Richard Wagner
Lohengrin
Richard Wagner

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2. Bild

Die Aue am Ufer der Schelde, wie im 1. Akt. Glühende Morgenröte, allmählicher Anbruch des vollen Tages.

(Ein Graf mit seinem Heergefolge zieht im Vordergrunde rechts auf, steigt vom Pferde und übergibt dies einem Knechte. Zwei Edelknaben tragen ihm Schild und Speer. Er pflanzt sein Banner auf, sein Heergefolge sammelt sich um dasselbe.)

(Während ein zweiter Graf auf die Weise wie der erste einzieht, hört man bereits die Trompeten eines dritten sich nähern.)

(Ein dritter Graf zieht mit seinem Heergefolge ebenso ein. Die neuen Scharen sammeln sich um ihre Banner; die Grafen und Edlen begrüßen sich, prüfen und loben ihre Waffen usw.)

(Ein vierter Graf zieht mit seinem Gefolge von rechts her ein und stellt sich bis in die Mitte des Hintergrundes auf.)

(Als von links die Trompeten des Königs vernommen werden, eilt alles, um sich um die Banner zu ordnen. Der König mit seinem sächsischen Heerbann zieht von links ein.)

Alle Männer (als der König unter der Eiche angelangt ist)
Heil König Heinrich!
König Heinrich Heil!

König Heinrich
Habt Dank, ihr Lieben von Brabant!
Wie fühl' ich stolz mein Herz entbrannt,
find' ich in jedem deutschen Land
so kräftig reichen Heerverband!
Nun soll des Reiches Feind sich nahn,
wir wollen tapfer ihn empfahn:
Aus seinem öden Ost daher
soll er sich nimmer wagen mehr!
Für deutsches Land das deutsche Schwert!
So sei des Reiches Kraft bewährt!

Alle Männer
Für deutsches Land das deutsche Schwert!
So sei des Reiches Kraft bewährt!

Der König
Wo weilt nun der, den Gott gesandt
zum Ruhm, zur Größe von Brabant?

(Ein scheues Gedränge ist entstanden; die vier brabantischen Edlen bringen auf einer Bahre Friedrichs verhüllte Leiche getragen und setzen sie in der Mitte der Bühne nieder. Alles blickt sich unheimlich fragend an.)

Die Männer
Was bringen die? Was tun sie kund?
Die Mannen sind's des Telramund!

Der König
Wen führt ihr her? Was soll ich schaun?
Mich faßt bei eurem Anblick Graun!

Die vier Edlen
So will's der Schützer von Brabant;
wer dieser ist, macht er bekannt!

(Elsa, mit großem Gefolge von Frauen, tritt auf und schreitet langsam, wankenden Schrittes in den Vordergrund.)

Die Männer
Seht, Elsa naht, die Tugendreiche!
Wie ist ihr Antlitz trüb und bleiche!

Der König (der Elsa entgegengegangen ist und sie nach einem hohen Sitze, ihm gegenüber, geleitet)
Wie muß ich dich so traurig sehn!
Will dir so nah die Trennung gehn?

(Elsa versucht vor ihm aufzublicken, vermag es aber nicht. Großes Gedränge entsteht im Hintergrunde.)

Einige Männer
Macht Platz dem Helden von Brabant!

(Lohengrin, ganz so gewaffnet wie im ersten Akt, tritt ohne Gefolge auf und schreitet feierlich und ernst in den Vordergrund.)

Alle Männer
Heil dem Helden von Brabant!
Heil! Heil!

Der König (hat seinen Platz unter der Eiche wieder eingenommen)
Heil deinem Kommen, teurer Held!
Die du so treulich riefst ins Feld,
die harren dein in Streites Lust,
von dir geführt, des Siegs bewußt.

Die Männer
Wir harren dein in Streites Lust,
von dir geführt, des Siegs bewußt.

Lohengrin
Mein Herr und König, laß dir melden:
Die ich berief, die kühnen Helden,
zum Streit sie führen darf ich nicht!

(Alle drücken höchste Betroffenheit aus.)

Der König und die Männer
Hilf Gott!
Welch hartes Wort er spricht!

Die Frauen
Hilf Gott!

Lohengrin
Als Streitgenoß bin ich nicht hergekommen;
als Kläger sei ich jetzt von euch vernommen!

(Er enthüllt Friedrichs Leiche, von deren Anblick sich alle mit Abscheu abwenden.)

Zum ersten klage laut ich vor euch allen
und frag' um Spruch nach Recht und Fug:
Da dieser Mann zur Nacht mich überfallen,
sagt, ob ich ihn mit Recht erschlug?

Der König und die Männer (die Hand feierlich nach der Leiche ausstreckend)
Wie deine Hand ihn schlug auf Erden,
soll dort ihm Gottes Strafe werden!

Lohengrin
Zum andern aber sollt ihr Klage hören,
denn aller Welt nun klag' ich laut,
daß zum Verrat an mir sich ließ betören
das Weib, das Gott mir angetraut!

Die Männer
Elsa! Wie mochte das geschehn?
Wie konntest du dich so vergehn?

Der König
Elsa! Wie konntest du dich so vergehn?

Die Frauen (mit klagenden Gebärden auf Elsa blickend)
Wehe dir, Elsa!

Lohengrin
Ihr hörtet alle, wie sie mir versprochen,
daß nie sie wollt' erfragen, wer ich bin?
Nun hat sie ihren teuren Schwur gebrochen,
treulosem Rat gab sie ihr Herz dahin!

(Alle drücken die heftigste Erschütterung aus.)

Zu lohnen ihres Zweifels wildem Fragen,
sei nun die Antwort länger nicht gespart:
Des Feindes Drängen durft' ich sie versagen,
nun muß ich künden, wie mein Nam' und Art.

(Mit immer steigender Verklärung seiner Mienen.)

Jetzt merket wohl, ob ich den Tag muß scheuen:
Vor aller Welt, vor König und vor Reich
enthülle mein Geheimnis ich in Treuen.

(Sich hoch aufrichtend.)

So hört, ob ich an Adel euch nicht gleich!

Die Männer
Welch Unerhörtes muß ich nun erfahren?
O könnt' er die erzwungne Kunde sich ersparen!

Der König
Was muß ich nun erfahren?
O könnt' er die Kunde sich ersparen!

Lohengrin (in feierlicher Verklärung vor sich herblickend)
In fernem Land, unnahbar euren Schritten,
liegt eine Burg, die Montsalvat genannt;
ein lichter Tempel stehet dort inmitten,
so kostbar, als auf Erden nichts bekannt;
drin ein Gefäß von wundertät'gem Segen
wird dort als höchstes Heiligtum bewacht:
Es ward, daß sein der Menschen reinste pflegen,
herab von einer Engelschar gebracht;
alljährlich naht vom Himmel eine Taube,
um neu zu stärken seine Wunderkraft:
Es heißt der Gral, und selig reinster Glaube
erteilt durch ihn sich seiner Ritterschaft.
Wer nun dem Gral zu dienen ist erkoren,
den rüstet er mit überird'scher Macht;
an dem ist jedes Bösen Trug verloren,
wenn ihn er sieht, weicht dem des Todes Nacht.
Selbst wer von ihm in ferne Land' entsendet,
zum Streiter für der Tugend Recht ernannt,
dem wird nicht seine heil'ge Kraft entwendet,
bleibt als sein Ritter dort er unerkannt.
So hehrer Art doch ist des Grales Segen,
enthüllt – muß er des Laien Auge fliehn;
des Ritters drum sollt Zweifel ihr nicht hegen,
erkennt ihr ihn – dann muß er von euch ziehn.
Nun hört, wie ich verbotner Frage lohne!
Vom Gral ward ich zu euch daher gesandt:
Mein Vater Parzival trägt seine Krone,
sein Ritter ich – bin Lohengrin genannt.

Der König, die Männer und Frauen
Hör' ich so seine höchste Art bewähren,
entbrennt mein Aug' in heil'gen Wonnezähren.

Elsa (wie vernichtet)
Mir schwankt der Boden! Welche Nacht!
O Luft! Luft der Unglücksel'gen!

(Sie droht umzusinken; Lohengrin faßt sie in seine Arme.)

Lohengrin
O Elsa! Was hast du mir angetan!
Als meine Augen dich zuerst ersahn,
zu dir fühlt' ich in Liebe mich entbrannt,
und schnell hatt' ich ein neues Glück erkannt:
Die hehre Macht, die Wunder meiner Art,
die Kraft, die mein Geheimnis mir bewahrt,
wollt' ich dem Dienst des reinsten Herzens weihn:
Was rissest du nun mein Geheimnis ein?
Jetzt muß ich, ach! von dir geschieden sein!

Die Männer und Frauen, der König
Weh! Weh! Weh!

Elsa
Mein Gatte! Nein!
Ich laß dich nicht von hinnen!
Als Zeuge meiner Buße bleibe hier! usw.

Lohengrin
Ich muß, ich muß! mein süßes Weib!

Die Männer und Frauen
Weh!

Elsa
Nicht darfst du meiner bittern Reu' entrinnen,
daß du mich strafest, liege ich vor dir!

Die Frauen
Weh, nun muß er von dir ziehn!

Elsa
Daß du mich strafest, liege ich vor dir!

Lohengrin
Ich muß, ich muß! mein süßes Weib!

Die Männer und Frauen, der König
Weh! Wehe! Mußt du von uns ziehn,
du hehrer, gottgesandter Mann!
Soll uns des Himmels Segen fliehn,
wo fänden dein' wir Tröstung dann?
Weh uns! O bleib!
Soll uns des Himmel Segen fliehn usw.

Elsa
Bist du so göttlich als ich dich erkannt,
sei Gottes Gnade nicht aus dir verbannt!
Büßt sie in Jammer ihre schwere Schuld,
nicht flieh' die Ärmste deiner Nähe Huld!
Verstoß mich nicht, wie groß auch mein Verbrechen!
Verlaß mich, ach! verlaß die Ärmste nicht! usw.

Lohengrin
Schon zürnt der Gral, daß ich ihm ferne bleib'!
Ich muß! Ich muß!
Nur eine Strafe gibt's für dein Vergehn!
Ach! mich, wie dich trifft ihre herbe Pein!
Getrennt, geschieden sollen wir uns sehn:
Dies muß die Strafe, dies die Sühne sein!

(Elsa sinkt mit einem Schrei zurück.)

Der König und alle Männer (Lohengrin ungestüm umdrängend)
O bleib, und zieh uns nicht von dannen!
Des Führers harren deine Mannen!
O bleib usw.

Lohengrin
O König, hör! Ich darf dich nicht geleiten!
Des Grales Ritter, habt ihr ihn erkannt,
wollt' er in Ungehorsam mit euch streiten,
ihm würde alle Manneskraft entwandt!
Doch, großer König, laß mich dir weissagen:
Dir Reinem ist ein großer Sieg verliehn!
Nach Deutschland sollen noch in fernsten Tagen
des Ostens Horden siegreich nimmer ziehn!

(Lebhafte Erregung. Man sieht auf dem Flusse den Schwan mit dem leeren Nachen auf dieselbe Weise wie bei Lohengrins erstem Erscheinen anlangen.)

Ein Teil der Männer (im Hintergrunde)
Der Schwan! Der Schwan! Der Schwan!
Der Schwan! Seht dort ihn wieder nahn!

Die übrigen Männer (im Vordergrunde, nach hinten gewandt)
Der Schwan! Seht dort ihn wieder nahn!

Die Frauen (im nächsten Vordergrunde um Elsa)
Der Schwan! Weh, er naht!

Alle Männer
Er naht, der Schwan!

(Der Schwan kommt um die vordere Flußbiegung herum.)

Elsa (aus ihrer Betäubung erweckt, erhebt sich, auf den Sitz gestützt, und blickt nach dem Ufer)
Entsetzlich! Ha, der Schwan!

(Sie verbleibt lange Zeit wie erstarrt in ihrer Stellung.)

Lohengrin
Schon sendet nach dem Säumigen der Gral!

(Unter der gespanntesten Erwartung der übrigen tritt er dem Ufer näher und neigt sich zu dem Schwan, ihn wehmütig betrachtend.)

Mein lieber Schwan!
Ach, diese letzte, traur'ge Fahrt,
wie gern hätt' ich sie dir erspart!
In einem Jahr, wenn deine Zeit
im Dienst zu Ende sollte gehn –
dann, durch des Grales Macht befreit,
wollt' ich dich anders wieder sehn!

(Er wendet sich im Ausbruch heftigen Schmerzes in den Vordergrund zu Elsa zurück.)

O Elsa! Nur ein Jahr an deiner Seite
hatt' ich als Zeuge deines Glücks ersehnt!
Dann kehrte, selig in des Grals Geleite,
dein Bruder wieder, den du tot gewähnt.

(Alle drücken ihre Überraschung aus. Lohengrin überreicht Elsa sein Horn, sein Schwert und seinen Ring.)

Kommt er dann heim, wenn ich ihm fern im Leben,
dies Horn, dies Schwert, den Ring sollst du ihm geben.
Dies Horn soll in Gefahr ihm Hilfe schenken,
in wildem Kampf dies Schwert ihm Sieg verleiht;
doch bei dem Ringe soll er mein gedenken,
der einst auch dich aus Schmach und Not befreit!

(Während er Elsa, die keines Ausdrucks mächtig ist, wiederholt küßt.)

Leb wohl! Leb wohl! Leb wohl, mein süßes Weib!
Leb wohl! Mir zürnt der Gral, wenn ich noch bleib!
Leb wohl, leb wohl!

(Elsa hat sich krampfhaft an ihm festgehalten; endlich verläßt sie die Kraft, sie sinkt ihren Frauen in die Arme, denen sie Lohengrin übergibt, wonach dieser schnell dem Ufer zueilt.)

Der König, die Männer und Frauen
Weh! Weh! Weh! Du edler, holder Mann!
Welch harte Not tust du uns an!

Ortrud (tritt im Vordergrunde auf, mit jubelnder Gebärde)
Fahr heim! Fahr heim, du stolzer Helde,
daß jubelnd ich der Törin melde,
wer dich gezogen in dem Kahn!
Am Kettlein, das ich um ihn wand,
ersah ich wohl, wer dieser Schwan:
Es ist der Erbe von Brabant!

Alle
Ha!

Ortrud (zu Elsa)
Dank, daß den Ritter du vertrieben!
Nun gibt der Schwan ihm Heimgeleit:
Der Held, wär' länger er geblieben,
den Bruder hätt' er auch befreit!

Die Männer
Abscheulich Weib! Ha, welch Verbrechen
hast du in frechem Hohn bekannt!

Die Frauen
Abscheulich Weib!

Ortrud
Erfahrt, wie sich die Götter rächen,
von deren Huld ihr euch gewandt!

(Sie bleibt in wilder Verzückung hoch aufgerichtet stehen.)

(Lohengrin, bereits am Ufer angelangt, hat Ortrud genau vernommen und sinkt jetzt zu einem stummen Gebet feierlich auf die Knie. Aller Blicke richten sich in gespannter Erwartung auf ihn hin. Die weiße Gralstaube schwebt über dem Nachen herab. Lohengrin erblickt sie; mit einem dankbaren Blicke springt er auf und löst dem Schwan die Kette, worauf dieser sogleich untertaucht. An seiner Stelle hebt Lohengrin einen schönen Knaben in glänzendem Silbergewande – Gottfried – aus dem Flusse an das Ufer.)

Lohengrin
Seht da den Herzog von Brabant!
Zum Führer sei er euch ernannt!

(Ortrud sinkt bei Gottfrieds Anblick zusammen. Lohengrin springt schnell in den Kahn, den die Taube an der Kette gefaßt hat und sogleich fortzieht. Elsa blickt mit letzter freudiger Verklärung auf Gottfried, welcher nach vorn schreitet und sich vor dem König verneigt. Alle betrachten ihn mit seligem Erstaunen, die Brabanter senken sich huldigend vor ihm auf die Knie. Dann eilt Gottfried in Elsas Arme.)

Elsa (nach einer kurzen freudigen Entrückung, wendet hastig den Blick nach dem Ufer, wo sie Lohengrin nicht mehr erblickt)
Mein Gatte! Mein Gatte!

(In der Ferne wird Lohengrin wieder sichtbar; er steht mit gesenktem Haupte traurig auf seinen Schild gelehnt im Nachen.)

Elsa
Ach!

Der König, die Männer und Frauen
Weh!

(Elsa gleitet langsam entseelt in Gottfrieds Armen zu Boden. Lohengrin wird immer ferner gesehen.)


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