da er ihr durch eine mögliche glänzende Laufbahn beim Theater zugleich die Mittel, für ihre Familie, vielleicht dereinst sogar reichlich, sorgen zu können, zeigte. Ohne jede Leidenschaft für das Theater, ohne Flattersinn und Neigung zur Gefallsucht, ersah sie in der theatralischen Laufbahn eben nur das Mittel zu einer schnellen, möglicher Weise sogar reichlichen Versorgung. Ohne irgend welche Bildung zur Kunstempfänglichkeit vorbereitet, erblickte sie im Theater genau nur die Schauspielergesellschaft. Gefallen und Nichtgefallen war ihr von Werth für die Behauptung einer guten bürgerlichen Selbständigkeit: alle Mittel, sich dieser auf dem vorliegenden Wege zu versichern, schienen ihr so zur Sache gehörig, wie dem Kaufmann es unerlässlich gilt, seine Waare am Schaufenster anziehend auszustellen. Den Direktor, den Regisseur, die beliebtesten Mitglieder sich zu Freunden zu machen, schien ihr nothwendigste Klugheit: diejenigen Theaterfreunde, welche durch ihr Urtheil oder ihren Geschmack auf das Publikum, und namentlich wieder auf die Direktion einwirkten, erkannte sie als Wesen, von denen die Erreichung ihrer innigsten Wünsche abhieng; sie nie sich zum Feind zu machen, schien ihr so natürlich nothwendig, dass der Erhaltung ihrer Gewogenheit keinerlei Rücksichten auf das persönliche Selbstgefühl entgegenzusetzen seien. Ihr Benehmen hatte sich hierbei eine besondre Klugheit angeeignet, die einerseits auf die Vermeidung des üblen Anscheins gerichtet war, andrerseits aber Entschuldigung selbst für das Auffällige fand, sobald sie sich im letzten Grunde der Vorgänge nichts übles bewusst war, woraus ein Gemisch von Widersprüchen entstand, deren bedenklichen Sinn zu fassen sie unfähig blieb. Ersichtlich war, dass ihr der eigentliche Zartsinn abging; sie zeigte dafür nur Schicklichkeitsgefühl, mit welchem sie das sogenannte »Anständige« in das Auge fasste, ohne die Nichtigkeit desselben begreifen zu können, sobald der Zartsinn dabei verletzt wurde. Das Gefühl für Kunst, da es ihr somit an aller Idealität fehlte, ging ihr vollständig ab; Talent für das Theater besass sie ebenfalls nicht: ihr Gefallen rührte von ihrer lieblichen Erscheinung her; ob es mit der Zeit erlangter Routine gelungen sein würde, sie zu einer »guten« Schauspielerin zu machen, kann ich nicht beurtheilen. Die eigenthümliche Macht, welche sie über mich ausübte, rührte somit keineswegs von der ursprünglich mächtig auf mich wirkenden idealen Seite der Dinge her, sondern im vollen Gegentheile wirkte sie durch die Nüchternheit und Solidität des Wesens, welches bei meiner grossen Zerfahrenheit auf den Irrwegen nach einem idealen Ziele mir nöthigen Anhalt und Ergänzung bot. Sehr bald hatte ich mich daran gewöhnt, mein ideales Bedürfniss nie vor Minna in das Spiel zu bringen: in höchster Unklarheit hierüber bei mir selbst, ging ich gutmüthig lächelnd und scherzend über diesen Punkt hinweg, zeigte mich natürlich nun aber desto empfindlicher gegen die Beängstigungen, welche mir von derjenigen Seite des weiblichen Wesens entstanden, auf welcher ich Minna unwillkürlich von vorn herein eine mir wohlthätige Superiorität zuerkennen zu müssen glaubte. Ihre sonderbare Toleranz gegen gewisse Vertraulichkeiten und Zudringlichkeiten der von ihr dafür angesehenen Protektoren des Theaters selbst gegen ihre Person, verletzten mich im höchsten Grade; und zur Verzweiflung brachte es mich, gegen meine Vorwürfe hierüber sie die ernstliche Miene der Beleidigten annehmen zu sehen. Von jenem mir unbekannt gebliebenen Verhältnisse zu dem Kaufmann Schwabe, über welches ich in Berlin die erste Auskunft erhalten hatte, verschaffte der Zufall, durch Auffindung der Briefe dieses Mannes, mir eine höchst überraschende nähere Kenntniss. Alle in mir vorbereitete Eifersucht, aller tief innerliche Zweifel an Minna's Charakter, machte sich in dem schnellen Entschlusse Luft, das Mädchen sofort zu verlassen. Es kam zu einem grenzenlos leidenschaftlichen Auftritt, in welchem sich der Typus aller späteren ähnlichen Auftritte mit grosser Prägnanz feststellte. Ich war in meinen Ausbrüchen offenbar zu weit gegangen, indem ich ein Weib, welches durch keine Art von leidenschaftlicher Liebe an mich gefesselt war, sondern welches mehr nur meinem Andrängen wohlwollend sich gefügt hatte, und welches im tiefsten Grunde mir eigentlich gar nicht angehörte, in einer Weise behandelte, als ob ich wirkliche Rechte auf sie besässe. Um mich in die vollste Verwirrung zu bringen, brauchte Minna mich nur darauf hinzuweisen, dass sie im bürgerlichen Sinn wirklich vortheilhafte Bewerbungen zurückgewiesen hatte, während sie dem Ungestüm des jungen besitzlosen, übel versorgten Menschen, dessen Talent noch keine der Welt gültige Probe bestanden, mit freundlicher Theilnahme und Hingebung gewichen war. Hauptsächlich aber schadete mir die tobende Heftigkeit meiner Worte und Sprache, durch welche die Geschmähte sich so stark verletzt fühlte, dass ich beim Innewerden dieser Übertreibung stets nur auf die Begütigung der Gekränkten, durch Bekennen meines Unrechtes und die Bitte um Verzeihung, angewiesen blieb. Somit endigte dieser, wie später alle ähnlichen Auftritte, stets zum äusserlichen Vortheil der weiblichen Partei. Doch war der Friede für alle Zeit untergraben, und namentlich erlitt Minna's Charakter bei häufiger Wiederholung ähnlicher Vorfälle eine bedenkliche Aenderung. Wie sie in späteren Zeiten namentlich durch meine ihr immer unbegreiflicher werdende Auffassung der Kunst und ihrer Verhältnisse in zunehmende Perplexität gerieth, welche ihr eine leidenschaftliche Unsicherheit in der Beurtheilung alles hierauf Bezüglichen eintrug, brachte sie von jetzt an mein, von dem ihrigen so sehr verschiedenes Gefühl über den Punkt des höheren Zartsinns im sittlichen Verhalten, in eine wachsende Verwirrung, welche, da sie im Uebrigen so manches Freie in meinen Ansichten nicht begreifen und gutheissen konnte, sie mit einer, ihrem gelassenen Wesen ursprünglich fremden, Leidenschaftlichkeit erfüllte. Dass wiederum diese Leidenschaftlichkeit mit den Jahren zunehmend sich in der Weise äusserte, wie es die Erziehung und der Ton in Familien der unteren bürgerlichen Schicht mit sich bringt, war nicht zu verwundern, weil statt eigentlicher Bildung die Arme nur die dürftige Tünche des bürgerlichen Anstands sich zugeeignet hatte. Dass mir unter den Aeusserungen dieser Heftigkeit aber der letzte Anhalt schwinden musste, welchen Minna's eigenthümliche Natur bis dahin mir geboten, diess machte das wahrhaft Quälende unseres späteren Zusammenlebens aus. – Zu jener Zeit erfüllte mich erst nur eine unbestimmte Ahnung des Verhängnissvollen, welches der Schritt meiner Verheirathung mit Minna mit sich führte. Noch wirkten ihre behaglichen und beruhigenden Eigenschaften so vorherrschend wohlthätig auf mich, dass ich die innere Stimme, die mir dunkel Unheil weissagte, durch den grossen Leichtsinn, welcher mir zu eigen war, so wie durch den Eigensinn, welchen ich allen Abmahnungen entgegensetzte, zum Schweigen brachte.

Mit meiner Familie, d. h. mit der Mutter und Rosalie, hatte ich mich seit meiner Reise nach Königsberg ausser allem Verkehr gehalten; von meinem beschlossenen Schritte machte ich Niemandem nur die mindeste Mittheilung. Unter meines alten Freundes Möller verwogener Anleitung beseitigte ich alle legalen Schwierigkeiten, welche der Vollziehung des Trauaktes entgegenstanden. Nach preussischem Gesetz bedarf der mündig gewordene Mann der Einwilligung der Aeltern zum Abschluss einer Ehe nicht: da ich nach demselben preussischen Gesetz aber noch nicht meine Volljährigkeit erreicht hatte, berief ich mich hierfür auf das sächsische Gesetz, welchem ich durch Geburt angehörte, und nach welchem ich bereits mit dem 21. Jahre meine Mündigkeit erreicht hatte. Unser öffentliches Aufgebot war nun an dem Orte nöthig, an welchem wir uns das letzte Jahr aufgehalten hatten; und in Magdeburg ging dieser kirchliche Akt ohne alle Einwendung ruhig vorüber. Da es auch an der Einwilligung der Aeltern Minna's nicht fehlte, blieb uns nur noch ein gemeinschaftlicher Besuch bei dem Pfarrer des Tragheimer Kirchspiels übrig, um alles in Ordnung gebracht zu haben. Bei diesem Besuch ging es noch wunderlich genug her. Es war am Vormittag des Abends unsrer Benefiz-Vorstellung, in welcher Minna die pantomimische Rolle der »Fenella« übernommen hatte; noch war ihr Costüm nicht in Ordnung; Bestellungen und Besorgungen blieben übrig; regnerisches kaltes Novemberwetter stimmte uns zum Unmuth, als wir im offenen Hausflur der Pfarrei ungebührlich lang auf Vorlassung warten mussten. Hierüber kam es zwischen uns Beiden zu einem Wortwechsel, der mit jäher Schnelligkeit bis zu den gehässigsten Aeusserungen führte, so dass wir eben daran waren, jedes zu verschiedenen Seiten davon zu laufen, als der Pfarrer die Thür öffnete und, betreten über den von ihm wahrgenommenen Zank, uns zum Eintritt aufforderte. So waren wir genöthigt wieder gute Miene anzunehmen; die sonderbare Situation kam uns erheiternd zum Bewusstsein; der Pfarrer ward beschwichtigt, und die Trauung auf den folgenden Tag um eilf Uhr bestellt.

Andre Verdriesslichkeiten, welche oft zum Ausbruch von heftigen Zänkereien führten, verursachte die häusliche Einrichtung, in deren möglichst gefälligem und behaglichem Charakter ich eine wesentliche Garantie des nun erwarteten ruhigen Glückes erblicken wollte. Gegen die besonnenen Vorstellungen meiner Braut gebärdete ich mich ungeduldig: der Anfang einer langen Reihe von Jahren wachsenden Gedeihens, welches ich vor mir sah, sollte durchaus mit entsprechender Symbolik häuslichen Comfort's eingeleitet werden. Möbel, Geräth, und alles Nöthige ward auf Credit gegen allmähliche Abzahlungs-Verpflichtung entnommen. Von Aussteuer, Ausstattung und allen solchen dem gemeinsten bürgerlichen Leben so geläufigen Annahmen, welche eine Heirath zum Ausgangspunkt eines sich begründenden Wohlstandes machen, war nicht im Entferntesten die Rede. Unsre Trauzeugen und Hochzeitgäste entnahmen wir dem zufällig am Königsberger Theater zusammengetroffenen Schauspielerpersonal: doch sorgte Freund Möller für eine silberne Zuckerdose, zu welcher ein andrer Theaterfreund, ein eigenthümlicher und meiner Erinnerung nicht uninteressant vorschwebender junger Mann, mit Namen Ernst Castell, ein silbernes Kuchenkörbchen fügte. Die am Vorabend stattfindende Benefiz-Vorstellung der » Stummen von Portici«, welche ich mit allem Feuer dirigirte, ging gut von Statten, und lieferte die erwartete gute Einnahme. Nachdem wir den Polterabend, vom Theater heimkehrend, still und ermüdet verbracht, nahm ich zum ersten Mal Besitz von der neuen Wohnung, ohne mich jedoch in das zur Hochzeit aufgeputzte Brautbett zu legen, wogegen ich auf einem harten Kanapé, übel zugedeckt, weidlich dem Glücke des kommenden Tages entgegen fror. Nun setzte es mich des andren Morgens in angenehme Aufregung, als Minna's Habseligkeiten in Koffern und Körben bei mir ankamen; auch hatte sich das regnerische Wetter vollständig verzogen, die Sonne strahlte hell am Himmel; nur in unsrem Gastzimmer wollte es nicht warm werden, und ich zog mir für lange Zeit die Vorwürfe Minna's wegen vermeintlich unterlassener Pflege der Heizung zu. Endlich kleidete ich mich in den neuen Anzug, für welchen ich einen dunkelblauen Frack mit goldenen Knöpfen gewählt hatte. Der Wagen fuhr vor und ich machte mich auf, um die Braut abzuholen. Der helle Himmel hatte uns alle freundlich gestimmt: in bester Laune traf ich Minna in ihrem prächtigen, von mir ausgewählten Anzuge; mit wirklicher Innigkeit und Freude im Auge begrüsste sie mich; das schöne Wetter für ein gutes Anzeichen erklärend, machten wir uns zu der plötzlich uns lustig dünkenden Trauung auf. Wir genossen die Genugthuung, die Kirche wie zu einer glänzenden Theater-Vorstellung überfüllt zu sehen; es kostete Mühe bis zum Altar vorzudringen, wo uns die nicht minder weihelose Versammlung unsrer Trauungszeugen im theatralischen Putze empfing. Es war nicht eine wahrhaft befreundete Seele unter allen Anwesenden, denn selbst unser sonderbarer alte Freund Möller fehlte, weil sich für ihn keine schickliche Paarung gefunden hatte. Das tief Ungemüthliche, erkältend Frivole der Umgebung, sowie des ganzen durch sie unwillkürlich beeinflussten Vorganges, blieb nicht einen Augenblick meiner Empfindung fremd. Der Traurede des Pfarrers, von dem man mir später berichtete, dass er bei der früheren Muckerei, die Königsberg so unsicher gemacht hatte, nicht ganz unbetheiligt gewesen, hörte ich wie im Traume zu. Mir wurde nach einigen Tagen gemeldet, man trage sich in der Stadt mit dem Gerücht, dass ich den Pfarrer wegen in seiner Rede enthaltener gröblicher Beleidigungen verklagt hätte: ich begriff nicht was man meinte, und vermuthete dass ein Passus, welchen ich allerdings mit einiger Verwirrung vernommen hatte, zu jener Uebertreibung Veranlassung gab. Der Prediger nämlich verwies uns für die leidenvollen Zeiten, denen auch wir entgegen gehen würden, auf einen Freund, den wir beide nicht kennten; einigermaassen gespannt, hier etwa von einem heimlichen einflussreichen Protektor, der auf diese sonderbare Weise sich mir ankündigte, näheres zu erfahren, blickte ich neugierig auf den Pfarrer: mit besondrem Accent verkündigte dieser, wie strafend, dass dieser uns unbekannte Freund, – Jesus sei, – worin ich keineswegs, wie man in der Stadt vermeinte, eine Beleidigung, sondern nur eine Enttäuschung fand, während ich andrerseits annahm, dass derlei Ermahnungen dem Ritus bei Trauungsreden entsprächen. Doch war im Ganzen meine Zerstreutheit bei dem im tiefsten Grunde mir unbegreiflichen Akte so gross, dass, als der Pfarrer uns das geschlossene Gebetbuch hinhielt, um darauf unsre Trauringe zu sammeln, Minna mich ernstlich anstossen musste, um mich zur Nachfolge ihres sofort gegebenen Beispiels zu ermuntern. Mir wurde es in diesem Augenblicke wie durch eine Vision klar, dass sich mein ganzes Wesen wie in zwei über einander fliessenden Strömungen befand, welche in ganz verschiedener Richtung mich dahin zögen: die obere, der Sonne zugewendete, riss mich wie einen Träumenden fort, während die untere in tiefem unverständlichem Bangen meine Natur gefesselt hielt. Der unerhörte Leichtsinn, mit welchem ich die oft jäh sich aufdringenden Vorstellungen des Doppelfrevels, den ich beging, eben so schnell wieder zu verjagen wusste, fand einen freundlichen, für Alles entschuldigenden Anhalt an der wirklich herzlichen Wärme, mit welcher ich auf das, in ihrer Art, und namentlich in ihrer Umgebung, wahrhaft seltene und eigenthümliche Mädchen blickte, das sich so rückhaltslos mit dem im Leben so ohne allen Rückhalt dastehenden jungen Mann verband. Es war Mittag eilf Uhr am 24. November 1836: ich war 23 Jahre und sechs Monate alt. – Bei und nach der Heimkehr aus der Kirche gewann meine gute Laune die volle Oberhand über alle Bedenken. Minna trat sogleich in wirthschaftliche Sorge für den Empfang und die Bewirthung der Gäste ein, die Tafel war gedeckt, und ein reiches Gastmahl, an welchem auch der energische Stifter unsrer Ehe, Abraham Möller, trotz einiges Verdrusses über seine Ausschliessung beim kirchlichen Akte, Theil nahm, musste für die, zum grossen Leidwesen der jungen Hausfrau vorgefundene, und lange unbezwinglich bleibende Kälte des Zimmers entschädigen.

Alles nahm seinen gemeinen, eindruckslos vorübergehenden Verlauf: doch blieb mir die gute frische Laune noch bis zum andren Vormittag zu eigen, wo ich meinen ersten Ausgang nach dem Stadtgericht zu nehmen hatte, um mich gegen Verklagungen zu stellen, welche aus Magdeburg von meinen dortigen Gläubigern nach Königsberg mir nachgesandt worden waren. Freund Möller, den ich zur Abwehr der mich bedrohenden Angriffe zur Hülfe gezogen, hatte mir den rabulistischen Rath gegeben, mich gegen alle Schuld-Verklagungen durch Beziehung auf meine nach preussischem Gesetz bestehende Unmündigkeit für's erste so lange zu schützen, bis wirkliche Hülfe zur Erledigung der Forderungen herbeigeschafft werden könnte. Der Gerichtsassessor, dem ich diesen mir angerathenen Ablehnungsgrund der Klagen eröffnete, war hierüber erstaunt, da er wohl von meiner am vorangehenden Tage stattgefundenen Vermählung vernommen hatte, welche wiederum nur durch Documentirung meiner Volljährigkeit zu Stande zu bringen gewesen war. Natürlich war auch hiermit nur eine kurze Frist gewonnen, und die Plage, die mir von dieser Seite her noch lange Zeit beschieden war, nahm vom ersten Tage meiner Ehe an ihren Beginn.

Die Zeit, in welcher ich ohne Function für das Theater blieb, trug mancherlei Kränkendes für mich mit sich; immerhin glaubte ich die Ruhe des erreichten Hafens für meine Kunst ausbeuten zu müssen: ich führte einige Arbeiten aus, worunter eine grosse Ouverture über das » Rule Britannia«. – Noch während meines Berliner Aufenthaltes hatte ich die, bereits bei Gelegenheit des Polenfestes erwähnte, » Polonia« betitelte Ouverture geschrieben: »Rule Britannia« war ein weiterer Schritt in der Richtung dieses auf grosse Massenwirkung berechneten Genres; am Schluss derselben sollte zu dem an und für sich schon überreich besetzten Orchester noch eine starke Militärbande hinzutreten, und das Ganze hatte ich zur Aufführung bei dem im nächsten Sommer bevorstehenden Musikfest in Königsberg bestimmt. Zu diesen beiden Ouverturen trug ich mich mit einem dritten Seitenstück, einer Ouverture mit dem Titel » Napoléon«: namentlich die Wahl der Effektmittel hierzu beschäftigte mich im Voraus, und ich erwog in mir das ästhetische Dilemma, ob ich den vernichtenden Schicksalsschlag, welcher den französischen Kaiser in Russland traf, durch einen Tamtam-Schlag versinnlichen dürfte oder nicht. Ich glaube, es war besonders mein Skrupel über die Zulässigkeit dieses Schlages, der mich von der Ausführung meines Planes für jetzt abhielt. – Dagegen veranlasste mich das Nachdenken über den Misserfolg der Aufführung meines »Liebesverbotes«, eine theatralische Arbeit zu entwerfen, bei welcher die Ansprüche an das Sänger- und Chorpersonal in ein richtigeres Verhältniss zu dem von mir erkannten Bestand der Kräfte der mir einzig zugänglichen kleineren Stadttheater gesetzt sein sollten. Eine originelle Erzählung der » Tausend und eine Nacht« gab mir das Sujet zu einer solchen leichtern Arbeit an die Hand: sie ist dort, wenn ich nicht irre, » Männerlist, grösser als Frauenlist« betitelt. Aus Bagdad verlegte ich die Handlung in unsre Zeit und modernes Costüm. Ein junger Goldschmidt reizte die Empfindlichkeit einer jungen Frau durch die auf seinem Ladenschild angebrachte oben erwähnte Devise: tief verschleiert stellt sie sich in seinem Verkaufsladen ein, und frägt ihn, der in seinen Arbeiten so viel feinen Geschmack zeige, um sein Urtheil über ihre körperliche Beschaffenheit, beim Fusse, der Hand beginnend, und endlich, da sie bereits die hervorgebrachte Verwirrung gewahrt, durch Aufdeckung des Schleiers beim Gesicht endigend. Dem von ihrer Schönheit hingerissenen Juwelier klagt sie nun, dass ihr Vater, welcher sie sorgfältig verwahrt halte, jedem Bewerber seine Tochter als ein hässliches Ungeheuer schildere, wie sie vermuthe, lediglich um die Aussteuer zu ersparen; der junge Mann gelobt, sich durch diesen thörigen Einspruch des Vaters, wenn er ihn auch gegen seine Bewerbungen vorbringen wollte, nicht abschrecken zu lassen. Gesagt, gethan. Der vertrauungsvolle Juwelier wird der Tochter des sonderbaren alten Herrn zugesprochen, und als sie, nachdem seinerseits der Contrakt unterzeichnet, dem Bräutigam zugeführt wird, erkennt dieser allerdings die abschreckende Beschaffenheit der wirklichen Tochter des keineswegs als Lügner befundenen Vaters: zu dem verzweiflungsvollen Bräutigam tritt die schöne junge Frau wieder, um sich an seiner Pein zu weiden, und verspricht ihm von der entsetzlichen Heirath zu helfen, wenn er das Motto von seinem Schild entfernen wollte. Von hier an erfand ich nun folgende Wendung des ursprünglichen Motifs: schon ist der wüthende Juwelier im Begriff den unglücklichen Ladenschild herabzureissen, als er durch eine sonderbare Erscheinung von seinem Vorhaben abgehalten wird; auf der Strasse ist ein Bärenführer erschienen, welcher sein plumpes Thier tanzen lässt, und in welchem auf den ersten Blick der unglückliche Liebhaber seinen, durch wunderbare Schicksale von ihm getrennten, Vater erkennt. Er unterdrückt die Rührung dieses Wiedererkennens, da ihm wie im Blitz ein auf diese Entdeckung gegründeter Plan zu seiner Befreiung von dem verhassten Ehebündniss mit der Tochter des adelstolzen alten Herrn ankommt. Er bestellt den Bärenführer für diesen Abend in den Garten, wo die feierliche Verlobung vor eingeladenen Gästen begangen werden soll. Der jungen Feindin erklärt er aber, den Ladenschild vorläufig noch hängen lassen zu wollen, da er hoffe die Devise noch bewähren zu können. Nachdem nun vor feierlicher Versammlung einer Gesellschaft, die ich mir etwa aus der Elite der adelstolzesten französischen Emigrés zur Zeit der Revolution bestehend dachte, ein Ehecontrakt verlesen worden ist, in welchem der junge Mann sich allerhand ersonnene Adelstitel beilegt, wird plötzlich die Pfeife des Bärenführers gehört, welcher mit dem tanzenden Mutz den Garten betritt. Bereits unwillig über diese triviale Belustigung, geräth die Gesellschaft in staunende Entrüstung, als der Bräutigam nun seinem Herzen den Zügel schiessen lässt, und dem Bärenführer mit Freudethränen um den Hals stürzt, ihn laut als seinen wiedergefundenen Vater begrüssend. Das Entsetzen der Umgebung steigert sich aber noch, als der Bär selbst den vermeinten Mann von altem Adel umarmt; denn dieser ist sein leiblicher Bruder, welcher, nachdem der Capital-Bär gestorben war, im Felle des Verlorenen die Fortsetzung des einzig den Verarmten übrig bleibenden Gewerbes ermöglichte. Die offenkundige Entdeckung seiner niedrigen Herkunft löst sogleich die Heirath, und die sich durch Männerlist besiegt erklärende junge Frau entschädigt dafür den Befreiten mit ihrer Hand. – Diesem anspruchslosen Sujet gab ich den Titel » die glückliche Bärenfamilie«, und stattete es mit einem Dialog aus, welcher später Holtei's grossen Beifall fand: für jetzt war ich auch schon im Begriff, die Musik dazu im leichten neu französischen Style zu beginnen. Das Andrängen des immer peinlicher sich gestaltenden Ernstes meiner Lebenslage hielt mich jedoch von weiteren Fortschritten in meiner Arbeit ab.

In diesem Betreff blieb zunächst mein missliches Verhältniss zur Musikdirektion des Theaters ein Quell stets wiederkehrender Pein. Ohne alle Gelegenheit und Mittel, mich zu bewähren, musste ich von meinem das Feld behauptenden Gegner mich nach jeder Seite hin angeschwärzt und verdächtigt wissen, wobei die Absicht vorherrschte, den zu Ostern mir contraktlich zugesicherten vollständigen Antritt der Musikdirektorstelle mir zu verleiden. Verlor ich hierbei auch nicht mein Selbstvertrauen, so schmerzte mich doch das Beschämende und Niederdrückende dieser so lange anhaltenden Situation. Als endlich die Zeit erschien, in welcher, mit Anfang April, der bisherige Musikdirektor Schubert entlassen war, und ich vollständig an seine Stelle trat, hatte dieser ausserdem die traurige Genugthuung, nicht nur den Bestand der Oper, namentlich durch den Abgang der ersten Sängerin, äusserst geschwächt, sondern auch den Fortgang der ganzen Theaterunternehmung in sehr begründeten Zweifel gezogen zu wissen. Der allen ähnlichen Theaterunternehmungen in Deutschland so verderbliche Lenz-Monat übte seinen entvölkernden Einfluss wiederum auch auf dieses Königsberger Theater aus. Der Direktor gab sich die erdenklichste Mühe, die Lücken des Opernpersonales durch Gäste und neue Acquisitionen auszufüllen, und hierbei war ich und meine grosse Thätigkeit ihm von wahrhaftem Nutzen; wie ich denn überhaupt meine grösste Energie bewies, durch rastlosen Rath und eifrige That das beschädigte Schiff des Theaters, dem ich jetzt erst nahe treten durfte, flott zu erhalten. Die roheste Behandlung von Seiten einer Studenten-Clique, unter welcher mein Amtsvorgänger mir rücksichtslos Feinde geworben hatte, musste ich längere Zeit kaltblütig zu ertragen suchen. Die anfängliche Widerspenstigkeit des gegen mich bearbeiteten Orchesters hatte ich durch unbeirrt sichere Führung desselben umzustimmen. Mit Mühe zu dieser Grundlage des persönlichen Ansehens gelangt, musste ich nun aber inne werden, dass die Geschäftsführung des Direktors Hübsch bisher schon zu grosse Opfer erheischt hatte, um der Ungunst der theaterfeindlichen Jahreszeit mit Erfolg widerstehen zu können. Er entdeckte mir im Mai, dass er auf den Punkt gelangt sei, das Theater schliessen zu müssen: mit Aufbietung aller Beredtsamkeit und durch Vorlegung von Plänen, welche seiner Unternehmung günstige Chancen herbeiführen sollten, gelang es mir ihn von Neuem zur Ausdauer zu bewegen; jedoch war ihm dies nur dadurch möglich, dass er die Mithülfe seiner Gesellschaft durch vorläufige Verzichtleistung auf einen Theil ihrer Gagen in Anspruch nahm. Diess rief allgemeine Erbitterung der Unverständigen hervor, und es stand mir eigenthümlich an, den durch jene Maassregel Betroffenen zu Gunsten des Direktors begütigende Vorstellungen zu machen, während ich und meine persönliche Lage dadurch selbst in einer Weise berührt wurden, dass mein eigenes Bestehen unter der Häufung der unerträglichsten, meiner Vergangenheit entstammten Schwierigkeiten, von Tag zu Tag immer unhaltbarer wurde. Verlor ich selbst dennoch nicht den Muth, so war es diesmal hingegen Minna, welche – als meine Frau – aller bisher in ähnlichen Lagen ihr zu Gut kommenden Mittel beraubt, sich einer unerträglichen Wendung ihres Schicksals ausgesetzt fühlte.

Die traurigsten Folgen eines unter so betrübenden Umständen längst keimenden Zerwürfnisses des jungen Ehepaares blieben nicht aus, und diese Zerwürfnisse nahmen ihren Ausgang von demselben, mich so leidenschaftlich beängstigenden Punkte, welcher schon vor unsrer Heirath zu den heftigsten Auftritten zwischen uns geführt hatte. Je weniger es mir vergönnt war, im Verlaufe des Winters durch Thätigkeit und Geltendmachung meiner Fähigkeiten zur Aufrechthaltung des Wohlanstandes unsrer bürgerlichen Lage beizutragen, desto mehr glaubte, zu meiner unerträglichen Beschämung, Minna durch Geltendmachung ihrer persönlichen Beliebtheit diese nöthige Sorge übernehmen zu müssen: häufige Wahrnehmungen ähnlicher Condescedenzen, wie ich sie früher bezeichnete, und welche nur bei Minna's eigentümlicher Auffassung ihrer ganzen theatralischen Stellung und der damit zusammenhängenden Nöthigung eine unbedenkliche Deutung gewinnen konnten, hatten wiederholt die widerwärtigsten Auftritte herbei geführt. Die junge Frau zu meiner Auffassung hiervon zu bringen, meine Gefühle im Betreff jener verletzenden Begegnungen ihr mitzutheilen, blieb durchaus unmöglich; und was jede erdenkliche Verständigung ein für allemal vereitelte, war die Heftigkeit und verletzende Bitterkeit, mit welcher ich mich in Sprache und Benehmen gehen liess. Wiederholt führten solche Scenen zu Krämpfen meiner Frau, welche für mich einen so unerhört beängstigenden Charakter annahmen, dass, wie man sich leicht denken kann, die Befriedigung, sie endlich wieder versöhnt zu haben, der einzige Erfolg solcher Auftritte für mich blieb. Gewiss war es, dass unser beiderseitiges Benehmen uns selbst immer unbegreiflicher und unverständlicher ward. Dem Grade von Liebe, welchen Minna für mich zu empfinden im Stande war, mochten diese immer häufiger und ärgerlicher sich wiederholenden Zerwürfnisse bereits eine bedenkliche Minderung beigebracht haben; doch hatte ich keine Ahnung davon, dass es für Minna nur einer geeignet dünkenden Veranlassung bedürfte, um sie zu den verzweifeltsten Entschlüssen zu bestimmen.

Um den unsrer Oper fehlenden Tenor zu ersetzen, hatte ich den aus meinem ersten Magdeburger Jahre mir befreundeten, bereits näher erwähnten Friedrich Schmitt nach Königsberg berufen: er war mir mit herzlichem Ernst ergeben, und half mir so gut wie möglich zur Beseitigung der Schwierigkeiten, welche sich gegen das Gedeihen des Theaters, sowie meiner eigenen bürgerlichen Lage erhoben hatten. Die Nöthigung, uns im Publikum Freunde zu erwerben, machte mich, eben in seiner Begleitung, weniger zurückhaltend und wählsam in Betreff der Anknüpfung geselliger Beziehungen. Ein vermögender Kaufmann, Namens Dietrich, hatte sich in der letzten Zeit zum Protektor namentlich der dem Theater angehörenden Damenwelt aufgeworfen: er lud die Crême derselben, mit schuldiger Beachtung der ihr zugehörigen Männerwelt, zu Diners bei sich ein, und benahm sich hierbei nach den Regeln eines affektirten englischen Comfort's, – das höchste Ideal für deutsche Kaufleute, namentlich der nordischen Handelsstädte. Bereits gegen die Annahme seiner hierzu auch an uns gerichteten Einladung hatte ich mich verdrossen gezeigt, – zunächst einfach aus dem Grunde, weil seine Physiognomie mir widerwärtig war; wogegen Minna fand, dass ich unrecht hätte. Gegen eine Ausdehnung des Umgangs mit diesem Manne blieb ich entschieden gestimmt; und obwohl Minna nicht auf der Annahme seiner Besuche angelegentlich bestand, ward doch auch mein Benehmen gegen diesen Eindringling Grund zu ärgerlichen Auftritten zwischen uns. Freund Schmitt hielt es nun eines Tages für seine Pflicht, mir Anzeige davon zu machen, dass dieser Herr Dietrich an öffentlicher Gasttafel sich in einer Weise über mich vernehmen liess, welche bei aller Welt eine bedenkliche Vertrautheit seinerseits mit meiner Frau voraussetzen liess. Ich selbst musste den Verdacht fassen, dass Minna, auf mir verborgen bleibendem Wege, an jenen Mann Mittheilungen über mein Benehmen gegen sie, wie über den Verfall unsrer Lage zukommen liess. Ich stellte, in Schmitt's Begleitung, den gefährlichen Menschen in seiner Wohnung hierüber zur Rede, was seinerseits für das Erste zu den gewöhnlichen Ableugnungen, dann aber zu heimlichen Mittheilungen über diesen Vorgang an Minna führte, welche nun neuen Grund zu haben glaubte, sich über mein rücksichtsloses Benehmen gegen sie zu beklagen. Eine bedenkliche Verschlimmerung unsres Verhaltens trat nun ein: über gewisse Punkte ward geschwiegen. Zugleich – es war gegen Ende Mai 1837 – war die Geschäftsführung des Theaters in den oben von mir bezeichneten Wendepunkt angelangt: die Direktion musste sich an die aufopferungsvolle Mithülfe des Personales wenden, um das Bestehen der Theaterunternehmung zu sichern. Wie bereits ebenfalls erwähnt, war meine persönliche Lage, am Ausgange eines meinem bürgerlichen Fortkommen so höchst nachtheiligen Jahres, hierdurch am aller übelsten betroffen; doch schien mir nichts übrig zu bleiben, als geduldig diesen Schwierigkeiten entgegen zu gehen, und ich nahm es in meine Hand, für mich allein, ohne Einmischung Minna's, namentlich aber auch mit des guten Friedrich Schmitt's Hülfe, die nöthigen Arrangements zur Sicherung meiner Königsberger Stellung zu treffen. Dieses, so wie meine rastlose Betheiligung an den Theatergeschäften hielt mich so stark in Athem und häufig aus dem Hause, dass ich dem schweigenden und zurückhaltenden Benehmen Minna's in diesen Tagen keine besondere Beachtung zu schenken vermochte. Am Vormittag des 31. Mai hatte ich mich zu Theaterproben und Geschäften, welche mich vermuthlich bis in den späten Nachmittag aufhalten mussten, von Minna zu verabschieden. Diese hatte seit längerer Zeit ihre Tochter Nathalie, welche gegen Jedermann für ihre jüngste Schwester ausgegeben ward, mit meiner herzlichsten Uebereinstimmung zu sich berufen. Als ich jetzt mein ruhiges Adieu sagen wollte, stürzten mir die Frauen zur Thüre nach, umarmten mich dort leidenschaftlich, Minna wie ihre Tochter unter hervorbrechenden Thränen, so dass ich erschrocken nach dem Grunde dieser Aufregung frug, ohne Erklärung zu erhalten, mich aber abwenden musste, um über das sonderbare Benehmen nachzudenken, dessen Grund ich weit entfernt war auch nur mit der leisesten Ahnung zu berühren. Abgehetzt durch Anstrengung und Aerger, todmüde, bleich und hungernd kam ich zur späten Mittagstunde nach Haus, war betroffen den Tisch ungedeckt, und Minna, von der mir die Magd sagte, dass sie von einem Ausgang mit Nathalie noch nicht zurückgekommen sei, nicht im Haus anzutreffen. Ich geduldete mich, und liess mich erschöpft am Nähtische nieder, welchen ich in der Zerstreuung öffnete, und zu meinem Erstaunen geleert fand. Von einer fürchterlichen Ahnung getroffen, sprang ich auf, nach dem Kleiderschrank, und erkannte schnell dass Minna nicht mehr in diesem Hause wohnte. Selbst vor der Dienstmagd war der mit grosser List ausgeführte Fortgang meiner Frau verborgen geblieben. Den Tod im Herzen stürzte ich aus dem Hause, um Nachforschungen über Minna's Verschwinden anzustellen; der alte Möller, Dietrich's persönlicher Feind, brachte durch seinen geübten Scharfsinn alsbald heraus, dass dieser am Vormittage mit Extrapost, in der Richtung von Berlin, Königsberg verlassen hatte. Das Grauenhafte stand unleugbar vor mir. Es musste der Versuch gemacht werden die Flüchtigen einzuholen: mit Anwendung grosser Geldmittel schien dies möglich zu sein; diese fehlten, und mussten mühselig zum Teil erst verschafft werden. Auf Möller's Rath steckte ich die silbernen Hochzeitsgeschenke für möglichen weiteren Bedarf zu mir, und machte mich mit dem alten bekümmerten Freunde gemeinsam, ebenfalls mit Extrapost, nach Verlauf einiger schrecklichen Stunden auf den Weg. Es musste uns gelingen, den kurze Zeit vorher abgegangenen Post-Eilwagen zu erreichen, weil voraus zu setzen war, dass Minna diesen ebenfalls, in gehöriger Entfernung von Königsberg, zur Weiterreise benutzen wollte. Diess blieb unmöglich: am andren Morgen bei Tagesgrauen in Elbing angelangt, fanden wir unsre Geldmittel durch den leidenschaftlichen Gebrauch der Extrapost erschöpft, und sahen uns zur Umkehr genöthigt, welche, um sie selbst mit dem einfachen Postwagen zu bewerkstelligen, es uns unerlässlich machte, Zuckerdose und Kuchenkörbchen zu versetzen. Diese Rückfahrt nach Königsberg bleibt mit Recht eine der traurigsten Erinnerungen aus meinem jungen Leben. An mein Verbleiben an diesem Orte dachte ich natürlich keinen Augenblick, sondern blos daran, wie es mir möglich sein sollte fortzukommen. Zwischen den gerichtlichen Klagen meiner Magdeburger Gläubiger, und den neuen Gewaltmaassregeln Derjenigen, welche am Orte selbst für meine erst allmählich abzuzahlende häusliche Einrichtung Forderungen zu erheben hatten, eingeschlossen, konnte mein Fortgang mir nur durch Heimlichkeit ermöglicht werden: eben hierzu wiederum bedurfte es aber, namentlich auch in Anbetracht der weiten Reise von Königsberg nach Dresden, wohin es mich zur Aufsuchung meiner Frau trieb, der Erlangung von Geldmitteln, die mich noch für zwei schreckliche Tage zurückhielt. Keinerlei Nachricht kam von Minna an mich: nur durch Möller erfuhr ich, dass Minna, von Dietrich unter vorgeblich freundschaftlich geleisteter Hülfe nur eine Strecke weit geleitet, sich nach Dresden gewandt habe. Durch die Annahme, dass sie wirklich nur eben einer, sie mit Verzweiflung erfüllenden Lage sich habe entziehen wollen, hierzu die Hülfe eines durch ihre Lage gerührten Mannes angenommen habe, und nun bei ihren Aeltern zunächst Ruhe und Unterkommen suchte, – milderte sich meine anfängliche Entrüstung über den Vorgang in so bedeutendem Grade, dass ich zu Mitleiden für die Verzweifelte und zu Selbstvorwürfen gegen mich, sowohl meines Benehmens wegen, als weil ich sie in das Unglück gezogen hätte, immer geneigter wurde. Diese Ansicht nahm, während der nun endlich am 3. Juni angetretenen langwierigen Reise über Berlin nach Dresden, so entschieden alle meine Vorstellungen und Empfindungen ein, dass ich, Minna in der ärmlichen Wohnung ihrer Aeltern antreffend, wirklich nur Reue und schmerzliches Mitgefühl auszudrücken vermochte. – Es bestätigte sich, dass Minna sich als übel von mir behandelt ansah, und zu dem verzweifelten Schritt nur durch die Rücksicht auf unsre unhaltbare Lage, gegen welche sie mich blind und taub erkannt hätte, gedrängt worden zu sein erklärte. Den Aeltern war ich unwillkommen: der aufgeregte leidende Zustand der Tochter schien den Klagen derselben über mich genügende Rechtfertigung zu geben. Ob mein eigner leidender Zustand, meine schleunige Nachkunft, und alle herzlichen Bezeigungen meiner Trauer auf sie einen mir vortheilhaften Eindruck machten, kann ich kaum genau ermessen, so undeutlich, und zum Theil unbegreiflich blieb mir ihre gemischte Haltung gegen mich. Doch machte es Eindruck auf sie, als ich ihr meldete, dass mir vortheilhafte Aussichten auf die Musikdirektorstelle bei dem, unter vorzüglichen Umständen neu zu eröffnenden Theater in Riga sich darböten. Ich glaubte zu weiteren Entschlüssen für die Ordnung unsrer zukünftigen Lebensverhältnisse jetzt nicht drängen zu dürfen, und desto ernstlicher für eine verbesserte Grundlage derselben zu allernächst sorgen zu müssen, zu welchem Zwecke ich, nach achttägigem bangen Zusammensein unter den peinlichsten Umständen, mich angelegentlichst nach Berlin aufmachte, um dort mit dem neu bestellten Direktor des Rigaischen Theaters mein Engagement zum Abschluss zu bringen. Diess gelang, und zwar unter nicht ungünstigen Bedingungen, welche mir die Möglichkeit zeigten, auf den Grund meiner Einnahmen den Hausstand in der Weise zu versorgen, dass Minna gänzlich vom Theater zurücktreten, und dadurch in den Stand gesetzt werden könnte, Beschämungen und Beängstigungen in Zukunft von mir fern zu halten. –

Nach Dresden zurückgekehrt, fand ich für die Eröffnung der mir dargebotenen Aussichten nicht unwilliges Gehör, und vermochte Minna die enge älterliche Wohnung für's erste zu verlassen, um nahe bei Dresden auf dem Lande, in Blasewitz die Zeit des Antrittes meiner Riga'schen Stelle abzuwarten. Wir nahmen bescheidnes Quartier in dem an der Elbe gelegenen Gasthof, dessen Wirtschaftsgarten in meiner frühsten Jugendzeit bereits häufig von mir besucht worden war. Minna's Stimmung schien sich wirklich zu bessern; auf ihr Anliegen, sie mit nichts zu bedrängen, ging ich mit möglichster Schonung ein, und im Verlaufe einiger Wochen glaubte ich mich zu der Annahme berechtigt, dass die Zeit der Bangigkeit bald überstanden sein würde. Sehr befremdlich war es mir, dass diese Stimmung ohne mir erklärliche Ursache bald sich wieder trübte: Minna sprach mir von vortheilhaften Anträgen, die ihr von verschiedenen Theatern zugekommen seien, und überraschte mich eines Tages mit der Ankündigung einer kleinen Vergnügungsreise, welche sie mit der Familie einer Jugendbekannten auszuführen beabsichtige. Da ich mich gedrungen fühlte in nichts einen Zwang auf sie auszuüben, wendete ich gegen die Ausführung dieses Planes, welcher sie für acht Tage von mir entfernen sollte, nichts ein, begleitete sie selbst zu ihren Aeltern zurück, und versprach ihre Rückkunft ruhig in Blasewitz abzuwarten. Einige Tage darauf besuchte mich ihre älteste Schwester, und erbat sich von mir die nöthige schriftliche Erlaubniss zur Ausstellung eines Passes für meine Frau. Hierüber erschrocken, frug ich bei meinen Schwiegerältern in Dresden nach, was ihre Tochter vorhabe: dort wurde ich zu meiner Ueberraschung besonders übel empfangen, und erhielt gröbliche Vorwürfe über mein Benehmen gegen Minna, welche ich ja nicht einmal zu ernähren im Stande sei; da ich hiergegen einzig nur Auskunft über den Aufenthalt und das Vorhaben meiner Frau verlangte, wurde ich mit unwahrscheinlichen Berichten abgewiesen. Von den bittersten Vorstellungen gepeinigt, nichts von allem Vorgegangenen begreifend, kehrte ich in mein Dorf zurück. Dort traf mich ein Brief aus Königsberg von Möller, welcher mir mein Elend klar machte: jener Herr Dietrich war nach Dresden gereist; das Hôtel, in welchem er abgestiegen, wurde mir genannt. Das furchtbare Licht, welches durch diese Mittheilung auf Minna's Benehmen fiel, erleuchtete mich mit Blitzesschnelle: ich eilte in die Stadt, um in dem mir genannten Hôtel die nöthige Nachfrage zu halten; wirklich war der bezeichnete Mann dort abgestiegen, jedoch wieder verreist; ebenso wie er, war Minna verschollen. So wusste ich denn genug, um mein Schicksal zu fragen, warum mir in so grosser Jugend schon eine so furchtbare, wie es mich dünkte, das ganze Leben vergiftende, Erfahrung zu machen bestimmt war.

In meinem grenzenlosen Leiden wandte ich mich nun dem tröstlichen Umgange mit meiner Schwester Ottilie und deren vortrefflichem Manne, Hermann Brockhaus, zu, mit welchem diese seit einigen Jahren verheirathet war, und zu dieser Zeit in dem schönen » Grossen Garten« bei Dresden einen freundlichen Sommerpavillon bewohnte. Sogleich nach meiner ersten Ankunft in Dresden hatte ich beide aufgesucht; selbst noch in grosser Unklarheit über meine Lage, hatte ich ihnen keine Mittheilungen hierüber gemacht, und nur wenig mich bei ihnen gezeigt: jetzt war ich getrieben, meinen Trotz zu überwinden und ziemlich unverhüllt mein Unglück zu eröffnen. Der grosse Vorzug verwandtschaftlicher Beziehungen und der unvermittelten, unbedingten Vertraulichkeit zwischen Blutsverwandten trat hier zum ersten Mal meinem Gefühl höchst wohlthätig nahe. Hier war wenig zu erklären; Bruder und Schwester waren dieselben, die in frühester Kindheit in vollster Gemeinschaft gelebt hatten: Alles verstand sich ohne Erklärung; ich war unglücklich, sie glücklich: Trost und Hülfe erstanden ganz von selbst.

Diese war dieselbe Schwester, welcher ich einst unter Blitz und Donner » Leubald und Adelaïde« vorgelesen, welche an jenem Weihnachtsabend der verhängnissvollen Aufführung meiner ersten Ouverture voll Staunen und Mitleiden beigewohnt hatte, und welche ich nun an einen der liebenswürdigsten Menschen, den jüngsten Bruder meines älteren Schwagers Friedrich Brockhaus, den orientalischen Sprachgelehrten und bald rühmlich bekannten Hermann Brockhaus, vermählt fand. Ihre Ehe war bereits mit zwei Kindern gesegnet; ein günstiger Vermögensstand erleichterte ein sorgenloses Leben, und wenn ich, wie es nun täglich geschah, meine Fusswanderung von Blasewitz nach dem berühmten » Grossen Garten« richtete, war es mir beim Eintritt in einen jener so gesuchten Pavillons, wo ich stets eine glückliche Familie freundlich zu meinem Empfange bereit wusste, als ob ich aus wüster Lebensöde in ein Paradies einträte. Durch den schwesterlichen Umgang ward nicht nur mein Gemüth auf das Wohlthuendste beruhigt, sondern durch den Verkehr mit dem geistvollen und gelehrten Schwager auch mein so lange schlummernder höherer Bildungstrieb von Neuem lebhaft angeregt. Während meine jugendliche Ehe als eine zwar verzeihliche, doch zu berichtigende Verirrung, in durchaus unverletzender Weise mir zum Bewusstsein gebracht wurde, gewann mein Geist auch wieder genügende Spannkraft zu künstlerischen Entwürfen, welche diesmal nicht auf leichtfertige Zweckmässigkeit für die mir bekannt gewordenen Theaterverhältnisse berechnet waren. Während der kümmerlichen Tage meines letzten Zusammenseins mit Minna in Blasewitz hatte ich den Bulwerschen Roman von Cola Rienzi gelesen; während ich nun, im tröstlichen Umgang mit meiner Familie, mich erholte, arbeitete ich den Plan zu einer grossen Oper aus, zu welchem mich jenes Sujet begeisternd angeregt hatte. War ich für das Erste auch genöthigt mich einem kleinern Theaterverhältnisse wieder zuzuwenden, so bestrebte ich mich doch, von jetzt an auf eine Erweiterung meines Wirkungskreises in der Zukunft hin zu arbeiten. Ich sandte meine Ouverture über » Rule Britannia« an die Philharmonische Gesellschaft nach London ein, und suchte mich mit Scribe in Paris wegen eines von mir entworfenen, einem Roman von H. König entnommenen Sujets, » die hohe Braut«, in Verbindung zu setzen. So verbrachte ich, zu unvergesslich freundlicher Erinnerung, den Rest des Sommers dieses Jahres, um nun mit Ende August's meiner neuen Bestimmung gemäss die Reise nach Riga anzutreten. Trotzdem ich dort kürzlich auch meine Schwester Rosalie, ihrer Herzensneigung entsprechend, an den Professor Oswald Marbach verheirathet wusste, vermied ich, wohl um mir thöriger Weise eine Beschämung zu ersparen, Leipzig zu berühren, und traf in Berlin ein, wo ich einige nähere Instruktionen meines zukünftigen Direktors zu empfangen, auch einen Pass mir zu besorgen hatte. Dort begegnete ich einer jüngeren Schwester Minna's, Amalie Planer, einer mit schöner Stimme begabten Sängerin, welche wir schon in Magdeburg für kurze Zeit zu unserer Oper gezogen hatten. Das äusserst gutmüthige Mädchen war sehr erschüttert durch meine Mittheilungen über Minna; in einer Aufführung des »Fidelio«, welcher wir gemeinschaftlich beiwohnten, brach sie mit mir in Thränen und Schluchzen aus. Auch durch diesen tröstlichen Eindruck gestärkt, wendete ich mich nun über Schwerin, wo ich irrthümlich auf die Spuren Minna's zu treffen wähnte, nach Lübeck, um dort den Abgang eines nach Riga fahrenden Kaufmannschiffes abzuwarten. Bereits waren wir nach Travemünde ausgelaufen, als sich ein ungünstiger Wind einstellte, welcher die Abfahrt acht Tage lang unmöglich machte. In einer elenden Schiffskneipe musste ich diese widerwärtige Zeit zu überstehen suchen; ohne Mittel der Unterhaltung griff ich unter anderm zur Lecture des Volksbuches vom » Till Eulenspiegel«, welches mich zuerst auf den Gedanken einer ächt deutschen komischen Oper brachte. Als ich dann um so vieles später endlich die Dichtung meines » jungen Siegfried« entwarf, entsinne ich mich, dass Erinnerungen aus diesem traurigen Aufenthalt in Travemünde, und an die Lecture des » Eulenspiegel« lebhaft hierbei wieder in mir wach wurden. Nach einer viertägigen Seefahrt langten wir endlich im Hafen von Bolderaa an, und ich empfand zunächst die eigenthümlichen Schauer des Verkehrs mit russischen Beamten, gegen welche ich seit meiner Jugendsympathie für die Polen mit instinktivem Entsetzen erfüllt war. Mir war es, als ob die Hafenwachen mir meine Schwärmerei für Polen ansehen und sofort mich nach Sibirien schicken würden: desto angenehmer überraschte mich endlich das durchaus zutrauliche deutsche Element, welches mich in Riga, namentlich bei Allem, was mit dem Theater in Verbindung stand, umfing.

Nach meinen schlimmen Erfahrungen im Betreff der Eigenschaften der kleineren deutschen Theater wirkte zunächst auf mich die Beschaffenheit der dort neu begründeten Theaterzustände angenehm beruhigend. Eine Anzahl vermögender Theaterfreunde und reicher Kaufleute hatte eine Gesellschaft gegründet, welche aus freien Stücken die nöthigen Geldmittel beschaffte um einer gewünschten guten Theaterdirektion eine solide Grundlage zu geben: die Direktion selbst hatte man einem Manne von gewissem theatralischem Ruf, dem nicht unbeliebten Theaterdichter Karl von Holtei übergeben. Dieser Mann, einer besondren, um jene Zeit bereits verschwindenden Tendenz des Theaterwesens angehörend, vereinigte mit ausserordentlichen geselligen Eigenschaften eine ungewöhnliche Bekanntheit mit allen dem Theater nahestehenden Persönlichkeiten aus den vorangegangenen zwanzig Jahren. Er zählte sich zu dem Kreise der sogenannten »liebenswürdigen Libertins«, welche sich gern auch für geistvoll angesehen sahen, und im Theater den von der Oeffentlichkeit willig geduldeten Tummelplatz für frivole Excentrizitäten erfassten, gegen welche das bürgerliche Leben sich ebenso abgeschlossen verhält, wie die höhere Intelligenz der Nation sich immer hoffnungsloser von ihrer frühern Theilnahme für das Theater überhaupt wieder zurückzog. Das Königstädter Theater in Berlin, an welchem Holtei's erste Frau vor längerer Zeit bereits als liebenswürdige Schauspielerin geglänzt hatte, war in der Zeit seiner besondren Blüthe, zu welcher es namentlich durch den Besitz der berühmten Henriette Sontag gediehen war, die Schule des Holtei'schen Theater-Geschmackes gewesen. Dort hatte neben seinen Liederspielen, unter denen » der alte Feldherr« zu ziemlicher Beliebtheit gelangte, namentlich sein, nach der Bürgerschen Ballade bearbeitetes Melodram » Lenore« ihm eine weit reichende Beachtung als Theaterstückmacher gewonnen. Von der Begierde mit seiner ganzen Person sich in das Theater zu werfen ergriffen, war ihm die Einladung nach Riga besonders willkommen, weil er an dem entlegenen Orte ohne Scheu seiner Neigung sich hinzugeben hoffen durfte. Durch sein merkwürdig zutrauliches Benehmen, seine unerschöpflich amüsante Unterhaltung und ungemein leichte Art der Geschäftsbehandlung, wusste er die Riga'schen Kaufleute, welche nach eben nichts andrem als solcher Unterhaltung, wie er sie zu gewähren wusste, verlangten, ausserordentlich für sich einzunehmen. Sie statteten ihn mit allen erforderlichen Mitteln reichlich aus, und kamen ihm in jeder Hinsicht mit unbedingtem Vertrauen entgegen. Mein Engagement bei seiner Unternehmung war ausserordentlich leicht zu Stande gekommen: griesgrämige Pedanten wollte er sich vom Halse halten, und zog daher junge Leute schon ihrer Jugend wegen vor; in meinem Betreff hatte es ihm genügt, mich einer ihm bekannten und befreundeten Familie angehörend zu wissen, und da er ausserdem erfuhr, dass ich eifrig und feurig namentlich der modernen italienischen und französischen Oper mich zugewandt hatte, glaubte er in mir grade den rechten Mann gefunden zu haben. Von sämmtlichen Opern Bellini's, Donizetti's, Adam's und Auber's hatte er in Bausch und Bogen die Partituren verschrieben; die sollte ich nun alle fix und flott den guten Rigaern in grösster Schnelle zum Besten geben.

Bei meinem ersten Besuche in Holtei's Wohnung traf ich als alten Bekannten von Leipzig her meinen ehemaligen Protektor Heinrich Dorn an, welcher in Riga eine feste Anstellung als städtischer Musikdirektor an Kirche und Schule angenommen hatte. Dieser, der sich freute, den phantastischen Jüngling als praktischen Musikdirektor in selbständiger Stellung wiederzufinden, gewahrte mit Verwunderung die mit mir vorgegangene Veränderung, als er mich, den excentrischen Beethovenianer, so ganz in der Parteinahme für Bellini und Adam begriffen sah. Er führte mich nach seiner Sommerwohnung, welche nach Riga'schem Sprachgebrauch » im Grünen«, das heisst buchstäblich: im Sand, sich befand. Während ich ihm von meinen Lebensschicksalen einiges berichten musste, befiel mich beim Gewahrwerden der seltsamen Oede, in welche ich gerathen war, zuerst ein banges Gefühl der Heimathlosigkeit, welches sich von anfänglichem Unbehagen allmählich zu leidenvoller Sehnsucht steigerte, mich aus diesem Theatergewirr, das mich in so unwirthliche Gegenden verlockt hatte, gänzlich zu befreien. Der Leichtsinn, mit welchem ich in Magdeburg mich gleichzeitig zum Verfall meines musikalischen Geschmacks, wie zum Behagen am nichtigsten Theaterumgang hatte hinreissen lassen, wich immer mehr dieser bang sehnsüchtigen Stimmung, woraus im Verlaufe meiner Riga'schen Wirksamkeit in mir eine Tendenz sich bildete, welche, wie sie dem Theater selbst mich immer mehr entfremdete, namentlich auch den Direktor Holtei mit dem Aerger der Enttäuschung über mich erfüllte.

Für den Anfang fiel es mir jedoch noch nicht schwer, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Wir mussten das Theater eröffnen, ehe noch das Opernpersonal sich vollzählig eingefunden hatte; dies wurde uns durch Vorführung einer kleinen komischen Oper von C. Blum, »Marie, Max und Michel«, möglich. Hiezu komponirte ich als Einlage eine von Holtei gedichtete Arie für den tüchtigen Bassisten Günther; sie bestand aus einer sentimentalen Einleitung und einem heitren militärischen Rondo, und gefiel sehr. Später komponirte ich noch für den Bassisten Scheibler eine gebetartige Einlage zur » Schweizer-Familie«, welche nicht nur dem Publikum, sondern auch mir selbst wirklich gefiel und bereits von der grossen Umwandlung Zeugniss ablegte, welche sich immer mehr in meiner musikalischen Entwicklung kundgab. Für den Namenstag des Kaisers Nikolaus ward mir die Composition einer von Brakel gedichteten »Nationalhymne« übertragen, welcher ich eine möglichst despotisch-patriarchalische Färbung zu geben suchte, und damit nicht weniger Ruhm einlegte, da sie alljährlich am gleichen Tage eine Zeit lang wiederholt aufgeführt wurde. – Holtei suchte mich zu bestimmen, für unser Personal, wie es nun grade vorhanden war, eine leichte, gefällige Oper, lieber noch »Singspiel«, zu schreiben; ich sah mir den Text meiner » lustigen Bärenfamilie« noch einmal an, fand, wie ich früher bereits erwähnte, auch Holtei sehr günstig für diese Arbeit gestimmt; da ich jedoch die wenige Musik, die ich bereits hierfür in Königsberg aufgeschrieben, wieder hervorsuchte, kam mir ein lebhafter Ekel vor dieser Schreibart an. Ich schenkte das Textbuch einem gutmüthigen, unbeholfenen Freunde, dem unter mir stehenden Musikdirektor Löbmann, und kümmerte mich in meinem Leben nie wieder darum. – Dagegen schritt ich zur Ausführung des in Blasewitz entworfenen Textes zu » Rienzi« und verfuhr in jeder Weise hierbei nach einem so ausschweifend grossen theatralischen Maasstabe, dass ich mit der Conception dieser Arbeit mir absichtlich jede Möglichkeit abschnitt, durch die Umstände mich verführen zu lassen, mein Werk anders als auf einer der grössten Bühnen Europa's aufzuführen.

Während sich hiermit immer mehr das Streben, aus den kleinen, entwürdigenden Theaterverhältnissen herauszugelangen, in mir ausbildete, traten neue Verwicklungen in mein Leben, welche mein Gemüth mit immer grösserm Ernst erfüllten und dem soeben angedeuteten Streben neue Erschwerungen zuführten. Die von Holtei erwartete Primadonna war ausgeblieben; wir befanden uns gänzlich ohne Sängerin für die serieuse Oper. Unter diesen Umständen ging Holtei sehr erfreut auf meinen Vorschlag ein, Amalie, die Schwester Minna's, welche gern ein Engagement in meiner Nähe anzunehmen bereit war, sofort nach Riga zu berufen. Von Dresden aus, wo sie sich damals aufhielt, berichtete sie mir in ihrer Antwort zugleich die Wiederkehr Minna's zu ihren Eltern, sowie den leidenden, traurigen Zustand, in welchem diese, von harter Krankheit erfasst, sich befände. Diese Nachricht traf mich in sehr natürlicher Kälte: was ich, seitdem sie mich zuletzt verlassen, über Minna erfahren, hatte mich nothwendig bestimmt, meinem alten Königsberger Freunde den Auftrag zu ertheilen, die legalen Schritte zur Scheidung unsrer Ehe einzuleiten. Es war gewiss, dass Minna mit jenem unglücklichen Herrn Dietrich sich längere Zeit in einem Hamburger Hôtel aufgehalten, und ihre Trennung von mir mit so gänzlicher Rücksichtslosigkeit kundgegeben hatte, dass namentlich die Theaterwelt in für mich wirklich ehrenrühriger Weise davon sich unterhielt. Ich theilte dies Amalien einfach mit, und bat sie, mich mit weitern Berichten über ihre Schwester zu verschonen.

Hierauf wandte sich nun Minna selbst an mich mit einem wahrhaft erschütternden Brief, in welchem sie mir offen ihre Untreue eingestand. Wie sie zu dieser durch Verzweiflung getrieben worden, sei sie jedoch ebenfalls durch Verzweiflung über das Unglück, in welches sie sich gestürzt, von diesem Wege wieder abgekommen. Andeutungen liessen schliessen, dass sie über den Charakter ihres Verführers getäuscht worden, und durch Erkenntniss ihrer abscheulichen Lage in einen moralisch wie körperlich höchst leidenvollen Zustand verfallen war, aus welchem sie sich nun krank und elend zu mir zurückwandte, um, ihre Schuld bekennend, meine Verzeihung zu erbitten und unter allen Umständen mir zu versichern, dass sie erst jetzt zur wahren Erkenntniss ihrer Liebe zu mir gelangt sei. Nie hatte ich eine ähnliche Sprache von Minna vernommen, und nie sollte ich wieder eine gleiche von ihr vernehmen, ausser in einer ergreifenden Stunde weit späterer Zeit, in welcher der gleiche Ausdruck ebenso erschütternd und umstimmend auf mein Gemüth wirkte, als es dieses erste Mal nach Empfang des bezeichneten Briefes der Fall war. Ich schrieb ihr zurück, dass von dem Vorgefallnen, an dem ich mir die erste Schuld selbst beimesse, nie mit einem Wort zwischen uns mehr die Rede sein sollte; und ich darf mich rühmen, diesen Vorsatz buchstäblich durchgeführt zu haben.

Da auch das Engagement ihrer Schwester nach Wunsch zu Stande kam, lud ich Minna ein, mit dieser sofort zu mir nach Riga zu kommen. Gern folgten beide meiner Aufforderung, und trafen bei bereits rauher Jahreszeit am 19. Oktober aus Dresden in meiner neuen Heimath ein. Dass Minna's Gesundheit wirklich gelitten, ward ich mit Bedauern inne, und suchte dafür nach Kräften durch Herstellung häuslicher Bequemlichkeit und Ruhe ihr wohlthätig zu werden, was seine Schwierigkeiten hatte, da mir nur meine bescheidenen Einnahmen als Musikdirektor zu Gebote standen, und wir beide fest dabei verharrten, Minna nicht wieder zum Theater gehen zu lassen. Die Durchführung dieses Entschlusses, wie sie für unser Auskommen uns Unbequemlichkeiten auferlegte, zog andrerseits mir sonderbare Verwicklungen zu, über deren Charakter ich erst späterhin in einer Weise aufgeklärt wurde, die mir zugleich die abschreckendsten Erfahrungen über die moralische Beschaffenheit des Direktors Holtei einbrachte. Für jetzt hatte ich es mir eben gefallen zu lassen, als eifersüchtig auf meine Frau angesehen zu werden; dass diess von dem Urtheil, ich möge dazu wohl Grund haben, begleitet war, liess ich mir ruhig gefallen, und erfreute mich dagegen der Wiederherstellung befriedigender ehelicher Verhältnisse, namentlich auch einer nach Möglichkeit behaglichen Führung unseres bescheidenen Hausstandes, für welche nun Minna's Talent sich wohlthätig entwickelte. – Da unsre Ehe stets kinderlos blieb, und für gewöhnlich die Pflege eines Hundes für die Belebung des häuslichen Heerdes herbeigezogen werden musste, verfielen wir diesmal sogar auf den excentrischen Gedanken, es einmal mit einem jungen Wolfe zu versuchen, welcher uns als Säugling in das Haus gebracht worden war. Da wir jedoch fanden, dass dieser Versuch die Gemüthlichkeit unsres häuslichen Lebens nicht vermehrte, gaben wir ihn nach einigen Wochen auf. – Besser glückte es mit der Schwester Amalie, welche durch ihre Gutmüthigkeit und anspruchslose Zutraulichkeit eine Zeit lang recht angenehm zur Herstellung des fehlenden Familienwesens mitwirkte. Die beiden Schwestern, von denen keine eine eigentliche Bildung genossen hatte, verfielen oft auf belustigende Weise in den Ton ihrer Kinderjahre; wenn sie zweistimmige Kinderlieder sangen, bei welchen Minna, ohne irgendwie musikalisch belehrt zu sein, doch immer recht geschickt zu secundiren wusste, und hierzu russischer Salat, gesalzener Düna-Lachs oder gar frischer Caviar zur Abendmahlzeit genossen wurde, fühlten wir drei gemeinschaftlich uns im fernen Norden behaglich und wohlgemuth.

Amalien's schöne Stimme und wirkliches Gesangstalent bereiteten ihr anfänglich auch eine sehr günstige Aufnahme beim Publikum, was uns dreien gemeinschaftlich recht wohl that. Von sehr kleiner Gestalt, und bei nicht weit reichendem Darstellungstalent, blieb jedoch ihr Wirkungskreis beschränkt, und während sie bald durch glücklichere Nebenbuhlerinnen empfindlich überholt wurde, durfte sie für ihr Lebensglück es als besonders günstig ansehn, dass ein äusserst rechtschaffener Offizier der russischen Armee, der damalige Rittmeister, jetzt General Carl von Meck, sich auf's herzlichste in das bescheidene Mädchen verliebte, und nach einem Jahr sie heirathete. Leider kam durch dieses Verhältniss, da es zunächst manche Schwierigkeiten bereitete, die erste Trübung unsres Zusammenlebens zum Vorschein. Die Schwestern überwarfen sich mit der Zeit gänzlich, und ich hatte die ärgerliche Verdriesslichkeit zu überstehen, endlich ein volles Jahr zwischen zwei Verwandten, welche sich nie mehr sprachen und sahen, in der gleichen Wohnung zu leben.

Den Winter, mit welchem wir in das Jahr 1838 traten, brachten wir noch in einer engen, unfreundlichen Wohnung in der alten Stadt zu; erst mit dem Frühjahr bezogen wir eine angenehmere Wohnung in der frei gelegenen Petersburger Vorstadt, in welcher sich, trotz des bezeichneten schwesterlichen Zerwürfnisses, ein ziemlich belebter geselliger Verkehr einfand, da wir oft Freunde und Bekannte gemüthlich zu bewirthen uns angelegen sein liessen. Ausser mit Mitgliedern des Theaters pflegte ich abwechselnd auch einige städtische Bekanntschaften; wir empfingen und besuchten die Familie des Musikdirektors Dorn, mit welchem ich Brüderschaft schloss; am treuesten hielt jedoch der zweite Musikdirektor am Theater, der nicht sehr begabte, aber ehrenwerthe Franz Löbmann, zu mir. Dennoch pflegte ich den Verkehr in weitern Kreisen nur dürftig und, der von jetzt an immer mehr sich herausstellenden Haupttendenz meines Lebens gemäss, gar bald immer weniger, so dass, als ich nach einem nicht ganz zweijährigen Aufenthalt später Riga verliess, ich auch von diesem Orte nicht minder fremd und gleichgültig schied, wie früher von Magdeburg und Königsberg. Was diesen Fortgang mir aber besonders verbitterte, sollte aus einer Reihe von Erfahrungen bestehen, welche besonders widerwärtiger Art waren und mich mit dem Drange beseelten, für immer von der Berührung mit ähnlichen Elementen, wie ich sie in meinen bisherigen Versuchen, bei Theatern mir eine Stellung zu verschaffen, angetroffen hatte, auszuscheiden.

Doch nur allmählich trat diess alles in mein Bewusstsein, während ich anfänglich, im Geleite des Wiederauflebens meines so früh gestörten jungen ehelichen Glückes, eine Zeit lang auch in meiner künstlerischen Wirksamkeit mich gegen früher wesentlich gebessert fühlte. Unter der wohlthätigen Einwirkung des gesicherten materiellen Bestandes der Theaterunternehmung stellte sich auch manches Erfreuliche für die künstlerischen Leistungen derselben heraus. Das Theater selbst war in einem besonders kleinen Raum eingepfercht; auf der winzigen Bühne war ebensowenig an die Entwicklung von theatralischem Luxus, wie in dem höchst beschränkten Orchesterraume an Unterbringung reichlicher musikalischer Kräfte zu denken. Nach beiden Seiten hin waren somit die engsten Schranken gesetzt; dennoch verstand ich es, in einem Orchesterraume, welcher eigentlich nur für zwei erste und zwei zweite Violinen, zwei Bratschen und einen Contrabass zur Besetzung des Streichquartettes berechnet war, allmählich ansehnliche Verstärkungen einzuführen, durch welche an sich erfolgreiche Bemühungen ich zuerst den Grimm Holtei's reizte. Für die Oper stellte sich bald ein gutes Ensemble heraus. Vorzüglich anregend ward für mich das glückliche Studium der Mehul'schen Oper » Joseph in Aegypten«, deren edler und einfacher Styl, bei der rührenden und ergreifenden Wirkung der Musik, zu der günstigen Wendung meiner bis daher durch die Theaterpraxis auffallend verdorbenen Geschmacksrichtung nicht wenig beitrug. Sehr erfreulich war es mir, dass ich durch recht gute Aufführungen des recitirenden Schauspiels meine alte ernste Neigung wieder angeregt fühlen durfte. Mir bleibt besonders eine Aufführung des » König Lear« unvergesslich, welcher ich nicht nur in den Aufführungen, sondern auch in den Proben mit höchstem Interesse beiwohnte. – Diese fördernden Eindrücke trugen dennoch nur dazu bei, mich im Befassen mit dem Theater allmählich immer unglücklicher zu fühlen, da einerseits die Persönlichkeiten der Theatergesellschaft mich immer mehr abstiessen, und andrerseits die Tendenz der Direktion mich mit wachsendem Unmuth erfüllte. Im Betreff des Theaterpersonals machte ich nun, da ich meine frühere, in Magdeburg so leichtfertig bewährte Neigung zu ungewähltem Umgange verloren hatte, bald die widerwärtigsten Erfahrungen von der Hohlheit, Eitelkeit und der frechsten Selbstsucht dieser ungebildeten, gänzlich zuchtlosen Menschenklasse. Bald gab es nur wenige Mitglieder unsrer Oper, mit denen ich mich nicht im Kampfe gegen eine der genannten Eigenschaften überworfen hätte. Am traurigsten war es aber zu gewahren, dass ich in solchen Kämpfen, zu denen mich in Wahrheit nur mein Eifer für das Gelingen der künstlerischen Gesammtleistung hinreissen liess, von dem Direktor Holtei nicht nur ohne Unterstützung blieb, sondern sogar ihn selbst mir dadurch verfeindete. Dieser fand sich nämlich bald zu der offenen Erklärung veranlasst, dass unser Theater einen für seinen Geschmack viel zu soliden Charakter angenommen habe, und suchte mich darüber zu belehren, dass gute theatralische Leistungen eigentlich eine lüderliche Bande voraussetzten. Wie er den Begriff der Würde der theatralischen Kunst geradeswegs für einen pedantischen Unsinn erklärte, erkannte er für den Genre ihrer Leistungen eigentlich nur das halb rührend, halb frivol anregende Vaudeville als beachtungswerth an. Die ernste grosse Oper, besonders das reiche musikalische Ensemble, war ihm entschieden verhasst, und meine Anforderungen hierfür reizten ihn zu wirklichem Hohn und hämischer Zurückweisung. Den eigenthümlichen Zusammenhang dieser seiner künstlerischen Tendenz mit seinen anderweitigen, das Gebiet der Moralität berührenden Neigungen, sollte mir zu meinem Schrecken allmählich auch klar werden. Für das Erste fühlte ich mich durch die Aeusserungen seiner künstlerischen Antipathien genügend von ihm abgestossen, um meiner wachsenden Abneigung gegen das Befassen mit dem Theater mich immer mehr nachhängen zu lassen. Wohl erfreute ich mich noch einiger guten Aufführungen, welche ich unter günstigen Umständen auf dem grössern Theater zu Mitau, wohin die Gesellschaft sich im Anfang des Sommers auf einige Zeit begab, zu Stande brachte. Dennoch fasste ich grade bei diesem Aufenthalte, während welches ich mich meist mit der Lecture Bulwer'scher Romane befasste, den heimlichen Entschluss, ernstlich nach Befreiung aus dem Verkehr mit dem Theater, wie er mir bis jetzt einzig möglich geworden war, zu trachten.

Die Composition meines bereits im Anfang des Rigaer Aufenthaltes beendigten Textes der Oper » Rienzi« sollte mir die Brücke zu der von mir ersehnten grossartigern Welt bauen. Hatte ich die Ausführung der » lustigen Bärenfamilie« schon mit aus dem Grunde, weil der leichtere Charakter derselben mich wieder zum Befassen mit den von mir verachteten Theaterverhältnissen verführt haben würde, verworfen, so gab es mir nun eine erhebende Beruhigung, den » Rienzi« auch in Betreff der angewandten Kunstmittel so rücksichtslos reich zu entwerfen, dass schon das Verlangen nach seiner dereinstigen Aufführung mich zum Verlassen der bisher gewohnten kleinern Theaterverhältnisse, und zum Aufsuchen neuer Beziehungen zu einem grossen Theater nöthigen musste. Nach unsrer Rückkehr aus Mitau, im Hochsommer 1838, begann ich nun diese Composition, und nährte dadurch in mir eine enthusiastische Stimmung, welche meiner thatsächlichen Lebenslage gegenüber den Charakter einer verzweifelten Aufgelegtheit annahm. Jedem, dem ich mein Vorhaben mittheilte, leuchtete es schon aus dem blossen Bekanntwerden mit meinem Sujet ein, dass ich auf einen Bruch mit meiner bisherigen Stellung, in welcher an die Aufführung meines Werkes gar nicht zu denken war, ausging, wodurch ich in den Augen meiner Bekannten als hoffärtig und leichtsinnig zugleich erschien.

Für unpraktisch und excentrisch galt ich auch jetzt, wo ich von meinem letzten leichtfertigen Behagen am trivialen Operngeschmack mich lebhaft wieder abgewandt hatte, namentlich auch dem ehemaligen Protektor meiner merkwürdigen Leipziger Ouverture. Er sprach diess mit grösster Unbefangenheit in einem Bericht über ein zuvor, am Schlusse des Winters von mir gegebenes Concert in der neuen Zeitschrift für Musik aus, wo er sich über zwei meiner Compositionen, jene Magdeburger Columbus-Ouverture und die bereits erwähnte Ouverture über » Rule Britannia«, diesmal ohne Scheu lustig machte. Ich selbst hatte an der Aufführung dieser beiden Ouverturen keine Freude erlebt, und namentlich meine in diesen Compositionen noch stark bekundete Vorliebe namentlich für Trompeten spielte mir bereits diesmal unangenehme Streiche, da ich unsern Riga'schen Musikern hierbei offenbar zu viel zugemuthet hatte, und mannichfaltiges Unglück bei der Execution ertragen musste. Im vollen Gegensatz zu meiner ausschweifenden Anlage des » Rienzi« hatte dagegen derselbe H. Dorn zur Anfertigung einer Oper sich angelassen, für welche er recht praktisch eben nur den Bestand unsres Riga'schen Theaters im Auge behalten hatte. » Der Schöffe von Paris«, historisch-komische Oper aus der Zeit der Belagerung von Paris unter Jeanne d'Arc, wurde zur Zufriedenheit des Componisten von uns einstudirt und aufgeführt. Ich erhielt keinen Grund, durch den Erfolg dieses Werkes mich von meinem Vorhaben im Betreff der Ausführung meines » Rienzi« abbringen zu lassen, und freute mich innerlich der Neidlosigkeit, mit welcher ich auf diesen Erfolg blickte. Gänzlich unangeregt zur Nebenbuhlerschaft, zog ich mich immer mehr aus dem Verkehr mit der Riga'schen Künstlerschaft zurück, beschränkte mich lediglich auf die Ausführung meiner kontraktlichen Funktionen, und arbeitete die zwei ersten Akte meiner grossen Oper aus, ohne im mindesten mich darum zu bekümmern, ob ich je zu einer Aufführung des Werkes selbst gelangen würde.

Hatten mich zu der Umkehr meiner innern Neigungen nach der, in frühester Jugend mir eignen inbrünstig ernsten Seite meines Wesens hin, gewiss auch die so früh von mir gemachten bitter-ernsten Lebenserfahrungen bestimmt, so waren diese neuerdings durch besonders wehmüthige Eindrücke noch gefärbt worden. Nicht lange nach meiner Wiedervereinigung mit Minna kam mir aus der Heimath die Nachricht vom Tod meiner Schwester Rosalie zu. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich den Eindruck vom Dahinscheiden eines innig nahe stehenden Wesens zu erfahren gehabt. Gerade der Tod dieser Schwester erschütterte mich wie ein tief bedeutungsvoller Schicksalsschlag; sie war es gewesen, um deren Liebe und Achtung willen ich einst mich so energisch von meinen jugendlichen Ausschweifungen abgewandt hatte, um deren Theilnahme zu verdienen ich meinen ersten grössern Arbeiten einen besondren, sinnigen Fleiss zugewandt hatte. Als mich die leidenschaftliche Sorge des Lebens erfasste und aus dem älterlichen Haus ohne Aufenthalt forttrieb, war sie es, welche in meinem dunkel befangenen Herzen gelesen, und bei jenem letzten Abschied in Leipzig das ahnungsvolle Lebewohl mir zugerufen hatte. In der Zeit meines Verschollenseins, als die Nachricht von meiner eigenwilligen Heirath und dem damit verbundenen Missrathen meiner Lebenslage in die Familie gelangte, war sie es, welche, wie meine Mutter mir später mittheilte, nie den Glauben an mich aufgegeben hatte, sondern stets die Hoffnung nährte, ich würde noch zur reinen Entfaltung meiner Natur gelangen und es zu etwas Tüchtigem bringen. Nun, bei der Nachricht von ihrem Tode, stand mit der Erinnerung an unsren bedeutungsvollen Abschied, wie vom Blitz erleuchtet, der ganze Umfang des edlen Werthes meiner Beziehungen zu dieser Schwester vor mir, und welchen Einfluss dieses auf mich hatte, ward mir später deutlich bewusst, als nach meinen ersten auffallenden Erfolgen meine Mutter unter Thränen beklagte, dass Rosalie sie nicht hatte miterleben können. Nun war es mir denn auch wohlthätig überhaupt, mit meiner Familie wieder in Verkehr zu treten. Mutter und Schwestern hatten in ihrer Weise von meinen Schicksalen vernommen; es rührte mich tief in den Briefen, die mir von ihnen nun wieder zukamen, nichts von Vorwürfen über mein eigenwilliges und anscheinend liebloses Benehmen, sondern nur Mitgefühl und herzliche Sorge ausgedrückt zu sehen. Auch über die guten Eigenschaften meiner Frau waren meiner Familie empfehlende Berichte zugekommen, was mir besonders wohlthätig war, da mir so die Vertheidigung ihres bedenklichen Benehmens gegen mich, welche mich sehr beschwert haben würde, im versöhnlichen Sinne erspart wurde. Somit trat eine wohlthätige moralische Ruhe in mein kurz zuvor so stark aufgeregtes Innere. Was mich mit solcher Leidenschaftlichkeit zu der unvorsichtigen, allzu jugendlichen Ehe getrieben, was in Folge hiervon mich so aufreibend bedrängt hatte, schien nun wie beschwichtigt und in Frieden beigelegt; und verblieben mir auch die gemeinen Lebenssorgen oft in widerwärtigster und bekümmerndster Gestalt lange Jahre hindurch, so waren doch die Beunruhigungen des sehnsüchtigen Jünglingsbedürfnisses in einer Weise gedämpft und beschwichtigt, dass ich fortan, bis zur Erreichung meiner künstlerischen Selbständigkeit, das Streben meiner Natur lediglich eben auf diesen idealeren Zweck richten konnte, welcher jetzt, von der Conception des » Rienzi« ab, für alle meine Lebensentschlüsse mich einzig leitete.

Mir ist später durch das mir berichtete Wort eines Rigaer's, welcher erstaunt war, von den Erfolgen eines Menschen zu hören, von dessen Bedeutung man während eines zweijährigen Aufenthalts in der doch nicht sonderlich grossen lievischen Hauptstadt nicht das mindeste wahrgenommen hatte, der Charakter meines Lebens in Riga selbst erst bemerklich geworden. Von nirgends her trat mir eine auch nur im Mindesten anregende Persönlichkeit entgegen. Gänzlich auf mich allein angewiesen, blieb ich Allen fremd. Wie schon erwähnt, zog ich mich auch mit immer zunehmendem Widerwillen von dem Personal des Theaters zurück, und so fand es sich denn, dass am Ende eines zweiten dort verbrachten Winters, als mir Ende März 1839 von Seiten der Direktion meine Entlassung angezeigt wurde, so sehr aus andern Gründen mich dieses Vorgehen überraschte, ich mich doch in voller Uebereinstimmung mit dieser Nöthigung, meinen Lebensplan zu verändern, fühlte. Die charakteristischen Umstände dieser Entlassung waren nun allerdings aber der Art, dass ich sie wohl als eine der widerwärtigsten Erfahrungen meines Lebens anzusehen hatte. Bei Gelegenheit einer lebensgefährlichen Erkrankung hatte ich bereits auf die Gesinnung Holtei's gegen mich zu schliessen sehr betrübende Veranlassung erhalten. Mitten im stärksten Winter hatte ich in einer Theaterprobe mir eine heftige Erkältung zugezogen, welche bei meinem durch beständigen Aerger und nagenden Gram über die Nichtswürdigkeit der mich erdrückenden Theaterwirthschaft sehr krankhaft aufgeregten Nervensystem, sofort einen sehr bedenklichen Charakter annahm. Nun sollte grade in diesen Tagen aber eine Gastvorstellung der Oper » Norma« von unsrer Gesellschaft in Mitau gegeben werden. Holtei verstand es, mich zu nöthigen, vom Krankenbette mich zu der winterlichen Reise aufzumachen, und in dem eiskalten Mitauer Theater mich der gefährlichsten Vermehrung meiner Krankheit auszusetzen. Die Folge hiervon war ein typhöses Fieber, welches mich so schnell abzehrte, dass Holtei, der meinen Zustand kennen lernte, im Theater sich davon unterhielt, dass ich nun wohl auch nie mehr dirigiren würde und vermuthlich zur » Abfahrt bestimmt sei«. Einem trefflichen homöopathischen Arzte, Dr. Prutzer, verdankte ich meine Rettung und Wiedergenesung. Nicht lange hierauf verliess Holtei für immer unser Theater und Riga; ihm war das Befassen mit den dortigen, wie er sich ausdrückte, » viel zu soliden Umständen« unerträglich geworden; ausserdem aber schienen in seinem Privatleben, welches zuletzt noch durch den Tod seiner Frau hart betroffen worden war, Umstände eingetreten zu sein, welche ihn einen gänzlichen Abbruch seines Aufenthaltes in Riga räthlich dünken liessen. Dass auch ich unter den ihm entstandenen Verlegenheiten bisher unbewusst zu leiden gehabt hatte, sollte mir zu meinem Erstaunen jetzt bekannt werden. Als mir der Nachfolger Holtei's in der Direktion – der Sänger Joseph Hofmann – anzeigte, dass ihm von seinem Vorgänger ein mit dem Musikdirektor Dorn abgeschlossenes Engagement für die von mir bisher innegehabte Stelle am Theater als Verpflichtung übertragen worden, und meine Wiederanstellung somit unmöglich gemacht sei, begegnete meinem Erstaunen hierüber meine Frau mit der Erklärung der ihr bereits länger wohlbekannten Gründe der besondern Abneigung Holtei's gegen uns beide. Mit dem Bekanntwerden der Vorgänge, welche Minna aus Schonung, und um mir kein böses Blut gegen meinen Direktor zu machen, bisher angelegentlichst verschwiegen hatte, ging mir nun ein erschreckendes Licht auf. Wohl entsann ich mich, dass bald nach der Ankunft Minna's in Riga ich von Holtei dringlich angegangen worden war, das Engagement meiner Frau am Theater nicht hindern zu wollen; ich bat ihn, sich ungestört mit dieser selbst zu vernehmen, um auf diesem Wege sich die Ueberzeugung zu verschaffen, dass die Fernhaltung Minna's vom Theater auf einer gemeinschaftlichen Uebereinkunft, nicht aber etwa auf einseitiger Eifersucht meinerseits beruhte. Ich hatte ausdrücklich die Zeit, wo ich mit Proben im Theater beschäftigt war, zu den hiefür nöthigen Conferenzen des Direktors mit meiner Frau angezeigt; am Schlusse solcher Zusammenkünfte traf ich bei meiner Heimkehr mehreremals Minna in sehr aufgeregtem Zustande, und erhielt endlich von ihr die feste Erklärung, unter keinen Umständen in das von Holtei vorgeschlagene Engagement zu willigen. Ausserdem bemerkte ich an dem Benehmen Minna's gegen mich ein mir unerklärliches scheues Forschen nach den Gründen meiner Bereitwilligkeit, mit welcher ich Holtei erlaubt hatte, meine Frau zu überreden zu suchen. Wie ich nun nach dem Eintritt der Katastrophe erfuhr, hatte Holtei diese Zusammenkünfte allerdings zu unverhohlenen Liebesbewerbungen benutzt, deren Charakter und Tendenz mir nach weiterm Bekanntwerden mit den besondern Eigenheiten dieses Mannes schwierig erklärbar wurde, bis aus dem Bekanntwerden andrer Prozeduren dieser Art es sich herausstellte, dass Holtei es für vortheilhaft halten musste, sich mit hübschen Frauen in das Gerede bringen zu lassen, um hierdurch die Aufmerksamkeit des Publikums von ungleich befleckenderen Verirrungen abzulenken. Zunächst aber war Minna auf das Aeusserste bereits dadurch empört worden, dass Holtei, nachdem er mit seinen eignen Liebesbewerbungen abgewiesen war, nun als Werber für einen Andern hervortrat, in dessen Betreff er sich dahin äusserte, dass er der jungen Frau allerdings nicht verdenken wolle, wenn sie ihn, den bereits ergrauten und vermögenslosen Mann, abweise, wogegen er ihr nun einen hübschen, jungen und zugleich sehr reichen Mann, den Kaufmann Brandenburg, zuweise. Sein grimmiger Aerger über die doppelte Abweisung, die Demüthigung, sich gänzlich erfolglos so sehr blossgestellt zu haben, scheint nach den Wahrnehmungen Minna's hiervon gross gewesen zu sein. Ich begriff nun, dass seine oft gehörten Ausbrüche einer leidenschaftlichen Verachtung gegen » solide Verhältnisse beim Theater« nicht geniale Uebertreibungen waren, sondern dass er oft schon Grund erhalten haben mochte, über die ärgerlichsten Beschämungen von dieser Seite her sich zu beklagen. Dass aber frevelhafte Versuche zu einem Spiel, wie er es mit meiner Frau vorhatte, dennoch nicht im Stande waren, die immer weiter greifende Aufmerksamkeit der Beobachter seines eigentlichen lasterhaften Treibens zu täuschen, scheint ihm endlich nicht entgangen zu sein, und unverhohlen gestanden eingeweihte Näherstehende, welche hierüber sich mir mittheilten, ein, dass die Furcht vor sehr üblen Enthüllungen ihn so schnell bewogen habe, seine Stellung in Riga gänzlich zu verlassen. – Noch in den spätesten Jahren hörte ich von Holtei's leidenschaftlicher Ungeneigtheit gegen mich, mit welcher er unter andrem gegen » Zukunftsmusik« und ihre, die Einfachheit der reinen Empfindung bedrohende Tendenz, eiferte. Wie erwähnt, hatte er auch so viel menschliche Leidenschaft bewiesen, bereits in der letzteren Zeit unseres Rigaer Zusammenseins mir seine Feindseligkeit zu bezeigen, welche ich bis dahin geneigt war, wirklich nur seiner von der meinen abweichenden Kunsttendenz zuzuschreiben.

Wurde ich nun auch zu meinem Schrecken darüber belehrt, welche durchaus nur persönlichen Veranlassungen hierbei zu Grunde lagen, und hatte ich eine gewisse Beschämung darüber zu empfinden, durch mein früheres rückhaltsloses Vertrauen gegen einen mich ganz unvergleichlich bieder dünkenden Charakter meine Menschenkenntniss noch auf sehr schwachen Füssen stehend erkennen zu müssen, so setzte mich dagegen die Offenbarung des Charakters meines Freundes H. Dorn in fast noch grössere Verwirrung. Dieser war während unsres fortgesetzten Umganges in Riga aus dem Benehmen eines wohlwollenden ältern Bruders in ein offenbar vertrautes Freundesverhältniss zu mir übergegangen; wir sahen und besuchten uns fast täglich, sehr häufig im Familienkreise; ich hatte kein Geheimniss vor ihm, und die Aufführung seines » Schöffen von Paris« ging unter meiner Leitung so gut wie unter seiner eignen von statten. Als ich nun hörte, dass meine Stelle an ihn vergeben sei, glaubte ich ihn nur darüber befragen zu müssen, um zu erfahren, dass seinerseits ein Irrthum über meine Absicht im Betreff meiner bisherigen Stellung am Theater obwalte. Aus einer brieflichen Antwort ersah ich jedoch, dass Dorn sich wirklich die feindselige Stimmung Holtei's gegen mich zu Nutze gemacht hatte, um von diesem gerade bei dessen Abgange eine den Nachfolger bindende Abmachung zu seinen Gunsten zu erwirken. Dass er als mein Freund die Vortheile dieser Abmachung nur für den Fall ausbeuten zu dürfen geglaubt hätte, dass ich wirklich meine Riga'sche Anstellung aufzugeben gesonnen sei, war ihm so wenig eingefallen, dass er in unsrem bisher fortgesetzten vertrauten Umgange sogar sorgfältig vermied, die Möglichkeit meines Fortgehens oder Verbleibens zu berühren. Er führte dagegen an, Holtei habe ihm eröffnet, er werde mich keinesfalls von Neuem engagiren, da ich mit dem Sängerpersonale mich nicht zu vertragen wisse; ihm, welchen der Erfolg seines » Schöffen von Paris« mit neuer Lust für das Theater belebt hatte, sei demnach nicht zu verdenken gewesen, dass er die ihm sich bietende Vacanz zu seinem Vortheil ergriffen habe. Aus meinen vertrauten Mittheilungen habe er ausserdem entnommen, dass ich in bedrängter Lage sei, und bei meinem geringen, durch Holtei von vorn herein verkürzten Gehalte, gegen die Zumuthungen meiner Königsberger und Magdeburger Gläubiger, welche einen Dorn nahe befreundeten Advokaten gegen mich gewonnen hatten, einen sorgenvollen Stand hätte, was ihn denn zu der Annahme gebracht habe, ich würde mich doch in Riga nicht halten können. Somit habe er auch als Freund bei dem Erfassen der Holtei'schen Proposition sein Gewissen unbelästigt gefühlt. Um ihm diese Selbstbelügung nicht ungestört zu belassen, führte ich ihm zu Gewissen, dass ihm nicht unbekannt sei, wie mir für mein drittes Contraktjahr, wenn ich es angetreten hätte, ein erhöhter Gehalt zugesichert war, ausserdem durch Gründung von Orchesterconcerten, welche bereits einen günstigen Anfang genommen hatten, mir nun, nach Ueberstehung der schwierigen Zeiten der Uebersiedelung und Niederlassung, eben gerade die Möglichkeit entstünde, meiner aus der Vergangenheit herrührenden Schulden mich zu entledigen, und frug ihn somit, wie er sich zu verhalten gedenke, wenn ich erkläre, meinen Vortheil in der Beibehaltung meiner bisherigen Stellung zu ersehen, und ihn somit ersuchen würde, von seiner Abmachung mit Holtei, der ausserdem ja nach seinem Fortgange von Riga den vorgeschützten Grund zu meiner Entlassung fahren gelassen habe, abzustehen. Hierauf erhielt ich von Dorn bis auf den heutigen Tag keine Antwort, hatte dagegen im Sommer 1865 die Ueberraschung, Dorn in Person unangemeldet in meiner Münchener Wohnung eintreten, und, nachdem ich ihn zu seiner Freude wieder erkannt, mit einer Bewegung mir entgegen treten zu sehen, welche deutlich die Absicht einer Umarmung zeigte; während ich dieser auszuweichen verstand, erkannte ich doch schnell die Schwierigkeit, sein brüderliches »Du« von mir abzuhalten, da die Bemühungen hiergegen möglicher Weise Erörterungen nöthig gemacht hätten, welche eine unnütze Vermehrung meiner damaligen Aufregungen (es war in der Zeit der Aufführung meines Tristan) veranlasst haben würden. Diess war Heinrich Dorn, den, obwohl er sich zu jener Zeit nach dem Missglücken dreier Opern missmuthig vom Theater ab der rein bürgerlichen Handhabung der Musik bereits zugewandt hatte, der Riga'sche Lokalerfolg seiner historisch-komischen Oper » der Schöffe von Paris« über die Brücke eines Freundschafts-Verrathes, und an der Hand der Tugend in der Person des Direktors Holtei, der Pflege der dramatischen Musik in Deutschland, wohin er aus seiner Vergessenheit durch ein grossmüthiges Versehen Franz Liszt's zurückgebracht wurde, zu andauernder Erhaltung zuführte. Zum Gewinn seiner bedeutenden schliesslichen Stellung an dem grössten lyrischen Theater Deutschland's, der königlichen Oper in Berlin, verhalf ihm die Neigung des Königs Friedrich Wilhelm IV. für kirchliche Vorgänge; denn zunächst weniger dem Rufe der dramatischen Muse, als dem Wunsche, in einer grössern deutschen Stadt überhaupt nur eine gute Anstellung zu finden, folgend, war er, wie angedeutet, durch Liszt's Empfehlung als Musikdirektor am Dom nach Köln berufen worden. Bei Gelegenheit einer Dombaufestlichkeit hatte er als Musiker auf das religiöse Gemüth des preussischen Monarchen in der Art zu wirken gewusst, dass dieser ihn mit der Würde seines Hoftheaterkapellmeisters belehnte, als welcher er nun lange Zeit berufen blieb, mit Wilhelm Taubert gemeinschaftlich, die Ehre der deutschen dramatischen Musik zu pflegen.

J. Hoffmann, dem nunmehrigen Direktor des Riga'schen Theaters, muss ich es nachrühmen, dass ihm der an mir verübte Verrath zu Herzen ging; er erklärte mir zu der Anstellung Dorn's nur für ein Jahr verpflichtet zu sein, und sofort für das übernächste Jahr von Neuem einen Contrakt mit mir abschliessen zu wollen. Hierzu kamen Anerbietungen Riga'scher Kunstfreunde, durch Nachweisung von Musikunterricht, Einrichtung von Concerten u. s. w., für das ausfallende Jahr meines Musikdirektor-Gehaltes mich zu entschädigen. So lieb mir diese Zeugnisse der Anerkennung für mich waren, so hatte doch, wie ich bereits anführte, die Sehnsucht, von dem bisher von mir gekannten Theaterwesen mich gänzlich zu entfernen, mich so stark eingenommen, dass ich diese unfreiwillige Veranlassung, schon jetzt meine bisherige Laufbahn zu verlassen und in eine vollständig neue mich zu werfen, mit Entschiedenheit ergriff. Nicht ohne Geschick benutzte ich die Erregung auch ihres über den an mir begangenen Verrath erbitterten Gemüthes, um meine Frau mit dem von mir gefassten excentrischen Vorhaben, nach Paris zu gehen, zu befreunden. Hatte ich schon mit der Conception des » Rienzi« nur noch die grossartigsten Theaterverhältnisse in das Auge gefasst, so wollte ich nun, mit Uebergehung aller Zwischenstationen, sofort dem Brennpunkte des europäischen grossen Opernwesens unmittelbar mich zuwenden. Bereits in Magdeburg hatte ich dem Roman » die hohe Braut« von H. König das Sujet zu einer grossen fünfaktigen Oper nach reichlichstem französischem Zuschnitt entnommen. Den vollständig ausgearbeiteten scenischen Entwurf liess ich mir in das Französische übersetzen, und schickte ihn von Königsberg aus an Scribe nach Paris. Diese Zusendung begleitete ich mit einem Brief an den berühmten Operntextdichter, in welchem ich ihm die Aneignung meines Entwurfes, unter der Bedingung mir den Auftrag zur Composition der Oper für Paris zu erwirken, antrug. Um sich von meiner Befähigung, eine Pariser Opernmusik zu schreiben, überzeugen zu können, übersandte ich ihm zugleich die Partitur meines » Liebesverbotes«. Ausserdem schrieb ich aber auch an Meyerbeer, um ihn von meinem Vorhaben in Kenntniss zu setzen, und um seine Unterstützung dafür anzugehen. Es beunruhigte mich nicht, hierauf keinerlei Antwort zu erhalten; wogegen es mir genügte, mir sagen zu können, dass ich bereits »mit Paris in Verbindung stehe«. Wirklich hatte ich, als ich nun von Riga aus mein kühnes Unternehmen in Angriff nahm, einen gewissermassen soliden Anknüpfungspunkt, und schwebte im Betreff meiner Pariser Pläne nicht so eigentlich ganz und gar mehr in der Luft. Nun kam aber hinzu, dass meine jüngste Schwester Cäcilie Braut eines zum Brockhaus'schen Geschäft gehörigen Buchhändlers, Eduard Avenarius, geworden war, und dieser in Paris die Führung des dort etablirten Zweiges der deutschen Firma übernommen hatte. An ihn wandte ich mich jetzt, um von Scribe Auskunft und Antwort auf mein bereits einige Jahre altes Anerbieten zu erhalten. Avenarius suchte Scribe auf, und erhielt von diesem die Bestätigung des Empfanges meiner frühern Zusendung. Auch bezeugte ihm Scribe Erinnerung an das ihm mitgetheilte Sujet, in welchem, so viel er sich entsinne, eine » joueuse de harpe« vorkäme, welche von ihrem Bruder maltraitirt wurde: dass ihm gerade nur dieser mehr episodische Zug im Gedächtniss geblieben war, liess mich zwar annehmen, dass Scribe über die Kenntnissnahme des ersten Aktes, in welchen dieses Ereigniss fiel, nicht hinausgelangt sei; auch dass er in Betreff meiner Partitur nichts andres mitzutheilen hatte, als dass er sich von einem Schüler des Conservatoire's etwas daraus habe vorspielen lassen, konnte mich nicht zu der schmeichelhaften Annahme bewegen, dass er in einen deutlichen und bewussten Rapport mit mir getreten sei. Dennoch lag, als ich den einen von Scribe an Avenarius in meiner Angelegenheit gerichteten Brief von diesem als Einschluss in meine Hände gelangt sah, ein greifbares Zeugniss vor mir, dass Scribe sich mit mir beschäftigt habe, und ich mit ihm in Verbindung stehe. Selbst auf die keineswegs sanguinische Vorstellungsart meiner Frau wirkte dieser Scribe'sche Brief so bedeutend, dass sie den Schrecken, mit mir sich zu dem Pariser Abenteuer aufmachen zu sollen, immer mehr zu überwinden vermochte. Wir setzten endlich kurz und gut fest, dass wir nach Ablauf meines zweiten Riga'schen Contraktjahres, also im bevorstehenden Sommer (1839), direkt von Riga nach Paris reisen würden, um dort einzig mein Glück als Operncomponist zu versuchen.

Nun erhielt die Ausführung meines » Rienzi« immer grössere Bedeutung; noch vor der Abreise war auch die Composition des 2. Aktes beendigt, und diesem ein heroisches Ballet von ausschweifendster Dimension eingeflochten. Da fand sich denn nun, dass ich schnell auch französisch zu lernen hätte, welches ich während meiner klassischen Gymnasialstudien mit höchster Verachtung bei Seite liegen gelassen hatte. Als mir zum Nachholen des Versäumten für jetzt nur noch vier Wochen übrig blieben, nahm ich einen tüchtigen französischen Sprachlehrer an; da ich jedoch bald einsah, dass ich es zu keinem besondern Erfolg in dieser kurzen Zeit bringen würde, benutzte ich die Unterrichtsstunden nur dazu, unter dem Vorwand der Uebung meinem Lehrer eine Pura-Uebersetzung des Textes zum » Rienzi« abzugewinnen; diese schrieb ich mit rother Tinte sofort in die Partitur der fertigen Theile meiner Musik ein, um auf diese Weise sogleich nach meiner Ankunft in Paris meine halbvollendete Oper französischen Kunstrichtern vorlegen zu können.

Somit schien mir alles recht verständig für meine Unternehmung geordnet, und es blieb nur übrig, mir die Geldmittel zur Ausführung derselben zu verschaffen. Hiermit stand es nun übel: der Verkauf unserer bescheidenen häuslichen Einrichtung, der Ertrag eines Benefiz-Concertes, und einige sonstige kleine Ersparnisse reichten gerade eben nur aus, die von Magdeburg und Königsberg gegen mich in Riga klaghaft gewordenen Gläubiger zu befriedigen. War ich genöthigt, hierfür mein Geld zu verwenden, so verblieb mir nicht ein Heller. Hier musste nun Rath geschafft werden, und unser alter Königsberger Freund, Abraham Möller, fand sich ein, um in der ihm geläufigen, nicht allseitig leicht zu beurtheilenden Weise, diesen Rath zu schaffen. In dieser kritischen Zeit stattete er uns einen zweiten Besuch in Riga ab; ich klagte ihm meine schwierige Lage und die Hindernisse, welche der Ausführung meines Entschlusses, nach Paris zu gehen, entgegenstünden. Er rieth mir nun kurz und bündig, alle meine Ersparnisse für unsre Reise zu verwenden, und mit meinen Gläubigern erst dann mich abzufinden, wenn meine Pariser Erfolge mir dazu die Mittel an die Hand gegeben haben würden. Um diess zu ermöglichen, bot er uns an, in seinem Reisewagen mit Extrapost uns über die russische Gränze bis in einen ostpreussischen Hafen zu bringen; die Ueberschreitung dieser Grenze musste von unsrer Seite ohne Pässe bewerkstelligt werden, da auf diese von Seiten der auswärtigen Gläubiger Beschlag gelegt war. Er schilderte uns die Ausführung dieses höchst bedenklichen Vorhabens als sehr leicht, da er auf einem der Grenze benachbarten preussischen Gute einen Freund habe, der ihm hierzu die erfolgreichste Hülfe leisten werde. Die Begierde, um jeden Preis meiner bisherigen Lage mich zu entziehen und schnell möglichst auf das grosse Feld zu gelangen, auf welchem ich mir rasche Befriedigung meiner ehrgeizigen Wünsche erwartete, verblendete mich gegen alle Widerwärtigkeiten, welche die Ausführung des nun beschlossenen Vorhabens begleiten mussten. Direktor Hoffmann, der sich mir nach Kräften verpflichtet hielt, erleichterte meinen Fortgang dadurch, dass er mir ihn um einige Monate vor meiner contraktlich ablaufenden Dienstzeit ermöglichte. Nachdem ich noch im Juni die Opernaufführungen der Mitauer Theatersaison dirigirt hatte, traten wir, eben von Mitau aus, unter Möller's Schutze und in dessen Wagen, mit Extrapost heimlich die Reise an, deren Ziel Paris sein und unter den unerhörtesten Drangsalen von uns erreicht werden sollte. –

Das Wohlgefühl, welches mir die Fahrt durch das fruchtbare Curland im üppigen Sommermonat Juli, namentlich durch die Vorstellung, dass ich nun mit einer ganzen mir verhassten Lebensrichtung gebrochen und dafür einem unermesslich neuen Schicksalspfade nachging, unwillkürlich erweckte, ward schon im Beginn der Reise durch die quälende Belästigung getrübt, welche mir durch die Begleitung eines grossen Neufundländer Hundes, mit Namen Robber, veranlasst wurde. Dieser wunderschöne Hund, ursprünglich einem Riga'schen Kaufmann gehörig, hatte sich, gegen die Natur dieser besondern Raçe, mit einer vorzüglichen Zuneigung an meine Person geheftet. Nachdem ich Riga verlassen, hatte während meines längern Aufenthaltes in Mitau Robber fortgesetzt meine leer gewordene Wohnung belagert, und durch seine auffallende Anhänglichkeit den Hauswirth und die Nachbarn so sehr gerührt, dass sie den Hund durch den Postconducteur mir nach Mitau nachschickten, wo ich ihn mit wahrhafter Ergriffenheit empfing, und mir gelobte, trotz aller Beschwerden den Hund fortan nicht mehr von mir zu weisen. Wie mir es auch ergehen möchte, der riesige Hund musste mit nach Paris; allein schon nur auf dem Wagen ihn unterzubringen schien rein unmöglich: alle Vorrichtungen, welche ich unterwegs traf, um ihm im oder am Wagen einen Platz zu verschaffen, erwiesen sich als nichtig, und zu meiner wachsenden Pein musste ich das so stark bepelzte nordische Thier in glühendster Sonnenhitze tagelang neben dem Wagen herlaufen sehen, bis ich, durch das Mitgefühl für seine Erschöpfung auf das Aeusserste gebracht, endlich auf die ingeniösesten Einfälle gerieth, im vollbesetzten Wagen den grossen Hund doch noch so unterzubringen, dass er darin aushielt. Am Abend des zweiten Tages gelangten wir so an die russisch-preussische Grenze; die Besorgniss Möller's wegen Ausführung unsrer heimlichen Ueberschreitung derselben liess auch uns inne werden, dass es sich hiebei eigentlich um ein gefährliches Wagniss handelte; der vertraute Freund von jenseits begegnete uns, der Abmachung gemäss, mit einem kleinen Wagen, in welchem er Minna, mich und Robber, von der Hauptstrasse ab, auf Umwegen nach einem Punkt brachte, von dem aus er uns zu Fuss in ein Haus von höchst verdächtigem Aussehen geleitete, um uns dort, nachdem er uns einem Führer übergeben, wieder zu verlassen. Dort hatten wir bis nach Sonnenuntergang zu warten und gewannen Musse, inne zu werden, dass wir uns in einer Pascherkneipe befanden, welche sich allmählich mit polnischen Juden vom allerschmutzigsten Aussehen bis zum Uebermaass anfüllte. Endlich wurden wir aufgefordert, unsrem Führer zu folgen. Einige hundert Schritte weit zog sich am Abhange eines Hügels der Graben hin, welcher längs der ganzen russischen Grenze gezogen ist und beständig durch Wachtposten von Kosaken, in sehr kleinen Zwischenräumen vertheilt, bewacht wird. Es galt, die wenigen Minuten zu benutzen, welche nach der Ablösung der Wachen die Wächter anderweitig beschäftigten. Sehr eilig hatten wir daher den Hügel hinabzulaufen, durch den Graben zu klettern und dann von Neuem eilig uns weiter zu wenden, bis wir aus der Schusslinie gelangt waren; denn die Kosaken, sobald sie uns gewahrten, waren gebunden, uns selbst über den Graben hinweg die Kugeln nachzusenden. Ich hatte, trotz der leidenschaftlichen Sorge für Minna, dennoch zu meiner seltsamen Freude das intelligente Verhalten Robber's beobachtet, welcher, als ob er die Gefahr gewahrte, sich lautlos an uns geschmiegt hielt und meine Sorge, er werde uns bei dem gefahrvollen Uebergange Noth machen, gänzlich zerstreute. Endlich begegnete uns der vertraute Gehülfe wieder; er war so ergriffen, dass er uns heftig in seine Arme schloss, und nun von Neuem mit seinem Fuhrwerk uns in den Gasthof des preussischen Grenzortes geleitete, wo Freund Möller, vor Angst erkrankt, uns schluchzend und jubelnd aus dem Bett entgegensprang. Nun war es denn auch für mich Zeit, mich zu besinnen, in welche Gefahr ich nicht nur mich, sondern die arme Minna an meiner Seite gebracht hatte, und zu welchem Frevel ich durch die Unkunde, in welcher Möller mich so leichtsinniger Weise über die ungeheuerlichen Umstände des von ihm angerathenen heimlichen Grenzüberganges gelassen, verleitet worden war. Ich fand keinen Ausdruck, um meine Reue hierüber meiner zum Tod erschöpften Frau zu erkennen zu geben.

Und doch war, was wir soeben überstanden, nur das Vorspiel zu den neuen Widerwärtigkeiten, welche diese für mein Leben so entscheidungsvolle abenteuerliche Reise begleiteten. Während wir des andern Tages durch die reiche Tilsiter Niederung mit bereits wieder gehobenem Muthe auf Arnau bei Königsberg zufuhren, wurde der fernere Reiseplan dahin festgesetzt, dass wir von dem preussischen Hafen Pillau aus auf einem Segelschiffe zunächst nach London weitergehen sollten. Der Grund hiervon war hauptsächlich die Rücksicht auf die Begleitung unsres Hundes, welcher so am leichtesten mitzuführen war; während an seine Unterbringung bei einer Reise im Postwagen von Königsberg bis Paris, da man von Eisenbahnen damals noch nichts wusste, natürlich nicht zu denken war. Ausserdem aber bestimmte uns auch die Rücksicht auf unsre Kasse; aller Gewinn saurer Mühen bestand für mich in nicht ganz 100 Ducaten, welche nicht nur zur Reise, sondern auch für den Pariser Aufenthalt bis dahin, wo ich dort etwas verdient haben würde, zu berechnen waren. So fuhren wir denn, nach einigen Tagen der Erholung in dem Arnauer Gasthofe, abermals von Möller geleitet, auf einem dort landesüblichen Fuhrwerke, welches einem Leiterwagen nicht sehr unähnlich war, über kleinere Orte und auf schlechten Strassen, um Königsberg nicht zu berühren, nach dem Hafenstädtchen Pillau. Auch diese kürzere Reise sollte nicht ohne Unglücksfall von Statten gehen. Der ungeschickte Wagen fiel in einem Bauernhofe um, und Minna ward bei dem Falle durch eine innere Erschütterung so stark beschädigt, dass wir in einem Bauernhaus, wohin ich die gänzlich Gelähmte mit grösster Mühe zu schleppen hatte, bei mürrischen und schmutzigen Leuten eine für die Verletzte höchst schmerzliche Nacht zu verbringen hatten. Die um mehrere Tage sich verspätende Abfahrt des Pillauer Schiffes musste uns unter diesen Umständen, wegen der hierdurch gewährten Frist für Minna's Erholung, sehr willkommen sein. Da der Capitän uns ohne Pass aufzunehmen hatte, war endlich auch die Besteigung seines Schiffes für uns wiederum von besondrer Schwierigkeit. Wir mussten noch vor dem Tagesgrauen uns auf einem Boote heimlich durch die Hafenwache an Bord unsres Schiffes zu schleichen suchen; dort angelangt und nachdem wir Robber ebenfalls mit grosser Mühe, ohne Aufsehen zu erregen, die steile Schiffswand hinaufgezogen hatten, mussten wir uns sofort in einem unteren Raum verbergen, um von den vor der Abfahrt das Schiff noch besuchenden Visitatoren nicht bemerkt zu werden. Endlich war der Anker gelichtet, und während wir allmählich das Land aus dem Auge verloren, glaubten wir nun aufathmen und uns beruhigt fühlen zu dürfen.

Wir waren am Bord eines Kaufmannschiffes von kleinster Gattung; es hiess Thetis, hatte das Brustbild der Nymphe an der Puppe aufgesteckt, und war, den Kapitän eingerechnet, von sieben Männern bedient. Man war der Meinung, bei gutem Wetter, wie es im Sommer zu erwarten stand, die Fahrt nach London in acht Tagen zu bestehen. Schon auf der Ostsee waren wir durch anhaltende Windstille jedoch lange zurückgehalten; ich benutzte die Musse, um meine Kenntniss des Französischen durch das Studium eines Romans von G. Sand, »la dernière Aldini«, näher zu begründen. Ausserdem gewährte uns der Umgang mit den Schiffsleuten manche Unterhaltung. Ein sonderlich schweigsamer älterer Matrose, mit Namen Koske, ward von uns viel beobachtet, namentlich der unversöhnlichen Abneigung wegen, welche der sonst so gutmüthige Robber gegen ihn gefasst hatte, und welche uns in der Stunde der Gefahr noch eine lächerliche Noth machen sollte. – Nach siebentägiger Fahrt gelangten wir erst vor Kopenhagen an, wo wir, ohne das Schiff zu verlassen, die Gelegenheit wahrnahmen, unsre sehr spärliche Schiffskost durch Einnahme verschiedener Nahrungsmittel und Getränke erträglicher zu machen. Guten Muthes fuhren wir so an dem schönen Schlosse von Helsingör vorbei, dessen Anblick mich in unmittelbare Berührung mit meinen Jugendeindrücken von Hamlet setzte, und segelten nun hoffnungsvoll durch das Kattegat dem Skagerrack zu, als der anfänglich nur ungünstige Wind, welcher uns zu mühseligem Laviren genöthigt hatte, am zweiten Tag dieser neuen Fahrt in einen heftigen Sturm umschlug. Volle 24 Stunden hatten wir unter für uns ganz neuen Leiden gegen ihn zu kämpfen. In die jämmerlich enge Kajüte des Kapitäns eingepfercht, ohne eigentliches Lager für eines von uns Beiden, waren wir der Seekrankheit und allen Aengsten preisgegeben. Zum Unglück war das Branntweinfass, aus welchem die Mannschaft sich während der harten Arbeit zu stärken hatte, in einer Vertiefung unter der Bank, auf welche ich mich ausgestreckt hielt, angebracht; hier war es nun Koske, welcher sich am häufigsten zu der mich so belästigenden Stärkung einfand, trotzdem er jedesmal einen Kampf auf Leben und Tod mit Robber zu bestehen hatte, welcher ihn einzig mit stets erneueter Wuth anfiel, sobald er die enge Treppe herabgeklettert kam, was mir, dem von der Seekrankheit gänzlich Erschöpften, jedesmal eine mein Uebelbefinden zu den bedenklichsten Katastrophen steigernde Anstrengung abnöthigte. Endlich, am 27. Juli, sah der Kapitän bei heftig stürmendem Westwind sich gezwungen, einen Hafen der norwegischen Küste aufzusuchen. Mit tröstlichem Gefühle gewahrte ich das weithin sich dehnende felsige Ufer, dem wir mit grosser Schnelligkeit zugetrieben wurden, und nachdem nun ein norwegischer Lootse, der auf einem kleinen Boot uns entgegengekommen war, mit kundiger Hand das Steuer der Thetis übernommen hatte, erlebte ich bald einen der wunderbarsten und schönsten Eindrücke meines Lebens. Was ich für eine zusammenhängende Uferfelsenkette gehalten hatte, zeigte sich bei unsrer Annäherung zunächst als eine Reihe einzelner, aus der See hervorragender Felsenkegel; an ihnen vorbeigesegelt, erkannten wir, dass wir nicht nur vor uns, wie zur Seite, sondern auch im Rücken von diesen Riffen umgeben waren, welche sich hinter uns wieder so dicht zusammendrängten, dass sie eine einzige Felsenkette zu bilden schienen. Zugleich brach an diesen rückwärts gelegenen Felsen der Sturmwind sich der Art, dass, je weiter wir mit der Fahrt durch dieses stets wechselnde Labyrinth von Felsenkegeln vordrangen, die See immer ruhiger und endlich, bei der Einfahrt in einer jener langen Wasserstrassen durch ein riesiges Felsthal, als welches sich ein norwegisches Fiord mir darstellte, völlig glatt und ruhig das Schiff dahinfuhr.

Ein unsägliches Wohlgefühl erfasste mich, als das Echo der ungeheuren Granitwände den Schiffsruf der Mannschaft zurückgab, unter welchem diese den Anker warf und die Segel aufhisste. Der kurze Rythmus dieses Rufes haftete in mir wie eine kräftig tröstende Vorbedeutung, und gestaltete sich bald zu dem Thema des Matrosen-Liedes in meinem » fliegenden Holländer«, dessen Idee ich damals schon mit mir herumtrug und nun unter den soeben gewonnenen Eindrücken eine bestimmte poetisch-musikalische Farbe gewann. Hier gingen wir denn auch an's Land. Ich erfuhr, dass der kleine Fischerort, der uns aufnahm, Sandwike hiess und einige Meilen von dem grösseren Orte Arendal abgelegen sei. Das Haus eines verreisten Schiffskapitäns nahm uns zu unsrer Erholung auf, und der in offener See fortwährende stürmische Wind hielt uns hier zwei Tage lang zurück, deren wir zu unsrer Erholung sehr wohl bedurften. Am 31. Juli bestand der Kapitän, trotzdem der Lootse davon abrieth, auf der Wiederausfahrt. Wiederum am Bord der Thetis, verzehrten wir soeben zum ersten Mal in unsrem Leben einen Hummer, als sich wenige Stunden nach der Abfahrt ein heftiges Fluchen des Kapitäns und der Mannschaft gegen den Lootsen erhob, welchen ich mit starrer Angst am Steuer sich bemühen sah, einem nur schwach aus der See hervorstehenden Felsenriff auszuweichen, auf das das Schiff zutrieb. Unser Schreck war gross, als wir den leidenschaftlichen Tumult gewahrten und nicht anders glauben konnten, als dass wir in äusserster Gefahr seien. Wahrlich erhielt das Schiff einen starken Stoss, welcher in meiner Einbildung blitzesschnell als ein gänzliches Bersten des Schiffes erschien; glücklicherweise fand sich aber, dass unser Schiff das Riff nur von der Seite gestreift hatte, und eine augenblickliche Gefahr keineswegs vorhanden war. Dennoch sah sich der Kapitän veranlasst, nach einem Hafen zurückzusteuern, um das Schiff der nöthigen Untersuchung zu unterwerfen. An einem andern Küstenpunkte zurückgekehrt, ward abermals Anker geworfen und der Kapitän lud uns ein, in einem kleinen Boot mit ihm und zwei Matrosen nach dem einige Stunden entfernten grösseren Ort Tromsond zu fahren, wo er die Hafenbehörden zur Untersuchung seines Schiffes zu requiriren hatte. Diese Spazierfahrt war wiederum im höchsten Grad anziehend und eindrucksvoll; namentlich der Einblick in einen weit in das Land sich hineinziehenden Fiord erfüllte meine Phantasie mit dem Eindruck einer noch ungekannten, grauenvoll erhabenen Oede. Ein grösserer Spaziergang von Tromsond auf die Hochebne vervollständigte diesen Eindruck, durch die furchtbare Melancholie dieser schwarzen Moorhaiden, welche ohne Baum, ja ohne Strauch, höchstens von dürftigem Moos bedeckt, sich am Horizont in dem düstren Himmel mit ununterscheidbarer Färbung verloren. Von diesem Ausflug, zur grössten Beängstigung meiner Frau, in später Nacht auf dem kleinen Boote zurückgekehrt, konnten wir endlich, am andern Morgen über die Ungefährlichkeit der Beschädigung des Schiffes beruhigt, am 1. August bei gutem Winde unbehindert von Neuem in See gehen.

Nach vier Tagen ruhiger Fahrt stellte sich ein stürmischer Nordwind ein, welcher uns in günstiger Richtung mit ungemeiner Schnelle vorwärts trieb. Schon glaubten wir die Reise bald überstanden zu haben, als am 6. August Abends die günstige Wind-Richtung umschlug, und zugleich der Sturm mit unerhörter Heftigkeit zunahm. Es war eines Mittwochs am 7., Mittags halb 3 Uhr, wo wir jeden Augenblick unsren Tod voraussehen zu müssen glaubten. Nicht die furchtbare Gewalt, mit welcher das Schiff auf und ab geschleudert wurde, und gänzlich richtungslos dem bald als tiefsten Abgrund, bald als steile Berghöhe sich darstellenden Meerungethüm preisgegeben war, erweckte in mir das Todesgrauen, sondern was mich mit dem Gefühl der verhängnissvollen Entscheidung erfüllte, war die Muthlosigkeit der Mannschaft, unter welcher ich verzweiflungsvoll boshafte Blicke wahrnahm, mit denen wir von ihnen abergläubischer Weise als die Ursache des drohenden Seeunglücks bezeichnet zu werden schienen. Nicht unterrichtet von der so geringfügigen Veranlassung zur Verheimlichung unsrer Reise, mochte den Leuten der Gedanke beikommen, dass es mit unsrer Nöthigung zur Flucht eine bedenkliche, gar wohl verbrecherische Bewandtniss haben möge. Selbst der Kapitän schien es in der äussersten Drangsal bereuen zu wollen, uns an Bord genommen zu haben, da wir ihm, der so oft diese Fahrt – namentlich im Sommer – in kurzer Zeit und ohne alle Beschwerde zurückgelegt hatte, für diesmal offenbar Unglück gebracht hätten. Da auch eben um die genannte Tageszeit zugleich mit dem Sturm ein heftiges Gewitter am Himmel tobte, sprach Minna den eifrigen Wunsch aus, lieber vom Blitz zerschmettert mit mir umzukommen, als in die fürchterliche Wasserfluth lebend zu versinken. Auch bat sie mich, sie mit einigen Tüchern an mich anzubinden, damit wir beim Versinken nicht getrennt werden möchten. Noch eine ganze Nacht verbrachten wir unter diesen andauernden, nur durch die schrecklichste Ermüdung sich abschwächenden Aengsten. Andern Tages hatte sich nun der Sturm gelegt, der Wind blieb ungünstig, war aber schwach; der Kapitän bemühte sich, mit seinen astronomischen Instrumenten sich darüber genau zu orientiren, wo wir uns befänden; er klagte über den nun bereits so viele Tage stets getrübten Himmel, betheuerte, um einen einzigen Sonnen- oder Sternenblick viel geben zu mögen, und verbarg seine Unruhe nicht, die er darüber empfand, dass er die Meeresstelle, wo wir uns befanden, nicht mit Sicherheit angeben könne. Doch folgte er zu seinem Troste einem in der Entfernung einiger Seemeilen in der gleichen Richtung vor uns segelnden Schiff, dessen Bewegungen er anhaltend mit grosser Aufmerksamkeit durch das Fernrohr beobachtete. Plötzlich sprang er im heftigen Schrecken auf, und commandirte mit leidenschaftlichem Eifer eine Veränderung der Schiffsrichtung. Er hatte wahrgenommen, dass das vor uns segelnde Schiff auf eine Sandbank getrieben war, von welcher, wie er behauptete, es nicht wieder loszukommen vermögen würde, da er nun genau inne geworden, dass wir uns in der Nähe des gefahrvollsten Theiles der die holländische Küste weithin einfassenden Sandbänke befanden. Mit geschicktester Benutzung der Segel gelang es nun andauernd die entgegengesetzte Richtung auf die englische Küste einzuhalten, welche wir wirklich am 9. August Abends in der Nähe von Southwould zu Gesicht bekamen. Als wir von dort her schon in weiter Ferne die Jagd der Lootsen auf unser Schiff bemerkten, welche an der englischen Küste freie Concurrenz unter sich halten und desshalb selbst unter den grössten Wagnissen so weit wie möglich den nahenden Schiffen entgegensegeln, erfüllte sich mein Blut mit angenehmer neuer Lebenswärme. Es gelang einem grauköpfigen kräftigen Manne, jedoch erst nach wiederholten vergeblichen Anstrengungen gegen die tobenden Wellen, welche sein leichtes Boot immer wieder von unsrem Schiffe zurückwarfen, endlich mit bluttriefenden Händen, wie sie ihm das herabgeworfene Tau, welches wiederholt seiner Faust entglitt, zerfetzt hatte, an Bord der » Thetis« zu gelangen. So hiess nämlich immer noch unser armseliges, vielgeprüftes Schiff, trotzdem bereits der erste Sturm im Kattegat das tröstliche Holz-Brustbild der schützenden Nymphe in die Wellen geschleudert hatte, was damals bereits von der Mannschaft als ein übles Vorzeichen gedeutet worden war. Das Steuerruder jetzt in der sichern Hand des ruhigen, durch seine ganze Persönlichkeit höchst wohlthätig auf uns wirkenden englischen Seemannes zu wissen, und in ihm die unfehlbare Bürgschaft baldiger Erlösung aus den schrecklichen Drangsalen zu erkennen, erfüllte uns mit religiösem Wohlgefühl. Noch waren wir aber keineswegs so weit; denn nun begann erst die von zahllosen Gefahren begleitete Fahrt durch die Sandbänke der englischen Küste entlang, auf welchen jährlich, wie man mir versicherte, durchschnittlich gegen 400 Schiffe zu Grunde gehen. Wir hatten volle 24 Stunden, vom Abend des 10. bis zum Abend des 11. August, innerhalb dieser Sandbänke einen heftigen Weststurm zu bestehen, welcher uns so sehr am Vorwärtskommen hinderte, dass wir erst in der Nacht zum 12. August in die Mündung der Themse einliefen. Bis dahin hatten die unzähligen verschiedenartigen Warnungszeichen, meistens aus kleinen hellroth gefärbten und mit fast ununterbrochen, des Nebels wegen, läutenden Glocken versehenen Wachtschiffen bestehend, namentlich auf die geängstete Einbildungskraft meiner Frau so aufregend gewirkt, dass sie bei Tag und Nacht, nach ihnen ausspähend und die Mannschaft darauf hindeutend, nicht ein Auge schloss, während auf mich im Gegentheil diese Zeichen der rettenden menschlichen Nähe so beruhigend wirkten, dass ich, trotz der lebhaften Vorwürfe Minna's, hierüber, mich einem langen erquickenden Schlafe hingab. Als wir nun, an der Themse-Mündung geankert, ruhig den Anbruch des Tages erwarteten, gab ich, während Minna mit der ganzen ermüdeten Mannschaft zugleich im tiefen Schlafe sich ausruhte, mich einem übermüthigen Behagen hin, besorgte meine Kleidung, versah mich mit frischer Wäsche, und rasirte mich auf offenem Deck am Schiffsmast, mit wachsender Spannung der zunehmenden Regsamkeit auf der berühmten Flussstrasse zusehend. Die Sehnsucht nach völliger Erlösung aus dem so widerwärtig gewordenen Schiffsgefängnisse veranlasste uns, nachdem die Fahrt stromaufwärts langsam wieder begonnen, von einem vorbeifahrenden Dampfschiff bei Gravesend, zur Beschleunigung der Ankunft in London, uns aufnehmen zu lassen. Die Annäherung an London auf dem immer dichter mit Schiffen aller Art bedeckten Strome, durch die von Häusern und Strassen, den berühmten Docks und andren maritimen Construktionen immer reicher besetzten Ufer, brachte uns in zunehmendes Erstaunen, und als wir endlich an der Londoner Brücke, mitten in dem unabsehbar angehäuften Leben dieses unvergleichlichen Weltplatzes angekommen, hier nach mehr als dreiwöchentlicher schrecklicher Seefahrt zum ersten Mal wieder den Fuss auf das feste Land setzten, erfasste uns, wie an und für sich der an die schwankende Schiffsbewegung gewöhnte Schritt uns wie im Taumel dahinführte, in dem unerhörten Tumult der lärmendsten Umgebung ein freudig behaglicher Schwindel, von dem namentlich auch Robber ergriffen schien, welcher wie besessen an den Strassenecken dahinsprang und uns jeden Augenblick verloren zu gehen schien. Doch retteten wir uns alle drei in einen Fiacre, welcher uns der Weisung unsres Kapitäns gemäss für's erste nach einer Schiffskneipe in der Nähe des Towers, die » Horseshoe-Tavern«, geleitete, von wo aus wir nun den Plan zur Ueberwältigung des Ungeheuers von Stadt zu überlegen hatten.

Die Umgebung, in welche wir hier geriethen, war der Art, dass wir schleunigste Entfernung beschlossen. Von einem kleinen buckeligen Hamburger Juden, welcher sich wohlwollend unsrer annahm, erhielten wir den Nachweis eines besseren Unterkommens im Westend. Die eine volle Stunde dauernde Fahrt dahin ist mir sehr anregend in der Erinnerung geblieben; sie ward in einem der damals noch gebräuchlichen, nur für zwei sich gegenüber sitzende Personen berechneten, winzig schmalen Cabs, in welchem wir den grossen Hund querüber durch die Wagenfenster legen mussten, zurückgelegt. Was wir von diesem wunderlichen Versteck aus in dieser Stunde zu beobachten hatten, ging über alle unsre bisherigen Vorstellungen von der Lebendigkeit und Ungeheuerlichkeit einer grossen Stadt. In sehr belebter Laune kamen wir vor dem uns bezeichneten boarding-house in old Comptonstreet an. Hatte ich als zwölfjähriger Knabe es im Englischen in kurzer Zeit bis zu einer, mir so dünkenden, Uebersetzung eines Monolog's aus Shakespeares »Romeo und Julie« gebracht, so wollte die Erinnerung an diese Studie jetzt mir durchaus nichts helfen, als ich darauf bedacht war, mit der Wirthin des Hauses, welches sich » Kingsarms« nannte, zu verständigen. Doch glaubte die Dame, als Wittwe eines Schiffskapitäns, es auf französisch mit mir zu etwas bringen zu können, durch welche Versuche sie mich in Nachdenken darüber versetzte, welches von uns Beiden nichts von dieser Sprache wüsste. Das aufregendste Ereigniss trat jedoch sogleich ein, als wir bemerkten, dass Robber uns gar nicht in das Haus gefolgt, sondern sofort bei der Thür entwichen war. Die Sorge und Klage um den trefflichen Hund, den wir nun mit so grosser Mühe bis hieher mitgeschleppt hatten, um sofort ihn uns verloren gehen zu sehen, nahmen uns die zwei ersten Stunden des gastlichen Unterkommens in einem wirklich feststehenden Hause ganz ausschliesslich ein, bis wir, stets am Fenster spähend, zu unsrer ausgelassenen Freude Robber plötzlich um die Ecke einer Seitenstrasse unbefangen auf unser Haus zukommen sahen. Wir erfuhren später, dass unser Hund sich bis nach der Oxford-Street auf Neuigkeiten herumgetrieben hatte, und es blieb mir seine unbegreifliche Rückkehr nach dem Hause, welches er zuvor noch nie mit uns betreten hatte, als ein kräftiges Zeugniss für die erstaunliche Sicherheit des thierischen Instinktes in der Erinnerung. – Nun hatten wir erst Zeit, uns dem Innewerden der grossen Belästigung hinzugeben, welche uns die Nachwirkungen der Seefahrt bereiteten. Dass uns der feste Boden fortgesetzt schwankte, und wir bei jedem Schritt in die lächerlichste Verlegenheit, umzustürzen, geriethen, erschien uns fast ergötzlich; als aber das ungeheure zweischläfrige englische Bett, da wir uns zur schwer erkauften Ruhe darin niederliessen, unaufhörlich auf und nieder getragen wurde, und sobald wir nur das Auge zum Schlafe schlossen, in eine schreckliche Tiefe hinab versank, so dass wir jedesmal Hilfe rufend daraus emporschnellten, wurde es endlich doch unerträglich, denn uns dünkte, dass die entsetzliche Seefahrt nun unser ganzes Leben lang fortdauern würde. Zu diesen Leiden kam das quälendste Uebelbefinden, welches uns die, nach der gräulichen Schiffskost von uns nun begierig aufgesuchte, piquante Nahrung zuzog.

Sehr geschwächt von allen diesen Nöthen, vergassen wir dennoch über die Hauptnoth, nämlich, was wir denn eigentlich für theures Geld uns zu erwarten hätten, nachzusinnen, sondern ganz erfüllt von den Wundern der Weltstadt machten wir uns folgenden Tages, als ob wir eben nur auf einer Vergnügungsreise wären, sofort auf eine mannigfaltige Entdeckungsreise in einem Fiacre, nach Anleitung eines auf der Karte von London von mir verzeichneten Planes, auf. Das Staunen und die Freude über alles Wahrgenommene machte uns alles Ueberstandene gänzlich vergessen. Den für unsere Kasse so schädlichen achttägigen Aufenthalt in London rechtfertigte ich einerseits aus der Nöthigung zur Erholung für Minna, andrerseits aus der von mir wahrzunehmenden Veranlassung zur Anknüpfung künstlerischer Beziehungen. Meine bereits in Königsberg componirte Ouvertüre » Rule Britannia« hatte ich schon während meines letzten Dresdener Aufenthaltes an Sir John Smart, Vorsteher der dortigen philharmonischen Gesellschaft, nach London geschickt; allerdings hatte mir dieser auf meine Sendung nie geantwortet; für desto gebotener hielt ich es nun, ihn dafür zur Rede zu setzen. Während ich mir überlegte, durch welche Verwendung meiner Sprachkenntnisse ich mich mit ihm zu verständigen haben würde, verbrachte ich einige Tage mit Erkundigungen nach seiner Wohnung, deren schliesslicher Erfolg die Erfahrung war, dass Smart gar nicht in London sei. Nun bildete ich mir wiederum einige Tage über ein, es wäre gut, wenn ich Bulwer aufsuchte, um mit ihm mich über die musikalische Ausführung seines von mir dramatisirten Romanes » Rienzi« zu verständigen. Da ich seiner Zeit auf dem Continent erfahren hatte, dass Bulwer Parlaments-Mitglied sei, erkundigte ich mich nach ihm unmittelbar im Parlamentshause. Hier verhalf mir meine gänzliche Unkenntniss der englischen Sprache zu einer unerwartet rücksichtsvollen Aufnahme. Da in dem ungeheuren Gebäude keiner der zunächst von mir angetroffenen niederen Beamten verstand, was ich wollte und suchte, ward ich von diesen in aufsteigender Leiter zu immer höheren Würdenträgern gewiesen. Einem vornehm aussehenden Herrn, der so eben aus einem grossen Saale heraustrat, ward ich, während Minna immer zu meiner Seite war und nur Robber in » Kingsarms« zurückgeblieben, wie es schien, als völlig unverständlicher Mensch vorgestellt. Auf französisch freundlich von ihm befragt, was ich wünschte, schien meine Erkundigung nach dem berühmten Bulwer keinen ungünstigen Eindruck zu machen. Es musste mir zwar gemeldet werden, dass der Gesuchte nicht in London sei; da ich aber weiter frug, ob es nicht möglich sei, dass ich einer Parlamentssitzung beiwohnen könne, bedeutete mir der Herr, dass in dem höchst beschränkten, in Folge des kürzlichen Brandes der alten Parlamentshäuser provisorisch zu den Sitzungen verwendeten Lokale, nur wenigen Begünstigten gegen Eintrittskarten der Besuch gestattet sei; auf mein besonders zutrauliches Andringen entschloss sich jedoch mein Gönner, den ich, da wir uns vor dem Oberhause befanden, wohl nicht mit Unrecht für einen Lord in eigner Person zu halten hatte, in Kürze uns eine Thür zu öffnen, und uns so unmittelbar in den engen reservirten Zuhörerraum des Sitzungssaals der Peers von England einzuführen. Diess war mir denn über alle Maassen interessant. Ich hörte und sah den damaligen Premier, Lord Melbourne, Brougham (welcher mir eine ausserordentlich bewegliche Rolle zu spielen schien und, wie es mich dünkte, Melbourne mehrere Male einhalf); ausserdem den Herzog von Wellington, welcher mit seinem grauen Castor-Hute auf dem Kopfe, die beiden Hände in den Hosentaschen, namentlich durch das Schütteln seines Leibes bei gewissen stärkern Accenten seiner ganz conversationell klingenden Rede, auf mich einen, alle übertriebene Ehrfurcht zerstreuenden, behaglichen Eindruck machte. Ausserdem interessirte mich Lord Lindhurst, der spezielle Antagonist Brougham's, zu welchem, während er sprach, mehrere Male dieser sein Gegner, zu meinem höchsten Erstaunen, ganz gemüthlich sich an die Seite setzte, um auch ihm, wie es mir schien, einzuhelfen. Es handelte sich, wie ich späterhin aus der Zeitung ersah, um Massregeln gegen die Portugiesische Regierung zur kräftigen Durchführung der Bill gegen Sklavenhandel. Der Bischof von London, den ich hierbei auch zu hören Gelegenheit hatte, war unter den Herren der Einzige, welcher durch Ton und Haltung auf mich einen ungemüthlichen Eindruck machte, woran vielleicht mein Vorurtheil gegen den geistlichen Stand überhaupt schuld war.

Nach diesem glücklichen Abenteuer schien mir London für diesmal erschöpft zu sein, denn obgleich ich keiner Sitzung des Unterhauses beiwohnen konnte, führte mich doch mein unermüdlich freundlicher Gönner, auf welchen ich wiederum beim Hinausgehen zufällig stiess, noch in das Sitzungslokal der Gemeinen, erklärte mir dort alles Nöthige, liess mich auch den Wollsack des Sprechers, sowie die unter dem davorstehenden Tisch verborgene Keule dieses Würdenträgers in Augenschein nehmen, und belehrte mich über verschiedenes so genau, dass ich jetzt alles Wissenswerthe der Hauptstadt des brittischen Reiches vollkommen innezuhaben glaubte. An das Aufsuchen der italienischen Oper dachte ich nicht im mindesten, vielleicht schon weil ich mir die verderblichsten Vorstellungen über die enormen Eintrittspreise daselbst machen zu müssen glaubte. Nachdem wir im übrigen noch fleissig die Hauptstrassen der Stadt, oft bis zur grössten Ermüdung, durchwandert, auch den gespensterartigen Eindruck eines Londoner Sonntags mit völligem Grausen in uns aufgenommen, und schliesslich mit dem Capitain der »Thetis« zum ersten Mal in unsrem Leben eine Dampfwagenfahrt, und zwar nach dem Park von Gravesend, ausgeführt hatten, reisten wir nun am 20. August mit dem Dampfschiff nach Frankreich ab, wo wir des Abends in Boulogne sur mer, mit brünstigen Wünschen, es nie wieder befahren zu müssen, vom Meere Abschied nahmen. –

Eine gewisse Bangigkeit vor der mit unsrer Einkehr in Paris ahnungsvoll vorausgefühlten Enttäuschung, die wir uns jedoch gegenseitig verbargen, wirkte nebst andren Gründen mit dazu, dass wir zuvörderst uns einige Wochen in oder bei Boulogne zu verweilen bestimmten. Jedenfalls befanden wir uns noch in zu früher Jahreszeit, um die verschiedenen wichtigen Personen, die ich für mein Vorhaben in Paris aufzusuchen hatte, jetzt schon dort anzutreffen; dagegen es mir überaus glücklich erschien, von Meyerbeer's Aufenthalt eben in Boulogne selbst zu erfahren. Ausserdem hatte ich noch einen Theil des 2. Aktes des » Rienzi« zu instrumentiren; es lag mir daran, bei meinem Eintritt in dem kostspieligen Paris sofort wenigstens die vollendete Hälfte meines Werkes vorlegen zu können, und in der Nähe von Boulogne schien uns für diese Zeit ein wohlfeilerer Aufenthalt aufzufinden zu sein. Einen solchen aufzusuchen, durchstreiften wir zu allernächst die Umgegend, und fanden auf der grossen Strasse nach Paris, in halbstündiger Entfernung von Boulogne, im frei gelegenen Haus eines ländlichen Marchand de vin, zwei fast unmeublirte Kammern, die wir auf kurze Zeit mietheten und zu unsrem Zweck mit vieler Erfindung, worin namentlich Minna sich auszeichnete, dürftig, aber genügend einrichteten. Ausser einem Bett und zwei Stühlen ward ein Tisch aufgetrieben, auf welchem wir, sobald ich meine Arbeit am » Rienzi« hinweggeräumt hatte, unsre in einem Kamine selbst zubereiteten Mahlzeiten zu uns nahmen.

Von hier aus machte ich mich denn zu einem ersten Besuch bei Meyerbeer auf. In Journalen hatte ich öfter von dessen sprichwörtlich gewordener Liebenswürdigkeit und Gefälligkeit gelesen; dass er mir auf meinen früheren Brief nicht geantwortet, verzieh ich ihm gerne, und fand mich in meiner besten Meinung nun wirklich auch nicht enttäuscht, als ich bald von ihm vorgelassen und freundlich empfangen wurde. Er machte in jeder Hinsicht auf mich einen vortheilhaften Eindruck, wozu sein damals vom Alter noch nicht in der bedenklichen Weise, wie es bei jüdischen Physiognomien gewöhnlich eintritt, erschlaffter, namentlich durch eine schön geformte Umgebung der Augen sehr hoffnungsweckender, Gesichtsausdruck entscheidend beitrug. Mein Vorhaben, in Paris als dramatischer Componist mein Aufkommen zu suchen, wollte er nicht für verzweiflungsvoll ansehen. Er gestattete mir, ihm den Text meines » Rienzi« vorzulesen, und hörte auch wirklich bis zum Schluss des dritten Aktes zu, nahm die fertigen zwei Akte der Composition zur Durchsicht an, und bezeugte mir bei einem späteren Besuche seine rückhaltslose Theilnahme für meine Arbeit, wobei es mich jedoch einigermassen störte, dass er wiederholt auf das bewundernde Lob meiner zierlichen Handschrift zurückkam, an welcher er den »Sachsen« vortheilhaft wiederzuerkennen glaubte. Er versprach mir empfehlende Briefe an den Direktor der grossen Oper, Duponchel, und an den chef d'orchestre derselben, Habeneck. Ich glaubte somit vollen Grund zu haben, mein Geschick zu preisen, welches mich durch die abenteuerlichsten Drangsale gerade an diese Stelle Frankreichs hingetrieben hatte. Welcher glücklichere Erfolg wäre in so kurzer Zeit zu gewinnen gewesen, als er mir jetzt durch die schnell erworbene Theilnahme des berühmtesten Componisten der französischen Oper geworden war? Meyerbeer führte mich auch bei dem zum Besuch gleichfalls in Boulogne weilenden Moscheles, auch bei Frl. Blahedka, der mir schon früh als Berühmtheit bekannten Virtuosin, ein. Bei beiden wohnte ich vertraulichen musikalischen Soiréen bei, und fand mich somit zum ersten Mal in einem Elemente des Umgangs mit musikalischen Berühmtheiten, welches mir bisher noch gänzlich fremd geblieben war.

Nachdem ich meinem zukünftigen Schwager Avenarius um Besorgung eines geeigneten Unterkommens für uns nach Paris geschrieben hatte, machten wir uns nun am 16. September in der Diligence zur Reise dahin auf, wobei Robber, welchen ich auf der hohen Impériale unterzubringen hatte, mir wiederum die altgewohnte Noth bereitete. – Mit der höchsten Spannung meiner Ankunft in dem ersehnten Paris zugewandt, bedauerte ich zunächst von dieser Stadt nicht den grossartigen Eindruck wieder zu gewinnen, den mir zuvor London verschafft hatte. Alles schien mir enger, eingedrückter, und namentlich von den berühmten Boulevards hatte ich mir colossalere Vorstellungen gemacht. Unerhört war mein Aerger, in einer grässlich engen Gasse, der rue de la Jussienne, von unsrer riesigen Diligence herab zum ersten Mal den Pariser Boden betreten zu müssen. Auch die rue Richelieu, in welcher ich die Buchhandlung meines Schwagers aufzusuchen hatte, imponirte mir, im Vergleich zu den Strassen des Londoner Westends, gar nicht. Als ich nun von hier aus, zum Einzug in die für mich gemiethete Chambre garnie, in eine der engen Seitengassen, welche die rue St. Honoré mit dem marché des Innocents verbindet, der rue de la Tonnellerie, gewiesen wurde, kam ich mir wirklich wie degradirt vor. Es bedurfte der tröstlichen Inschrift des Hauses meines hôtel garni's, welche unter einer Büste Molière's die Worte enthielt: maison où naquit Molière, um mich durch gute Vorbedeutung für die empfangenen geringen Eindrücke einigermassen zu trösten. Klein, aber freundlich und wohlanständig ausgestattet, empfing uns das um billigen Preis für uns bereit gehaltene Zimmer des vierten Stockes, aus dessen Fenstern wir bald mit wachsender Bangigkeit auf das ungeheure Marktgewühle in den Strassen herabblickten, von dem ich nicht zu begreifen vermochte, was ich in seiner Nähe zu suchen haben könnte.

Avenarius, welcher bald nach Leipzig zu verreisen hatte, um dort seine Braut, meine jüngste Schwester Cäcilie, zu heirathen und nach Paris zu führen, wies mir die einzige ihm zugängliche musikalische Bekanntschaft mit einem, an der Bibliothèque royale für die Abtheilung der Musik angestellten Deutschen, E. G. Anders, zu. Dieser suchte uns bald in Molière's Geburtshaus auf, und in ihm lernte ich schnell einen jener seltenen Menschen kennen, dessen Andenken, so wenig er mir auch nützen konnte, zu ergreifender Erinnerung in meinem Leben geborgen blieb. Er war unverheirathet, stand in den fünfziger Jahren, und vertraute mir bald, dass er üble Erfahrungen hinter sich habe, welche ihn aus früheren günstigen Lebensverhältnissen zu der traurigen Nöthigung gebracht hätten, gänzlich hülflos in Paris ein Unterkommen zu suchen, wozu ihm, was er früher nur aus Liebhaberei betrieben, seine ungemeinen bibliographischen Kenntnisse, namentlich im musikalischen Fach, verhelfen mussten. Seinen wirklichen Namen nannte er mir nie; diesen, wie seine Schicksale, wollte er mir nach seinem Tode erst zur Eröffnung bereit halten; für jetzt enthüllte er mir nicht mehr, als dass er eben »anders« hiess, aus adliger Familie, früher am Rhein angesessen gewesen sei, durch schwärzesten Verrath an seiner Leichtgläubigkeit und Gutmüthigkeit Alles verloren, und nur seine sehr ansehnliche Büchersammlung gerettet habe, von deren bedeutendem Umfange ich mich allerdings in seiner bescheidenen Wohnung, wo sie alle Wände füllte, überzeugen konnte. Auch hier in Paris, wo er, wie es scheint, mit einer bedeutenden Empfehlung ankam, glaubte er sich bald über grausame Feinde beklagen zu müssen; denn noch habe er es seit langer Anstellung in der Bibliothek, trotz seiner grossen Kenntnisse, nicht über den niedrigsten Posten eines sogenannten Employé bringen können, wogegen er erleben müsse, dass wirkliche Ignoranten in die ihm verhiessenen höheren Stellen emporrückten. Später erfuhr ich wohl, dass hieran die grosse Unbehülflichkeit und Weichlichkeit des durch seine früheren Verhältnisse verwöhnten Mannes die wahre Schuld trugen, da er energische Thätigkeit zu entwickeln nicht mehr im Stand war. So führte er mit dem kläglichen Gehalte von 1500 Franken ein mühseliges, stets von Schwierigkeiten bedrohtes Leben. Einsam alternd und, wie er nicht anders vermeinte, seinem Hinsterben in einem Spital entgegensehend, schien ihm unsre Bekanntschaft, die wir zwar selbst im höchsten Grade bedürftig, doch aber mit so wagendem Muthe hoffnungsvoll in die Zukunft blickten, von neu belebendem Eindrucke zu sein. Meine Lebendigkeit und unerschütterliche Energie erfüllten ihn mit Hoffnung auf meine Erfolge, an deren Förderung er von nun an einen ungemein innigen und hingebenden Antheil nahm. Als Mitarbeiter an der von Moritz Schlesinger herausgegebenen » Gazette musicale«, hatte er doch nie auch nur den mindesten Einfluss sich zu verschaffen gewusst, da ihm jede publicistische Gewandtheit abging und er von der Redaktion dieses Blattes fast nur zur Anfertigung bibliographischer Notizen verwendet wurde. Mit ihm, dem gänzlich Unbehülflichen und Weltunkundigen, hatte ich, sonderbarer Weise, den Plan zur Eroberung des aus allen erdenklichen Nichtswürdigkeiten combinirten musikalischen Terrains von Paris zu berathen, wobei es eigentlich immer nur darauf hinaus kam, sich gegenseitig für die Hoffnung zu erhitzen, dass irgend ein unvorhergesehener Glücksfall mir förderlich sein sollte.

Zur Mithülfe an diesen Berathungen zog er seinen Freund und Hausgenossen, den Philologen Lehrs, herbei, und verschaffte mir dadurch eine Bekanntschaft, welche bald zu einem der schönsten Freundschaftsverhältnisse meines Lebens führte. Lehrs, der jüngere Bruder eines namhaften Gelehrten in Königsberg, war vor einigen Jahren von dort her nach Paris gekommen, um zu versuchen, sich durch philologische Arbeiten daselbst eine unabhängige Stellung zu gewinnen, welche er, selbst wenn unter schwierigen Umständen, einer Anstellung als Lehrer, wie sie deren einzig in Deutschland Gelehrten zum Unterkommen dienen, vorzog. Sehr bald hatte er Beschäftigung bei dem Buchhändler Didot als Mitarbeiter an einer grossen Ausgabe der griechischen Classiker erhalten, wobei der Verleger, welcher die bedürftige Lage des jungen Gelehrten sich zum Nutzen machte, mehr für das Gelingen seiner Unternehmung, als das Gedeihen des armen Mitarbeiters besorgt war. So hatte Lehrs stets mit grosser Noth zu kämpfen, behielt dabei aber immer eine würdige Laune, und bewährte sich in jeder Hinsicht als ein seltenes Beispiel von Uneigennützigkeit und Aufopferung für Andre. Gänzlich ohne Kenntniss der Musik, auch ohne eigentliches Interesse dafür, sah er zunächst in mir nur den rathbedürftigen Menschen, bald auch den Leidensgenossen im Pariser Elend. Wir wurden bald so vertraut, dass ich ihn fast alle Abende regelmässig mit Anders bei mir eintreten sah. Für diesen war die Begleitung des Freundes schon desshalb von grossem Werthe, weil er, etwas unsicher auf den Füssen, stets mit einem Stock und einem Parapluie zugleich bewaffnet, namentlich bei den Ueberschreitungen belebter Strassen, des Abends sehr ängstlich war. Auch schickte er Lehrs gern zuerst über meine Schwelle, um Robber von sich abzuwenden, vor welchem er eine so auffällige Furcht bezeigte, dass das sonst so gutmüthige Thier hierdurch wirklich zum Argwohn gegen Anders gereizt wurde, und gegen ihn bald eine ähnliche aggressive Abneigung fasste, als wie am Bord der Thetis gegen den Matrosen Koske. Beide lebten in einem hôtel garni der rue de Seine, und klagten viel über ihre Wirthin, welche ihre Einkünfte dermassen in Beschlag nahm, dass sie völlig unter ihrer Vormundschaft standen. Um sich von ihr zu emancipiren, ging Anders bereits seit Jahren damit um, von ihr fortzuziehen, ohne je das Vorhaben ausführen zu können. Bald bestand im Betreff unsrer gegenwärtigen Lage nicht das mindeste Geheimniss mehr zwischen uns, so dass wir mit den Freunden gemeinschaftlich eine, wenn auch aus einander liegende, doch aber durch gleiche Leiden innig verschmolzene Wirtschaft führten.

Für's erste bildeten nun den Gegenstand unsrer Besprechungen die verschiedenen Wege, welche ich zur Erreichung meines Zieles, mich in Paris bekannt zu machen, einschlagen sollte. Das Eintreffen der versprochenen Empfehlungsbriefe Meyerbeer's belebte zunächst unsre Hoffnungen. Der Direktor der Oper, Herr Duponchel, empfing mich wirklich in seinem Bureau; er las den Brief Meyerbeer's durch ein Glas, welches er sich in das rechte Auge klemmte, und verrieth bei dieser Lectüre nicht die mindeste Ergriffenheit. Jedenfalls hatte er dergleichen Empfehlungs-Schreiben Meyerbeer's schon sehr häufig erbrochen. Nachdem er mich verabschiedet, erfuhr ich nie wieder das Mindeste von ihm. Der alte Orchesterchef Habeneck nahm mich dagegen mit einiger, nicht nur scheinbaren, Theilnahme auf, und erklärte auf meinen Wunsch sich bereit, bei vorkommender Muse in einer der Uebungsproben des Orchesters der Conservatoire-Concerte etwas von mir durchspielen zu lassen. Leider hatte ich von selbstständigen Instrumentalcompositionen nichts mir geeignet Dünkendes vorräthig, als meine sonderbare Ouvertüre zu »Columbus«, welche ich, da sie dereinst unter der Mithülfe der tapferen preussischen Militairtrompeter im Magdeburger Theater mir so grossen Applaus eingebracht hatte, immer noch für das bewährteste, meiner Feder entflossene Effektstück hielt. Ich übergab die Partitur und Orchesterstimmen davon Habeneck, und hatte somit unsrem abendlichen Comité eine erste in Gang gebrachte Unternehmung zu berichten. – Von Versuchen, meine mit Scribe angeknüpften Beziehungen jetzt persönlich aufzunehmen, ward ich durch die Vorstellungen der Freunde abgehalten, da sie mir aus der Kenntniss der Dinge leicht nachweisen konnten, dass an ein ernstliches Befassen dieses so ausserordentlich beschäftigten Auteurs mit einem gänzlich namenlosen jungen Musiker gar nicht zu denken sei. Dagegen brachte mich Anders mit einem Herrn Dumersan, mit dem er freundschaftlich bekannt war, zusammen. Dieser bereits stark ergraute Herr war Verfasser einiger 100 Piècen für die kleinen Vaudeville-Theater, und hätte sehr gerne vor seinem Ende noch erlebt, eines seiner Stücke auf einem grösseren lyrischen Theater gespielt zu sehen. Gänzlich ohne Autoren-Eitelkeit, wäre ihm auch die Uebertragung des Arrangements einer bereits fertigen Oper für französische Verse ganz recht gewesen; ihm ward von uns somit die Bearbeitung meines »Liebesverbotes« für ein damals bestehendes drittes lyrisches Theater, welches sich das Théatre de la Renaissance nannte und in der seit ihrem Brande neu hergerichteten Salle Ventadour spielte, vorgeschlagen. Drei Nummern dieser Oper, welche ich für eine verhoffte Audition bestimmte, führte er auf Grund einer wörtlichen Uebersetzung sofort in artigen französischen Versen aus. Ausserdem aber lud er mich ein, zu einem Vaudeville, welches in der Carnevals-Zeit im Theater der Variétés gegeben werden sollte, und » la Descente de la Courtille« betitelt war, einen Chor zu schreiben. – Diess war eine zweite Aussicht. Die Freunde riethen aber, vor allen Dingen einige kleinere Gesangscompositionen zu schreiben, welche ich beliebten Sängern zum Vortrag in den häufigen Concerten anbieten könnte. Lehrs und Anders schafften Texte herbei; Anders brachte von einem befreundeten jungen Poeten ein sehr unschuldiges » Dors mon enfant«, das Erste, was ich in französischer Sprache componirte; es gerieth so gut, dass, als ich spät Abends es mehrmals leise mir auf dem Klavier probirte, meine Frau aus dem Bett mir zurief, das wäre ja ganz himmlisch zum Einschlafen. Ausserdem componirte ich » l'Attente« aus Hugo's » Orientales«, und eine Romanze von Ronsard: » Mignonne«. Diese kleinen Arbeiten, deren ich mich nicht zu schämen habe, veröffentlichte ich später als musikalische Beilage zu der damals von Lewald herausgegebenen »Europa«, wo sie in dem Jahrgange von 1841 erschienen. – Nun verfiel ich aber noch auf den Gedanken, für Lablache eine von ihm als »Orovist« in Bellini's »Norma« einzulegende grosse Bass-Arie mit Chor schreiben zu wollen; Lehrs musste einen italienischen politischen Flüchtling auftreiben, um von ihm den Text zu einer solchen Arie zu erlangen; diess geschah, und ich führte eine effektvolle Composition im Style Bellini's aus, die sich noch unter meinen Manuscripten befindet, und mit welcher ich mich damals unmittelbar zu Lablache verfügte, um sie ihm anzubieten. Der freundliche Mohr, welcher mich in des berühmten Sängers Vorzimmer empfing, wollte mich durchaus sofort unangemeldet zu seinem Herrn einlassen; da ich das Vorkommen bei einem solchen Herrn für sehr schwierig gehalten, hatte ich mich auf das Abweisen gefasst gemacht, und mein Anliegen schriftlich in einem Briefe niedergelegt, wodurch ich mich besser verständigt zu haben glaubte, als es durch mündlichen Vortrag mir möglich gewesen sein würde. Die Zutraulichkeit des schwarzen Dieners setzte mich somit in Verlegenheit; ich drang ihm meine Partitur und den Brief auf, um sie seinem Herrn zu übergeben, achtete nicht seiner mit freundlichem Erstaunen wiederholten Aufforderung, doch nur selbst einzutreten und mit seinem Herrn mich zu unterhalten, und verliess eilig das Haus, um in einigen Tagen mir Antwort zu holen. Als ich wiederkehrte, empfing mich Lablache höchst freundlich, versicherte mich, die Arie sei sehr gut gemacht, nur sei es ganz unmöglich, sie in der bereits so häufig gegebenen Bellini'schen Oper nachträglich noch einzulegen. Dieser Rückfall auf das Bellini'sche Operngebiet, den ich mir durch die Anfertigung dieser Arie zu Schulden kommen liess, war somit ohne Nutzen geblieben, und die Unfruchtbarkeit eines meiner Versuche war demnach schnell entschieden. Ich sah ein, dass ich persönlicher Empfehlungen bei den Sängern und Sängerinnen bedürfen würde, wenn ich meine andren Compositionen zum Vortrag gebracht zu sehen wünschte.

Höchst willkommen war mir daher die endliche Ankunft Meyerbeer's selbst in Paris. Der geringe Erfolg seiner Empfehlungsbriefe, von dem ich ihm berichtete, überraschte ihn so wenig, dass er es im Gegentheil für gut hielt, mich nun darauf aufmerksam zu machen, dass in Paris alles sehr schwierig sei, und ich am Besten thäte, zunächst mich nach bescheidener Lohnarbeit umzusehen. Er führte mich in diesem Sinne bei seinem Verleger Maurice Schlesinger ein, überliess mich dem Schicksale dieser monströsen Bekanntschaft, und reiste nach Deutschland ab. – Da für's erste Schlesinger nicht wusste, was er mit mir anfangen sollte, und die in seinem Bureau unter seinem Protektorat von mir gemachten Bekanntschaften, worunter die des Violinspielers Panofka, auch zu nichts führten, kehrte ich zu meinem häuslichen Berathungs-Conseil zurück, der mir doch schon einiges an die Hand gegeben hatte, wie neuerdings eine Uebersetzung der »beiden Grenadiere« von Heine durch einen Pariser Professor, welche ich für eine Bariton-Stimme zu meiner Zufriedenheit alsbald componirte. – Auf Anders' Vorschlag suchte ich nun Sänger und Sängerinnen für meine neuen angefertigten Compositionen aufzufinden. Mme Pauline Viardot, an die ich mich in erster Linie wandte, ging meine Stücke sehr freundlich mit mir durch, verweigerte mir auch nicht das Zugeständniss ihres Gefallens daran, versicherte mich jedoch, keine Veranlassung zu ihrem Vortrag zu ersehen. Aehnlich ging es mir mit einer Mme Widmann, welche mein » Dors mon enfant« mit schöner Alt-Stimme gefühlvoll mir vorsang, dennoch aber nicht wusste, was sie weiter damit thun sollte. Ein Herr Dupont, dritter Tenor der grossen Oper, versuchte meine Composition des Ronsard'schen Gedichtes, erklärte aber, dass die Sprache, in welcher es verfasst sei, vom jetzigen Pariser Publikum nicht goutirt werden könnte. Herr Géraldy, ein sehr beliebter Concertsänger und Gesanglehrer, welcher mir verschiedene Besuche bei sich gestattete, erklärte die »deux grénadiers«, welche ich ihm anbot, aus dem Grunde für unmöglich, weil die Marseillaise, an welche ich die Begleitung des Schlusses anklingen liess, gegenwärtig in Paris nur in Begleitung von Kanonen- und Gewehrfeuer auf den Strassen gehört zu werden pflegte.

Einzig führte Habeneck sein Versprechen aus, meine Columbus-Ouverture bei Gelegenheit einer Probe vom Orchester mir und Anders vorzuspielen, was ich, da es dabei keineswegs selbst nur auf den Versuch der Zulassung dieser Composition bei einem der berühmten Conservatoire-Concerte abgesehen war, wirklich als eine aufmunternde Artigkeit des alten Herrn anzusehen hatte, welche für jetzt allerdings jede weitere günstige Folge für mich ausschloss, da ich selbst wohl auch inne ward, dass meine ungemein flüchtige Jugendarbeit dem Orchester nur eine confuse Meinung über mich hatte beibringen können. – Doch gewann ich bei diesen Proben unerwartet einen so bedeutenden Eindruck, dass ich ihm eine wichtige Entscheidung für eine jetzt neu sich begründende Wendung meiner künstlerischen Entwickelung beimessen muss. Diess geschah durch meine Anhörung der 9. Symphonie Beethoven's, welche ich nun von diesem berühmten Orchester mit dem Erfolge eines beispiellos andauernden Studiums in so vollendeter und ergreifender Weise vorgetragen hörte, dass, wie mit einem Schlage, das in meiner Jugendschwärmerei von mir geahnte Bild von diesem wunderbaren Werke, nachdem es mir durch die Hinrichtung desselben durch das Leipziger Orchester unter des biedren Polenz' Leitung gänzlich verwischt worden war, nun sonnenhell, wie mit den Händen greifbar, vor mir stand. Wie ich früher nichts als mystische Constellationen und klanglose Zaubergestalten vor mir gesehen hatte, strömte jetzt, wie aus zahllosen Quellen, der Strom einer nie versiegenden, das Herz mit namenloser Gewalt dahinreissenden Melodie entgegen.

Die ganze Periode der Verwilderung meines Geschmackes, welche, genau genommen, mit dem Irrewerden an dem Ausdrucke der Beethoven'schen Compositionen aus dessen letzter Zeit begonnen, und durch meinen verflachenden Verkehr mit dem schrecklichen Theater sich so bedenklich gesteigert hatte, versank jetzt vor mir wie in einem tiefen Abgrund der Scham und Reue.

War diese innere Wendung in den letzten Jahren, namentlich auch durch die Wirkung leidenvoller Lebenserfahrungen auf mich, wohl sehr günstig vorbereitet, so gewann doch nun, durch den unsäglichen Eindruck der 9. Symphonie in einer Ausführung, von welcher in jeder Hinsicht ich zuvor gar keine Ahnung hatte, der neu gewonnene alte Geist erst wirkliche Lebenskraft, und ich vergleiche daher diesen für mich so wichtigen Vorgang mit dem ähnlichen, entscheidenden Eindrucke, welchen ich als 16 jähriger Jüngling vom Fidelio der Schröder-Devrient gewann.

Die nächste Folge hiervon war meine innige Sehnsucht, gerade jetzt, wo das Elend meiner Lage in Paris mir immer klarer bewusst wurde, und ich tief innerlich an jedem Erfolg auf dem betretenen Wege verzweifelte, etwas zu schaffen, was mir ebenso innerlich Genugthuung geben sollte. So entwarf ich eine Ouvertüre zu Faust, welche dem ersten Plane nach nur den ersten Satz einer ganzen Faust-Symphonie bilden sollte, da ich für den zweiten Satz bereits die Ausführung des »Gretchens« ebenfalls im Kopfe trug. Es ist diess dieselbe Composition, welche ich, nachdem ich sie bereits ausser Acht verloren, in Folge sinniger Andeutungen und Wünsche Liszt's fünfzehn Jahre später in einigen Theilen umarbeitete, und welche jetzt unter dem Titel » eine Faust-Ouverture« von mir wiederholt öffentlich aufgeführt und auch sonst weiter beachtet worden ist. Damals hegte ich den Ehrgeiz, eine so beschaffene Composition von dem Orchester des Conservatoires für eines seiner Concerte angenommen zu sehen, erfuhr jedoch, dass man dort der Meinung war, mir bereits genug Aufmerksamkeit erwiesen zu haben, und für einige Zeit mich los zu sein wünschte.

Gänzlich ohne allen Erfolg, wandte ich mich begreiflich an Meyerbeer um nochmalige Empfehlungen, namentlich an Sänger, deren ich bedurfte. Sehr überrascht war ich, als in Folge hiervon Meyerbeer mich aus Berlin an einen wunderlichen Mann, Herrn Gouin, einen Postbeamten und seinen Generalagenten in Paris, mit der Bedeutung empfahl, dass dieser alle näheren Instruktionen von ihm habe, um meinen Wünschen nach Möglichkeit nachzukommen. Vor Allem liess mich Meyerbeer auf diese Weise an Herrn Anténor Joly, Direktor des bereits genannten lyrischen Theaters de la Renaissance, weisen. Herr Gouin vermittelte bei diesem die fast mit bedenklicher Leichtigkeit mir gemachte Zusage, eine Oper, mein » Liebesverbot«, welches eben nur noch zu übersetzen war, aufzuführen. Es handelte sich nur darum, dass ich dem Comité des Theaters einige Nummern meiner Composition in einer Audition zur Prüfung vorführen könnte. Da ich mir die eignen Sänger des Theaters zum Einüben der drei von Dumersan bereits übersetzten Stücke erbat, ward ich allerdings mit dem Bedauern, dass diese Sänger gegenwärtig sämmtlich zu stark beschäftigt seien, abgewiesen. Allein hiergegen wusste Gouin wieder Rath: vermöge seiner vom »Meister« erhaltenen Generalvollmacht warb dieser mehrere, Meyerbeer besonders verpflichtete Sänger für meinen Zweck; Mme Dorus-Gras, eine wirkliche Prima-Donna der grossen Oper, Mme Widmann und Herr Dupont, beide Letztere mir bereits durch meine vergeblichen Bemühungen für meine kleineren Compositionen bekannt, mussten ihre Zusage geben, zu der beabsichtigten Audition mir behülflich zu sein.

So weit hatte ich es nach einem halben Jahre, gegen Ostern 1840, gebracht, und auf die Grundlage der durch die Gouin'schen Abmachungen gewonnenen, mich höchst solid dünkenden Hoffnungen hin, veränderte ich nun, namentlich auch durch Lehr's waghalsige Anempfehlungen bestimmt, meinen bis jetzt befolgten Pariser Lebenszug, indem ich mich entschloss, aus dem obscuren Quartier der Innocents mich nach dem der Künstlerwelt näher liegenden Theile von Paris überzusiedeln. Was diess heissen wollte, und unter welchen Umständen dieses kühne Vorhaben ausgeführt wurde, wird erhellen, wenn ich jetzt näher bezeichne, unter welchen Umständen wir bis dahin durch unsre Pariser Lage uns geschleppt hatten.

Trotzdem wir sogleich nach unsrer Ankunft in Paris uns auf das wohlfeilste eingerichtet hatten, z. B. unser Dîner bei einem kleinen Restaurant zu einem Franken eingenommen, war es doch unmöglich gewesen, zu verhüten, dass der Rest unsrer Ducaten bald gänzlich aufging. Freund Möller hatte uns bedeutet, sobald wir in Noth kämen, uns an ihn zu wenden, da er den Ertrag des ersten ihm vorkommenden guten Geschäftes für uns zurücklegen würde. Es ging nicht anders, als dass ich mich schon jetzt an ihn wendete; einstweilen versetzten wir, was wir irgend an werthvollen Kleinigkeiten besassen. Da ich Scheu trug, mich nach einem Leihhause zu erkundigen, suchte ich im Dictionnaire nach der französischen Bezeichnung einer solchen Anstalt, um diese dann auf einem der Strassenschilder gelegentlich aufzusuchen: in meinem kleinen Handdictionnaire war für die gesuchte Anstalt kein andres Wort als » Lombard« verzeichnet; auf dem Plan von Paris fand sich in einer unentwirrbaren Gegend eine kleine Gasse mit dem Namen » rue des Lombards« genannt. Dort irrte ich nun auf Abenteuer lange umher, ohne irgend eine mir günstige Auskunft erhalten zu können. Dagegen hatte mich an transparenten Laternen häufig die Aufschrift »Mont de piété« neugierig nach der Bedeutung hievon gemacht, und ich ward, als ich mein häusliches Rathscollegium darum befragte, was dieser »Berg der Frömmigkeit« zu bedeuten habe, zu meiner freudigen Ueberraschung darüber belehrt, dass ich eben dort mein Heil zu suchen habe. Nun wanderte zunächst, was wir von Silberzeug besassen, namentlich unsre Hochzeitsgeschenke, zum Commissaire des Mont de Piété». Dann folgten die kleinen Schmucksachen meiner Frau, Reste ihrer ehemaligen Theatergarderobe, worunter ein schöner mit Silber gestickter blauer Schlepprock, welcher einst der Herzogin von Dessau gehört hatte. Freund Möller liess immer noch nichts von sich hören; es galt Tag um Tag zu fristen, um die ersehnte Sendung aus Königsberg erwarten zu können, und so mussten eines Tages selbst unsre beiden Trauringe auf den Mont de Piété wandern. Als immer keine Hilfe kam, erfuhr ich, dass ich an den Versatzscheinen selbst noch letzte Hilfsquellen besass, indem diese zugleich mit dem Besitz des verpfändeten Gegenstandes zu verkaufen waren. Auch hierzu musste endlich gegriffen werden, und namentlich der Dessauer Schlepprock ging bei dieser Gelegenheit gänzlich verloren. – Möller liess in der Tat nie wieder etwas von sich hören. Als er später mich als Dresdner Kapellmeister wieder besuchte, gestand er, nach unsrer Trennung auf das bitterste durch den Bericht demüthigender und geringschätziger Aeusserungen, welche wir über ihn gemacht haben sollten, sich von uns gekränkt gefühlt zu haben, wesshalb er geglaubt habe, seine freundschaftlichen Beziehungen zu uns fahren lassen zu müssen. Wir waren uns untrüglich bewusst, hierdurch gänzlich verleumdet und somit einer sicher verhofften Hilfe in der Noth beraubt worden zu sein.

In der Zeit der hieraus eintretenden Noth betraf uns ein Ereigniss, welches wir als ein Unglück weissagendes Anzeichen empfanden: wir verloren unseren mit so unsäglicher Mühe nach Paris mitgeführten schönen Hund, der, da er jedenfalls ein werthvoller Gegenstand war und überall, wo er sich zeigte, Aufsehen erregte, aller Wahrscheinlichkeit nach absichtlich uns entlockt worden ist. Auch in dem so übermässigen Strassengedränge von Paris hatte er seine schon in London bewährte Sicherheit, sich überall zurecht zu finden, auf das Glänzendste bewährt. Schon in den ersten Tagen war er heimlich in den Garten des Palais royal, wo er viele Hundegesellschaft zu treffen wusste, und ausserdem die Gamins durch sein Apportieren aus dem Wasser des dortigen Bassins unterhielt, spaziert und ruhig wieder zurückgekommen. Am Quai des Pont-neuf bat er uns gewöhnlich um die Erlaubniss, sich baden zu dürfen, und zog dort bald eine so stark anwachsende Versammlung von Zuschauern herbei, welche sich an seinem Untertauchen und Hervorholen von allerhand dort versenkten Kleidungsstücken und Geräthschaften mit lautem Jubel ergötzte, dass die Polizei uns ersuchte, dieser Veranlassung zur Emeute ein Ende zu machen. Als ich ihn eines Morgens wie gewöhnlich zu einer kurzen Erholung auf die Strasse entliess, kehrte er nun nicht wieder zurück, und trotz der sinnreichsten Einfälle, auf die ich gerieth, um wieder in seinen Besitz zu kommen, blieb er spurlos verschwunden. Dieser Verlust erschien manchem der um uns Besorgten als ein Glück, da man sich billiger Weise darüber verwundern zu müssen glaubte, dass wir, ohne alle Subsistenzmittel, ausser uns auch noch einen so übermässig grossen Hund zu ernähren übernommen hätten.

Um jene Zeit, es war diess etwa im zweiten Monate unsres Pariser Aufenthaltes, vereinigte sich nämlich meine aus Leipzig ankommende Schwester Luise mit ihrem bereits seit länger hier sie erwartenden Manne, Friedrich Brockhaus. Sie beabsichtigten, eine gemeinschaftliche Vergnügungsreise nach Italien anzutreten, und Luise benützte den Pariser Aufenthalt zu verschiedenen reichen Einkäufen. Es dünkte mich natürlich, dass sie sich für die Folgen unsrer so sinnlos erscheinenden Uebersiedelung nach Paris in keiner Weise mitleidend oder verantwortlich fühlen konnten, und, ohne uns den falschen Anschein einer angenehmen Lage zu geben, zog ich aus meinen verwandtschaftlichen Beziehungen dennoch auch nicht den geringsten Vortheil. Minna war sogar so gutmüthig, meiner Schwester bei ihren luxuriösen Einkäufen behilflich zu sein, während wir einzig besorgt waren, den wohlhabenden Verwandten den Argwohn zu benehmen, dass wir etwa ihre Theilnahme zu erwecken gesonnen seien.

Dagegen führte mir meine Schwester eine wunderliche Bekanntschaft zu, welche bald zu grosser Theilnahme an allem, was mich betraf, sich bestimmen sollte. Es war diess der junge Maler Ernst Kietz aus Dresden, ein ungemein treuherziger, gutmüthiger Naturmensch, dessen leichtes Talent für Portraitiren in einer ihm eignen bunten Kreidemanier in seiner Heimath den blutjungen Menschen so beliebt gemacht hatte, dass er durch seine gewinnreichen Erfolge sich hatte bestimmen lassen, zur höheren Ausbildung seiner Anlagen sich nach Paris zu wenden, wo er nun seit ziemlich einem Jahre sich aufhielt und im Atelier Delaroche's seine Studien machte. Dass er bei seinem seltsam, fast kindisch zerfahrenen Wesen, beim Mangel aller ernsteren Bildung, und bei der ungemeinen Schwäche seines Charakters hiermit den Weg gewählt hatte, auf welchem er, trotz seines wahrhaften Talentes, bald rettungslos seicht verfallen musste, diess sollte ich zu meinem Bedauern, in Folge meiner anhaltenden freundschaftlichen Beziehungen zu ihm, leider immer mehr inne werden. Für jetzt war mir, und namentlich auch meiner armen, oft sehr vereinsamten Frau, der kindlich zutrauliche Mensch sehr angenehm, und seine grosse Gutmüthigkeit und herzliche Hingebung machten seine Freundschaft in Zeiten der äussersten Noth mir sogar zu einem Quell der Hilfe. Er wurde nun dem abendlichen Familienkreis eingereiht, so sonderbar er auch in jeder Hinsicht im Umgange mit dem alten ängstlichen Anders und dem ernst gediegenen Lehrs sich ausnahm. Seine ungemeine Gemüthlichkeit und seine oft höchst komischen Einfälle machten ihn uns bald unentbehrlich; namentlich ergötzte uns häufig der zuverlässige Eifer, in welchem er sich, ohne in die mindeste Verlegenheit zu gerathen, auf französische Unterhaltung einliess, trotzdem er es später selbst nach einem zwanzigjährigen Aufenthalt noch nicht dazu brachte, nur zweier auf einander folgender Worte sich richtig zu bedienen. Seine Studien bei Delaroche gingen auf die Aneignung der Oelfarbe aus; offenbar zeigte er auch hierzu vieles Talent, dennoch war diess die Klippe, an welcher er scheiterte. Es fand sich nämlich, dass das Umsetzen der Farben auf der Palette, und besonders das Auswaschen der Pinsel, seine Zeit so vollständig in Beschlag nahmen, dass er sehr selten zum eigentlichen Malen kam. Da es nun im tiefen Winter stets so früh Nacht wurde, und er, wenn er mit Palette und Pinsel in Ordnung war, nun nichts mehr sehen konnte, so gelang es ihm, nach meiner Erfahrung, nie, auch nur ein einziges Portrait zu vollenden. Fremde, welchen er empfohlen war und deren Portrait ihm bestellt wurde, mussten stets Paris verlassen, ehe er nur zur Hälfte fertig geworden war; endlich hatte er sich sogar über das ganz besondere Unglück zu beklagen, dass seine Kunden ihm unter dem Portraitiren wegstürben. Nur sein Hauswirth, dem er stets die Miethe schuldig blieb, wusste es so anzufangen, dass Kietz das Portrait gerade dieses schrecklichen Menschen fertig machte; so viel ich weiss, ist diess das einzige von Kietz vollendete Portrait. Dagegen glückten ihm kleine Croquis, wie er sie uns des Abends, angeregt durch Gegenstände unsrer Unterhaltung, sofort zum Besten gab, durch naive Einfälle und leichte Ausführung. Schon in diesem ersten Winter entwarf er auch ein fleissig ausgeführtes Bleistiftportrait von mir, welches er, nachdem er mich noch besser hatte kennen lernen, nach zwei Jahren von Neuem überarbeitete, und in der Fassung beendete, wie es noch jetzt aufbewahrt wird. Es freute ihn, mich in der Stimmung aufzufassen, in welcher er mich beim abendlichen Gespräch, bei behaglicher Belebung meiner Lebensgeister, beobachtet hatte. In der That verging kein Abend, ohne dass die, durch die trostlosen Bemühungen und Erfahrungen des Tages oft verzweiflungsvoll niedergedrückte Stimmung bei mir endlich sich doch bis zum Eintritt der vollen, mir eignen Heiterkeit aufklärte; und den gemüthlichen Kietz reizte es, gerade aus jener kummervollen Periode mich der Welt in der Haltung eines seiner Erfolge vollständig sichren, lächelnd über das Leben hinwegsehenden Menschen darzustellen.

Noch vor Ende des Jahres 1839 war auch meine jüngste Schwester Cäcilie als Gattin des Eduard Avenarius in Paris angekommen. Die Befangenheit, mit uns in leicht erräthlicher bedürfnissvoller Lage hier in Paris, wohin keinerlei solide Aussicht uns geführt hatte, zusammen zu treffen, war uns bei der jungen Frau, welche selbst ihrem Mann in keineswegs bedeutende Verhältnisse gefolgt war, wohl erklärlich. Wir zogen daher vor, statt unsere Verwandten häufig aufzusuchen, lieber abzuwarten, bis sie uns aufsuchen würden, worüber genügende Zeit verstrich.

Sehr erwärmend regte uns dagegen ein längeres Wiedersehen Heinrich Laube's an, welcher im Anfang des neuen Jahres 1840 mit seiner Frau, geb. Iduna Budäus, der jungen Wittwe eines vermögenden Leipziger Arztes, die er seit unsrer letzten Trennung in Berlin unter besonderen Umständen geheirathet hatte, zu seinem Vergnügen auf einige Monate in Paris verweilte. Schon während seiner früher erwähnten langen Untersuchungshaft hatte die junge Frau, von seinem Schicksale gerührt, ohne ihm zuvor durch nähere Bekanntschaft vertraut worden zu sein, grosse Theilnahme und Fürsorge gezeigt. Als ich damals Berlin verliess, erschien auch bald Laube's Verurtheilung, welche unerwartet mild auf ein Jahr städtisches Gefängniss lautete. Es wurde ihm gestattet, nach seiner Wahl seine Strafzeit im Stadtgefängnisse von Muskau in Schlesien zu verbüssen, wo er den Vortheil der Nähe des ihm befreundeten Fürsten Pückler genoss, mit welchem er, unter besonderer Begünstigung der dem Fürsten untergebenen Gefängnissdirektion, in tröstlichen Verkehr und selbst persönlichen Umgang treten konnte. Seine Freundin hatte sich entschlossen, gerade zur Zeit des Antritts seiner Gefängnissstrafe sich ihm zu vermählen, um ihm in Muskau liebevoll behilflich zur Seite sein zu können. War es für mich nun schon an und für sich erfreulich, den älteren Freund in jetzt so vortheilhaft gestalteter Lage wiederzusehen, so empfand ich dagegen auch die wohlthätige Befriedigung, von ihm die früher gewohnte Theilnahme unverändert mir zugewandt zu sehen. Wir waren häufig zusammen; auch unsre Frauen befreundeten sich, und Laube war der erste, welcher meinen tollkühnen Pariser Zug mit gewogenem Humor aufzufassen verstand. – Bei ihm lernte ich auch Heinrich Heine kennen, und beide unterhielten sich oft in gutmüthigen Scherzen, die mich selbst gern zum Lachen brachten, über meine wunderliche Lage. Es war Laube unmöglich, mir über mein Vorhaben, es in Paris zu etwas bringen zu wollen, in ernst bedenklicher Weise Vorstellungen zu machen, da er sah, dass ich selbst mit einer Laune, die wiederum ihn hinriss, meine auf so nichtige Hoffnungen begründete Lage behandelte. Dagegen war er darauf bedacht, wie er, ohne Einspruch gegen die Wahl meines Lebensweges zu erheben, mir helfen könne, und wünschte desshalb von mir nur einen irgendwie plausiblen Plan für meine nächsten Unternehmungen dargelegt zu bekommen, um darauf hin in der Heimath, wohin er bald zurückkehrte, mir Unterstützung erwirken zu können. Nun fand es sich denn, dass um diese Zeit ich in ein so hoffnungsvolles Einvernehmen mit der Direktion des Theaters de la Renaissance trat; hiermit schien ein Boden gewonnen zu sein, und ich glaubte erklären zu dürfen, dass, wenn mir die Deckung meiner Bedürfnisse für ein halbes Jahr versichert würde, ich in dieser Zeit es zu etwas bringen müsste. Laube versprach hierfür zu sorgen, und hielt Wort. Er bestimmte in Leipzig einen seiner vermögenden Freunde und, in Folge dieses Beispiels, auch den vermögenden Theil meiner Familie, mir für ein halbes Jahr eine, durch Avenarius in monatlichen Raten mir auszuzahlende, Sustentation zu erwirken.

Dem zu Folge bestimmten wir uns, wie erwähnt, das hôtel garni zu verlassen und eine selbständige Wohnung in der rue du Helder zu beziehen. Meine Frau, deren vorsichtiges und solides Wesen durch die Nöthigung zur Theilnahme an meiner sorglosen Behandlung der bürgerlichen Lebensfragen bereits in Schwanken und Unsicherheit gebracht worden war, liess sich hierbei namentlich durch die Annahme bestimmen, dass sie es verstehen werde, einen eigenen Haushalt weniger kostspielig einzurichten, als das hôtel garni- und Restaurant-Leben für uns war. Der Erfolg erwies diese Annahme auch als sehr richtig; das Bedenkliche lag nur darin, dass diese eigne Haushaltung eben ohne jeden Besitz erst zu gründen war, somit alles, was eine häusliche Wirthschaft ermöglicht, ohne Mittel dazu, erst angeschafft werden musste. Hierfür wusste nun eben Lehrs, welcher bereits genügend in den eigenthümlichen Zug der Pariser Lebensverhältnisse eingeweiht war, Rath. Nach seiner Auffassung war mein ganzes bis hierher gediehenes Pariser Unternehmen nur durch einen meinem Wagniss entsprechenden Erfolg zu rechtfertigen; da ich ausserdem gar keine Mittel besass, mich in Paris geduldig längere Jahre über der Erwartung hinzugeben, so musste ich auf eine ausserordentliche Begünstigung der Umstände rechnen, oder sofort gänzlich abstehen. Der erwartete Erfolg musste im Laufe eines Jahres eintreten oder ich war unter allen Umständen gescheitert; so hiess es denn wagen, da ich nun einmal »Wagner« hiesse, und er nicht geneigt sei in Betreff meiner, diesen Namen von »Fuhrwerk« abzuleiten. Meine für 1200 Fr. gemiethete Wohnung hatte ich erst in vierteljährlichen Raten zu bezahlen; für das Ameublement und die Ausstattung der Wohnung wies er mir durch Vermittelung der Wirthin seines Hôtels einen »Menuisier« zu, welcher mir alles Nöthige gegen spätere bequem dünkende Abzahlungen lieferte. Lehrs blieb dabei: wenn ich nicht auch nach Aussen hin Selbstvertrauen zeigte, würde ich in Paris zu nichts kommen. Meine Audition stand bevor; das Theater de la Renaissance war mir gewiss; Dumersan begehrte eifrig mein »Liebesverbot« vollends ganz in französische Verse zu bringen. So ward es denn gewagt. Am 15. April zogen wir, zur Verwunderung des Concierge des Hauses der rue du Helder, mit ausserordentlich wenigem Gepäck, in die ziemlich behagliche neue Wohnung ein. –

Mit dem ersten Besuche, den ich in dieser, auf kühne Hoffnungen hin bezogenen Wohnung erhielt, meldete mir Anders, dass das Theater de la Renaissance so eben seinen Bankerott erklärt habe und geschlossen sei. – Diese Kunde, die mich wie ein Donnerschlag traf, schien mehr als ein gewöhnlicher Unglücksfall mir sagen zu wollen: sie enthüllte mir mit Blitzesschnelle zugleich auch die ganze Nichtigkeit der mir eröffneten Aussichten. Meine Freunde sprachen sich offen dahin aus, dass Meyerbeer von den Verhältnissen des Theaters, an welches er mich, von der grossen Oper ab, gewiesen, vermuthlich sehr genau unterrichtet gewesen sei. Den hieran sich knüpfenden Betrachtungen hing ich noch nicht weiter nach, da ich genügenden Grund zur Bitterkeit empfand, wenn ich mir überlegte, was ich nun mit meiner hübsch eingerichteten Wohnung anfangen wollte.

Da meine Sänger bereits die zur Audition bestimmten Stücke des »Liebesverbots« genügend eingeübt hatten, wollte ich hieraus wenigstens den Vortheil ziehen, sie einigen einflussreichen Personen zu Gehör zu bringen. Da es sich eben nur um die Anwohnung dieser kleinen Audition, keineswegs aber um daran sich knüpfende Consequenzen handelte, verweigerte mir Herr Edouard Monnaie, welcher nach Duponchet's Abgang zum provisorischen Direktor der grossen Oper ernannt war, meiner Einladung Folge zu geben um so weniger, als die vortragenden Sänger dem ihm untergebenen Institut angehörten. Ausserdem machte ich mich nun aber auf, Scribe zu besuchen und ihn ebenfalls zu meiner Audition einzuladen; mit freundlichster Bereitwilligkeit sagte er zu. Vor den beiden genannten Herren liess ich eines Tages im Gesang-Foyer der grossen Oper meine drei Stücke, welche ich selbst am Klavier accompagnirte, vortragen; sie fanden die Musik » charmant«. Scribe erklärte seine Bereitwilligkeit, sofort einen Text für mich zu arrangiren, sobald die Administration der Oper mir die Composition desselben auftragen würde, wogegen Herr Monnaie nichts einzuwenden hatte, als dass ein solcher Auftrag sobald nicht möglich sein würde. Dass es sich hier nur um freundliche Phrasen handelte, entging mir nicht, und ich fand es überhaupt, namentlich von Scribe, recht artig, dass er eben nur gekommen war, und mich einer freundlichen Phrase werth gehalten hatte. –

Im Innersten fühlte ich mich wahrhaft nur dadurch beschämt, dass ich mit dem leichtsinnigen Jugendwerke, welchem ich die drei vorgeführten Stücke entnahm, mich ernstlich noch einmal befasst hatte, was natürlich nur in der Meinung geschah, ich würde durch Aneignung des leichtfertigen Geschmacks am schnellsten es in Paris zu etwas bringen. Die Abwendung von dieser Geschmacksrichtung, wie sie längst in mir vorbereitet war, fiel für mich daher mit dem Aufgeben aller Hoffnungen auf Paris zusammen. Dass meine Lage sich so gefügt hatte, dass ich diese bedeutende innere Wendung gegen Niemand, namentlich gegen meine arme Frau, nicht aussprechen durfte, versetzte mich in einen schwermüthigen Zustand. Fuhr ich aber fort, noch gute Miene zum bösen Spiel zu machen, so dachte ich innerlich doch bereits in keiner Weise mehr an die Möglichkeit eines Erfolges in Paris. Einem unabsehbaren Elend entgegensehend, empfand ich ein wahrhaftes Grauen vor der lachenden Gestalt, welche nun in der üppigen Maisonne Paris vor unsren Augen annahm. Die ungünstige Zeit für jeder Art Kunstunternehmungen war somit an sich für Paris eingetreten; von jeder Thüre, an welche ich mit verstellter Hoffnung klopfte, wurde ich mit dem schrecklich monotonen » Monsieur est à la campagne«, abgewiesen. Auf weiten Spaziergängen, auf welchen wir uns so grenzenlos fremd unter dem bunten Menschengewimmel fühlten, phantasirte ich meiner armen Frau oft von den südamerikanischen Freistaaten vor, in welchen man von all diesem unheimlichen Spuck gänzlich entfernt wäre, von Oper und Musik nichts mehr wisse, und sich durch tüchtige Arbeit leicht eine vernünftige Existenz gründen könnte. Minna, die nicht verstand, was das sagen sollte, verwies ich auf eine kürzlich von mir gelesene Erzählung von Zschokke: die Gründung von Maryland, in welcher das Gefühl des Aufathmens gequälter und verfolgter europäischer Einwandrer in sehr verführerischer Weise mir mitgetheilt worden war. Praktischer gesinnt, verwies sie auf die Nöthigung, uns das Aushalten in Paris zu ermöglichen, wesshalb sie auf Ersparnisse aller Art bedacht war. – Ich dagegen entwarf den Plan zum Gedicht meines »fliegenden Holländer«, bei welchem ich die Möglichkeit eines Auftretens in Paris immer noch im Auge behielt. Ich fasste den Stoff nämlich für einen einzigen Akt zusammen, wozu mich zunächst der Gegenstand selbst bestimmte, da ich auf diese Weise ihn, ohne alles jetzt mich anwidernde Opernbeiwerk, auf den einfachen dramatischen Vorgang zwischen den Hauptpersonen zusammengedrängt geben konnte. Nach der praktischen Seite hin glaubte ich aber annehmen zu dürfen, dass ich für eine einaktige Oper, wie man sie als sogenanntes Lever de rideau vor einem Ballet in der grossen Oper häufig gab, am ehesten Aussicht zur Annahme meiner projektirten Arbeit hätte. Hierüber schrieb ich Meyerbeer nach Berlin, und bat um seine Verwendung. Ausserdem nahm ich jetzt die Composition des » Rienzi« wieder auf, an welchem ich nun ununterbrochen bis zur Vollendung weiter arbeitete.

Unterdess trübte sich unsere Lage immer mehr; die durch Laube erwirkten Subsidien war ich genöthigt bald vorschussweise aufzuzehren, wodurch ich mich der Theilnahme meines Schwagers Avenarius, der unsre Pariser Niederlassung immer unbegreiflicher fand, stets mehr entfremdete. – Eines Morgens, als wir in grosser Sorge die Möglichkeit der Erschwingung des ersten Miethzins-Termines berathen hatten, meldete sich ein Facteur der Messagerien mit einem aus London mir zugeschickten Pakete; ich hielt es für eine Sendung des Himmels, und erbrach das Siegel, während nun ein Buch zur Einzeichnung der Empfangsbescheinigung mir vorgeschoben wurde, in welchem ich zugleich ersah, dass ich sieben Franken für das Porto zu bezahlen hätte. Zu meinem Schreck erkannte ich ausserdem in dem Paket die Partitur meiner Ouverture » Rule Britannia«, welche von der philharmonischen Gesellschaft in London mir zurückgesandt wurde. Wüthend erklärte ich dem Ueberbringer, dass ich das Paket nicht annähme, wogegen er auf das Lebhafteste remonstrirte, da ich es jetzt bereits eröffnet hatte. Nichts half ihm: ich hatte keine sieben Franken; ich erklärte, er habe mir zu spät die Berechnung des Porto's mitgetheilt, und zwang ihn so, das einzige Exemplar meiner Ouverture der Compagnie der Herren Laffitte und Gaillard als Eigenthum, über welches sie nach Gutdünken verfügen könnten, zurückzustellen. Was aus diesem Manuscript geworden, interessirte mich nie zu erfahren. –

Gegen solche Calamität wusste nun Kietz plötzlich guten Rath zu schaffen. Von einem alten Fräulein Leplay, einer sehr reichen und wunderlich geizigen alten Jungfer in Leipzig, hatte er den Auftrag erhalten, in Paris ein billiges Absteigequartier für sich und Kietz'ens eigene Stiefmutter, in deren Gesellschaft sie zu reisen gedachte, zu besorgen. Da unsre, wenn auch nicht grosse, dennoch über unsren Nothbedarf geräumige Wohnung uns bereits schnell zur peinlichsten Last geworden war, standen wir keinen Augenblick an, sofort den besseren Theil derselben für die Dauer ihres Pariser Aufenthaltes, welcher gegen zwei Monate währte, ihr zu vermiethen. Ausserdem besorgte meine Frau den Gästen, ganz wie in einem hôtel garni, das Frühstück, wobei sie sich freute, die wenigen Sous, welche hierbei herauskamen, als ihr Verdienst anzusehen. So lästig uns das wunderliche Original von alter Jungferschaft fiel, half doch das mit ihr eingegangene Geschäft einigermassen die schwere Zeit zu überstehen, und ich vermochte es, trotz der häuslichen Unruhe, ungestört an meinem »Rienzi« fortzuarbeiten. – Schwieriger wurde diess, als wir nach dem Abzug des Fräuleins Leplay ein Zimmer unsrer Wohnung von Neuen an einen deutschen Geschäftsreisenden vermietheten, welcher in seinen Mussestunden eifrig Flöte blies. Dieser nannte sich Brix, war ein bescheidener, gutartiger Mensch, welcher uns durch einen seither neu gewonnenen Freund, den Maler Pecht, zugewiesen worden war. Pecht war mir durch Kietz bekannt geworden, welcher mit diesem gemeinschaftlich in Delaroche's Atelier studirte. Er war der volle Gegensatz von Kietz; mit offenbar geringerem Talente begabt, erfasste er dagegen seine Aufgabe, unter schwierigen Umständen in möglichst kurzer Zeit die Oelmalerei zu erlernen, mit einem ungewöhnlichen Fleiss und Ernste; dazu war er gebildet, sowie weiterer Ausbildung mit Eifer zugänglich, und erwies sich überhaupt rechtschaffen, streng und zuverlässig. Wenn auch nicht in dem Grade von Vertraulichkeit unsrem Verkehre eingeweiht, wie die drei älteren Freunde, gehörte er doch von nun an zu diesen wenigen, welche im Trübsal fortgesetzt treu zu uns hielten, und fast regelmässig des Abends bei uns sich einfanden.

Von Laube's fortgesetzter Freundessorge für mich erhielt ich eines Tages einen überraschend neuen Beweis. Der Intendant eines Grafen Kuscelew fand sich bei mir ein, und eröffnete mir nach einigen Erkundigungen über meine Situation, von welcher der Graf durch Laube in Karlsbad unterrichtet worden war, kurz und bündig, dass sein Patron mir nützlich zu sein und mich desshalb kennen zu lernen wünsche. Dieser beabsichtigte nämlich, in Paris das Personal einer kleinen komischen Oper zu engagiren, welches ihm auf eines seiner Güter nach Russland folgen sollte; für diese suche er einen Musikdirektor, welcher gewandt genug sei, ihm bereits bei der Aufbringung der Truppe in Paris behülflich zu werden. So liess ich mich denn willig in das Hôtel des Grafen selbst bescheiden, fand da einen geschmeidig zutraulich sich gebärdenden, bereits etwas ältlichen Herrn, welcher gutmüthig von mir sich meine kleinen französischen Gesangscompositionen vortragen liess. Mit einem Blick hatte jedenfalls der menschenkundige Herr gewahrt, dass ich nicht sein Mann sei, und liess sich, unter allerhand freundlichen Bezeugungen, in weitere Verhandlungen über die mir mitgeteilte Opernunternehmung nicht erst weiter ein. Dagegen übersandte er mir noch am selbigen Tage mit einigen freundlichen Zeilen 10 Napoleonsd'or, von denen ich nicht wusste, was damit bezahlt sein sollte. Ich schrieb ihm daher, bat mir nähere Angabe dessen, was er von mir wünsche, und ersuchte ihn um die Bestellung einer Composition, da ich annähme, er habe mir das Honorar dafür im Voraus bezahlt. Da ich keine Antwort erhielt, suchte ich mehrmals, aber vergebens, bei ihm wieder vorzukommen. Auf andrem Wege erfuhr ich später, dass Graf Kuscelew nur den Genre der Oper Adams' anerkenne, und in Betreff des zu engagirenden Opernpersonales seinen Neigungen gemäss es ausserdem mehr auf einen kleinen Sérail, als auf ein Kunstinstitut abgesehen hatte. –

Mit dem Musikhändler Schlesinger hatte ich es bisher zu nichts bringen können. Es war mir unmöglich, ihn zur Herausgabe meiner kleinen französischen Gesangscompositionen zu bewegen. Um auf diesem Wege aber doch auch etwas für mein Bekanntwerden zu thun, entschloss ich mich, auf meine Kosten die »deux grénadiers« bei ihm stechen zu lassen. Kietz musste ein grossartiges Titelblatt dazu auf Stein zeichnen. Schliesslich berechnete mir Schlesinger fünfzig Franken für die Kosten. Das Schicksal dieser Publikation ist immerhin merkwürdig: das Werk trug Schlesinger's Verlags-Firma, und der Ertrag des Verkaufes sollte, da alle Kosten mir zur Last fielen, natürlicher Weise zu meinem Vortheil berechnet werden. Dass gar kein Exemplar davon abgesetzt wurde, musste ich den späteren Versicherungen des Verlegers glauben. Nachdem ich später in Dresden durch meinen »Rienzi« schnell einen Namen gewonnen, fand der Mainzer Musikhändler Schott, dessen Verlag fast ausschliesslich aus französischer übersetzter Waare bestand, es gerathen, diese »deux grénadiers« für Deutschland abzudrucken. Unter den Text der französischen Uebersetzung liess er den deutschen Originaltext von Heine setzen, welcher jedoch, da das französische Gedicht eine sehr freie Bearbeitung, namentlich auch im Versmass gänzlich verschieden vom Original war, in so grotesker Weise zu meiner Composition passte, dass ich über die mir angethane Schmach empört, gegen die Schott'sche Publikation, als einen ohne mein Wissen angefertigten Nachdruck, zu protestiren mich genöthigt hielt. Hiergegen drohte Schott mir mit einem Injurienprozess, weil seine Ausgabe nach der bestehenden Uebereinkunft nicht ein Nachdruck, sondern ein Abdruck sei, was mich, um von weiteren Verdriesslichkeiten verschont zu bleiben, zu einer auf die von mir ungekannte Unterscheidung sich beziehende Ehrenerklärung zu geben bewog. Als ich nun im Jahre 1848 in Paris beim Nachfolger Schlesinger's, Herrn Brandus, mich nach dem Schicksale meines Werkchens, von dem ich erfuhr, dass man eine neue Ausgabe gemacht hatte, erkundigte, wollte man von irgend einem Rechte meinerseits nicht das Mindeste wissen. Da ich keine Lust hatte, für mein Geld mir ein Exemplar zu kaufen, habe ich mich daher bis auf den heutigen Tag ohne Besitz meines Eigenthums behelfen müssen. In welchem Maasstabe sich später ähnliche gewinnreiche Beziehungen zu der Herausgabe meiner Werke steigerten, wird sich in der Folge zeigen.

Für jetzt handelte es sich darum, Schlesinger für die berechneten fünfzig Franken zu entschädigen; er schlug mir dazu Arbeiten für die von ihm herausgegebene » Gazette musicale« vor; da ich in keiner Weise der französischen Sprache für schriftstellerische Arbeiten mächtig genug war, mussten meine Artikel übersetzt und die Hälfte des Honorars für den Uebersetzer bezahlt werden. Immerhin tröstete er mich, dass ich für den Druckbogen gelieferter Arbeit doch noch sechzig Franken bekommen würde; was ein solcher Druckbogen hiess, sollte ich bald erfahren, als ich um meiner Bezahlung willen bei dem hierzu stets höchst verdrossenen Verleger mich zu melden hatte, dieser ein widerwärtiges eisernes Instrument, auf welchem die Zeilen der Spalten mit Zahlen abgemessen waren, an den zu taxirenden Artikel anlegte, und nach sorgfältiger Abrechnung des Raumes für Titel und Unterschrift die Addition der Zeilen ausführte, wobei es sich herausstellte, dass, was ich für einen Bogen gehalten hatte, eigentlich nur ein halber Bogen war. – Genug, ich begann nun für das wunderliche Schlesinger'sche Blatt Artikel zu schreiben. Der erste war ein grösserer Aufsatz: de la musique allemande, in welchem ich mich über den innigen und ernsten Charakter des deutschen Musiktreibens mit damals mir nöthiger schwärmerischer Uebertreibung ausliess, so dass schon Freund Anders bemerkte, es wäre schön, wenn es in Deutschland wirklich so wäre. Ich genoss die für mich überraschende Genugthuung, diesen Artikel in der Folge in einer Mailändischen Musikzeitung italienisch reproducirt zu sehen, wobei es mir Lächeln erweckte, aus einem, gegenwärtig wohl nicht mehr möglichen, Versehen als: » dottissimo musico tedescho« angeführt zu werden. Schon jetzt schien mein Aufsatz nicht ungünstig bemerkt worden zu sein; Schlesinger ersuchte mich, über die Bearbeitung des Pergolesischen Stabat mater von dem russischen General Lwoff einen – jedenfalls empfehlenden – Artikel zu liefern, was ich mit zweckdienlicher Breite zu ermöglichen suchte. Aus eigenem Antrieb schrieb ich den bereits gemüthlicher gehaltenen Aufsatz: »Du métier du Virtuose et de l'indépendance du Compositeur«.

Unterdessen überraschte mich mitten im Sommer eine Ankunft Meyerbeer's, welcher sich auf 14 Tage in Paris einfand. Er bezeigte sich sehr theilnehmend und verbindlich. Da ich ihm meine Idee, eine einaktige Eröffnungsoper für das Ballet zu schreiben, und meine Bitte, hierzu mit dem neuesten Direktor der grossen Oper, Herrn Léon Pillet, mich bekannt zu machen, mittheilte, trug er endlich auch kein Bedenken, diesen Herrn mit mir zu besuchen und mich ihm zu empfehlen. Leider hatte ich die unangenehme Ueberraschung, bei den ernstlichen Berathungen der beiden Herren darüber, was mit mir anzufangen sei, Meyerbeer auf den Vorschlag gerathen zu sehen, ich möchte mich doch entschliessen, mit einem andern Componisten zusammen einen Akt zu einem Ballet zu componiren. Hiervon wollte ich natürlich nichts wissen, und übergab dagegen Herrn Pillet den sehr kurz gefassten Entwurf des Sujets des » fliegenden Holländer's«. – So weit war es wieder gediehen, als Meyerbeer, diesmal für lange Zeit, wieder Paris verliess.

Während ich längere Zeit von Herrn Pillet gar nichts erfahren konnte, arbeitete ich nun fleissig an der Composition des »Rienzi« weiter; musste mich aber, zu meinem nagenden Kummer, oft darin unterbrechen, um Arbeiten für Schlesinger, welche mir das Leben zu fristen helfen sollten, zu fördern. Da bei meiner Mitarbeiterschaft an der »Gazette musicale« so gar wenig herauskam, trug mir Schlesinger eines Tages die Verfertigung einer Methode für Cornet à pistons auf. Meinem Staunen darüber, wie ich diess beginnen sollte, entgegnete er mit der Zusendung von fünf, bereits erschienenen, verschiedenen Schulen für das Cornet à pistons, welches damals das beliebteste Privatinstrument der jüngeren männlichen Bevölkerung von Paris war. Aus diesen fünf Methoden sollte ich sehr einfach eine sechste neue combiniren, da es Schlesinger eben nur darauf ankam, eine solche in seinem Verlag zu haben. Wirklich begann ich mir ganz ernstlich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie ich diess anfangen sollte, als Schlesinger mich von dieser Zumuthung wieder befreite, da ihm so eben eine bereits fertige Methode eingesandt worden sei. Dagegen sollte ich nun nicht weniger wie vierzehn » Suiten« für Cornet à pistons schreiben; hierunter wurden Auszüge von Opermelodien für dieses Instrument verstanden, und um für diese Arbeit mich mit Stoff zu versehen, schickte mir Schlesinger nicht mehr wie 60 vollständige Opernklavierauszüge in's Haus. Diese durchsuchte ich nun nach geeigneten Melodien für meine Suiten, merkte in jedem Bande die aufgefundenen Stellen mit Papierstreifen an, und führte mit den 60 Klavierauszügen ein sonderbar construirtes Bauwerk um meinen Arbeitstisch auf, um von meinem Sitze aus nach möglichster Varietät den melodischen Stoff zur Hand zu haben. Zu meiner grossen Befriedigung, jedoch zur Bestürzung meiner armen Frau, eröffnete mir mitten in dieser Arbeit Schlesinger, dass Herr Schiltz, der Haupt-Cornetbläser von Paris, welchem er meine Etuden vor dem Stiche zur Durchsicht mittheilen musste, erklärt habe, ich verstünde ja gar nichts von dem Instrumente, und hätte gemeiniglich zu hohe Tonarten gewählt, welche die Pariser nicht herausbringen würden. Das bereits von mir Gearbeitete wurde unter diesen Umständen, da Schiltz zur Verbesserung sich bereit erklärte, allerdings gegen Abzug der Hälfte des Honorars, welche an diesen bezahlt werden musste, beibehalten; des weiteren aber wurde ich von dieser Bestellung befreit, und die 60 Klavierauszüge wanderten wieder in das merkwürdige Magazin der rue Richelieu zurück.

So stand es denn um meine Einkünfte wiederum schlecht genug; die Noth im Hause wuchs, während ich allerdings wieder Freiheit hatte, um die letzte Hand an » Rienzi« zu legen. Am 19. November vollendete ich endlich diese umfangreichste aller Opern gänzlich. Ich hatte mich bereits dafür entschieden, dieses Werk dem Dresdner Hoftheater zur ersten Aufführung anzubieten, um im glücklichen Fall hierdurch mir wieder die Brücke nach Deutschland zu bauen. Für Dresden hatte ich mich bestimmt, weil ich dort in Tichatscheck den besten Tenoristen für die Hauptrolle anzutreffen wusste; dazu rechnete ich auf meine Bekanntschaft mit der von früher her mir freundlich gesinnten Schröder-Devrient, welche sich, aus Rücksichten für meine Familie, schon seiner Zeit für die Empfehlung meiner »Feen« am Dresdner Hoftheater, wenn auch vergeblich, bemüht hatte; ausserdem kannte ich in dem Theatersekretär, Hofrath Winkler (genannt Theodor Hell), einen alten Freund meiner Familie, auch der Kapellmeister Reissiger war mir, bei Gelegenheit jenes Jugendausfluges mit Apel nach Böhmen, durch einen in Dresden lustig verlebten Abend bekannt geworden. An all diese Genannten setzte ich nun beziehungsvolle, beredtsame Briefe auf, fügte ein offizielles Schreiben an den Intendanten, Herrn von Lüttichau, ja sogar ein formelles Bittgesuch an den König von Sachsen bei, und machte nun alles zur Versendung fertig.

Zuvor hatte ich nicht versäumt, die genaue Angabe der Tempi meiner Oper mit Hilfe des Metronomen anzugeben; da ich kein solches Instrument besass, hatte ich mir dieses ausleihen müssen, und machte mich nun eines Morgens auf, um den Metronomen, unter meinem dünnen Mäntelchen verborgen, dem Eigenthümer zurück zu stellen. – Der Tag, an welchem diess geschah, war einer der merkwürdigsten meines Lebens, weil an ihm sich das ganze Missgeschick meiner damaligen Lage in wirklich grauenvoller Weise zusammendrängte. Ausserdem dass ich von Tag zu Tag nicht wusste, woher die wenigen Franken zu nehmen seien, um von Minna unsre dürftige Wirthschaft bestreiten zu lassen, waren nun einige Wechsel fällig geworden, welche ich nach Pariser Gewohnheit für die Einrichtung meiner Wohnung seiner Zeit ausgestellt hatte. Irgend eine Rettung erwartend, musste ich zunächst versuchen, die Inhaber der Wechselbillets zur Gestundung zu überreden; da solche Wechsel als Commerce-Papiere durch vielerlei Hände gehen, hatte ich in den verschiedensten Quartiers die Betreffenden aufzusuchen; an dem genannten Tage galt es, einen Käsehändler in einem fünften Stock der Cité zu beschwichtigen. Zugleich hatte ich vor, den Bruder meiner beiden Schwäger Brockhaus, Heinrich, welcher um diese Zeit nach Paris gekommen war, um seine Hilfe anzugehen; bei Schlesinger wollte ich mir so viel Geld verschaffen, um meine heute abzusendende Partitur auf der Messagerie frankiren zu können. Während ich nun zu gleicher Zeit auch den ausgeliehenen Metronomen fortzutragen hatte, verliess ich nach bangem Abschied am frühen Morgen Minna, welche aus Erfahrung wusste, dass sie, wenn ich, um Geld aufzutreiben, ausging, mich vor spätem Abend nicht wiederzusehen bekäme. Die Strassen bedeckte ein dicker Nebel, und als ich zum Hause heraustrat, war der erste Gegenstand, den ich erkannte, mein vor einem Jahre mir entführter Hund Robber. Ich glaubte zuerst ein Gespenst zu sehen, rief ihn aber hastig mit schriller Stimme an; das Thier erkannte mich augenscheinlich, und kam ziemlich nahe an mich heran; da ich aber hastig mit ausgestrecktem Arm auf ihn zuschritt, schien bei dem ebenfalls überraschten Thiere sofort die Furcht vor einer Züchtigung, wie ich sie ihm in der letzten Zeit unseres Zusammenlebens thörichter Weise einige Male zugefügt hatte, jede andere Erinnerung zu bemeistern; er wich scheu von mir zurück, und da ich ihm hastig nachlief, jagte er immer eiliger vor mir davon. Dass er mich erkannt, ward mir immer deutlicher, als ich ihn an den Strassenecken sich ängstlich nach mir umwenden sah, und, da er mich wie einen Rasenden ihm nachjagend bemerkte, er von Neuem zu verstärkter Flucht sich anliess. So verfolgte ich ihn durch ein im dicken Nebel kaum erkennbares Strassengewirr, bis ich schweisstriefend und athemlos, mit meinem Metronomen belastet, ihn bei der Kirche St. Roch endlich auf Nimmerwiedersehen aus den Augen verlor. – Eine Zeit lang stand ich wie erstarrt da, und stierte in den Nebel hinein. Ich frug mich, was diese gespenstische Wiedererscheinung des Gefährten meiner Reise-Abenteuer an diesem schrecklichen Tage zu bedeuten habe. Dass er mit der Scheue eines wilden Thieres vor seinem alten Herrn davonfloh, dünkte mich, wie es mein Herz mit einer seltsamen Bitterkeit erfüllte, als ein grauenvolles Anzeigen. Tief erschüttert machte ich, mit wankenden Knien, mich zu meinen traurigen Geschäften weiter auf. – Heinrich Brockhaus, nachdem er mir versichert hatte, dass er mir unmöglich helfen könnte, verliess ich mit Beschämung und unter der Bemühung, ihm das Schmerzliche dieser Beschämung zu verbergen. Meine übrigen Verrichtungen fielen hoffnungslos so aus, dass ich, nachdem ich schliesslich in Schlesinger's Bureau stundenlang das absichtlich verzögerte fadeste Geschwätz der Besucher meines Brodherrn hatte ertragen müssen, ohne die mindeste Hilfe bei eingebrochener Nacht mich wieder unter den Fenstern meines Hauses zeigte, an welchen ich Minna, mit hochgestiegener Beklemmung nach mir ausspähend, gewahrte. Sie hatte unterdessen, mein Missgeschick ahnend, unsren Miethgenossen und Kostgänger, den um seiner Gutmüthigkeit willen mühsam, doch geduldig ertragenen Flötenbläser Brix, in guter Manier um einen kleinen Vorschuss angegangen, und konnte mir wenigstens eine stärkende Mahlzeit bieten. Weitere Hilfe sollte von nun an für einige Zeit, wenn auch unter schweren Opfern für mich, aus dem Erfolg einer Donizetti'schen Oper erwachsen.

Ein höchst schwächliches Werk des italienischen Maëstro, » La Favorite«, welches aber von dem bereits tief gesunkenen Pariser Publikum, zweier Cabaletten wegen, mit grossem Beifall aufgenommen worden, hatte Schlesinger, welcher an den letzten Halévy'schen Opern sehr zu Schaden gekommen war, angekauft, und, meine ihm bekannte hilflose Lage benutzend, stürmte er eines Morgens mit groteskem Freudestrahlen in meine Wohnung, verlangte Feder und Papier, um eine Berechnung der enormen Einnahmen, welche er mir zuzuwenden sich entschlossen habe, mir vor die Augen zu stellen. Er schrieb nieder: » La Favorite, vollständiger Klavierauszug, Klavierauszug ohne Worte zu zwei Händen, dito zu 4 Händen, vollständiges Arrangement für Quatuor, ebenso für zwei Violinen, dito für Cornet à pistons. Für diese Arbeiten 1100 Franken. Sofort Vorschuss von 500 Franken.« Mit einem Blick übersah ich, welches Elend ich mit dieser Bestellung übernahm, schwankte jedoch keinen Augenblick, sie anzunehmen. – Als ich die 500 Franken in harten Fünffrankenthalern nach Haus gebracht und zu unsrem Ergötzen auf den Tisch gehäuft hatte, besuchte uns zufällig meine Schwester Cäcilie Avenarius. Der Anblick unsres Reichthums wirkte ermuthigend auf ihre bisherige Bangigkeit in Betreff ihres Umgangs mit uns; von hieran sahen wir uns öfter, und wurden häufig von ihnen des Sonntags zum Dîner eingeladen. – Mir war jedoch um keine Art Zerstreuung mehr zu thun; die Erschütterungen der letzten Vergangenheit hatten so ernst auf mich gewirkt, dass ich jetzt, wie zur Busse all' meiner je begangenen Sünden, mir die Pönitenz einer athemlosen Hingebung an die so demüthigende und doch einzig hülfreiche Arbeit bestimmte. Wir beschränkten uns zur Ersparniss an Heizung auf unser Schlafzimmer, welches wir zum Salon, Speise- und Arbeitszimmer zugleich machten; mit zwei Schritten war ich aus dem Bett am Arbeitstisch, von welchem ich den Stuhl nur zum Speisetisch herumdrehte, und nur vollständig von ihm aufstand, um mich spät wieder zu Bett zu begeben. Regelmässig jeden vierten Tag gönnte ich mir einen kleinen Ausgang zur Erholung. Da diese Kasteiung ziemlich den ganzen Winter andauerte, legte ich hiermit den Grund zu den mein übriges Leben hindurch mehr oder minder stets mich belästigenden Unterleibsleiden.

Mein Erwerb vermehrte sich durch die äusserst zeitraubende und peinliche Correktur der Partitur der Donizetti'schen Oper, für welche ich von Schlesinger, da er zu dieser Arbeit niemand anders hatte, 300 Franken erpresste. Dabei musste ich noch Zeit finden, die Orchesterstimmen meiner »Faustouverture«, von der ich immer noch hoffte, sie im Conservatoire aufgeführt zu hören, selbst auszuschreiben; und um einigermassen mich gegen den Eindruck der schändlichen musikalischen Arbeit aufrecht zu erhalten, schrieb ich zunächst eine kleine Novelle: » Eine Pilgerfahrt zu Beethoven«, welche unter dem Titel » une visite à Beethoven« in der »Gazette musicale« erschien. – Unverhohlen gestand mir Schlesinger, dass diese Novelle Aufsehen erregt und ungewöhnlichen Beifall gefunden habe, wie sie in Wahrheit ganz oder bruchstückweise auch in vielen Unterhaltungsblättern reproducirt worden war. Er forderte mich auf, mit ähnlichem fortzufahren. Mit einer Fortsetzung der Novelle unter dem Titel: » Das Ende eines Musikers in Paris«, französisch: » Un musicien étranger à Paris«, nahm ich Rache für alle mir widerfahrene Schmach. Sie gefiel Schlesinger bei weitem weniger, trug mir aber namentlich von seinem armen Commis rührende Beifallsbezeugungen, und von H. Heine den Lobspruch: »so etwas hätte Hoffmann nicht schreiben können«, ein. Selbst Berlioz rührte sich, und gedachte in einem seiner Feuilletons des Journal des Débats mit Anerkennung meiner Novelle. Ein weiterer musik-ästhetischer Aufsatz: »über die Ouverture« wendete mir seine, jedoch nur im Gespräch mitgetheilte, Sympathie namentlich dafür zu, dass ich, mein Prinzip für diese Gattung von Composition damit erhellend, Gluck's Ouverture zur »Iphigenie in Aulis« als Muster hinstellte.

Diese Annäherung ermuthigte mich zu dem Versuch, mich mit Berlioz enger zu befreunden. Wohl war ich ihm bereits seit länger in dem Schlesinger'schen Geschäftsbureau, wo ich ihn seitdem auch öfters antraf, vorgestellt. Ein Exemplar meiner » deux grénadiers« hatte ich ihm überbracht, konnte von ihm darüber jedoch nichts andres herausbringen, als dass er nur ein wenig Guitarre spiele, und es sich nicht auf dem Klavier vorspielen könne. Dagegen hatten seine grossen Instrumentalcompositionen, welche ich schon im vorangehenden Winter verschiedentlich unter seiner Leitung gehört, einen ungemein anregenden Eindruck auf mich hinterlassen. In jenem Winter (1839-1840) führte er in drei verschiedenen Aufführungen, von denen ich einer beiwohnen konnte, zum ersten Male seine »Romeo und Julie«-Symphonie auf. Diess war mir allerdings eine neue Welt, in welcher ich mich, ganz den empfangenen Eindrücken gemäss, mit voller Unbefangenheit zurecht zu finden suchte. Zunächst hatte die Gewalt der nie zuvor von mir geahnten Virtuosität des Orchester-Vortrages auf mich geradezu betäubend gewirkt. Die phantastische Kühnheit und scharfe Präcision, mit welcher hier die gewagtesten Combinationen, wie mit den Händen greifbar, auf mich eindrangen, trieben mein eignes musikalisch-poetisches Empfinden mit schonungslosem Ungestüm scheu in mein Inneres zurück. Ich war ganz nur Ohr für Dinge, von denen ich bisher gar keinen Begriff hatte, und welche ich mir zu erklären suchen musste. In » Romeo und Julie« hatte ich allerdings häufig und andauernd Leeren und Nichtigkeiten empfunden, was mich um so mehr peinigte, als ich andrerseits von den mannichfaltigen hinreissenden Momenten in diesem, durch seine Ausdehnung und Zusammenstellung in Wahrheit dennoch verunglückten Kunstwerke, mich bis zur Vernichtung jeder Möglichkeit eines Widerspruchs überwältigt fand. Dieser neuen Symphonie liess Berlioz im gleichen Winter noch Wiederaufführungen seiner »Sinfonie fantastique« und seines »Harald« folgen. Hatte ich in der »Sinfonie fantastique« namentlich den eingewobenen musikalischen Genre-Bildern, der »Harald«-Symphonie jedoch fast gänzlich in jeder Hinsicht mit staunender Ergriffenheit folgen können, so hatte die neueste Arbeit des wundersamen Meisters, seine »Trauersymphonie für die Opfer der Julirevolution«, welche er im vergangenen Sommer 1840 zur Feier der Beisetzung der Juligefallenen unter der Säule des Bastilleplatzes, für eine ungeheure, auf das geistvollste von ihm combinirte Militärmusik aufführte, mich vollends mit der Grösse und Energie dieser in seiner Art einzigen und ganz unvergleichlichen Künstlernatur bekannt gemacht, ohne dass ich jedoch eine seltsame, tiefe und ernstliche Beklommenheit dem Totaleindruck dieser Erscheinung gegenüber hätte überwinden können. Es blieb mir eine Scheu wie vor etwas Fremdem, mit welchem ich nie vollständig vertraut werden würde, zurück, und diese Scheu nahm den Charakter eines bedenkenvollen Nachsinnens darüber an, dass ich von einem grösseren Berlioz'schen Werke mich ebenso hingerissen, als zu Zeiten auch unleugbar abgestossen, mitunter geradewegs gelangweilt fühlte. Das Problem, welches mich Jahre lang Berlioz gegenüber in peinlicher Spannung erhielt, gelang mir erst in viel späterer Zeit mir klar zum Bewusstsein zu bringen und zu lösen.

Gewiss war es, dass ich um jene Zeit mich schülerhaft klein neben Berlioz empfand; und so versetzte es mich denn in wahrhafte Verlegenheit, als Schlesinger jetzt den Erfolg meiner Novelle in einem mir günstigen Sinne auszubeuten beschloss, und mich aufforderte, in einem grossen, von der Redaktion der »Gazette musicale« zu gebenden Concerte, etwas für Orchester von mir aufführen zu lassen. Ich begriff nämlich, dass keine meiner vorräthigen Compositionen, weder nach der einen, noch der andren Seite hin, hier vortheilhaft, für mich am Platze sein würde. Meiner neuen »Faust-Ouverture« traute ich noch nicht, namentlich ihres zartausgehenden Schlusses wegen, der, wie mich dünkte, nur vor einem mir bereits befreundeten Publikum im Sinne des äusseren Erfolges Beachtung finden konnte. Da mir ausserdem bedeutet wurde, dass nur ein Orchester zweiten Ranges – das damalige Valentino'sche des Casino der rue St. Honoré – und ausserdem nur eine Probe mir zu Gebote stünden, glaubte ich nur die Wahl zu ersehen, entweder ganz abzustehen, oder es noch einmal mit meiner flüchtigen Jugendarbeit, jener Magdeburger »Columbus-Ouverture«, zu versuchen. Ich entschloss mich zu der letzteren. – Als ich mir die Orchesterstimmen dieser Ouverture von Habeneck, der sie noch im Archiv des Conservatoires verwahrte, zurückholte, warnte mich dieser trocken, aber wohlmeinend, vor der Gefahr, mit dieser Composition vor das Pariser Publikum zu treten, da sie, wie er sich ausdrückte, zu » vague« sei. – Eine grosse Schwierigkeit war in Betreff der Besetzung meiner sechs Trompeten zu überwinden, da dieses Instrument, welches den Deutschen so virtuosenhaft geläufig ist, in den Pariser Orchestern nur selten gut besetzt werden kann. Der Correktor meiner Suiten für Cornet à pistons, Herr Schiltz, schlug sich gutmüthig in das Mittel; ich musste die Anzahl der Trompeten auf vier reduziren, von denen er mir jedoch versicherte, dass er für die gute Execution sogar nur von zwei derselben stehen könnte. In der Probe machte mir denn auch diese Hauptresource meines Effektes sehr entmuthigend zu schaffen; nicht einmal wurden die zarten hohen Stellen ohne Umschlagen des Tones geblasen. Ausserdem, da ich nicht selbst dirigiren durfte, hatte ich mit einem chef d'orchestre zu thun, welchem ich es ansah, dass er mit inniger Ueberzeugung mein Werk für einen Unsinn hielt, – eine Ansicht, die mir vom ganzen Orchester getheilt zu werden schien. Berlioz, welcher bei dieser Probe zugegen war, verhielt sich durchaus schweigsam; er ermuthigte nicht, widerrieth mir aber auch nicht, sondern bestätigte nur mit seufzendem Lächeln, dass es in Paris gar eine schwere Sache sei. Am Abend der Aufführung (4. Februar 1841) schien das Publikum, zum grössten Theil aus Abonnenten der »Gazette musicale«, somit, aus Kennern meiner Novelle bestehend, nicht ungünstig für mich gestimmt zu sein. Man versicherte mir auch, dass meine Ouverture, selbst wenn sie alle Welt gelangweilt hätte, dennoch gewiss applaudirt worden wäre, wenn nicht die unglücklichen Trompeter durch regelmässiges Umschlagen des Tones auf der effektvollen zarten Note das Publikum, welches in Paris gemeiniglich nur dem virtuosen Theile der Leistung, z. B. dem Glücken gewisser gefährlicher Töne, mit Aufmerksamkeit folgt, zu nur mühsam unterdrücktem Unwillen gereizt hätten. Ich verbarg mir nicht, dass ich durchgefallen sei, dass nach dieser Calamität Paris für mich nicht mehr existire, und ich für jetzt nichts weiter zu thun habe, als in mein miserables Schlafzimmer mich von Neuem zum Arrangement Donizetti'scher Opern einzuschliessen.

Meine arbeitsvolle Weltentsagung war so gross, dass ich, wie ein Büsser, mir nicht mehr den Bart schor und ihn, zum Kummer meiner Frau, für das erste und einzige Mal in meinem Leben lang wachsen liess. Während ich alles geduldig ertrug, brachte mich nur ein Klavierspieler, welcher unmittelbar neben meinem Zimmer wohnte, und fast den ganzen Tag Liszt's Fantasie über » Lucia di Lammermoor« übte, zur wahren Verzweiflung. Um ihm auf meine Weise einen Begriff von den Qualen zu geben, die ich litt, räumte ich eines Tages mein furchtbar verstimmtes Piano aus dem Salon in das Schlafzimmer, stellte es unmittelbar an die nachbarliche Wand, forderte Brix auf, seine Piccolo-Flöte herbei zu holen, und mir auf derselben die Ouverture zur » Favorite«, welche ich soeben für Klavier und Violine (oder Flöte) arrangirt hatte, zu begleiten. Die Wirkung hiervon scheint meinen Nachbar, einen jüngeren Klavierlehrer, wahrhaft erschreckt zu haben; mir sagte die Concierge andren Tages, dass er so eben in eine andre Wohnung ziehe, – was mich wiederum einigermassen beschämte. – Dieselbe Frau unsres Concierge war zu uns in ein diskret beziehungsvolles Verhältniss getreten; wir hatten sie anfangs für die unerlässlichsten häuslichen Verrichtungen, namentlich in der Küche, für das Reinigen der Kleider und des Schuhwerkes in beiläufigen Dienst genommen; endlich belästigte uns auch der geringe Lohn, den wir ihr hierfür zahlten, und Minna musste die Demüthigung über sich nehmen, sie von ihren Hülfsleistungen zu entlassen, um fortan selbst die niedrigsten häuslichen Geschäfte, ohne jede Beihülfe, für sich zu übernehmen. Da wir unsrem Untermiether hiervon nichts zu wissen thun wollten, sah sich meine Frau, welche nicht nur selbst kochte, sondern auch das Geschirr aufwusch, sogar genöthigt, die Stiefel unsres Gastes zu putzen. Hauptsächlich aber war uns nur die Beschämung, die wir vor unsrem Concierge empfanden, schwierig zu ertragen; doch hatten wir hierin Unrecht: diese Leute bezeigten uns mit gesteigerter Höflichkeit ihre Achtung, wogegen allerdings auch einige Vertraulichkeit mit unterfloss. So unterhielt mich der Mann öfter über Politik; als um jene Zeit die Quadruple-Alliance gegen Frankreich sich aufthat, und unter dem zeitweiligen Ministerium Thiers die Situation für sehr gespannt galt, beruhigte mich eines Tages mein Concierge mit den Worten: » Monsieur, il y a quatre hommes en Europe qui s'appellent: le roi Louis Philippe, l'empereur d'Autriche, l'empereur de Russie, le roi de Prusse; eh bien, ces quatre sont des c …; et nous n'aurons pas la guerre«.

Des Abends blieb ich gewöhnlich nicht ohne Unterhaltung; nur mussten meine wenigen treuen Freunde sich daran gewöhnen, mit mir über die bis in die Nacht vor mir liegende Notenschreiberei hin sich zu vernehmen. Als der Sylvesterabend des Jahres 1840 eingebrochen war, ward ich in wahrhaft ergreifender Weise durch ein Rendez-vous, welches sie unter sich verabredet hatten, überrascht. Lehrs klingelte und kam mit einer grossen Kalbskeule an; Kietz mit Rum, Zucker und Citrone; Pecht mit einer Gans; Anders aber mit zwei Flaschen Champagner, dem Vorrath entnommen, welchen er dereinst von einem Instrumentenmacher für einen empfehlenden Artikel seiner Klaviere zum Geschenk erhalten hatte, und der nur für feierliche Gelegenheiten von ihm verwahrt wurde. Jetzt warf ich denn die schmähliche » Favorite« bei Seite, und stürzte mich mit wahrhafter Begeisterung in das zu feiernde Freundschaftsfest. Alle mussten für die Zubereitung desselben helfen, – zunächst den Salon zu heizen, der Frau in der Küche beizustehen, und etwa Fehlendes vom Epicier zu holen. Das Souper verwandelte sich zum dithyrambischen Gelage; als nach dem Champagner noch der Punsch zu wirken begann, hielt ich eine emphatische Rede, die, weil sie die Freunde in unaufhörlichem Lachen unterhielt, nicht enden wollte und mich so hinriss, dass ich, der ich im gesteigerten Pathos mich bereits auf einen Stuhl gestellt hatte, endlich selbst den Tisch bestieg, und von da herab das Evangelium der unsinnigsten Lehren der Weltverachtung, mit Anpreisung der südamerikanischen Freistaaten, meinen entzückten Zuhörern verkündete, welche endlich in lachendes Schluchzen sich verloren, und schliesslich von uns sämmtlich beherbergt werden mussten, da ihr Nachhausegehen unmöglich geworden war. – Der Neujahrstag 1841 traf mich wieder in voller Bussübung bei meiner » Favorite«. Eines zweiten, wenn auch ungleich feierlicheren Festabends entsinne ich mich, durch den Besuch des berühmten Violinvirtuosen Vieuxtemps, zufällig eines Jugendbekannten Kietz's, veranlasst. Ich hatte die Freude, den damals in Paris sehr gefeierten jungen Künstler mit seiner Geige mich und meine Freunde einen ganzen Abend durch sein schönes Spiel unterhalten zu sehen, was meinem Salon ein ungewohnt bedeutsames Ansehen verlieh; für seine Freundlichkeit belohnte ihn Kietz, indem er ihn von meiner Wohnung bis in sein, in der gleichen Strasse gelegenes Hôtel, auf seinen Schultern reitend davon trug.

Ein harter Schlag traf mich im Beginn dieses Jahres in Folge einer, aus Unkenntniss der Pariser Regeln begangenen Versäumniss. Es war natürlich, dass wir nur den schicklichen Termin abgewartet hatten, um unsre Wohnung zu kündigen. Ich verfügte mich desshalb selbst in die Wohnung der Hauseigenthümerin, einer jungen, sehr reichen Wittwe, einem ihrer Hôtels im » Marais«. Die Dame empfing mich verlegen, sagte mir, sie würde mit ihrem Intendanten über meine Kündigung sprechen und wies mich an diesen. Schriftlich ward mir angezeigt, dass meine Kündigung nur annehmbar gewesen sein würde, wenn sie bis Abend zuvor erfolgt wäre, und in Folge dieser Versäumniss ich mich genöthigt sehen würde, laut unsren contraktlichen Stipulationen, die Miethe der Wohnung auch für ein zweites Jahr zu entrichten. Im höchsten Schrecken machte ich mich zu dem Intendanten meiner Hauseigenthümerin selbst auf; hier ward ich nur mühsam vorgelassen, traf einen, wie es schien, durch schreckliche Krankheiten gelähmten, regungslos ausgestreckten älteren Herrn, und erhielt von ihm, nachdem ich unverhohlen meine ganze Lage auseinandergesetzt und ihn auf das herzlichste um Verwendung für die Entbindung von meinem Contrakt angegangen hatte, keine andre Antwort, als dass es meine Schuld sei und nicht die seinige, dass ich einen Tag zu spät gekündigt habe, und ich dagegen sehen möchte, wie ich in Zukunft meine Miethe auftriebe. – Mein Concierge, dem ich sehr erschüttert Bericht von diesem Auftritte gab, sagte mir beschwichtigend in Betreff des Intendanten: »J'aurais pu vous dire cela, car voyez, monsieur, cet homme ne vaut pas l'eau qu'il boit«.

Dieses gänzlich unvorausgesehene Missgeschick zerstörte alle Aussicht, die wir auf die Erlösung aus unsrer unhaltbaren Lage zu gewinnen uns bemüht hatten. Eine Zeitlang tröstete uns die Hoffnung, einen neuen Miether zu finden. Sie erfüllte sich nicht; wir sahen mit Ostern das neue Miethjahr eintreten, ohne Rath zu finden. Endlich empfahl uns der Concierge eine fremde Familie, welche gesonnen sei, die ganze Wohnung mit Meubeln auf einige Monate uns abzumiethen. Mit Freuden griffen wir zu diesem Mittel, um uns auf diesem Wege wenigstens die Erschwingung der nächsten Miethtermine zu versichern, und hofften, wären wir nur einmal aus dieser Unglückswohnung fort, so würde sich auch der Weg zur gänzlichen Entledigung von derselben finden. So machten wir uns auf, in der Umgebung von Paris eine möglichst wohlfeile Sommerwohnung für uns aufzusuchen. Wir waren hierfür nach Meudon gewiesen, und entschieden uns dort für ein Logis in der Avenue, welche Meudon mit dem nahe gelegenen Bellevue verbindet. Rue du Helder wurde dem Concierge, welchen ich für Alles bevollmächtigte, zur Aftermiethung übergeben, und wir richteten uns nun, so gut es gehen wollte, in unsrem zeitweiligen Asyle ein, in welchem wir für das Nächste auch unsren alten Untermiether, den gutmüthigen Flötenbläser Brix, mitaufnehmen mussten, weil der Arme selbst in eine kritische Periode getreten war, und beim Ausbleiben seiner Geldmittel in grösste Verlegenheit gerathen sein würde, wenn er gerade jetzt von der Theilnahme an unsrem Hausstand ausgeschlossen worden wäre. Am 29. April fand sonach diese nothdürftige Uebersiedelung statt, welche in Wahrheit nur eine Flucht aus dem Unmöglichen in das Unbegreifliche war; denn wovon wir diesen Sommer leben sollten, davon hatten wir keine Ahnung, da Schlesinger versiegt war, und nach keiner Seite irgend ein neuer Quell sich eröffnete.

Mir schien nichts als journalistische Arbeit übrig zu bleiben, die, so wenig gewinnreich sie war, mir doch einzig zugleich einigen Erfolg verschafft hatte. Für die »Gazette musicale« hatte ich noch im vergangenen Winter einen grösseren Aufsatz über Weber's » Freischütz« geliefert, welcher auf die damals bevorstehende Aufführung desselben in der grossen Oper, mit der Zuthat der Berlioz'schen Recitative, vorbereiten sollte. Es scheint, dass ich mit diesem Aufsatze zunächst Berlioz' Abneigung mir zuzog. Ich hatte nicht umhin gekonnt, auf das so Missliche des Vorhabens aufmerksam zu machen, gerade dieses, der Form nach auf dem älteren Singspiel begründete Werk, durch Zuthaten, welche seine ursprünglichen Dimensionen gänzlich entstellen müssten, dem luxuriösen Repertoir jenes Theaters einzureihen. Entsprach auch der Erfolg vollständig meiner Voraussicht, so waren die bei dieser Unternehmung Betheiligten mir desshalb nicht minder übel gesinnt. Eine fast schmeichelhafte Genugthuung erhielt ich aber dadurch, dass mein Artikel die Beachtung der berühmten G. Sand auf sich gezogen hatte. Eine sagenhafte Erzählung aus dem französischen Provinzial-Leben leitete sie mit dem Versuch ein, gewisse Zweifel über die Fähigkeit der Franzosen, das sagenhafte, mystische Volkselement, welches ich dem » Freischütz« vorzüglich vindicirte, in seiner Eigentümlichkeit zu erfassen, abzuwehren; wobei sie eben auf meinen Aufsatz Bezug nahm. – Eine neue Veranlassung zu journalistischer Thätigkeit erwuchs mir aus meinen Bemühungen für die Annahme des » Rienzi« in Dresden. Der dortige Theatersecretär, der bereits genannte Winkler, berichtete mir eingehend über den Stand dieser Angelegenheit; in seiner Eigenschaft als Herausgeber der damals bereits sehr gesunkenen »Abendzeitung« ergriff er aber auch die Gelegenheit, in mir einen Gratis-Correspondenten für sein Blatt zu bekommen, indem er mich zu häufigen Mittheilungen für dasselbe aufforderte; wollte ich nun von ihm etwas über die Annahme meiner Oper erfahren, so musste ich ihn durch Einsendung einer Correspondenz dazu willig zu machen suchen. Da sich diese hoftheatralische Negociation in eine ungemessene Länge zog, entstanden bei dieser Gelegenheit zahlreiche Correspondenzen von mir aus Paris, wobei ich in eine wunderliche Verlegenheit gerieth, da ich seit länger mich auf mein Schlafzimmer zurückgezogen hatte, und gänzlich ohne Wahrnehmung von Paris blieb.

Mit dieser Entfernung von allem Pariser künstlerischem wie socialem Scheinwesen hatte es eine ernstere Bewandniss. Theils meine nothvollen Erlebnisse, theils aber auch der in meinem ganzen Bildungsgange innerlichst vorbereitete Ekel vor demjenigen künstlerischen und geselligen Treiben, welches früher mir so überwältigend anziehend vorgekommen war, hatten mich mit wahrhaft erschreckender Schnelligkeit von jeder Berührung mit ihm zurückgetrieben. Noch die Aufführung der »Hugenotten«, welche ich hier zum ersten Male erlebte, hatte mich zwar sehr geblendet; das schöne Orchester, die ausserordentlich sorgsame und wirkungsreiche Scenirung gaben mir einen überraschenden Vorgeschmack der bedeutenden Möglichkeiten, zu denen so sicher ausgebildete Kunstmittel verwendet werden könnten. Sonderbarer Weise zog es mich aber nicht an, öfteren Wiederholungen solcher Aufführungen beizuwohnen; in der Manier der Sänger fand ich bald die Carricatur heraus, und vermochte es, meine Freunde durch Nachahmung der neuesten Pariser Gesangsmoden und ihrer geschmacklosen Uebertreibungen in ergötzlicher Weise zu unterhalten. Dass auch die Componisten selbst, welche mit der Ausbeutung dieser Modelächerlichkeiten sich wiederum ihren Erfolg sicherten, endlich meiner spottenden Kritik verfallen mussten, war nicht zu verhindern. Dass endlich ein so seichtes, an sich wirklich sogar unfranzösisches Machwerk, wie die Donizetti'sche »Favorite«, dieses sonst so stolze Theater längere Zeit vollständig in Beschlag nahm, erschöpfte in mir die letzte Geduld, mit welcher ich mir noch Achtung vor den Leistungen dieses »ersten lyrischen Theaters der Welt« zu erhalten bemüht gewesen war. Ich glaube, während der ganzen Zeit meines Pariser Aufenthalts nicht über vier Mal in der grossen Oper gewesen zu sein. Die »Opéra Comique« hatte mich sofort, sowohl der eigenthümlichen Kälte der dort herrschenden Darstellungsweise, als der so grossen Verschlechterung der in ihr gepflegten Musik wegen, zurückgestossen. Dieselbe Kälte trieb mich von den Leistungen der Sänger der italienischen Oper zurück. Die meist sehr berühmten Namen dieser Künstler, welche seit langen Jahren beständig gewisse vier Opern sangen, konnten mich für den wahrgenommenen Mangel jeder selbst gemeinen theatralischen Wärme, welche ich doch so ungemein bei den Leistungen der Schröder-Devrient genossen hatte, nicht entschädigen. Ich sah wohl ein, dass hier eben Alles im Verfall begriffen sei, empfand zugleich aber weder Hoffnung noch Verlangen, das Verfallende neu belebt wieder erstehen zu sehen. – Mehr gefielen mir die kleineren Theater, welche mir das französische Talent in seinem rechten Lichte zeigten; nur war ich durch mein eignes Streben zu sehr auf das Aufsuchen von Anknüpfungspunkten für meine innere Theilnahme angewiesen, als dass ich zu der blossen müssigen Beobachtung mir gänzlich unsympathischer Vorzüge befähigt gewesen wäre. Ausserdem waren, vom Beginn an, meine Sorgen und Nöthen so überwältigend, und das Bewusstsein von der Fruchtlosigkeit meiner Pariser Unternehmung wurde in mir so deutlich, dass ich bald sogar jede Aufforderung, diess oder jenes mir anzusehen, mit Unwillen oder Gleichgiltigkeit von mir wies. Mehrere Mal schickte ich Billets zum »Theatre français« für die Aufführungen der Rachel, zum grossen Leidwesen Minna's, zurück, und sah überhaupt dieses berühmte Theater nur später einmal im geschäftlichen Interesse meines correspondenzbedürftigen Dresdener Protektors.

Um diesem die Spalten seiner »Abendzeitung« zu füllen, verfuhr ich in wahrhaft unverschämter Weise, indem ich, was mir Anders und Lehrs, welche selbst nie etwas erlebten, des Abends theils aus Zeitungen, theils aus Table-d'hôte-Gesprächen erzählten, in der Weise zusammenstellte und durch die, in neuer Zeit durch die Heine'sche Manier im Journalstyl herrschend gewordene Mode piquant herzurichten suchte, so dass ich wirklich nicht anders glaubte, als mein guter Hofrath Winkler würde eines Tages hinter das Geheimniss meiner Pariser Weltkenntniss gerathen müssen. – Auch einen grösseren Aufsatz über die stattgehabte Aufführung des »Freischütz«, welche ihn als Vormund der Weber'schen Kinder insbesondere interessirte, hatte ich ihm freiwillig für sein verfallenes, von niemand mehr gelesenes Blatt geliefert. Da er mir versicherte, er werde nicht eher ruhen, als bis er mir die bestimmtesten Versicherungen für die Annahme des »Rienzi« verschafft habe, sandte ich ihm, im überschwänglichen Dank, auch noch das deutsche Original meiner Beethoven-Novelle zu. Der Jahrgang 1841 dieser bei Arnold in Dresden erschienenen, jetzt gänzlich untergegangenen Zeitschrift enthält den einzigen Abdruck dieser Manuscripte.

Ein weiteres Feld einer vorübergehenden litterarischen Thätigkeit betrat ich, durch die Aufforderung Lewald's, des Herausgebers der belletristischen Monatsschrift » Europa«, veranlasst. Dieser war der Erste, der überhaupt meinen Namen gelegentlich dem Publikum genannt hatte; da seiner eleganten, und eine Zeit lang ziemlich verbreiteten Zeitschrift, wie ich damals schon bemerkt hatte, auch musikalische Beilagen gegeben wurden, hatte ich bereits von Königsberg ihm zwei Compositionen, um sie auf diesem Wege zu veröffentlichen, zugesandt. Diese waren ein von mir in Musik gesetztes melancholisches Gedicht von Scheuerlin: »der Knabe und der Tannenbaum« (eine Arbeit, die ich noch jetzt gern mein nenne) und mein famoses Carnevals-Lied aus dem »Liebesverbot«. Als ich jetzt auf den Gedanken kam, in gleicher Weise meine kleinen französischen Gesangscompositionen vor das Publikum zu bringen, und Lewald desshalb das: »Dors mon enfant«, die Hugo'sche »Attente« und »Mignonne« von Ronsard übersandte, gewährte er mir, mit der Aufnahme derselben, nicht nur ein kleines Honorar – das erste, das ich für eine Composition von mir erhielt, sondern er forderte mich auch auf, ihm in grösseren, möglichst unterhaltenden Aufsätzen meine Eindrücke von Paris mitzutheilen. So schrieb ich für sein Blatt »Pariser Amusements« und »Pariser Fatalitäten«, in welchen beiden Aufsätzen ich, mit Benutzung der Heine'schen Manier, unter allerhand Wendungen meine Enttäuschungen über Paris, meine Verachtung vor seinem Treiben, in launige Darstellung brachte. Zu dem zweiten Aufsatze benutzte ich ausserdem die Schicksale eines gewissen Hermann Pfau, eines sonderbaren Taugenichtses, der mir aus meiner schlimmsten Leipziger Jugendzeit, genauer als wünschenswerth, bekannt geworden war, und sich nun seit dem Beginn des vergangenen Winters längere Zeit als Vagabund in Paris herumtrieb, wobei ich mich seines schrecklich verwahrlosten Zustandes wiederholt auf Kosten der Erträge meiner Favoriten-Arbeiten zu erbarmen hatte. Es war daher eine Art von ökonomischer Gerechtigkeit, die ich übte, als ich seine Pariser Abenteuer zu einer Darstellung für das Lewald'sche Blatt benutzte, und auf diese Art mir einige Franken zurückgewann.

Eine andre Wendung nahm dagegen die litterarische Thätigkeit, zu welcher ich durch meine Verhandlungen mit dem Direktor der grossen Oper, Léon Pillet, veranlasst wurde. Nach langer Bemühung hatte ich endlich erfahren, dass dieser an meinem Entwurfe zum »fliegenden Holländer« Gefallen gefunden habe; er eröffnete mir diess zugleich mit dem Antrage, ihm diesen Entwurf abzutreten, da er genöthigt sei, verschiedenen Componisten, in Folge bestehender Verpflichtungen, dergleichen Sujets für kleinere Opern zuzuweisen. Nun suchte ich mündlich und brieflich Pillet zu überzeugen, dass er die Ausführung und Composition mit Aussicht auf Erfolg doch einzig nur von mir zu erwarten habe, da ich ja hier erst auf meinem wahren Felde sei, auf welches ich ihn durch Mittheilung eines dichterischen Entwurfes, der ihm gefallen habe, erst nur geleitet hätte. Hier halfen nun aber keine Gründe; der Direktor sah sich genöthigt, mit grösster Aufrichtigkeit mir zu erklären, welche Bewandniss es mit den Aussichten habe, welche durch Meyerbeer's Empfehlung an ihn ich mir eröffnet zu haben glaubte; an einen Auftrag der Composition, selbst einer kleinen Oper, sei unter keinen Umständen vor sieben Jahren zu denken, da bis dahin die bereits eingegangenen Verpflichtungen der Direktion reichten; ich möchte daher vernünftig sein, gegen eine billige Entschädigung meinen Entwurf an einen von ihm zu wählenden »Auteur« abtreten, und, wollte ich durchaus schon bald mein Glück als Componist bei der grossen Oper versuchen, so rieth er mir, den Balletmeister zu sprechen, um mich mit diesem über ein etwa einzulegendes Pas zu verständigen. Da ich diess letztere mit unverhohlenem Ekel zurückwies, überliess er mich geduldig meinem Trotze, bis ich, nach unendlich langen vergeblichen Bemühungen, den zugleich als Redakteur der »Gazette musicale« mir befreundet gewordenen Commissär der k. Theater, Edouard Monnaye, um seine Vermittlung anging. Dieser, der meinen Entwurf bei dieser Gelegenheit kennen lernte, versicherte mir unverhohlen, dass er nicht begriffe, wie Pillet daran Gefallen habe finden können; da er nun aber einmal – wie er vermuthe – zu seinem grossen Schaden, dafür eingenommen sei, so rieth er mir, doch ja nur jeden Vortheil, den man mir für die Abtretung meines Entwurfes bieten würde, eiligst anzunehmen, weil ihm bekannt geworden sei, dass derselbe bereits Herrn Paul Faucher, einem Schwager Victor Hugo's, zur Ausführung als »Libretto« übergeben worden sei, und dieser ausserdem behaupte, der Entwurf enthalte für ihn gar nichts neues, da das Sujet des Vaisseau fantôme ja auch in Frankreich bekannt sei. Nun merkte ich, woran ich war, erklärte meine Bereitwilligkeit, dem Wunsche des Herrn Pillet zu willfahren, und wohnte einer Conferenz mit Herrn Faucher bei, in welcher unter besondrer Verwendung des Herrn Pillet mein Entwurf auf 500 Franken geschätzt wurde, welche als Vorschuss auf die droits d'auteur des zukünftigen Dichters von der Theaterkasse mir ausgezahlt wurden.

Nun erhielt mein Sommer-Asyl in der Avenue de Meudon einen bestimmten physiognomischen Ausdruck; mit diesen 500 Franken musste dort der » fliegende Holländer« sofort von mir in Dichtung und Musik für Deutschland ausgeführt werden, während ich das » Vaisseau fantôme« seinem französischen Schicksale überliess.

Mit dem Abschlusse meines Geschäftes hatte ich zugleich meiner bis dahin immer hülfloser bedrängten Lage etwas aufgeholfen. Die Monate Mai und Juni hatten wir unter beständig sich steigernden Nöthen zugebracht. Die schöne Jahreszeit, die erheiternde Landluft, das Gefühl der Befreiung von der schmachvollen musikalischen Lohnarbeit, unter welcher ich den Winter zugebracht, hatten zunächst zwar hoffnungsvoll anregend auf mich gewirkt, und die kleine Kunstnovelle: » ein glücklicher Abend«, welche in französischer Uebersetzung in der »Gazette musicale« erschien, mir eingegeben. Bald aber stellten sich die Folgen dieser Entblössung von allen Hülfsmitteln in wahrhaft muthraubender Härte bei uns ein. Mit eigenthümlicher Bitterkeit wurde diese von uns empfunden, als, durch unsre Uebersiedelung angeregt, meine Schwester Cäcilie ihren Mann zur Nachfolge dahin vermocht, und dicht neben uns eine Sommerwohnung bezogen hatte. Wenn auch nicht in glänzenden, so doch in sicheren Verhältnissen, wohnten diese Verwandten nachbarlich uns zur Seite, gingen von Haus zu Haus täglich mit uns um, ohne dass wir es für gut hielten, sie je mit unsren grenzenlosen Verlegenheiten bekannt zu machen. Diese steigerten sich eines Tages in allerbitterster Weise. Da wir gänzlich ohne Geld waren, machte ich mich mit Tagesanbruch zu Fuss – denn ein Platz auf der Eisenbahn war nicht zu bezahlen – nach Paris auf, um dort den ganzen Tag über, von Strasse zu Strasse mich schleppend, der Möglichkeit, fünf Franken aufzutreiben, nachzujagen, bis ich am späten Nachmittage, ohne auch nur den mindesten Erfolg erzielt zu haben, wiederum auf die qualvolle Fussreise nach Meudon zurück mich zu begeben genöthigt war. Als ich Minna, welche mir entgegenkam, dieses schlimme Resultat eröffnete, meldete sie mir zu ihrer Verzweiflung, dass auch noch der vorher erwähnte Hermann Pfau im jammervollsten Zustand, um nur einen Imbiss zu gewinnen, sich zu uns geflüchtet hätte; sie habe ihm bereits das letzte am Morgen vom Bäcker uns gelieferte Brod überlassen müssen. Immer blieb uns nun noch die Hoffnung, dass mein Untermiether Brix, welcher durch sonderbare Schicksale jetzt zu unsrem Unglücksgenossen geworden, von seinem gleichfalls am Morgen unternommenen Streifzug nach Paris mit jedenfalls einigem Erfolg doch zurückkehren müsste. Endlich kam auch dieser schweisstriefend und erschöpft zurück, von dem Bedürfnisse einer Mahlzeit getrieben, welche er sich in der Stadt nicht hatte verschaffen können, da er nicht einen der von ihm aufgesuchten Bekannten angetroffen hatte; flehentlich bat er um ein Stück Brod. Die so gesteigerte Situation begeisterte endlich meine Frau; sie hielt sich berufen, wenigstens gegen den Hunger der Männer rettend anzukämpfen. Zum ersten Mal auf französischem Boden ward der Bäcker, der Fleischer und Weinhändler unter plausiblen Vorwänden ohne sofortige bare Bezahlung für das Nöthige in Beschlag genommen, und Minna's Auge strahlte, als sie nach einer Stunde ein von ihr zubereitetes treffliches Mahl uns vorsetzen konnte, bei dem wir zufällig von der Familie Avenarius angetroffen wurden, welche ersichtlich sich beruhigt fühlte, uns in so wohl versorgter Lage zu finden.

Dieser äussersten Bedrängniss machte nun, mit Anfang Juli, für einige Zeit der Verkauf meines »fliegenden Holländers«, somit mein letzter Verzicht auf Pariser Erfolge, ein Ende. – So lange die 500 Franken reichten, war mir Luft zur Ausführung meines Werkes gegönnt. Die erste Ausgabe davon war für die Miethe eines Piano's, da ich ein solches seit längeren Monaten gänzlich entbehrt hatte. Es sollte dazu dienen, in mir zunächst nun wieder den Glauben zu beleben, dass ich noch Musiker sei, nachdem ich seit dem Herbst des vergangenen Jahrs nur als Journalist und Opernarrangeur meinen Geist geübt hatte. Das Gedicht des »fliegenden Holländers«, welches ich noch in den zuletzt überstandenen Nöthen schnell ausgeführt hatte, erregte namentlich Lehrs' grosse Theilnahme; er erklärte geradesweges, ich würde nie etwas besseres machen, der »fliegende Holländer« würde mein »Don Juan« werden. Nun galt es, Musik zu finden. Als ich am Ausgange des verlebten Winters noch hoffte, dieses Sujet für die französische Oper bearbeiten zu dürfen, hatte ich bereits einige lyrische Bestandtheile desselben poetisch und musikalisch ausgeführt, sie von Emile Deschamps übersetzen lassen, und zu einer verhofften Audition bestimmt, bis zu welcher es jedoch nie kam. Diess war: die Ballade der Senta, das Lied der norwegischen Matrosen, und der Spuk-Gesang der Mannschaft des »fliegenden Holländers«. Seitdem war ich so gewaltsam der Musik entfremdet worden, dass ich nun, als das Klavier in meiner Sommerwohnung ankam, einen Tag lang mich gar nicht es zu berühren getraute. Ich hatte wirklich die Furcht, dahinter kommen zu müssen, dass mir nichts mehr einfallen könnte, – als mir plötzlich war, ich hätte noch das Lied des Steuermanns im ersten Akte vergessen aufzuzeichnen, obwohl ich mich wiederum nicht entsann, es bereits entworfen zu haben, da ich soeben ja auch erst die Verse davon gemacht hatte. Diess gelang nun und gefiel mir. Aehnlich erging es mit dem »Spinnerlied«; und da ich denn nun diese beiden Stücke aufgeschrieben hatte, und mir bei genauer Ueberlegung sagen musste, dass sie mir wirklich soeben erst eingefallen wären, ward ich über diese Entdeckung ganz unsinnig vor Freude. – In sieben Wochen ward die ganze Musik des » fliegenden Holländers« bis auf die Instrumentation ausgeführt.

Da lebte denn Alles auf; meine übermüthig gute Laune setzte Alles in Erstaunen, und namentlich meine Verwandten Avenarius hielten sich nun für überzeugt, dass es mir wirklich sehr gut gehen müsse, da mit mir ein so heitrer Umgang zu pflegen wäre. Ich machte meine weiten Spaziergänge in den Wald von Meudon, wo ich mich sogar dazu verstand, oft Minna Pilze suchen zu helfen, was für sie leider den Hauptreiz unserer Waldeinsamkeit bildete, und unsren Hauswirth, wenn er uns mit der Beute heimkehren sah, mit Entsetzen erfüllte, weil er behauptete, wir würden uns durch den Genuss der Pilze vergiften. Mein Schicksal, welches mich fast immer in das Abenteuerliche führte, hatte mich auch hier das wunderlichste Original auffinden lassen, was jedenfalls nicht nur in der Umgegend von Meudon, sondern auch von Paris anzutreffen war. Diess war Herr Jadin, zwar so alt, dass er sich noch die Marquise von Pompadour in Versailles erinnern wollte gesehen zu haben, dabei aber von der unglaublichsten Rüstigkeit. Er selbst schien es darauf abzusehen, die Welt in Bezug auf sein wirkliches Alter in einer steten Aufregung zu halten; wie er sich Alles selbst verfertigte, hatte er sich auch eine grosse Anzahl von Perrücken hergerichtet, welche sich in den verschiedensten Nuancen, vom jugendlichen Blond bis auf das würdigste Weiss erstreckten, dazwischen grau, angenehm melirt, und diese trug er abwechselnd nach Laune. Da er Alles trieb, war ich erfreut, ihn besonders auf Malerei versessen zu finden. Dass er alle Wände seiner Zimmer mit den kindischsten Carricaturen aus der Thierwelt behängt, ja selbst, dass er nach aussen seine Stores auf das Lächerlichste mit Gemälden versehen hatte, störte mich nicht im Mindesten, da ich im Gegentheil hierdurch in der Annahme bestärkt wurde, dass er keine Musik triebe; bis ich zu meinem Schreck dahinter kam, dass wunderbar verstimmte Harfenklänge, welche aus einer unerklärlichen Region zu mir drangen, aus seiner Souterrain-Wohnung herkamen, wo er zwei Harfen-Klaviere seiner Erfindung stehen hatte, welche zu spielen, wie er mir sagte, er leider lange vernachlässigt habe, wogegen er nun fleissig sich wieder darauf einüben wolle, um mir Freude zu machen. Es gelang mir jedoch, ihn davon abzubringen, als ich ihn versicherte, der Arzt habe mir die Harfe als nervenschädlich verboten. – Als eine Erscheinung, wie aus der Hoffmann'schen Mährchenwelt, ist er mir, wie ich ihn zum letzten Mal sah, in Erinnerung geblieben. Als wir im Spätherbst wieder nach Paris zogen, bat er uns, auf unsrem Gepäckwagen ein kolossal ungeheures Ofenrohr mitzunehmen, welches er bald bei uns abholen würde. An einem sehr kalten Tage erschien nun wirklich Jadin in unsrer neuen Pariser Wohnung, und zwar in einem höchst frivolen, eigenhändig verfertigten Costüme, bestehend aus ganz dünnen hellgelben Beinkleidern, aus einem sehr kurzen hellgrünen Frack mit ausserordentlich langen Schössen, mit heraushängendem Spitzenjabot und Manchetten, hellblonder Perrücke, und einem so kleinen Hut, dass er ihm beständig vom Kopfe fiel; dazu eine Unmasse unächter Bijouterie, und diess Alles in der unverhohlenen Annahme, dass er sich in dem eleganten Paris nicht so einfach, wie auf der Campagne behelfen könne. So erbat er sich das Ofenrohr; wir frugen ihn, wo er die Leute habe, es ihm zu tragen; lächelnd äusserte er sein Erstaunen über unsre Unbehülflichkeit, fasste das kolossale Ofenrohr unter dem Arm, und verweigerte durchaus unsre Hülfe anzunehmen, als wir ihm beistehen wollten, es durch die Treppe hinunterzubringen, welches Manöver eine volle halbe Stunde lang seine trotzige Geschicklichkeit in Anspruch nahm; das ganze Haus lief darüber zusammen; er liess sich jedoch nicht irre machen, brachte sein Rohr richtig zur Hausthür hinaus, und schwebte mit elegantem Gang das Trottoir entlang, bis er uns auf immer entschwand.

Ich kann aus der kurzen und doch so inhaltsvollen Periode, in welcher ich nun, ganz in meinem Innersten mir angehörend, der Tröstung reinen künstlerischen Schaffens mich hingab, nichts andres berichten, als dass ich, ihrem Ende mich nähernd, so weit gediehen war, der vorausgesehenen ungleich längeren Periode der Störung und der Noth jetzt mit heitrer Fassung entgegen zu sehen. Diese trat denn auch mit grosser Genauigkeit ein; denn gerade nur bis zum Schluss der letzten Scene gelangte ich, als meine 500 Franken zu Ende gingen; nicht mehr aber reichten sie auch zur Sicherung der nöthigen Ruhe für die Composition der Ouverture aus; diese musste ich bis zum Eintritt einer neuen günstigen Wendung meiner Lage verschieben, und für jetzt, unter Zeit und Ruhe raubenden Bemühungen aller Art, von Neuem zum Kampf um das nackte Dasein mich aufmachen. – Der Concierge der rue du Helder meldete sich bei uns mit der Nachricht, dass die heimliche Familie, welche bisher unsre Wohnung uns abgemiethet hatte, wieder ausgezogen sei, und dass wir jetzt wieder für den Miethzins aufzukommen hätten. Ich musste nun erklären, in keinem Falle mich um die Wohnung mehr bekümmern zu wollen, und dagegen es dem Hausbesitzer überlassen, durch den Verkauf unseres zurückgebliebenen Mobiliars sich zu entschädigen. Dies wurde denn unter den empfindlichsten Verlusten aller Art vermittelt, und das Mobiliar, für welches ich noch den grössten Theil der Bezahlung schuldete, ward für die Miethe einer von uns nicht mehr benutzten Wohnung dahingegeben.

Unter den unsäglichsten Entbehrungen suchte ich es immer noch möglich zu machen, so viel freie Zeit zu behalten, dass ich die Instrumentation meiner Composition des Holländers ausarbeiten könnte. Die rauhe Herbstwitterung trat ausnahmsweise frühzeitig ein, aus allen Sommerwohnungen zog man nach Paris zurück, so auch die Familie Avenarius. Nur wir konnten nicht daran denken, weil wir die Mittel zu dieser Uebersiedelung nicht aufzutreiben vermochten. Ich gab dem hierüber betroffenen Herrn Jadin vor, mit meiner Arbeit gedrängt zu sein, und jede Unterbrechung, selbst trotz der empfindlichen Kälte der leicht gebauten Wohnung, vermeiden zu müssen. So wartete ich auf Erlösung durch einen früheren Bekannten in Königsberg, Ernst Castel, einen jungen vermögenden Kaufmann, welcher uns vor kurzem in Meudon aufgesucht, nach Paris zu einem schwelgerischen Gastmahl entführt, und uns versprochen hatte, uns baldigst durch einen, wie wir wussten, ihm leicht fallenden Vorschuss aus unsrer üblen Lage zu befreien. Um in unsrer ungemüthlichen Verlassenheit uns zerstreuende Gesellschaft zu leisten, kam eines Tags Kietz, mit seiner grossen Zeichnenmappe und einem Bettkopfkissen unter dem Arm, zu uns heraus; er wollte an einer mich und meine Pariser Leiden darstellenden grossen Carrikatur zu unsrer Belustigung arbeiten, und für die Erholung davon sollte das Kopfkissen auf unsrem harten Canapé, auf welchem er keine Erhöhung für den Kopf bemerkt hatte, ausreichen. Da er wusste, dass uns die Beschaffung von Feuerungsmaterial schwierig war, brachte er einige Flaschen Rum mit, um für die kalten Abende uns durch Punsch einzuheizen; ich las ihm und meiner Frau bei solchen Gelegenheiten Hoffmann'sche Geschichten vor. Endlich traf die Nachricht aus Königsberg ein, welche mich darüber belehrte, dass der junge Wüstling sein Versprechen nicht im Ernst gemeint hatte. Nun starrten wir gänzlich hülflos in den kalten Nebel des herannahenden Winters hinein. Da aber erklärte Kietz, jetzt sei es seine Sache, Hülfe zu schaffen; er packte seine Mappe ein, steckte das Kopfkissen dazu unter den Arm, und zog so nach Paris ab, um andern Tags mit 200 Francs zurückzukehren, welche er sich in aufopfernder Weise zu verschaffen gewusst hatte. Sogleich machten wir uns auf, um in Paris uns eine kleine Wohnung zu miethen, welche wir in der Nähe unsrer Freunde, in einem Hintergebäude des Hauses Nr. 14 der rue Jacob fanden. Später erfuhr ich, dass kurze Zeit nach uns Proudhon dieselbe Wohnung inne gehabt habe.

So gelangten wir am 30. Oktober wieder in die Stadt zurück. Unsre sehr kleine und kalte Wohnung, welche besonders der letzten Eigenschaft wegen unsrer Gesundheit leider nachtheilig wurde, richteten wir mit dem Wenigen, was wir aus unsrem Schiffbruch der rue du Helder gerettet, nothdürftig ein, um hier den Erfolg meiner Bemühungen für die Annahme und Aufführung meiner Arbeiten in Deutschland abzuwarten. Zunächst galt es, um jeden Preis mir auf die kurze Zeit, welche ich auf die Ouverture des fliegenden Holländers zu verwenden hatte, Ruhe zu verschaffen; ich erklärte Kietz, dass er bis zur Vollendung dieses Tonstücks und der Absendung der fertigen Partitur der Oper das nöthige Geld für meinen Haushalt herbeischaffen müsste. Mit Hülfe eines peinlichen Onkels, welcher ebenfalls als Maler seit lange in Paris ansässig war, gelang es ihm, mir 10 und 5 Frankenweise die nöthigen Subsidien zuzustellen. Ich zeigte um diese Zeit häufig mit heitrem Stolze meine Stiefel, welche endlich buchstäblich nur noch eine Scheinbekleidung für meine Füsse abgaben, da die Sohlen zuletzt vollständig verschwanden.

So lange ich noch mit dem »Holländer« beschäftigt war und Kietz für mich sorgte, hatte das nichts zu sagen, denn ich ging einfach nicht aus; mit der Absendung meiner vollendeten Partitur an die Berliner Hoftheater-Intendanz, Anfangs Dezember, war nun aber die Bitterkeit der Lage nicht länger zu versüssen; ich musste mich selbst aufmachen, um Hülfe herbeizuschaffen. Was diess in Paris hiess, lernte ich um eben diese Zeit an dem jammervollen Schicksal des vortrefflichen Lehrs kennen. Von einer ähnlichen Noth, wie ich sie vor einem Jahr um dieselbe Zeit zu überstehen hatte, gedrängt, war er im verflossenen Sommer an einem glühend heissen Tage gezwungen gewesen, die verschiedensten Quartiers der Stadt athemlos zu durchlaufen, um für die auf ihn lautenden verfallenen Wechsel Gestundung zu erhalten. Ein verzweifelter kalter Trunk, mit dem er sich während der Qual zu erfrischen suchte, nahm ihm sofort die Sprache, und er verfiel von diesem Tage an einer Heiserkeit, welche die wohl in ihm verborgenen Keime der Schwindsucht mit erschreckender Schnelle durch Entwickelung der unheilbaren Krankheit förderte. Seit Monaten in zunehmender Schwäche begriffen, erfüllte er uns endlich mit der düstersten Sorge; nur er glaubte, der vermeintliche Katarrh würde endlich schon weichen, wenn er nur gerade jetzt sein Zimmer besser heizen könnte. Eines Tages suchte ich ihn in seiner Wohnung auf, fand ihn in sich zusammen gesunken in der eiskalten Stube vor seinem Arbeitstisch, und er beklagte sich, dass ihm die Arbeit für Didot so schwer fiele, was ihm um so peinlicher sei, da er von diesem der erhaltenen Vorschüsse wegen gedrängt werde. Er sagte, wenn er nicht die Annehmlichkeit hätte, in so traurigen Stunden an dem Gedanken sich zu erfreuen, dass ich doch wenigstens meinen »Holländer« fertig bekommen hätte, und somit für den kleinen Freundeskreis doch eine Hoffnung auf Gelingen sich eröffne, so würde ihm das Elend wohl schwer zu ertragen sein. In meinem grossen Leid beschwor ich ihn, sich doch wenigstens unsres Kaminfeuers mit zu bedienen, und bei mir zu arbeiten; er lächelte nur über meine Verwegenheit, noch auf Hülfe für Andre bedacht zu sein, und diess noch dazu in einem Zimmer, wo ich mit meiner Frau kaum den nöthigen Platz fand. Nun kam er aber eines Abends zu uns, und theilte sprachlos mir einen Brief des damaligen Cultus-Ministers Villemain an ihn mit, worin dieser in den wärmsten Ausdrücken sein grosses Bedauern bezeugte, soeben vernommen zu haben, dass ein so ausgezeichneter Gelehrter, dessen geistvolle und umfassende Mitarbeit an der Didot'schen Herausgabe der griechischen Klassiker ihn jedenfalls zum Theilhaber an einem der Nation zum Ruhm gereichenden Werke mache, bei stark angegriffener Gesundheit in bedrängter Lage sich befinde. Leider gestattete die Höhe der zu Unterstützungen für gelehrte Zwecke ihm zugewiesenen Fonds in diesem Augenblicke nur, ihm die Summe von 500 Franks anzubieten, welche er mit der Bitte, sie als Anerkennung seiner Verdienste seitens der französischen Regierung nicht verschmähen zu wollen, diesem Schreiben beifüge, indem er sich jedenfalls vorbehalte, auf eine gründlichere Besserung seiner Lage ernstlichen Bedacht zu nehmen. – Diess kam uns Allen, wie es uns des armen Lehrs willen mit dankbarster Rührung erfüllte, ausserdem wie ein bestaunenswerthes Wunder vor; hatten wir auch anzunehmen, dass Herr Villemain durch Didot, welchen sein schlechtes Gewissen wegen der schmählichen Ausbeutung unsres Freundes zugleich mit der Rücksicht, auf diese Weise selbst einer Hülfsleistung für Lehrs entbunden zu werden, angetrieben hatte, hierzu veranlasst worden war, so mussten wir doch, aus bisher uns bekannt gewordenen Analogien, die sich durch meine späteren Erfahrungen vollkommen bestätigten, uns die Ansicht bilden, dass solche liebenswürdig bezeugte und prompt wirkende Theilnahme eines Ministers in deutschen Landen undenklich sei. Lehrs konnte sich wieder einheizen und arbeiten, leider aber uns über den Verfall seiner Gesundheit nicht beruhigen. Als wir im folgenden Frühjahr von Paris schieden, machte namentlich die Gewissheit, den treuen Freund nicht wiederzusehen, unsren Abschied sehr schmerzlich.

In eigner grosser Noth, hatte ich den Aerger, wiederum stark Gratis-Correspondenzen für die »Abendzeitung« schreiben zu müssen, da mein Gönner, Hofrath Winkler, mir immer noch keine vollständig genügende Auskunft über das Schicksal meines » Rienzi« in Dresden geben zu können glaubte. Unter solchen Umständen musste ich es für ein Glück halten, dass endlich wieder eine Halévy'sche Oper Glück machte. Schlesinger stellte sich freudestrahlend über den Erfolg der » Reine der Chypre« ein, und verhiess mir das Paradies für die Anfertigung des Klavierauszuges und verschiedener Arrangements des neu aufgegangenen Operngestirns. Da sass ich wieder, und büsste die Schuld, meinen »fliegenden Holländer« komponirt zu haben, durch Einrichtung der Halévy'schen Oper ab. Doch kam mir diese Arbeit nun leichter an. Ausser dass ich bereits berechtigte Hoffnung auf gänzliche Erlösung aus meiner Pariser Verbannung fassen durfte, und somit diesen letzten Kampf mit der Noth als einen entscheidenden ansehen zu dürfen glaubte, war denn doch auch das Befassen mit einer Halévy'schen Partitur eine unvergleichlich interessantere Lohnarbeit, als die schmachvolle Bemühung um die Donizetti'sche »Favorite«. Nach langer Zeit besuchte ich, um diese » Reine de Chypre« zu hören, auch einmal wieder das Theater der grossen Oper; hatte ich auch bereits vieles zu belächeln und entging mir die grosse Schwäche des ganzen Genre's, und namentlich seiner oft sehr karrikirten Vortragsweise nicht mehr, so freute ich mich doch aufrichtig, Halévy, den ich von seiner »Jüdin« her sehr lieb gewonnen, und von dessen kräftigem Talent ich eine sehr günstige Meinung mir gebildet hatte, diessmal nach seiner bessern Seite hin wiedererkennen zu dürfen. Von Schlesinger dazu aufgefordert, liess ich mich auch gern in einem breiteren Artikel für sein Blatt über die neueste Arbeit Halévy's aus. Ich gab hierin besonders meinem Wunsche Nachdruck, dass die französische Schule ihre durch das Studium der Deutschen gewonnenen Vorzüge nicht wieder dem Rückfall in die seichte italienische Manier hingeben möchte. Bei dieser Gelegenheit unterstand ich mich, eben um die französische Schule zu ermuthigen, auf die eigenthümliche Bedeutung Auber's und namentlich seiner » Stummen von Portici« hinzuweisen, um dagegen auf die überladene Melodie Rossini's, welche einem Solfeggio oft nicht unähnlich sähe, aufmerksam zu machen. Bei der Durchlesung der Correktur meines Aufsatzes gewahrte ich, dass dieser Passus über Rossini ausgelassen war; Herr Eduard Monnaye bekannte mir, dass er in der Eigenschaft als Redakteur einer musikalischen Zeitung zu dieser Unterdrückung sich genöthigt gesehen habe, da er finden müsse, dass, wenn ich irgend einen Zweifel an Rossini auszudrücken hätte, ich diess nach Belieben in jeder Art von Journal veröffentlichen könnte, nur nicht in einem dem Interesse der Musik gewidmeten, weil man dort einfach so etwas nicht sagen könnte, ohne absurd zu erscheinen. Dass ich Auber's mit Auszeichnung gedacht, war ihm zwar auch ärgerlich, doch liess er es stehen. Ich hatte mir hieraus manches zu entnehmen, was mich für alle Zeiten über den Verfall der Opernmusik, und hiermit in Verbindung im Allgemeinen über den Verfall des Kunstgeschmackes bei den heutigen Franzosen orientirte. – Ueber dieselbe Oper schrieb ich auch einen grösseren Artikel für meinen kostbaren Freund Winkler in Dresden, welcher immer nicht mit der definitiven Annahme meines » Rienzi« herausrücken wollte. Hierbei machte ich mich namentlich über ein dem Kapellmeister Lachner begegnetes Unglück lustig. Der damalige Münchner Theaterintendant, Küstner, hatte nämlich für seinen Freund, um es denn doch einmal mit ihm zu etwas Rechtem zu bringen, bei St. Georges in Paris einen Operntext bestellt, somit das höchste Glück, welches einem deutschen Komponisten zu träumen war, in väterlicher Sorge seinem Schützlinge zugewandt. Nun fand es sich, als die von Halévy komponirte » Reine de Chypre« erschien, dass diese dasselbe Sujet, wie das bereits von Lachner nun ebenfalls komponirte, vermeintliche Originalwerk enthielt. Dass es sich hierbei etwa nur um einen wirklich guten Operntext gehandelt hätte, fiel nicht in's Gewicht, sondern der Werth des Kaufes bestand darin, dass es eine nur von der Lachner'schen Musik allein verklärte Dichtung sein sollte. Nun fand sich denn gar aber auch, dass St. Georges das nach München gesandte Buch allerdings einigermassen abgeändert hatte, jedoch nur dadurch, dass mehrere interessante Züge darin ausgelassen blieben. Die Wuth des Münchener Intendanten hierüber war gross; wogegen St. Georges darüber erstaunt war, dass Jener sich hatte einbilden können, er würde für den erbärmlichen Preis, um welchen die deutsche Bestellung bei ihm gemacht worden war, einen einzig nur für das deutsche Theater bestimmten Text liefern. Da ich nun bereits auch über dieses französische Operntextwesen zu meiner besondren Ansicht gelangt war, und mich schon damals nichts in der Welt vermocht haben würde, das allereffektvollste Stück von Scribe oder St. Georges in Musik zu setzen, so ergötzte mich dieser Vorfall ganz besonders, und in bester Laune liess ich mich für die Leser der »Abendzeitung«, zu denen hoffentlich mein späterer »Freund« Lachner nicht gehörte, darüber aus.

Nebenbei führte mich die Beschäftigung mit seiner Oper nun auch näher mit Halévy selbst zusammen, und verschaffte mir mit dem eigenthümlich gutartigen, leider zu früh erschlafften, wirklich anspruchslosen Manne manche erheiternde Unterhaltung. Schlesinger war nämlich über dessen gränzenlose Trägheit ausser sich. Halévy, der meinen Klavierauszug durchgesehen, beabsichtigte mehrere Veränderungen zum Zweck der Erleichterung; er kam aber damit nicht vorwärts; Schlesinger konnte der Correkturbogen nicht wieder habhaft werden, fand sich in der Herausgabe gehemmt, und fürchtete, die Oper möchte ihren Erfolg wieder verlieren, noch ehe sie zur Versendung fertig sei. So drang er denn in mich, Halévy am frühesten Morgen bereits in seiner Wohnung festzuhalten, und ihn so zu nöthigen, die Aenderungen gemeinschaftlich mit mir vorzunehmen. Das erste Mal kam ich des Vormittags um 10 Uhr bei Halévy an, traf diesen eben dem Bett entstiegen, und wurde von ihm bedeutet, dass er nun doch erst frühstücken müsse. Seiner Einladung folgend, setzte ich mich mit ihm zu einem ziemlich üppigen Déjeuner nieder; meine Unterhaltung schien ihn anzusprechen; Freunde kamen hinzu, endlich auch Schlesinger, welcher in Wuth ausbrach, jenen nicht mit den ihm so nöthig dünkenden Correkturen beschäftigt zu sehen, was Halévy keineswegs aus der Fassung brachte. In gutmüthigster Laune beklagte er einzig, einmal wieder einen Erfolg gehabt zu haben, wogegen er sich nie grösserer Ruhe erfreut hätte, als wenn, wie zuletzt fast ohne Unterbrechung, seine Opern durchgefallen wären, worauf er jedesmal des andren Tages dann nicht mehr das Mindeste damit zu thun gehabt hätte. Auch schien er nicht zu begreifen, warum gerade diese Reine de Chypre gefallen habe; er meinte, diesen Erfolg habe Schlesinger arrangirt, um ihn quälen zu können. Als Halévy mit mir einiges deutsch sprach, verwunderte sich einer der anwesenden Besucher hierüber, worauf Schlesinger erklärte: die Juden könnten alle deutsch sprechen. Bei dieser Gelegenheit wurde auch Schlesinger befragt, ob er Jude sei, worauf dieser erklärte, er sei es gewesen, wäre aber Christ geworden um seiner Frau willen. Mich setzte diese unbefangene Unterhaltung über einen Punkt, welchem wir in ähnlichen Fällen unter Deutschen, als für den Betreffenden beleidigend, ängstlich auswichen, in ein angenehmes Erstaunen. Da es bei alledem aber nicht zur Beschäftigung mit den Correkturen kam, so verpflichtete mich nun Schlesinger, unausgesetzt Halévy so lange auf dem Nacken zu bleiben, bis wir damit zu Ende seien. Das Geheimniss von Halévy's Gleichmuth gegen seine Erfolge wurde mir im Verlauf unserer ferneren Unterhaltung offenbar, als ich erfuhr, dass er im Begriff stehe, eine reiche Heirath zu machen. War ich zuerst geneigt, hierin nur das schmähliche Bekenntniss zu ersehen, dass bloss der Eifer, sich Vermögen zu machen, in der Jugend Talente, wie das seinige, kräftig anzufeuern vermöchte, und schien mir hierin eine Erklärung dessen zu liegen, dass so häufig nur einmal ein wirklich über das Unbedeutende sich erhebendes Kunstwerk von ihnen hervorgebracht wird, so lag ausserdem in Halévy's Behandlung der Sache einerseits ein eigenthümliches Gemisch von Bescheidenheit in Betreff seiner Leistungen, indem er annahm, er sei einmal Keiner von den Grossen, als andrerseits auch ein Ausdruck des Unglaubens an die Aechtheit desjenigen, was bei andauerndem Ehrgeiz von glücklicheren Autoren um jene Zeit für das französische Theater geschaffen wurde. In ihm traf ich somit zum ersten Mal das naiv ausgesprochene Bekenntniss des Unglaubens an den wahren Werth aller unsrer modernen Kunstleistungen auf diesem bedenklichen Kunstgebiete an, welcher, nur leider nicht mit solcher Bescheidenheit ausgedrückt, seitdem mir als Vorwand zur Berechtigung zu ihrer Mitwirkung an unsrem Kunstwesen bei allen Juden aufgegangen ist. Nur einmal sprach Halévy in herzlichem Ernste zu mir, nämlich als er mir bei meiner endlichen Abreise nach Deutschland den Erfolg für meine Werke wünschte, den ich ihm zu verdienen schien. – Im Jahre 1860 sah ich ihn noch einmal. Ich hatte erfahren, dass er, während die Pariser Feuilletonisten über meine damals gegebenen Concerte sich auf das Erbittertste ausliessen, sich wohlwollend über mich geäussert habe, was mich bestimmte, ihn im Palais de l'Institut, dessen secrétaire perpétuel er seit längerer Zeit geworden war, zu besuchen. Er schien besonders neugierig zu sein, von mir Auskunft darüber zu erhalten, worin die neue Theorie, welche ich über die Musik aufgestellt habe und worüber er so tolles Zeug hörte, bestehen möge; denn, so versicherte er, er habe in meiner Musik eben nur Musik erkannt, bloss mit dem Unterschied von anderer, dass sie ihm zumeist sehr gut vorgekommen wäre. Es gab diess zu heiteren Erörterungen meinerseits Veranlassung, auf welche er mit gutem Humor einging, von Neuem nun auch zu Pariser Erfolgen mir Glück wünschend; nur geschah diess mit wenigerem Ernste, als da er mich damals nach Deutschland entliess, was ich mir aus seinem Zweifel an der Möglichkeit von Pariser Erfolgen für mich erklärte. Ich nahm von diesem letzten Besuche im Ganzen den betrübenden Eindruck von der moralischen wie ästhetischen Erschlaffung eines der letzten bedeutenden französischen Musiker mit, und erkannte dem gegenüber nur noch die herrschende Gleisnerei oder offenbar freche Ausbeutung der allgemeinen Versunkenheit bei allen Denen, die man als Halévy's Nachfolger bezeichnen konnte. –

Während dieser abermaligen Lohnarbeiten war bereits mein ganzes Sinnen auf die Rückkehr nach Deutschland, welches mir jetzt in einem durchaus neuen, idealen Lichte erschien, gerichtet. Dem, was mich hierbei anzog und mein Gemüth mit Sehnsucht erfüllte, suchte ich in verschiedener Weise beizukommen. Im Allgemeinen hatte schon der Umgang mit Lehrs mich meiner früheren Richtung auf ernsteres Erfassen der Gegenstände, von welcher eine Zeit lang ich durch meine nahe Berührung mit dem Theater abgelenkt war, mit warmer Neigung wieder zugewendet. Hieraus bildeten sich selbst Grundlagen zu einem näheren Befassen mit philosophischen Gegenständen. Es überraschte mich, von dem so strengen und reinen Lehrs gelegentlich unverhohlen, und als ob diess sich ganz von selbst verstünde, die persönliche Fortdauer nach dem Tode in bedenklichsten Zweifel gezogen zu sehen. Er behauptete, dass diese, wenn auch nur stillschweigende, Annahme die eigentliche Triebfeder zu grossen Thaten bei bedeutenden Menschen gewesen sei. Was sich an diese Annahme als weitere Folge knüpfte, dämmerte mir bald auf, ohne mich jedoch mit bangen Schauern zu erfüllen; vielmehr empfand ich eine höchst anregende Verlockung darin, ein unermessliches Gebiet des Nachsinnens und der Erkenntniss vor mir erschlossen zu sehen, an welchem ich bisher nur mit leichtsinniger Gedankenlosigkeit hinangestreift war. – Vor der Bemühung, mich den griechischen Klassikern in der Ursprache wieder zuzuwenden, brachte mich Lehrs mit dem wohlwollenden Troste ab, dass ich, wie ich nun einmal sei, und namentlich mit meiner Musik in mir, hier auch ohne Grammatik und Lexikon mir zu der mir nöthigen Erkenntniss verhelfen würde; wogegen das Griechische, um es mit wahrem Genuss zu treiben, kein Spass sei, und sich nicht nebenher abmachen liesse.

Dagegen zog es mich lebhaft an, mit der deutschen Geschichte mich näher, als diess auf der Schule der Fall gewesen war, bekannt zu machen. Zunächst war mir Raumer's Geschichte der Hohenstaufen zur Hand; alle grossen Gestalten, denen ich da begegnete, lebten leibhaftig vor mir auf, und namentlich fesselte mich der geistvolle Kaiser Friedrich der Zweite, dessen Schicksale meine höchste Theilnahme erweckten, und welche darzustellen ich vergeblich die geeignete künstlerische Form suchte; wogegen mir in dem Schicksale seines Sohnes Manfred ein eher zu bewältigendes Widerspiel von, dem Wesen nach, ziemlich gleicher Bedeutung aufging. Ich entwarf demnach den Plan zu einer grösseren fünfaktigen dramatischen Dichtung, welche vollkommen sich zugleich für musikalische Komposition eignen sollte. Die Anregung zu der Erfindung einer weiblichen Hauptfigur von höchst romantischer Bedeutung entnahm ich der geschichtlichen Thatsache, dass der von jeder Seite verrathene, von der Kirche geächtete und von allem Anhange verlassene, jugendliche Manfred auf seiner Flucht durch Apulien und die Abruzzen von den Sarazenen in Luceria enthusiastisch aufgenommen, unterstützt und von Sieg zu Sieg bis zu seinem Triumphe geleitet wurde. Schon damals erfreute es mich, im deutschen Geiste die Anlage zu erblicken, welche über die engeren Schranken der Nationalität zu einem Erfassen des rein Menschlichen in jedem fremden Gewande hinleitet, und ihn mir so dem griechischen Geiste verwandt erscheinen liess. In Friedrich II. zeigte sich mir die Blüthe dieser Anlage; der blonde Deutsche aus altschwäbischem Stamm, als Erbe des normannischen Reiches von Sicilien und Neapel, der italienischen Sprache ihre erste Ausbildung gebend, den Grund zur Entwickelung der Wissenschaften und Künste dort legend, wo bisher nur kirchlicher Fanatismus und feudale Rohheit mit einander im Kampfe waren, an seinem Hofe die Dichter und Weisen der orientalischen Reiche, die Anmuth arabischer und persischer Elemente des Lebens wie des Geistes um sich vereinigend, – er, der zum Aerger des römischen Klerus seinen Kreuzzug, auf welchem er von diesem an den ungläubigen Feind verrathen wurde, durch einen Friedens- und Freundschaftsabschluss mit dem Sultan beendigte, welcher in Palästina den Christen alle Vortheile gewährte, wie sie kaum der blutigste Sieg hätte gewinnen können, – dieser wundervolle Kaiser erschien mir nun, im Bann derselben Kirche, und endlich im trostlos vergeblichen Kampfe gegen die wüthende Beschränktheit seines Jahrhunderts, als der höchste Ausdruck des deutschen Ideals. Meine Dichtung befasste sich mit dem Schicksale seines Lieblingssohnes Manfred, welcher, da nach dem Tode seines älteren Bruders des Vaters Reich vollkommen zerfallen war, unter päbstlicher Oberhoheit im scheinbaren Besitz der Gewalt über Apulien gelassen wurde. Wir treffen ihn in Capua, in einer Umgebung und im Genuss einer Hofhaltung, in welcher der Geist seines grossen Vaters in fast verweichlichender abgeschwächter Form fortlebte. Er ist verzweifelt an der Möglichkeit der Wiederherstellung der hohenstaufischen Kaisermacht, und sucht als Dichter und Sänger seinen Unmuth hierüber zu vergessen. In diesen Kreis tritt nun eine soeben aus dem Morgenlande angekommene jugendliche Sarazenin, welche mit der Berufung auf den Bund, den das Morgen- und Abendland durch Manfred's grossen Vater geschlossen, den in Unmuth versinkenden Sohn auffordert, das Erbe des Kaisers zu bewahren. Sie gebärdet sich stets als begeisterte Prophetin, und weiss den bald in Liebe entbrannten Königssohn in sehnsüchtig ehrerbietiger Ferne von sich zu halten. Den Nachstellungen verschworener apulischer Grosser, sowie den Wirkungen eines jetzt über ihn verhängten Bannspruches des Pabstes, welcher ihn seiner Lehen entsetzt, weiss sie, immer in der Ferne ihm voranschreitend, ihn durch eine kühn geleitete Flucht zu entziehen; von wenigen Getreuen gefolgt, führt sie ihn durch die wildesten Gebirge, in welchen eines Nachts dem Ermüdeten der Geist Friedrich's II., mit seinem Heerbann über die Abruzzen dahinziehend, erscheint, um ihn nach eben jenem Luceria zu führen. Dorthin, im Kirchenstaate, hatte Friedrich die, bis dahin in den Gebirgen Siziliens furchtbar hausenden Reste der früheren sarazenischen Herrschaft durch friedliche Uebereinkunft verpflanzt, indem er diese Stadt, zum höchsten Aerger des Pabstes, ihnen mit vollkommenem Besitzrechte einräumte, und so in ihnen, mitten im stets verrätherischen Feindeslande, sich treuer Bundesgenossen versicherte. – Dort hat Fatima (so hiess meine Heldin) durch getreue Freunde die Aufnahme Manfred's vorbereitet, welcher nun, nachdem der päbstliche Befehlshaber der Stadt durch einen Aufruhr beseitigt ist, unter dem Thor sich in die Stadt schleicht, von der ganzen Bevölkerung als des geliebten Kaisers Sohn erkannt, und mit wildem Enthusiasmus an ihre Spitze gestellt wird, um sie gegen die Feinde ihres geschiedenen Wohlthäters zu führen. Während nun Manfred, von Sieg zu Sieg fortschreitend, das ganze apulische Reich sich gewinnt, blieb das von mir erfundene Verhältniss des von immer ungestümerer Liebessehnsucht erfüllten Siegers zu der wunderbaren Heldin der tragische Mittelpunkt der Handlung. Sie ist dem Liebesbunde des grossen Kaisers mit einer edlen Sarazenin entsprossen; die Mutter hatte sie sterbend zu Manfred entsandt und ihr geweissagt, sie werde zu dessen Erhöhung Wunder wirken, wenn sie nie in Liebe sich ihm ergebe: ob Fatima wissen solle, dass sie Manfred's Schwester sei, liess ich bei dem Entwurfe des Planes noch unentschieden. Ihrem Gelübde getreu, beschloss sie, wie sie stets Manfred sich nur in entscheidenden Augenblicken und in unnahbarer Weise gezeigt hatte, jetzt, da sie mit seiner Krönung in Neapel ihr Werk als vollendet ansah, heimlich für immer dem Gesalbten zu entweichen, um einzig aus der fernen Heimath auf ihr gelungenes Werk zurückzublicken. Ein sarazenischer Jugendgefährte, Nurreddin, durch dessen Hilfe sie hauptsächlich Manfred's Rettung vollführte, soll sie einzig zurückbegleiten. Dieser, dem sie in frühester Jugend versprochen war, der sie mit verzehrendem Feuer liebt, und dem sie nun mit wehmüthiger Resignation anzugehören sich gelobt hat, entbrennt über scheinbare Anzeigen der Untreue seiner Braut, da sie vor ihrer heimlichen Abreise noch einmal dem schlummernden König genaht war, in wüthender Eifersucht. Der Blick, welchen Fatima dem von der Krönung zurückkehrenden jungen Könige aus der Ferne zum letzten Abschied zuwirft, entflammt den Eifersüchtigen zur augenblicklichen Rache seiner vermeintlich geopferten Ehre; er stösst die Prophetin nieder, welche ihm ob dieser Erlösung von einem ihr unmöglichen Dasein mit Lächeln dankt; Manfred erkennt bei dem Anblick ihrer Leiche, dass nun das Glück für immer von ihm geschieden.

Ich hatte diesen Stoff mit vielen reichen Scenen und verwickelten Situationen ausgestattet, so dass ich ihn in seiner Ausführung, sobald ich ihn mit andren mir bekannten Sujets ähnlicher Art zusammenhielt, für ziemlich stichhaltig, interessant und effektvoll halten durfte. Dennoch konnte ich mich nie genügend dafür erwärmen, um namentlich an eine Ausführung zu denken; wogegen nun ein andrer Stoff mich auf das allerinbrünstigste einnahm. Diesen hatte mir ein zufällig mir in die Hand gerathenes Volksbuch vom » Venusberg« eingegeben.

Hatte ich in unwillkürlichem Drange dem, was ich als »deutsch« mit immer innigerer Wärme sehnsüchtig zu erfassen suchte, mich immer mehr zugewandt, so ging mir diess hier plötzlich in der einfachen, auf das bekannte alte Lied vom » Tannhäuser« begründeten Darstellung dieser Sage auf. Zwar kannte ich alle zu ihr gehörigen Elemente bereits durch Tieck's Erzählung in seinem Phantasus; doch hatte mich diese Fassung des Gegenstandes mehr auf das phantastische, früher durch Hoffmann in mir begründete Gebiet zurückgeführt, und keineswegs hätte ich dieser vollständig ausgebildeten Erzählung den Stoff zu einer dramatischen Arbeit zu entnehmen mich verleitet fühlen können. Was allerdings dem Volksbuch sogleich nach dieser Seite hin ein grosses Uebergewicht bei mir gab, war, dass Tannhäuser hier, wenn auch nur durch sehr flüchtige Bezeichnung, mit dem » Sängerkrieg auf Wartburg« in Verbindung gesetzt war. Auch diesen kannte ich bereits durch eine Hoffmann'sche Erzählung in dessen »Serapionsbrüdern«; nur fühlte ich, dass der alte Stoff hier sehr entstellt dem Dichter aufgegangen war, und suchte nun mir näheren Aufschluss über die ächte Gestalt dieser anziehenden Sage zu verschaffen. Da brachte mir Lehrs ein Jahresheft der Königsberger deutschen Gesellschaft, in welchem Lukas den »Wartburgkrieg« kritisch näher behandelte, namentlich auch den Text davon in der Ursprache gab. Trotzdem ich von dieser ächten Fassung für meine Absicht materiell so gut wie gar nichts benutzen konnte, zeigte er mir doch das deutsche Mittelalter in einer prägnanten Farbe, von welcher ich bis dahin keine Ahnung erhalten hatte.

In demselben Hefte fand ich nun aber auch, und zwar als Fortsetzung des Wartburggedichtes, ein kritisches Referat über das Gedicht vom » Lohengrin«, und zwar mit ausführlicher Mittheilung des Hauptinhalts dieses breitschweifigen Epos.

Eine ganz neue Welt war mir hiermit aufgegangen, und fand ich zunächst noch nicht die Gestalt, in welcher ich auch den »Lohengrin« hätte bewältigen können, so lebte doch nun auch dieses Bild unverlöschlich in mir fort, so dass ich bei späterem Bekanntwerden mit den Zweigen der Lohengrinsage dieses Bild schnell mit gleicher Deutlichkeit in mir beleben konnte, wie jetzt zunächst mit dem » Tannhäuser« es der Fall war.

Es steigerte sich unter diesen Eindrücken auf das Lebhafteste meine Sehnsucht, nun bald nach Deutschland zurückkehren und dort mich der neu zu gewinnenden Heimath in schöpferischer Ruhe erfreuen zu können. – Noch aber durfte ich an das Befassen mit so lieben Arbeiten nicht denken; noch war die gemeine Noth, die mich in Paris zurückhielt, zu bekämpfen. Indem ich diess that, fand ich doch auch hierbei Gelegenheit, mich bereits in dem mir entsprechenderen Sinne zu üben. Herr Dessauer, ein Vielen bekannt gewordener, besonders aber durch seine Hypochondrie seinen Bekannten unvergesslich gewordener, nicht geistloser jüdischer Musiker und Componist, welchen ich schon in meiner frühesten Jugendzeit in Prag kennen gelernt hatte, und welcher nun als vermögender Mann von Schlesinger in der Weise protegirt wurde, dass dieser ernstlich vorhatte, ihm zu einem Auftrage für die grosse Oper zu verhelfen, – dieser Dessauer hatte das Gedicht meines »fliegenden Holländers« kennen gelernt, und bestand jetzt darauf, dass ich ihm ein ähnliches Sujet entwerfen sollte, da das »Vaissau fantôme« von Herrn Léon Pillet bereits dessen Chordirektor, Herrn Dietsch, zum Komponiren übergeben war. Dessauer hatte von demselben Direktor die Zusage eines ähnlichen Auftrages erhalten, und versprach mir jetzt 200 Franken für die Ueberlassung eines ähnlichen Entwurfes, welcher seinem hypochondrischen Temperamente entspräche. Diessmal plünderte ich meine Hoffmann'schen Erinnerungen, und verfiel mit leichter Mühe auf die Bearbeitung der » Bergwerke von Falun«. Wirklich gelang mir die Bildung dieses anziehenden, wunderlichen Stoffes vollkommen nach Wunsch, und auch Dessauer war überzeugt, dass dieses Sujet sich der Mühe verlohne, von ihm komponirt zu werden; desto grösser war sein Leidwesen, als Pillet unsern Entwurf aus dem Grunde zurückwiess, weil die schwierige Inszenesetzung namentlich des zweiten Aktes, unübersteigliche Verlegenheiten für das jedesmal darauf zu gebende Ballet herbeigeführt haben würde. Nun wünschte Dessauer, ich möchte ihm dafür ein Oratorium »Maria Magdalena« dichten. Da er an dem Tage, wo er mir diesen Wunsch eröffnete, gerade von besondrer Hypochondrie erfüllt war, indem er behauptete, er habe am Morgen seinen eigenen Kopf vor seinem Bette liegen gesehen, so schlug ich ihm seine Bitte nicht ab; bat mir aber Zeit aus, welche ich mir leider bis auf den heutigen Tag nehmen zu müssen gestimmt blieb. – –

Unter solchen Diversionen verging endlich dieser Winter, während langsam und geduldprüfend meine Aussichten für Deutschland sich allmählich einer Hoffnung erweckenden Gestaltung näherten. Unausgesetzt hatte ich mit Dresden wegen des » Rienzi« correspondirt, und schliesslich namentlich in dem wackren Chordirektor Fischer daselbst einen redlichen und wohlgesinnten Mann gefunden, welcher mir zuverlässliche und vertrauenerweckende Mittheilungen über den Stand meiner Angelegenheit machte. Nachdem im Anfang Januar 1842 mir von abermaligen Verzögerungen gemeldet worden war, erhielt ich endlich die Nachricht, dass » Rienzi« bis Ende Februar zur Aufführung fertig sein sollte, was mich in wahre Unruhe versetzte, da ich um diese Zeit die Reise dorthin nicht zu ermöglichen glaubte. Auch diese Nachricht ward bald aber widerrufen, und der ehrliche Fischer berichtete mir, dass meine Oper bis auf den Herbst des Jahres habe verschoben werden müssen. Ich erkannte wohl, dass sie nie gegeben werden würde, wenn ich nicht selbst in Dresden zugegen sein könnte. Da nun endlich, im März, auch vom Grafen Redern, dem Intendanten der k. Theater in Berlin, die Annahme meines »fliegenden Holländers« für die dortige Oper mir gemeldet wurde, so glaubte ich mich nun genügend veranlasst, um jeden Preis meine Rückkehr nach Deutschland baldigst auszuführen.

Mit dem »fliegenden Holländer« hatte ich bereits verschiedene Erfahrungen im Betreff der Gesinnung der deutschen Theaterdirektionen gemacht. Auf das Sujet, welches dem Direktor der Pariser Oper so sehr gefallen hatte, mich verlassend, hatte ich das Gedicht zunächst an den Direktor des Leipziger Theaters, den mir bereits von früher her bekannten Ringelhardt, eingesandt. Dieser nährte aber seit meinem »Liebesverbot« eine unverhohlene Abneigung gegen mich. Da er nun diessmal gegen die »Frivolität« meines Stoffes unmöglich etwas einzuwenden haben konnte, stiess er sich vielmehr an dessen zu düsterm Ernst, und verweigerte die Annahme. Da ich Herrn Hofrath Küstner, den damaligen Intendanten des Münchener Hoftheaters, bei Gelegenheit seiner Bestellung der »Königin von Cypern« in Paris kennen gelernt hatte, schickte ich nun das Buch des »fliegenden Holländers« an diesen mit der gleichen Bitte ein. Mit der Versicherung, dass es sich für deutsche Theaterverhältnisse und den Geschmack des deutschen Publikums nicht eigne, sandte auch er es mir zurück. Da er ein französisches Libretto für München bestellt hatte, begriff ich, was diese Belehrung zu bedeuten habe. – Als endlich die Partitur fertig geworden, schickte ich sie, mit einem Brief für den Grafen Redern, an Meyerbeer nach Berlin, und bat diesen, da er mit dem besten Willen mir in Paris zu nichts hatte verhelfen können, nun seinen Einfluss in Berlin für mein Werk unmittelbar geltend machen zu wollen. Ueber die wirklich prompte und mit sehr wohlwollenden Versicherungen begleitete Annahme meines Werkes von Seiten des Grafen, wie sie nach zwei Monaten bereits erfolgte, war ich wirklich überrascht und herzlich erfreut, und ersah ich darin ein Zeichen der wahrhaftigen und energischen Theilnahme Meyerbeer's für mich. Sonderbarer Weise musste ich, bald darauf nach Deutschland zurückgekehrt, erfahren, dass Graf Redern bereits seit längerer Zeit seinen Rücktritt von der Intendanz der Berliner Operntheater in Aussicht genommen hatte, und Herr Küstner aus München seine Stellung einzunehmen schon berufen war; woraus sich denn ergab, dass die Zusage des Grafen Redern an mich wohl sehr höflich, aber keineswegs ernstlich gemeint gewesen, da die Ausführung desselben nicht ihm, sondern seinem Nachfolger zugeschoben war. Was daraus erfolgte, wird sich zeigen.

Was schliesslich die so ersehnte, und nun durch gute Aussichten gerechtfertigte Rückkehr nach Deutschland mir ermöglichte, war die endlich wach gewordene Theilnahme der vermögenden Glieder meiner Familie für meine Lage. Hatte Didot seine Gründe gehabt, den Minister Villemain zur Unterstützung für Lehrs anzugehen, so fand auch mein Pariser Schwager Avenarius vom Innewerden des Charakters meines Kampfes gegen die Noth sich bestimmt, durch Intervention bei meiner Schwester Luise mich eines Tages mit einer sehr unerwarteten Hülfe zu überraschen. Am 26. Dezember des ablaufenden Jahres 1841 war ich es, der diessmal mit einer Gans zu Minna nach Haus kam, und diese Gans trug ein 500-Franks-Billet im Schnabel, welches durch Vermittelung meiner Schwester Luise, seitens eines ihr befreundeten sehr reichen Kaufmanns Schletter, mir eben von Avenarius zugestellt war. Die angenehme Belebung unseres ungemein dürftigen Hausstandes würde jetzt vielleicht nicht allein im Stand gewesen sein, mich herzlich froh zu stimmen, wenn ich nicht zugleich die Aussicht, gänzlich meiner Pariser Lage mich zu entwinden, auf diese Weise mir immer deutlicher eröffnet gesehen hätte. Da ich nun wirklich Zusagen für die Aufführung zweier meiner Werke von bedeutenden deutschen Theatern erhalten hatte, glaubte ich jetzt im Ernst auch meinen Schwager Friedrich Brockhaus, welcher im vergangenen Jahre, als ich in höchster Noth mich an ihn gewandt, mich wegen »Unübereinstimmung mit meiner Lebensrichtung« zurückgewiesen hatte, mit besserem Erfolg für die Vermittelung meiner Rückkehr angehen zu können. Ich täuschte mich nicht; und als die Zeit herannahte, ward ich von dieser Seite auch mit dem nöthigen Reisegeld versehen.

Unter solchen Aussichten und bei solcher Besserung meiner Lage, verbrachte ich bereits den zweiten Theil des Winters von Neujahr 1842 an in gut gelaunter Stimmung, welche oft dem kleinen Kreise, der durch meine Verwandtschaft mit Avenarius sich um mich bildete, zu gute kam. Ich fand mich mit Minna öfter bei dieser, sowie bei einigen andren Familien, unter welchen ich die des Leiters einer Privat-Erziehungsanstalt, Herrn Kühne nebst Frau, mit guter Erinnerung erwähne, zu Abendbesuchen ein, und trug sowohl durch meine Unterhaltung, als durch den guten Humor, mit welchem ich am Klavier Tänze, nach denen getanzt wurde, improvisirte, so viel zum günstigen Ausfall solch' kleiner Soiréen bei, dass ich im Begriff stand, mich hier bald einer fast lästigen Beliebtheit erfreuen zu sollen. – Endlich schlug die Stunde der Erlösung; der Tag erschien, an welchem ich, wie ich von ganzem Herzen gern annahm, für immer Paris den Rücken kehren durfte. Es war am 7. April; Paris prangte bereits im ersten üppigen Keimen des Frühlings. Vor unsren Fenstern, welche auf einen im Winter zuvor so öde erscheinenden Garten hinausgingen, grünten die Bäume und sangen die Vögel. Gross, ja überwältigend war die Rührung beim Abschied von unsren armen treuen Freunden Anders, Lehrs und Kietz. Auch Anders schien uns dem nahen Tode verfallen, da seine Gesundheit, bei bereits eingetretenem Alter, in bedenklicher Weise angegriffen war. Ueber Lehrs, wie ich bereits erwähnte, konnte gar keine Täuschung nunmehr stattfinden, und es war mir grauenvoll, an einer so kurzen Erfahrung von nur zwei und einem halben Jahre, wie sie Paris mich gekostet hatte, die Verwüstungen zu ersehen, welche die Noth unter guten, edlen und zum Theil selbst bedeutenden Menschen anrichtete. Kietz, für dessen Zukunft ich weniger aus Gesundheitsrücksichten, sondern lediglich aus moralischem Bedenken in Sorge gerathen war, rührte uns wiederum durch seine grenzenlose, fast kindische Gutmüthigkeit. Er bildete sich nämlich ein, ich könnte doch etwa nicht genug Reisegeld haben, und drang mir, trotz aller Widerrede, durchaus noch ein Fünf-Franken-Stück auf, ungefähr den Rest seines eigenen Vermögens des Augenblicks; er steckte mir auch ein Paket guten französischen Schnupftabaks noch in die Wagentasche der Diligence, in welcher wir endlich über die Boulevards nach den Barrièren hin entführt wurden, von denen wir diessmal vor reichlich fliessenden Thränen nichts mehr gewahrten. –


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